Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Minister Blüm hat den Deutschen Gewerkschaftsbund angegriffen wegen seiner Aktion im Kampf um soziale Gerechtigkeit und der Aufforderung, sage ich mal - man sollte sich das Plakat genau ansehen -, den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung die Zähne zu zeigen. Denn was sollen die denn eigentlich anderes machen!
Sehen Sie sich die Situation in unserem Lande an: die meisten Sozialhilfeempfänger, die es jemals gegeben hat, die höchste Arbeitslosigkeit, die negativste Entwicklung bei den Nettolöhnen, ein Pleitenrekord, den - leider, sage ich - die Sachverständigen für 1998 voraussagen, Zunahme der Armut, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit wird nicht gelöst, Hoffnungslosigkeit breitet sich aus, Jugendarbeitslosigkeit als drängendes Problem, Ausbildungsplatzdefizit und eine Steuerreform, die auch noch die Belastung von Nacht- und Sonntagsarbeit bei den Arbeitnehmern vorsieht. Da muß doch eine Gewerkschaft protestieren und sagen, daß es so nicht weiter-
gehen könne, weil der Konsens in dieser Gesellschaft zerstört wird, meine Damen und Herren.
Hier liegen für mich die größten Probleme überhaupt, wenn wir über Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand reden.
Des weiteren hat Norbert Blüm auf Gerhard Schröder verwiesen, und er wurde durch sechs Worte von ihm völlig durcheinandergebracht. Erst sagte Schröder: „Wir sind bereit!" Da waren Sie schon ganz erschrocken. Dann hat er noch etwas aus Ihrer Sicht ganz Schlimmes gesagt: „die neue Mitte". Da sind Norbert Blüm und die F.D.P. fast verrückt geworden.
Ich erwähne diese sechs Worte nur, weil sie zeigen, wohin die Sozialdemokraten wollen und was sie auch auf dem Felde der Vermögensbildung gestalten wollen. Das alles sind praktische Vorschläge, die mit Ideologie überhaupt nichts zu tun haben.
Nehmen wir die Ausgangslage, wie sie uns gegenwärtig berichtet wird: In einer Pressemitteilung heißt es:
Der große Teil der deutschen Arbeitnehmer hat in der jüngsten Vergangenheit wenig Anlaß zum Lachen.
Dieser Satz stammt nicht etwa von den Gewerkschaften, sondern vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Dann wird festgestellt: Tatsächlich sorgt die staatliche Umverteilungspolitik dafür, daß bei den Arbeitnehmern zuletzt aus einem kleinen Plus von 0,9 Prozent beim Bruttolohn netto ein Minus von 0,4 Prozent wurde. Dagegen stiegen die Gewinne der Unternehmen laut Deutschem Gewerkschaftsbund um fast 11 Prozent.
Diese Tatbestände müssen Sie als Ergebnis Ihrer Politik zur Kenntnis nehmen. Gegen diese Politik muß man doch ankämpfen; denn Sie treffen damit die breiten Schichten der Bevölkerung und insbesondere die Arbeitnehmer, die ja zusammen mit ihren Gewerkschaften bereit waren, das „Bündnis für Arbeit" mit Ihnen einzugehen, das Sie so schmählich zerstört haben. Wer ein solches Bündnis in Frage stellt, kann nicht erwarten, daß er von den Gewerkschaften bejubelt wird. Das Gegenteil ist der Fall.
Es ist auch richtig, daß sich die Leute wehren, damit der staatliche Abbau von Sozialleistungen und die ungerechte Verteilung von Produktivvermögen nicht mehr so weitergehen können. Dafür werden wir als Sozialdemokraten in der kommenden Legislaturperiode sorgen.
In der 12. Legislaturperiode haben wir bereits einen Entwurf für eine Vermögensbildungsstrategie vorgelegt; er war insbesondere auf die neuen Länder bezogen, weil dort der Neuaufbau der Wirtschaft zu-
Hans-Eberhard Urbaniak
nächst mit einer überfälligen Demontage beginnen mußte. Hier wäre es sinnvoll gewesen, an dem zur Verfügung gestellten Kapital auch die Arbeitnehmer zu beteiligen. Sie von der Regierungskoalition haben in der 12. Legislaturperiode diesen Entwurf nicht aufgegriffen und das Gespräch mit uns überhaupt nicht gesucht.
Wir haben am 13. März 1996 weitere Vorschläge eingebracht. Erst danach haben Sie im Jahr 1997 -recht spät - Ihren Vorschlag dem Bundestag vorgelegt. Wir waren sofort bereit, mit den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu debattieren, damit wir auf einer vernünftigen Grundlage in der Frage der Verteilung des Produktivvermögens vorankommen.
Aber alle Anregungen, die wir auch bei den Ausschußberatungen gegeben und gerade in der letzten Woche noch einmal besonders betont haben, haben Sie ignoriert. Sie haben eine große Chance vertan, um dieses drängende Problem bezüglich des Produktivvermögens in Arbeitnehmerhand so anzupacken, daß es in den kommenden Jahren gelöst werden könnte. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Koalitionsfraktionen.
Wir haben - das wissen Sie ganz genau - zwei wichtige Punkte in die Debatte eingebracht. Der erste Punkt sind die Tariffonds. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diese Tariffonds gefordert. Auch von einigen Sachverständigen sind die Tariffonds begrüßt worden. Wenn man Tarifverträge entsprechend gestaltet, bekommt man eine breite Streuung und kann aus diesen Fonds Kapital für Investitionen zur Verfügung stellen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diesen Punkt auf der Fachkonferenz am 24. September 1997 besonders herausgestellt. Sie haben die Einrichtung der Tariffonds leider verwehrt, obwohl uns gesagt worden ist, daß Sie bei der Beratung mit den Gewerkschaften über Elemente einer Steuerreform gesagt haben: Wir sind bereit, in dieser Frage auf Sie zuzukommen. Also muß es in den Koalitionsfraktionen einen Schuldigen geben, der dies sabotiert hat. Das kann nur die F.D.P. sein. Dies ist klar. Dies werden Sie auch nicht bestreiten. Ich habe heute morgen gehört, wie man in diesem Punkt einlenken möchte. Dies sind schon andere Töne, als wir sie bei Ihnen seinerzeit gehört haben.
Der zweite Punkt: Wir haben die Insolvenzsicherung verlangt. Viele von uns können sich daran erinnern, wie es beim Betriebsrentengesetz war. Es mußte neu gestaltet werden. Erstens war es notwendig, die goldene Kette abzuschlagen. Das ist erreicht worden. Herr Kollege Vogt, Sie wissen, wie wir seinerzeit darum gekämpft haben. Zweitens stellte sich die Frage: Wie sichern wir im Falle des Konkurses eines Unternehmens die Ansprüche der Arbeitnehmer, eine Betriebsrente zu beziehen?
Für einen solchen Zusammenbruch gibt es ein ganz gravierendes Beispiel, das der AEG. Die damalige Bundesregierung hat das Unternehmen durch
eine Bürgschaft von 1 Milliarde DM gestützt. Dazu war sie nicht verpflichtet - Lahnstein war damals Finanzminister -, aber es ist gemacht worden.
Hätten wir zu dem Zeitpunkt keine Insolvenzregelung gehabt, wäre es knüppeldick gekommen. Die Parteien und Fraktionen waren sich klar darüber, daß es dann, wenn die Unternehmer dies nicht selber über ihren Pensionsverein machen, gesetzlich geregelt werden muß. Dann wurde es vernünftigerweise gemacht, und es funktioniert. Das würde selbstverständlich auch hier bei der Regelung der Vermögensbildung funktionieren. Darum sage ich: Diese Elemente sind für uns ganz wichtige Voraussetzungen. Das ist die Grundlage dafür, um auf diesem Gebiet entscheidend voranzukommen.
Ich möchte an dieser Stelle auch Philip Rosenthal für seine vielen Aktivitäten danken,
der die beiden Punkte unter „Haben" und „Sagen" dargestellt hat:
„Haben" in der Form der Vermögensbildung und „Sagen" in der Form der Mitbestimmung. Diese paritätische Mitbestimmung verfolgen wir weiter. Sie ist auch notwendig, um der Machtkonzentration im Bankwesen, in der Industrie und im Versicherungswesen entgegenzutreten. Auch in diesem Punkt muß in den Aufsichtsräten geteilt und das Element der Arbeitnehmerbeteiligung ganz entscheidend mit eingeführt werden.
Ich weise noch einmal auf Philip Rosenthal hin, der diese beiden Punkte besonders herausgestellt hat.
Ich danke aber auch der IG Chemie, die so beispielhafte Arbeit geleistet hat, um auf diesem Gebiete voranzukommen.
Schließlich danke ich Schorsch Leber, der durch die ersten Tarifverträge die Voraussetzungen erst einmal geschaffen hat, diese Dinge zu entwickeln.
Herr Kollege Vogt, Sie sprachen von der Partnerschaft. Das ist ganz selbstverständlich. Die Tarifparteien gehen immer in Gegnerschaft aufeinander zu, wenn sie verhandeln müssen. Am Ende steht der Tarifvertrag, der aus der Partnerschaft heraus gestaltet worden ist. Genau diese Partnerschaft ist Grundlage unserer Gesellschaftsordnung; denn wenn die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Lagern ohne Kompromißbereitschaft geführt würde,
Hans-Eberhard Urbaniak
wenn es Spitz auf Knopf steht, dann wäre das eine schlimme Sache.
Ich hoffe auch, daß wir auf dem Felde des Investivlohnes vorankommen. Hier liegt eines der allergrößten Probleme. Denn wenn für die Gewerkschaften Tariffonds gesetzlich geregelt werden - für die Arbeitgeber übrigens auch - und die Pleitenregelung durch die Einrichtung, die wir wünschen, ebenfalls vernünftig geregelt werden kann, dann müssen die Gewerkschaften mit ihren Mitgliedern selber übereinkommen, daß ein Teil des Lohnes in die Fonds eingezahlt wird.
Das ist kein einfacher Prozeß. Darüber sind wir uns im klaren. Aus diesem Grunde können wir nur Vorschläge für die Gestaltung von Rahmenbedingungen machen. Leider haben Sie unsere Vorschläge nicht aufgegriffen. Der Boden für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist nicht fruchtbar, weil Arbeitslosigkeit und Armut sich leider ausweiten. Das sind keine guten Grundlagen, um auf diesem Felde weiterzukommen. Wir gehen aber davon aus, daß die Impulse und die Dynamik nach dem 27. September dieses Jahres kräftig zunehmen werden und diese Ungerechtigkeiten ein Ende haben werden.