Rede von
Dr.
Dietrich
Mahlo
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine lieben Freunde! Die vorgelegten Entwürfe zu einem Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetz sind keine völlig neuen Initiativen, sondern greifen auf Bemühungen aus den frühen 80er Jahren und meiner Ansicht nach unausgesprochen auch auf Ergebnisse einer Regierungsanhörung vom Januar 1982 zurück. Damals wie heute ist zu fragen, ob wir mit Antidiskriminierungsgesetzen Segen stiften oder einen Irrweg betreten. Die Antwort ist nicht einfach. Ich beschränke mich in der ersten Lesung auf einige Anmerkungen.
Erstens. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß in weiten Bereichen unseres Volkes dümmliche und schwer erträgliche Vorurteile gegen bestimmte andere Menschen und Menschengruppen existieren und daß dies nicht nur in seltenen Einzelfällen zu ungerechtfertigten Benachteiligungen, ja zu Leid bei den Betroffenen führt. Insgesamt behindert dieser Tatbestand sinnlos das gleichberechtigte und freie Zusammenleben von Menschen in unserem Lande und muß als eine erhebliche Belastung des öffentlichen Wohles angesehen werden. - Ich denke, daß über diesen Sachverhalt und seine Bewertung weitgehend Einigkeit bestehen dürfte.
Zweitens. Zu fragen ist allerdings, ob man ein Phänomen, das seine Ursache in sozialen Ängsten, in Unbildung, in mangelnder Reife, in fehlender Aufklärung, in materieller Bedürftigkeit, kurz: im Gesellschaftlichen hat, par ordre du mufti abschaffen kann.
Kann man Toleranz, Mitmenschlichkeit, gesellschaftliches Augenmaß auf dem Gesetzgebungswege herstellen?
Oder wird durch die Verrechtlichung nur eine Fassade des Wohlverhaltens geschaffen, hinter der die eigentlichen Mißstände dann um so eher weiterwuchern?
Drittens. Diejenigen, denen wir den Anstand mit sanktionsbewehrten Gesetzen, Schadenersatzansprüchen bis hin zum Ausgleich von Nicht-Vermögensschäden, Eingriffen in die freie Beweiswürdigung, mit Verordnung sogenannter emanzipatorischer Diskriminierungen und dem Einsetzen privater
Dr. Dietrich Mahlo
Verbände als Aufpasser oder Hilfspolizei mit eigenem Klagerecht austreiben wollen - das alles ist ja von Ihnen vorgesehen, Herr Kollege -, ohne aber Bewußtsein und innere Einstellung ändern zu können, werden natürlich überzeugt sein, daß es sich um eine Art Gesinnungsrecht handelt und daß in Deutschland, wie so oft in diesem Jahrhundert, wieder Leute unterwegs sind, die den anderen beibringen wollen, wie sie zu leben und was sie zu denken haben.
Die Freiheit des Grundgesetzes umfaßt das Recht, nach Merkmalen des Art. 3 Abs. 2, das heißt nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Religion usw. zu differenzieren. Von dieser Freiheit darf auch in einer Weise Gebrauch gemacht werden, die den Prinzipien der „political correctness" glatt ins Gesicht schlägt, auch wenn uns allen das nicht gefallen sollte. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist kein Superrecht, und es erlaubt schon gar nicht dem einfachen Gesetzgeber, das differenzierte System der Freiheitsrechte, also die Freiheit, Verträge abzuschließen, seine Kinder zu erziehen, Vereine zu gründen, seine Intimsphäre zu bestimmen und seine Meinung kundzutun, durch Antidiskriminierungsgesetze zu nivellieren.
Gerade diejenigen in diesem Hause, die unter Berufung auf ihre Meinungsfreiheit darauf bestehen, die Soldaten der Bundeswehr, denen unser Land ein halbes Jahrhundert Frieden mit zu danken hat, als Mörder bezeichnen zu dürfen, müssen gelegentlich an die Meinungsfreiheit anderer erinnert werden.
Es kommt hinzu, Herr Beck, daß das Phänomen des Vorurteils, der Diskriminierung, des Schikanierens, der verletzenden Ausgrenzung, der privaten Herabwürdigung und des Mobbing am Arbeitsplatz auch sonst im zwischenmenschlichen Bereich verbreitet anzutreffen ist und dabei vielfach an Kriterien anknüpft, die sich rechtlichen Erfassungsversuchen weitgehend entziehen, so etwa an Unbildung, Intelligenzmangel, Häßlichkeit, mangelnden Umgangsformen usw. Ich stelle daher die Frage, ob die Sollbruchstelle, die in den Gesetzentwürfen von Ihnen angenommen wird - nämlich Behinderung, ethnische und sexuelle Identität -, wirklich die Bedeutung hat, von der Sie ausgehen.
Insgesamt bekenne ich mich zu einer gewissen Skepsis gegenüber den vorgeschlagenen Gesetzen. Rechtliche Maßnahmen und Sanktionen sollten jedenfalls den Fällen vorbehalten bleiben, wo privates Verhalten in besonders grober Weise den „ordre publique" unserer Gesellschaft verletzt und damit das allgemeine Wohl tangiert wird. Generell denke ich, daß sich gesellschaftliche Mißstände auch nur gesellschaftlich überwinden lassen, das heißt durch Überzeugungsarbeit, durch Beispiel, durch Einüben in Toleranz, nicht aber durch das Bekämpfen von Symptomen.
Wenn Menschen sehen, daß in ihrer Umgebung deutsch-türkische Ehen ganz normal funktionieren, wenn ein großer Tennisstar eine Frau mit dunklerem
Teint als hierzulande üblich heiratet, wenn nigerianische Fußballspieler in Spitzenklubs der Bundesliga spielentscheidende Tore schießen, hat das für ein gleichberechtigtes Zusammenleben und mitmenschliche Toleranz eine größere und segensreichere Wirkung als alle Antidiskriminierungsgesetze, die wir uns hier ausdenken können.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.