Rede von
Günter
Verheugen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin deshalb in einer etwas unangenehmen Lage, weil ich laut Thema der Aktuellen Stunde etwas zur „Haltung der Bundesregierung" zu einem Vorgang sagen soll.
Wie ernst Sie Ihre eigene Aktuelle Stunde nehmen, sehen Sie daran, daß Sie der Bundesregierung gar nicht die Gelegenheit gegeben haben, zunächst einmal ihre Meinung zu sagen. Deshalb kann ich das nicht kommentieren.
Aber mit dem Thema der Aktuellen Stunde segeln Sie auch in einem anderen Zusammenhang unter falscher Flagge. Es geht hier nicht um ein Gespräch, das der Bundesratspräsident geführt hat. Sagen Sie doch, um was es geht! Es geht um ein Gespräch, das der Kanzlerkandidat der SPD geführt hat. Nur deshalb, weil Gerhard Schröder Kanzlerkandidat der SPD ist, reden wir heute im Bundestag darüber. Das ist auch gut so; das ist richtig so. Denn es gibt Ihnen die Gelegenheit, sich schon einmal etwas in die Oppositionsrolle einzuüben.
Ich möchte zu der Sache selber folgendes sagen: Erstens ist das Gespräch zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und Herrn Lukaschenko, den ich genauso qualifizieren möchte, wie das hier schon geschehen ist,
nach sorgfältiger Abwägung der Chancen und der Risiken einer solchen Begegnung zustande gekommen.
„Sorgfältige Abwägung" heißt: Was läßt sich durch Gesprächsverweigerung, und was läßt sich durch Gespräche erreichen? Es war nie die Politik meiner Partei und meiner Fraktion, Gespräche zu verweigern. Wir haben auch die Bundesregierung nie kritisiert, weil sie Gespräche geführt hat.
Die Gespräche des Bundeskanzlers in China und in Indonesien beispielsweise sind nicht kritisiert worden, weil er dort war, sondern wegen des in diesen Gesprächen Ausgeblendeten, weil in China eben nicht über die Menschenrechte gesprochen, sondern vor der Volksbefreiungsarmee Kotau gemacht worden ist.
Herr Pflüger, Sie haben gar nicht gefragt, worüber Herr Schröder eigentlich mit Herrn Lukaschenko gesprochen hat. Das interessiert Sie auch gar nicht, weil Sie hier nur ein bißchen Wahlkampf machen wollen. Deshalb will ich Ihnen auf die Sprünge helfen: Gegenstand des Gespräches waren die politischen Rahmenbedingungen für eine engere wirtschaftliche Kooperation. Herrn Lukaschenko ist bei diesem Gespräch gesagt worden, daß er demokratische, rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Reformen in Gang setzen muß, wenn er will, daß es zu einer engeren Kooperation mit deutschen Unternehmen kommt.
Das entspricht genau dem, was die Europäische Union beschlossen hat. Ich darf aus dem Beschluß zitieren. In diesem Beschluß heißt es, der Rat appelliere an alle Mitgliedsstaaten der OSZE - das sind ja wohl wir - und des Europarates - das sind wir auch -, insbesondere an die Nachbarstaaten von Belarus, dessen Regierung zu überzeugen, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien und der Einhaltung der Menschenrechte in Einklang stehe.
Genau das hat der niedersächsische Ministerpräsident in dem Gespräch getan. Es war richtig, das zu tun. So, wie es richtig war, daß sich Willy Brandt vor etwas mehr als zehn Jahren mit dem südafrikanischen Präsidenten Botha getroffen und ihm gesagt hat, was die Welt von ihm erwartet, so war es auch richtig, sich mit Herrn Lukaschenko zu treffen.
Isolierung, meine Damen und Herren, ist nicht die Politik, die den Menschen in Belarus hilft. Dies ist auch nicht die Beschlußlage der Europäischen Union.
Günter Verheugen
Ich habe die Beschlüsse hier. Weder der Ministerrat noch das Europäische Parlament reden an irgendeiner Stelle davon, daß hochrangige politische Kontakte nicht stattfinden sollten. Auch der Deutsche Bundestag hat das nicht beschlossen. Schauen Sie doch nach! Kein Wort davon steht in diesem Beschluß.
Dies würde ja unserer Politik auch widersprechen. Es ist niemals die Politik dieses Parlamentes gewesen, das Gespräch zu verweigern und die Möglichkeit der Einflußnahme aufzugeben.
Es war richtig, dieses Gespräch zu führen. Denn wie soll der Mann sonst hören, was eigentlich von ihm erwartet wird? Es war auch richtig, darauf hinzuweisen, daß wir an der Öffnung von Belarus - auch durch wirtschaftliche Kontakte - ein Interesse haben.
Diese Politik, die seit vielen Jahren in unserem Lande betrieben wird, hat sich doch bewährt. Es wurde immer gesagt: Wirtschaftskontakte können und sollen auch dazu dienen, die sozialen und politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich kann nichts Kritikwürdiges daran finden, wenn sich ein deutscher Ministerpräsident - auch im Interesse der Arbeitsplätze der Menschen in seinem Lande - darum bemüht, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Wenn Sie sich darüber erregen möchten, daß für den Ministerpräsidenten von Niedersachsen die Sicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen Chefsache ist, dann sage ich Ihnen: Wir sind stolz darauf, daß das so ist. Es wäre besser, wenn der Bundeskanzler die Arbeitsplatzsicherung in Deutschland auch zur Chefsache gemacht hätte und wenn etwas dabei herausgekommen wäre.
Meine Damen und Herren, um das ganz klar zu sagen: Ihre Kritik ist nicht begründet. Es liegt kein Verstoß gegen Beschlüsse der Europäischen Union vor. Es gibt keine Kontaktsperre. Die Union hat lediglich beschlossen, daß ministerielle Kontakte koordiniert werden sollen. Damit sind aber eindeutig die Kontakte der Regierungen der Mitgliedstaaten gemeint und ganz gewiß nicht die föderale Ebene der Bundesrepublik Deutschland.
Die Europäische Union betreibt eine Politik, mit der wir dazu aufgefordert werden, Einfluß auf dieses Land zu nehmen. Das haben wir getan, indem der Ministerpräsident von Niedersachsen Herrn Lukaschenko das gesagt hat, was zu sagen war.