Rede von
Manfred
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich wage zu bezweifeln, daß der vorliegende Entwurf für ein Gesetz zur Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen ausreichen wird, um den katastrophalen Verlust an Glaubwürdigkeit und Wählerstimmen der Regierungskoalition aufzuhalten.
Eines steht zweifelsfrei fest: Die immer ungerechter werdende Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums wird dieser Entwurf nicht aufhalten. Was Sie hier eingebracht haben, eignet sich nicht einmal zum Abbremsen der Jahr für Jahr eintretenden Verteilungsverluste. Das wäre doch das mindeste, was man von einem Gesetz zur Vermögensbildung erwarten kann. Wenn es schon keine gerechte Vermögensverteilung herstellen kann, dann sollte es doch zumindest geeignet sein, den Status quo zu erhalten.
Das alles tut der Gesetzentwurf nicht. Die seit Ihrer Regierungsübernahme jährlich eintretenden Einkommensverluste der abhängig Beschäftigten sind um ein Vielfaches größer als deren jährliche Vermögensbildung. Daran wird sich nichts ändern. So ist das Volkseinkommen im vergangenen Jahr im Schnitt zwar um 2,7 Prozent gestiegen. Aber nach Angaben des DGB mußten die abhängig Beschäftigten bei den Nettoeinkommen ein Minus von 0,4 Prozent hinnehmen. Die durchschnittliche Erhöhung des Volkseinkommens um 2,7 Prozent errechnet sich nahezu ausschließlich aus der enormen Erhöhung der Nettogewinne um 10,4 Prozent. Aus diesem Zurückbleiben der Arbeitnehmereinkommen errechnet sich für 1997 ein Verteilungsverlust von rund 66 Milliarden DM.
Was haben Sie dem entgegenzusetzen? - Eine lächerliche Förderung der jährlichen Vermögensbildung in Höhe von höchstens 1,2 Milliarden DM. Seit Ihrem Regierungsantritt verschlechtert sich die Verteilungsposition der Arbeitnehmer jährlich um einen Betrag zwischen 30 und 60 Milliarden DM. Angesichts dessen wollen Sie mit einer lächerlichen Sparförderung in Höhe von 1,2 Milliarden DM eine gerechte Verteilung des Produktivvermögens erreichen?
Wie lächerlich dieser Betrag ist, kann man schon der Tatsache entnehmen, daß Sie durch den Erlaß der Vermögensteuer den wirklich Vermögenden in diesem Land jährlich nicht 1,2 Milliarden sondern 9,3 Milliarden DM schenken.
Ich könnte mich damit noch abfinden, wenn Ihre Vorlage mit dem so anspruchsvollen Titel nichts als Wahlkampfgetöse wäre. Aber es ist viel schlimmer: Das sogenannte Vermögensbildungsgesetz ist ein bewußtes Täuschungsmanöver, mit dem Sie davon ablenken wollen, daß Sie seit 16 Jahren eine schamlose staatliche Reichtumspflege betreiben.
Sie fördern die Vermögensbildung nämlich bei den 3 Prozent der Bevölkerung, die bereits jetzt 80 Prozent des Produktivvermögens besitzen. Sie haben das Kunststück fertiggebracht, daß die Nettoeinkünfte aus Gewinnen und Vermögen inzwischen regelmäßig stärker steigen als die Bruttogewinne.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorgestern konnte man in der „Frankfurter Rundschau" einen bemerkenswerten Satz lesen:
Der Großteil der deutschen Arbeitnehmer hatte in der jüngsten Vergangenheit wenig zum Lachen.
Bemerkenswert ist dieser Satz, weil er aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft stammt. Wenn das schon die Arbeitgeberverbände sagen, muß eine solche Feststellung aufhorchen lassen.
In der Tat kommt die bereits oben erwähnte Untersuchung des DGB zu dem Schluß, daß der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen den niedrigsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht hat. Sogar die reale Kaufkraft der Arbeitnehmereinkommen lag im vergangenen Jahr um 1 Prozent unter dem Niveau von 1980. Seit einigen Wochen ist es nach den Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank auch kein Geheimnis mehr, daß die abhängig Beschäftigten 1997 erstmals in der Bundesrepublik einen realen Einkommensverlust hinnehmen mußten und Deutschland das einzige Land in der OECD ist, in dem 1997 die Lohnstückkosten sanken.
Das alles sind Tatsachen, die man einfach zur Kenntnis nehmen muß, wenn man hier über eine gerechtere Verteilung des Produktivvermögens spricht. Denn wie sollen die abhängig Beschäftigten aus eigener Ersparnis Vermögen bilden, wenn ihre Real-
Manfred Müller
einkommen sinken? Wie soll die ungerechte Verteilung des Produktivvermögens aufgehalten werden, wenn die Arbeitseinkommen heute unter dem Niveau von 1980 liegen, aber die Nettogewinne im gleichen Zeitraum um sage und schreibe 119 Prozent gestiegen sind?
Herr Vogt, Sie haben gesagt, daß 1983 die Weichen für die Vermögensbildung neu gestellt worden sind. Da haben Sie vollkommen recht. Aber sehen Sie sich die Zahlen an, die ich eben vorgetragen habe: im Vergleich zu 1980 eine Steigerung der Nettogewinne um 119 Prozent bei gleichzeitigem Sinken der Reallöhne. Da haben Sie völlig recht. Aber die Weichen sind in die falsche Richtung gestellt worden.
Eine gerechte Verteilung des Produktivvermögens, mit dem die Antragsteller ihr Drittes Vermögensbeteiligungsgesetz begründen, ist ohne eine Umkehr bei der Primärverteilung unmöglich. Eher zieht sich der berühmte Baron von Münchhausen am eigenen Schopf selber aus dem Sumpf, ehe sich die Arbeitnehmer bei sinkenden Realeinkommen in das gleichzeitig explodierende Produktivvermögen einkaufen können. So ist die Meinung des unternehmernahen Wirtschaftsinstituts in seiner Stellungnahme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitnehmer hatten in der Vergangenheit wirklich wenig zum Lachen; Grund zum Zorn haben sie dagegen zur Genüge. Dieser Zorn wird sich morgen, am 1. Mai, auf den DGB-Kundgebungen breiten Raum verschaffen, und es wird deutlich werden, daß der DGB mit der laufenden Kampagne „Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" die richtige Aussage gefunden hat.
Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß der Bundesregierung und den Regierungsparteien diese DGB-Kampagne nicht gerade gelegen kommt.
Aber ich habe nicht das mindeste Verständnis für Ihre unqualifizierten Angriffe gegen die Gewerkschaften, indem Sie ihnen einseitige Parteinahme für die Opposition vorwerfen.
Die Gewerkschaften werden von unserer Verfassung nicht geduldet, vielmehr haben sie einen von der Verfassung vorgegebenen Auftrag. Sie sind eine Säule des Sozialstaats und haben diesen zu verteidigen, wenn er von der herrschenden Regierung bis auf die Grundmauern geschliffen wird. Wenn diese Bundesregierung 16 Jahre lang eine schamlose Umverteilung von unten nach oben vornimmt, wenn diese Regierung einen hemmungslosen Sozialabbau
betreibt, um angeblich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und wenn dann das Ergebnis nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose sind, spätestens dann ist für die Gewerkschaften der Zeitpunkt gekommen, offen für eine andere Politik in diesem Lande einzutreten.
Das, was der DGB da macht, ist keine Parteinahme für die Opposition,
sondern eine Parteinahme für die abhängig Beschäftigten, die Arbeitslosen und die Millionen Ausgegrenzten, die die herrschende Politik - Ihre Politik - bereits abgeschrieben hat. Dabei kann man ruhig ein bißchen lauter werden.
Aber - das scheint mir besonders wichtig - es ist auch eine Parteinahme für die Demokratie. Vor weniger als einer Woche haben sich in Sachsen-Anhalt fast 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die fremdenfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche DVU entschieden. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit keine Entschuldigung für den Rückfall in die Demagogie der braunen Barbarei sind.
Aber wir müssen uns wohl wieder darüber klar werden, daß die Demokratie eine soziale Basis braucht. Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Profitjagd soziale Grenzen zu setzen,
da darf man sich nicht wundern, wenn die extreme Rechte Morgenluft wittert.
- Wissen Sie; ich habe schon über so viele Tarifverträge über die sogenannte Vermögensbildung verhandelt und habe sie unterschrieben, daß Sie mir keine Belehrungen über soziale Marktwirtschaft erteilen müssen.
Auch ich halte das für einen richtigen Weg. Aber er muß in eine Steuerpolitik und in eine Verteilungspolitik eingebettet sein, die die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer macht.
Dann hat eine Vermögensbildung über Tarifverträge, so wie sie hier vorgeschlagen worden ist, einen Sinn. Ansonsten ist sie wie eine weiße Salbe, die die skandalöse Reichtumsverteilung zukleistern soll.
Manfred Müller
Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Profitjagd soziale Grenzen zu setzen, darf man sich nicht wundern, wenn die extreme Rechte Morgenluft wittert. Die Demokratie kann nur als soziale Demokratie überleben. Aber Sie haben das Wort „sozial" so sehr aus den Erfahrungen der Menschen getilgt, daß die Demokratie selbst in Gefahr geraten kann.
An dieser negativen Erfahrung von Millionen Menschen werden Sie mit Ihrem angeblichen Vermögensbeteiligungsgesetz nichts ändern, im Gegenteil: Dieser Entwurf ist angesichts der bestehenden sozialen Spaltung nicht nur unzureichend; er ist eine Provokation.