Rede von
Steffi
Lemke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1997 war das Jahr der Waldberichte. Wir haben im Laufe dieses Jahres vier Berichte vorgelegt bekommen, die im einzelnen sicherlich alle ihre Berechtigung haben, deren Aussagen man aber kritisch hinterfragen muß.
Der Waldzustandsbericht 1997 verzeichnet eigentlich eine Stabilisierung des Waldzustandes. Eingeschränkt wird diese positive Beurteilung jedoch durch erhebliche Unterschiede in den Regionen und bei den Baumarten. Während in den nordwestdeutschen und den ostdeutschen Ländern vorwiegend Verbesserungen des Waldzustandes zu verzeichnen sind, verharren die süddeutschen Länder auf einem fast unverändert hohen Schadensniveau. Kiefer, Fichte und Buche zeigen leichte Zustandsverbesserungen, während die Eiche auch 1997 wieder extrem starke Schäden aufweist und in einzelnen Regionen sogar in ihrem Bestand gefährdet ist.
Auch der Vergleich zwischen den Ergebnissen der Kronenzustandserhebung und der Waldbodenuntersuchungen rückt den Waldzustand in ein anderes Licht. Die leichte Verbesserung des Kronenzustandes steht in einem krassen Gegensatz zu den Aussagen im Waldbodenbericht. Die Ergebnisse der bundesweiten Erhebung zum Zustand des Bodens im Wald dokumentieren eine schnell fortschreitende Versauerung und Degradation der Waldböden. In einzelnen Regionen ist die Versauerung bereits derart hoch, daß nicht nur Gefahr für den Fortbestand des Waldes, sondern auch für die Sicherung der Trinkwasserversorgung besteht. Laut Waldbodenbericht sind „Risiken für das Quell- und Grundwasser bei entsprechenden hydrogeologischen Verhältnissen im Untergrund nicht mehr ausgeschlossen".
Der Waldbodenbericht wurde dem Parlament bis heute nicht zugeleitet. Über die Ursachen können wir nur spekulieren; ich vermute, daß der Bundesregierung die Fakten einfach zu brisant sind. So heißt es im Waldbodenbericht beispielsweise:
Auffallend stark versauert bis in den Unterboden stellen sich Böden auf Sand, Sandstein und Metamorphiten dar.
Steffi Lemke
Es besteht eine durch Tiefenversauerung induzierte Gefahr der Aluminiumauswaschung und potentiellen Grundwasserkontamination. Es sind gewässerschädliche Auswirkungen infolge fortschreitender Bodenversauerung auch in Deutschland regional bereits deutlich erkennbar.
Wir fordern auf Grund der Brisanz dieser Aussagen die Bundesregierung auf, den Waldbodenbericht dem Parlament zuzuleiten, damit wir ihn auch im Ausschuß diskutieren können - und dies am besten in Verbindung mit dem nächsten Waldzustandsbericht.
Eine Aufweichung der Waldschadenserhebung, wie sie das Ministerium von Herrn Rüttgers im vergangenen Jahr angestoßen hat, halte ich vor diesem Hintergrund für völlig verfehlt. Mit einem Abqualifizieren der Waldschadenserhebung als wissenschaftlich nicht haltbar ist für den Wald nichts gewonnen. Vielmehr begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die Vorschläge der Expertengruppe des BML zur Fortführung und Intensivierung der Waldschadenserhebung. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, daß die Bundesregierung Empfehlungen ihrer eigenen Experten in den Wind schlägt. Wir fordern die Bundesregierung auf, das vorgeschlagene modifizierte Verfahren der Waldschadenserhebung, beginnend mit der Waldschadenserhebung, 1999, praktisch umzusetzen.
Ein realistisches Bild des Waldzustandes ist nur durch eine Verknüpfung aller standortrelevanten Daten möglich, also des Zustands der Baumkronen, des Waldbodens sowie der Nährstoffversorgung. Diese komplexe Betrachtung der Waldsituation hatte ich eigentlich vom 1997 erstmals vorgelegten Waldbericht erwartet. Das vorliegende Ergebnis erscheint mir jedoch eher als eine Pflichtübung von Herrn Borchert.
Herr Hinsken, Sie haben vorhin - ein wenig wie im Heimatkundeunterricht - Daten aus dem Waldbericht vorgetragen. Das kann man sicher machen. Aber ich denke, daß eine Bundesregierung eine andere Verantwortung hat und in einem solchen Waldbericht die Probleme des Waldes zusammenhängend darstellen und vor allem Lösungsansätze anbieten muß. Dieses vermisse ich im Waldbericht.
Im Zentrum seiner Ausführungen steht die wirtschaftliche Frage, das heißt, wie eine Stärkung der Leistungsfähigkeit der Forstbetriebe erreicht werden kann. Aber auch hier bietet der Waldbericht nichts Neues, sondern stellt lediglich ausführlicher dar, was auch im Forstteil des jährlichen Agrarberichtes zum Thema Wald steht.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte die Frage, wie die Forstbetriebe wirtschaftlich gestärkt werden können, für wesentlich. Aber die Basis für wirtschaftlichen Erfolg ist gerade beim Wald dessen ökologische Stabilität. Nirgendwo sonst ist die Verzahnung von Ökologie und Ökonomie so eng wie im Wald. Holz kann nicht aktiv „produziert" werden, sondern ist auf den Erhalt und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen angewiesen.
Die Verknüpfung des Waldbodenzustandes mit dem Baumkronenzustand sowie daraus resultierende Maßnahmen bleibt der Waldbericht schuldig. Fakt ist, daß trotz aller Anstrengungen und nachweislichen Erfolge bei der Luftreinhaltung in den letzten Jahren die Belastung der Waldökosysteme durch Säureeinträge nach wie vor wesentlich zu hoch ist.
Insbesondere bei den Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs und den Ammoniakemissionen der Landwirtschaft ist bisher keine Trendwende zu verzeichnen. Die technischen Maßnahmen zur Emissionsminderung, Stichwort: Katalysator - das erzählen Sie jetzt seit 15 Jahren -, Stichwort: Injektionstechnik bei der Gülleausbringung, haben bisher zu keiner Besserung des Waldzustandes geführt.
Die Bundesregierung hat es versäumt, im Rahmen der Düngeverordnung praktisch umsetzbare Vorgaben für eine umweltentlastende massive Reduktion der Stickstoffdüngung und damit der Ammoniakemissionen zu definieren. Ebenso sind die Regelungen der Sommersmogverordnung völlig ungenügend, um das Auftreten des stark waldschädigenden bodennahen Ozons im Sommer zu unterbinden.
Das Umweltbundesamt hat im Rahmen der UN-Konvention über weiträumige, grenzüberschreitende Luftverunreinigungen die „critical loads" von Stickstoff und säurebildenden Substanzen für Deutschland berechnet.' Diese übersteigen auf fast 90 Prozent der Fläche die Toleranzgrenzen und sind teilweise dreimal höher, als das Ökosystem verkraften kann.
Gegen dieses Übermaß an Schadstoff-Frachten wirkt die von der Bundesregierung verschriebene Kalkung der Waldböden nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Das, was dort bisher an Kalk verrieselte, hat überhaupt nur ein Fünftel der Waldfläche erreicht. Die Kosten der Trinkwasseraufbereitung, die uns bei einer weiteren Versauerung der Waldböden ins Haus stehen, werden um ein Vielfaches höher liegen als die 260 Millionen DM, die bisher für die Waldkalkung ausgegeben worden sind. Daher ist es dringend geboten, an Stelle einer End-of-pipeStrategie, die lediglich Symptome bekämpft, endlich bei den Ursachen von Luftverschmutzung und Bodenversauerung anzusetzen.
Meine Fraktion hat in den vergangenen drei Jahren dazu eine Reihe von Vorschlägen entwickelt. Die Konzepte müssen jetzt endlich umgesetzt werden. Nachhaltige Forstwirtschaft, auf die man in Deutschland stets stolz verweist, kann langfristig nur funktionieren, wenn auch die übrige Wirtschaft nachhaltig gestaltet wird.
Danke.