Rede von
Peter
Dreßen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vor eineinhalb Jahren unseren Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit eingebracht, weil wir alle erkannt haben, daß hier ein Problem vorliegt. Auch Teile der CDU haben anerkannt, daß es hier ein Problem gibt. So weit, so gut.
Wenn ein Problem vorliegt, ist es meiner Meinung nach Aufgabe des Parlaments, eine Lösung zu finden. Wir haben im Ausschuß Beratungen durchgeführt, wir haben Anhörungen gemacht. Der Herr Bundesarbeitsminister hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beauftragt, eine Studie durchzuführen. Der Bundesrat hat die Vorlagen parallel beraten und das Ergebnis diesem Haus vorgelegt. Alle Beteiligten waren sich einig, daß es so nicht weitergehen kann - mit zwei Ausnahmen: nämlich der F.D.P. und der Arbeitgeberverbände.
In der Anhörung hat die Arbeitgeberseite erklärt, daß es keinen Handlungsbedarf gebe. Die anwesenden Arbeitsrichter haben diese Auffassung in der Luft zerrissen. Wir können nicht rund 1 Million Zweifelsfälle im Detail vor Gericht prüfen, lautete ihr Argument in der Anhörung. Schließlich hat sich auch die Rentenkommission beim Arbeitsminister dafür ausgesprochen, Scheinselbständige zumindest in der Rentenversicherung einzubeziehen. Das ist nicht der Weisheit letzter Schluß; aber immerhin war es ein Fortschritt. - Der Handlungsbedarf ist also selbst für die Bundesregierung offensichtlich. Demnach waren die Voraussetzungen gegeben, damit der Gesetzgeber diesen Mißstand endlich beseitigt.
Und was ist passiert? Im anschließenden Rentenreformgesetz der Koalition fehlte die angekündigte Regelung. Bei der Schlußabstimmung darüber erklärte dann Herr Kauder in aller Offenheit, die CDU hätte ja gerne eine Regelung vorgenommen; aber das sei halt mit der F.D.P. nicht zu machen. Wir haben hier dieselbe Situation wie bei den 620-Mark-Jobs.
Herr Louven, wenn ich die „Bild"-Zeitung vom 27. April richtig gelesen habe, haben Sie dort wieder erklärt, daß Sie Vorschläge machen werden, um die Scheinselbständigkeit abzuschaffen. Sie von der
Peter Dreßen
CDU kommen mir langsam wie Männer vor, die die Backen aufblasen und, wenn es darauf ankommt, das Pfeifen vergessen. Das nennt man im Badischen „Maulhelden" . Ich will Ihnen das einmal so offen sagen.
In diesem Haus gibt es eine breite Übereinstimmung. Nur die F.D.P. mauert und blockiert. Wenn der Vorwurf ewiger Blockade auf etwas zutrifft, dann auf diese Situation.
Der Fall aus der Anhörung, daß ein sogenannter Selbständiger im Monat bei 200 Arbeitsstunden effektiv 47,50 DM verdient, zeigt doch, wie dringend eine Lösung notwendig ist; da können Sie noch so viel reden. Das ist eines der konkreten Beispiele, die wir in der Anhörung mitbekommen haben.
Die F.D.P. hat uns bei der ersten Lesung des Entwurfs vorgeworfen, wir wollten nur eine neue Regulierung und damit neue Formen der Selbständigkeit im Keim ersticken. Ähnliches haben wir eben von Herrn Singhammer gehört.
Meine Damen und Herren von der F.D.P. und Herr Singhammer, nichts ist unredlicher als dieser Vorwurf. Meine Fraktion hat hier eine Vielzahl von Anträgen vorgelegt, mit denen neue Möglichkeiten im Bereich der Dienstleistungen, der Existenzgründungen und des Mittelstands gefördert werden sollen. Wir haben die Novelle der Handwerksordnung mitgetragen. Nichts liegt uns also ferner, als neue Felder der Beschäftigung zu verhindern. Es ist einfach un- wahr, was Sie hier sagen.
Das kann aber doch nicht heißen, daß wir jede Form von Sozialdumping mitmachen. Scheinselbständigkeit ist eine Form von Sozialdumping.
Vor allem aber ist es ein Rechtsverstoß. Hier wird geltendes Recht umgangen. Nichts anderes wollen wir mit unserem Gesetzentwurf als eine Konkretisierung, weil es bei den Arbeitsgerichten immer Probleme gibt, das zu definieren. Diese Konkretisierung der Begriffe soll also nur die Prüfung der Einzelfälle erleichtern und zugleich eine Grauzone beseitigen, durch die Scheinselbständigkeit erst entstehen kann.
In unserem Gesetzentwurf werden nur die wichtigsten Kriterien benannt, die bei jeder Einzelprüfung angewandt werden. Wo liegt denn da, Herr Friedhoff, eine Regulierung, wie Sie uns das immer vorwerfen? Der Entwurf bleibt gleichzeitig für Nachweise offen, daß trotz allem Selbständigkeit im Sinne des Wortes vorliegt. Wo ist denn da die Begrenzung für die berühmten neuen Selbständigen? Das frage ich mich.
- Ja, lesen. Sie sie mal durch!
Wir haben dann zusammen mit dem Bundesrat vorgeschlagen, die Kriterien des Gesetzentwurfs im ersten Jahr einer Selbständigkeit nicht anzuwenden,
damit Existenzgründer genügend Zeit haben, sich in diesem einen Jahr einen Stamm von mehr als einem Kunden zu schaffen. Wir haben uns hier also kompromißbereit gezeigt. Ja, auch Sie sollten sich einmal ein bißchen bewegen.
Insgesamt wollen wir also nichts weiter als geltendes Recht durchsetzen.
Es ist mir völlig schleierhaft, wie man dagegen opponieren kann. Hier zeigt sich wieder: Die F.D.P. hat ihre rechtsstaatlichen Grundsätze inzwischen vollständig einem falsch verstandenen Wirtschaftsliberalismus geopfert. In dieser Hinsicht ist die F.D.P. ja noch konsequent.
Bisher habe ich die Union als grundsätzlich einsichtsfähig beschrieben. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, sieht es bei der CDU/CSU anders aus; denn mit ihrer Kürzungspolitik hat sie sogar noch zur Konjunktur des Sozialdumpings beigetragen.
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind gerade funktionierende Regelungen im Bereich der sozialen Sicherung wichtig. Es geschieht aber genau das Gegenteil. Sie haben Schutzfunktionen der sozialen Sicherungssysteme immer weiter ausgehöhlt. Verschlechterungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, Verschärfungen bei der Sozialhilfe sind nur die jüngsten Beispiele. Dazu kommt die Berg-und-Talfahrt bei aktiver Arbeitsmarktpolitik, die sich nicht zuletzt immer in steigender Langzeitarbeitslosigkeit niederschlägt.
Offenbar muß man Sie immer wieder an eines erinnern: Die Arbeitslosenversicherung ist eingeführt worden, um eine ruinöse Konkurrenz der Arbeitslosen zu verhindern. Die immer neuen Verschärfungen im Arbeitsförderungsrecht bewirken aber, Herr Louven, genau das Gegenteil. Und Ihre erfolglose Beschäftigungspolitik kommt noch hinzu. Sie ist mitverantwortlich für immer mehr Scheinselbständige, Outsourcing und die ungehemmte Konjunktur der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse.
Wenn ich als Arbeitsuchender in dieser Situation eine Anzeige lese
- die von Herrn Dr. Schröder lese ich auch sehr gerne -,
in der mir eine Tätigkeit als Tankstellenpächter oder Speditionsfahrer, Ober, Baggerführer oder was auch immer angeboten wird, und sich bei der Bewerbung herausstellt, daß man mich formal als Selbständigen behandeln will, was soll ich denn dann tun, wenn ich zwei Kinder habe, vielleicht Ratenverträge abzuzah-
Peter Dreßen
len habe, ein Haus abzahlen muß oder sonstige Ausgaben habe? Was bleibt mir anderes übrig, wenn die Alternative die Arbeitslosigkeit ist? Wer wird sich dann gegen die Umwidmung seines Arbeitsvertrages wehren können? Das gilt um so mehr, als vielen Betroffenen auch noch die kaufmännischen Grundkenntnisse fehlen, um überhaupt durchzublicken, auf was sie sich da einlassen, und dann viel zu spät merken, wo sie landen.
Scheinselbständigkeit hat auch deswegen Konjunktur, weil die Auftraggeber die prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen und die Betroffenen quasi zum Mitspielen zwingen. Das sind inzwischen nicht mehr nur ein paar schwarze Schafe bei den Unternehmen, das hat System. Oder was halten Sie davon, wenn ein Arzt eine Sprechstundenhilfe zu einer Selbständigen macht?
Meine Damen und Herren, ich will mit einer Feststellung in Form eines Appells schließen. Dazu wende ich mich jetzt wirklich an die besonnenen Kräfte in der CDU oder auch in der CDA: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten! Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu! Frau Buntenbach hat in ihrer Kurzintervention deutlich gemacht: Wir wären bereit, einem solchen Antrag in jedweder Form zuzustimmen. Wichtig wäre einfach, daß wir in dieser Richtung einen Schritt weiterkommen.
Stimmen Sie also diesem Gesetzentwurf zu! Wenn Sie sich nicht dazu durchringen können, dann verspreche ich Ihnen eines: Nach dem Herbst wird sich der nächste Bundestag erneut mit dieser Vorlage beschäftigen. Ich bin mir sicher, daß es dann klappen wird.