Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin, ich nehme an, daß dies die letzte Rede des Kollegen Vogt hier im Deutschen Bundestag war, und will die Gelegenheit nutzen, um zunächst einmal, lieber Kollege Vogt, meinen Respekt auszudrücken vor Ihren langjährigen Bemühungen, in Sachen Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ein Stück weit voranzukommen. Da haben Sie sich ohne jeden Zweifel persönliche Verdienste erworben, und das sollte auch vom politischen Gegner respektiert und akzeptiert werden.
Jeder hat seine Lebensleistung, und Sie haben Ihre.
Was Ihre Polemiken gegen die SPD anbelangt, sind diese mißraten wie immer.
Sie sind einfach kein geeigneter Polemiker. Sie sind
eher ein geborener Staatsmann. Polemik formulieren,
Ottmar Schreiner
das kann der Abgeordnete Blüm ein Stück weit besser.
- Ja, mir geht das völlig ab. Das ist leider wahr.
Sie haben hier die Stunde der Wahrheit beschworen und haben immer wieder gesagt, was alles wahr sei. Herr Kollege Vogt, wahr ist auch, daß die Vermögens-, die Eigentums- und die Einkommensverhältnisse in Deutschland nie so ungerecht waren, wie sie es gegenwärtig - nach 16jähriger konservativer Regierung sind.
Wahr ist, daß die Reallöhne der deutschen Arbeitnehmerschaft 1997 niedriger waren als 1990 und daß dies zu einem guten Stück ein Ergebnis konservativer Regierungspolitik gewesen ist, weil Sie in den letzten Jahren über steigende Lohnnebenkosten Dinge finanziert haben, die mit dem Faktor Arbeit überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben als Mehrheitsgesetzgeber hier die Bedingungen dafür geschaffen, daß die arbeitenden Menschen in Deutschland in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr eher weniger verdient haben als mehr. Von einer Anpassung der Löhne an die Arbeitsproduktivität kann keine Rede sein. Das aber war die Kernthese von Nell-Breuning: Die Reallöhne sollen der Arbeitsproduktivität folgen. Würden die Reallöhne der Arbeitsproduktivität folgen, dann hätten wir im Schnitt einen Reallohnzuwachs von etwa 3 Prozent.
Davon kann aber überhaupt keine Rede sein, weil Sie mit Ihrer Umverteilungspolitik in den letzten Jahren und Jahrzehnten dafür gesorgt haben, daß die Reallöhne stagniert haben, daß die Lohnnebenkosten immer höher wurden, daß der Abstand zwischen Brutto- und Nettoeinkommen von Jahr zu Jahr gewachsen ist.
Ich will Sie daran erinnern: Viele deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind inzwischen im Sozialismus gelandet; sie wissen es nur nicht. Der Bundeskanzler hat 1981- damals als Oppositionsführer - von diesem Podium aus formuliert: Wenn der Staat den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr als die Hälfte ihres Bruttoeinkommens über Steuern und Sozialabgaben abnimmt, dann sind die Leute im Sozialismus. Das war das Sozialismusverständnis des Bundeskanzlers.
Da sind inzwischen in wachsendem Maße Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelandet, ohne es überhaupt wahrgenommen zu haben. Das ist die Lage.
Niemals war die Vermögens-, die Einkommens- und
die Eigentumsverteilung in Deutschland ungerechter als nach 16 Jahren konservativ-reaktionärer Regierung in Deutschland. Deshalb ist es allerhöchste Eisenbahn, daß diese Regierung abgelöst wird.
Im übrigen habe ich den Eindruck, Herr Kollege Vogt, daß mit dem Projekt „Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital" von seiten dieser Koalition ein übles Doppelspiel geboten wird
und daß es Ihnen nicht um die Sache geht. Hier wird ein übles Doppelspiel auch zu Ihren Lasten veranstaltet.
Ich respektiere, daß die Sozialverbände der CDU/ CSU, im übrigen auch die sozial orientierten Verbände der Kirchen sehr an diesem Projekt interessiert waren und sind. Aber ich habe den festen Eindruck, daß sie das Opfer von Machenschaften dieser Regierung werden, und das werde ich Ihnen jetzt belegen.
- Bevor Sie etwas lauter werden, lieber Kollege, belege ich es Ihnen.
- Maßhalten, maßhalten!
Sie wissen, daß Ihr Gesetzentwurf zustimmungspflichtig ist. Das bedeutet, daß Ihr Gesetzentwurf nur in das Bundesgesetzblatt kommt, wenn die Sozialdemokraten zustimmen, da Sie die Mehrheit des Bundesrates brauchen. Das wußten Sie von Anfang an. Sie wußten auch, daß dem Deutschen Bundestag seit 1996 ein umfänglicher Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der mit unseren Ländern abgestimmt war, vorliegt, in dem wir versucht haben, die Eckpositionen der sozialdemokratischen Fraktion in Sachen Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital zu formulieren. Insoweit war völlig klar, daß Sie nicht davon ausgehen konnten, daß Ihr Gesetzentwurf in der Form, in der Sie ihn hier eingebracht haben, das Parlament auch wieder verlassen würde.
Es ging also darum, einen Kompromiß zu finden. Die Methode „Vogel, friß oder stirb " funktioniert ja nicht; das haben Sie schon an anderen Beispielen gesehen.
Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt: Bei der ersten Lesung Ihres Gesetzentwurfes am 4. März dieses Jahres - das ist gerade einmal knappe zwei Monate her - habe ich Ihnen angeboten, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten, um der Sache wegen einen gemeinsamen Kompromiß zu finden.
Ottmar Schreiner
- Ja, das können Sie alles nachlesen.
Auf dieses Angebot hin, das mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion abgestimmt war, ist von seiten der Koalition auch nicht die leiseste Reaktion gekommen. Sie haben dieses Angebot völlig ignoriert.
Meine Schlußfolgerung daraus ist, daß Sie von Anfang an Ihren eigenen Gesetzentwurf als wahltaktisches Manöver mißbraucht haben, und zwar zu Lasten Ihrer eigenen Leute, die an der Sache interessiert sind. Das ist die Wahrheit, so ist es hier abgelaufen.
Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein jämmerlicher Vorgang.
- Herr Kollege Vogt, das geht ja gar nicht gegen Sie. Ich versuche doch ständig, Sie in dieser Frage noch als einen ordentlichen Menschen herauszuheben.
Das ist übrigens ein Projekt, das nicht nur in den 50er und 60er Jahren zirkulierte. Das Thema „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital" ist nach meiner Kenntnis inzwischen über 80 Jahre alt und wurde ebensolange diskutiert.
Wir hätten die geradezu einmalige Chance gehabt, nach der ersten Lesung am 4. März in raschen Verhandlungen herauszufinden, ob wir einen tragfähigen Kompromiß in diesem Hause finden könnten. Die Unterschiede zwischen Ihren Vorstellungen und Ihrem Gesetzentwurf und dem, was wir 1996 in dem sozialdemokratischen Antrag formuliert hatten, sind ja nicht so gravierend. Wenn Sie einmal in die Resolution der Grünen schauen, stellen Sie fest, daß auch sie nicht sehr weit davon entfernt sind. - Die Unterschiede sind nicht so gravierend, als daß man einen Kompromiß von vornherein hätte ausschließen können; davon kann keine Rede sein. Sie können sich auch nicht herausreden, indem Sie sagen: Die Position der Sozialdemokraten ist von unserer Position so weit weg, daß sich Verhandlungen nicht gelohnt hätten, das wären Scheinverhandlungen geworden.
Dies will ich Ihnen kurz an Hand der entscheidenden Dissense zwischen Ihren und unseren Vorstellungen, die dem Haus vorgelegt worden sind, belegen. Es gibt im wesentlichen zwei große Unterschiede. Es gibt eine Reihe von Unterschieden in Detailfragen, etwa über die Ausgestaltung der Prämien und die Definition der Einkommensgrenzen. Dies sind eher nebensächliche Differenzen. Die entscheidenden Differenzen bewegen sich um zwei Punkte.
Der erste Punkt ist die von uns geforderte Insolvenzsicherung. Wir haben gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund gesagt: Es ist nicht zumutbar, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Beteiligung am Produktivkapital ein doppeltes Risiko tragen müssen, nämlich einerseits das Risiko, im Insolvenzfall ihres Betriebes ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und andererseits das Risiko, zusätzlich das eingeschossene Sparkapital zu verlieren.
Wir fordern also eine Insolvenzsicherung, um die Verdoppelung des Arbeitnehmerrisikos zu vermeiden. Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt keine Rede. Dieses Problem blenden Sie völlig aus.
Wenn ich gleichwohl der Meinung bin, daß man hier hätte zusammenkommen können, dann beruht das auf einer schriftlichen Stellungnahme des Bundes Katholischer Unternehmer. Der Bund Katholischer Unternehmer steht vermutlich Ihrer Fraktion oder Ihrer Partei etwas - ich sage: in Nuancen - näher als uns - noch. Das kann sich schnell ändern. In der Stellungnahme des Bundes Katholischer Unternehmer vom 31. März dieses Jahres, die dem Fachausschuß für Arbeit und Soziales im Vorfeld der Anhörung vorgelegt worden ist, heißt es: Falls im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Absicherung im Insolvenzfall als unumgänglich erachtet wird, so schlagen wir vor, diese durch Einrichtungen analog des Pensions-Sicherungs-Vereins zu gewährleisten.
Das wäre ein denkbarer Vorschlag, in diesem Fall vom Bund Katholischer Unternehmer. Ich will damit nur andeuten, daß in diesem ersten großen Dissensfall Brücken nicht unmöglich gewesen wären, wenn man sich zusammengesetzt und herauszufinden versucht hätte, wie man hier gemeinsam eine Lösung finden kann.
Der zweite große Dissens in den vorliegenden Vorschlägen bezieht sich auf die von uns und dem DGB ebenfalls geforderte rechtliche Klarstellung, daß auch tariflich vereinbarte überbetriebliche Vermögensbildungseinrichtungen, sogenannte Tariffonds, ermöglicht und gefördert werden sollen. Dazu haben Sie eben einiges - bezogen auf die mündlichen Äußerungen des Kollegen vom DGB, der jeweils vorgetragen hat - gesagt.
Ich möchte einmal aus der schriftlichen Stellungnahme des DGB zitieren, um deutlich zu machen, worum es eigentlich geht, und um deutlich zu machen, daß auch hier eine Lösung nicht unmöglich gewesen wäre. Dort heißt es: Wie die Erfahrungen mit dem Vermögensbildungsgesetz belegen, wird es ohne tarifvertragliche Regelungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern keinen Durchbruch für eine breite Produktivkapitalbeteiligung geben. Auch die Bundesregierung hatte in der Koalitionsvereinbarung von 1994 zum Ausdruck gebracht, daß Vermögenspolitik nicht ohne Tarifverträge auskomme. Eine solche Einbeziehung der Tarifparteien kann aber nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn Tarifverträge als Instrumente für die Produktivkapitalbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesetzlich anerkannt werden.
Das genau ist die Position, die wir 1996 in unserem Antrag zu formulieren versucht hatten. Als Restbedenken bleiben die von Ihnen vorgetragenen Bedenken, es sei rechtlich in hohem Maße zweifelhaft, ob eine solche Regelung tragfähig sei.
Ottmar Schreiner
Ich möchte nun aus der schriftlichen Stellungnahme von Professor Hanau zitieren. Professor Hanau ist, wenn man das so formulieren möchte, der Nestor der Arbeitsrechtler in Deutschland. Er ist Geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts für Sozialrecht der Universität zu Köln. Professor Hanau schreibt in seiner Stellungnahme anläßlich der Anhörung des Fachausschusses:
Nach alledem sind tarifvertragliche Regelungen zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag sowohl unmittelbar im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als auch durch Kapitalsammelstellen
- Tariffonds - grundsätzlich zulässig.
Also relativieren sich auch diese Bedenken in hohem Maße.
Ich wollte Ihnen mit diesen beiden Beispielen nur deutlich machen, daß es aus meiner Sicht dann, wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre, sehr wohl möglich gewesen wäre, bezüglich der Beteiligung der Arbeitnehmerschaft am Produktivkapital eine breite Übereinstimmung in diesem Hause zu finden. Das wäre allerhöchste Eisenbahn.
Es macht keinen Sinn mehr, in die Vergangenheit zu gucken. Lassen Sie uns in die Zukunft gucken! Ein Durchbruch bei der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ist absolut überfällig.
Dafür gibt es viele Gründe. Einige dieser Gründe sind von Ihnen bereits vorgetragen worden: Die Beteiligung stärkt die Investitionskraft der Unternehmen, sie stellt ein flankierendes Element zur Stärkung der Altersvorsorge dar usw. Ich will mir ersparen, weitere Gründe zu nennen.
Entscheidend scheint mir etwas anderes zu sein, wozu es hier im Hause einen Konsens gibt. In dem Entschließungsantrag der Grünen heißt es:
Eine breite Streuung des Eigentums entspricht dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft.
Sie entspricht aber nicht nur dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft; vielmehr ist die breite Streuung von Vermögen und Eigentum eine unabdingbare Voraussetzung der sozialen Marktwirtschaft und darüber hinaus eine unabdingbare Voraussetzung für soziale und politische Stabilität.
Das ist der entscheidende Punkt. Hier stellt sich heraus, ob wir in diesem Haus einen Konsens haben, der darauf abzielt, die Verhältnisse zu ändern, oder ob es ein Konsens bloßer Lippenbekenntnisse ist. Wie Sie in den letzten Wochen und Monaten mit diesem Problem umgegangen sind, hat gezeigt, daß Sie einen Konsens der Lippenbekenntnisse und keine Veränderung in der Sache wollen. Ansonsten wären
Sie auf unsere Verhandlungsangebote nach dem 4. März rasch und zügig eingegangen.
Zwar könnte ich hier noch seitenlang über die Entwicklung der Einkommens-, der Vermögens- und der Eigentumsverhältnisse vortragen; doch ich erspare Ihnen das alles. Die Zahlen hierzu sind bekannt; sie sind im Fachausschuß diskutiert worden.
Ich möchte zusammenfassen: Im Nachkriegsdeutschland waren die Unterschiede, was den Vermögensbesitz, den Eigentumsbesitz und die Einkommensverhältnisse angeht, niemals so ungerecht wie heute, nach 16 Jahren konservativer Regierung.
Schon aus diesen Gründen wäre eine vermögenspolitische Korrektur dringendst überfällig gewesen, auch in Gestalt einer wirksamen Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital.
Abschließend möchte ich zum Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion folgendes sagen: Obwohl wir uns - Sie wissen das - für unseren Antrag eingesetzt haben, gehen wir davon aus, daß der Antrag der SPD-Fraktion angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hohen Hause - bedauerlicherweise - keine Mehrheit erhalten wird, während der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion diese - bedauerlicherweise - finden wird. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion ist - das haben wir auch in der ersten Lesung gesagt - mehr als nichts; er ist aber von so schweren Mängeln gekennzeichnet, daß für uns eine Zustimmung nicht in Frage kommt. Deshalb werden wir uns bei der Schlußabstimmung über Ihren Antrag enthalten.
Im übrigen haben Sie noch eine letzte Chance: Sie haben die Chance, im Vermittlungsausschuß doch noch zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn Sie sich im Vermittlungsausschuß genauso borniert verhalten, wie dies in den letzten zwei Monaten in diesem Parlament der Fall gewesen ist, dann müssen Sie sich erst recht den Vorwurf gefallen lassen, aus reiner Wahlkampftaktik ein äußerst bedeutendes Thema schamlos zu mißbrauchen. Das wird Ihnen überhaupt nichts nutzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.