Rede von
Margot
von
Renesse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt den Entwurf eines Gleichbehandlungsgesetzes vorzustellen, ist eine wahrhaft besondere Herausforderung. Auf das Stimmergebnis der DVU dort können demokratische Parteien auf dreierlei Weise reagieren - und für alles haben wir schon Beispiele -:
Sie können sich - erstens - darauf beschränken, sich wechselseitig die Schuld daran zuzuweisen. Nur, das ist ein Schauspiel, das jedem der Protestwähler - die ja nicht unbedingt rechtsradikal zu sein brauchen - nur seinen Verdruß an den demokratischen Parteien bestätigt, fürchte ich.
Zweitens kann man sich - auch dafür gibt es Beispiele - in einen Wettbewerb mit den Rechtsradikalen um die vorgeblich nationalste Gesinnung und ihre Demonstration einlassen und damit seine verf assungsrechtliche Seele verkaufen, ohne daß man auf diesem Felde auch nur annähernd die gleichen Erfolge erzielen kann wie die Braunen.
Drittens aber kann man auch versuchen, die Ursachen des Unheils nüchtern zu ermitteln und sie zielgerichtet mit politischer Handlung anzugehen. Darum geht es heute. Hinsichtlich der Ursachen wissen wir: Da ist das Krisenbewußtsein und der Eindruck von Perspektivlosigkeit, insbesondere bei jungen Leuten, der sich wie Mehltau über unser Land gelegt hat. Das macht deutlich, warum viele von uns vehement für die Erneuerung der politischen Handlungsfähigkeit eintreten: um auch dieser Ursache entgegenzutreten.
Aber Krisenbewußtsein allein reicht als Erklärung für die Zutaten der braunen Soße nicht aus. Denn weder ist ein Arbeitsloser naturnotwendig ein Rechtsradikaler, noch ist ein Arbeitsplatzbesitzer stets davor gefeit,
auch kein Gebildeter. Das alleine reicht nicht. Es gibt
wohl in allen Menschen eine tiefsitzende Bereit-
Margot von Renesse
1 schaft, der Versuchung nachzugeben, für eigene Schwierigkeiten und Probleme Sündenböcke ausfindig zu machen - um dann auf sie einzuprügeln. Der kollektive Haß auf diese Sündenböcke entlastet dann von der Selbstverantwortung und vor allem der Mühsal der Problemlösung. Darum brauchen rechtsradikale Parteien offensichtlich kein politisches Programm. Die Bekundung von Haß auf „die anderen" steht ihnen dafür.
Als diese „anderen" bieten sich - man muß schon sagen: traditionell - vor allem drei Gruppen von Menschen an: die Fremden, die Behinderten und die Homosexuellen. Sie sind die prädestinierten Außenseiter, an denen die aus der Ordnung geratenen Gruppierungen ihr Mütchen zu kühlen neigen. Sie sind in allen Gesellschaften dort, wo Rechtskultur aus den Fugen gerät, die ersten Haßopfer. Sie füllten auch die Konzentrationslager der Nazis. Darum hat Herr Beck Recht, wenn er sagt: Art. 3 Abs. 3 ist eine zentrale Norm des „Nie-wieder! " Denn die Damen und Herren saßen in Herrenchiemsee zusammen und wollten einen erneuten Hitler verhindern. Aus Erfahrung haben sie auf diese Gruppen besonders ihr Augenmerk gerichtet.
Um unsere Zivilgesellschaft vor der „Bestie" zu schützen, richtet die Verfassung in Art. 3 Abs. 3 unser Augenmerk auf diese drei besonders gefährdeten Gruppen, obgleich wir wissen, daß es Diskriminierung auch woanders gibt. Aber hier haben wir auch einen rechtlichen Anhaltspunkt.
Der Grundsatz des Art. 3 ist eine der stolzesten und nobelsten Vorschriften der Verfassung, aber er bewahrt unseren inneren Frieden, der jedem von uns die Achtung seiner Menschenwürde garantiert. Die Menschen sind nicht gleich. Art. 3 erkennt das an und setzt gerade darum die Gleichheit vor dem Gesetz als eine Norm. Denn jedes Merkmal, das den einen vom anderen unterscheidet, kann zur Ausgrenzung verwendet werden. Ein jeder von uns kann plötzlich zu einer verfemten Minderheit gehören, die an allem schuld ist: die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Obdachlosen - Herr Beck erwähnte sie -, die Asozialen, aber auch die Linken, die Intellektuellen und andere mehr.
Die drei Gruppen des Art. 3 werden uns deshalb besonders ans Herz gelegt, weil sie in der Regel die ersten sind, die Ausgrenzung erfahren und damit Seismographen dafür sind, daß sich die „Bestie" wieder rührt. Darum ist ein Gleichbehandlungsgesetz nach Sachsen-Anhalt besonders dringlich.
Unser Entwurf zielt darauf ab, den Fremden, den Behinderten und den Homosexuellen mit effektiven rechtlichen Instrumenten die rechtliche Gleichbehandlung zu sichern - nicht Sympathie und schon gar nicht eine von Herzen kommende Toleranz -, die rechtliche Gleichbehandlung im Privatrecht, in der staatlichen Verwaltung und in der Gesetzgebung. Immer dann, wenn rechtliche Unterschiede in diesen Bereichen gemacht werden, schlägt die Alarmglocke des Art. 3 an und fragt nach einer rationalen Begründung für Unterscheidung.
Herr Mahlo, wir wissen, Art. 3 beinhaltet auch das Willkürverbot. Striktes Rationalitätsgebot und Willkürverbot im Recht sind die zwei Seiten einer Medaille. Beides gilt für den Staat wie für den Bürger, wenn es um die Gestaltung von Rechtsverhältnissen geht.
Ich sage Ihnen: Die Verletzung von Art. 3 ist ohne Verletzung der Menschenwürde, gerade bei diesen drei Gruppen, nicht zu haben. Damit handelt es sich um schwerwiegende Verletzungen der „ordre publique".
Unser Entwurf enthält eine Konzeption. Es gibt darin nur Instrumente, die sich im deutschen Recht bereits bewährt haben und für deren Verwendung es keiner verfassungsändernden Mehrheit bedarf.
Dazu gehört. das - ich richte mich einmal an die F.D.P.-Vertreter - aus dem Wirtschaftsrecht entlehnte Abmahnverfahren, das uns Gelegenheit gibt, kompetente NGOs einzubeziehen, wie das - Rechtsvergleiche zeigen dies - in anderen Ländern üblich ist, damit nicht alles Gute von oben kommen muß. Das Abmahnverfahren, das wir aus dem Wirtschaftsrecht kennen, macht es möglich, daß eine Industrie- und Handelskammer wegen eines falsch ausgezeichneten Preisschildes vorgeht. Sollte das, was für einen fehlgeleiteten Ausverkauf und für ein falsches Preisschild möglich ist, nicht bei Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes möglich sein?
Dazu gehört die Streichung des Deutschen-Vorbehalts im Beamtenrecht. Er stellt - das ist verblüffend zu sehen - eine Rechtslage wieder her, wie sie vor dem NS-Regime bei uns bestand und die für uns deshalb besonderen Sinn macht, weil wir nur mit Hilfe rechtstreuer Migranten Recht und Gesetz in deren Gruppen durchsetzen können. Sonst müssen wir uns auf V-Leute und auf Dolmetscher verlassen. Wir brauchen Leute der Corporate identity innerhalb der Beamtenkörper, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Ich rede fast schon wie Herr Kanther.
Den gleichgeschlechtlichen Paaren ein familienrechtliches Institut zu öffnen, das die menschliche Substanz auch ihrer Beziehung akzeptiert und das ihnen bei Übernahme gleicher Pflichten auch den Genuß gleicher Rechte wie Eheleuten gewährt, ist eine mitmenschliche Notwendigkeit und kommt der Familienpolitik sogar zugute, weil sie nämlich den Gesetzgeber dazu zwingt - hoffentlich bald -, familienbezogene Vergünstigungen nicht fehlzuleiten, sondern sie den Familien mit Kindern - ob mit oder ohne Ehe - zuzuwenden.
Zu der Konzeption gehört, daß wir sie in der Form eines Gesetzentwurfs vorlegen, weil es in der Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz - ein Wort, das ich nicht liebe - oft umstritten war, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt möglich ist. Technische Mängel, die ich ohne weiteres einräume und zu deren Ausmerzung ministerielles Spezialwissen ge-
Margot von Renesse
hört, wird es dann nicht mehr geben, wenn wir den Entwurf in der nächsten Legislaturperiode überarbeitet erneut vorlegen, weil wir dann im Besitz dieses ministeriellen Spezialwissens sind.
Auf Grund ihrer langen Erfahrung über mehr als hundert Jahre ist die SPD eine Liebhaberin der Verfassung, insbesondere auch des Art. 3. Ich sage es erneut mit einem - leicht abgewandelten - Zitat von Theodor Adorno: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der jeder ohne Angst anders sein kann.