Rede von
Julius
Louven
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Scharping, ich finde es schon eigenartig. Wir führen heute eine sozialpolitische Debatte; die verantwortlichen Sozialpolitiker der Koalition sind hier.
Zufällig reden Sie als Nicht-Sozialpolitiker einmal in einer sozialpolitischen Debatte. Sie nehmen sich heraus, Klage darüber zu führen, daß unser Fraktionsvorsitzender, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe und der Generalsekretär der CDU nicht im Saal sind.
Herr Scharping, dies war schlechter Stil. Dies sehen Sie wahrscheinlich auch ein.
Ich will Ihnen, Herr Scharping, zwei weitere Dinge sagen. Sie haben Wim Kok angesprochen. Würden Sie doch bereit sein, von Wim Kok mehr zu lernen,
dann kämen wir in der Sozialpolitik viel besser voran. Er hat es Ihnen ja auf Ihrem Parteitag sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben, aber Sie haben daraus nicht die erforderlichen Lehren gezogen.
Noch etwas: Sie haben gesagt, Herr Scharping, unser Nichtstun werde dazu führen, daß sich rechtsradikaler Protest erhebe. Versuchen Sie nicht, hier eine Schuldzuweisung bezüglich des Abschneidens der DVU in Sachsen-Anhalt vorzunehmen. Ich kann Ihnen, Herr Scharping, nur sagen: Wer Linksaußen hätschelt, erntet Rechts. Dies ist eine alte Erfahrung; darüber sollten Sie nachdenken.
Nun will ich etwas versöhnlicher werden, Herr Scharping, und Ihnen ausdrücklich zugestehen, daß hinsichtlich der geringfügig Beschäftigten und hinsichtlich der Scheinselbständigkeit absoluter Handlungsbedarf besteht.
- Frau Fuchs, warten Sie doch einmal ab. - Dies hat unser Fraktionsvorsitzender deutlich gemacht. Dies hat der Bundeskanzler erklärt. Dies haben wir auch Ende letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag in
einer Entschließung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht.
- Ich rede erst zwei Minuten, Herr Büttner. Ich will Ihnen einiges dazu sagen. Vielleicht warten Sie einmal ab.
Wir haben also absoluten Handlungsbedarf. Nur, es ist viel schwieriger, zu einer Problemlösung zu kommen, als Sie es dargestellt haben. Ihre beiden Gesetzentwürfe zur geringfügigen Beschäftigung und zur Scheinselbständigkeit sind absolut ungeeignet. Dies haben Kollegen und Kolleginnen Ihrer Fraktion auch anerkannt. Ihre Gesetzentwürfe sind zu kompliziert. Sie sind nicht handhabbar.
Sie berücksichtigen nicht die karitativen Einrichtungen. Sie berücksichtigen nicht die Interessen der Sport- und der Gesangvereine.
Und sie berücksichtigen auch nicht die Interessen der Gastronomie und der Landwirtschaft sowie des Einzelhandels. Denn wir müssen Regelungen präsentieren, die eine flexible Abrufbarkeit von Arbeit garantieren. Dies würden Sie mit Ihren Gesetzentwürfen unmöglich machen.
Wir haben in der Tat Handlungsbedarf. Dies habe ich anerkannt. Wir diskutieren diese Frage seit langem, haben es neuerdings aber mit dem Phänomen zu tun, daß sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in sozialversicherungsfreie umgewandelt werden,
und dies in großem Umfang. Grund dafür - darüber sollten wir auch gemeinsam nachdenken - ist der Kostendruck, dem die Unternehmen unterliegen. Das sind die hohen Lohnzusatzkosten. Wenn wir an Einsparungen herangehen, jaulen Sie auf. Im übrigen wollen Sie ja das, was wir an Einsparungen beschlossen haben, rückgängig machen.
Damit würden Sie die Situation noch zusätzlich verschärfen.
Diese Umwandlung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Das sehen wir. Diese Wettbewerbsverzerrungen bringen es dann mit sich, daß diejenigen, die sich bisher ordentlich verhalten, eines Tages möglicherweise das gleiche tun. Das zwingt uns zum Handeln; denn die Folge dieser Umwand-
Julius Louven
lung besteht darin, daß zunächst die Beiträge in der Krankenversicherung steigen müssen - und zwar dadurch, daß die Anzahl von Leistungsbeziehern gleichbleibt, die Anzahl von Beitragszahlern aber geringer wird - und daß die Beiträge in anderen Sozialversicherungssystemen dann auch steigen müssen.
Ich habe zu diesem Problembereich einen Vorschlag gemacht. Herr Scharping, viele Kollegen Ihrer Fraktion, gestandene Sozialpolitiker, haben diesen Vorschlag begrüßt.
Dieser Vorschlag garantiert, daß Arbeit weiterhin flexibel abgerufen werden kann, wenn die Tarifvertragsparteien mit einem solchen Instrument verantwortlich umgehen.
Jetzt will ich Ihnen sagen, warum es noch keinen Gesetzentwurf gibt. Sie wissen doch aus Koalitionsregierungen, die auch Sie hatten oder die Sie noch haben, daß Sie nur im Einvernehmen mit dem Koalitionspartner etwas vorlegen können.
Bisher ist es eben nicht gelungen, mit unserem Koalitionspartner in dieser Frage zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Daran arbeiten wir. Ich denke, auch unser Koalitionspartner kann nicht die Augen vor dem Wandel verschließen, der sich zur Zeit in Deutschland vollzieht.
Ich will das hier ganz offen sagen: Herr Friedhoff, ich war schon ein wenig enttäuscht, daß Sie meinen Vorschlag, den Sie gar nicht in Gänze, sondern nur aus der Presse kennen konnten, abgelehnt haben und dann auch noch behauptet haben, bei meinem Vorschlag würde Arbeit teurer.
Vielleicht rechnen Sie mir dies einmal vor. Ich kann Ihnen nachweisen, daß die Arbeit auf Grund meines Vorschlags nicht teurer wird. Im übrigen sollte auch die F.D.P. einmal darüber nachdenken, daß die Deutsche Angestelltengewerkschaft und andere Einrichtungen diesen Vorschlag gut finden, und zwar auch die Regelungen, die ich für die Sozialversicherung vorgeschlagen habe.
Ich habe ausgeführt, daß die Lösung schwierig ist. Das entbindet uns nicht davon, daran zu arbeiten. Wir haben in der Fraktion eine Kommission eingesetzt. Wir werden Lösungsvorschläge präsentieren, allerdings - davon gehe ich aus - nicht mehr in dieser Legislaturperiode.
Insofern haben Sie, Herr Scharping, recht: Es wird sechs Monate später werden. Aber das ist wie bei der Steuerreform. Wir hätten die Steuerreform, die wir im Juni letzten Jahres hier beschlossen haben, verabschieden können. Sie haben sie blockiert.
Wenn wir die Wahl gewinnen - wovon ich ausgehe -, wird es zur Steuerreform kommen, aber mit einem Jahr Verzögerung, mit all den verheerenden Auswirkungen auf die Arbeitsplätze.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wir sollten die Lösung dieses Problems weiterhin sorgfältig beraten. Ich sage abschließend noch einmal: Ihre Gesetzentwürfe sind absolut ungeeignet, die Problematik zu lösen.
Zum Thema Scheinselbständigkeit nur soviel: Auch hier ist der Handlungsbedarf anerkannt. Wir müssen aber, wenn wir an eine Neuregelung herangehen, daran denken, daß wir den Schritt in die Selbständigkeit nicht erschweren.
Dies kann nicht in unserem Interesse sein. Deshalb arbeiten wir an Lösungen, die ähnlich der Regelung der Handwerkerversicherung ist. Für selbständige Handwerker ist ja eine gesetzliche Rentenversicherung vorgeschrieben. Ich könnte mir vorstellen, daß dies ein Weg ist, den wir gemeinsam verabreden können. Dieser Weg wäre sicherlich viel unkomplizierter als Ihr umfangreicher Gesetzesvorschlag, dessen Umsetzung wirklich nicht zu praktizieren ist.