Protokoll:
2077

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 77

  • date_rangeDatum: 31. März 1955

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:29 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:40 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955 4227 77. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4228 A, 4240 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage 1) . . . 4293 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Pferdmenges 4228 B Mitteilung über Vorlage eines Berichts des Bundesministers der Finanzen betr. Mißstände auf dem Gebiet der Besatzungsbauten (Drucksache 1307) 4228 B Mitteilung über Vorlage des Geschäftsberichts der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein für das Geschäftsjahr 1953/54 4228 B Mitteilung über Zurückziehung des Antrags der Fraktion der DP betr. Einfuhr- und Vorratsstellen (Drucksache 196) . . . . 4228 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Statut der Saar (Drucksache 1245) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Veröffentlichung des Schreibens von Bundeskanzler Dr. Adenauer an den französischen Außenminister Pinay (Drucksache 1293 [neu]) 4228 B Dr. Mommer (SPD), Antragsteller . 4228 C, 4236 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler 4232 C, 4236 B Dr Kopf (CDU/CSU) 4233 A Dr. Arndt (SPD) 4234 D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 4238 A Dr. Krone (CDU/CSU) 4238 B Abstimmungen 4237 D, 4238 B Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik im Mündlichen Bericht über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit (Drucksachen 1162, 973; Antrag Umdruck 292) 4238 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1158) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1253) und mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Dr. Böhm (Frankfurt), Dr. Dresbach, Ruf u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1269) . . . 4238 D Dr. Horlacher (CDU/CSU) 4239 A Dr. Reif (FDP) 4241 D Samwer (GB/BHE) 4244 D, 4280 B Illerhaus (CDU/CSU) 4246 A Dr. Elbrächter (DP) 4250 A Unterbrechung der Sitzung . . 4252 C Scheel (FDP) 4252 D Raestrup (CDU/CSU) 4256 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 4260 B Bender (GB/BHE) 4260 D Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 4264 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 4266 A Dr. Schöne (SPD): zur Sache 4267 D zur Geschäftsordnung 4280 D Lenz (Brühl) (CDU/CSU) 4279 D Dr. Köhler (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 4280 C Ausschußüberweisungen . . . . 4280 B, 4281 A Änderungen der Tagesordnung . . 4263 D, 4281 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (Drucksache 1316) . . . . 4263 D Beschlußfassung 4264 B Erste Beratung des von den Abg. Platner, Dr. Leiske u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1083) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1233) 4281 A Platner (CDU/CSU), Antragsteller . 4281 A, 4292 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 4283 B, 4292 C Frau Dr. Steinbiß (CDU/CSU) . . . 4284 D Dr. Hammer (FDP) 4285 D Geiger (München) (CDU/CSU) . . 4286 C Stegner (Fraktionslos) 4288 D Becker (Hamburg) (DP) 4289 B Dr. Reichstein (GB/BHE) 4290 A Lange (Essen) (SPD) 4290 D Horn (CDU/CSU) 4291 D Samwer (GB/BHE) 4292 C Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 4292 D Ausschußüberweisungen 4293 A Beschlußunfähigkeit festgestellt und Weiterberatung vertagt 4293 C Nächste Sitzung 4293 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 4293 B, C, 4294 Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Wahl 14. Mai Stingl 14. Mai Feller 7. Mai Dr. Bucher 7. Mai Dr. Furler 7. Mai Dr. Rinke 7. Mai Neumann 7. Mai Heiland 7. Mai Dr. Lenz (Godesberg) 7. Mai Peters 23. April Pelster 23. April Kunze (Bethel) 23. April Dr. Maier (Stuttgart) 16. April Kühlthau 9. April Mißmahl 9. April Frau Lockmann 9. April Frau Kettig 2. April Dr. Pfleiderer 2. April Morgenthaler 2. April Dr. Kather 2. April Gedat 2. April Bauknecht 2. April Schuler 2. April Dr. Seffrin 2. April Frau Beyer (Frankfurt) 2. April Rademacher 2. April Dr. Jentzsch 2. April Euler 2. April Dr. Hesberg 2. April Kirchhoff 2. April Schrader 2. April Diedrichsen 2. April Frau Welter (Aachen) 2. April Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 1. April Ladebeck 1. April Frau Dr. Schwarzhaupt 1. April Feldmann 1. April Berendsen 1. April Hepp 31. März Dr. Baade 31. März Frau Nadig 31. März Dr. Wellhausen 31. März Naegel 31. März Frau Dr. Probst 31. März Hufnagel 31. März Brockmann (Rinkerode) 31. März Dr. Leverkuehn 31. März Even 31. März Seiboth 31. März Haasler 31. März Walz 31. März Paul 31. März Schütz 31. März Schneider (Bremerhaven) 31. März Neuburger 31. März Kalbitzer 31. März Jahn (Frankfurt) 31. März Dr. Kreyssig 31. März Dr. Schmid (Frankfurt) 31. März Brandt (Berlin) 31. März b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Becker (Hersfeld) 30. April Dr. Graf Henckel 30. April Kalbitzer vom 12. April bis zum 16. Mai Josten vom 4. April bis zum 20. Mai
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Störende Geräusche in der Übertragungsanlage.)

Meine Damen und Herren, in der Hoffnung, daß wir uns verständlich machen können, eröffne ich die Sitzung.
Ich darf vor Eintritt in die Tagesordnung die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hauses dem Herrn Abgeordneten Dr. Pferdmenges zum 75. Geburtstag aussprechen.

(Beifall.)

Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 23. März 1955 auf Grund der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. Juli 1954 über Mißstände auf dem Gebiet der Besatzungsbauten berichtet. Der Bericht wird als Drucksache 1307 vervielfältigt.
Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 26. März 1955 gemäß §§ 6 und 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1953/54 vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache 1311 vervielfältigt.
Nach einer Mitteilung des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses vom 29. März 1955 ist der Antrag der Fraktion der DP betreffend Einfuhr- und Vorratsstellen — Drucksache 196 — auf Grund der gefaßten Beschlüsse des Haushaltsausschusses von den Antragstellern zurückgezogen worden.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Statut der Saar (Drucksache 1245);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Veröffentlichung des Schreibens von Bundeskanzler Dr. Adenauer an den
französischen Außenminister Pinay (Drucksache 1293 [neu]).
Die beiden Anträge werden in der Beratung verbunden.
Darf ich fragen, wer zur Begründung der Anträge das Wort nehmen will. — Der Herr Abgeordnete Dr. Mommer hat das Wort.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207700100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich eingangs einen Zusatzantrag zu unserem eigenen Antrag Drucksache 1293 stellen. Es soll ein neuer Absatz folgenden Wortlauts angefügt werden:
Die Bundesregierung wird ersucht,
dem Bundestag ihre Meinung über die Vereinbarkeit des französisch-saarländischen Protokolls eines Übereinkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 21. März 1955 mit Geist und Buchstaben des Abkommens über das Statut der Saar vom 23. Oktober 1954 bekanntzugeben.
Die beiden Anträge der sozialdemokratischen Fraktion, die heute zur Beratung stehen, sind nach der dritten Lesung der Pariser Verträge im Bundestag gestellt worden, und sie beziehen sich auf Ereignisse, die nach dieser dritten Lesung eintraten. Diese Ereignisse sind zum Teil unter Mitwirkung der Herrn Bundeskanzlers, zum Teil unter seiner bloßen Duldung zustande gekommen. In beiden Fällen aber ging es um eines: es ging darum, dem französischen Senat die Annahme der Pariser Verträge zu erleichtern. Es hat sich gezeigt, daß zu diesem Zweck, um die Verträge im Rat der Republik ,durchzubringen, sogar zusätzliche Verhandlungen möglich waren, von denen man uns vorher sagte, daß sie nicht durchsetzbar seien, obschon der Bundeskanzler selbst versprochen hatte, solche zusätzlichen Verhandlungen zur Klärung strittiger Punkte zu führen. Über diese Verhandlungen ist uns kaum etwas bekanntgeworden. Ein Resultat dieser Pariser Gespräche war jener Brief des Herrn Bundeskanzlers an den französischen Außenminister Pinay, aus dem auch wieder nur ein Bruchstück bekanntgeworden ist. Aber ehe ich darauf im einzelnen eingehe, darf ich folgende Ausführungen machen.
Nach der dritten Lesung im Bundestag war die Sachlage die: Der Herr Bundeskanzler hatte sich in der dritten Lesung veranlaßt gesehen, einige Äußerungen zu tun, die ein bezeichnendes Licht auf dieses Statut der gegenseitigen Hintergedanken warfen, und diese Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers hatten in Paris beunruhigend gewirkt und dort Reaktionen ausgelöst. Ein zweiter Punkt, der die Sachlage nach der Verabschiedung der Verträge hier im Hause charakterisierte, war dieser: Frankreich hat jetzt schon gelernt, sich den Eifer der Bundesregierung zunutze zu machen.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

Die Bundesregierung glaubt immer vorweglaufen zu müssen, wenn es darum geht, solche Verträge zu ratifizieren, und wenn hier in Bonn die Verträge angenommen worden sind, dann kommt Paris automatisch in die starke Position. Denn dann geht es ja nur noch um die Zustimmung in Paris, und dann kann Paris zusätzliche Forderungen stellen. Das haben wir mit den Verträgen von 1952 erlebt, und das haben wir jetzt wieder mit den Pariser Verträgen erlebt. Wie es damals war, so


(Dr. Mommer)

war es auch jetzt wieder: Die Bundesregierung hat zusätzliche Preise zahlen müssen oder hat Brüskierungen und französische Usurpationen hinnehmen müssen,

(Sehr richtig! bei der SPD)

ohne sich gegen sie zur Wehr setzen zu können. Sie mußte es schlucken, um die Verträge in Paris nicht zu gefährden. Das Resultat des neuen Nachgebens der Bundesregierung war dann, daß die Verträge in der Zweiten Kammer in Paris durchgingen und daß der Senat den Saarvertrag mit einer noch größeren Mehrheit als .die Nationalversammlung annahm. Schon die Nationalversammlung hatte immerhin das Saarstatut so günstig für Frankreich gefunden, daß sie es mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen hat.
Welches waren nun die Zusicherungen und Garantien, die der Herr Außenminister Pinay forderte, um die Verträge im Senat besser durchbringen zu können? Da ging es erstens einmal darum, Garantien zu bekommen gegen die „gefährlichen" politischen Freiheiten an der Saar, und es ging zweitens darum, sicherzustellen, daß an der dominierenden Stellung Frankreichs in der Saarwirtschaft nichts geändert werde.
Lassen Sie mich zuerst einige Sätze zu 'dem ersten Punkt, zur Frage der politischen Freiheiten an der Saar, sagen.
In 'der zweiten und ,dritten Lesung hier im Hause war sich der Herr Bundeskanzler wohl bewußt, daß die Frage der Freiheit an der Saar, die Frage ,der freien Wahlen, der schwächste Punkt des Saarabkommens ist, und er hat sich, weil sich die Angriffe und die Bedenken aller auf diesen Punkt konzentrierten, veranlaßt gesehen, Äußerungen zu tun, die dann wieder in Paris als eine Gefährdung der Verträge angesehen wurden.

(Störung in 'der Lautsprecheranlage. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700200
Es ist eine technische Störung.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207700300
Der Herr Bundeskanzler hat damals gesagt, — —

(Die Lautsprecherstörung dauert an. —Zurufe.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700400
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! — Meine Damen und Herren, es tut mir leid; aber eine technische Störung, deren Ursache noch nicht gefunden ist, — —

(Unruhe und Zurufe. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Man kann gar nichts verstehen!)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207700500
Der Herr Bundeskanzler hatte sich zu der Erklärung gezwungen gesehen, — —

(Zurufe.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700600
Meine Damen und Herren! Wenn die andere Anlage eingeschaltet ist, — —

(Erneute Zurufe: Es ist nichts zu verstehen!) — Ich unterbreche die Sitzung für 20 Minuten. (Unterbrechung der Sitzung: 9 Uhr 12 Minuten.)

Die Sitzung wird um 9 Uhr 29 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700700
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207700800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf kurz resümieren, was ich vor Einsetzen des „Pfeifkonzerts" gesagt habe. Die Sozialdemokratische Partei hat zwei Anträge gestellt, die sich auf Ereignisse beziehen, die nach der Verabschiedung der Pariser Verträge hier im Bundestag eingetreten sind. Die französische Regierung hat die Zeit, die zwischen der Verabschiedung hier und der Annahme der Verträge im französischen Senat lag, dazu benutzt, sich zusätzliche Vorteile zu verschaffen und den Inhalt des Saarvertrags zu ihren Gunsten zu entwickeln. Das ist zum Teil unter aktiver Mitwirkung des Herrn Bundeskanzlers geschehen — er hat nämlich neu verhandelt und dem
Herrn französischen Außenminister einen Brief geschrieben, in dem bestimmte Zusicherungen enthalten sind —, und es ist zum anderen Teil dadurch geschehen, daß die französische Regierung von sich aus, ohne Zustimmung der Bundesregierung — ich möchte vermuten: gegen den Willen der Bundesregierung - auf wirtschaftlichem Gebiet neue Tatsachen geschaffen hat, die jetzt dastehen und von der Bundesregierung zur Kenntnis genommen werden müssen.
Die Eile, die die Bundesregierung mit der Verabschiedung von solchen Verträgen hat, hat somit zum zweitenmal dazu geführt, daß wir, weil wir so brave Europäer sind, zusätzliche Preise an Frankreich zahlen müssen. Die Ereignisse, von denen ich rede, lagen auf dem Gebiet der politischen Freiheit an der Saar, und zweitens ging es um die Erhaltung der dominierenden französischen Position in der Saarwirtschaft. Bei der Behandlung des Saarvertrags im Bundestag war sich der Herr Bundeskanzler bewußt gewesen, daß der schwächste Punkt des Statuts der Art. VI — mit dem Problem der Freiheit — war. Er wußte wohl, daß zumindest im Willen des Vertragspartners dieses Statut ein Statut ohne, ja sogar ausdrücklich gegen freie Wahlen an der Saar sein sollte.
Da sah der Herr Bundeskanzler die Mehrheit für dieses Vertragswerk im Bundestag gefährdet, und, wenn man so sagen darf, er plauderte aus der Schule. Und vielleicht plauderte er mehr, als in der Schule gesagt worden war. Er stellte die Behauptung auf, Pierre Mendès-France habe ihm die Zusicherung gegeben, daß die Freiheit an der Saar nicht etwa auf drei Monate, bis zur Annahme des Statuts in dem ersten Referendum, beschränkt sein solle, daß sie vielmehr auch nachher nicht eingeschränkt würde.
Durch diese Äußerung des Bundeskanzlers sah sich die französische Regierung ihrerseits wieder in einem sehr wunden Punkte getroffen. Frankreich weiß genau, daß die Aufrechterhaltung der Separation des Saargebiets von Deutschland nur in Unfreiheit möglich ist, nur wenn es keine freien Wahlen gibt, wie wir sie sonst in der Bundesrepublik verstehen und wie man sie drüben auch in Frankreich versteht. Deshalb erfolgte die


(Dr. Mommer)

prompte Zurückweisung der Thesen des Herrn Bundeskanzlers. Es wurde auch Ihnen, meine Damen und Herren, soweit Sie dem Saarstatut zugestimmt haben, gesagt, daß Sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, wenn Sie geglaubt haben, einem Vertrag zuzustimmen, in dem freie Wahlen für die eine Million Deutscher an der Saar zugesichert werden. Der Kernsatz dieses Kommuniqués der französischen Regierung vom 4. März lautet:
Artikel VI des Statuts, der ein Infragestellen des europäischen Statuts des Saarlandes nach der Annahme durch eine Volksabstimmung ausschließt, enthält keine Zweideutigkeit. Jede politische Tätigkeit oder Propaganda, die auf eine gegenwärtige oder künftige Änderung des Statuts hinzielen würde, solange dieses Thema noch nicht in den Friedensverhandlungen angeschnitten wurde, wäre ungesetzlich.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Man kann es nicht oft genug wiederholen, daß hier von der französischen Regierung klipp und klar gesagt wird, daß die Freiheit, die nach Art. VI Abs. 1 geschaffen werden soll, eine Freiheit für drei Monate und für nicht länger sein soll.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

Diese Äußerung des französischen Kommuniqués traf nun wieder den Herrn Bundeskanzler an einer empfindlichen Stelle; denn er hatte doch die Zustimmung des Bundestages zum Saarstatut gerade mit der Behauptung erreicht, es werde volle Freiheit, auch zeitlich uneingeschränkte Freiheit an der Saar geben. Er sah sich jetzt veranlaßt, wenigstens zum Schein gegen die französische Erklärung zu protestieren. Er schickte unseren diplomatischen Vertreter in Paris zum französischen Außenministerium. Aber das, was wir über den Gegenstand und Inhalt dieses Schrittes erfahren haben, bezieht sich nur auf die Wiederholung der Thesen, die der Herr Bundeskanzler hier im Bundestag vorher aufgestellt hat. Es wurde nicht etwa der Versuch gemacht, die Unklarheiten und Gegensätzlichkeiten in der Auslegung des Statuts durch neue Verhandlungen zu beseitigen.
Was dann geschah, ist für uns in Dunkel gehüllt. Die Bundesregierung hat sich bisher nicht bemüßigt gefühlt, den Bundestag über die wichtigsten Geschehnisse zu unterrichten. Wir erfuhren plötzlich aus der Zeitung, daß der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß in Paris verhandelt habe, und wir erfuhren aus der bruchstückweisen Veröffentlichung eines Briefes des Herrn Bundeskanzlers an Herrn Außenminister Pinay auch, worüber verhandelt worden ist. Aus diesem Brief sind nur ein paar Sätze bekanntgeworden. Nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war darin folgendes zu lesen:
Während der Geltungsdauer des Statuts bis zum Friedensvertrag wird die Freiheit der politischen Meinung total sein. Doch ist jede politische Aktion ausgeschlossen, die geeignet ist, das Prinzip des Statuts, d. h. sein reibungsloses Funktionieren und den inneren Frieden an der Saar unmittelbar oder mittelbar zu beeinträchtigen. Es wird unter Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union Aufgabe des Europäischen Kommissars sein, darüber zu wachen, daß diese beiden Grundsätze beachtet werden.
Jetzt ist ein neuer Streit darüber ausgebrochen, was nun die politische Bedeutung dieser orakelhaften Sätze sein soll. In Saarbrücken hat man sie sofort als die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers zu der französischen Interpretation des Saarabkommens gedeutet. Das gleiche ist in Frankreich geschehen. Im französischen Senat — —

(Fortgesetzte Störungen in der Lautsprecheranlage.)

— Herr Präsident, ich muß sagen, daß ich sehr gestört werde.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207700900
Meine Damen und Herren, es ist noch nichtausgemacht, ob diese Technik unseren Technikern endgültig über den Kopf gewachsen ist oder nicht. Ich bitte jedenfalls diese Störung zu entschuldigen. Wir versuchen alles, sie abzustellen. Die Ursache haben wir noch nicht gefunden. — Herr Abgeordneter, fahren Sie einstweilen fort!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207701000
Vielleicht, Herr Präsident, darf ich einen Vorschlag machen: Sie stellen die Lautsprecher einmal ab, und ich versuche es nur mit meiner Lunge.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207701100
Das geht leider wahrscheinlich auch nicht. — Aber, einen Augenblick, ich will einmal den Versuch machen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207701200
Meine Damen und Herren, die Behörden in Saarbrücken haben diese Stelle des Briefes des Herrn Bundeskanzlers sofort als die Annahme der französischen Interpretation des Saarabkommens durch die Bundesregierung ausgelegt. Der französische Außenminister hat bei der Lesung der Verträge im Senat ebenfalls in dem Brief des Herrn Bundeskanzlers eine Bestätigung der französischen Auffassung gesehen.
Gestern hat in der Nationalversammlung eine Debatte stattgefunden, in der der Herr Außenminister folgendes gesagt hat. Er erinnerte an das Schreiben Dr. Adenauers, in dem der Kanzler versichert habe, bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages werde an der Saar jede politische Aktivität ausgeschlossen sein,

(Hört! Hört! bei der SPD)

die die französisch-deutschen Beziehungen trüben und die Ordnung im Saargebiet stören könnte.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wir wissen aber, daß die französische Regierung und die Saarregierung bisher jede Tätigkeit der Parteien, die für den Verbleib des Saargebietes bei Deutschland sind, als eine Tätigkeit angesehen haben, die die französischdeutschen Beziehungen trübt und die die Ordnung an der Saar stört.
Wir müssen also, Herr Bundeskanzler, solange Sie uns nicht ausreichende Erklärungen über den wirklichen Inhalt der Verhandlungen und den ganzen. Wortlaut Ihres Briefes geben, annehmen, daß Sie erneut nachgegeben haben und daß Sie auch die schwache Chance, die vielleicht noch blieb, um die Freiheit an der Saar etwas länger als drei Monate dauern zu lassen, noch preisgegeben haben,

(Sehr wahr! bei der SPD)

um im französischen Senat den Verträgen zur Annahme zu verhelfen.

(Beifall bei der SPD.)



(Dr. Mommer)

Die französische Regierung hat sich die Eile der Bundesregierung um das Zustandekommen der Verträge auch auf wirtschaftlichem Gebiet zunutze gemacht. Es ist seit der Unterzeichnung des Abkommens in Paris am 23. Oktober auch auf wirtschaftlichem Gebiet eine denkbar schlechte Entwicklung für die deutsche Sache an der Saar eingetreten.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Die französische Regierung hat mit der Saarregierung über die Neugestaltung 'der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saargebiet und Frankreich verhandelt. Die Bundesregierung hat wegen der Beratungen im Senat zu allem geschwiegen und sich dabei die unerhörtesten Brüskierungen einfach gefallen lassen.
Als am 21. März das Protokoll eines Abkommens über die wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Frankreich bekanntwurde, da hat die Bundesregierung nur durch verlegenes, betretenes und deprimiertes Schweigen reagiert,

(Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

ein Schweigen, das sie auch bis heute noch nicht gebrochen hat. Und wir sind neugierig, ob sie diese Gelegenheit heute wahrnimmt, um dem Bundestag einige Erklärungen über 'dieses Geschehen abzugeben. Wird sie die Unmöglichkeiten heute anprangern, die da vorgekommen sind? Es ist von der französischen Regierung mit der Saarregierung verhandelt worden auf Grund eines Abkommens, das noch nicht in Kraft ist. Die französische Regierung glaubte jetzt in der besseren Position zu sein, jetzt vor dem Inkrafttreten des Abkommens und solange diese Regierung Johannes Hoffmann in Saarbrücken die Fäden in der Hand hält. Die französische Regierung wollte mit diesem Johannes Hoffmann verhandeln, der eine Regierung führt, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen und die deswegen von der Bundesregierung nicht anerkannt worden ist. Es war aber unser Interesse und wohl auch unsere gemeinsame Absicht, daß alle Dinge, die auf Grund dieses Saarstatuts in Zukunft unter Beteiligung der Saarregierung geschehen müßten, unter Beteiligung einer frei gewählten 'Saarregierung zu geschehen hätten. Auch 'dies hat die Bundesregierung hingenommen, ohne sich zur Wehr zu setzen.
Nach dem Art. XII des Saarstatuts sollen zwischen der Wirtschaft im Bundesgebiet und der Saarwirtschaft gleichartige Beziehungen geschaffen werden, wie sie zwischen der Saarwirtschaft und Frankreich bestehen. Wenn gleichartige Beziehungen geschaffen werden sollen, dann kann Frankreich aber nicht einseitig im Tête-à-tête mit dem von ihm selbst eingesetzten Johannes Hoffmann die Wirtschaftsbeziehungen Frankreich-Saargebiet neu regeln, dann müßte die Bundesregierung von vornherein an diesen Verhandlungen beteiligt sein.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Das war auch der Wille der Bundesregierung. Sie wollte daran beteiligt sein. Sie hat sich, um beteiligt sein zu können, sogar gedemütigt

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

und hat mit Herrn Johannes Hoffmann persönlich verhandelt. Aber auch diese Demütigung hat nichts genutzt. Nachdem hier die Verträge angenommen waren, glaubte Frankreich es sich leisten zu können, die wirtschaftlichen Verhandlungen mit Johannes Hoffmann ohne Rücksicht auf die Bundesregie-
rung und ohne deren Beteiligung zu Ende führen zu können.
Und dann muß man sich den Inhalt dieses Protokolls eines Abkommens über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Saargebiet einmal des näheren ansehen! Ich kann das hier nicht in Ausführlichkeit tun und kann nur einige Punkte hervorheben. Die Illusionen über die „gleichartigen Beziehungen" dürften restlos verweht sein,

(Abg. Menzel: Sehr wahr!)

nachdem dieses Protokoll in Paris unterzeichnet worden ist.
Nehmen wir den Punkt der Investierung! Es heißt in diesem Protokoll, daß in Zukunft Investierungen von Devisenausländern — von „Devisenausländern", das sind wir nämlich — an der Saar nur mit Zustimmung des französischen Finanzministers vorgenommen werden können.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und nicht nur das, daß auf diese Weise also ein Riegel dagegen eingebaut wird, daß sich in Zukunft deutsche Unternehmen an der Saar wirtschaftlich betätigen können, man versucht, den deutschen wirtschaftlichen Einfluß, der im Saargebiet noch besteht, noch weiter zurückzudrängen und aus der Saar herauszudrängen. Die französische Regierung will die widerrechtliche Beschlagnahme der Völklinger Eisenwerke nicht aufheben und den Eigentümern ihr Eigentum zurückgeben, sondern sie will jetzt die Familie Röchling definitiv aus dem Saargebiet herauswerfen. Hören Sie, was M. Pinay darüber gestern in der Nationalversammlung gesagt hat:
Der Außenminister bestätigte, — nach dieser dpa-Meldung —
daß die Familie Röchling ihre Industriewerke an der Saar auf keinen Fall zurückerhalten werde.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wenn es im Statut heißt, daß die Sequesterverwaltung vor Inkrafttreten des Statuts aufgehoben werden soll, 'dann ist das eben so zu lesen, daß sie deshalb aufgehoben werden kann, weil inzwischen mit allen Mitteln des politischen Druckes das Eigentum an diesen Werken in französische Hände überführt sein soll. Das ist die Wirklichkeit dieses Saarstatuts,

(Sehr wahr! bei der SPD)

das ist die Wirklichkeit der französisch-deutschen Zusammenarbeit, die nach diesem Vertrag stattfinden soll,

(Sehr richtig! bei der SPD)

das ist die Wirklichkeit des europäischen Geistes dieses europäischen Statuts, das Sie uns hier serviert haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE und der FDP.)

Wir haben noch nichts davon gehört, daß die Bundesregierung auch nur den Versuch gemacht hätte, die Frage der Sequesterverwaltung zu klären. Sie wissen, 'daß die Sequesterverwaltung auf Grund eines widerrechtlichen Eingriffs der französischen Regierung eingerichtet worden ist. Widerrechtlich hat die französische Regierung die Hand auf das Eigentum gelegt, indem sie eine Entscheidung der Reparationsbehörde in Brüssel so auslegte, als


(Dr. Mommer)

könnte sie Reparationen in Anspruch nehmen, ohne die als Reparationsgut dienenden Maschinen und Einrichtungen zu demontieren. In der Bundesrepublik haben wir es nirgendwo erlebt, daß die Reparationen so gehandhabt wurden, daß die Reparationsgläubiger nun Mitbesitzer der zur Demontage vorgesehenen Werke wurden. An der Saar aber hat man diesen Dreh gefunden,

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

um sich zum Miteigentümer an den entscheidenden Hüttenwerken zu machen. Hier fehlt jede Rechtsgrundlage, und nachdem jetzt die Familie Röchling einigen Widerstand leistet und nicht freiwillig auf ihre Besitztitel verzichten will, werden die politischen Druckmittel eingesetzt, um die Werke endgültig in französische Hand zu bringen.
Meine Damen und Herren! Der Text des Saarabkommens vom 23. Oktober ist schlimm. Wir haben gewarnt. Wir haben unsere Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Alle unsere Befürchtungen sind leider Gottes als berechtigt bestätigt worden. Wenn ich recht sehe, sind Sie doch selbst entsetzt über das, was da jetzt in Frankreich geschehen ist, wie man da einen Vertrag handhabt, den Sie angeblich zur deutsch-französischen Verständigung und im Interesse des Aufbaus Europas unterzeichnet haben. Aber Sie haben zu allem geschwiegen. Sie sind da die Gefangenen Ihrer eigenen Politik,

(Beifall bei der SPD)

Sie sind die Gefangenen des Junktims zwischen dem Saarvertrag und den anderen Pariser Verträgen, des Junktims, das Sie auch selbst wieder durch Ihre Politik ermöglicht haben.
Für uns ist die Sache nicht zu Ende, und für uns l ist der Punkt 3 unseres Antrags Drucksache 1245 noch aktuell,

(Sehr gut! bei der SPD)

in dem neue Verhandlungen gefordert werden. Der Prozeß der Ratifizierung ist nicht abgeschlossen. Die Hinterlegung der Urkunden bzw. die Notifizierung ist noch nicht erfolgt. Wir glauben auch, daß, solange der Antrag auf Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht schwebt, eine solche Notifizierung nicht möglich ist. Wir warnen Sie, meine Damen und Herren, diesen Antrag in Karlsruhe zu leicht zu nehmen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Was wäre denn dieser Vertrag mehr als ein Fetzen Papier, wenn in Karlsruhe festgestellt würde, daß er mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist? Wollen Sie denn einen solchen Vertrag durchführen, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit festgestellt hat, oder wollen Sie das Grundgesetz ändern und dann einen neuen Vertrag machen? Zu dieser Grundgesetzänderung im Interesse eines solchen Vertrages werden Sie auf jeden Fall in diesem Hause keine ZweidrittelMehrheit bekommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Wenn Sie die Dinge dahin treiben lassen, daß Sie notifizieren, und in Karlsruhe eine Ihnen unangenehme Entscheidung fällt, dann treiben Sie die Bundesrepublik in eine schwere innere Krise hinein. Und Sie treiben sie auch in eine schwere außenpolitische Krise hinein. Denn welches werden denn die Wirkungen eines solchen Ereignisses auf die deutsch-französischen Beziehungen sein?
Meine Damen und Herren, der Weg des Statuts vom 23. Oktober bis heute hat von einem Konflikt zum andern geführt, und zwar zu Konflikten sowohl zwischen den Vertragspartnern als auch zu innerpolitischen Konflikten hier in der Bundesrepublik. Ich fürchte, in der Zukunft wird es noch schlimmer sein. Die außen- und innenpolitischen Konflikte, die sich aus diesem Vertrage ergeben, werden in Zukunft noch größer sein, wenn Sie nicht die Gelegenheit nutzen, die es jetzt noch gibt, die Gelegenheit nämlich, durch neue Verhandlungen die Steine des Anstoßes aus dem Wege zu räumen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt rechts.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207701300
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0207701400
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Zu den Anträgen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei habe ich für die Bundesregierung folgendes zu erklären.
Zu Ziffer 1: Der Wortlaut der Erklärungen der französischen Regierung, dessen Mitteilung in Ziffer 1 der Drucksache 1245 gewünscht wird, ist im Nachrichtenspiegel des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vom 5. März 1955 abgedruckt und daher allen Mitgliedern des Hohen Hauses zugegangen.
Zu Punkt 2 derselben Drucksache teile ich mit, daß die Bundesregierung wiederholt und auf verschiedenen Wegen Verhandlungen mit der französischen Regierung geführt hat. Diese Verhandlungen sind noch im Gange. Es würde allem Herkommen widersprechen und den deutschen Interessen schädlich sein, sie in diesem Stadium in allen Einzelheiten der Öffentlichkeit mitzuteilen.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Albers: Das ist doch richtig!)

Nach Abschluß der Verhandlungen werde ich den Auswärtigen Ausschuß unterrichten.

(Abg. Arnholz: Wir wollen es auch hören, nicht nur der Ausschuß!)

Bei dieser Gelegenheit kann ich zu dem heutigen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Drucksache 1293 (neu) zu Ziffer 2 folgendes sagen. Die Angelegenheit wird zur Zeit geprüft; auch sie wird im Auswärtigen Ausschuß von uns zur Sprache gebracht werden.
Hinsichtlich der Auslegung des Art. VI wurde zwischen der deutschen und der französischen Seite Einvernehmen erzielt. Ich zitiere diese Auslegung aus meinem Brief vom 14. März 1955 an den Herrn französischen Außenminister. Dieser Brief enthält bezüglich der Saarfrage folgendes. Erstens: Während der Geltungsdauer des Statuts bis zum Friedensvertrag wird die Freiheit der politischen Meinung selbstverständlich total sein; doch ist jede politische Aktion ausgeschlossen, die geeignet ist, das Prinzip des Statuts, d. h. sein reibungsloses Funktionieren, und den inneren Frieden an der Saar direkt oder indirekt zu beeinträchtigen.

(Abg. Dr. Menzel: Wer entscheidet das?) Zweitens: Es wird unter Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union Aufgabe des Europäischen Kommissars sein, darüber zu wachen, daß diese beiden Grundsätze beachtet werden.


(Abg. Dr. Mommer: Ist das der ganze Text, Herr Bundeskanzler?)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Damit habe ich mich zugleich zu dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 1293 geäußert.
Drittens. Der Antrag zu Ziffer 3 der Drucksache 1245, die Ratifikation des Saarabkommens bis zum Abschluß neuer Verhandlungen auszusetzen, ist nach unserer Auffassung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Es erscheint uns unmöglich, ein Bundesgesetz, das in drei Lesungen vom Bundestag genehmigt ist, das den Bundesrat passiert hat, durch die Bundesregierung bis auf weiteres auf Eis zu legen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der DP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207701500
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Kopf!

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0207701600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Fraktion der SPD Drucksachen 1245 und 1293 [neu] verfolgen ein doppeltes Ziel. Es werden Auskünfte seitens der Bundesregierung über den Verlauf der Saarverhandlungen nach der Bundestagsdebatte vom 27. Februar dieses Jahres verlangt. Ferner wird die Bundesregierung im Antrag Drucksache 1245 beauftragt, die Ratifikation des Saarabkommens auszusetzen, bis die Gegensätzlichkeiten in der Auffassung der Vertragspartner über wesentliche Bestimmungen des Statuts ausgeräumt worden sind.
Ein Teil der von der Fraktion der SPD geäußerten Wünsche auf Erteilung von Auskünften dürfte insofern heute überholt sein, als die angeforderten Auskünfte bereits in der Presse veröffentlicht worden sind. Das gilt beispielsweise für die Erklärung F des französischen Außenministeriums, die am 4. März dieses Jahresabgegeben worden ist und die sich auf Art. VI, auf die Frage des Friedensvertrages und auf die Frage der englisch-amerikanischen Garantien bezogen hat. Der Wortlaut dieser Erklärung ist bekannt. Es ist ebenso durch die Presse bekanntgeworden, daß die deutsche diplomatische Vertretung bereits am folgenden Tage, am 5. März, gegen die von französischer Seite gegebenen Auslegungen Vorstellungen in Paris erhoben hat.
Es scheint uns aber von großer Wichtigkeit zu sein, daß im Laufe der weitergeführten Besprechungen über eine sehr wesentliche Frage des Vertrages, nämlich über Art. VI, die Frage der Freiheit der politischen Betätigung, eine gemeinsame Formulierung gefunden worden ist. Diese Formulierung ist vom Herrn Bundeskanzler bekanntgegeben worden. Diejenigen unter uns, weiche dem Saarabkommen ihre Zustimmung gegeben haben, haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie die Bestimmungen des Art. VI über die Freiheit der politischen Betätigung an der Saar nach Inkrafttreten des Statuts als unbefriedigend ansehen. Durch die jetzt gemeinsam ausgearbeitete Formulierung ist zum Ausdruck gebracht worden, daß während der Geltungsdauer des Statuts bis zum Friedensvertrag die Freiheit der politischen Meinung total sein soll. Diese totale Freiheit der politischen Meinung erleidet dann allerdings Einschränkungen. Wir sind uns bewußt, daß die Abgrenzungen, die in dieser Formulierung getroffen worden sind, auch in der Praxis nicht alle Schwierigkeiten ausschließen können.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Aber wichtiger scheint es uns zu sein, daß es unter Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union eine Aufgabe des Europäischen Kommissars sein wird, darüber zu wachen, daß die beiden Grundsätze, einmal die totale Freiheit der politischen Meinungsäußerung und sodann die Begrenzungen, die in der Formulierung enthalten sind, beachtet werden.
Die gefundene Formulierung schließt nicht aus, daß das zukünftige Schicksal der Saar beim Friedensvertrag frei erörtert werden kann. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten freier Meinungsäußerung, die nicht als politische Aktionen bezeichnet werden können, und es gibt andererseits mannigfaltige Formen von politischen Aktionen, die eine freie Meinungsäußerung zulassen, ohne das Prinzip des Statuts direkt oder indirekt zu beeinträchtigen. Wir dürfen der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Europäische Kommissar des Saargebiets, der unter der Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union seine Aufgabe erfüllen wird, bei der Überwachung des Statuts und bei der Anwendung des Art. VI, dessen Verdeutlichung nunmehr gemeinsam erarbeitet worden ist, dem Geiste des Abkommens auch so, wie wir es verstehen, gerecht zu werden vermag.
Durch die Ausarbeitung dieser Formulierung scheint uns ein wesentlicher Punkt, über den Meinungsverschiedenheiten bestanden haben, geklärt worden zu sein. Am 27. März dieses Jahres ist in Paris ein Protokoll zwischen den Vertretern des Saargebiets und Frankreichs über die künftige Ausgestaltung einer saarländisch- französischen Wirtschaftskonvention niedergelegt worden. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Protokoll noch nicht die französisch-saarländische Wirtschaftskonvention darstellen soll, die in Art. XII des Saarabkommens vorgesehen ist. Das ergibt sich sowohl aus dem Protokoll selbst als auch aus den Erklärungen, die der französische Außenminister, Herr Pinay, im französischen Senat abgegeben hat. Dieses Protokoll soll allerdings Grundlagen für die künftige Ausarbeitung einer französisch-saarländischen Wirtschaftskonvention schaffen.
Die Art des Zustandekommens und der Inhalt des Protokolls erfüllen uns mit einer gewissen Sorge,

(Zuruf von der SPD: Also doch!?)

und es scheint angebracht zu sein, schon im jetzigen Zeitpunkt Fragen zu stellen, deren Klärung erforderlich scheint. Hat nicht die Durchführung der französisch-saarländischen Wirtschaftsverhandlungen zur Voraussetzung, daß zunächst das Saarabkommen als solches ratifiziert und das Saarstatut in Kraft getreten ist? Hat in diesem Falle nicht auch der Europäische Kommissar mitzuwirken, dem die Domäne der Außenpolitik bezüglich des Saargebiets übertragen werden soll, und soll dieses zweiseitige Abkommen nicht verbunden werden mit dem Abschluß eines dreiseitigen Abkommens zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und dem Saargebiet, wobei, wie es in Art. XII Abs. A des Saarabkommens heißt, den folgenden Bestimmungen, nämlich des Art. XII B ff., Rechnung zu tragen ist, den Bestimmungen, die gerade den künftigen Abschluß eines dreiseitigen Vertrages zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und dem Saargebiet vorsehen?
Eine weitere Frage: Wird durch den Abschluß des saarländisch-französischen Abkommens oder


(Dr. Kopf)

durch das Protokoll, das eine Grundlage für dieses künftige Abkommen legen soll, der Abschluß des in Art. XII vorgesehenen dreiseitigen Abkommens zwischen Frankreich, Deutschland und der Saar erleichtert, oder wird er erschwert?
Und eine letzte Frage: Wenn Art. V des Saarabkommens vorsieht, daß in allen Angelegenheiten des Saargebiets, in denen der Europäische Kommissar nicht kompetent sein soll, die Organe der Saar die Zuständigkeit erhalten sollen, — wird die Zuständigkeit der Saarorgane für diese Fragen, die die saarländische Gesetzgebung und die saarländische Verwaltung angehen, in vollem Maße gewährleistet?
Diese Fragen werden durch die Lektüre des inzwischen abgeschlossenen Wirtschaftsprotokolls aufgeworfen. Es sind Fragen, deren Beantwortung wir — nicht heute und nicht hier — von der Bundesregierung erwarten. Aber wir erwarten, daß die Bundesregierung sich bemüht, diese Fragen zu klären.
Die Anträge der Fraktion der SPD verfolgen sodann ein zweites Ziel. Die Ratifikation des Saarabkommens, das vom Bundestag und vom Bundesrat angenommen und das inzwischen auch bereits im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist, soll ausgesetzt werden, bis die Gegensätzlichkeiten in der Auffassung der Vertragspartner über wesentliche Bestimmungen des Statuts ausgeräumt worden sind. Einer der wesentlichen Gegensätze, nämlich die Frage der Auslegung des Art. VI, hat seine Austragung gefunden durch die Schaffung einer gemeinsamen Formel. Damit ist ein Hauptpunkt verdeutlicht worden, und es sind Garantien dafür geschaffen worden, daß Zweifelsfälle, die künftig auftreten können, unter der Mitwirkung des Europäischen Kommissars bereinigt werden.
Aber ist es wirklich Aufgabe des Bundestages, in diesem Stadium des Verfahrens, nachdem das Saarabkommen in Bundestag und Bundesrat nach langen Debatten abschließend behandelt worden ist, nachdem die Verkündung des Saarabkommens im Bundesgesetzblatt bereits erfolgt ist, nunmehr der letzten Instanz, dem Herrn Bundespräsidenten in die Arme zu greifen und die Bundesregierung zu beauftragen, die Ratifikation des Saarabkommens auszusetzen? Der Empfänger dieses Auftrags, die Bundesregierung, wäre ihrerseits nicht mehr zuständig; denn die Zeichnung und Gegenzeichnung des Saarabkommens durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundeswirtschaftsminister sind bereits erfolgt, und der letzte Akt der Ratifikation oder einer etwaigen Notifikation obliegt allein dem Herrn Bundespräsidenten.
Dieses Parlament — und jedes Parlament, dem das Wohl seines Landes am Herzen liegt — hat bestimmt die Verpflichtung, mit allem Eifer seine Rechte zu wahren. Dieses Parlament - und jedes Parlament - soll und muß seine Privilegien verteidigen, und es soll seine Kompetenzen ausschöpfen. Aber wenn und insoweit es dies tut, muß es zugleich die Schranken respektieren, die das Grundgesetz ihm gesetzt hat. Kein Organ eines Staates, das im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit gehandelt hat, darf einem anderen Organ in den Arm fallen, das wiederum nach den Bestimmungen der Verfassung zum Handeln bestimmt ist, es sei denn, daß das Grundgesetz diese Möglichkeiten einer Hemmung für das erste Organ vorsehen sollte. Dies aber ist nicht der Fall.
Wenn Herr Abgeordneter Mommer auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen hat, dann möchte ich eine Äußerung zitieren, die lange zurückliegt und die am 30. November 1929 im alten Weimarer Reichstag vom damaligen Herrn Innenminister Se v e ring bei der Behandlung eines deutschnationalen Antrages auf ein Gesetz gemacht worden ist, das ein Volksbegehren vorsehen sollte:
Was die grundsätzliche Seite der Sache angeht, — hat damals Herr Severing gesagt —
so ist den Herren bekannt, daß sich der Staatsgerichtshof im Augenblick damit beschäftigt. Es ist aber nicht üblich, daß sich in einer derartigen Situation der Reichstag oder überhaupt eine Volksvertretung in die Verhandlungen einschaltet.
Damals hat es sich darum gehandelt, daß das von der Deutschnationalen Partei eingebrachte Gesetz, das ein Volksbegehren vorsehen sollte, Bestimmungen enthielt, durch die eine Einwirkung auf Maßnahmen der Reichsregierung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik erfolgen sollte. Es ist interessant, diese vergilbten Blätter nachzulesen, und man wird finden, daß nicht nur der damalige Minister des Innern Severing, sondern auch der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, Herr Breitscheid, diesen Anträgen entgegengetreten sind, und zwar gerade deshalb, weil sie die Einwirkung des Parlaments auf Maßnahmen, die der Reichsregierung verfassungsmäßig zustehen, als unzulässig angesehen haben.
Meine Damen und Herren, dieses Parlament hat zu den Fragen des Saarabkommens eingehend Stellung genommen. Es hat seine verfassungsmäßigen Obliegenheiten erfüllt genau wie der Bundesrat und genau wie der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister, die inzwischen die Gegenzeichnung des Abkommens vorgenommen haben. Diese Organe haben das getan, was ihnen nach dem Grundgesetz zu tun zustand. Es bleibt ein letzter Akt zu vollziehen, nicht durch die Bundesregierung, sondern durch den Herrn Bundespräsidenten. Mag der Bundespräsident nach verantwortungsvoller und gründlicher Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen das Seinige tun.
Namens der Koalitionsparteien beantrage ich, die beiden Anträge der SPD als durch die Erklärung der Bundesregierung erledigt zu erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Hört! Hört! und Oh-Rufe bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207701700
Weitere Wortmeldungen? — Das Wort hat 'der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0207701800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, es sei zwischen deutscher und französischer Seite ein Einvernehmen über die Auslegung des Artikels VI des Saarabkommens erzielt worden. Auch der Herr Kollege Kopf hat soeben hinzugefügt, man habe eine gemeinsame Formulierung gefunden. Leider wissen wir nicht, Herr Bundeskanzler, ob das, was Sie uns hier gesagt haben, den gesamten Inhalt Ihres Briefes an den französischen Außenminister, Herrn Pinay, darstellt,

(Sehr wahr! bei der SPD)



(Dr. Arndt)

denn man muß, um etwas beurteilen zu können, den ganzen Brief wissen, also auch den Zusammenhang, in dem eine Äußerung steht;

(Sehr richtig! bei der SPD)

denn so für sich alleine genommen ist diese Äußerung ja außerordentlich widerspruchsvoll und kann höchstens eine Einigung darüber sein, daß man sich nicht einig ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Denn es wird zunächst einmal gesagt: die Meinungsfreiheit ist total, und im nächsten Satz heißt es: sie unterliegt Einschränkungen. Nun, eine Totalität mit Einschränkungen ist eine neue Erfindung,

(Beifall bei der SPD)

mit der man wieder einmal die Grenzen der Wahrheit etwas erweitert hat.
Also entweder hat man an der Saar die Meinungsfreiheit, oder man hat sie nicht, und dabei geht es doch um einen ganz konkreten Punkt, den weder Sie. Herr Bundeskanzler, angesprochen haben noch der Herr Kollege Dr. Kopf, nämlich um die konkrete Frage: Ist man an der Saar auch nach Ablauf der ersten drei Monate und der ersten sogenannten Volksabstimmung befugt, den Inhalt eines künftigen Friedensvertrages zu erörtern? Ist man befugt, diesen Friedensvertrag zu fordern, und 'ist man befugt, sich zu Deutschland zu bekennen und den Wunsch zu äußern, daß in dem Friedensvertrag die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland bestätigt wird? Das ist die Frage, um die es geht,

(Zustimmung bei der SPD)

und da haben wir nichts dazu gehört, daß darüber mit den Franzosen Einverständnis erzielt sei; im Gegenteil, im Rat der Republik und in der französischhörigen saarländischen Presse ist Ihr Brief an Herrn Pinay so ausgelegt worden, als ob dadurch der französische Standpunkt bestätigt worden wäre, daß über diese Frage Grabesruhe zu herrschen habe. Und zwar warum? Weil ja doch nach der französischen Auffassung das Saarstatut eine Art Verfassung darstellt, eine Art Verfassung, der gegenüber man zur Treue verpflichtet ist, während nach unserer Auffassung die Saar nach wie vor zum Staate Deutschland gehört und auch das Saarstatut von der Treuepflicht Deutschland gegenüber nicht beurlauben kann.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist doch der eigentliche Punkt, und Ihr Brief ist, wenn er überhaupt eine gemeinsame Formulierung bedeuten kann, höchstens geeignet, den französischen Standpunkt zu stützen, aber nicht den deutschen,

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

und das bedauern wir auf das tiefste. — Nun, das ist das eine.
Dann muß ich etwas zu dem sagen, was der Herr Kollege Kopf in Reminiszenzen an die Weimarer Zeit eben ausgeführt hat. Nun, die fallen Ihnen immer zum falschen Zeitpunkt ein,

(Lachen bei der SPD)

Herr Kollege Kopf. Denn das, was Sie da von Ausführungen Breitscheids und Severings zitiert haben, das haben wir 'während der Verhandlungen des EVG-Vertrages und der Pariser Verträge ja
oft genug erörtert. Damals wollten Sie nichts davon hören. Was hat man nämlich in jener Zeit im Reichstag gesagt? Man hat gesagt, es sei nicht zulässig, in die Richtlinien der Politik, die damals wie heute, damals dem Reichskanzler, heute dem Bundeskanzler zustehen, einzugreifen durch ein Gesetz, etwas, was wir auch bei diesen Verhandlungen immer wieder gesagt haben, weshalb wir auch in den Pariser Verträgen es nicht für statthaft halten, auch alle künftigen Bundeskanzler auf eine gewisse Integrationspolitik festzulegen. Das ist damals von dem Reichsinnenminister Severing erklärt worden: es gehe nicht ,an, im Wege eines Gesetzes in die nach der Verfassung dem Reichskanzler zustehenden Richtlinien der Politik einzugreifen und durch Gesetz einen Reichskanzler auf eine bestimmte Politik festzulegen. Das hat aber überhaupt nichts mit den Fragen zu tun, die heute hier anstehen. Denn heute steht hier die Frage an, ob ein Parlament seinen politischen Willen dahin äußern kann und darf und muß, daß ein völkerrechtlicher Vertrag noch nicht notifiziert wird, daß man also noch davon absieht, eine völkerrechtliche Bindung eintreten zu lassen. Einen politischen Willen hierzu äußern kann selbstverständlich ein Parlament jederzeit.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Da sind Sie einfach mit dem Zitat in \\den falschen Zettelkasten gerutscht.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Sie haben aber etwas sehr richtiges anderes gesagt. Sie haben gesagt: Jedes Verfassungsorgan muß die Schranken respektieren, die ihm gesetzt sind,

(Sehr wahr! bei der SPD)

und jedes Verfassungsorgan muß so handeln, daß dadurch verfassungsrechtliche Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans nicht beeinträchtigt werden. Großartig, Herr Kollege Kopf! Nicht wahr? Denn der erste Satz bedeutet, daß auch der Bundestag bei dem Saarabkommen und dem Zustimmungsgesetz die Schranken beachten mußte, die das Grundgesetz allen Verfassungsorganen beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge zieht.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Und nicht nur wir, sondern auch außerhalb der Sozialdemokratie behaupten ja weite Kreise in Deutschland, daß diese Schranken überschritten worden sind und daß das Zustimmungsgesetz deshalb mit dem Grundgesetz nicht in Einklang steht.
Also diese Erkenntnis, daß man die Schranken respektieren muß, ist gut, sie führt aber jetzt zu dem Zweiten, was Sie auch so schön gesagt haben, daß kein Verfassungsorgan so handeln darf, daß es die Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans beeinträchtigt. Wer hat denn nun zu entscheiden und zu prüfen, ob die Schranken, die dem Bundestag und der Bundesregierung vom Grundgesetz gesetzt sind, rechtlich eingehalten wurden? — Kein anderes Verfassungsorgan als das Bundesverfassungsgericht!

(Zustimmung bei der SPD.)

Also nach Ihrer eigenen Deduktion muß jetzt alles unterlassen werden, was geeignet sein könnte, die Aufgaben und Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts zu beeinträchtigen. Infolgedessen folgt daraus die Rechtspflicht, die Notifizierung des Saarabkommens zu unterlassen, ehe nicht das


(Dr. Arndt)

Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, wie es mit der Vereinbarkeit zum Grundgesetz ist. Das ist das wahre Ergebnis Ihrer Ausführungen.
Und damit bin ich dann beim letzten Punkt, nämlich bei der so etwas sehr vereinfachten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, daß es nicht anginge, einen völkerrechtlichen Vertrag, dem durch ein in drei Lesungen verabschiedetes und verkündetes Gesetz zugestimmt sei, auf Eis zu legen. Nun, die Verpflichtung zu dem Auf-EisLegen ergibt sich im Gegenteil gerade aus der Verfassung, deshalb, weil ein an der Ratifikation zu beteiligendes Verfassungsorgan, nämlich das Bundesverfassungsgericht, noch nicht sein Wort gesprochen hat, das in der Rechtsfrage das letzte Wort ist. Im übrigen, Herr Bundeskanzler, haben Sie es mit Ihrem Kühlschrank jeweils doch so gehalten, wie es Ihnen gefiel.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben z. B. das Heimkehrerentschädigungsgesetz sieben Monate auf Eis gelegt.

(Erneute Zustimmung bei der SPD.) Die Platow-Amnestie haben Sie nie verkündet, (Hört! Hört! bei der SPD)

bis der 2. Bundestag dann den gesetzgeberischen Beschluß des 1. Bundestages wieder aufgehoben hat. Im übrigen ist es ja bei Verträgen mit auswärtigen Staaten so, daß das Zustimmungsgesetz grundsätzlich eine Ermächtigung an das Staatshaupt darstellt und es durchaus fraglich ist, wieweit die Ermächtigung zugleich auch eine Verpflichtung oder eine Bindung ist. Nichts also spricht dafür, hier die Notifizierung des Saarabkommens zu
überstürzen. Von einem Verstoß gegen die Verfassung dadurch, daß man diese Notifizierung nicht unverzüglich vornehme, kann überhaupt keine Rede sein, sondern es ist einmal durchaus noch Zeit und an der Zeit, die Zweifelsfragen durch die Verhandlungen klarzustellen, die Sie, Herr Bundeskanzler, uns bei der ersten Lesung des Saarabkommens ja ausdrücklich selbst versprochen haben,

(Zustimmung bei der SPD)

und zweitens ist es nicht nur noch Zeit, sondern es besteht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, vor einer Notifikation abzuwarten, wie es sich mit der Verfassungsmäßigkeit des Saarabkommens verhält.
Von einer Erledigung unserer Anträge, Herr Kollege Kopf, kann keine Rede sein — so billig sollten Sie es nicht machen —, sondern wir müssen erwarten, daß man uns den vollen Wortlaut des Schreibens des Herrn Bundeskanzlers an den französischen Außenminister Pinay mitteilt und daß man auch im übrigen unseren Anträgen entspricht.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207701900
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0207702000
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Abgeordnete Arndt hat eingangs seiner Ausführungen gesagt, daß man den ganzen Wortlaut meines Briefes vom 14. März an den französischen Außenminister kennen müsse, um klar zu sehen, was bezüglich der Saar darin enthalten sei. Wenn der Herr Abgeordnete Arndt das Stenogramm meiner
Ausführungen nachsieht, wird er finden, daß ich alles, was dieser Brief bezüglich der Saarfrage enthält, mitgeteilt habe, und zwar wörtlich.

(Zuruf von der SPD: Den ganz en Brief!)

Der Herr Abgeordnete Arndt hat dann weiter die Frage an mich gestellt, ob es den Parteien an der Saar, und nicht nur den Parteien, sondern überhaupt an der Saar erlaubt sei, über das zukünftige Geschick an der Saar, über den Friedensvertrag, über den Wunsch, zu Deutschland zurückzukehren — —

(Abg. Dr. Arndt: Zu gehören! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Also, meine Herren, mir ist ja das Wort „zurückzukehren" genau so lieb wie das Wort „zu gehören", denn „zurückzukehren" geht noch weiter, das bedeutet, daß sie wirklich in die Bundesrepublik wieder eintreten.

(Widerspruch bei der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU. — Abg. Albers: Illusionisten!)

Ich kann Herrn Abgeordneten Arndt in Erwiderung auf seine Frage nur bitten, sich den Wortlaut doch genau durchzulesen —, ich darf Ihnen den Wortlaut nochmals vorlesen, Herr Arndt! Es heißt ausdrücklich:
Während der Geltungsdauer des Statuts bis
zum Friedensvertrag wird die Freiheit der politischen Meinung selbstverständlich total sein.
Das schließt in sich — und nach dem Verlauf der Verhandlungen besteht daran gar kein Zweifel —, daß alle diese Punkte erörtert werden können, die Sie eben aufgezählt haben.
Der zweite Satz, meine Damen und Herren, ist kein Widerspruch dagegen.

(Abg. Wehner: Lesen Sie ihn doch vor!)

— Ich werde ihn vorlesen, Herr Wehner, ich habe ihn mir ja deswegen mitgebracht!

(Heiterkeit in der Mitte.) Es heißt in dem zweiten Satz:

Doch ist jede politische Aktion ausgeschlossen, die geeignet ist, das Prinzip des Statuts, d. h. sein reibungsloses Funktionieren, und den inneren Frieden an der Saar direkt oder indirekt zu beeinträchtigen.

(Abg. Wehner: Das heißt nur: die Gedanken sind frei! — Abg. Blachstein: Maulkorb!)

— Verehrter Herr Wehner, es freut mich, daß Sie den Begriff „Aktion" so einschränken!

(Beifall und Heiterkeit in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Dann darf ich noch darauf aufmerksam machen, meine Damen und Herren, daß auch klargestellt ist, daß der Ministerrat der Westeuropäischen Union und der Europäische Kommissar unter dem Ministerrat darüber wachen müssen, daß die Freiheit der politischen Meinung eine totale ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Arnholz: Und Ihre Äußerung?!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207702100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0207702200
Ich darf vielleicht zunächst eine kleine Bemerkung machen über die Form des


(Dr. Mommer)

Verkehrs der Bundesregierung mit dem Bundestag. In unserem Antrag wird darum gebeten, der Bundestag möge über das Kommuniqué der französischen Regierung unterrichtet werden. Der Herr Bundeskanzler hat darauf erwidert, dieses Kommuniqué sei im Nachrichtenspiegel der Bundesregierung vom 5. März veröffentlicht worden, sei deshalb dem Bundestag bekannt. Herr Bundeskanzler, nein, so können Sie nicht mit uns verkehren. Mit dem Bundestag verkehren Sie,

(Abg. Hilbert: Sind Sie allein der Bundestag?!)

indem Sie entweder eine Erklärung abgeben — also in diesem Fall den Inhalt des Kommuniqués zur Kenntnis bringen — oder an den Herrn Präsidenten des Bundestages einen Brief schreiben, den dieser den Abgeordneten des Hauses zur Kenntnis bringt.

(Beifall bei der SPD.)

Dann haben Sie mit dem Bundestag verkehrt, nicht aber, wenn Sie etwas irgendwo, irgendwann in einer Zeitung veröffentlichen. Bei der Gelegenheit muß das einmal gesagt werden. Allzusehr ist
das Ihre Gewohnheit, daß Sie dem Hause und
auch dem Auswärtigen Ausschuß Nachrichten geben, die man irgendwo in der Zeitung lesen kann, und daß Sie dann behaupten, Sie hätten das Haus und den Ausschuß unterrichtet.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Bausch: Das ist nicht unsere Meinung! Das ist Ihre private Meinung! — Gegenrufe von der SPD.)

— Sie meinen ja auch immer, Sie müßten Ihrer Regierung alles gestatten und es sei gleichgültig, wie das Parlament behandelt wird.

(Beifall bei der SPD.)

Die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler zu der neuen Situation in dem Geschehen um den Saarvertrag abgegeben hat, war doch eine Erklärung der totalen Verlegenheit, Herr Bundeskanzler.

(Sehr gut! bei der SPD. Lachen und Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

Das Wort „total" ist hier schon verwendet worden.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Seit 10 Tagen, Herr Bundeskanzler, ist das Protokoll über die neuen Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Saargebiet und Frankreich bekannt, und in Ihren Ministerien studiert man immer noch daran. Man scheint noch nicht einmal so weit gekommen zu sein, daß Sie heute nach 10 Tagen dem Bundestag Ihre Meinung über dieses Protokoll geben könnten.
Da ist ein konkreter Fall und eine konkrete Gefahr: der Fall Röchling. Wann wird Röchling aus dem Saargebiet herausgeschmissen? Was sagen Sie dazu? Sie haben es nicht für nötig befunden, auch nur ein Wort zu dieser sehr, sehr ernsten, weil so symptomatischen Angelegenheit zu sagen.
Dann zu idem Brief! Herr Bundeskanzler, es ist mir im „Dritten Reich" passiert, in die Hände der Gestapo zu fallen, und ein Beamter der Gestapo hat mir gesagt: oh, man dürfe im „Dritten Reich" meinen, was man wolle, man dürfe sich nur nicht für diese andere Meinung betätigen. Das ist die Frage bei dem Saarstatut. Auch heute schon darf man an der Saar meinen, was man will. Man darf sich nur nicht politisch organisieren und betätigen
für diese andere von der französischen Ansicht abweichende Meinung. Darauf kommt es an. Und warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie sich nicht jetzt endlich der Vorarbeiten bedient, die im Europarat zu dieser Frage geleistet worden sind? Wir hatten einen Text vereinbart, in dem jeder Zweifel klipp und klar ausgeschaltet wurde. Es wurde doch in dem Punkt C der Entschließung zur Frage der politischen Parteien in jenem NatersPlan gesagt, daß demokratische Parteien und Zeitungen nicht wieder verboten oder suspendiert werden könnten, solange sie sich an demokratische Spielregeln halten. Und das ist die Frage — Herr Bundeskanzler, können Sie die beantworten? —: Hat Herr Pinay Ihnen gesagt, daß die deutschen Parteien an der Saar und andere Organisationen, z. B. auch Gewerkschaften, in Zukunft in Zeitungen, in Flugblättern und in Versammlungen dafür eintreten dürfen, daß im Friedensvertrag das Saargebiet auch faktisch rückgegliedert wird? Dürfen Sie es, oder dürfen sie es nicht? Ich könnte Ihnen aus einer Rede Pinays im Senat beweisen, daß es so von der französischen Regierung eben nicht verstanden wird.
Um Ihnen den Geist zu charakterisieren, in dem man in Frankreich an die Durchführung des Statuts herangeht, darf ich Ihnen einen Satz aus der Rede Pinays gestern in der Assemblée Nationale zitieren. Er bezieht sich auf den anderen Punkt, in dem es auch um die Freiheit der Saarbevölkerung geht, auf den Art. IX, also jenes Referendum, das im Zuge der friedensvertraglichen Regelung stattfinden soll. Da heißt es — und es ist nötig, daß das hier in unserem Protokoll steht
Da die zweite Volksbefragung an der Saar erst nach dem Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland erfolgen solle, habe Frankreich die Möglichkeit, die Unterzeichnung des Friedensvertrages so lange hinauszuzögern, bis es die gewünschten Zusicherungen in der Saarfrage erhalten habe.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sie sehen, wie man es mit der Freiheit der Saarbevölkerung halten will. Man will alle Mittel des politischen Druckes einsetzen, um diese Freiheit zu überspielen.
Meine Damen und Herren, es ist hier beantragt worden, unsere Anträge als erledigt zu erklären. Das ist völlig unmöglich, und, Herr Kopf, Sie sind sich sicher dessen selbst bewußt, daß diese Dinge nicht erledigt sind. Wir beantragen deshalb, daß unsere Anträge dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen und dort einer weiteren ernsthaften Prüfung unterzogen werden.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207702300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Es sind drei Anträge gestellt. Erstens liegen vor die beiden Anträge auf Drucksache 1245 und auf Drucksache 1293 (neu) — ist inzwischen verteilt —, zweitens der Antrag des Abgeordneten Dr. Kopf, die beiden Anträge fürerledigt zu erklären, und drittens der Antrag des Abgeordneten Dr. Mommer auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß.
Meine Damen und Herren, ich lasse sinngemäß abstimmen nach dem § 29 der Geschäftsordnung über Übergang zur Tagesordnung, wonach zunächst


(Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

über den Antrag des Abgeordneten Kopf abzustimmen wäre.

(Hart! Hört! bei der SPD. — Abg. Mellies: Das ist aber doch wohl ein Unterschied, zur Tagesordnung überzugehen oder für erledigt erklären!)

— Tut mir leid, meine Damen und Herren, die einzige Auskunft unserer Geschäftsordnung ist hier der § 29, von dem ich glaube, daß er sinngemäß anzuwenden ist.

(Abg. Mellies: Zur Geschäftsordnung!)

— Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Mellies.

Wilhelm Mellies (SPD):
Rede ID: ID0207702400
Meine Damen und Herren, ich glaube, es besteht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung und einem Antrag, eine Sache, die hier besprochen ist oder zu der bestimmte Anträge gestellt sind, für erledigt zu erklären. Wir wissen doch, daß mit dem Übergang zur Tagesordnung gleichzeitig eine gewisse Wertung verbunden ist, und, Herr Präsident, ich nehme nicht an, daß in dem Antrag, der hier von dem Kollegen Kopf gestellt warden ist, eine solche Wertung enthalten sein sollte. In allen übrigen Fällen hat aber doch der Überweisungsantrag den Vorzug, damit gesichert wird, daß allen Möglichkeiten, eine Sache noch weiter zu prüfen, auch entsprochen werden kann.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207702500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.

Dr. Heinrich Krone (CDU):
Rede ID: ID0207702600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Kopf hat mit seinen Ausführungen darlegen wollen, daß durch die Antwort des Herrn Bundeskanzlers und durch seine zweite Auskunft die von der Opposition gestellten Fragen ihre sachliche Erledigung gefunden haben. Ihm kann nicht unterstellt werden, er habe damit eine Wertung oder Unterwertung der Frage ausdrücken wollen.
Ich bitte also darum, Herr Präsident, so zu verfahren — wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf —, daß Sie den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß als ersten zur Abstimmung stellen. Wir werden diesem Antrag aus den Gründen, die ich eben genannt habe, nicht zustimmen. Dabei ist dann völlig sichergestellt, daß diese Anträge nur, soweit es Fragen sind, als solche hier beantwortet worden sind.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207702700
Meine Damen und Herren, ich lasse demgemäß abstimmen, zunächst über den Antrag auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß. — Habe 'ich recht verstanden, Herr Abgeordneter Dr. Mommer, daß Sie den Auswärtigen Ausschuß gemeint haben?

(Abg. Dr. Mommer: Jawohl!)

Wer für die Überweisung der beiden Anträge Drucksachen 1245 und 1293 (neu) an den Auswärtigen Ausschuß ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich bitte, die Abstimmung durch Erheben zu wiederholen. Wer für die Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Im Vorstand besteht keine Einmütigkeit. Wir kommen zum Hammelsprung. Ich bitte, den Saal zu räumen.

(Die Abgeordneten verlassen den Saal.)

Ich bitte die Türen zu schließen. — Die Abstimmung beginnt.

(Wiedereintritt und Zählung.)

Ich bitte die Türen zu schließen. — Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für Überweisung der Anträge der SPD-Drucksachen 1245 und 1293 (neu) an den Auswärtigen Ausschuß haben 186 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 226 gestimmt, bei `einer Enthaltung.

(Abg. Wehner: Das ist kein Ruhmesblatt!)

Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Dr. Kopf, die beiden Anträge als erledigt zu erklären. — Herr Abgeordneter Dr. Krone, zur Abstimmung? —

(Zuruf von der Mitte: Nein, hat sich erledigt!)

Wer dafür ist, die beiden Anträge nach dem Antrag des Abgeordneten Dr. Kopf für erledigt zu erklären, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Abgeordneten Dr. Kopf ist angenommen.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Immer weiter mit dem Ausverkauf! — Abg. Wehner: Offener Ausverkauf!)

Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß) im Mündlichen Bericht über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit (Drucksachen 1162, 973, Antrag Umdruck 292).
Meine Damen und Herren! Die Aussprache zu diesem Antrag ist bereits in der letzten Sitzung abgeschlossen worden. Die Abstimmung ist im Einvernehmen des Hauses auf die heutige Sitzung vertagt worden. Es liegen zwei Anträge vor, zunächst ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 292*).
Ich lasse zuerst über diesen Änderungsantrag Umdruck 292 abstimmen. Wer den Antrag Umdruck 292 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag Umdruck 292 ist angenommen. Damit ist der Antrag des Ausschusses, Drucksache 1162, erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1158);
b) Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abgeordneten Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache
1253);
c) Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abgeordneten Dr. Böhm (Frankfurt), Dr. Dresbach, Ruf und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache
1269).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher. *) Vgl. 76. Sitzung, Anlage 2.


Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0207702800
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie brauchen keine Angst zu haben; ich werde nicht übermäßig lange reden. Aber ein paar grundsätzliche Bemerkungen muß ich mir doch gestatten, zunächst einmal zu dem uns vorliegenden Regierungsentwurf. Er ist eigentlich, mit Ausnahme von ein paar Bestimmungen, eine Wiederholung des alten Regierungsentwurfs, der dem früheren Bundestag vorgelegen hat.
Zum Regierungsentwurf möchte ich folgendes feststellen. Die Fassung des Regierungsentwurfs ist in einzelnen Teilen nicht so gut wie die Begründung. Die Begründung ist das beste an dem Regierungsentwurf.

(Heiterkeit.)

Denn in der Begründung steht vieles, was wir vom wirtschaftlichen Standpunkt aus durchaus bejahen können.

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207702900
Meine Damen und Herren, ich muß dringend um Ruhe bitten. Der Redner ist ja kaum zu verstehen.

Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0207703000
Ja, man merkt schon das Läuten der Osterglocken da herinnen, dann zieht auch das Kartellgesetz nicht mehr.

(Heiterkeit.)

Im Mittelpunkt des Kartellgesetzes sollte der Mensch mit seiner wirtschaftlichen Betätigung stehen, und die Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstandes sollte das Ziel .dieses Gesetzes sein. Aber daneben kommt noch ein höheres Ziel in Frage, das noch über dem Kartellgesetz als solchem steht: die Freiheit der Person und ihre Beziehung zum Wirtschaftsleben, und zwar als Wirtschaftssubjekt, sicherzustellen, d. h. die Person davon frei zu machen, daß sie zum Wirtschaftsobjekt allzustarker Wirtschaftskräfte wird. Das ist das Bemühen des Entwurfs, die allzustarken Wirtschaftskräfte in ihrer Betätigung entsprechend einzuengen, damit die einzelnen Personen nicht in die Gefahr kommen, von diesen übermächtigen Kräften in ihrer wirtschaftlichen Existenz irgendwie beeinträchtigt zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister folgendes sagen. Daß das Gesetz, wie wir es landläufig erklären, dem Schutze der Verbraucher dient, ist richtig, es trifft aber nicht genau des Ganze; denn im Wirtschaftsgeschehen sind wir oft Erzeuger und gleichzeitig Verbraucher. Insbesondere kommen hier Teile der mittelständischen Wirtschaft in Frage. Auf diese Verhältnisse muß nach meiner Überzeugung besonders Rücksicht genommen werden. Unter solchen Gesichtspunkten baut sich die Soziale Marktwirtschaft ein.
Ich will nun nicht zu den Ausführungen über Mißbrauchsgesetzgebung und Verbotsgesetzgebung Stellung nehmen; das will ich den Beratungen im Ausschuß überlassen, ich will mich in keine dogmatischen Auseinandersetzungen darüber einlassen. Aber das Gesetz, wie es jetzt im Regierungsentwurf vorliegt, richtet sich ja nicht bloß gegen die Kartelle und nicht in einer solchen Form, wie es im Interesse der Wirtschaft wünschenswert wäre, d. h. es schießt über das Ziel hinaus. Aber der Gesetzentwurf hat auch noch etwas Grundsätzliches an sich. Er ist nicht nur kartellfeindlich, sondern auch kooperationsfeindlich, d. h. er wehrt sich gegen alle Zusammenschlüsse, gleichgültig, welchen Motiven solche Zusammenschlüsse entsprechen.
Der Herr Wirtschaftsminister hat sich auch im Plenum zu diesen Fragen geäußert, und diese Abschnitte möchte ich hier einmal bekanntgeben. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird von mir etwas höflicher behandelt, als es teilweise hier geschehen ist.

(Zurufe von der Mitte: Er ist nicht hier!)

— Nicht hier? Das ist traurig genug, aber einer seiner Hintermänner wird ihm schon berichten.

(Heiterkeit.)

Aber das hindert mich nicht, das herauszuheben, was hier wichtig ist.

(Sehr gut! bei der CSU.) Er führte am 24. März aus:

Es entspricht dem Zeitgeist, wenn heute die Durchsetzung von Gruppeninteressen und Sonderwünschen oder das Verlangen nach stärkerem Wettbewerbsschutz immer mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Ordnung vertreten wird, obwohl Teilregelungen dieser Art das Gefüge der umfassenden Ordnung sprengen und in die Atomisierung und Isolierung treiben müssen. Demgegenüber erkläre ich, daß es in einem geordneten Staat nur eine Ordnung geben kann; das ist die gesellschaftliche Ordnung als Ganzheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn dieser Begriff auf das gesamte Wirtschaftsleben angewendet wird, dann bedeutet das, daß die ordnenden Funktionen, die ,beispielsweise die mittelständische Wirtschaft mit Recht für sich in Anspruch nimmt, hier zugunsten der Funktionen, die die Großen sowieso haben, außer Kraft gesetzt werden. Es muß also eine Ordnung im Gefüge der Wirtschaft da sein, die auf die mittelständische Schichtung der Wirtschaft entsprechend Rücksicht nimmt.
Dann fährt er fort:
Die Zerklüftung und Zerrissenheit einer Gesellschaft wird sich um so stärker ausprägen, je mehr diese in sogenannte Teilordnungen aufgegliedert ist. Der staatliche Dirigismus und Kollektivismus werden um so üppiger gedeihen, je mehr aus diesem Grund ein Zwang vorliegt, das Getrennte mit künstlichen Mitteln wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Hier ist eben nicht auf die innere Schichtung der Bevölkerung und des Wirtschaftslebens Rücksicht genommen. Dann fährt er weiter fort:
Wo Marktordnungen und Berufsordnungen überhandnehmen, da wuchert der Egoismus.
Ich sage folgendes: Wo keine Marktordnungen und Berufsordnungen ,der mittelständischen Wirtschaft bestehen, ist der Egoismus der großen Gebilde des Wirtschaftslebens allein maßgebend.

(Beifall bei der CSU.)

Das ist das, was in der Konzeption des Bundeswirtschaftsministers aus dem Rahmen seiner Sozialen Marktwirtschaft herausfällt. Da wird die Marktwirtschaft nicht mehr sozial, da wird sie unsozial, da wird diese Marktwirtschaft den Übermächtigen des Wirtschaftslebens ausgeliefert. Ich


(Dr. Horlacher)

muß ja sagen: Der Bundeswirtschaftsminister ist sonst ein glänzender Mann, den bringt kaum etwas aus der Ruhe. Er hat auch viel geleistet, das wol-. len wir nicht abstreiten. Aber er ist gleichzeitig ein großer Theoretiker, und er versteht es, mit gleisnerischen Worten das der Bevölkerung so klar zu machen, daß man es selbst glaubt, auch wenn man nicht möchte.

(Heiterkeit und Beifall.)

Er übt also hier eine magnetische Anziehungskraft auf das Denken der Bevölkerung aus. Um so mehr ist es für uns notwendig und wichtig, daß wir hier Obacht geben, damit die Verhältnisse nicht über uns hinweggehen und letzten Endes etwas anderes zustande kommt, als wir wünschen müssen.
Ich darf hier aus den Ausführungen des Herrn Professor Dr. Back (Erlangen) zu diesem Punkt folgendes zitieren:
Die Frage erhebt sich, ob ein gleichmäßiges Verbot aller Zusammenschlüsse, Rechtsgeschäfte usw., die überhaupt eine Einschränkung des Wettbewerbs befürchten lassen, alle Marktteilnehmer gleichmäßig trifft. Wir kennen einerseits Zusammenschlüsse von Unternehmen, die durch eine entsprechende Beschränkung des Wettbewerbs unter den Mitgliedern diese erst befähigen, gemeinsam auf höherer Ebene oder auf der vorgelagerten Produktions- oder Handelsstufe eine wirtschaftliche Tätigkeit in Konkurrenz . mit größeren Unternehmungen aufzunehmen, und andererseits Zusammenschlüsse größerer kapitalistischer Unternehmungen, die mit ihrem Zusammenschluß sich eine Monopolstellung verschaffen wollen und zu deren Ausnützung eine Politik des Behinderungswettbewerbs mit marktstrategischen Mitteln betreiben.
Sie sehen hier das Bestreben von Teilen der Wirtschaft — und das ist auch ein gesundes Bestreben —, sich durch organische, vernünftige Zusammenschlüsse gegen das Überwuchern eines totalen Zusammenschlusses von einigen Großen zur Wehr zu setzen. Deshalb ist die Frage für uns von so ausschlaggebender Bedeutung.

(Beifall bei der CSU.)

Wir müssen dabei also berücksichtigen, daß wir hier ein harmonisches Zusammenwirken der Wirtschaftskräfte sicherstellen, daß wir hier nicht die Übermacht der Großen sichern und demnach durch allzu weitgehende Verbote die Korrektur der Wirtschaft auf den verschiedenen Gebieten unmöglich machen. Wir haben den Wunsch, daß hier keine Störung im Wirtschaftsleben eintritt. Wir haben den Wunsch, daß das marktpolitische Gleichgewicht unter allen Umständen aufrechterhalten wird. Wir wollen hier nicht durch Kartellgesetze ein marktpolitisches Übergewicht der Großen stabilisieren, sondern wir wollen durch eine vernünftige Gesetzgebung das marktpolitische Gleichgewicht der kleinen und mittleren Existenzen sicherstellen.

(Abg. Raestrup: Sehr gut!)

Das ist unsere Aufgabe.
Das heißt mit anderen Worten — ich könnte es auch noch anders formulieren —: Wir müssen die entsprechenden Startbedingungen in der Wirtschaft dort korrigieren, wo es notwendig ist. Denn einem Monopol zu Leibe rücken — schauen Sie sich doch die Gesetze an! —, das kann nicht einmal der Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich glaube, das bringt er nicht fertig.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207703100
Herr Abgeordneter, erlauben Sie, daß ich Sie einen Augenblick unterbreche für eine dringende Bekanntgabe. — Meine Damen und Herren, der Ältestenrat kann nicht jetzt zusammentreten, sondern erst 11 Uhr 45.
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter; fahren Sie fort!

Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0207703200
Sie sehen, daß ich mit meinen Ausführungen jetzt auf dem richtigen Wege bin. Denn wenn ich die Begründung des Gesetzentwurfs der Regierung hernehme, so lese ich dort auf Seite 22 folgendes:
Der Gesetzgeber muß also seine Aufgabe darin sehen:
a) Störungsfaktoren im Marktablauf dadurch auszuschließen, daß er die vollständige Konkurrenz in einem möglichst großen Umfang erhält.
Sie sehen hier die Worte: „die vollständige Konkurrenz". Ja, was ist Konkurrenz? Was ist Wettbewerb? Wann ist der Wettbewerb unvollständig? Wann ist der Wettbewerb vollständig? Das sind so lauter Sachen, die in den Ausschußberatungen gründlichst erörtert werden müssen.

(Abg. Dr. Dresbach: Horlacher, als Schüler von Lujo Brentano müssen Sie das doch wissen! — Heiterkeit.)

— Jetzt kommen Sie mit dem alten Kram daher!

(Erneute Heiterkeit.)

Erstens einmal bin ich stolz darauf, sein Schüler gewesen zu sein, weil er ein hervorragender Professor war, und Sie dürften sich glücklich schätzen, wenn Sie auch ein Jünger von ihm gewesen wären.

(Abg. Dr. Dresbach: Sie waren sogar sein Assistent!)

— Ja, das war ich! Gott sei Dank! Na ja, das merkt man doch heute noch!

(Heiterkeit und Beifall.)

Es heißt dann in der Begründung weiter:
Der Gesetzgeber muß also seine Aufgabe darin sehen:
b) auf Märkten, auf denen die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht hergestellt werden kann, die mißbräuchliche Ausnutzung der Marktstellung zu verhindern.
Da haben Sie das auch darin. Ich sage: Die Begründung zum Gesetz ist bedeutend besser als das ganze Gesetz selber. Wenn wir die Begründung maßgebend sein lassen und ändern das Gesetz nach der Begründung, dann kommen wir ungefähr auf den richtigen Weg.
Es heißt dann weiter:
Der Gesetzgeber muß also seine Aufgabe darin sehen:
c) ein staatliches Organ zur Überwachung und, wenn nötig, zur Lenkung des Marktgeschehens zu schaffen.
Sie sehen also daraus — da kommen wir zum nächsten Punkt —: ich habe einen gewissen Horror, eine gewisse Furcht vor bürokratischen Gebilden, die in das Wirtschaftsleben eingreifen sollen. Die


(Dr. Horlacher)

Bürokratie hat noch jedes Mal versagt, wenn sie
sich zu weit ins Wirtschaftsleben eingemischt hat.

(Beifall bei der CSU.)

Nach meiner Überzeugung müssen hier die Sicherungen getroffen werden, daß das Gesetz auf das beschränkt wird, was zur Existenz und Freiheit des wirtschaftenden Bürgers nötig ist.

(Zuruf.)

— Ach geh; ich habe doch sicher nichts Unrechtes gesagt, und wenn Sie meinen, Sie bringen mich durch solche geistlosen Zwischenrufe draus, dann irren Sie sich.

(Heiterkeit bei der CSU. — Zurufe.)

— Ja, ich möchte wissen, was Sie damit hier haben!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207703300
Herr Abgeordneter, ich vermute, das war ein Zeichen der Sympathie und Zustimmung!

Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0207703400
So? Dann nehme ich das wieder zurück,

(große Heiterkeit)

weil ich ja ,auch so höflich bin. Man soll sich das Leben nicht gegenseitig saurer machen, als es sowieso schon ist.
In der Begründung lesen Sie nach — ich will das im einzelnen nicht wiederholen —, was da gesagt wird über Marktaufsicht bei unvollständigem Wettbewerb, was da alles ausgeführt ist über den Markt, wenn der Wettbewerb vollständig in Ordnung ist. Das ist alles in der Begründung enthalten, viel besser, als ich es hier noch einmal wiederholen kann.
Es gibt ganze mittelständische Gruppen, die nicht über den vollständigen Wettbewerb verfügen. Zu diesen Gruppen gehören Teile des Mittelstandes, und zum Mittelstand gehört auch die Landwirtschaft.

(Sehr gut! bei der CSU.)

Was hier bezüglich der Landwirtschaft ausgeführt ist, entspricht in vollem Umfange der Wirklichkeit. Nur hat der Gesetzgeber nicht mehr die Schlüsse daraus gezogen, die früher daraus gezogen worden sind. Es wäre seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Schlüsse auch jetzt gezogen werden.
Ich darf hier nur betonen, daß die Landwirtschaft ja eine besondere Marktstellung hat. Das kann kein Mensch leugnen. Sie kann sich nicht übermäßig ausdehnen, sie kann sich nicht gleichzeitig nach der Konjunkturlage einschränken. Sie muß die Lage, die ihr die Naturbedingungen geben, so hinnehmen, wie sie ist. Sie muß eine Überproduktion hinnehmen, sie kann sie auch nicht regulieren; denn in der Landwirtschaft hängt alles von den gottgegebenen Naturbedingungen ab. Sie kann sich nicht beliebig verlagern, sie kann sich nicht beliebig verändern, sie kann nicht beliebig Betriebszusammenlegungen oder -umlegungen vornehmen. Sie kann ihre Produktionsart nicht beliebig ändern. Sie ist auch in ihrem Absatz an bestimmte Verhältnisse gebunden. Sie hat keinen regulären jährlich fortlaufenden Absatz der Produkte; auf Teilgebieten schon, nicht auf allen Gebieten. Wenn Sie die Getreideernte oder die Zukkerrübenernte und auch andere Gebiete betrachten, dann sehen Sie, ,daß hier der Begriff der Saison, des saisonmäßigen Absatzes eine Rolle spielt. Und der saisonmäßige Absatz der Landwirtschaft hat sich gegenüber früher sogar verstärkt. Ich erinnere nur an den Mähdrescher und die Verhältnisse, die dadurch herangewachsen sind. Der Landwirt heute neigt nicht so wie früher dazu, in den Winter hinein zu dreschen, sondern dazu, möglichst viel Getreide bis zum Monat Oktober, November, vor der Frostperiode, zu verkaufen. Das sind also ganz andere Verhältnisse als ehedem; und da muß jemand da sein, der das aufnimmt. Der Landwirt allein hat einen unvollständigen Wettbewerb. Denn die Millionen der Kleinbauern und Mittelbauern, die hier im Marktgeschehen drinstehen, sind vollständig Objekte des Marktgeschehens, wenn sie nicht von sich aus etwas unternehmen, um sich in den Wirtschaftsverkehr einschalten zu können.

(Abg. Dr. Reif: Die sind doch im Gesetz gar nicht drin!)

— Doch! Da haben Sie das Gesetz nicht ganz gelesen. Wenn Sie den alten Entwurf in Erinnerung haben, stimmt es; wenn Sie den neuen Entwurf meinen, dann stimmt es nicht. Aber ich zeige Ihnen das.

(Abg. Dr. Reif: Ja, bitte!)

Da ist nämlich die Sache so, daß die unteren Organe der landwirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen nach dem neuen 'Gesetzentwurf herausgenommen sind, aber die oberen Gebilde nicht, und in der Begründung zum alten Gesetzentwurf seitens des Bundesrates ist genau dargestellt, aus welchen Gründen diese oberen Gebilde der Abwehr und der Selbsthilfe notwendig sind. Deswegen möchten wir haben, daß diese Frage eingehend erörtert wird.
Ich habe also die Gesichtspunkte, auf die es ankommt, herausgestellt und möchte das jetzt nicht vertiefen. Es ist wichtig, daß hier in vernunftgemäßer Weise zusammengearbeitet wird, um dem Gesetz eine Gestalt zu geben, damit es erstens der Gesamtbevölkerung dient, zweitens keine Störung in den Wirtschaftsaufstieg Deutschlands hereinträgt, drittens keine übermäßige Verbürokratisierung hervorruft und viertens dazu beiträgt, die Freiheit und Existenz jedes einzelnen deutschen Staatsbürgers in der deutschen Bundesrepublik sicherzustellen. Mit diesem Wunsche möchte ich hoffen, daß wir an die Beratung dieses Gesetzes herangehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0207703500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.

Dr. Hans Reif (FDP):
Rede ID: ID0207703600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie entschuldigen, wenn ich meine Rede vom vorigen Donnerstag gewissermaßen fortsetze; denn Sie wissen: wir hatten vorzeitig abgebrochen, und ich hatte mich nach dem ersten Agreement bereit erklärt, nur zehn Minuten zu sprechen, mit denen ich nicht ganz ausgekommen war.
Ich darf vielleicht an die Bemerkung anknüpfen, die mein verehrter Herr Vorredner zur Charakterisierung unseres Herrn Wirtschaftsministers gemacht hat, er sei eben ein Theoretiker. Diese
I Versuche, diejenigen, die glauben, auf Grund jener


(Dr. Reif)

Zusammenfassung von Erfahrungen, die man im allgemeinen Theorie nennt, etwas von der Generallinie der Wirtschaftspolitik zu verstehen, ais Ideologen oder Dogmatiker zu diffamieren, sind ja ein Charakteristikum der Auseinandersetzung um dieses Kartellgesetz. Auf der einen Seite sagt man: das ist eine Angelegenheit von Spezialisten, und möchte damit den Eindruck erwecken, es handle sich um eine ganz harmlose Angelegenheit, die das Volk und die Politik nicht berühre. Auf der andern Seite versucht man — und ich habe das schon heute vor acht Tagen angedeutet —, sich Theoretiker zur Begründung der Ablehnung zu verschreiben. Ich möchte noch einmal feststellen: wenn sich der Bundesverband der Industrie einen bekannten sozialistischen Theoretiker, nämlich den Kollegen Peters aus Tübingen, holt, um in einem Memorandum den Nachweis zu führen, daß es die Wettbewerbswirtschaft gar nicht gebe, so ist das ein sehr gefährliches Spiel. Ich möchte sagen: wie unsicher muß die Situation ,derjenigen sein, die uns das Kartellgesetz des Herrn Bundeswirtschaftsministers ausreden wollen, wenn sich diese Vertreter der deutschen Industrie von einem sozialistischen Theoretiker den Nachweis führen lassen, daß es Wettbewerb nicht gibt. Ich weiß gar nicht, ob sich die Herren darüber klar sind, wie sie mit dem Feuer spielen, wenn sie das tun. Man sieht aber auch daraus, wieviel ihnen daran liegt, daß dieser Entwurf so, wie er ist, nicht zum Zuge kommt.
Meine Damen und Herren, ich habe die Grundsätze, nach denen wir uns an der Arbeit an diesen drei Entwürfen beteiligen wollen, schon das letzte Mal entwickelt. Ich möchte hier nur noch eines ganz kategorisch feststellen, und ich möchte bitten, daß man in der Generaldebatte nicht immer um diesen entscheidenden Punkt herumgeht. Die beiden Möglichkeiten der Behandlung der Kartellfrage unterscheiden sich doch nur dadurch, daß in dem einen Fall die Regierung und ihre Apparatur die Beweislast für den Mißbrauch trägt, während in dem andern Fall, dem Fall des sogenannten Verbotsprinzips, das man eigentlich Erlaubnisprinzip nennen sollte, nicht mehr verlangt wird, als daß derjenige, der ein Kartell wünscht, nachweist, daß damit keine gefährlichen Nebenwirkungen verbunden sind. Nichts anderes als diese Übertragung der Beweislast auf die immer branchenmäßig sachverständigen Interessenten wird hier gefordert.
Wenn man gegen diese beinahe selbstverständliche Forderung nun einen solchen Apparat aufwendet, wenn man, um es noch einmal zu sagen, sich theoretisch die Unmöglichkeit der Wettbewerbswirtschaft durch einen Anhänger der Planwirtschaft nachweisen läßt, wenn man in der Art, wie es z. B, in der „Kartelldebatte" geschehen ist, versucht, Äußerungen über die große Wendung der deutschen Wirtschaftspolitik vom Jahre 1878/79 als einen Ausfluß der Morgenthau-Gesinnung, als eine Beschimpfung unserer Vergangenheit hinzustellen, dann arbeitet man doch mit einem Geschütz, dessen Anwendung den Eindruck immer mehr verstärkt, daß man von dem eigentlichen Kernpunkt ablenken will. Und dieser Kernpunkt ist die Frage der Beweislast und sonst nichts.
Damit komme ich auch zu den Bemerkungen, die der Kollege Horlacher eben gemacht hat. Selbstverständlich ist es so, daß es in der Wirtschaft verschiedene Machtverhältnisse gibt. Aber, Herr Kollege Horlacher, es ist doch nicht so, daß diese Machtverhältnisse in einer nichtorganisierten Wirtschaft vorhanden und in einer organisierten nicht vorhanden sind, sondern die ganze Tragödie der deutschen Wirtschaftsentwicklung der letzten 50, 60 Jahre besteht doch darin, daß in der Organisation ihrer Marktinteressen die Vertretung von Rohstoffen und Halbfabrikaten den Anfang gemacht hat und daß sie auch zuerst die wirklich leistungsfähigen Marktverbände entwickelt hat. Vom Konditionenkartell ging es aus über das Preiskartell zum Quotenkartell und von da zum Syndikat. Das ist ein inneres Lebensgesetz, das sich gerade in der deutschen Wirtschaftsgeschichte nachweisen läßt. Und danach erst wird doch die Weit erverarbeitung unter den Druck ihrer Vorproduktionen gesetzt, und es wird versucht, nun den Druck weiterzuwälzen, was dem letzten Verarbeiter, also demjenigen, der die wirkliche Veredelungsarbeit leistet, der in der Auseinandersetzung mit dem wirklichen Markt, mit dem Konsumenten und vor allen Dingen mit dem Weltmarkt steht, nicht mehr gelingt. Es ist eine völlige Verschiebung des Sinnes der Wirtschaft. Die Fertigverarbeitung, die Veredelung, wird in den Dienst der Halbfabrikation und der Rohstofferzeugung gestellt, wird diesen Gruppen tributpflichtig und hat meist gar nicht die Möglichkeit, diesen Druck weiterzuwälzen.
Und gerade dann, wenn Sie die Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung einem freien Kapitalmarkt, einem natürlichen Zinsfuß und der Ausrichtung nach Rentabilitätsgesichtspunkten überlassen, ja, dann verfälschen Sie doch diese Daten, indem Sie durch Organisation Rentabilitätsverhältnisse erzwingen, die im wirklichen Markt gar nicht vorhanden wären. Es ist nicht so, daß man die deutsche Wirtschaft — sagen wir einmal — von seiten unserer Banken aus gezwungen hat, in ihren Investierungen die Rohstoffaufbereitung und die Halbfakrikation zu bevorzugen. Das ist eine Wirkung der durch die Kartelle denaturierten Rentabilitätsverhältnisse. Gerade in der Frage, die uns immer wieder gestellt wird: Wie kommen wir über gewisse Schwierigkeiten der Investitionen, besonders der Montanindustrie hinweg?, müssen wir doch heute dieses Erbe der Vergangenheit irgendwie überwinden. Es wäre ja gar nicht so schwierig, wenn nicht, insbesondere durch die Quotenkartelle, im rheinisch-westfälischen Industriegebiet Schächte abgeteuft worden wären, die man überhaupt nicht benutzen wollte, die man nur abgeteuft hat, um eine höhere Quote zu erzielen.
Nun die andere Frage, meine Damen und Herren! Es ist gesagt worden: eine kartellierte Wirtschaft ist ein Schutz gegen das Überhandnehmen anderer Formen der wirtschaftlichen Machtstellung, also z. B. der Konzernbildung. Wiederum muß ich sagen: wir brauchen doch bloß in der deutschen Wirtschaftsgeschichte der letzten 30 Jahre gerade hier in dieser Gegend uns umzusehen, um zu wissen, in wie starkem Maße — denken Sie doch an die Entstehung des Stinnes-Konzerns — es doch damals im Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat üblich war, daß einzelne Vertragspartner dazu gedrängt oder dazu verlockt wurden, durch sogenannten Eigenverbrauch aus der Disziplin des Kartells herauszukommen. Dieser Druck, aus der Preisdisziplin herauszukommen, hat dazu geführt, daß man sich nun vertikal alle möglichen Produktionen angegliedert hat. Also die Behauptung, daß eine durchkartellierte Wirtschaft einen Schutz gegen das Überhandnehmen anderer Machtpositionen darstelle, ist mindestens im Bereich der Montanindustrie und der Erzeugung von Halbfabrikaten — auf den kommt es an — nicht richtig. Die


(Dr. Reif)

deutsche Wirtschaftsgeschichte beweist das Gegenteil.
Nun noch eines! Es spielt seit langem, ich möchte sagen, seit Anfang der 20er Jahre in Anwendung von Lehren des vielleicht nicht ganz richtig verstandenen Professors Schmalenbach — wobei ich offen lasse, wieweit er selbst daran schuld ist, daß er mißverstanden wurde — doch immer wieder die Behauptung eine Rolle, daß man die Kartelle, vor allem auch in Krisenzeiten, brauche, weil seit jener Zeit, in der der Wettbewerb vielleicht noch eine unbestrittene Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung war, der Anteil der fixen Kosten in der Produktion so gewachsen sei, daß man es dem Produzenten nicht nur nicht verübeln könne, sondern ihm empfehlen müsse, sich durch verbandsmäßige Organisation die Kostendeckung zu sichern. Wenn unsere Unternehmer doch endlich begreifen und manche vielleicht auch zugeben wollten, daß in der Tatsache des Größerwerdens der Bedeutung der fixen Kosten in der Produktion nicht eine Verhärtung, sondern ganz im Gegenteil eine größere Elastizität der Preisbildung liegt! Die Beweisführung geht doch genau umgekehrt. In den Bereichen wie der Montanindustrie, in denen die fixen Kosten schon seit langem eine sehr große Rolle spielen, ist unter Umständen der Konkurrenzkampf in Krisenzeiten sehr viel schärfer, gerade deshalb, weil man sich vorübergehend damit begnügen kann, nur die proportionalen Kosten zu decken. Darin liegt doch die Überlegenheit dieser Produktionsbetriebe. Sicherlich gibt es hier manchmal eine Verschärfung der Konkurrenz, die es dort, wo es nur proportionale Kosten gibt, gar nicht geben kann. Aber das heißt doch gerade, daß Maßnahmen zur Sicherung der Deckung der Generalunkosten oder der fixen Kosten oder wie Sie es nennen wollen, gar nicht notwendig sind. Dieses Argument zieht also nicht. Der Anteil der fixen Kosten an der Produktion — das wiederhole ich — macht die Preisberechnung der Unternehmungen beweglich und macht sie nicht starr.
Ein letztes aus der Reihe der Argumente! Ich möchte mich ja nicht wiederholen. Ich komme noch einmal auf den merkwürdigen Versuch zu sprechen, den der Bundesverband der Deutschen Industrie gemacht hat, indem er sich einen sozialistischen, als Planwirtschaftler bekannten Theoretiker zu einer theoretischen Attacke auf das System des Wettbewerbs verschreibt. Im Zusammenhang der deutschen Kartelldebatte, die ja seit dem Jahre 1884 im Gange ist, ist immer wieder das Argument vorgetragen worden, daß eine kartellierte Wirtschaft auch sozialpolitisch leistungsfähiger sei als eine freie Wirtschaft. Für eine von Natur aus mächtige Branche wie die Montanindustrie und die Herstellung von Halbfabrikaten ist es richtig, daß, wenn diese Branche durchkartelliert ist, die in ihr beschäftigte Arbeitnehmerschaft in der Lage ist, falls die betreffende Gewerkschaftsgruppe mit den Unternehmern an einem Strang zieht, der Volkswirtschaft einen Tribut aufzuerlegen, an dessen Ertrag sie durch höhere Löhne Anteil hat. Wir haben das ja in unserem Vaterlande gelegentlich erlebt, insbesondere bei den Kohlenpreisen. Aber das ist eben die Ausnutzung eines Machtverhältnisses. Und was ist denn die Folge? Die Folge ist doch, daß diejenigen Produzenten und ihre Arbeitnehmer, die auf die Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe oder Halbfabrikate angewiesen sind, auch sozialpolitisch und lohnpolitisch in die Enge getrieben werden, und zwar auch die Arbeitnehmer an der Peripherie der Produktion, d. h. dort, wo die Veredelungsarbeit geleistet wird. Gerade diese Arbeitnehmer zahlen doch die Kosten der Lohnpolitik, die, wie ich vollkommen zugebe, innerhalb des Zentrums der Volkswirtschaft, d. h. dort, wo die Rohstoffe und Halbfabrikate erzeugt werden, auf Grund der Machtstellung ermöglicht wird. Das ist aber kein echtes volkswirtschaftliches Argument, sondern das ist ganz im Gegenteil die Anerkennung einer für den weitaus größten Teil der deutschen Arbeitnehmer höchst unerfreulichen Tatsache.
Ich möchte schließen mit der Bemerkung, mit der ich am vorigen Donnerstag meine Ausführungen eingeleitet habe: Man soll diese ganze Kartellfrage doch nicht so hinstellen, als handle es sich hier um eine ökonomische Auseinandersetzung im engeren Sinne. Es handelt sich auch um eine ökonomische; das ist ganz selbstverständlich. Aber ich sagte Ihnen schon neulich: ist denn das ein Zufall, daß diejenigen Länder, in denen der bürgerliche Individualismus in der Wirtschaft und auch in der Politik von jeher eine entscheidende Rolle gespielt hat, sobald sich diese auf der Vertragsbasis entstehende Ausschaltung der Freiheit des Wettbewerbs bemerkbar machte, zu einer Verbotsgesetzgebung geschritten sind?

(Abg. Raestrup: Wo denn?)

Das ist doch kein Zufall. — Wo denn? Nun, an- gefangen hat Kanada, dann sind die Vereinigten Staaten gefolgt. Wenn die Engländer es nicht brauchen, dann liegt das daran, wie ich neulich schon gesagt habe — —

(Abg. Raestrup: Und in Europa?)

— Ich spreche jetzt von den Engländern; ich kann ja nicht alles in einem Satz sagen.

(Abg. Raestrup: Ich kann ja mal fragen!)

Wenn die Engländer ein solches Kartellgesetz nicht gebraucht haben, so liegt es doch einmal daran, daß der englische Unternehmer durch das Ausmaß seines Individualismus überhaupt kartellfeindlich ist und daß die wenigen Fälle, wo es wirklich einmal notwendig war, durch die Anwendung des englischen Common Law erledigt wurden. Ich sagte neulich, wie zur Zeit der Bill of Rights Mr. Justice Coke einem Ansinnen der Londoner Ärzte, die bei der fachmäßigen Beurteilung der Zulassung eines Kollegen einen gewissen Zunftgeist entwickelten und die Dinge nach dem Bedürfnisprinzip erledigen wollten, begegnet ist. Damals ist jenes Urteil ergangen, das heute noch für die englische Rechtspraxis eine gewaltige Bedeutung hat, in der dieser Versuch, eine Monopolstellung zu schaffen, abgewehrt wurde. Und von dieser Zeit an hat die englische Gesetzgebung konsequent den Standpunkt vertreten, daß die Wettbewerbsfreiheit nicht durch Vertrag eingeschränkt werden kann.
Nun, meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, wie es im übrigen Europa ist. Ich gebe vollkommen zu — aber ich glaube, das würde viel zu sehr in die Einzelheiten gehen, wenn ich Ihnen das jetzt im einzelnen nachweisen wollte —, daß es eine gewisse Klientel der deutschen Kartellverordnung von 1923 gibt, z. B. in Polen, z. B. in Jugoslawien, ein sehr viel verbessertes System in der Tschechoslowakei. Aber von diesen Ländern, um die es sich da handelt, ist eigentlich nur die Tschechoslowakei, und auch die nicht einmal so wie wir, als Industrieland im eigentlichen Sinne des


(Dr. Reif)

Wortes anzusprechen. Wenn Agrarländer, wenn Länder, in denen die Agrarproduktion die bei weitem überwiegende Rolle im volkswirtschaftlichen Budget spielt und die nun auch einige Industriegruppen haben, angesichts der sehr viel geringeren volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Industriegruppen zu einer Gesetzgebung gekommen sind, die sich an die deutsche Verordnung vom November 1923 anlehnt, so ist das nicht weiter beweiskräftig. Denn bei ihnen spielt eben diese Frage volkswirtschaftlich nicht eine solche Rolle wie in einem Lande, das nun schon seit fast hundert Jahren von der Entwicklung seiner Industrie und von der Auseinandersetzung dieser Industrie mit dem Weltmarkt lebt.
Aber ich komme noch einmal auf das Politische zurück. Schon die früheren Kartelldebatten in Deutschland — und wir haben sie seit 1884 — haben immer wieder gezeigt, daß wir in unserem Volk einen merkwürdig großen Respekt vor jeder, nun, ich möchte einmal sagen, künstlichen Ordnung, vor dem Begriff des Ordnens haben und sehr viel weniger Sinn für die natürliche Ordnung, die in den Dingen selber liegt. Ich sagte vorhin, es ist kein Zufall, daß die angelsächsischen Länder auf Grund des dort herrschenden Individualismus, der ja auch ihr Verfassungsleben kennzeichnet und, ich möchte sagen, auszeichnet gegenüber dem Bemühen bei uns; wir quälen uns damit ab, eine demokratische Verfassung demokratisch zu handhaben. Das steckt eben dort seit Jahrhunderten drin. Dieses Volk aber ist durch seine Geschichte gewohnt, an eine Ordnung von oben zu glauben. Das spielt in unserem Denken noch eine sehr große Rolle. Wenn jemand sagt: Der Markt muß doch geordnet werden, dann wird er bei dem Laienpublikum in Deutschland immer sehr schnell Zustimmung finden. Denn sie alle haben das Bedürfnis, zu sagen: Das ist richtig; irgend jemand muß sagen, was geschehen soll. Das hat uns leider unsere deutsche Geschichte als Hypothek auferlegt. Ich bin aber der Meinung, daß wir es überwinden müssen, wenn wir Demokraten werden wollen.
Nun ein Allerletztes. In jenen Bereichen der durchorganisierten Wirtschaft vollzieht sich ein gewisser sozialer Ausleseprozeß, den ich persönlich für nicht gut halte. In dem Maße nämlich, in dem in gewissen Bereichen der Produktion das ökonomische oder, um es einmal deutlicher zu sagen, das kaufmännische Risiko ausgeschaltet wird, wird nach und nach die bisher kaufmännische Leitung des Unternehmens ersetzt durch die technische. Diesen Prozeß können Sie überall beobachten. Ich möchte nichts gegen unsere Techniker und ihre gewaltigen Leistungen sagen. Aber Wirtschaft ist Wirtschaft, und ich behaupte, daß ein Industrievolk, ein großes, ein bedeutendes Industrievolk, das sich in der Auseinandersetzung mit dem Weltmarkt behaupten will, es sich auf die Dauer gar nicht leisten kann, daß die eigentlichen Dispositionen unserer entscheidenden Unternehmungen mehr von technischen als von kaufmännischen Uberlegungen bestimmt werden. Ich glaube, daß wir schon in der Art und in dem Ablauf der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 — so, wie die Dinge sich bei uns abgespielt haben — genügend Erfahrungsmaterial darüber finden können, daß es eben nicht kaufmännisches Handeln und Überlegen gewesen ist, das in der Zeit vorher vielfach den Gang der Dinge bestimmt hat, sondern das an sich sehr ehrenwerte, sehr nützliche technische Denken.
Ich halte diesen Prozeß auch für sozial gefährlich. Je stärker die Organisation und Konzentration — damit will ich abschließen —, um so geringer die Aufstiegschancen derjenigen Menschen, die als junge Kaufleute in diese Betriebe hineinkommen und die glauben, auf Grund ihrer Erfahrungen einmal das Recht zu haben, in der Leitung der Betriebe mitzuwirken. Sie können das auf der ganzen Linie beobachten. Bitte, sehen Sie sich die deutschen Unternehmungen in den letzten Jahrzehnten an! Sehen Sie sich an, wie groß der Anteil der Kartellierung gewesen ist; sehen Sie sich selbstverständlich auch die Konzernbildungen an, und Sie werden finden: Dort wird allmählich eine Führungsauslese Mode, die mit einem kaufmännischen Ausleseprozeß nichts mehr zu tun hat. Ich will in diesem Zusammenhang nicht das Wort „verbürokratisieren" gebrauchen; so weit ist es noch nicht überall. Aber gewisse Merkmale für die Aufstiegsberechtigung, wie sie auch in der Bürokratie üblich sind — und ich möchte vielleicht hinzufügen: schon zu einer Zeit, wo wir noch keine Demokratie in Deutschland hatten, in der Bürokratie üblich waren —, setzen sich nach und nach auch in unseren großen Unternehmungen durch. Das halte ich sozial und wirtschaftlich und politisch für bedenklich.
Sehen Sie also diese Frage, meine Damen und Herren, bitte nicht als eine Angelegenheit enger Spezialisten an. Es ist eine Frage der wirtschaftspolitischen Generallinie an sich. Es ist eine Frage der Wirtschaftsverfassung genau wie die Frage des Mitbestimmungsrechts, und es ist deshalb auch eine eminent politische Frage. Ich habe neulich gesagt, dieses Parlament hat darüber zu entscheiden, ob diese politische Frage in Anerkennung ihrer Vielgestaltigkeit und ihrer zentralen Bedeutung entschieden wird oder nicht. Ich habe neulich die Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers zitiert: „Wir werden eine Rüstungshausse in Deutschland verhindern; wir haben die Machtmittel dazu". Der Beweis, o b wir sie haben — wir kennen sie; ob wir aber die Macht haben, sie anzuwenden —, wird dadurch geliefert, wie dieses Haus die Kartellfrage auf Grund der Vorlagen, die jetzt zur Verfügung stehen, erledigt.

(Beifall bei der FDP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207703700
Das Wort hat der Abgeordnete Samwer.

Adolf Franz Samwer (CDU):
Rede ID: ID0207703800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich als Sprecher der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE bemühen, meine Bemerkungen zur Frage eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen — kurz, aber zu eng „Kartellgesetz" genannt — recht schlicht zu fassen, da ich meine, diese Frage ist im bisherigen Verlauf der Parlamentsbehandlung allzu reichlich mit Theorien verbrämt worden, während es sich doch letztlich um sehr nüchterne, praktische Vorgänge in der Wirtschaft handelt.
Das allgemeine Ziel ist die Sicherung eines bestmöglichen Funktionierens der Wirtschaft, insbesondere d e s Teils der Gesamtwirtschaft, den wir als „Marktwirtschaft" bezeichnen. Sie steht unter dem übergeordneten Grundsatz, daß sie sozial verpflichtet ist. Dementsprechend sollen die wirtschaftlich Schwächeren, vor allem die Verbraucher, vor Kartellnachteilen angemessen geschützt werden.

(Zustimmung beim GB/BHE und in der Mitte.)



(Samwer)

Ich möchte als gleichgewichtigen wirtschaftlichen Gesichtspunkt hinzufügen, daß die Unternehmungen der Produktion und der Verteilung selbst leistungsfähig bleiben müssen.

(Abg. Raestrup: Sehr gut!)

Die Vorlagen reichen von der klassischen Theorie des Kartellverbots mit den vier Voraussetzungen für Ausnahmen in dem Entwurf des Herrn Professor Böhm über das grundsätzliche Verbot im Entwurf der Bundesregierung mit den vielen, praktisch als notwendig erkannten Ausnahmen zu dem Entwurf des Herrn Kollegen Höcherl mit der Registrierpflicht und der Bekämpfung der Mißbräuche bis zum eindeutigen Kartellverbot. Dazu kommen noch die Änderungsanträge des Bundesrates und die Stellungnahme der Bundesregierung. Aus all diesen Unterlagen habe ich den Eindruck gewonnen, daß keiner den Machtmißbrauch von Kartellen will und daß man sich nur über die beste Methode und das zweckmäßigste Verfahren streitet, wie gerade der Mißbrauch weitestgehend verhindert werden kann.

(Sehr wahr! beim GB/BHE und in der Mitte.)

Hiermit wird man sich im zuständigen Ausschuß für Wirtschaftspolitik sachlich und ernst befassen müssen. Ich zweifle nicht, daß daraus etwas Brauchbares entstehen kann, wenn man die Theorien weitestmöglich beiseite läßt und einen praktischen Weg zum Erreichen des anerkannten Zieles anstrebt.

(Zustimmung beim GB/BHE und in der Mitte.)

Der Bundestag ist entgegen der Bundesregierung in seiner Entscheidung völlig frei, wie ich mir schon aus Anlaß der Aussprache über die Pariser Verträge festzustellen erlaubt habe.
Gestatten Sie mir wenige kritische Bemerkungen zu einigen Ausführungen, die im Verlaufe der bisherigen Kartellbehandlung im Hohen Hause gemacht worden sind. Schon die zahlreichen Ausnahmen von einem Kartellverbot, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, beweisen, daß Kartelle nicht umbedingt und 'durchaus nicht in jedem Falle „artwidrige Fremdkörper" einer Marktwirtschaft, wie sie tatsächlich besteht, sind.

(Sehr gut! beim GB/BHE und in der Mitte.)

Das mag in der Vergangenheit in der Hochkonjunktur der liberalistischen Wirtschaftsepoche mit ihrem Laissez-faire, laissez-aller vielleicht so gewirkt haben; in unserem komplizierteren modernen Wirtschaftsapparat mit seiner sozialen Verpflichtung sind Abreden zum Teil sogar notwendig, um das allseits anerkannte Ziel sicherzustellen.

(Sehr gut! beim GB/BHE. — Abg. Raestrup: Bravo!)

Ich halbe in unserer Zeit wiederhoit den Eindruck gewonnen, daß der Wettbewerb — vielleicht aus den schweren Substanz- und Eigenkapitalverlusten des Zusammenbruchs heraus — unter dem Gesichtswinkel, Geschäfte um jeden Preis zu machen, heute häufig an die untere Preisgrenze führt und ruinös werden könnte, wenn nicht der einzelne Wettbewerber zur Selbstbesinnung kommt oder, soweit diese wirklich verlorengegangen sein sollte, eine vernünftige Abrede zur notwendigen Stabilisierung führt, bevor ernsteste Schwierigkeiten entstehen.

(Abg. Raestrup: Sehr gut!)

Den Verbrauchern ist nicht damit gedient, daß erst Katastrophen eintreten, aus denen dann nur unerwünschte und vermeidbare Preiserhöhungen herausführen könnten. Diese Betrachtung gilt weniger den Großunternehmungen und Konzernen als mittelständischen Betrieben, insbesondere auch des Handels, die ausnahmslos zur alten Solidität zurückfinden sollten. Gerade für sie könnten befristete Abreden zur notwendigen inneren Stärkung akut werden, Abreden, die man nicht mit dem falschen Hinweis auf einen politisch anrüchigen „Kollektiv "begriff ,diffamieren sollte.
Grundsätzlich stelle ich folgendes fest. Wir billigen dem Staat eine notwendige Kontrolle und ein wirksames Einschreiten bei Mißbrauch auf dem Kartellgebiet zu, ohne aber die Wirtschaft mit vermeidbaren Auflagen belastet wissen zu wollen — so sollte man der Wirtschaft ohne weiteres Bewegungsfreiheit beispielsweise für zweckmäßige Normung oder ähnliches geben — und ohne einer Mammutkartellbehörde das Wort zu reden, die einen kostspieligen, allumfassenden Papierkrieg mit Endlos-Formularen führen könnte.
Über den endgültigen Weg - oder besser: über die Wege —, mit dem geringsten Aufwand die Allgemeinheit vor wirklich schädlichen Kartellen zu schützen, wollen wir uns erst entscheiden, wenn das Für und Wider der einzelnen Möglichkeiten auch an Hand symptomatischer praktischer Beispiele im zuständigen Ausschuß ausreichend geklärt worden ist.
Zu einem Wirtschaftsgebiet lassen Sie mich bitte, meine Damen und Herren, noch eine persönliche Bemerkung machen; ich stehe ihm aus meinem früheren Beruf nahe, ohne Interessent zu sein. Es handelt sich um die Versicherungswirtschaft. Diese untersteht, wie. Sie wissen, in der entscheidenden Erstversicherung seit über 50 Jahren einer Staatsaufsicht, jetzt dem Bundesamt für das Versicherungswesen in Berlin. Die Aufsicht hat sich über die gewerbepolizeiliche Kontrolle seit Jahrzehnten zu einer materiell äußerst wirksamen Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen entwikkelt, ohne die unternehmerische Initiative der Versicherungsunternehmungen zu beeinträchtigen. Der Bundesrat hat recht, wenn er empfohlen hat, diesen Wirtschaftszweig aus dem Kartellgesetz herauszunehmen und ihn wie bisher durch die erfahrene Aufsichtsbehörde kontrollieren zu lassen.
Wenn man aber grundsätzlich keine Ausnahme hinsichtlich der Kartellüberwachung machen will, so ist dringend anzuraten, die Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen ,gleichzeitig zum Kartellamt zu machen, wodurch ein kostspieliger Dualismus mit seinem wirtschaftshindernden Leerlauf vermieden wird. Jeder, der den Dualismus aus den Zeiten des Preiskommissars kennt, weiß, welche Triumphe eine zähe Bürokratie gegeneinander nutz- und sinnlos gefeiert hat. Solange seinerzeit kein Geringerer als Dr. Karl Goerdeler Preiskommissar war, hat er von sich aus die Versicherungswirtschaft freigestellt und die damalige Reichsaufsichtsbehörde erfolgreich wirken lassen. Es blieb der fortgeschrittenen nationalsozialistischen Wirtschaftsdurchdringung vorbehalten, den Dualismus in Reinkultur durchzuführen. Folgen Sie sinngemäß der klugen Entscheidung Dr. Goerdelers und

Grundsätzlich kann ich nur sagen, daß wir für den in der Wirtschaft Tätigen volle Freiheit beanspruchen. Eine Ausnahme hiervon kann nur dann zulässig sein, wenn besonders gefährliche Tatbestände eine Überwachung oder Behinderung bestimmter Vorgänge in der Wirtschaft durch den Staat erfordern.
Hier ist es nun interessant, meine Damen und Herren, daß Herr Kollege Höcherl in seinen Ausführungen in der vergangenen Woche selbst zugab, daß es tatsächlich gefährliche Arten von Kartellen gibt, bei denen eine Sonderbehandlung angebracht ist. Diese Worte des Herrn Kollegen Höcherl könnten deshalb auch für eine Verbotsgesetzgebung angeführt sein, die eben wegen der grundsätzlichen Gefährlichkeit von Vereinbarungen zur Beschränkung des Wettbewerbs die Nichtigkeit und folgerichtig das Verbot solcher Vereinbarungen anstrebt.
Nach meiner Auffassung ist aber ein grundsätzliches Verbot der Kartelle nur möglich, wenn man Vereinbarungen von Wettbewerbsregeln zum Schutz des Leistungswettbewerbs zuläßt. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Norwegen, Osterreich, Schweden, Schweiz und Kanada die Kartellfrage vom Standpunkt der Milßbrauchsgesetzgebung zu lösen versuchen.

(Abg. Raestrup: Hört! Hört!)

Die Vereinigten Staaten, die als einziges Land die Zulässigkeit von Kartellen verneinen und sie deshalb grundsätzlich verbieten, haben Wettbewerbsregeln zugelassen. Wenn also Kartelle grundsätzlich verboten werden sollen, müßte man als Aquivalent zur Sicherung des Leistungswettbewerbs auf jeden Fall Wettbewerbsvereinbarungen zulassen. Das ist ein für den Handel besonders wichtiger Punkt, auf den ich später noch zurückkommen werde.
In diesem Zusammenhang muß ich noch bemerken, daß es nicht richtig ist, die Frage der Berufsordnung mit der Kartellfrage zu verbinden, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister bei der Einbringung der Regierungsvorlage getan hat.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Berufsordnung, wie sie beispielsweise der Einzelhandel anstrebt, hat nichts mit einer Beschränkung des Wettbewerbs zu tun. Ich halte das für wichtig, weil die Kartellfrage ohnedies durch soviel Meinungen beeinflußt wird, daß man sie nicht noch unnötig mit der Problematik der Berufsordnung belasten sollte.

(Beifall in der Mitte.)

Unabhängig davon, wie sich der einzelne zur Verbots- oder Mißbrauchsgesetzgebung stellt, ist zu fordern, daß die erfahrungsgemäß besonders gefährlichen Tatbestände auf jeden Fall verboten werden. Nach der Ansicht des Handels, die sich teilweise mit den Vorschlägen des Kollegen Höcherl deckt, handelt es sich hierbei um folgende für die Wettbewerbsfreiheit gefährliche Tatbestände. Erstens: Vereinbarungen über Absatz- und Mengenbeschränkungen. Zweitens: Vereinbarungen über die Sperre eines Wettbewerbers oder von Gruppen von Wettbewerbern. Drittens: Vereinbarungen über Funktionsrabatte. Und viertens: Vereinbarungen über vertikale Preisbindungen, soweit sie nicht für sogenannte Markenerzeugnisse in gesetzlich genau umrissenem Rahmen zugelassen sind. Im einzelnen kann ich mir eine nähere Be(Samwer)
unterstellen Sie die Versicherungswirtschaft nur einer staatlichen Behörde, dem erfahrenen Bundesaufsichtsamt, das äußerstenfalls nach entsprechender Ergänzung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und entsprechenden Bestimmungen des Kartellgesetzes zugleich die Aufgaben des Kartellamts für die ihm unterstellten Versicherungsunternehmungen ohne bürokratischen Leerlauf voll zu erfüllen in der Lage ist!
Das Kreditwesen dürfte sich der Sache nach in einer ähnlichen Lage befinden. Hier müßte nur in Verbindung mit der Bank deutscher Länder und den Landeszentralbanken der zweckmäßigste Weg gefunden werden, die Landesaufsichtsbehörden — hier gibt es ja keine Bundesaufsichtsbehörde — zum Kartellamt für die Kreditunternehmungen auszubauen.
Meine Damen und Herren, diese Vorschläge sollten meiner Überzeugung nach gewissenhaft geprüft werden. Es kommt nicht darauf an, eine Universalbehörde neu zu schaffen, sondern darauf, für staatlich längst beaufsichtigte, spezifische Unternehmungen den sachlich besten und finanziell billigsten Weg für die Kartellkontrolle zu ebnen.

(Beifall beim GB/BHE und bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207703900
Das Wort hat der Abgeordnete Illerhaus.

Joseph Illerhaus (CDU):
Rede ID: ID0207704000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom Standpunkt eines Einzelhandelskaufmanns aus Stellung nehme, so vertrete ich damit ein bedeutsames, wenn nicht
sogar das wichtigste Anliegen des deutschen Handels überhaupt. Der deutsche Handel erfüllt seine Funktionen im Rahmen eines vollständigen Wettbewerbs. Hunderttausende von Geschäften in allen Größen und den verschiedensten Vertriebsstufen stehen einer Millionenzahl von Käufern aus den verschiedensten Gesellschafts- und Einkommensschichten gegenüber. Der Kampf um diese Kunden steht im Zeichen des Käufermarktes und vollzieht sich deshalb im Rahmen eines scharfen Wettbewerbs. Dieser Wettbewerb wird noch dadurch verstärkt, daß jeden Tag neue Wettbewerber entstehen. Ich darf sagen, daß im Handel der Wettbewerb so vollständig ist, daß sich in ihm die wissenschaftliche Vorstellung vom vollständigen Wettbewerb fast erfüllt.
Alle Sparten des Handels verfolgen deshalb mit großem Interesse den Verlauf der Kartelldebatte, von deren Ergebnis sie erwarten, daß nach jahrelangen Vorbereitungen ein Gesetz geschaffen wird, das die Freiheit des Wettbewerbs in allen Wirtschaftszweigen und damit auch im Handel garantiert.
Meine Damen und Herren, bei meiner Stellungnahme im einzelnen will ich mich bemühen, nur diejenigen Tatbestände zu behandeln, die von besonderer Bedeutung sind, wenn die Freiheit des Wettbewerbs nicht ernsthaft gefährdet werden soll. Dabei muß ich aber auf die Frage, ob die Regelung des Wettbewerbs vom Standpunkt der Verbotsgesetzgebung oder der Mißbrauchsgesetzgebung zu behandeln ist, kurz eingehen, zumal diese Frage durch die von den Herren Kollegen Professor Böhm und Höcherl eingebrachten Enwürfe wieder besonders akut geworden ist.


(Illerhaus)

gründung ersparen, soweit es sich um das Verbot der Absatz- und Mengenbeschränkungen handelt. Das gleiche gilt für Sperren aller Art, zumal alle Wirtschaftskreise von der Zulassung irgendwelcher Sperrklauseln, beispielsweise in der Debatte um, die Mißbrauchsgesetzgebung, abgerückt sind, was allerdings nicht bedeutet, daß sich ,die Vorstellungen mancher Kreise schon endgültig von der Sperre als Wettbewerbsmittel gelöst hätten.
Zur Frage des Verbots von Vereinbarungen über Funktionsrabatte weise ich darauf hin, daß für den Einzelhandel die einzige Funktion des Wettbewerbs in der Leistung liegt. Wenn die Industrie nunmehr anstrebt, die Höhe eines Rabatts ausschließlich von wirtschaftlichen Funktionen in der Absatzstufe, welcher der Rabattnehmer angehört, abhängig zu machen, so muß das allerdings unseren stärksten Widerstand herausfordern. Mit dieser Formulierung werden nämlich unter Abstimmung auf die unterschiedliche wirtschaftliche Funktion Differenzierungen auch in der gleichen Absatzstufe ermöglicht. Die Erfahrungen mit der Kartellverordnung von 1923 zeigen eindeutig, daß die Zulassung von Funktionsrabatten zu einer Zementierung der Absatzwege unter zunehmender Ausschaltung des Leistungswettbewerbs führt. Ich erinnere hier an die Marktordnungsgrundsätze der Reichsgruppe Industrie, die praktisch in der Empfehlung gipfelten, unter Benutzung dieser Grundsätze die Funktion eines Betriebes in seiner Wirtschaftsstufe zu bestimmen. Wir wissen, zu welchen jahrelangen Kämpfen und Aushandlungen dieser Zustand beispielsweise zwischen der Industrie und dem Großhandel geführt hat. Eine so weitgehende Freigabe der Funktionsrabatt-Kartelle, wie sie jetzt in Verhandlungen zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesverband der Deutschen Industrie angestrebt worden ist, muß zwangsläufig zu gleichen Auseinandersetzungen führen, zumal von allen Seiten zugegeben wird, daß sich der Funktionsrabatt nur sehr schwer gegenüber anderen Rabattformen abgrenzen läßt.
In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß die generelle Zulassung von Vereinbarungen über Funktionsrabatte auch wirtschaftspolitisch die unerwünschte Auswirkung hat, die bisher als Einheit bewährten Handelsleistungen sehr starken Belastungen auszusetzen. Sicher ist auf jeden Fall — um hier eine frühere Stellungnahme von Herrn Professor Erhard zu wiederholen —, daß mit der genehmigungsfreien Einführung von Funktionsrabatt-Kartellen jeder Fortschritt im Hinblick auf die angestrebte Entwicklung des Leistungswettbewerbs verhindert wird.
Im übrigen muß hierbei auch darauf hingewiesen werden, daß es naturgemäß Befremden erweckt hat, wenn Funktionsrabatt-Kartelle mit ihren weitgehenden, häufig auch wirtschaftspolitischen Auswirkungen genehmigungsfrei gestellt werden sollen, während die Vereinbarung von Mengenrabatten an die Erlaubnis der Kartellbehörde gebunden werden soll. Vom Standpunkt des Leistungswettbewerbs aus könnte höchstens das Umgekehrte der Fall sein.
Schließlich muß ich in diesem Zusammenhang auch noch betonen, daß wir es ablehnen, uns praktisch über Funktionsrabatt trotz gleicher Leistungen in einer Wirtschaftsstufe unterschiedlich klassifizieren zu lassen. Hier gehen wir mit denen einig, die in Funktionsrabatt-Kartellen Differenzierungskartelle sehen, die mit Leistung nichts zu tun haben und im letzten Grunde wettbewerbsschädlich sind und deshalb verboten werden müssen.
Die Frage der Preisbindung der zweiten Hand zwingt mich dazu, auch ein Wort zur Zulassung von Preisbindungen überhaupt zu sagen. Die Stellungnahme des Einzelhandels ist auch hier die, daß Preisbindungen grundsätzlich verboten werden müssen; sie können nur insoweit zugelassen werden, als sie in vom Gesetz genau umrissenen Fällen zur Vermeidung schädlicher Auswirkungen nach übergeordneten wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zu vermeiden sind. Ich erinnere hier an die in der öffentlichen Diskussion behandelten Fälle der Genehmigung von Preisbindungen in Ausfuhrkartellen, Krisenkartellen, Rationalisierungskartellen. Allerdings muß ich hierbei betonen, daß auch im Einzelhandel besondere Verhältnisse eintreten können, die den Ruf nach Zulassung eines Krisenkartells

(Abg. Samwer: Sehr richtig!)

genau so wie bei der Industrie notwendig machen.
Ich muß in diesem ,Zusammenhang überhaupt feststellen, daß die einseitige Abstellung aller Kartellfragen auf die Industrie an der Tatsache vorbeigeht, daß das Problem marktregelnder Vereinbarungen, wenn auch nicht überall in gleichem Ausmaß, auch in vielen Stufen des Handels besteht.

(Abg. Samwer: Entscheidend!)

Ich brauche nicht zu betonen, daß Vereinbarungen über Konditionen nicht zu den Preisbindungen in dem Sinne gehören, die Gegenstand dieses Gesetzes sind. Es ist zweifellos, daß Konditionen, wie es in der Begründung des Bundesratsbeschlusses vom 21. Mai 1954 heißt, „den Geschäftsabschluß vereinfachen, die Vergleichbarkeit der Angebote fördern und insbesondere die Vertragsabwicklung erleichtern"; sie haben häufig wettbewerbsfördernden Charakter. Ihre generelle Zulassung ist deshalb meines Erachtens ohne weiteres vertretbar.
Das den Einzelhandel besonders berührende Problem der Preisbindung der zweiten Hand muß in Zusammenhang mit einer Entwicklung gesehen werden, die sich in den letzten Jahren immer mehr gezeigt und zu einer nachhaltigen Beunruhigung im Handel geführt hat. Ich denke hierbei an die zunehmende Überschwemmung des Marktes mit Markenerzeugnissen; ein Vorgang, der bekanntlich zu dem Schlagwort „Markenschwemme — Markeninflation" geführt hat.
Es war zu erwarten, daß nach dem Bekanntwerden des Willner-Briefs, zu dessen Problematik ich mir hier nähere Ausführungen versage, von allen an Preisbindungen interessierten Kreisen versucht werden würde, die verbotenen horizontalen Preisabreden durch die schwer kontrollierbare individuelle Preisbindung zu ersetzen. Wir hätten aber nicht geglaubt, meine Damen und Herren, daß sogar in Wirtschaftszweigen, deren Erzeugnisse starken modischen Änderungen unterworfen sind, in einem solchen Ausmaß Versuche zur Einführung der Preisbindung der zweiten Hand gemacht werden würden, wie es tatsächlich geschehen ist. Die Verbände des Einzelhandels können hier — was für die späteren Ausschußverhandlungen wichtig sein wird — reichliches Material darüber zur Verfügung stellen, welches Ausmaß ,diese Versuche gehabt haben. Nur hierauf ist es ja auch zurückzuführen, daß sich in der Praxis immer mehr die Unterscheidung zwischen „echten" und


(Illerhaus)

„unechten" Markenartikeln herausgebildet hat. Sprachlich natürlich ein Widerspruch in sich, da die Marke immer nur eine echte sein kann.
Nach diesen Erfahrungen besteht im Einzelhandel die Befürchtung, daß bei einer Freigabe der Preisbindung der zweiten Hand auch die Schranken, die im Rahmen der durch den Willner-Brief vielleicht erteilten Ermächtigung noch bestanden haben, restlos wegfallen.

(Abg. KurLbaum: Sehr richtig!)

Die Folge davon muß zwangsläufig die sein, daß der Markt mit einer Flut von Erzeugnissen über- schwemmt wird, die das Privileg der Preisbindung der zweiten Hand beanspruchen.
Ich weiß, daß bei den Anhängern einer generellen Freigabe der vertikalen Preisbindung hiergegen Einwendungen geltend gemacht werden. Sie behaupten, daß die Preisbindung der zweiten Hand nicht uferlos eingeführt werden könne, weil es der Einzelhandel ja selber in der Hand habe, solchen Versuchen entgegenzutreten. Ich gebe zu, daß das in gewissem Maße der Fall sein kann und auch der Fall sein wird. Aber überall dort, wo nur wenige Produzenten vorhanden sind, wird sich zeigen, daß die auf einer verbotenen horizontalen Abrede beruhende Einführung der Preisbindung der zweiten Hand nicht bekämpft werden kann. Hinzu kommt, daß — wie beispielsweise im Textileinzelhandel — die Musterungszeiten oft so knapp bemessen sind, daß sich der Einzelhändler im Einkauf zwangsläufig auf Bedingungen einlassen muß, gegen die er sich im normalen Geschäft wehren könnte. Die Gefahr, daß die Freigabe der Preisbindung der zweiten Hand tatsächlich zu einer ungeheuren Ausweitung der vertikalen Preisbindung führt, die
letzten Endes auch das Ziel des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen illusorisch machen könnte, bleibt bestehen.
Meine Damen und Herren! Die ablehnende Haltung des Einzelhandels gegen die Freigabe der Preisbindung der zweiten Hand erklärt sich auch noch aus einer anderen Erfahrung der letzten Jahre. Wir haben wiederholt festgestellt, daß die Lieferanten von Erzeugnissen, für die die Einführung der Preisbindung der zweiten Hand nach unserer Meinung nicht gerechtfertigt war, im Ernstfall ihre eigene Verpflichtung zur Preiskontrolle und zur Erhaltung des Preisschutzes gegenüber vertragsbrüchigen Reversverpflichteten nicht beachten. Auch hier verfügen die Verbände über Material, aus dem Sie ersehen können, daß beispielsweise in einem Wirtschaftszweig schon die Tatsache, daß Verhandlungen über die Ermäßigung der Einfuhrzölle schwebten, ausreichend war, um auf Beschwerden über Einhaltung der Reversverpflichtungen nicht mehr zu reagieren. Wir haben auch festgestellt, daß schon bei einem leichten Nachlassen des Marktes eine Reihe von Firmen, die zumeist als Ersatz für früher bestehende horizontale Preisvereinbarungen die Preisbindung der zweiten Hand eingeführt hatten, die Meldungen über Preisunterbietungen nicht mehr verfolgt haben. Diese Entwicklung ist so stark gewesen, daß sie die Fachblätter des Handels monatelang mit Stoff versorgt hat.
Damit ist klargestellt, daß die Preisbindung der zweiten Hand für den Handel unzumutbar ist, wenn sich der einzelne nicht darauf verlassen kann, daß sich der Produzent nachhaltig für den Preisschutz einsetzt. Die Stellungnahme des Handels
zur Frage der Preisbindung der zweiten Hand kann nach diesen Erfahrungen nur die sein, daß alle vertikalen Preisbindungen abgelehnt werden, die sich nicht auf einen mit einem Herkunftszeichen versehenen Artikel erstrecken, für den ein Herstellungsschutz besteht, der Verkehrsgeltung hat und für den der Fabrikant laufend eine gewisse Werbung betreibt. Nur unter diesen Voraussetzungen kann das Privileg der Preisbindung der zweiten Hand eingeräumt werden, das letztlich darauf beruht, daß „der Hersteller von gleichbleibenden Qualitätserzeugnissen durch eine zentrale Werbung einen Teil der Werbekosten für die Steigerung des Umsatzes seines Erzeugnisses übernimmt und hierdurch dem Einzelhändler die Möglichkeit gibt, weite Käuferschichten anzusprechen und dadurch auch seinen eigenen Vorteil zu er- höhen".
Neben diesen grundsätzlichen Forderungen haben wir noch ein weiteres Anliegen, das ebenfalls durch die Erfahrungen der letzten Jahre begründet ist. Während früher die Industrie ein laufendes Gespräch mit dem Handel führte, ist heute auf allen möglichen Gebieten festzustellen, daß jeder Kontakt in Marktfragen fehlt. Das Zwielicht, in dem manche marktregelnde Vereinbarungen liegen, hat zwangsläufig dazu geführt, daß der Handel beispielsweise durch die „von einem führenden Werk vorgenommene Preiserhöhung" Kenntnis von Preiserhöhungen erhält, die merkwürdigerweise nach dem Vorgehen dieses „führenden Werkes" Bestandteil aller Zahlungs- und Lieferungsbedingungen des gesamten betreffenden Industriebereichs sind. Wir fürchten, daß diese Anonymität weiter bleibt, und legen deshalb besonderen Wert darauf, daß die Kartellbehörde allen Abnehmerorganisationen von allen Anträgen Mitteilung macht, die für sie wettbewerbsmäßig von Bedeutung sind. Hierzu gehört insbesondere die Bekanntgabe aller Anträge auf Genehmigung von Kartellvereinbarungen irgendwelcher Art.
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um die Bearbeitung derartiger Anträge zu erschweren. Mein Hauptanliegen ist, durch diese Unterrichtungspflicht gegenüber den Marktbeteiligten dafür zu sorgen, daß die Parteien wieder an einen Tisch kommen. Ich erinnere hierbei an das bewährte Verfahren des früheren Preisrechts bei der Behandlung von Anträgen auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach § 3 der Preisstoppverordnung. Hier ist in der Praxis kein Fall vorgekommen, in dem eine Preiserhöhung von der Behörde genehmigt warden wäre, ohne die Stellungnahme der Abnehmerkreise herbeizuführen.
Eine solche Regelung beschleunigt die Bearbeitung bei der Behörde und dient deshalb auch dem Interesse der Industrie. Ich bemerke hierbei, daß die Anhörung des Handels, wie aller anderen marktbeteiligten Gruppen, selbstverständlich ist, wenn man beispielsweise bedenkt, daß das österreichische Kartellrecht die Veröffentlichung aller Anträge in Kartellsachen im Bundesanzeiger vorsieht. Vielleicht wäre das auch die beste Lösung, um eine Überlastung der Kartellbehörde mit Anträgen zu vermeiden.
Schließlich weise ich noch auf eine empfindliche Lücke der Regierungsvorlage hin. Der Handel vermißt, wie ich bereits eingangs gesagt habe, in dem Gesetz die Zulassung von Vereinbarungen über lauteren Wettbewerb innerhalb eines Wirtschaftszweiges oder zwischen mehreren Wirtschaftszwei-


(Illerhaus)

gen. Wir haben hier in Besprechungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium wiederholt darauf hingewiesen, daß die Beschäftigung mit amerikanischen Kartellfragen das eine Gute gehabt hat, daß wir in Deutschland auf das Gemisch wirtschaftlicher Selbstverwaltung und staatlicher Kontrolle in Fragen des fairen Wettbewerbs aufmerksam gemacht worden sind. Auch uns fehlt das „Büro für wirtschaftliche Zusammenarbeit", das innerhalb der FTC besteht und die Berater eines Wirtschaftszweiges von Fall zu Fall einberuft, um Tatbestände des unfairen Wettbewerbs festzulegen. Aus dem Studium einzelner Unterlagen haben wir ersehen, daß dieses Verfahren tatsächlich geeignet ist, Wettbewerbsmißbräuche zu verhindern. Als Beispiel erwähnen wir hier die Wettbewerbsregelung für das Lebensmittelgewerbe, die 1952 erlassen worden ist. Sie umfaßt alle Unternehmer und Firmen, die mit dem Verkauf von Lebensmitteln zu tun haben, und schließt Fabrikanten, Groß- und Kleinhandel, Versandhandel und alle am Absatz von Lebensmitteln beteiligten Wirtschaftskreise ein. Sie enthält das Verbot der Preisdiskriminierung, der Gewährung nicht durch Leistung gerechtfertigter Rabatte und auch ein Verbot des Unter-Selbstkosten-Verkaufs. Außerdem läßt sie Vereinbarungen zu, die sich auf die Einhaltung von Lieferverpflichtungen beziehen, ferner Vereinbarungen, die den Ausgleich von Kostenanalysen betreffen, und schließlich auch die Verpflichtung zur Austragung von Streitigkeiten vor Schiedsgerichten. Auch der leidige, in starkem Ausmaß durch Betriebsräte und Betriebsangehörige betriebene Werks- und Behördenhandel könnte hierbei geregelt werden.
Wir wissen, daß im Bundeswirtschaftsministerium die vom Bundesrat in seiner 153. Sitzung am 21. Mai 1954 geforderte Verordnung zum Schutze des Leistungswettbewerbs durch Wettbewerbsregeln eingehend erörtert worden ist. Hierbei hat eine besondere Rolle die Empfehlung des Deutschen Industrie- und Handelstages auf der Volltagung im April 1954 gespielt, „angesichts des verschärften Leistungswettbewerbs besondere Maßnahmen zum Schutze der Lauterkeit im Wettbewerb zu treffen". Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat hierbei in erster Linie die Zulassung von Wettbewerbsregeln gefordert, durch die nicht nur Praktiken ausgeschaltet werden, die schon nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen unlauter sind, sondern auch Wettbewerbsmethoden bekämpft werden, die als volkswirtschaftlich unerwünscht und bedenklich gelten, über deren rechtliche Unzulässigkeit aber bei den Gerichten noch keine klare Meinung besteht, Um so verwunderlicher ist es, daß die Regierungsvorlage dieser Anregung des Bundesrates und des Rechtsausschusses des Deutschen Industrie- und Handelstages nicht gefolgt ist. Wie ich schon sagte, ist das auch deshalb bedauerlich, weil die Vereinbarungen von Wettbewerbsregeln nicht nur eine Lücke im allgemeinen Wettbewerbsrecht ausfüllen, sondern auch durch das Gespräch am runden Tisch wettbewerbsfördernd wirken.
Wie sich aus der Stellungnahme der Regierung auf Seite 87 der Drucksache 1158 ergibt, ist sie in der Frage der Vereinbarung von Wettbewerbsregeln allerdings der Ansicht,
daß das Abwarten des Abschlusses dieser Erörterungen den Fortgang der Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen im gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht aufhalten sollte. Sie zieht deshalb vor,
diesen Fragenkomplex zu einem späteren Zeitpunkt erneut zur Erörterung zu stellen.
Ich betone ausdrücklich, daß der Handel, soweit ich von meinen Freunden gehört habe, in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Industrie, dieser Auffassung nicht ist. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus einem Vortrag, den Generaldirektor Otto A. Friedrich am 18. Juni 1954 anläßlich des 50jährigen Jubiläums der „Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Technischen Händler" gehalten hat, folgende Ausführungen zitieren. Er sagte:
Ich glaube, behaupten zu dürfen, daß ich Amerika besser kenne als mancher Prophet des Liberalismus, weil ich dort selbst geschäftlich tätig gewesen bin und weil mein Unternehmen auch heute die engsten Beziehungen zur amerikanischen Wirtschaft unterhält. Mir ist der amerikanische Rechtsschutz gegen Diskriminierungen im Wettbewerb aus der Praxis bekannt. Unter Diskriminierungen sind Unterbietungen zu verstehen, die den einen Abnehmer unbillig vor dem anderen bevorzugen. Wer weiß, wie ernst die Amerikaner dieses Problem nehmen, seit ihre Wettbewerbsfreiheit große Krisen bestehen mußte, der weiß auch, welchen gewaltigen Behördenapparat sie für diese Aufgabe einsetzen. Deshalb habe ich 1949 Professor Erhard nahegelegt, die Verhältnisse in Amerika durch eine Studienkommission untersuchen zu lassen, um sich ein Bild darüber zu machen, wie ein Land, das durch Wettbewerbsfreiheit groß geworden ist, diese Dinge gesetzlich und institutionell auf Grund jahrzehntelanger, teilweise sehr bitterer 'Erfahrungen geregelt hat. Professor Erhard ist meiner Anregung gefolgt und hat zu diesem Zweck eine Kommission nach drüben geschickt, die einen ausführlichen Bericht erstattet hat. Leider sind aus den Erkenntnissen keinerlei Folgerungen für die Gestaltung der deutschen Wettbewerbsgesetzgebung gezogen worden.
Ich glaube, daß die rechtliche Verankerung einer solchen Ermächtigung zum Abschluß von Vereinbarungen gegen den unlauteren Wettbewerb auch dazu beitragen wird, der Kartellbehörde ihre Arbeit grundsätzlich zu erleichtern.
In diesem Zusammenhang ist für alle wichtig, schon jetzt darauf hinzuweisen, daß die Kartellbehörde in Streitfällen nur dann eingreifen sollte, wenn alle Möglichkeiten zur friedlichen Beilegung innerhalb der Wirtschaft selbst ausgeschöpft sind.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Wir fordern deshalb die Wiedereinführung von Einigungsämtern, die bis zum. Jahre 1934 mit größtem Erfolg unter wechselnder Besetzung seitens der Industrie, des Großhandels und des Einzelhandels dazu beigetragen haben Marktstreitigkeiten durch Aussprache zwischen den Beteiligten zu bereinigen. Erfreulicherweise scheint nach meinen Informationen die Wiedereinführung der obligatorischen Einigungsämter nach § 27 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb gesichert zu sein. Im Hinblick auf die oben erörterten Wettbewerbsregeln weise ich zu dieser erfreulichen Tatsache darauf hin, daß die erfolgreiche Arbeit dieser Einigungsämter noch eine außerordentliche


(Illerhaus)

Vertiefung erfahren würde, wenn sie auf Grund von Wettbewerbsregeln tätig werden könnten, die einwandfrei sagen, was fair und was unfair ist.
Ich habe mich in meiner Stellungnahme auf die wesentlichen Fragen beschränkt, die den Einzelhandel interessieren. Hierbei bedaure ich, daß ich bei meinen Ausführungen die Vorschläge der Kollegen Höcherl und Böhm nur am Rande berücksichtigen konnte, da sie mir zu spät zugegangen sind, um sie eingehend mit zu erörtern. Selbstverständlich werden auch diese beiden Vorschläge gewissenhaft geprüft werden müssen, insbesondere im Hinblick darauf, wieweit die vom Kollegen Höcherl beabsichtigte Generalklausel den in meinen Ausführungen aufgezeigten Forderungen entspricht.
Die nun einsetzende Beratung in den Ausschüssen wird noch eine Fülle von Problemen aufwerfen, die nur gelöst werden können, wenn sie aus der Zielsetzung unserer so erfolgreich vom Gedanken der freien Marktwirtschaft getragenen Wirtschaftspolitik. betrachtet werden. Es kommt darauf an, die freie Entfaltung des Leistungswettbewerbs auf der Grundlage freier Wettbewerbsverhältnisses zu sichern. Wenn sich alle Beteiligten in dieser Zielsetzung einig sind, muß es gelingen, ein Gesetz zu schaffen, daß für uns alle und für ,die gesamte deutsche Wirtschaft von Nutzen ist.

(Beifall in der Mitte.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207704100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0207704200
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe nicht die Absicht, schon jetzt an dieser Stelle Detailfragen so ausführlich zu erörtern, wie dies verdienstvollerweise mein Kollege Illerhaus soeben getan hat. Ich möchte nur in wenigen Bemerkungen die grundsätzliche Haltung meiner politischen Freunde von der Deutschen Partei zu diesem uns alle interessierenden Problem bekanntgeben.
Zunächst darf ich feststellen, daß bislang erfreulicherweise insofern Übereinstimmung herrscht, als jede Seite den Wettbewerb als solchen begrüßt. Auch wir tun das. Wir bejahen auch die Preisfunktion. Nur glaube ich, daß zu einer Marktwirtschaft nicht nur der Mechanismus des Preises und des Wettbewerbs gehört, sondern daß die Aufrechterhaltung einer sozialen Marktwirtschaft auch davon abhängig ist, daß eine gewisse soziologische Struktur erhalten bleibt. Es ist wichtig — und nur dann hat die soziale Marktwirtschaft ihren Sinn —, daß eine möglichst große Zahl von selbständigen Unternehmern existieren kann. Da bin ich der Auffassung, daß Kartellabsprachen, sofern sie nicht offenbare Mißbräuche darstellen — auch darin sind wir uns ja einig, daß kein Mensch Mißbräuche will —, dazu dienen können, &ne möglichst große Zahl von mittleren und kleineren Unternehmen gegenüber den großen Unternehmen selbständig zu lassen. Selbst Herr Erhard gibt ja in seiner Begründung ganz eindeutig zu, daß ein striktes Verbot von Kartellen unweigerlich zu einer größeren Machtkonzentration, zu Monopolgebilden führen kann. Aus dem Grunde sieht sich auch Herr Erhard veranlaßt, Ausnahmen — und zwar Ausnahmen in einer recht großen Zahl — zuzulassen.
Daher ist es vernünftiger, wenn wir den anderen Weg gehen. Ich darf gleich hier zu Anfang mitteilen, daß wir den Weg gehen wollen, den der Kollege Höcherl zu gehen versucht, nämlich Kartelle grundsätzlich zuzulassen und nur den Mißbrauch zu ahnden.
Herr Kollege Böhm wendet nun gegen diese Mißbrauchsgesetzgebung ein, daß alle praktische Erfahrung der früheren Jahrzehnte in Deutschland dagegen spricht, daß man Mißbräuche erfassen kann. Ich will jetzt nicht darüber debattieren, ob das zutrifft oder nicht. Es wird von anderer Seite bestritten. Aber ich darf eine andere Erfahrung dagegenhalten, die Erfahrung nämlich, die in den USA gemacht worden ist — das ging ja auch aus den Ausführungen des Kollegen Illerhaus hervor —, in den USA, die ja bekanntlich eine sehr starre Verbotsgesetzgebung haben und in denen die ganze Wirtschaftskonzeption darauf abgestellt ist, Monopole und ähnliche Machtkonzentrationen zu verhindern. Die Erfahrung zeigt doch, daß sich gerade in der amerikanischen Wirtschaft Monopole gebildet haben und daß dort Absprachen getroffen worden sind. Ob sie nun öffentlich oder nicht öffentlich sind, das wollen wir nicht untersuchen; es kann nicht bestritten werden, daß sie da sind. Gerade diese amerikanischen Erfahrungen haben doch gezeigt, daß man mit einer starren Verbotsgesetzgebung das Ziel eben nicht erreichen kann.
Wir sollten uns doch einmal überlegen, welche Argumente die Befürworter der Verbotsgesetzgebung anführen. Sie behaupten erstens, daß der Wettbewerb als solcher verhindert wird. Nun, ich glaube sagen zu können, daß das in dieser allgemeinen Form sicherlich nicht zutrifft. Denn der Wettbewerb wird ja nicht nur durch den Preis zum Ausdruck gebracht, sondern dort spricht doch auch die Qualität mit. Aber das will ich einmal nicht so in den Vordergrund schieben. Ich möchte vor allen Dingen bemerken, daß wir heute den Wettbewerb gar nicht so sehr nur innerhalb einer Warengattung haben, sondern daß der Konsument, um den es ja letztlich bei allem geht, die Möglichkeit hat, auf andere Erzeugnisse auszuweichen. Er ist ja keineswegs gezwungen, immer gerade nur das bestimmte Erzeugnis zu kaufen, das angeboten wird. Selbst wenn innerhalb einer solchen Erzeugergruppe ein vollständiges Kartell existierte — was ja niemals existiert hat und auch nie kommen wird —, wäre der Konsument letzten Endes immer noch in der Lage, ein anderes Erzeugnis zu verwenden. Ich könnte das mit vielen Beispielen gerade aus dem Gebiet, das mir nahesteht, der Ernährungsindustrie, belegen.
Nehmen wir ein Beispiel. Angenommen, die Schokoladenindustrie hätte sich vollkommen kartellisiert, so daß es nur einen einzigen Erzeuger von Schokolade gäbe. Dann würde zweifellos der Konsument, wenn er mit dem Preis nicht einverstanden wäre, auf andere Erzeugnisse der Süßwarenindustrie ausweichen. Ich wollte dies nur einmal als ein kleines Beispiel geben. Es trifft also sicherlich nicht zu, daß immer nur über den Preis ein Konkurrenzkampf stattfindet, vielmehr gibt es, wie der technische Ausdruck lautet, auch so etwas wie eine Objektskonkurrenz. In der Schwerindustrie, in den weiterverarbeitenden Industrien gilt das gerade auch im Zeitalter der Kunststoffe, die ja den früher vielfach gebräuchlichen Stahl verdrängt haben — oder der Stahl hat das Holz verdrängt —; da gibt es immer Möglichkeiten des Ausweichens auf andere Konstruktionselemente, auf andere Konstruktionsmaterialien. Also ich glaube,


(Dr. Elbrächter)

daß der Wettbewerb als solcher durch ein Kartell niemals ausgeschaltet werden kann.
Hinzu kommt natürlich noch die Rolle, die der Außenseiter nun einmal spielt. Solange es keine Zwangskartelle gibt — und das wollen wir alle nicht —, wird es immer Außenseiter geben. Dagegen wird d man sagen: Na schön, dann brauchen wir überhaupt kein Kartell, wenn Sie Außenseiter zulassen. — Nach der Erfahrung ist es aber doch etwas anderes, wenn eine gewisse Gruppe von Herstellern sich zusammenschließen und Absprachen über gewisse Preise oder Bedingungen usw. gegenüber Außenseitern treffen kann. Sicherlich gibt es so etwas wie eine ruinöse Konkurrenz; darüber kann niemand hinwegdebattieren. Ich möchte die Ausführungen, die Kollege Reif hier heute gemacht hat, sehr bezweifeln, daß gerade die kapitalgebundenen Betriebe in ihrem Preis viel elastischer seien. Mir scheint dort ein Denkfehler vorzuliegen. Selbstverständlich kann ein Betrieb, der im wesentlichen kapitalkostenorientiert ist, gegenüber den lohnkostenorientierten Betrieben für eine gewisse Zeit sehr viel elastischer sein. Aber das geht dann auf Kosten der Abschreibungen. Das heißt auf deutsch gesagt, daß dann nicht mehr reinvestiert werden kann und daß vor allen Dingen auch keine Neuinvestierungen gemacht werden können. Das Endergebnis ist dann, daß das betreffende Unternehmen einfach nicht mehr konkurrenzfähig ist, weil es sich eben nicht auf der Höhe des technischen Fortschritts halten kann. Diese Argumentation, sehr verehrter Herr Kollege Reif, geht also sicherlich ins Leere. Sie kann nur für ganz kurze Zeit zutreffen; aber im Endergebnis — vom Volkswirtschaftlichen her betrachtet — ist sie sicherlich falsch.
Zur Wettbewerbseinschränkung durch Kartelle möchte ich weiterhin darauf hinweisen, daß nationale Kartelle nach meiner Meinung im Zeitalter der Liberalisierung überhaupt nicht in der Lage sind, den Wettbewerb auszuschalten. Ich darf gerade auf die Argumentation von Carlo Mötteli im letzten Band des Ordo-Jahrbuches — Band 7 ist es wohl—verweisen. Er sagt dort, daß die Schweiz, die ja — bislang — ein typischer Anhänger der Mißbrauchsgesetzgebung war, in der Liberalisierung und in der Zolltarifpolitik ein ausgezeichnetes Instrument habe, den Wettbewerb zu erzwingen. — Ich meine also, daß die Kartelle nur dann eine wirkliche Gefahr bilden, wenn sie international gebildet werden, weil dann effektiv die Möglichkeit besteht, eine Konkurrenz auszuschalten. Ich glaube nicht, daß nationale Kartelle in der Lage sein werden, die Konkurrenz voll auszuschalten.
Der weitere Vorwurf, der gegen die Kartelle erhoben wird, besteht doch darin, daß gesagt wird, es bilde sich wirtschaftliche Macht. Nun, es wäre sehr reizvoll, hier über die Frage der wirtschaftlichen Macht zu sprechen, und es wäre sicherlich auch sehr nützlich. Ich will diese Frage aber heute nicht abschließend behandeln, sondern nur kurz darauf hinweisen, daß das, was die Verbotsgesetzgebung will, nämlich die wirtschaftliche Macht zu verhindern, sicherlich nicht erreicht werden kann. Ich darf nur darauf hinweisen, daß gerade in der amerikanischen Wirtschaft diese wirtschaftliche Macht doch eine Form angenommen hat, die uns allen sehr unsymphatisch ist.
Ich glaube aber, daß das gar nicht von der Art eines Kartellgesetzes abhängt — ob wir uns nun zum Mißbrauchsprinzip oder Verbotsprinzip bekennen —, sondern daß das doch durch ganz andere Ursachen bedingt ist. Das hängt nämlich mit der Rolle zusammen, die die Technik heute spielt. Wir haben nun mal in unserem Zeitalter der Massenherstellung die Tatsache zu verzeichnen, daß der Produktionsapparat immer größer wird und daß er daher immer kostspieliger wird. In der Folge dessen — ob wir das bedauern, wie Herr Kollege Reif es getan hat, oder nicht — werden die Kapitalkosten für den technischen Prozeß immer größer. Dadurch ist wahrscheinlich der Konzentrationsprozeß im wesentlichen bedingt. Damit hat, glaube ich, eine Verbotsgesetzgebung oder eine Mißbrauchsgesetzgebung verhältnismäßig wenig zu tun. Die Gründe liegen eben woanders, und es wäre gut, wenn wir uns darüber Klarheit verschafften und darüber klar wären. Ich glaube also sagen zu können, daß gerade die amerikanischen Erfahrungen ein starres Verbotsprinzip, um die wirtschaftliche Macht zu verhindern, nicht rechtfertigen.
Ich darf darüber hinaus eine Bemerkung über die wirtschaftliche Macht machen. Sie wird ia immer als so etwas wie ein Schreckgespenst hingestellt. Wirtschaftliche Macht — ich habe das betont — ist natürlich unerfreulich. Ich darf aber doch darauf hinweisen, daß in einem parlamentarisch-demokratischen System, das wirklich politisch führt, die wirtschaftliche Macht niemals zu Mißbräuchen führen kann. Das hängt doch ganz einfach davon ab, ob wir Abgeordnete entschlossen sind, jedem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht notfalls auch mit einem Gesetz entgegenzutreten. Ich glaube also, daß wir uns von diesem Schlagwort nicht so sehr beeindrucken lassen sollten.

(Abg. Kurlbaum: Wann wollen Sie das machen, wenn nicht durch dieses Gesetz?)

— Das werden wir im Ausschuß beraten, mein lieber Kollege Kurlbaum. Das hängt wohl .davon ab, welche Begriffsbestimmungen wir für den Mißbrauch finden werden. Ich bin durchaus der Auffassung, daß wir solche Bestimmungen dort einarbeiten sollten. Dabei ist ganz wesentlich, auf welche Definition wir uns einigen.
Zu dem Thema „wirtschaftliche Macht" darf ich noch etwas anderes sagen. Was uns alle so unsympathisch berührt, ist, daß jemand, der Inhaber von wirtschaftlicher Macht oder, sagen wir, der Inhaber eines Großbetriebes ist, natürlich in einem gewissen Umfang über das Schicksal seiner Mitmenschen, der von ihm abhängig Tätigen — seien es Arbeiter, seien es Angestellte — mitbestimmen kann. In dem Maße aber, wie wir es zur Aufgabe unserer Sozialpolitik machen, den Freiheitsraum des Individiums gegen solche Übergriffe zu schützen, verliert doch dieses Argument eigentlich an Gewicht. Ich glaube feststellen zu können, .daß wir gerade hier in Deutschland eine Sozialpolitik getrieben haben, durch die dieses Ziel, Schutz des Freiheitsraums des einzelnen Menschen, wirklich erreicht wird. Ich darf nur an das Betriebsverfassungsgesetz erinnern. Ich glaube also abschließend sagen zu können, daß wir uns bei der Behandlung dieses Themas nicht von diesem Schlagwort beeindrucken lassen sollten.
Nun zum dritten, dem Hauptvorwurf, eine Kartellierung könne den technischen Fortschritt behindern. Das stimmt in gewissem Umfange, ist aber meines Erachtens nicht sosehr durch die Kartellie-


(Dr. Elbrächter)

rung als solche, sondern auch wieder durch den Umstand bedingt, daß unser heutiger technischer Produktionsapparat einen solch großen Einsatz von Kapitalien erfordert, daß einfach das natürliche Bestreben da ist, diese Kapitalien in einem gewissen Umfang zu schützen, sie wenigstens in einem angemessenen Zeitraum abschreiben zu können. Infolgedessen liegt es nach meiner Meinung daran, daß die großen Werke — ganz gleich, ob es eine Vielzahl von kleinen Werken ist, die sich zu Kartellen zusammengeschlossen haben, oder ob es etwa Monopole sind —das Bestreben haben, die Fortentwicklung der Technik zu neuen Maschinen usw. sich nicht überstürzen zu lassen. Ich könnte ein sehr eindruckvolles Beispiel geben, das in der Auseinandersetzung zwischen der englischen und der amerikanischen Luftfahrtindustrie eine große Rolle gespielt hat. Gerade weil die amerikanische Luftfahrtindustrie sich auf Massenherstellung, auf Fließbandfertigung eingestellt hat, hat sie enorme Maschinenwerte investiert. Sie ist natürlich daran interessiert, die in den Maschinen investierten Kapitalien sich erst wieder verdienen zu lassen. Die englische Luftfahrtindustrie ist viel beweglicher, sie hat diese großen Investitionen nicht vorgenommen. Infolgedessen kann sie sehr viel schneller die technische Entwicklung im Flugzeugbau berücksichtigen. Sie sehen also, unabhängig von Kartellen liegt eine gewisse Hemmung gegenüber dem allzu schnellen technischen Fortschritt einfach in der Tatsache, daß heute im Zeitalter der Massenherstellung zu große Kapitalien gebunden sind. Auch das sollten wir nicht übersehen. Das hat mit den Kartellen meiner Meinung nach gar nichts zu tun. Ich glaube also, sagen zu können, daß das Verbot der Kartellierung mit dieser Begründung nicht aufrechterhalten werden kann.
Ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Ich hätte eigentlich noch auf die Rechtsfragen einzugehen. Da ich kein Jurist bin, möchte ich diese Fragen hier nicht erwähnen. Ich möchte nur die Auffassung meiner Freunde hier mitteilen, daß wir nicht klug tun, wenn wir bei jeder Gelegenheit das Bundesverfassungsgericht strapazieren. Es gibt in der Rechtslehre über die Frage der Zulässigkeit des Kartellverbots die verschiedensten Auffassungen. Wir sollten die einzig mögliche Konsequenz daraus ziehen und, wie das bereits beantragt worden ist, den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beauftragen, sich mit den Rechtsfragen ganz eingehend zu befassen. Ich glaube, es wäre nicht klug, wenn wir vom Plenum des Parlaments aus immer wieder auf diese Argumente eingingen.

(Zustimmung rechts und in der Mitte.)

Wir sollten hier wirklich von der Praxis her entscheiden.
Wenn ich das eben gesagt habe, so möchte ich doch klarstellen, daß ich deswegen nicht auf den mir zu billig erscheinenden Gegensatz hie Praktiker — hie Theoretiker abheben will. Ich darf z. B. erwähnen — und das zum Trost der hier als Theoretiker verschrienen Kollegen —: ohne gewisse Vorstellung, Meinung genannt, arbeitet auch der Praktiker nicht. Der Theoretiker hat nur den Vorzug, daß er seine Meinung wissenschaftlich durchdacht hat und daher nach einem Leitbild arbeitet, das fundiert ist. Der Nur-Praktiker ergibt sich einer bloßen Meinung und wird durch diese unter Umständen irregeführt, an der Wirklichkeit vorbeigeführt. Ich meine aber, daß es klug ist,
auch die beste theoretische Vorstellung immer wieder an der Wirklichkeit zu orientieren. Unser sehr kluger Herr Wirtschaftsminister Erhard hat in seiner Begründung versprochen, das auch zu tun. Ich meine daher, daß wir eine solche Haltung — in der Philosophie nennt man das Pragmatismus — gerade an diesem Gesetz durchführen und exerzieren können. Wenn wir das täten, könnten wir meiner Meinung nach die etwas unerquickliche Rechtsfrage weitgehend in den Hintergrund drängen und sollten das Bundesverfassungsgericht nicht bemühen.
Ich darf abschließend folgendes sagen. Sie haben aus meinen Darlegungen gehört, daß sich meine Freunde von der Deutschen Partei im wesentlichen für den Höcherl-Entwurf aussprechen werden. Ich glaube, daß es im Endergebnis belanglos ist, ob man von dem Regierungsentwurf ausgeht, dann soundsoviel Ausnahmen festlegt, wie sie Herr Minister Erhard bereits zugelassen hat oder noch zulassen will, und so das Gesetz zu einem bestimmten Kompromiß hin umgestaltet oder ob man vom Höcherl-Entwurf ausgeht und dann durch genaue Festlegung von Definitionen, was Mißbrauch usw. ist, zu dem gleichen Resultat kommt. Mir scheint es nur logischer und zweckmäßiger zu sein, von einem Entwurf auszugehen, der in der Formulierung eleganter und kürzer ist und daher die größere Elastizität für die Praxis verspricht. Wir würden es begrüßen, wenn der Ausschuß den Höcherl-Entwurf zu seiner Verhandlungsgrundlage wählen würde; aber das wird ja im einzelnen im Ausschuß selber entschieden werden.

(Beifall rechts und in der Mitte.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207704300
Ich unterstelle das Haus ist mit mir einig, daß es unzweckmäßig wäre, jetzt noch einem weiteren Redner das Wort zu geben. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12 Uhr 58 Minuten.)

Die Sitzung wird 'um 15 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207704400
Die Sitzung ist wieder aufgenommen. Wir fahren in der Beratung des Kartellgesetzes fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0207704500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte auch noch sagen: Liebe Kartellgegner und weniger geschätzte Kartellfreunde, die ja hier im Saale sitzen. Die Neutralisten scheinen draußen zu sein, und ich stelle fest: das ist schon seit heute morgen die Mehrzahl in diesem Streit.
Wir stehen vor einer etwas schwierigen Situation, vor einer Anzahl von Kartellgesetzentwürfen und Änderungsanträgen, die uns hier vorgelegt worden sind. Insgesamt sind es fünf oder sogar sechs verschiedene Versionen, die uns vorliegen: der alte Regierungsentwurf, die Änderungsanträge des Wirtschaftsausschusses, die des Bundesrates, dann der Entwurf des Kollegen Höcherl, der Entwurf des Kollegen Böhm und im Hintergrund, uns nicht vorliegend, aber doch hier mehrfach, auch durch die Anfrage der SPD-Fraktion, an die Wand gezaubert, die Abmachungen mit dem BDI. Ich persönlich muß gestehen: ich habe so das 'Gefühl, als


(Scheel)

ob von den Einreichern dieser Entwürfe recht wenige mit schrecklicher Leidenschaft ihren eigenen durchbringen möchten. Fast alle scheinen auch mit einer anderen Lösung zufrieden zu sein.
Es ist hier schon vorn Grundsatz her das Problem der Wettbewerbswirtschaft angesprochen worden. Es haben, glaube ich, noch nicht alle Professoren dieses Hauses gesprochen. Ich weiß auch nicht, ob sie sich alle an dieser Diskussion beteiligen wollen. Ich stelle zu meiner Beruhigung fest, daß Professor Böhm im Augenblick nicht im Hause ist. Das wird mich der Sorge entheben, mit ihm in eine gewisse Verstimmung zu geraten, die zweifellos entstehen würde, wenn er das hörte, was ich jetzt zu sagen habe.
Meine Damen und Herren, Eucken, der ja doch der Erfinder all dieser Gedanken ist — Erfinder ist zuviel gesagt; aber auf seinen Gedankengängen beruht ja immerhin die Grundsatzdiskussion —, hat nicht behauptet, daß es die reine Form der Marktwirtschaft geben könne. Er hat selber gesagt: Die Wirtschaftsordnung, wie sie sich in der Praxis zeigt, kann nur immer eine Verschmelzung der beiden Extreme, nämlich einer Verkehrswirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft, sein, wobei der Beimischungsgrad je nach Lage unterschiedlich ist. Wir haben einen hohen Beimischungsgrad der Verkehrswirtschaft in unserer praktischen Wirtschaftspolitik. Es ist also unbestritten, daß die Wettbewerbswirtschaft in der chemisch reinen Form nicht besteht und nicht bestehen kann. Daher nennen wir unsere Wirtschaftsordnung ja
Marktwirtschaft, weil wirr mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik eine gesellschaftsformende Aufgabe erfüllen wollen. Die Grundlage. einer reinen Wettbewerbswirtschaft ist aber doch der Leistungswettbewerb, der hier so oft beschworen worden ist, von dem wir aber wissen, daß er in der Praxis durchaus nicht regelmäßig auftritt, daß er sogar selten auftritt. Nur 25 % aller gewerblichen und wirtschaftlichen Tätigkeit unterliegen überhaupt dem beabsichtigten Kartellgesetz, der ganze Rest ist ohnehin nicht drin.

(Zuruf von der SPD: Woher haben Sie die Zahlen?)

— Diese Zahlen sind hier in der Diskussion mehrfach genannt worden, unbestritten genannt worden. Ich dachte, Sie seien damit einverstanden.

(Lachen bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, es gibt eine Anzahl von Möglichkeiten der wirtschaftlichen Betätigung, sogar gegen den reinen Leistungswettbewerb oder gegen den Marktmechanismus anzugehen. Wenn ich z. B. an die Wirkung einer Werbung denke, — das ist doch nichts anderes als der Versuch eines Produzenten, den Mechanismus des Marktes ge- rade umzukehren, sich nicht von dort her seinen Preis diktieren zu lassen, sondern sich durch seine massive Werbung selber in die Lage zu versetzen, den Preis zu bestimmen. Ich habe auch nicht ge- hört, ,daß der Herr Wirtschaftsminister bisher etwas gegen die Werbung gesagt hätte. Oder: große Teile des Arbeitsmarktes sind ohnehin unbestritten aus dem Marktmechanismus herausgenommen. Niemand von uns würde so töricht sein, die Kartellbildungen auf dem Arbeitsmarkt anzugreifen. Auch der Staat und das Parlament selber wirken ja aus gutem Grund des öftern sogar gegen die Gesetze einer reinen Marktwirtschaft durch Interventionen, die wir bejahen. Ich denke beispielsweise an einen Fall, der hier vor einiger Zeit eine
Rolle gespielt hat: die Erhaltung der Arbeitsplätze in dem Werk Sontra, einem Bundesbetrieb. Wenn wir aber echt marktwirtschaftlich handeln wollten, dann dürfte das alles nicht geschehen, sondern dann müßte man so etwas aus dem Wettbewerb ausscheiden. Wir tun genau das Gegenteil, und alles das doch nicht mit schlechten Absichten.
Die Tatsache, daß ein Kartell der Volkswirtschaft schaden, aber auch nutzen kann, hat auch diese Debatte, wie sie bisher abgelaufen ist, nur unterstrichen. Das heißt aber doch, daß ein Kartell zunächst einmal und an sich neutral ist. Wenn wir den Schaden nun so rigoros verbieten, verbieten wir natürlich gleichzeitig auch den Nutzen. Das ist eine augenscheinlich vorsichtige, sichere, aber in der Tat kurzsichtige Methode; denn das würde heißen, daß wir meinetwegen Streichhölzer verbieten müßten, weil sie sich ja in der Tasche eines Brandstifters befinden könnten.
Die Unterschätzung des Nutzens, den gewisse Formen von Kartellen für die Volkswirtschaft und für :den Konsumenten bringen, ist, glaube ich, in der Regierungsvorlage und auch in der Vorlage von Professor Böhm zu sehen.
Die These von der Harmonie der vollkommenen Konkurrenz hat als gedankliches Modell durchaus ihre Bedeutung, und wir bemühen uns ja in unserer Wirtschaftspolitik fortgesetzt, uns diesem nützlichen Modell anzugleichen, weil seine Richtigkeit im Grundsatz von niemandem bestritten wird. Der wünschenswerte Automatismus, bei dem Anbieter und Nachfrager wie Seismographen auf Preisschwankungen reagieren, setzt aber neben der Markttransparenz eine Elastizität auf beiden Seiten, auch beim Angebot, voraus, die sicher in I verschiedenen Bereichen vorhanden ist und in größerem Maße früher einmal vorhanden war. Unsere moderne Wirtschaft, vor allem unsere moderne Industrie — um bei der Angebotsseite zu bleiben — ist alles andere als elastisch. Die hohen investierten Kapitalien, Zinsen, Amortisationen gestatten es einem Betriebe heute nicht mehr in allen Fällen, die Produktion bei verminderter Nachfrage einzuschränken; auch kann sich ein solcher Betrieb nun nicht etwa von Damenstrümpfen auf schlauchlose Autoreifen umstellen. Er will vielmehr unter allen Umständen seinen Umsatz erhalten und wird in völlig markt-gegenläufigem Verhalten nicht etwa seine Produktion einschränken, sondern wird versuchen, seine Konkurrenten im Preis zu unterbieten. Auf der anderen Seite können die Käufer nun auch noch mit der Nachfrage zurückhalten, was nicht :den Gesetzen des Marktes entspricht, sondern weil sie annehmen — es gibt viele psychologische Gründe dafür —, daß sinkende Preise noch weiter fallen.

(Abg. Dr. Köhler: Seine Majestät der Käufer!)

Solche Zeiten erfordern es auch im Interesse des Konsumenten, daß einem ruinösen Wettbewerb, der sich da ergeben könnte, Einhalt geboten wird durch eine Absprache, ,die sich nicht gegen den Konsumenten zu wenden braucht. Aber diese Absprache muß dann schnell geschehen, sonst hat sie ihre Wirkung vollkommen verfehlt, und darum muß es bei dem Gesetzentwurf gehen.
Ich weiß nicht, warum man hier in unserem Hause von den Kartellen immer nur das Allerschlimmste, das Schrecklichste erwartet, was es


(Scheel)

überhaupt geben kann. An sich ist ja jeder Produzent und Händler, auch wenn er einem Kartell angehört, sorgfältig darauf bedacht, seine potentielle Konkurrenz in diesem Stadium zu halten und sie nicht so zu provozieren, daß sie als offene Konkurrenz auftritt. Das bedingt ohnehin schon eine vernünftige Preispolitik.
Die Kartelle können potentielle Konkurrenz, die ja überall drinsteckt, nur dann ausschalten, wenn sie nach außen hin einen starken Zwang, etwa durch Rohstoffsperren und ähnliche Maßnahmen, ausüben. Dann allerdings ist wohl das Verbot am Platze; darüber besteht bei uns gar kein Zweifel.
Es darf eben in unserer Diskussion nicht darum gehen, Kartelle generell zu verbieten, sondern man muß versuchen, die nützlichen von den schädlichen zu unterscheiden, die nützlichen zuzulassen und zu überwachen, die schädlichen allerdings zu verbieten, die nützlichen also in einer zweckmäßigen Form unserer marktwirtschaftlichen Ordnung einzugliedern.
Das ist sicher auch der Gedanke gewesen, der unseren Kollegen Dr. Schöne , der gerade vor mir sitzt, bewogen hat, in der ersten Lesung im 1. Deutschen Bundestag zu sagen — ich zitiere ihn jetzt —:
Aus den obigen Darlegungen zum Wettbewerb, wie wir ihn sehen, ist ersichtlich, daß es uns sehr darauf ankommt, die richtige 'Grenzlinie zwischen zweckmäßigen und unzweckmäßigen Erscheinungen wirtschaftlicher Macht zu ziehen. Aus dieser Konzeption
— so sagte er damals —
bietet sich eine Mißbrauchsgesetzgebung eher an als eine Verbotsgesetzgebung.
Ich will Herrn Dr. Schöne nicht darauf festlegen, sondern ich will ihm durchaus die Freiheit lassen, im letzten Punkt seine Meinung zu ändern. Aber ich glaube, daß wir im ersten Teil —

(Abg. Dr. Schöne: Sie müssen weiterlesen, Herr Scheel!)

— Sie wissen, es ist Idas Geheimnis der Zitate, nicht allzuviel zu zitieren!

(Heiterkeit. — Sehr gut! bei der SPD.)

Herr Dr. Schöne, ich glaube, daß wir im ersten Teil Ihrer Aussage auch heute noch übereinstimmen, daß es nämlich notwendig ist, diese Grenzlinie zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, wir sollten doch einmal gerade hier in einem Parlament naheliegende Vergleiche wählen, um etwas über das Wesen von Kartellen zu erfahren. Sehen wir uns doch einmal hier unter uns selbst um! Was ist das, was wir vor uns sehen, denn anderes, als Zweckvereinigungen verschiedener Schattierungen, 'die man auch Fraktionskartelle nennen könnte! Wenn z. B. bei der SPD der Kollege Menzel — er ist nicht da —

(Zuruf von der SPD: Doch!)

— aha! — bei der namentlichen Abstimmung eine rote Karte hochhebt und 150 Leute wählen mit Nein — das ist ja die normale Form der Wahl —, dann ist das doch nichts anderes als ein Kartell!

(Heiterkeit.)

Ich will hier weiß Gott nicht die Opposition allein
damit belasten. Ich biete Ihnen an, den Namen
„Dr. Menzel" durch „Dr. Krone" und die Zahl 150 durch die Zahl 250 zu ersetzen; das ist Ihnen ganz überlassen. Natürlich gibt es auch unter uns hier starke potentielle Konkurrenz innerhalb der einzelnen Kartellvereinigungen. Dafür hat ja gerade meine Fraktion in der jüngsten Vergangenheit Beweise genug geboten, wobei diese potentielle Konkurrenz, ganz wie das in der praktischen Wirtschaft ist, vom großen Außenseiter mit leicht monopolistischen Tendenzen — der Herr Bundeskanzler ist nicht da — freundlich ermuntert worden war.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben diese Zweckverbände ja nicht gebildet, um unsere ,;Konsumenten", die Wähler, übers Ohr zu hauen. Nein, ganz im Gegenteil; wir haben sie doch gebildet, um ihnen dadurch besser dienen zu können. Warum wollen Sie das, was wir für uns in Anspruch nehmen, einem Wirtschaftler auf jeden Fall absprechen?
Die Behauptung, 'daß Kartelle auf alle Fälle preissteigernde Wirkungen hätten, ist in dieser generellen Form ja auch nicht aufrechtzuerhalten. Wenn ich mich einmal an dien Korea-Boom und seine Auswirkungen und Begleiterscheinungen erinnere, dann fällt mir doch auf, daß zu jener Zeit unser Wirtschaftsminister Professor Erhard eine Rede gehalten hat, und zwar war es am 6. Februar 1952 vor dem Institut für Auslandsforschung an der Universität in Zürich, in der er sagte — vollkommen berechtigt —:
Mit um so größerer Befriedigung kann ich feststellen, daß bei einem europäischen Vergleich die Schweiz und Deutschland die beiden Länder gewesen sind, die, bildlich gesprochen, am besten über die Runden kamen. Diese beiden Länder haben die geringsten Preissteigerungen aufzuweisen, und das Verhältnis zwischen Löhnen und Preisen hat sich in keinem anderen Land unter einem sozialen Aspekt so wohltätig entwickelt wie gerade bei uns.
Nun, meine Damen und Herren, die Schweiz ist nicht gerade ein Land mit besonders scharfen Kartellverboten, im Gegenteil, sie 'ist ja das Land in Europa, das, auch nach den Aussagen des Bundeswirtschaftsministers, am härtesten kartelliert ist; und es steht in der Preisbewegung ganz unten, wie der Bundeswirtschaftsminister sagt, an letzter Stelle. Und wieso haben wir eigentlich da gestanden? Nun, ich erinnere mich sehr lebhaft, damals an verschiedenen Veranstaltungen von Wirtschaftsverbänden teilgenommen zu haben, bei denen der Bundeswirtschaftsminister als Redner aufgetreten ist. Er hat uns mit Recht und sicherlich zum Nutzen der Konsumenten mit aller Wärme, die er aufbringen konnte, beschworen, trotz der Bewegung auf dem Weltmarkt nur ja mit den Preisen unten zu bleiben. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als der Versuch, ein Kartell zu bilden. Das wäre nach seinem eigenen Gesetzentwurf ja doch zu bestrafen, nicht wahr?

(Heiterkeit.)

Also unser Bundeswirtschaftsminister ist sicherlich einer der populärsten Kartellgründer der Nachkriegszeit gewesen, aber doch nicht, um den Konsumenten zu schädigen, sondern um die Preise möglichst unten zu halten; und das ist ihm ja Gott sei Dank auch gelungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird des öfteren darauf hingewiesen, daß die Ameri-


(Scheel)

kaner so gute Erfahrungen mit ihrer Gesetzgebung gemacht haben. Ich habe es immer sehr dankbar begrüßt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bei jeder Gelegenheit betont hat, daß die amerikanische Gesetzgebung weder für uns ein Vorbild sein kann noch unser eigenes Gesetz von ihr inspiriert ist. Ich habe das sehr dankbar begrüßt, und ich habe auch nie einen Verdacht in dieser Richtung gehabt. Aber wir müssen die Sherman Act doch eingebettet in die übrigen Gesetze der Vereinigten Staaten sehen. Wir dürfen nicht übersehen, daß z. B. das Gesetz der Rule of Reasons in der Rechtsprechung eine große Bedeutung hat. Wir dürfen nicht übersehen, daß es neben der Sherman Act auch eine Patman Act gibt, die preisdiskriminierende Maßnahmen verbietet. Das ist, glaube ich, von entscheidender Bedeutung; ich darf es deswegen hier einmal erwähnen. Sicher sind in den Vereinigten Staaten alle Kartelle verboten. Durch die Patman Act ist es dem Produzenten verboten, seinen Abnehmern unterschiedliche Preise zu machen, d. h. er darf sich nicht selber Konkurrenz machen. In der Praxis — das wird jeder zugeben, der die Märkte beobachtet — wirkt sich das eine genau so aus wie das andere, und deswegen werden Sie, wenn Sie nach den Vereinigten Staaten kommen, feststellen, daß auf den dortigen Märkten die Preise nicht etwa wild auseinanderklaffen, sondern Sie werden immer verwundert sein, daß sich unter einer Verbotsgesetzgebung eine außerordentliche, ich möchte fast sagen, Preisdisziplin für den Konsumenten auf dem amerikanischen Markt ergibt.
Ich nehme an, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn er an einer Esso-Tankstelle 61,3 Pf, an einer Shell-Tankstelle 61,3 Pf und an einer BV-Tankstelle 61,3 Pf bezahlt hat, mit Recht auf den Gedanken gekommen ist, daß sich dieser Preis in schärfstem Wettbewerb ergeben hat. So sieht es allerdings auch auf dem Markt der USA aus, und wir dürfen das nicht unberücksichtigt lassen.
Ich will allerdings auch darüber sprechen, welche soziologischen, welche gesellschaftspolitischen Wirkungen die Antikartell- und -monopolgesetzgebung in den Vereinigten Staaten gehabt hat. Die Monopole hat sie nämlich nicht getroffen. Niemand von uns wird etwa sagen, daß New Jersey Oil —oder was Sie wollen — kein Monopol oder Oligopol mit sehr gefährlichen Tendenzen wäre. Das ist also nie vermieden worden, und mir ist kein größerer Fall eines Rechtsstreites bekannt, wo etwa DuPont oder ein ähnlicher Konzern erheblich auseinandergefiattert wäre, obgleich die Amerikaner doch bei uns bewiesen haben, daß sie das Auseinanderdividieren, das Dekonzentrieren in der Technik recht gut verstehen. Sie haben es in ihrem eigenen Lande nur niemals angewandt. Andererseits ist doch nicht zu verkennen, daß sich unter dieser Gesetzgebung eine außerordentliche Konzentration vollzogen hat und darüber hinaus. was man meist, wenn man von small business spricht, übersieht. daß das small business in der Zahl allerdings noch besteht oder noch größer geworden ist, daß es sich aber vom Konsumentenmarkt entfernt hat: es konkurriert nicht mehr in der Härte des Marktwettbewerbs — das sind meist Oligopolisten, die konkurrieren -, sondern das small business ist zum abhängigen Zulieferer geworden, etwa wie heute der Hersteller von Wagenhebern ein verhältnismäßig abhängiger Zulieferer einer Automobilfabrik geworden ist. Ich bin davon überzeugt, daß Henry Ford — dies sei einmal eingestreut —, der sich außerordentlich für die Antikartellgesetzgebung eingesetzt hat, das mit gutem Grund getan hat. Ihm wäre es unangenehm, wenn sich etwa die Wagenheberproduzenten zu einem Kartell zusammenschließen wollten, und das möchte er vermeiden. Ihn trifft das Anti-Trust-Gesetz nicht.
Ich darf hier noch einen Gedanken erwähnen, der im Zusammenhang mit der Diskussion in der Presse erörtert worden ist: Kartellgesetz und Grundgesetz. Es liegt ja ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Zusammenhang mit der Investitionshilfe vor, das sehr gut sagt, wie die Dinge liegen. „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialform" — so sagt das Bundesverfassungsgericht —„ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche". Damit — so glaube ich — ist mit Recht herausgestellt, daß das Grundgesetz als solches keine technische Wirtschaftsform vorschreibt. Nun scheinen aber die Mitglieder unseres Hauses, die sich für eine generelle Verbotsgesetzgebung einsetzen, schlicht und einfach von der Voraussetzung auszugehen, daß diese ihre Meinung die Wirtschaftsdoktrin unseres Grundgesetzes wäre.

(Abg. Dr. Reif: Das hat doch keiner gesagt! Nicht einer hat das gesagt!)

— Ich sprach von einer Pressepolemik. In der Presse ist das so erschienen.

(Abg. Dr. Reif: Die Mitglieder dieses Hauses, die für die Verbotsgesetzgebung sind, sagten Sie, pflegen so zu argumentieren!)

— Ich sage also nicht: „die Mitglieder", sondern ich sage: „einige", und wenn einige sich dagegen wehren sollten, nehme ich das auch noch zurück und beschränke es auf die Pressepolemik. Ich will niemandem zu nahe treten. Weiß Gott, die Mitglieder dieses Hauses, die also sehr kräftige Verbotsgesetzgeber sind, sind mir lieb und wert. Das ist ganz klar. Ich nehme ja nicht in Anspruch, daß meine Auffassung die allein seligmachende ist, auf gar keinen Fall; ich lasse mich sogar in den Beratungen im Ausschuß belehren, wenn das mit den nötigen Beweismitteln getan wird. Meine Meinung liegt noch nicht einmal fest. Ich komme nachher noch darauf. Nur will ich sagen: da das Grundgesetz von einer wirtschaftstheoretischen Entscheidung doch abgesehen hat, ist damit auch die Behandlung der Kartellfrage unter wirtschaftstheoretischen Aspekten ausgeschlossen. Nach dem Grundgesetz ist lediglich zu prüfen — das steht allerdings drin —, ob Kartelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen und ob diese Gefahr konkret genug ist, um das Einschalten des Gesetzgebers zu rechtfertigen. Und dieser Beweis dürfte in solcher Allgemeingültigkeit — will ich einmal sagen — kaum zu erbringen sein. Eine starre — ich betone ausdrücklich: starre — Verbotsgesetzgebung kann daher als Folgerung aus dem Grundgesetz auf jeden Fall nicht in Betracht kommen.
Es ist über die Frage der Beweislast — wir kommen jetzt schon in die Technik hinein — auch hier und in der Öffentlichkeit sehr viel gesprochen und geschrieben worden. Wenn sich z. B. Herr Dr. Ilau
— ein alter Bekannter von mir, sogar ein Freund; ich bin ihm nie böse, wenn er anderer Auffassung ist —, in der FAZ über mangelnde Klärung der Mißbrauchsfragen beschwert, so tut er das gewiß in der Anwendung des Satzes, daß die Beweislast für jede Freiheitsbeschränkung auf seiten dessen


(Dr. Elbrächter)

liegt, der behauptet, die Freiheit beschränken zu können.

(Abg. Dr. Köhler: Siehe § 10!)

Er unterstellt also, daß es sich bei Kartellen a priori um Freiheitsbeschränkungen handelt. Nun darf man sich auf der anderen Seite auf die gleiche Prämisse stützen und argumentieren, daß das Kartellverbot eine Freiheitsbeschränkung sei; dann würde die Beweislast bei einem einzurichtenden Kartellamt liegen. Wie kommt es nun zu dieser paradoxen Gegenüberstellung? Nun, die Anhänger der Verbotsgesetzgebung gehen davon aus, daß sich die Harmonie der vollkommenen Konkurrenz verwirklichen läßt, in vollem Umfang verwirklichen läßt und Freiheit und Gerechtigkeit in sich verbürgt. Wenn sich das beweisen läßt — woran ich noch zweifle —, wären Kartelle in der Tat einem Ausnahmerecht zu unterwerfen. Oder: Wenn sich das Grundgesetz gar für eine bestimmte Wirtschaftsdoktrin in der Technik entschieden hätte, könnten Kartelle als solche schon verfassungswidrig sein. Professor Nipperdey unterstellt ja auch, daß sich das Grundgesetz für die neoliberale Wirtschaftstheorie entschieden habe, wenn er von den Rechten, die die Persönlichkeitsfreiheit betreffen, die Wettbewerbsfreiheit als eine der wesentlichen Bestandteile bezeichnet und ihr den Vorrang gegenüber allen anderen Rechten einräumt. Damit nimmt er aber eine Wertung der Wirtschaftsartikel des Grundgesetzes vor, die dem Grundgesetz sicher nicht immanent ist. Die Anhänger dieser Gesetzgebung können nicht für sich in Anspruch nehmen, allein mit dem Kartellverbot die Wettbewerbsfreiheit erhalten zu können. Das ist eine Auffassung, die nicht allgemein geteilt werden kann, sondern sie ist eine subjektive Auffassung.
Nun kommt es mir darauf an, einmal wegzukommen von dieser schrecklichen Alternative: Verbot oder Mißbrauch. Das ist doch gar nicht das Entscheidende, ob man mit dieser oder jener Technik dieses Problem angeht. Ich muß Ihnen gestehen, ich würde mich zu der einen und zu der anderen bekennen, wenn damit das Problem so gelöst wird, wie wir es, glaube ich, zumindest zum größten Teil lösen wollen; das heißt, wahrscheinlich wird es in der Praxis so sein, daß wir für einen großen Teil Verbote aussprechen müssen, für einen anderen Teil, den wir mit Mißbrauchsmethoden bekämpfen müssen, aber nicht. Ich kann doch nicht sagen: Nur das eine oder nur das andere ist allein seligmachend.
Das ist das Anliegen, was ich Ihnen heute als das allerdringendste vortragen möchte: Wegzukommen von dieser unglücklichen Formulierung „Verbot oder Mißbrauch" und sich zu beschränken auf die Untersuchung: Schaden oder Nutzen und dann eine Technik der Gesetzgebung zu finden. Das ist doch die Aufgabe des Wirtschaftspolitischen Ausschusses: nicht mit idem Schaden auch den Nutzen zu verhindern, sondern den Schaden in weitestem Umfang zu verhindern, auch prophylaktisch — dieser Meinung bin ich —, aber auch einen Nutzen, wo er erkennbar ist, zuzulassen. Dazu gehört auch eine gewisse Schnelligkeit in der Schaffung von Absprachen, wie ich das eben schon einmal ausgeführt habe.
Dem Bundeswirtschaftsminister wirft man — meiner Auffassung nach zu Unrecht — häufig vor, er sei auf eine ganz bestimmte Form festgelegt. Ich glaube, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister das durchaus nicht ist. Er hat mehrfach, zuletzt bei der ersten Lesung hier im Bundestag, seiner Auffassung Ausdruck gegeben, daß er genau so beweglich zu denken beabsichtigt, wie wir es wollen. Ich zitiere ihn jetzt noch einmal. Er sagte am 27. Januar 1950 — bei Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht —:
Wir wissen sehr wohl, daß die Kartelle sehr unterschiedliche Zielsetzungen haben, und da möchte ich Ihnen gleich sagen: wenn ich mich in der Öffentlichkeit
— so sagte der Herr Bundeswirtschaftsminister —
als entschiedener Gegner der Kartelle bekannt habe, dann schien mir diese Haltung notwendig zu sein, um einmal den Grundsatz, das Prinzip als solches völlig klar herauszustellen. Niemand konnte annehmen, ... daß es die Absicht der Regierung gewesen ist, mit der Konsequenz, die Sturheit bedeutet, nun etwa alles zu zerstören, was im Sinne einer organisierten Wettbewerbsordnung durchaus wertvoll sein könnte.
Auf dieser Feststellung, glaube ich, kann sich das Haus treffen. Der Gesetzentwurf ist ein Grundgesetz der deutschen Volkswirtschaft. Die Arbeit in den Ausschüssen wird schwer und verantwortungsvoll sein. Es wird nötig sein, unvoreingenommen und mit Aufgeschlossenheit unsere Arbeit zu beginnen. Vielleicht opfern wir sogar einmal unsere unumstößliche Konzeption einer lebendigen, lebens- und wirtschaftsnahen Konstruktion.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207704600
Das Wort hat der Abgeordnete Raestrup.

Bernhard Raestrup (CDU):
Rede ID: ID0207704700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, fast zum Schluß der heutigen Ausführungen als Rufer im Streit das Wort zu ergreifen, sondern ich zitiere den Schlußsatz unseres Wirtschaftsministers, mit dem er vor acht Tagen seinen Gesetzentwurf eingebracht hat. Er sagte damals:
So bringe ich denn dieses Gesetz ein in der Erwartung, daß sich der Deutsche Bundestag der Tragweite dieses auf innerpolitischem Gebiet wahrscheinlich wichtigsten deutschen Gesetzes bewußt sein und eine gute, glückliche Lösung für unser Volk und für unsere Wirtschaft finden möge.
Ich kann diese Worte des Herrn Wirtschaftsministers nur unterstreichen. Wir wollen, von diesem Geist und dieser Auffassung geleitet, in den Wirtschaftspolitischen Ausschuß hineingehen und, ohne voreingenommen zu sein, an dieser Aufgabe arbeiten. Sie haben gesagt, verehrter Herr Minister, Sie wollen für unser Volk und für unsere Wirtschaft das Beste schaffen. Wir von der Industrie sind ja auch ein Teil dieser Wirtschaft. Das berechtigt mich dazu, von meinem Standpunkt als Wirtschaftler, als Unternehmer aus einiges zu diesem Gesetzentwurf zu sagen.
Wir befinden uns hier in einer nicht leichten Lage. Wir lehnen das Verbotsgesetz ab und wollen nach Möglichkeit ein Mißbrauchsgesetz haben, das Mißbrauchsgesetz, das unser Kollege Herr Höcherl eingebracht hat und von dem ich sagen kann: dadurch ist ganz klipp und klar bewiesen, daß es genau so gut möglich ist, das, was im Interesse unseres Volkes notwendig ist, um die Leistungssteigerung im Wettbewerb zu haben, auf dem Wege


(Raestrup)

des Mißbrauchsgesetzes zu erreichen wie auf dem Wege des Verbotsgesetzes.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Aber ich bin gar nicht engstirnig. Wir wissen, daß der Höcherlsche Entwurf genau so wie der Regierungsentwurf und der Böhmsche Entwurf in erster Linie an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß und hoffentlich auch an den Rechtsausschuß überwiesen wird. Denn wenn wir ein Gesetz beschließen, das letzten Endes nachher in erster Linie von der Industrie befolgt werden muß, dann habe ich das denkbar größte Interesse daran, daß das Gesetz nicht über das Knie gebrochen wird, sondern daß im Wirtschaftspolitischen Ausschuß unter allen Umständen, aber auch Rechtsausschuß gründliche Arbeit geleistet wird.

(Abg. Dr. Köhler: Sehr richtig!)

Wenn ich jetzt diese ganzen Paragraphen durcharbeite, dann sage ich mir: so wie die Gesetzentwürfe heute sind, sind sie eine Fundgrube für Rechtsanwälte und Staatsanwälte.

(Hört! Hört! und Heiterkeit in der Mitte)

Man macht es sich etwas leicht, uns, die wir letzten Endes mit dem gleichen Recht für ein Mißbrauchsgesetz eintreten können wie andere für das Verbotsgesetz, zu bekämpfen. Man macht nämlich folgendes: man malt die Karikatur eines Kartells an die Wand und beginnt dann, vor diesem Zerrbild eines Kartells die Vorwürfe gegen uns zu starten. Ich habe mir die Mühe gemacht, aus den Zeitungen der letzten drei Wochen, und zwar aus zum Teil sehr angesehenen Zeitungen, eine Blütenlese herauszufinden. Ich brauche nicht lange zu suchen. Was sagt man denn nun von den „Freunden" eines Kartells? Zunächst sind die Ausdrücke „Kartellfreunde" und „Kartellgegner" falsch. Ich bin nicht ein fanatischer Befürworter des Kartellwesens, sondern ich bin lediglich dafür, daß man der Möglichkeit Raum gibt, unter gewissen Umständen zu gewissen Zeiten Kartelle und kartellähnliche Absprachen dann zu machen, wenn der Zustand einer Schleuderkonkurrenz besteht. Wenn ich mir die Äußerungen so durcharbeite, dann sage ich mir: man soll doch nicht Wettbewerb und Leistungssteigerung und unlauteren Wettbewerb als ein und dasselbe bezeichnen. Ich bedaure es ganz außerordentlich, daß in Verbindung mit diesem Kartellgesetzentwurf nicht zu gleicher Zeit der Gesetzentwurf gegen den unlauteren Wettbewerb gekommen ist. Wäre er gekommen, dann würde mancher unserer Auffassungen leichter Geltung verschafft werden können.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Ich will Ihnen nur einmal vorlesen, was wir für „Schwerverbrecher" sind. Wir sind für die Unterbindung jedes Wettbewerbs, gegen Leistungssteigerung. Wir sind für die Verfälschung der Preise und die Ausbeutung der Konsumenten. Wir lähmen den Fortschritt und die Unternehmerinitiative. Wir wollen Kartellrentner werden, von Pfründen leben und für unsere Unternehmen paradiesische Zustände schaffen. — Meine Damen und Herren, ich der ich nun 55 Jahre selbständiger Unternehmer bin und den Wettbewerb und die Leistungssteigerung aus der eigenen Erfahrung meiner 55jährigen Tätigkeit beurteilen kann, muß sagen, daß man
mit solchen Dingen wirklich nicht operieren soll. Denn dadurch erweckt man ja ganz falsche Vorstellungen von dem, was wir eigentlich wollen.

(Abg. Dr. Köhler: Wer hat das geschrieben?)

— Die angesehensten Tageszeitungen! Sie sollten nicht so neugierig sein, lieber nicht!

(Heiterkeit.)

Aber ich bin bereit, all denen, die es interessiert, diese Sammlung von Äußerungen aus den Tageszeitungen vorzulegen, mein lieber Freund Köhler. Sonst bin ich immer — das hängt mit meinem Alter zusammen — etwas vorsichtig.
Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister, ich habe Ihre Rede gelesen und habe doch einen Absatz in Ihren Ausführungen bedauert. Ich habe heute morgen eine Anzahl von Zuschriften bekommen, nicht von Syndizi - die Sie ja nicht besonders hoch schätzen —, sondern von selbständigen Unternehmern, die sich durch eine Äußerung, die Sie getan haben, auf das schwerste verletzt gefühlt haben. Ich nehme Ihre Äußerungen nicht so tragisch; ich kenne Sie.

(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard: Was für welche?)

— Kommt, kommt!

(Heiterkeit.)

Ich nehme Ihre Äußerungen nicht so tragisch, Herr Minister, denn ich kenne Ihr Temperament.

(Heiterkeit.)

Die Äußerung lautet folgendermaßen:
Als Wirtschaftsminister habe ich nicht die Interessen gewerblicher Gruppen, sondern das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern zu verteidigen. Das, meine Damen und Herren, steht auf dem Spiel.
Nun frage ich Sie allen Ernstes, Herr Minister: Wollen Sie behaupten, daß der deutsche Unternehmer gewillt und bereit ist, das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern anzugreifen und zu gefährden?

(Zuruf von der Mitte: Hat er gar nicht gesagt!)

Das ist die Frage, die ich an Sie stelle. Ich bitte Sie, Herr Minister, nur um die Freundlichkeit, diese Äußerungen vielleicht doch einmal richtigzustellen; denn sie haben außerordentlich böses Blut erregt. Sie müssen begreifen, meine Damen und Herren, in welcher Situation wir sind. Wenn Sie sich mit diesen Worten an 50 Millionen Verbraucher wenden, dann müssen Sie sich darüber klar sein, daß von selbst eine gewisse gefährliche Stimmung hervorgerufen wird.

(Abg. Dr. Köhler: Sehr richtig!)

Herr Minister, ich würde Ihnen außerordentlich dankbar sein. Ich habe selbstverständlich nicht die Ausdrücke wiederholt, die in diesen Schreiben stehen. Davon halte ich nichts. Aber ich glaube, ich habe Ihnen doch wohl Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn ich Sie bitte, doch nicht in dieser scharfen Form gegen deutsche Unternehmer zu sprechen. Denn wenn der deutsche Unternehmer — —

(Zuruf des Abg. Kurlbaum.)



(Raestrup)

— Was haben Sie gegen den deutschen Unternehmer?

(Abg. Kurlbaum: Herr Kollege Raestrup, sind Sie der Meinung, daß von Verbrauchern hier zuviel gesprochen worden ist?)

— Nein, ich bin nur der Auffassung, Herr Kurlbaum, daß es nicht richtig ist, wenn man sagt: ich muß die Lebensrechte—ich bitte, das zu betonen —von 50 Millionen Verbrauchern schützen gegen das Unternehmertum. Das steht hier drin.

(Zuruf von der Mitte: Das hat er nicht gesagt!)

— Das steht hier drin, Donnerwetter noch mal! (Große Heiterkeit und Zurufe von der Mitte: Nein, nein!)

— Gegen wen wollen Sie es denn verteidigen, wenn nicht gegen diejenigen, die dafür sind? Ich freue mich ja, wenn der Herr Minister sagt, daß meine Auffassung falsch ist. Das will ich ja gern von ihm hören und nichts weiter. Wenn wir so debattieren, meine Damen und Herren, dann können wir das Ziel, das der Herr Minister sich gesteckt hat, nur sehr schwer erreichen.
Nun kommt eine andere interessante Sache. Herr Professor Reif hat auch davon gesprochen, wie unsere Wirtschaft zu diesen Fragen steht, und er hat es getadelt, daß die Industrie ein Gutachten eines Universitätsprofessors gebracht hat, der, wie er behauptet — ich weiß nicht, ob das wahr ist —, der Sozialdemokratischen Partei nahestehen soll. Er hat kein Verständnis dafür, daß die Industrie ein solches Gutachten verbreitet. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz offen und ehrlich etwas sagen. Zunächst: unser verehrter Herr Wirtschaftsminister wird keinen Moment zögern, mit der Hilfe der Sozialdemokratie dieses Gesetz durchzubringen.

(Große Heiterkeit. — Ironische Zurufe von der SPD: Unerhört! — Unglaublich!)

Und zweitens — meine Damen und Herren, nun seien Sie mal ruhig! —: ich persönlich habe nicht die allergeringsten Bedenken. Wenn ich ein solches Gutachten lese und wenn es mir gefällt, warum soll es dann nicht von einem Sozialdemokraten stammen? Ich bin sehr dafür, wenn die Sozialdemokraten uns hin und wieder mal helfen.

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Schöne: Sehr gut!)

Also ich bin wirklich nicht so engstirnig.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sie sind ja auch ein Westfale!)

— Jawohl! Ich kann Ihnen auch verraten, daß ich mit besonderem Interesse die roten Hefte der Gewerkschaften — ich kenne den Titel augenblicklich nicht genau — lese. Bis vor einem halben Jahr konnte ich feststellen, daß sie in bezug auf das Kartellverbotsgesetz ganz unserer Auffassung waren. Dann erfolgte plötzlich — aus welchen Gründen, weiß ich nicht — eine Drehung um 160 Grad, und sie schrieben das Gegenteil.

(Heiterkeit. — Zurufe von der Mitte: 180 Grad! — Das ist das Geheimnis der Gewerkschaften!)

Nun will ich mich nicht in diesen theoretischen Streit zwischen Professoren, ob Verbotsgesetz oder Mißbrauchsgesetz, einmischen. — Herr Professor Reif ist leider nicht hier, sonst würde ich ihm zu seiner Beruhigung sagen, abgesehen von dem ihm so bedenklich erscheinenden, meines Erachtens ganz hervorragenden Gutachten von Professor
Peter, der Sozialdemokrat ist, habe ich 33 Gutachten von Professoren da, die ganz auf meinem Standpunkt stehen, die aber anscheinend einwandfrei sind.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : 33?)

— Ich weiß es nicht; aber ich würde mich freuen, wenn ein Dutzend dabei wäre, das letzten Endes auch, wollen wir mal sagen, wirtschaftlich etwas anders denkt.
Ich möchte Ihnen nun einmal — und ich bitte um etwas Geduld dafür — von meinem Standpunkt aus, der ich nun auf eine 55jährige Tätigkeit als freier und selbständiger Unternehmer zurückblikken kann, einiges über meine Erfahrungen sagen. Man kann ja auch einmal einen Praktiker hören und braucht nicht nur Theoretiker zu hören.

(Beifall.)

Ich bin nun in diesen vergangenen 55 Jahren mal im Kartell gewesen, bin dann mal in keinem Kartell gewesen und war dann wieder mal in einem Kartell. Und das Wichtigste: Augenblicklich bin ich in meinen Fabrikaten nicht kartelliert.

(Abg. Kurlbaum: Das ist ja auch noch nicht erlaubt! — Heiterkeit.)

— Ach, Sie ahnungsloser Engel!

(Große Heiterkeit.)

Ich bin also frei und unabhängig. Aber ich werde auch in kein Kartell gehen. Ich kann kein Kartell gebrauchen.
Warum sage ich das hier, meine Damen und Herren? Weil ja sonst wieder die Litanei von dem sogenannten Interessentenvertreter gesungen wird. Ich stehe hier mit blankem Schild vor Ihnen, wenn ich heute zu Kartellfragen spreche. Ich habe das deshalb gesagt, weil mich im Augenblick die Preiskartelle nicht interessieren. Ich bin aber in früheren Jahren und noch vor 1914 Mitglied eines Kartells in der eisenverarbeitenden Industrie gewesen und, getragen von dem Vertrauen meiner Mitunternehmer, Vorsitzender eines westdeutschen Kartells, im Vorstand eines deutschen Kartells und im Vorstand eines europäischen Kartells, das seinen Sitz in Berlin hatte. Aus dieser meiner Erfahrung heraus sage ich, daß das, was heute von den Kartellen an Schlechtigkeiten usw. alles behauptet wird, Märchenerzählungen sind.
Wir haben damals die eisenverarbeitende Industrie kartelliert, und wir haben erreicht, daß diese eisenverarbeitende Industrie, die namentlich im Hagener Bezirk saß — in meinem Wahlbezirk —. im Lennetal, im Volmetal und im Ruhrtal usw., den Erfolg erzielt hat, daß sie dank der Tatsache, daß sie nicht zu Schleuderpreisen verkauft hat, sondern zu ausreichenden Preisen, es erreicht hat, den Weltmarkt gegenüber England mit ihren Fabrikaten zu erobern, und es war möglich, die Verbraucher im Inland zu stets sinkenden Preisen in erster Qualität zu beliefern. Diese meine Erfahrungen, was ich da gelernt habe, kann mir kein Professor wegdisputieren.

(Bravo! in der Mitte.)

Es kommt bei allen Kartellen darauf an, wie sie geleitet werden, und auf nichts anderes.
Nun weiß ich, daß nach 1914 manches anders geworden ist. Es kam der Krieg, es kam die Inflation, es kam die Deflation, es kam wieder der Krieg, und es kam wieder die Währungsreform usw. Da ist vieles von dem, was früher korrekt


(Raestrup)

gehandhabt worden ist, verdorben worden, und es ist schwer gesündigt worden — das weiß ich —, aber weniger von den Kartellen, namentlich in letzter Zeit. Ich bin in viele Verbände hineingegangen. Ich habe dort gesprochen und die Mitglieder der Verbände gewarnt, eine unvernünftige Preispolitik zu treiben. Wir haben durch unsere Verbände in der wilden Zeit nach 1945, namentlich nach 1948, mehr zur Senkung und Beruhigung der Preise beigetragen, als wenn wir keine Verbände gehabt hätten. Denn es gab damals Leute, die glaubten, sie könnten einfach Preise nehmen, wie sie wollten. Wir haben gesagt: Laßt das sein. Wir denken bei diesen Dingen letzten Endes auch an die Kundschaft und an die Belieferung der Kundschaft in späteren Jahren.
Es wird behauptet, die weiterverarbeitende Industrie — ich spreche nicht für deren Interessen, aber aus deren Blickpunkt heraus — sei nicht für ein Mißbrauchsgesetz. Ich darf hier als Präsidialmitglied unseres Wirtschaftsverbandes für Eisenblechwaren — der sogenannten EBM-Industrie — und der Industrie für Sonderstahlverformung sprechen. Wir umfassen in unserem Verband 7000 Unternehmen mit 400 000 Arbeitern. Wir haben eine Produktion von 7 Milliarden DM und einen Export von 2 Milliarden DM. Wenn Sie sich das ausrechnen, rund 400 000 Arbeiter verteilt auf rund 7000 Betriebe, dann kommen Sie auf einen Durchschnittssatz von 58 Arbeitern pro Betrieb. Das ist die gesunde Mischung. Wir haben in unserem Verband Werke mit 1000, 1200, 1500 Arbeitern, wir haben aber auch Werke mit 10 bis 15 Arbeitern, wo heute noch der gesunde Übergang vom Facharbeiter zum Werkmeister und zum kleinen selbständigen Fabrikanten zu beobachten ist. Im übrigen ist diese Industrie über ganz Deutschland verstreut. Ich glaube, Sie, verehrter Herr Kollege Höcherl, haben zum Teil Ihre Anregungen zu Ihrem Antrag aus den Kreisen dieser Unternehmen bekommen, die für die gesunde Struktur im Aufbau unserer Wirtschaft von ganz besonderer Bedeutung sind. Ich darf hier auch sagen, daß ich einen Zustand beibehalten will, bei dem wir nicht nur auf der einen Seite die organisierte Großindustrie in Luxemburg und auf der andern Seite die Gewerkschaften — gegen die ich gar nichts habe — haben, sondern in dem auch der selbständige Unternehmer bleibt, der die Struktur unseres Volkes mitbestimmt und Möglichkeiten schafft, auch wirtschaftliche Fortschritte zu machen.
Wie steht es nun eigentlich mit dem sogenannten Wettbewerb dieser Unternehmer? 70 % unserer Selbstkosten werden uns durch Preise von Luxemburg und all die anderen Faktoren — Verkehr, Energie usw. — diktiert. Während uns also die Preise für unsere Herstellung diktiert werden, sollen wir in den Wettbewerb hineingestellt werden. Ich verstehe nun unter Wettbewerb, daß ich mich auch beim Einkauf im Wettbewerb tummeln kann, daß ich auch sehe, wie meine Lieferanten sich um Aufträge bemühen. Wenn ich aber keine Lieferanten habe, die sich im Wettbewerb befinden, wie das bei Kohle, Eisen, Energie und im Verkehr der Fall ist, wenn ich allenfalls im freien Wettbewerb noch etwas Schmieröl und Packpapier kaufen kann, dann muß ich sagen, daß das für mich kein freier Wettbewerb mehr ist.

(Zuruf von der SPD: Packpapier und Schmieröl werden jetzt auch zu Markenartikeln!)

— Wenn Sie dafür sorgen, daß die Abnehmer so I dumm sind und das als Markenartikel kaufen, bin ich Ihnen sehr dankbar. Aber auf der andern Seite müssen wir unsere Fabrikate, die wir aus Eisen und Kohle hergestellt haben, verkaufen. Wir treten an unsere Kundschaft, an die Bundesbahn, an die Konsumvereine, an die großen Warenhäuser und an die großen Einkaufsverbände heran. Ich habe gegen die großen Einkaufsverbände gar nichts. Im Gegenteil, ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Einkaufsverbände unbedingt notwendig sind und gerade den Einzelhändler in die Lage versetzen, so billig einzukaufen, daß er wenigstens noch einigermaßen Chancen hat, gegen die Warenhäuser zu konkurrieren. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir bei solchen großkapitalistischen Unternehmen um Aufträge bitten müssen und auf der andern Seite einfach unsere Bezugspreise diktiert bekommen, dann verlange ich für uns — und das ist für mich der springende Punkt — die Möglichkeit, uns zusammenzufinden, um einen allzustarken Preissturz zu vermeiden. Denn wodurch entsteht der Preissturz? Wenn der Unternehmer allein steht, nur auf sich angewiesen ist und so zum Warenhaus, zu einem Einkaufsverband mit bis zu 1000 Mitgliedern kommt — so große gibt es —, dann ist er doch derart unterlegen, daß er den Behauptungen, die über die Konkurrenzpreise aufgestellt werden, schutzlos gegenübersteht. Da wollen wir die Möglichkeit haben — das ist einer meiner Gründe —, zusammenzukommen und uns über die Marktlage zu verständigen, gegebenenfalls auch Preisempfehlungen herauszugeben.
Wie ist es nun mit Preisempfehlungen? Nach den §§ 24, 31 dieses Gesetzentwurfes wird der Geschäftsführer oder Vorsitzende eines Wirtschaftsverbandes, wenn er Preisempfehlungen herausgibt, mit bis zu einer Million DM bestraft.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen]: Hört! Hört!)

Eine Million Mark ist immerhin schon ein kleiner Batzen Geld, wenn man bedenkt, daß das zuerst verdient werden muß und nicht als Unkosten abgebucht werden kann. Es muß also ein solches unglückliches Unternehmen schon 5 bis 6 Millionen DM verdienen, um das bei den heutigen Steuern aufzubringen.
Man wird mir entgegenhalten: So hohe Strafen wird das Gericht nicht aussprechen. Das weiß ich auch. Aber wenn bis zu einer Million DM Strafe verhängt werden kann, liegt darin immerhin schon eine Aufforderung, möglichst hohe Strafen auszusprechen.
Was will ich? Nichts weiter — darum werde ich kämpfen —, als daß wir das Recht erhalten, in solchen Situationen zur Bekämpfung eines weiteren Absturzes der Preise zusammenzukommen, die Marktlage zu besprechen und als Erfolg einer solchen Besprechung gegebenenfalls zu sagen: Alles das, was die Einkäufer der großen Warenhäuser usw. behauptet haben, stimmt nicht; wir haben die Marktlage festgestellt; das und das sind die Preise, die heute tatsächlich gelten, und wir empfehlen unseren Freunden, diese Preise zu nehmen. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist wirklich etwas Bescheidenes gegenüber der Allmacht, die uns von Luxemburg in bezug auf die Preise gegenübertritt.
Ich habe noch ein kleines Kapitel; dies heißt das Recht auf Selbstkosten; dann bin ich fertig. Ich


(Raestrup)

habe einmal gesagt: Auch wir Unternehmer haben das Recht darauf, unsere Selbstkosten zurückzuerhalten. Von einer Seite ist das als blühender Unsinn bezeichnet worden, und von einer andern Seite ist ein Artikel geschrieben und gesagt worden, damit rüttele man wirklich an den Grundfesten der deutschen Bundesrepublik, wenn man solche Behauptungen aufstelle und wenn sie sogar aus dem Munde eines Bundestagsabgeordneten kämen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir von Leistungssteigerung und Wettbewerb sprechen wollen, müssen wir als erstes ermöglichen, daß der Unternehmer mit einem bescheidenen Gewinn arbeitet und der Gewinn, soweit er nicht weggesteuert wird, dazu dient, den Betrieb zu vergrößern, neue Maschinen anzuschaffen usw., damit sich der Unternehmer auch wirklich im Wettbewerb tummeln kann. Jemand, der seine Selbstkosten nicht wiederbekommt, der kann sich zwar auch im Wettbewerb tummeln, kommt dann aber nach zwei oder drei Jahren mit diesen verfluchten Rundschreiben „An meine Herren Gläubiger!" heraus, worin steht, daß er nur 30 % seiner Schulden bezahlen könne.
Wir müssen hier ein Gesetz schaffen, das dem Unternehmer, der sich dafür auch verantwortlich fühlt, die Möglichkeit gibt, wenn er irgendwie Ware einkauft, verarbeitet usw., solche Preise zu nehmen, daß er seiner Familie, seinem Unternehmen, seinen Arbeitern — das ist auch eine soziale Verpflichtung; er soll die Krankenkasse nicht betrügen - und, meine Damen und Herren, auch dem Lieferanten gerecht werden kann. Nur wenn wir diese alten Grundsätze beachten und in unserem Kartellgesetz die Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung schaffen, kann ich meine Zustimmung geben. Ich glaube, wenn wir alle ohne irgendwelche Trennung der Parteien von dem ehrlichen Wunsche beseelt sind, zunächst im Wirtschaftspolitischen Ausschuß in dem Sinne zu arbeiten, wie ich es eben gesagt habe, in dem Sinne, daß wir ein Gesetz machen wollen, das ich nicht Mißbrauchsgesetz, das ich nicht Verbotsgesetz, sondern das ich ein Gesetz zur Ordnung des Wettbewerbs nennen will, wenn wir uns alle darum bemühen, ein Gesetz zu schaffen, das auch den Interessen der Verbraucher gerecht wird, daß der Inhaber sein Geschäft so führen kann, daß er alle seine Verbindlichkeiten erfüllen kann, — wenn dieses Gesetz dann so gestaltet wird, können wir mit gutem Gewissen sagen: es ist ein Gesetz zum Schutze einer soliden Wettbewerbsordnung, ein Gesetz zum Schutze des Verbrauchers und ein Gesetz, das dem Wohl von Volk und Vaterland dienen soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207704800
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0207704900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Raestrup, Sie haben mich zitiert, und wenn Sie auch sozusagen im Auftrage gehandelt haben

(Abg. Raestrup: Nicht im Auftrag!)

— im Auftrag der Männer, die Ihnen Briefe geschrieben haben —, so möchte ich doch vor diesem Hause feststellen, was ich gesagt habe:
Die Mißbrauchsgesetzgebung erscheint in meiner Sicht als ein Gesetzesmißbrauch; denn sie
erweckt wider besseres Wissen und gegen alle historische Erfahrung den Schein, als ob ein solches Gesetz die Nachteile und Schäden verhindern könnte, die angeblich verhindert werden sollen. Als Wirtschaftsminister aber habe ich nicht die Interessen gewerblicher Gruppen, sondern das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern zu verteidigen.
Wenn jemand das so ausdeutet, als ob ich gesagt oder gemeint hätte, ich müsse das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern g e g en die Unternehmer verteidigen, dann kann ich das nur als eine leichtfertige Unterstellung bezeichnen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Damit hat es nicht das geringste zu tun. Wenn ich das Lebensrecht von 50 Millionen deutscher Menschen verteidige, dann ist darin auch das Lebensrecht aller gewerblichen Gruppen und aller Schichten unseres Volkes eingeschlossen.

(Beifall in der Mitte.)

Aber wir wissen ganz genau, daß es gewerbliche Interessen, legitime gewerbliche Interessen gibt. Die mögen verteidigt werden. Aber der Wirtschaftsminister ist nicht berufen, gewerbliche Interessen zu verteidigen. Nichts anderes habe ich damit gesagt.

(Erneuter Beifall in der Mitte.)

Im übrigen muß ich sagen: ich empfinde es nach sieben Jahren marktwirtschaftlicher Politik geradezu als grotesk, wenn ein offenes Wort, das ich hier aus meiner Gesamtverantwortung vor dem deutschen Volke ausspreche, in solcher Weise gedeutet wird.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Noch ein Wort zu der Theorie. Ich weiß, daß Theorie allenthalben nicht sehr populär ist. Aber ich habe in den letzten sieben Jahren keinen so heftigen Widerstand gegen meine Theorie gespürt. Wenn eine Theorie richtig ist, dann ist sie nämlich richtig, dann ist sie nicht heute richtig und morgen falsch oder umgekehrt. Im ganzen möchte ich feststellen, daß diese meine Theorie der deutschen Wirtschaft bis jetzt eigentlich ganz gut bekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der DP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207705000
Das Wort hat der Abgeordnete Bender.

Reinhold F. Bender (GB/BHE):
Rede ID: ID0207705100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf bedarf in den Ausschüssen , nicht nur seines Inhalts wegen, sondern auch wegen seiner Form intensivster Beratung. Von einem Gesetzentwurf, der in seinen Auswirkungen die gesamte Wirtschaft, nicht nur den Industriellen, nicht nur den Arbeiter, nicht nur den Bauern, sondern auch den Händler und schließlich den letzten Verbraucher angeht, sollte man eigentlich verlangen, daß er wenigstens für die Betroffenen verständlich ist. Das ist aber leider nicht der Fall. Durch den Wirrwarr der uns vorgelegten Paragraphen findet sich überhaupt nur durch, wer an der Gestaltung des Gesetzentwurfs mitgewirkt hat.
Dem Justizministerium, das ja wohl für die Gesetzestechnik verantwortlich ist, das ich aber heute hier nicht vertreten sehe, muß man wohl den Vor-


(Bender)

wurf machen, daß es uns ein sprachlich unvollkommenes und rechtlich unverständliches Gesetz vorgelegt hat. Es sollte eigentlich nicht die Aufgabe dieses Hauses und seiner Ausschüsse sein, derartige Mängel festzustellen und auszuräumen.
Der materielle Inhalt des Gesetzes geht von sehr umstrittenen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen aus. Er verbietet kaufmännisches Handeln auf Gebieten, auf denen zu handeln selbst in den Vereinigten Staaten erlaubt ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat in Europa nicht seinesgleichen — das ist heute schon angeklungen —, und die Ausschüsse werden unter diesem Gesichtspunkt Rechtsvergleichung betreiben und internationales Recht studieren müssen. Es gibt kein europäisches Land, in dem der Wirtschaft derartige Fesseln angelegt werden, lediglich weil möglicherweise Kartelle oder sonstige Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen einmal schädlich sein können. Wir sollten uns sehr überlegen, ob wir mit der Annahme eines solchen Gesetzentwurfes dem deutschen Ansehen dienen. Wir sollten auch darüber nachdenken, daß die Amerikaner dem ebenfalls besiegten Japan die Kartelle schon wieder gestattet haben. Warum sollen allein wir Deutsche unter diesem Sonderrecht stehen, das ja seine Wurzeln zweifellos in amerikanischen Wünschen hat, wobei ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ohne weiteres attestieren will, daß die amerikanische Initiative sich mit seiner eigenen gedeckt hat und daß nicht etwa seine Initiative der amerikanischen entsprungen ist!
Ich bedaure es, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nach fast sieben Jahren der Überlegung — denn vor sieben Jahren haben die Alliierten uns ihre Wünsche nach dieser Richtung mitgeteilt — uns nicht mit etwas wirklichkeitsnäheren Ergebnissen aufwarten kann als denen, die uns jetzt vorliegen. Sowohl sprachlich wie auch inhaltlich hätten wir an die Kartellverordnung vom Jahre 1923 anknüpfen können. Sie war eine gute Verordnung, und sie hat sich in ihren Auswirkungen bestens bewährt. So aber enthält der Regierungsentwurf eine ganz unglückliche Mischung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Vorschriften, die in ihrer Unklarheit den Staat in den Mittelpunkt privater Wettbewerbsstreitigkeiten stellen. Ich will auf die zweifellos bestehenden, sehr starken verfassungsrechtlichen Bedenken gar nicht eingehen, die sowohl zum materiell-rechtlichen wie zum verfahrensrechtlichen Teil vorliegen. Ich hoffe, daß diese Fragen mit allem Ernst im Rechtsausschuß geprüft werden.
Ich halte es aber für notwendig, einmal die Frage zu stellen, warum denn über das Kartellrecht hinaus im zweiten Abschnitt dieses Gesetzes, und zwar in den §§ 10 ff., plötzlich unser bisher bestehendes und nicht schlechtes bürgerliches Recht durch neue Vorschriften ergänzt und geändert wird. Ist man sich darüber im klaren, daß diese Vorschriften über Individualverträge, d. h. also Verträge zwischen zwei x-beliebigen Partnern, gar nicht in das Gesetz hineingehören? Diese Vorschriften schaffen nur Rechtsunsicherheit und sind in ihrer Systematik, insbesondere soweit sie das Patent- und Lizenzrecht betreffen, einfach unbegreiflich.
Zu den volkswirtschaftlichen Grundsätzen, die durch dieses Gesetz verankert werden sollen, ist zu sagen, daß sie in Deutschland und in Europa so umstritten sind, daß man sie nicht zur Grundlage einer gesetzgeberischen Lösung machen kann. Ich brauche nur Namen wie Schmalenbach, Schumpeter, Miksch und andere zu nennen, um darzutun, daß auch die sozialistische Lehre den Amoklauf gegen wirtschaftliche Verständigung, auch wenn mit ihr volkswirtschaftliche Nachteile verbunden sein können, nicht mitmacht. Schmalenbach sagt einmal: Man kann den Kindern das Kratzen verbieten, sooft man will; wenn es sie juckt, dann kratzen sie sich doch. — Herr Kollege Raestrup hat heute die Antwort gegeben „Sie ahnungsloser Engel, Sie!". Wollen Sie denn den Zustand, der uns allen bekannt ist, zu einem Verbotszustand erheben

(Abg. Raestrup: Nein, ich bin doch dagegen!)

mit demselben Ergebnis, wie es die Alliierten mit ihrem Kartellverbot erzielt haben?

(Abg. Raestrup: Wir sind ja einer Meinung!)

Kann und soll man Dinge verbieten, von denen man weiß, daß sie nicht verboten werden können? Haben wir überhaupt ein Recht dazu, das zu tun? Denn wir entfernen uns gleichermaßen von der Vernunft wie vom Recht, wenn wir wichtige Lebensvorgänge der Wirtschaft zunächst generell verbieten, um sie nachher auf Grund von Ausnahmegenehmigungen wieder zu gestatten. Wollen wir denn erst die Köpfe abreißen und sie dann wieder draufsetzen? Ist nicht der umgekehrte Zustand der biologisch richtige?

(Heiterkeit.)

Es gibt einfachere gesetzgeberische Methoden, die auch in der Zielsetzung klarer und gerechter sind. Der Gesetzgeber sollte die staatlichen Organe durch entsprechende Möglichkeiten und Vollmachten in den Stand setzen, dort einschreiten zu können, wo staatliche Interessen, die Interessen der Allgemeinheit wirklich gefährdet sind. Aber abwegig und unvernünftig ist jede Regelung, die den Staat das Maß des zulässigen Wirtschaftens bestimmen läßt und ihn so zum Vollstrecker einer Wettbewerbswirtschaft macht, die — man braucht keine Prophetengabe, sondern nur praktische Erfahrung zu besitzen, um das vorauszusagen — am Ende nur allzuleicht für die Verfolgung privatwirtschaftlicher Ziele ausgenutzt werden kann, insbesondere deshalb, weil ich mir klar darüber bin, daß man mit einfachen gesetzgeberischen Methoden zu einem verständlicheren, besseren und gerechteren Ziele kommen kann, indem man nicht zunächst alles wirtschaftliche Leben verbietet, um es nachher auf Grund von Ausnahmeregelungen wieder zu gestatten, sondern indem der Gesetzgeber den staatlichen Organen die Möglichkeiten und Vollmachten erteilt, dort einzuschreiten, wo der Staat gefährdet ist.
Man soll sich davor hüten, den Staat zum Vollstrecker der Wettbewerbswirtschaft zu machen. Ich kenne Fluch und Segen der Kartelle aus eigener beruflicher Anschauung. Menschliche Macht ist von Natur eng mit der Möglichkeit ihres Mißbrauchs verbunden. Die mit solchem Mißbrauch verbundene Gefahr ist gewissermaßen der irdische Schatten der Macht. Ich weiß natürlich, daß auch wirtschaftliche Macht mißbraucht werden kann. Aber ebensowenig wie man wirtschaftliche Macht verbieten kann, ebensowenig gibt es irgendein Rezept, ihren möglichen Mißbrauch von vornherein auszuschalten.


(Bender)

Meiner Meinung nach gilt das auch für wirtschaftliche Verständigung. Auch sie kann zu Mißbrauch und zu Ausartung führen; aber man wird niemals völlig auf sie verzichten können. Sollte sich der Staat nicht damit begnügen, dort einzugreifen, wo diese wirtschaftliche Verständigung zu einer Gefahr wird?
Es kann nicht im Sinne einer demokratischen Staatsordnung liegen, wenn der Staat Lebensgebiete, die bisher für den Kriminalisten uninteressant waren, zu Bezirken der strafrechtlichen Relevanz erklärt. Noch vor 50 Jahren, meine Damen und Herren, war der Begriff des Devisenverbrechers oder des Steuersünders unbekannt. Heute haben wir uns daran gewöhnt, daß es strafrechtliche Tatbestände auf dieser Ebene gibt. Nicht zu unserem Vorteil haben wir uns daran gewöhnt. Morgen wird es vielleicht, wenn der Bundesregierung nicht noch die notwendige Erleuchtung zuteil wird und sie ihren Gesetzentwurf zurückzieht, den Transportverbrecher geben, nämlich den Mann, der Dinge auf seinen Lastwagen lädt, die auf einer Verbotsliste stehen. Wollen wir das System der polizeilichen Bespitzelung immer weiter in unser nationales und wirtschaftliches Leben hineinfressen lassen? Wollen wir jeden Kaufmann, der mit einem Kunden oder mit seiner Konkurrenz ein Telephongespräch über Preise führt, den Denunzianten und staatlichen Ermittlern in die Hände liefern?
Bitte, überlegen Sie die Gefahr, die bereits heute in der übergroßen Anzahl von Normen besteht. Zu viele Gesetze führen genau zu derselben Rechtsunsicherheit wie die Willkürherrschaft. Wenn der Staatsbürger sich durch die Unzahl der Ge-
leben nicht mehr durchfindet und trotzdem weiterleben will, dann muß er aus seiner Unsicherheit heraus Wege beschreiten, die den gesetzeskundigen Exekutivorganen sehr leicht als Irrwege erscheinen können. Rechtsunsicherheit aber ist das Grab des Vertrauens des Staatsbürgers zu seinem Staat und damit das Ende der Demokratie.
Ich halte es in unserem Staatsleben auch nicht für verantwortbar, daß jemand gezwungen wird, zu einer Behörde zu gehen, um sich bestätigen zu lassen, daß das, was er zu tun beabsichtigt, auch erlaubt ist. Das ist eine unerträgliche Einmischung des Staates in die private Sphäre des Staatsbürgers und hat mit Freiheit nichts mehr zu tun. Mißbraucht der einzelne seine Freiheit, so ist es Aufgabe des Staates, diesen Mißbrauch zu verhüten. Das darf ,aber nicht dazu führen, daß der Staatsbürger seiner Freiheitsrechte durch Normen beraubt wird, die sozusagen nur deshalb geschaffen wurden, um es den Staatsorganen möglichst leicht zu machen, ihre überwachende Funktion auszuüben, und dem Staatsbürger das Leben zu erschweren. Das ist eine Verkennung der Aufgabe der Wirtschaftsgesetzgebung.
Ich komme jetzt zu den uns weiterhin vorgelegten Entwürfen der Kollegen Höcherl und Böhm und Genossen. Ich darf den zweitgenannten Entwurf zuerst behandeln. Es kommt mir so vor, als ob dieser in Windeseile auf unsere Schreibtische gezauberte Entwurf irgendwie dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht ,ganz ungelegengekommen wäre. Ich könnte mir vorstellen, daß dieser Böhmsche. von einem Antikartell-Zelotismus besessene Entwurf so eine Art Windschatten darstellen soll, hinter dem die Pflanze des Regierungsentwurfs gedeihen kann, wenn der Wind der Kartellfreundlichkeit den Böhmschen Entwurf — hoffentlich recht bald — weggeweht hat. Ich weiß nicht, ob ich da richtig argumentiere; aber es kommt mir so vor.
Ich möchte den Herrn Kollegen Böhm auch von einigen philologischen Randbemerkungen nicht ganz freistellen. Der Entwurf windet sich in endlosen Schachtelsätzen hin, es wimmelt in ihm von Ingredienzien aus einem neoliberalen Cocktail. Ich meine, er ist für noch viel ,weniger Experten überhaupt verständlich als der Regierungsentwurf. Wenn sich jemand von Ihnen, meine Damen und Herren, durch die Kürze des Entwurfs bestechen lassen sollte — wovor ich dringend warne —, dann mache ich darauf aufmerksam, daß im Entwurf des Herrn Professor Böhm die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten, Behörden, Verfahren, Sonderregelungen, die im Regierungsentwurf etwa die Hälfte aller Paragraphen ausmachen, noch gar nicht enthalten sind. Das hat Herr Professor Böhm einem weiteren Gesetz vorbehalten. Wenn aber die Böhmsche Legislatur erst einmal vollständig vor uns steht— als Kathedrale der Konstruktionsvolkswirtschaft —, dann werden wir erleben, daß der Böhmsche Entwurf etwa dreimal so lang ist wie der Höcherlsche.
Man sagt, kurze Gesetze seien gute Gesetze. Dieses Gesetz wird, wenn es den Perfektionismus erreicht, den sein Verfasser wünscht, ein sehr langes Gesetz sein. Wir kennen den Herrn Kollegen Böhm aus einer Fülle von Veröffentlichungen, in denen er mit der Wirtschaft so spielt, wie Kinder in einem Sandkasten oder mit einem Baukasten es tun. Ich möchte hierzu sagen, daß die Wirtschaft weder mit einem Sandkasten noch mit einem Baukasten noch mit irgendeinem sonstigen Kasten vergleichbar ist. Die sogenannte Modelltheorie der Freiburger Schule, von der der Herr Kollege Böhm sich leiten läßt, ist weltfremd, und sie ist falsch. Das kann Ihnen jeder Praktiker bestätigen. Die Automatik des Marktes ist ja doch wesentlich komplexer, als der Herr Kollege Böhm es wahrhaben möchte. Es ist absurd, anzunehmen, Herr Kollege Böhm, daß sich die Wirtschaft dort, wo kein Wettbewerb ist, so benehmen wird wie etwa ein Skiläufer auf einer grünen Wiese oder sonst auf einem ungeeigneten Skigelände.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf folgendes hinweisen. Es ist mir unverständlich, daß man innerhalb des Gesetzes weite Ausnahmebereiche schafft, auf die seine Bestimmungen deshalb nicht angewendet werden können, weil hier kein vollständiger Wettbewerb möglich ist. Derartige Ausnahmen führen zu zweierlei Recht und damit zu willkürlichen Wettbewerbsverschiebungen. Das Gesetz wird damit seinem Namen nicht mehr gerecht. Es wird zu einem Gesetz f ü r Wettbewerbsbeschränkungen, nicht zu einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, da die Ausnahmevorschriften volumenmäßig über die gesetzlichen Verbotsvorschriften hinausgehen.
Der Entwurf des Kollegen Höcherl entspricht in weiten Teilen den Auffassungen der bayerischen Wirtschaft. Die bayerische Wirtschaft, revierfern, wettbewerbsbenachteiligt, ist auf marktregelnde Vereinbarungen viel mehr angewiesen als die Wirtschaft des Reviers, als die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und in Hessen. Auch die Flüchtlingsindustrien sind wettbewerbsbenachteiligter als die angesessenen Industrien; sie sind auf Verein-


(Bender)

barurigen viel mehr angewiesen als alle anderen Industrien, die sich etwas haben herüberretten können.
Der Entwurf des Kollegen Höcherl hat den Vorteil, klar und übersichtlich zu sein. Er ist gerechter als der Regierungsentwurf; denn er schafft nicht zweierlei Recht. Er kommt auch der Auffassung des Herrn Bundeswirtschaftsministers entgegen. Er verbietet Quotenkartelle und Syndikate und überläßt dem Bundeskartellamt die Entscheidung, ob Wettbewerbsbindungen höherer Art nötig sind.
Die Ausschüsse, denen diese drei Entwürfe überwiesen werden, werden überlegen müssen, mit welcher Berechtigung man einzelnen Teilen der Wirtschaft, insbesondere der Industrie, Zusammenschlußmöglichkeiten verbieten will, die in anderen Wirtschaftszweigen als durchaus erlaubt gelten. Denken wir an die Marktordnungsgesetze der Landwirtschaft! Herr Dr. Müller ist nicht da, Herr Horlacher auch nicht; ich habe also keine Attacke zu befürchten. Denken wir an die vorzüglich funktionierenden Kartelle der Banken und Versicherungen! Versuchen Sie doch bitte einmal, irgendwo zu einem abweichenden Zinssatz Geld zu leihen oder zu einem etwas höheren Zinssatz Geld anzulegen!

(Abg. Raestrup: Sehr gut!)

Sie stoßen auf ein Kartell. Versuchen Sie, sich gegen Feuer versichern zu lassen! Vielleicht kriegen Sie aus der Provision des Vertreters etwas ab, damit er den Auftrag bekommt; aber die Versicherungsgesellschaft hält sich an ihr Kartell. Denken Sie an das europäische Monsterkartell, an die Montanunion, und denken Sie schließlich daran, daß unsere im klassischen Sinn kartellreifen Industrien hochkartellierten Wettbewerbern auf den Weltmärkten gegenüberstehen! Denken Sie auch an die heute schon genügend behandelten Preisbindungen zweiter Hand, die schließlich auch ein Kartell darstellen. Sondergesetze aber, die einzelne Staatsbürger und einzelne Gebiete wirtschaftlicher Betätigung unter Ausnahmerecht stellen, schaffen nicht Recht, sondern Unrecht.
Kartelle sind weder gut noch schlecht; sie sind Werkzeuge, deren man sich zum Vorteil wie zum Nachteil der nationalen Wirtschaft und des Verbrauchers bedienen kann. Bitte, sehen Sie die Kartelle auch nicht nur unter dem Gesichtpunkt des Verbrauchers an! Sehen Sie sie auch daraufhin an, ob sie vielleicht zur Sicherung des Arbeitsplatzes dienen können. Was nützt Ihnen ein deroutiertes Preisgefüge, wenn Sie Ihre Arbeiter entlassen müssen, weil Sie sie nicht mehr entlohnen können? Auch der Arbeiter ist unter allen Umständen an guten Kartellen sehr stark interessiert.
Lassen Sie mich aus eigener beruflicher Erfahrung noch einige Worte über die beiden Kartelle sagen, die ich sehr genau kennengelernt habe. Es handelt sich einmal um den Deutschen Verband der Flaschenfabriken, der um 1910 gegründet worden ist und 1930 in die Deutsche Flaschenverkaufsgesellschaft, ein Quotenkartell und Verkaufssyndikat, übergeleitet worden ist. Wäre dieser Verband seinerzeit nicht gegründet worden, dann hätte die deutsche Flaschenindustrie die amerikanischen Lizenzen, mit deren Hilfe die automatische Flaschenherstellung in Deutschland seit Jahrzehnten gehandhabt wird, noch jahrelang nicht erwerben können. Keine der einzelnen Mitgliedsfirmen des Verbandes war in der Lage, die Lizenzen zu erwerben; durch den Zusammenschluß konnte man es. Das Ende der Schwerarbeit, der Schwerstarbeit in dieser feuerungsintensiven Industrie war herangerückt. Die Flaschenpreise sanken infolge der rationalisierten Herstellung, und weite Gebiete wurden für die Verwendung der Glasflasche erobert.
Das andere Kartell, das ich erwähnen möchte, ist das ebenfalls bei Kriegsende liquidierte Fensterglaskartell. Trotz der Oligopolstellung der deutschen Fensterglasindustrie hat dieses Kartell eine Preispolitik betrieben, die von höchstem sozialem Verantwortungsbewußtsein getragen wurde. Trotz der von den Alliierten erzwungenen Auflösung des Kartells hat sich dieses Verantwortungsbewußtsein bis heute erhalten. Wenn Sie die heutigen Baustoffpreise mit denen von 1938 ver- gleichen, dann finden Sie, daß die Preise für die zwei wichtigsten Baustoffe — außer Holz, wovon ich nicht reden will — um 209 und um 244 % gestiegen sind, der Preis für Fensterglas jedoch nur um 54 %, obwohl die Roh- und Brennstoffkosten auch in der Fensterglasindustrie weit höhere Steigerungen erfahren haben: Kohle 144 %, Ferngas 430 %, Soda 75 %. Die Löhne schließlich sind im Vergleichszeitraum um 105 bis 142% gestiegen. Der Endpreis ist um 54 % gestiegen. Das ist der Segen eines verantwortungsbewußten Kartells gewesen.
Meine Damen und Herren, es wäre eine Unterlassungssünde, wollte ich zum Schluß nicht des Mannes gedenken, der mir persönlich durch Jahrzehnte Freund und Lehrmeister war und der als leidenschaftlicher Kartellfreund eine der markantesten Persönlichkeiten der deutschen Industrie gewesen ist, gleichzeitig einer der Hauptträger des sozialen Gewissens in der deutschen Fensterglasindustrie. Es war Dr. Otto Seeling, dessen Tod wir vor einigen Wochen betrauern mußten. Eines der für mich ergreifendsten Erlebnisse an seiner Bahre war es, daß ein Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Glas, Herr Philipp Müller, in echter Trauer dem Verstorbenen Worte höchster Anerkennung widmete. In den 32 Jahren, die ihn in zähem, aber fairem Kampf mit Seeling verbunden hätten, sei von keiner Seite jemals ein unfreundliches Wort gefallen. Diese Worte haben Gewicht, meine Damen und Herren, Sie wären zweifellos nicht gesagt worden, wenn der Gewerkschaftsvertreter in so langer Zeit nicht den Eindruck gewonnen hätte, in Otto Seeling einen Gesprächspartner gefunden zu haben, dem persönlich und geschäftlich unsoziales Verhalten weltenfern gelegen hat. Otto Seeling hat seine Stimme gegen die Verbotsgesetzgebung oft und oft erhoben. Er hat den Bundeswirtschaftsminister gebeten und beschworen, von der Verbotsgesetzgebung Abstand zu nehmen. Otto Seeling kann nicht mehr sprechen. Ich entledige mich eines Vermächtnisses von ihm, wenn ich es heute tat.

(Beifall beim GB/BHE und bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207705200
Meine Damen und Herren! Ich darf einen Augenblick die Kartelldebatte unterbrechen und um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten.
Es ist inzwischen die Drucksache 1316 — Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Erhöhung der Straßenbenutzungs-


(Vizepräsident Dr. Jaeger)

gebühren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands — verteilt worden. Da der Punkt nicht auf der Tagesordnung steht, frage ich formell an, ob Widerspruch dagegen erhoben wird, daß er auf die Tagesordnung gesetzt wird. — Das ist nicht der Fall.
Ich darf diesen Antrag, der ohne Begründung und Debatte hier behandelt werden soll, wie mir seitens der Fraktionen mitgeteilt wurde, verlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag hat mit Entrüstung erfahren, daß die Straßenbenutzungsgebühren für Kraftwagen, die in der DDR nicht zugelassen sind, in deren Gebiet in sachlich völlig unbegründeter Weise erhöht wurden.
Der Deutsche Bundestag erblickt in dieser Maßnahme eine ernste Gefahr für den Verkehr und die sonstigen Beziehungen zwischen den verschiedenen deutschen Landesteilen, insbesondere auch eine Gefahr für die Versorgung West-Berlins, und einen Bruch der Zusage für den freien und ungehinderten Verkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.
Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundesregierung, daß diese unverzüglich die Alliierte Hohe Kommission ersucht, durch Verhandlungen den Hohen Kommissar der Sowjetunion in Deutschland umgehend zu veranlassen, die Zurücknahme dieser Maßnahmen zu verfügen. Der Deutsche Bundestag erwartet ferner von den zuständigen westdeutschen Behörden, daß auch diese unverzüglich im Rahmen der laufenden Verhandlungen über den Interzonenhandel alles tun, um auch hierdurch die Behörden der DDR davon zu überzeugen, daß ihre Maßnahme ungerechtfertigt und ihren eigenen Interessen schädlich ist und deshalb sofort wieder aufgehoben werden muß. Bis zum Erfolg dieser Bemühungen hält der Deutsche Bundestag es für unerläßlich, daß durch geeignete finanzielle Maßnahmen die Störung des Verkehrs verhindert wird.
Meine Damen und Herren, da das Wort nicht gewünscht wird, komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 1316, den ich eben verlesen habe, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß der Antrag einstimmig angenommen wurde.
Wir fahren in der Kartelldebatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhm.

Dr. Franz Böhm (CDU):
Rede ID: ID0207705300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir das letzte Mal eine Debatte mehr im Stile des theoretischen Denkmodells gehabt haben, wie es das Industrieinstitut feststellt, während heute die Diskussion mehr im Stile gereifter Praktiker geführt worden ist, möchte ich um Verzeihung bitten, wenn ich die Diskussion der gereiften Praktiker in meiner Eigenschaft als „theoretisierender SandkastenHosenmatz" noch einmal unterbreche. Ich tue das nur deshalb, weil ich den gereiften Praktikern eine Frage zu stellen habe, eine Frage, auf die ich bisher — ich habe sie schon oft gestellt — niemals eine Antwort bekommen habe.
Es besteht überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es in einer Reihe von Märkten und Industriezweigen möglich ist, die Rentabilität der Betriebe dieser Wirtschaftszweige durch
den Abschluß von Kartellverträgen zu verbessern. Es besteht also bei niemandem ein Zweifel darüber, daß die Kartelle zum Nutzen einzelner kartellierter Wirtschaftszweige sein können, dergestalt, daß es den Unternehmern dieser Wirtschaftszweige nach der Kartellierung besser geht als vor der Kartellierung, d. h. mit der Kartellierung besser als ohne Kartellierung.
Ich räume Ihnen gern ein, daß die Beurteilung darüber, ob auf einem Markte, in einem Industriezweig die Verhältnisse so sind, daß sie ohne Kartellierung als für einen Teil der Unternehmer sehr drückend bezeichnet werden können, und die Beurteilung darüber, ob es möglich ist, durch eine Preisabsprache oder durch eine Mengenabsprache oder durch die Errichtung eines Syndikats die Verhältnisse für diesen Wirtschaftszweig zu verbessern, bei den beteiligten Industriellen und Praktikern zweifellos „ausgezeichnet" ist und daß niemand diese Frage besser beantworten kann als die Praktiker dieses Wirtschaftszweigs. Aber in dem Augenblick, in dem es einem Wirtschaftszweig gelungen ist, durch eine Kartellabsprache seine Preise und damit — das ist nicht notwendig, aber es ist möglich — auch die Rentabilität der Unternehmen zu verbessern, entsteht doch die weitere Frage: wer muß ,das bezahlen? Auf wessen Kosten wird dieser Vorteil erzielt? Sicher ist, daß die Abnehmer, die Kunden dieser Industrie nun höhere Preise bezahlen müssen, und daß die Abnehmer, wenn sie trotz der höheren Preise genau so viel kaufen, dann einen höheren Teil ihrer Kaufkraft für die Befriedigung dieses Bedürfnisses verwenden müssen und daß zur Befriedigung ihrer übrigen Bedürfnisse nun nicht mehr so viel Geld, so viel Kaufkraft übrigbleibt, so daß also irgendwo eine andere Industrie oder ein Handelszweig —das verbreitet sich sehr — entsprechend weniger verdient, entsprechend Arbeiter entlassen muß usw. Durch das Kartell wird also an einer Stelle geholfen, an anderer Stelle geschadet. Diese Überlegung ist sehr einfach. Und nun möchte ich die Praktiker fragen: wie haben Sie sich das überlegt, welches Urteil und welche Ansichten haben Sie sich darüber gebildet, wer nun die Risiken im Markt zu tragen hat, die eine bestimmte Industrie auf ihrem Markte auf Unbekannte abgewälzt hat. Wie sind die Folgen der Kartellierung eines Marktes für die übrigen Märkte? Hierauf haben die Praktiker als Praktiker noch niemals eine Antwort erteilt. Diese Frage interessiert sie nicht, sie interessiert sie naheliegenderweise nicht, weil sie sich für ihren eigenen Wirtschaftszweig interessieren. Dazu, wie sich die Nachteile ihrer für sie selber erfolgreichen Politik auf andere Wirtschaftszweige auswirken, sagen sie: das ist nicht unsere Sache, wir haben für uns und unseren Wirtschaftszweig zu sorgen.
Wenn wir hier aber ein Gesetz machen, dann dürfen wir uns als Bundestagsabgeordnete und als Gesetzgeber nicht damit zufriedengeben, daß einzelne Wirtschaftszweige durch Kartellierung ihre Lage verbessern können, sondern wir müssen uns die Frage vorlegen: welche Wirkungen hat das auf die gesamte übrige Wirtschaft, wenn einzelne Unternehmungen ein Kartell bilden. Da sich die Praktiker mit dieser Frage nicht beschäftigt haben, blieb es schließlich nur noch den Theoretikern übrig, diese Frage zu stellen. Die Frage, die wir als Gesetzgeber zu lösen haben, ist die theoretische Frage der gesamtwirtschaftlichen Wirkung von Kartellen. Es handelt sich einfach darum, eine


(Dr. Böhm [Frankfurt])

Frage im großen und ganzen und in all ihren Teilen zu lösen, und nicht nur darum, einen einzigen Ausschnitt herauszugreifen und danach die Frage zu lösen. Wenn heute — ich glaube, von Herrn Kollegen Samwer — die Überzeugung ausgedrückt worden ist, daß wir endlich die Theorie beiseite schieben und durch die nüchterne Betrachtung des Praktikers ersetzen müßten — —

(Abg. Samwer: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt „allzu reichlich mit Theorie verbrämt"! Herr Professor, wenn Sie zitiere 1, bitte richtig!)

— Ich habe es hier nicht im Stenogramm.

(Abg. Samwer: Sehen Sie im Protokoll nach! Hören Sie doch besser zu!)

Ich hatte nur den sehr deutlichen Eindruck, daß Sie mit Betonung des Wortes „nüchtern" von der „nüchternen Betrachtung des Praktikers" sprachen, als sei nicht die Theorie, sondern die Betrachtung des Praktikers nüchtern. Meine Damen und Herren, es gibt doch nicht nur Praktiker, die an Kartellen interessiert sind, sondern es gibt ebensoviel Praktiker, die sich über fremde Kartelle ärgern. Während die Praktiker, die an einem Kartell interessiert sind, mich für einen sanft theoretisierenden Hosenmatz am Sandkastenmodell halten, halten mich die anderen Praktiker, die sich über andere Kartelle ärgern, für einen Mann, der weiß, was im Leben gespielt wird, und die Dinge richtig ansieht. Es kommen hier also jeweils ganz verschiedene Interessen in Frage. Es sind aber immer Interessen von Praktikern.

(Abg. Samwer: Ich habe keine Sonderinteressen!)

Worauf ich hier abstellen will, ist, daß wir das Problem nur unter der Fragestellung behandeln können: Welche Folgen hat es, wenn wir die Kartellierung erleichtern und begünstigen? Welche Folgen hat es, wenn wir den umgekehrten Weg einschlagen, den ich empfehle, und die Kartelle soweit wie möglich erschweren und eine Erlaubnis für Kartelle nur geben, wenn vier ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sind? Das sind gerade diejenigen Bedingungen, bei deren Vorliegen wir sagen können: Gut, hier versagt die Konkurrenz, hier versagt die Freiheit des Marktes, hier müssen wir etwas machen.
Wir haben doch heute eine so ungeheure Fülle von Interventionen und Eingriffen in die Marktwirtschaft in Form von Steuern, in Form von Zöllen, in Form von amtlichen und staatlichen Preisfestsetzungen, in Form von Einfuhrbeschränkungen, in Form von Sozialabgaben aller möglichen Art. Dazu kommen dann noch die privaten Interventionen der Kartelle. Dadurch sind die Struktur und die Ordnung unseres marktwirtschaftlichen Systems so undurchsichtig geworden, daß niemand von uns allen mehr hindurchsieht. Wenn wir uns hier etwa darüber unterhalten, ob auf irgendeine Ware, z. B. Benzin oder Dieselöl, 3% oder 31/2% Steuern oder Zölle erhoben werden sollen in der Hoffnung, daß dann, wenn wir das tun, die und jene Folge eintreten wird, und wenn wir hier abstimmen und ein Teil für 3 % und ein Teil für 31/2% stimmt, dann sollen wir doch den Leuten im Volk nicht weismachen, daß auch nur einer unter uns ist, der weiß, was passiert, wenn 3 oder 31/2 % erhoben werden. Unsere Volkswirtschaft ist allmählich so verwickelt geworden, daß es einfach eine hochstaplerische Behauptung ist, wir machten hier noch seriöse Wirtschaftspolitik. Das ist doch der Sinn einer Verbotsgesetzgebung,
daß wir nun auch auf dem Gebiete der privater, Interventionen anfangen wollen mit einem Abbau dieses Hineinregierens und Hineinintervenierens in freie Märkte, wobei wir uns sagen: Gut, dies€ freien Märkte sind nicht vorbildlich; aber es wird doch dann überall nach ungefähr dem gleichen Prinzip verfahren, und im Rechte gibt es keinen Unterschied.
Allmählich wird infolge dieser Verwickeltheit und — wenn wir die Kartellierung begünstigen — der vielen zusätzlichen Monopolierungen auf den Märkten das Spiel noch undurchsichtiger. Wenn nun eine Kartellbehörde hier eingreifen und die Dinge zum Besten wenden will, so kann auch sie nur hochstapeln. Auch sie kann nicht wissen, was im einen oder im anderen Falle erfolgt. Es kommt mir so vor, als wenn die Regierung und der Bundestag, also der Gesetzgeber, soweit sie Wirtschaftspolitik treiben, sich allmählich, je komplizierter und uneinheitlicher der Ablauf der freien Wirtschaft wird, um so mehr in die Rolle von Medizinmännern und Zauberern begeben, die nun allerlei Räucherkerzen anzünden, Nebel verbreiten, Gebetsmühlen ableiern und so tun, als ob dieses ganze Tun einen Sinn hätte. Und wenn dann ein redlicher und schlichter Mann kommt und sagt: Nun macht doch mal den Nebel weg, stellt eure Gebetsmühlen ab und hört mit eurem Gemurmel auf, wir wollen uns mal hinsetzen und uns einen klaren Überblick verschaffen, — dann wird gesagt: Was will dieser lächerliche Theoretiker?
Meine Damen und Herren, so liegen doch hier die Verhältnisse. Der Bundestag kann diese Frage nur lösen, wenn er sich um ein Höchstmaß von Klarheit bemüht. Das bedeutet aber: so viel ernste theoretische Bemühung wie überhaupt möglich! Wenn wir die Frage anders lösen, wenn wir sie nur im Wege des Aushandelns und der Kompromisse hinter verschlossenen Türen lösen, so bleiben wir dem Volk, so bleiben wir der Wirtschaft, so bleiben wir den Arbeitern, so bleiben wir dem Mittelstand, so bleiben wir vor allem den deutschen Verbrauchern so gut wie alles schuldig. Der Ruf „Nur keine Theorie" nimmt sich nirgends schlechter als im Mund eines vom Volk gewählten Abgeordneten und Mitglieds einer gesetzgebenden Körperschaft aus. Der Ruf „Nur keine Theorie; dafür ist die Frage sozusagen zu ernst" hat beinahe etwas Lustiges an sich. Aber dabei stimmt schon etwas: Wenn man nämlich den Nebel zerstreut und Klarheit schafft, dann werden Besitzstände gefährdet, die sich unter dem Schutz des Nebels gebildet haben, ganz legitim, ohne daß da jemand etwas Böses getan hat.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Nun werden aber diese Besitzstände allein durch die Verbreitung von Klarheit gefährdet, und infolgedessen tritt für die Inhaber dieser bevorzugten Besitzstände eine ernste Lage ein in dem Augenblick, in dem eine zureichende theoretische Fragestellung und denkerische Klarheit auftaucht. Aber gerade das ist doch die Aufgabe des Parlaments. Gute Theorie und gute Gesetzgebung sind Zwillinge. Wenn hier jemand sagt: „Wenn wir hier Gesetze machen wollen, dann müssen wir die Theorie zu Hause lassen", dann bedeutet das: „Der Himmel behüte uns davor, in diesem Hause gute Gesetze zu machen"!

(Beifall in der Mitte und bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207705400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.


Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0207705500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint mir angebracht zu sein, noch auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die in der bisherigen Aussprache über die verschiedenen Gesetzentwürfe nach meiner Meinung nicht genügend hervorgehoben worden sind, und die es wahrscheinlich den Vertretern der verschiedenen Auffassungen eher möglich machen werden, zu einem Kompromiß zu kommen, als es zunächst bei zumindest zwei Entwürfen den Anschein hat.
Ich habe den Eindruck, daß ein großer Teil des Kartellstreits in der deutschen Öffentlichkeit in den letzten Jahren auf Prämissen beruht, die nicht oder nur bedingt zutreffen, beispielsweise auf der Prämisse, daß Kartelle, gleichgültig welcher Art, Wettbewerb grundsätzlich ausschlössen. Wir vermissen bis heute eine Antwort auf die Frage, welche Form der Wettbewerb bei irgendwelchen wettbewerbsbeschränkenden Verabredungen annimmt, in welchen Formen er sich vollzieht, und zwar innerhalb und außerhalb des Kartells. Wir vermissen ein Eingehen auf die Tatsache, daß kartellierte Wirtschaftsbereiche unter Umständen als Ganzes im Wettbewerb zu anderen Wirtschaftsbereichen stehen, nämlich etwa Werkstoffe zu verschiedenen anderen Werkstoffen, wie Eisen und Stahl zu Leichtmetall, Baustoffe verschiedener Art zu anderen Baustoffen; ferner natürliche Produkte wie Wolle und Baumwolle gegenüber den synthetischen Fasern. Wir vermissen weiterhin ein Eingehen auf die Frage, inwieweit bestimmte Gütergruppen im Wettbewerb um die Kaufkraft des Konsumenten gegenüber anderen Verwendungsmöglichkeiten für sein Einkommen stehen, etwa Güter des gehobenen Lebensstandards beim Hausrat zu dem Wunsch, zu reisen, zu dem Wunsch nach einer verbesserten Ernährung, und zu vielen anderen Dingen mehr, die hier auch beachtet werden sollten. Eine weitere Ausgangsposition, die nicht ganz zutreffend ist, ist die starke Vereinfachung, daß man dem komplizierten Tatbestand „wettbewerbsbeschränkende Verabredungen" nur mit entweder der einen oder der anderen Weise der Behandlung begegnen müsse.
Die Gegenüberstellung: entweder Mißbrauchsregelung oder Verbotsregelung wird mit der Vielfältigkeit der Erscheinungen einfach nicht fertig. Das hat nicht nur die Praxis der Jahre bei uns und in Amerika gezeigt, sondern das zeigen auch die verschiedenen Entwürfe, die nach allen Seiten Zugeständnisse und Ausnahmen machen müssen. Das gilt sowohl auf dier Seite des Verbotsgedankens oder der Nichtigkeitserklärung wie auch auf de Seite der Mißbrauchsregelung.
Ich vermisse weiterhin in der Kartelldebatte der letzten Jahre ein näheres Eingehen auf die sehr Vielgestaltigen Erscheinungsformen von Monopolstellungen und monopolähnlichen Stellungen. Wie will man beispielsweise bestimmten auf natürlichen Standortverhältnissen beruhenden Monopolen entsprechen? Gerade die Vielgestaltigkeit von Monopolen und monopolähnlichen Erscheinungsformen hat vielfach zu Verabredungen dier Wettbewerber geführt, um Korrekturen gegenüber Monopolsituationen an anderer Stelle vorzunehmen. Man wird sehr rasch antworten: „Was diem einen recht ist, ist idem anderen noch nicht billig. Man sollte zunächst einmal mit gutem Stil, mit gutem Benehmen und mit gutem Beispiel vorangehen. Insbesondere sollte gerade die private Wirtschaft mit gutem Beispiel vorangehen, wenn derartige unerwünschte
Verhaltensweisen am Markte, etwa im Bereich der öffentlichen Wirtschaft und der öffentlichen Unternehmungen oder Ämter oder in ähnlichen Bereichen auftreten." Ich kann demgegenüber nur sagen, der Gesetzgeber muß sich darüber klar sein, daß er in einer jahrzehntelangen Entwicklung den Wettbewerbsspielraum, von dem die klassische Theorie ausgegangen ist, mehr und mehr eingeengt hat und daß nicht nur er mit der Fülle von Steuern, Abgaben und sonstigen Lasten aller Art, sondern auch die tatsächliche wirtschaftliche und technische Entwicklung zu Einengungen in vielen Bereichen geführt hat.
Heute ist eine Zahl genannt worden. Es ist gefragt worden, ob man denn überhaupt ermitteln könne, in welcher Größenordnung in unserer Wirtschaft noch Wettbewerb denkbar und möglich sei und in welchen Bereichen das nicht mehr der Fall sei. Ich habe mir vor längerer Zeit schon einmal die Mühe gemacht, an Hand der Wertschöpfung, der volkswirtschaftlichen Produktion einen Überblick zu verschaffen, in welchem Bereich denn überhaupt noch Wertschöpfung auf dem Wege des Wettbewerbs erfolgt. Es ergab sich, daß von dem Nettosozialprodukt zu Marktpreisen nur noch rund die Hälfte auf dem Wege über die Produktion und die Erstellung von Leistungen im Wettbewerb aufgebracht wird, während die andere Hälfte der Entstehung nach der dirigistischen Wirtschaft und öffentlichen Bereichen zufällt oder aber unter die Bestimmungen des Kartellgesetzentwurfs der Bundesregierung fällt. Wenn man den Bereich der privaten Wertschöpfung für sich nimmt, so waren es in diesem Bereich, in dem man eigentlich die durchgängige Wettbewerbswirtschaft hätte vermuten müssen, nur zwei Drittel der Wertschöpfung, die man bestenfalls als einer uneingeschränkten Wettbewerbsordnung zugängig bezeichnen könnte.
Wir haben uns ebenso die Mühe gemacht, in Verbindung mit der Kostenuntersuchung einer größeren Zahl von typischen industriellen Betrieben einmal zu untersuchen, in welchem Spielraum bei der industriellen Kostenstruktur Marktschwankungen aus dem Wettbewerb heraus aufgefangen und idem Vorlieferanten weitergegeben werden können. Die Weitergabe dieser Wettbewerbsschwankungen am Markt geht nämlich dort nicht, wo sich der Produzent gebundenen Kasten bzw. Kostenfaktoren gegenübersieht, denen gegenüber eine Weitergabe der Marktschwankungen nicht vorgenommen werden kann. Das ist der ganze Block der tarifmäßigen Löhne und Gehälter, der gesetzlichen Sozialabgaben, der kartellierten oder der kartellierungsfähigen Rohstoffe, wozu auch diejenigen zählen, die nunmehr weitgehend der deutschen Zuständigkeit entzogen sind und zur Jurisdiktion der Hohen Behörde im Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gehören. Es sind weiter der Block der Kosten von Energie sowie von anderen Brenn- und Hilfsstoffen, ferner die Steuern, die Transportkosten und ein kleiner Rest sonstiger gebundener Kosten.
Ich darf hier für einige Betriebe den Raum der gebundenen Kosten und der nichtgebundenen Kosten nennen: bei einem Werk dier Industrie der Steine und Erden 85% gebundene Kasten, 15 % Kosten nicht gebunden;

(Abg. Dr. Köhler: Hört! Hört!)

bei einem Großbetrieb der elektrotechnischen Industrie mit über 5000 Beschäftigten 68% der


(Dr. Hellwig)

Kosten gebunden, 32 % der Kosten nicht gebunden;

(Abg. Raestrup: Hört! Hört!)

bei einem Werk der Zementerzeugung 71 % der
Kasten gebunden, 29% der Kosten nicht gebunden;

(Abg. Dr. Köhler: Hört! Hört!)

bei Werken der Eisen-, Blech- und Metallverarbeitung, der Schrauben- und Normteileindustrie und ähnlichen Eisen verarbeitenden Werken rund gesprochen 70 bis 80% der Kosten gebunden, 20 bis 30 % der Kosten nicht gebunden.
Ich erwähne diese Zahlen nicht, um zu sagen, man müßte die Flinte ins Korn werfen und dann wäre es aus mit dem Wettbewerb. Diese Schlußfolgerung, die vielleicht von anderer Seite gezogen werden könnte, sei hier keinesfalls gezogen. Nein, diese Situation zwingt doch dazu, einmal zu überlegen: Ist denn durch diese Art der Kostenverhärtung der Wettbewerb völlig unmöglich gemacht worden, oder wie und in welcher Form findet er nunmehr statt?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich möchte hier einmal auf eine Erscheinung der modernen industriellen Produktion aufmerksam machen, die in den deutschen Erörterungen bisher viel zuwenig beachtet worden ist. Ich meine die Tatsache, daß der Wettbewerb der Produzenten und der Verteiler nicht mehr, wie das noch im 19. Jahrhundert und bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts der Fall war, ausschließlich oder überwiegend als Wettbewerb mit dem Preisangesehen werden kann, sondern daß dort, wo der Wettbewerb mit dem Preis erheblich eingeschränkt ist, andere Formen des Wettbewerbs, nämlich Wettbewerb mit der Leistung, Wettbewerb mit der Leistungssteigerung, Wettbewerb mit der Produktivität, Wettbewerb in der Qualität und Wettbewerb in den Konditionen, in den Bedingungen, im „service" für den Verbraucher, an die Stelle getreten sind.

(Abg. Dr. Köhler: Sehr richtig!)

Ich glaube, daß man auch bestimmte Erscheinungen im Fortschritt der industriellen Produktion, in der Steigerung der industriellen Produktivität förmlich mit einer gewissen Stabilisierung der Preise in ursächlichen Zusammenhang zu bringen hat. Wo nämlich der ,Preiswettbewerb als die beherrschende Form ides Wettbewerbs den ständigen Einsatz aller Reserven erforderlich macht, fehlen diese Reserven sehr leicht zur Vornahme der Investitionen, die zur .Erzielung einer Leistungssteigerung, zu einer Erhöhung der Produktivität gemacht werden müssen. Je stärker der Wettbewerb über den Preis ist, um so geringer sind die Chancen einer nachhaltigen und beschleunigten Produktivitätssteigerung, weil es hier eben an den Mitteln zur Vornahme erforderlicher Investitionen fehlt. Ich glaube, gerade die Erfahrungen in der amerikanischen Industrie bestätigen, daß bei einer bestimmten Stabilisierung — nicht Festsetzung, nicht Fixierung und Einfrierung, aber bei einer bestimmten Stabilisierung — der Preisschwankungen der Gewinn 'durch einen Wettbewerb um erhöhte Produktivität schließlich auch idem Verbraucher zukommt; ihm ist er in der Vergangenheit in Amerika nachweislich zugeflossen..
Ich gebe zu, daß damit die Wirksamkeit des Preises, der sich aus Angebot und Nachfrage entwickelt, als Ordnungsfaktor, als Steuerungsfaktor etwas eingeschränkt wird; ,aber ich glaube, daß man diese Veränderungen in eden Formen und in den Zielsetzungen des Wettbewerbs doch in unsere Betrachtungen einbeziehen muß.
Es wäre noch viel an Einzelheiten zu sagen; aber das sollte der Debatte und den Beratungen in den Ausschüssen vorbehalten bleiben. Mir erscheint es notwendig, noch einmal ;darauf hinzuweisen, daß wir hier keine Entweder-oder-Politik machen können.

(Abg. Raestrup: Sehr richtig!)

Wir werden wahrscheinlich um einen Kompromiß nicht herumkommen, der für einen bestimmten Teil wettbewerbsbeschränkender Abreden nur die Mißbrauchsregelung und für andere wettbewerbsbeschränkende Verabredungen die Aufsicht, den Genehmigungszwang und damit die Nichtigkeitsregel als erste Festsetzung übernimmt.
Ich möchte alle diejenigen Kollegen, die glauben, daß man die vielgestaltigen Erscheinungen des Wettbewerbs im Wirtschaftsleben in allen Möglichkeiten paragraphenmäßig erfassen könne und Verhaltens- und Verfahrensvorschriften für jeden vorkommenden Fall finden könne, vor dies n Aberglauben in bezug auf einen bestimmten gesetzgeberischen Institutionalismus warnen. Worum es geht — das ist wohl die Aufgabe, zu der wir alle uns bekennen —, ist, die Gesamtheit unserer Wirtschaft einschließlich auch der Vertreter der öffentlichen Hand in dieser Wirtschaft zu dem Wettbewerb als einer Haltung zu verpflichten, zu dem Wettbewerb als Haltung auch zu erziehen und bestimmte Erscheinungen der Vergangenheit damit überwinden zu helfen. Ich habe allerdings die große Befürchtung, daß, je mehr Befugnisse zur Entscheidung über die Zulässigkeit von Abreden irgendwelcher Art zunächst der Verwaltung gegeben werden, desto mehr ,die Chance einer wirklichen Erziehung zum Wettbewerb verringert wird. Es wäre mir lieber gewesen, wenn die Durchsetzung und die Erziehung zum Wettbewerb viel stärker auf den Weg der Rechtsprechung, d. h. der Klagemöglichkeit und der gerichtlichen Entscheidung, verwiesen worden wäre, als es — nach Lage der Gerichtsverfassung im Augenblick wohl nicht anders möglich — in den jetzigen Entwürfen zunächst der Fall ist. Auch hier handelt es sich darum, daß jeder einzelne in der Wirtschaft angesprochen wird und sich für die Verteidigung seines Rechtes selbst interessiert. Die große Zahl von Möglichkeiten, die nunmehr in Ermessensentscheidungen zunächst bei den unteren Kartellbehörden liegen werden, halte ich nicht für einen glücklichen Ansatzpunkt, um die Erziehung zum Wettbewerb, um die es uns geht, wirklich erfolgreich durchzuführen.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0207705600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöne.

Dr. Joachim Schöne (SPD):
Rede ID: ID0207705700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich die Absicht, meine Ausführungen, die ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion machen darf, mit einem Zitat zu beginnen, weil es im Hause üblich geworden ist, mit einem Zitat wenigstens zu schließen. Ich hatte allerdings nicht die Absicht, mit einem Zitat aus einer eigenen Rede zu beginnen. Aber ich sehe mich dank der vorhin von Herrn Scheel erwiesenen Freundlichkeit gezwungen, mit einem


(Dr. Schöne)

eigenen Zitat zu beginnen. Herr Scheel war so freundlich, mich aus der Kartelldebatte des 1. Bundestages — wie üblich, die erste Lesung — zu zitieren, und zwar:
Aus dieser Konzeption bietet sich eine Mißbrauchsgesetzgebung eher an als eine Verbotsgesetzgebung.
Herr Scheel war nicht so freundlich, noch etwa zwanzig Zeilen weiter zu lesen,

(Abg. Scheel: Ich bin ja nicht zu freundlich!) wo es heißt — und jetzt darf ich zitieren —:

Wir Sozialdemokraten sehen einen großen Vorteil der Verbotsbestimmung darin, daß die betroffene Wirtschaft zu dem Nachweis gezwungen wird, aus welchen Gründen sie im Einzelfall vom Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit abweichen will.
Ich könnte noch weiter daraus zitieren, aber ich möchte nur dieses einseitige Zitat richtigstellen.
Nun darf ich mit dem Zitat beginnen, mit dem ich eigentlich beginnen wollte. Hier darf ich Herrn Professor Müller-Armack zitieren. Herr Professor Müller-Armack hat in einem Aufsatz, den er wohl im Jahre 1953 veröffentlicht hat, folgenden Satz geschrieben:
Was in den letzten vier Jahren in Deutschland wirtschaftspolitisch geschah, kann nicht einfach mit Sozialer Marktwirtschaft als geistiger Konzeption gleichgesetzt werden.
Nun, meine Damen und Herren, ich wäre gespannt auf den Artikel, den Herr Professor Müller-Armack nach der heutigen Debatte über die Soziale Marktwirtschaft schreiben würde; denn aus dem, was wir an verschiedenen Ausführungen zum Kartellproblem im Verhältnis zur Sozialen Marktwirtschaft gehört haben, läßt sich sicherlich ein sehr beachtlicher Artikel anfertigen. Es ist bestimmt eine sehr delikate Aufgabe, die hier heute geäußerten Auffassungen über Soziale Marktwirtschaft und Kartellproblem einmal mit dem zu vergleichen, was darüber im Grundsatzprogramm der CDU, in den Düsseldorfer Leitsätzen, steht.

(Zuruf des Abg. Dr. Köhler.)

— Ich weiß, Herr Köhler, es ist ein abendfüllendes Programm, und ich möchte deswegen auch davon absehen; ich komme vielleicht im Laufe der nächsten beiden Jahre scheibchenweise darauf zurück. Ich möchte hier nur folgendes sagen.
Mir ist es etwas eigenartig vorgekommen, daß Sie Professoren Weltfremdheit vorgeworfen haben, die konsequent dafür eingetreten sind, Monopole und Träger marktwirtschaftlicher Macht einer institutionell verankerten, unabhängigen und nur dem Gesetz unterworfenen Monopolkontrolle zu unterstellen. Wenn Sie diesen Professoren Weltfremdheit vorwerfen, erweisen Sie sich einen schlechten Dienst. Dann werfen Sie sich selbst Weltfremdheit vor, denn diesen Satz habe ich aus den Düsseldorfer Leitsätzen Nr. 1 zitiert!

(Heiterkeit.)

Also ich glaube, man muß hier etwas vorsichtig sein. Es wäre manchmal auch ganz gut, wenn Sie sich in der Geschichte Ihrer Partei etwas besser orientieren würden.

(Abg. Schüttler: Sehr richtig!)

Nun, aus der Geschichte des Kartellgesetzes brauche ich kaum etwas nachzutragen. Ein Teil ist früher schon gesagt worden, Ich darf vielleicht nur noch in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß wir im Wirtschaftsausschuß des 1. Bundestages die Beratungen des Gesetzes zwei Monate lang unterbrechen mußten, weil die CDU keinen Vorsitzenden finden konnte; Sie erinnern sich!

(Oh-Rufe von der Mitte.)

— Bitte, lesen Sie im Protokoll nach! Der stellvertretende Vorsitzende war ein Sozialdemokrat, und da durfte natürlich nicht beraten werden!

(Heiterkeit.)

Ich kann ferner aus der Geschichte vielleicht noch nachtragen, daß man angesichts dieses Fortschreitens des Problems wirklich die Befürchtung haben kann, daß der jeweilige Bundestag in der Kartellfrage regelmäßig zu einer ersten Lesung des Kartellgesetzes kommt.

(Erneute Heiterkeit.)

Ich möchte doch sehr herzlich darum bitten, es mit der ersten Lesung des Kartellgesetzes in diesem Bundestag nun genug sein zu lassen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie hat etwa zwei Jahre zu der Kartellfrage absichtlich geschwiegen, nicht etwa, weil wir nicht wußten, was wir dazu zu sagen haben. Nein, wir möchten eben gern wissen und wir wollten gern wissen, wie Soziale Marktwirtschaft und Kartellgesetz miteinander in Übereinstimmung zu bringen sind. Die Entwicklung war eigentlich ganz interessant, fast möchte man sagen: amüsant. Wir standen vor der Frage: Wie viele und welche Auffassungen zu dieser Frage „Kartellpolitik und Soziale Marktwirtschaft" gibt es denn? Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es war ein voller Erfolg, denn die Presse hat jahrelang von diesen Diskussionen gelebt. Es sind sogar neue Zeitschriften entstanden, immerhin ein lukratives Geschäft.

(Heiterkeit.)

Dann hat der Bundesverband der Deutschen Industrie, wenn ich nicht irre, nicht weniger als vier Professoren Honorare für Gutachten gezahlt. Ich gönne das den Professoren, ich gönne das auch dem Bundesverband der Industrie, ich möchte das nur feststellen. Und das, was wir in der Kartellfrage hier miterlebt haben, war ja auch immerhin ganz interessant. Sehen Sie, wir haben diese Frage nicht angerührt, weil wir eben gern wollten, daß sich diese komplizierte Frage „Kartellpolitik und Soziale Marktwirtschaft" erst noch entwickelt. Vor allen Dingen wollten wir nicht, daß Sie die Schwierigkeiten, die Sie haben, ausgerechnet auf unserem Buckel abladen. Das wollten wir vermeiden, und deswegen haben wir uns eben weise beschränkt; denn wir wissen ja: Wenn die Sozialdemokratie sich zu einem Problem äußert, dann tragen Sie Ihre unterschiedlichen Auffassungen auf unserem Rücken aus, und das wollten wir Ihnen eben versalzen!

(Abg. Dr. Köhler: Na!)

— Ich glaube, Sie haben ganz recht, Herr Köhler. Sie haben es ganz gut hingekriegt, aber ganz natürlich nicht. So darf ich z. B. — darauf bezieht sich hoffentlich Ihr „Na" — erinnern: In der Presse hat es natürlich nicht immer so geklappt. In einer sehr namhaften deutschen Zeitung — ich möchte


(Dr. Schöne)

den Namen lieber nicht nennen — vom 16. März, also vor etwa zwei Wochen, stand im Leitartikel folgender Satz:
Bei' der Kartelldebatte stehen sich im Wettbewerb gegenüber die freiheitliche Ordnung der Wirtschaft und Gesellschaft und das sozialistisch-bolschewistische System.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich habe vorhin absichtlich gesagt, es handle sich um eine namhafte Zeitung. Ich würde es eigentlich als glatte Brunnenvergiftung bezeichnen, wenn in einem Leitartikel .dieser Zeitung so etwas geschrieben ist. Aber die Zeitung selbst hat es mir viel leichter gemacht. Am selben Tage stand nämlich in derselben Zeitung drin, was ich zum Kartellproblem im Bundestag zu sagen haben würde, und das hatte die Zeitung geschrieben, ohne mit mir vorher gesprochen zu haben. Nun habe ich die Hoffnung daß diese Zeitung wenigstens das, was
ich zur Kartellfrage gesagt habe, hinterher liest und daß es dann vielleicht zu einer Korrektur ihrer doch zumindest sehr leichtfertig gemachten Äußerung kommt.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Welche Zeitung ist denn das?)

— Das ist die „Frankfurter Allgemeine Zeitung". Auf Wunsch teile ich es gern mit.
Herr Kollege Horlacher hat hier vorhin gesagt, nach seiner Auffassung sei die Begründung des Gesetzes durch die Regierung besser als das Gesetz. Ich glaube, hier kann ich bei aller Hochschätzung des persönlichen Charmes des Kollegen Horlacher ihm nicht ganz folgen. Ich halte gerade die Begründung für außerordentlich schlecht.

(Abg. Bender: Beides!)

Aber wir können ja bei der Ausschußberatung diese Begründung hin und wieder anziehen.
Das Kartellgesetz hat eine lange Leidensgeschichte. Diese ganzen Jahre hindurch — besonders die Jahre nach Veröffentlichung des ersten Entwurfs und ganz besonders natürlich während der vergangenen elf Monate, die dieser Entwurf im Niemandsland zwischen Bundesrat und Bundestag verbrachte - haben wir die Entwicklung sehr genau verfolgt. Während dieser Zeit hatten wir hinreichend Gelegenheit, diesen Entwurf bzw. seine verschiedenen Vorgänger — selbstverständlich auch die verschiedenen Nebenabreden — vom Standpunkt der Sozialen Marktwirtschaft aus interpretiert zu bekommen. Wir haben eine Fülle von Stellungnahmen und Interpretationen erhalten und dabei einen kleinen Einblick in das bekommen, was man alles unter Sozialer Marktwirtschaft verstehen kann und was man von einem ständig wechselnden Standpunkt aus alles in das Gesetz, das den Wettbewerb regeln soll, hineininterpretieren kann. Man kann in der Tat sehr darüber streiten, was sich öfter und schneller änderte: der Entwurf oder seine Interpretation. Das machte es natürlich für uns sehr schwer, zu der Vorlage Stellung zu nehmen. Im Hinblick auch auf die unterschiedlichen Auffassungen zu diesem Problem im Kabinett und im Wirtschaftskabinett ist es für die Opposition unmöglich, die Vorlage vom Standpunkt der Regierung aus zu verstehen, sie von dort aus zu würdigen und zu kritisieren. Es bleibt mir als Sprecher der SPD demnach nur die Möglichkeit, zu dem Problem und dem Entwurf, losgelöst von
den verschiedenen Vorlagen, aus der Wirtschaftskonzeption der SPD heraus Stellung zu nehmen. Ich darf daher zunächst mit einigen Strichen diese Wirtschaftskonzeption andeuten, von hier aus dann das Problem des Wettbewerbs und seiner Einengung durch Abreden, Kartelle, Zusammenschlüsse usw. entwickeln, um dann von dort aus zu dem vorgelegten Entwurf kritisch Stellung zu nehmen.
Unsere Wirtschaftskonzeption wird bestimmt durch die Daten: Steigerung des Sozialprodukts, gerechte Verteilung des Sozialprodukts, aktive Konjunkturpolitik im Sinne einer Vollbeschäftigung für Produzenten und Verbraucher. Was Preis, Produktion und Verbrauch angeht, ist die wirtschaftspolitische Konzeption der SPD in ihrer Grundlage marktwirtschaftlich. Sie ist dies — so darf ich hinzufügen — nicht erst seit heute oder seit gestern. So galt die Aufmerksamkeit sozialdemokratischer Politiker stets schon der Preispolitik und — das ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig — dem Markte selbst und seinen Formen. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß es Sozialdemokraten waren, die sich energisch für ein Funktionieren der Kartellverordnung eingesetzt haben, und daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion es war, die Anfang der dreißiger Jahre den Versuch der Schaffung eines Antikartellgesetzes unternommen hat.
Mit Marktwirtschaft erfaßt man einen weiten Komplex. Mit ihrer Betonung gewinnt man jedoch zunächst nur 'die Abgrenzung zur zentral geleiteten Wirtschaft, also zur Zwangswirtschaft. Es wird nur der Unterschied herausgestellt, daß nicht behördliche, mit Zwang verbundene Vorschriften Produktion und Verteilung bestimmen, sondern daß die auf dem Markt sich gegenübertretenden Kräfte des Angebots und der Nachfrage es sind, die zusammen den Preis bilden. Angebot und Nachfrage sind keine Erfindungen unseres oder des vergangenen Jahrhunderts. Sie sind ebenso alt, wie Menschen im wirtschaftlichen Verkehr miteinander stehen. Die geschichtliche Erfahrung zeigt aber, daß die Art, wie die Menschen und Einzelwirtschaften anbieten und nachfragen, wie sie also aufeinander angewiesen sind, höchst verschieden war und ist.
Hiermit wird auf die Marktform abgehoben, d. h. auf die Frage, wie die Machtposition der Einzelwirtschaft auf den einzelnen Märkten ist. Es ist ein Ergebnis der ökonomischen Marktformenlehre, daß es ökonomisch bestimmbare Preise - Gleichgewichtspreise —, die durch Angebot und Nachfrage streng bestimmt sind, eigentlich nur in zwei extremen Fällen gibt, nämlich im Falle der vollständigen Konkurrenz — das ist das eine Ende der Skala — und im Falle ,des absoluten Monopols, — das ist das andere Skalaende. Zwischen diesen beiden extremen Lösungen liegt der sogenannte unvollständige Wettbewerb, existiert eine Skala von zahlreichen Zwischenformen zwischen diesen beiden Grenzlösungen. Entscheidend ist: die Rea- lität enthält praktisch diese Zwischenformen und fast nie die extremen Lösungen. Also sind die tatsächlichen Preise, die nun in diesen Zwischenformen gebildet werden, nicht Preise, die durch Angebotsgrößen und Nachfragegrößen objektiv berechnet werden können, also nicht einfache Kalkulationsergebnisse, sondern leider sind diese Preise ökonomisch unbestimmbar. Alle diese Preise der gleichgewichtslosen Marktformen werden im letzten durch Macht und durch Kampf gebildet, also durch außerökonomische Faktoren.


(Dr. Schöne)

Allerdings ist dieses Bild der Marktformen nicht bleibend. Es wechselt nach Konjunktur, nach struktureller Situation und nach dem Verhalten einzelner Marktteilnehmer, die eine Machtposition am Markt durch Organisation, Absprachen oder dergleichen erringen. Entscheidend ist für uns: die Marktformen sind auch gestaltbar. Die Gestaltung der Marktformen ist für die Wirtschaftspolitik von allerhöchstem Interesse, da durch die Preisbildung am Markt ein Doppeltes erreicht werden soll: eine beste Ausnutzung der wirtschaftlichen Kräfte — damit höchste Produktivität — und zugleich die beste Versorgung, also gerechteste Verteilung.
Daher gipfelt die jeweilige wirtschaftspolitische Forderung regelmäßig in der Gestaltung der Marktformen als dem zentralen Punkt des Wirtschaftsgeschehens, von wo aus Produktion und Konsum bestimmt werden. Die Wirtschaftspolitik muß in den einzelnen Wirtschaftsbereichen diejenige Marktform setzen bzw. ihre Herausbildung fördern — zugleich die Herausbildung unerwünschter Formen hemmen —, die nach menschlichem Ermessen am vollkommensten die an die Wirtschaft hinsichtlich Produktivität und bestmögliche Versorgung gestellten Anforderungen erfüllt. Die Frage also, welche Marktform in den einzelnen Wirtschaftsbereichen herrschen soll, ist aus dem politischen Raum heraus zu stellen und aus demselben politischen Raum heraus zu beantworten.
Als Sozialdemokraten, als freiheitliche Sozialisten bestimmt uns der Grundsatz der Freiheit in unserer ganzen Konzeption. Freiheit bedeutet in unserer Sicht jedoch nicht, daß der einzelne tun und lassen kann, was er will. Nach unserer Auffassung ist die Schranke durch die Mitmenschen, durch die Gesellschaft gezogen. Gerade im Wirtschaftsieben begegnet der Mensch auf Schritt und Tritt Mitmenschen, die genau so frei sein wollen wie er selbst. Diese Schranke der Freiheit des einzelnen in der Gesellschaft muß zum Schutze der Freiheit des anderen gesetzt werden. Dieses tut das Recht, das Gesetz. Jeder Mensch hat Anspruch auf die gleiche Freiheit. So schränkt nach sozialistischer Auffassung das Recht die Freiheit aller auf die Bedingung der Gleichheit ein. Anspruch auf gleiche Freiheit also heißt nichts anderes als Anspruch auf die gleiche Chance.
Von diesem Standpunkt aus, meine Damen und Herren, also vom Standpunkt der Gerechtigkeit muß für uns die Frage nach der politisch zu erstrebenden Form der Marktwirtschaft beantwortet werden. Die Antwort kann nur lauten, daß alle jene Marktformen erwünscht und förderungswürdig sind, die der Freiheit aller, also der Gerechtigkeit dienen, wie alle jene Marktformen zu verwerfen und zu verhindern sind, welche die Freiheit aller, also die Gerechtigkeit antasten oder beeinträchtigen. Somit mündet unsere wirtschaftspolitische Konzeption ein in die Forderung nach einer Marktwirtschaft, die der Gerechtigkeit dient und die man zur Abgrenzung „gerechte Marktwirtschaft" nennen könnte.
Die eben herausgestellte allgemein gefaßte These wäre nun auf das besondere Problem der Stellung zu den Kartellen, zu den Monopolen und dergleichen besonders zuzuschneiden. Es wäre also jetzt von mir zu den erwünschten und unerwünschten Marktformen besonders Stellung zu nehmen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Abgrenzung der von mir herausgestellten marktwirtschaftlichen Konzeption gegen die Begriffe freie
Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft. Die freie Marktwirtschaft überläßt es dem Wirtschaftsgeschehen selbst, die Marktform herauszubilden und anzuwenden, wie es die Situation gebietet. Man will die Wirtschaftsbereiche frei von Eingriffen halten, das Laisser-faire also verwirklichen. Erfahrungstatsache ist, daß sich bei einem solchen Sichselbstüberlassen regelmäßig Machtpositionen an den Märkten herausbilden, einmal infolge der Absprache von Unternehmen, durch Regelung der Marktfaktoren das Spiel der Kräfte zu beschränken, zum andern durch Beeinflussung der Leistungskraft das Unternehmen auf dem Markt nicht voll zur Geltung zu bringen, und endlich durch Herausbildung von zum Monopol tendierenden Großunternehmungen. In jedem Fall wird für unsere Begriffe nicht die Freiheit für alle, sondern lediglich die Freiheit für einige und damit die Unfreiheit anderer angesteuert und praktiziert.
Diese These der freien Marktwirtschaft wird heute kaum noch vertreten. Ich glaube, daß unserem Kollegen Illerhaus vorhin bei seinem Kampf für Handel und freie Marktwirtschaft ein Lapsus linguae unterlaufen ist, daß er natürlich soziale Marktwirtschaft meinte. Die These der freien Marktwirtschaft findet ja ihre deutlichste Widerlegung durch die Wirtschaftsgeschichte der abgelaufenen 50 Jahre. Die soziale Marktwirtschaft — hierbel halte ich mich nur an die Theorie — geht davon aus, daß die Marktform der freien Konkurrenz sittliche Ordnung zugleich ist. Es wird die Meinung vertreten, nur bei der Verwirklichung vollständiger Konkurrenz trete das Phänomen wirtschaftlicher Macht ganz zurück. Aus der Wirtschaftsgeschichte registriert die soziale Marktwirtschaft wie wir die Tatsache, daß Machtgebilde und Zusammenballungen am Markt entstehen und den Wettbewerb auf Kosten der Verbraucher einschränken, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung sich selbst überläßt. Der Wettbewerb — so folgert man — müsse daher durch Rechtsformen organisiert und notfalls erzwungen werden.
Nun, auf den ersten Blick will es so scheinen, als wenn es zwischen unserer marktwirtschaftlichen Auffassung und der Theorie der sozialen Marktwirtschaft hinsichtlich des Setzen, des Pflegens und des Abwehrens von Marktformen keine allzu große Differenz gibt. Erst bei näherem Zusehen wird der Unterschied deutlich. Die Theorie der sozialen Marktwirtschaft setzt als beherrschenden Grundsatz den Wettbewerb. Da, wo Wettbewerb besteht, soll er bereinigt und gesetzlich gesichert werden, und da, wo noch kein Wettbewerb oder nicht mehr Wettbewerb besteht, soll er durch gesetzliche Maßnahmen vorbereitet und zum Zuge gebracht werden. Die Marktwirtschaft, wie wir sie wollen, beinhaltet dagegen die Auffassung, daß eine Forderung nach dem Verbot jeglicher Wettbewerbsbeschränkung dem Marktmechanismus der vollständigen Konkurrenz eine Bedeutung beimißt, die ihm nicht zukommt. Die Frage, urn die es im politischen Raum geht, ist, ob die faktische Ordnung dem sittlichen Ideal entspricht. Daß der Gleichgewichtszustand bei freier Konkurrenz gerecht sei, ist eine Behauptung, die in den Grundlagen der Politik erst bewiesen werden muß. Wir wissen, daß es viele Wirtschaftsbereiche gibt, in denen die Marktform des Wettbewerbs nicht hergestellt werden kann, ja darf, weil dadurch in diesem Bereich die Grundsätze von Freiheit und Gerechtigkeit angetastet werden würden. Wir wis-


(Dr. Schöne)

sen ferner, daß es auch in jenen Bereichen der Wirtschaft, in denen Wettbewerb herrschen sollte, Situationen geben kann, die eine Ordnung des Wettbewerbs verlangen. So setzen wir die These: Wettbewerb so weit wie möglich. Wir setzen diese These, weil wir wissen, daß für sehr viele Waren und Dienstleistungen kein Wettbewerb zustande kommt, daß sich also 'dort keine echten Marktpreise mehr bilden können.
Übereinstimmung zwischen den beiden Auffassungen, unserer Marktwirtschaft und der sozialen Marktwirtschaft, liegt demnach insoweit vor, als beide Auffassungen in solchen Wirtschaftsbereichen, in denen sich ein Wettbewerb realisieren läßt, diesem Wettbewerb durch gesetzliche Maßnahmen geschützt wissen wollen.
Bedeutet das nun, daß wir für die Wirtschaftsbereiche, in denen nach unserer Meinung ein funktionierender Wettbewerb nicht mehr verwirklicht werden kann, Kartelle und andere Marktorganisationen für richtig und zulässig halten? Die Anerkennung von Kartellen, Zusammenschlüssen und anderen Machtorganisationen am Markt würde bedeuten, daß einer Gruppe von Menschen das Recht zugesprochen würde, die Freiheit so zu ,genießen und so aufzufassen, wie sie wollen, ohne Rücksicht auf die Freiheit oder den Grad der Unfreiheit der anderen. Diese Erkenntnis allein verbietet es uns, Kartelle und 'dergleichen in diesen Wirtschaftsbereichen zu bejahen. Wenn, wie wir wissen, Marktorganisationen dort bestehen müssen, dann dürfen sie nicht der privatwirtschaftlichen Auffassung einiger weniger dienen. Sie müssen vielmehr der gemeinwirtschaftlichen Auffassung, in diesem Wirtschaftsbereich nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit tätig zu sein, entsprechen. Wie kann dies geschehen? Nach unserer Auffassung sicher nicht dadurch, daß man es Produzenten allein oder Produzenten und Händlern allein überläßt, die Ordnung des Wirtschaftsbereichs nach ihrer Auffassung vorzunehmen. Denkbar wäre eine staatliche Marktordnungsstelle. Bei allem, was man gegen eine Beteiligung des Staates und seiner Bürokratie sicher und nicht selten mit Unrecht vorbringen kann, muß doch festgestellt werden, daß gesamtwirtschaftlich gesehen und mit der Elle der Gerechtigkeit gemessen eine solche behördliche Stelle einer privaten Organisation gegenüber den beträchtlich größeren Grad der Vermutung für sich hat, im Gesamtinteresse zu handeln. Man wird eine lebendige Organisationsform finden müssen, die Wirtschaft und Gesamtinteresse unter öffentlicher Aufsicht vereinigt.
Zu diesem Punkt ist folgendes festzustellen. In den Wirtschaftsbereichen, in denen ein Wettbewerb nicht mehr effektuiert werden kann, müssen marktordnende Institutionen die Ordnungsfunktion übernehmen, Zusammenschlüsse mit staatlicher Genehmigung und unter staatlicher Aufsicht. Mit diesen Überlegungen, meine Damen und Herren, rükken Sie eine gesetzliche Regelung des anstehenden Komplexes für zwei Betrachtungskreise stark in den Vordergrund: erstens die Wirtschaftskreise, die von dem Gesetz auszunehmen sind, zweitens Organisation und Funktionen der Kartellbehörde als der Genehmigungs- und Aufsichtsstelle. Bisher hob ich nur auf Kartelle und ähnliche Zusammenschlüsse, sagen wir, horizontaler Art ab. Ich darf ergänzende Gedanken über vertikale Organisation, Konzerne, Trusts und dergleichen vortragen.
Das Kriterium für wirtschaftspolitisches Eingreifen ist für uns, ob eine solche Konzentration von
Unternehmungsmacht eine monopolistische oder oligopolistische, also eine stark marktbestimmende Stellung innehat und ausübt. Der Grundsatz der Gerechtigkeit wird erst verlassen, wenn es ein starker Partner am Markt in seiner Macht hat, eine wesentliche marktbeeinflussende Wirkung im Interesse einiger zum Schaden der anderen auszuüben. Es wäre unwirtschaftlich, Großunternehmen, Konzerne und dergleichen zu verbieten. Richtig und notwendig aber ist es, zu verhindern, daß solche Unternehmen und Zusammenschlüsse den Schritt zum Machtmißbrauch am Markt tun. Ich glaube, daß diese Auffassung von der Monopolkontrolle in der sozialen Marktwirtschaft und nach unserer marktwirtschaftlichen Konzeption fast einheitlich ist.
Diese mehr theoretischen Ausführungen schienen mir als Ausgangspunkt unserer Betrachtung der vorliegenden Entwürfe notwendig zu sein. Ich darf in wenigen Thesen das Gesagte gleichsam als Entschuldigung zusammenfassen.
1. Aus der Sicht einer auf Freiheit und Gerechtigkeit gerichteten Marktwirtschaft ist Wettbewerb soweit wie möglich zu errichten und grundsätzlich zu sichern.
2. In Wirtschaftsbereichen, in denen sich die Marktform des Wettbewerbs nicht mehr verwirklichen läßt, haben Marktorganisationen die Ordnung im Gemeininteresse durchzuführen, was Genehmigung und Kontrolle dieser Organisationen bedeutet.
3. Monopolistischer und oligopolistischer Marktmißbrauch ist zu verhindern.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bezweckt eine gesetzliche Regelung des Wettbewerbs insofern, als er sich gegen Institutionen und Organisationen wendet, die den Wettbewerb beeinträchtigen. Es ist zuzugeben, daß der Entwurf die positiven Kriterien eines lauteren Wettbewerbs, eines echten Leistungswettbewerbs vermissen läßt. Man kann jedoch dieses Manko hinnehmen, wenn man den festen Willen hat, für dieses Gebiet in späteren Gesetzen positive Kriterien zu entwickeln und festzulegen. Man kann sich zu einem solchen Entschluß um so eher bereit finden, als ein Blick auf das gegenwärtige Wirtschaftsgeschehen zeigt, daß eine Regelung der Kartell-, Monopol- und Preisabsprachen unverzüglich in Angriff genommen werden muß.
Der Entwurf der Regierung klammert von vornherein bestimmte Wirtschaftsbereiche von der Wirksamkeit des Gesetzes aus. Die Begründung der Bundesregierung sagt hierzu:
In einer Reihe von Marktbereichen ist aus den verschiedensten Gründen . . . die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht herzustellen. Da der Wettbewerb nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Leistungssteigerung und Fortschrittsförderung ist, würde sich der Gesetzgeber der Gefahr eines wirklichkeitsfremden Schematismus aussetzen und schwere wirtschaftliche Schäden heraufbeschwören, wenn er eines theoretischen Prinzips wegen auf diesen Märkten den vollständigen Wettbewerb wiederherstellen wollte.
Die in dieser Formulierung zutage tretende Auffassung entspricht, wie ich im Hinblick auf das, was ich eingangs ausführen durfte, feststellen darf, durchaus unserer Auffassung.


(Dr. Schöne)

Die Ausklammerung der Ausnahmebereiche wird von mir an den Anfang des Gesetzentwurfs gestellt, nicht um eine Berechnung zu beginnen, wieviel Prozent der Gesamtwirtschaft durch das vorliegende Gesetz erfaßt werden, vielmehr um festzustellen, daß bei manchen heißen Kämpfen in Wort und Schrift pro und kontra Entwurf manches Mal übersehen wurde, daß die gesetzlichen Festlegungen sich nur auf einen relativ beschränkten Raum der Gesamtwirtschaft erstrecken.
Die Entscheidung, ob in einem Wirtschaftsbereich der vollständige Wettbewerb das geeignete Mittel zur Leistungssteigerung und Fortschrittsförderung ist oder ob bestimmte organisatorische Zusammenschlüsse zweckmäßig sind, ist eine Frage des wirtschaftspolitischen Ermessens. Nach unserer Auf f as-sung gibt es Wirtschaftsbereiche, die einer besonderen Ordnung des Marktes zu unterwerfen sind, insbesondere deswegen, weil ihre Ordnung nach gemeinwirtschaftlichen Prinzipien erfolgen muß.
Unter diesem Gesichtswinkel anerkennen wir die Ausklammerung, die der Entwurf vornimmt hinsichtlich Bundespost und Verkehrswirtschaft. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir der Überzeugung sind, die gegenwärtig hier auf diesen Gebieten bestehende Marktordnung sei ideal und daher kritiklos .hinzunehmen. Das Gesamtgebiet des Verkehrswesens befindet sich gerade gegenwärtig in einer Umformung. Man wird, sobald die Dinge hier übersehbar sind, unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten eine kritische Würdigung des Erreichten vornehmen müssen. Hierbei kommt meines Erachtens den aus dem Montanunion-Raum in die deutsche Wirtschaft hinein erstreckten Ordnungsgesichtspunkten besonderer Art auf dem Gebiet des Verkehrswesens eine beträchtliche Bedeutung zu.
Das Gebiet der Energiewirtschaft ist ein weites Feld, das mancher Überlegungen bedürfen wird, unter denen eine Marktordnungsbetrachtung nicht unwesentlich sein dürfte. Ähnliches gilt für die Wasserwirtschaft. Für beide Gebiete stimmen wir mit dem Grundgedanken des Entwurfs überein, daß in der öffentlichen Versorgungswirtschaft besondere Wettbewerbsverhältnisse bestehen müssen.
Hinsichtlich der Kredit- und Versicherungswirtschaft sieht der Entwurf eine Ausnahme nur vor für die Bank deutscher Länder, die Landeszentralbanken und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Bundesrat hatte hierzu vorgeschlagen, die Ausnahmen vom Gesetz auch zu erstrecken auf Kreditinstitute im Sinne des Gesetzes über das Kreditwesen, auf Versicherungseinrichtungen und Bausparkassen, unter der gleichzeitigen Anregung, die Aufsichtsgesetze für Versicherungen und Banken dahin zu prüfen, ob den Aufsichtsinstitutionen nicht durch eine entsprechende Ergänzung der betreffenden Gesetze die marktordnende Funktion mit zuerkannt werden kann. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme den Vorschlag des Bundesrats abgelehnt. Diese Frage sollte jedoch von uns sehr gewissenhaft überprüft werden.

(Abg. Samwer: Sehr gut!)

Selbstverständlich genügt unter der Zielsetzung des vorliegenden Entwurfs die für Banken und Versicherungen bestehende Fachaufsicht nicht. Sie bedarf einer Vervollkommnung in der Richtung, wie sie auch der Kollege Samwer heute angedeutet hat: daß eine gebührende Wahrnehmung der
Interessen der Kreditnehmer bzw. der Versicherten stattfinden kann.

(Abg. Dr. Köhler: Sehr richtig!)

Den bestehenden Aufsichtsämtern würden demnach zusätzliche marktordnende Funktionen zuzuerkennen sein, was einen Umbau der Organisation, der Funktion und der Kontrolle der betreffenden Aufsichtsämter durch Staat und Parlament selbst notwendig macht.
Der Entwurf bestimmt in einem Paragraphen, daß das Gesetz Anwendung findet auch auf Unternehmen, die von der öffentlichen Hand in Gemeineigentum oder Gemeinwirtschaft oder als gemeinnützige Unternehmen betrieben werden. Beachtenswert scheint mir hier die Begründung der Bundesregierung zu sein, die, obwohl das Gesetz sich um die Regelung von Marktformen bemüht, hier plötzlich von der Konzeption abbiegt und auf einen Typ der sonst nicht angesprochenen Unternehmensformen abhebt. Wir haben im Ausschuß den hier angeschnittenen Komplex sehr gewissenhaft zu prüfen, wobei ich schon jetzt sagen darf, daß wir uns für eine Streichung der Bestimmung einsetzen werden.
Ich möchte ferner nicht unerwähnt lassen, daß manche Wirtschaftsbereiche, die durch diese Ausnahmebestimmungen von der Anwendung des Gesetzes ausgeklammert werden, einer genauen Betrachtung und Prüfung hinsichtlich ihrer Marktordnung zu unterziehen sein werden. Hier nenne ich zunächst einmal die Bestimmungen über die Landwirtschaft. Dabei wird nicht zuletzt die Frage in den Vordergrund zu stellen sein, ob die Verbraucher genügend Schutz vor einem Preisdiktat genießen. Für uns ist klar, daß der Bereich der Landwirtschaft weder generell von den Bestimmungen des Wettbewerbs ausgenommen werden kann noch seine unumschränkte Unterwerfung unter diese Bestimmungen möglich ist. Wir folgen hier im wesentlichen den Gedanken, wie sie der Herr Kollege Horlacher heute morgen vorgetragen hat. Wenn ich aber dem Kollegen Horlacher einen Gefallen tun 'will, dann möchte ich ihn aufmerksam machen auf den mir — sicher fälschlicherweise — zugegangenen Wochenbericht Nr. 12 des Wirtschaftsausschusses der CDU vom 25. März 1955. Er ist ziemlich druckfrisch.

(Zuruf von der Mitte: An die falsche Adresse geraten!)

Da steht auf Seite 3 unten — ich zitiere —:
In der Bundesrepublik bildet die landwirtschaftliche Marktordnung einen Fremdkörper in einer sonst freien Marktwirtschaft.
Ich glaube, daß der Kollege Horlacher einmal diese Frage der landwirtschaftlichen Wettbewerbs- und Marktordnung zum Gegenstand einer größeren Fraktionssitzung machen muß.

(Heiterkeit.)

Diese Anregung darf ich mir von dieser Seite aus erlauben.
Wir haben ferner nach unserer Auffassung allen Anlaß, sehr gewissenhaft zu prüfen und zu überlegen, ob Handwerk und freie Berufe nach ihrer Struktur wirklich unter dem Prinzip des Wettbewerbs über den Preis stehen und damit einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen voll unterstellt werden sollen.
Im Anschluß an das, was Herr Illerhaus heute morgen sagte — er sagte, daß die Berufsordnung


(Dr. Schöne)

nicht Gegenstand solcher Überlegungen sein sollte — darf ich darauf hinweisen, daß wir bei dem anstehenden Kartellproblem sehr gewissenhaft und allen Ernstes das Problem der sogenannten berufsständischen Gliederung zu prüfen haben. Wie ich eingangs betonte, kam es uns darauf an, für die einzelnen Wirtschaftsbereiche die ihnen nach den Gesichtspunkten ,des Gesamten und der Gerechtigkeit passenden Marktformen zum Einspielen zu bringen. Daher darf man nach unserer Auffassung auch nicht versuchen, anerkanntermaßen unter gemeinwirtschaftlichen Zielsetzungen stehende Bereiche artfremden Ordnungsprinzipien zu unterwerfen.
Dieser erste Abschnitt der Entwurfsbetrachtung, der sich auf die Gebiete bezog, die ausgeklammert werden sollen, wurde vorausgeschickt. In diesen Bereichen kommt der Marktpreis als Steuerungsfaktor des Wirtschaftsablaufs nicht zum Zuge.
Von diesen Bereichen herkommend ist nun weiterzugehen zu jenen Wirtschaftsbereichen, in denen der Wettbewerb grundsätzlich geschaffen bzw. bereinigt werden soll, zu jenen Bereichen also, in denen der Marktpreis Steuerungsfaktor sein soll. Wenn der Gesetzgeber nicht an wirtschaftlichen Realitäten vorbeigehen will, muß er in diesen Bereichen die Entwicklung aller Organisationsformen zulassen, die volks- und gesamtwirtschaftlich zweckmäßig sind. Wenn man sich in der Theorie Bereiche des vollständigen Wettbewerbs von solchen des unvollständigen Wettbewerbs getrennt denken kann, so zeigt doch die Betrachtung der wirtschaftlichen Wirklichkeit, daß solche Teile nicht selbständig klar abgrenzbar nebeneinander stehen. In den einzelnen Teilbereichen herrschen
gewisse bestimmte Ordnungsformen vor, mehr jedoch nicht. Sie stehen insgesamt in einem starken funktionalen Zusammenhang, sie durchdringen und beeinflussen sich gegenseitig. Hieraus ist sicherlich der Schluß zu ziehen, daß Ordnungsformen an sich weder gut noch böse sind. Das gilt auch für Kartelle und Monopole.
Wenn es demnach falsch ist, zu sagen, daß ein Kartell a priori schlecht ist, muß man sich jedoch ebenfalls davor hüten, es a priori für gut zu halten. Kartelle können im gesamtwirtschaftlichen Interesse, im Interesse des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts erwünscht, ja manchmal sogar notwendig sein.

(Abg. Raestrup: Sehr gut!)

Eine entsprechende Formulierung könnte man auch für die Monopole gebrauchen. Betrachtet man diese Institutionen jedoch unter dem Blickpunkt der wirtschaftlichen Macht — und diesen Mut brachte Herr Elbrächter heute morgen nicht auf —, dann werden die Dinge anders.
Das Kartellproblem, auf das ich jetzt besonders abheben möchte, ist in der Tat in erster Linie ein Problem wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Macht. Wirtschaftliche Macht wird ausgeübt, indem jede wirtschaftliche Organisation von nennenswerter Bedeutung über die Preisgestaltung und durch andere Maßnahmen auf die konjunkturelle Entwicklung und damit im Endergebnis auf die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards Einfluß nehmen kann, gesellschaftliche Macht, weil wirtschaftliche Macht unter bestimmten Voraussetzungen insbesondere in Deutschland gesellschaftlichen und politischen Einfluß zugleich verleiht.
Damit wird aber für uns zur bestimmenden These, daß für derartige Machtzusammenballungen eine wirksame Kontrolle eingerichtet werden muß.

(Abg. Raestrup: Sicher!)

Hiermit meinen wir einmal eine öffentliche Kontrolle auf Grund einer genauen Durchleuchtung der wirtschaftlichen Tatbestände, also Publizität in dem Kartell selbst wie auch in seinen Beziehungen zu anderen Unternehmungen.
Wir meinen damit zum anderen eine institutionelle Kontrolle durch eine entsprechende Kartellstelle. Nach unserer Auffassung ist allein die volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit das entscheidende Kriterium für die Frage, ob und in welchem Umfang Kartelle anerkannt werden. Soweit Kartelle zuzulassen sind, richten sich Art und Umfang der Kontrolle danach, ob und in welchem Ausmaß diese Kartelle eine Gefahr für die wirtschaftliche und politische Entwicklung darstellen. So sind für den gleichen Wirtschaftsbereich unter verschiedenen Voraussetzungen und zu verschiedener Zeit auch verschiedene Entscheidungen denkbar. Sie sind insbesondere von den Zeitumständen und den Verhältnissen der Wirtschaftsbereiche abhängig.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich drei entscheidende Gesichtspunkte: 1, Wir lehnen die Kartellfreiheit grundsätzlich ab. Nach unserer Auffassung sind jedoch die Kartelle schlechthin nicht schädlich, gefährlich und verwerflich. Dies sind vielmehr solche Kartelle, die Organisationen unkontrollierter Macht darstellen. Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit müssen vom Staat erlaubt und kontrolliert werden.
2. Eine elastische Fächerung der erlaubten, genehmigten und beaufsichtigten Kartelle muß gegeben sein, um allen Notwendigkeiten wirtschaftlicher Realität entsprechen zu können.
3. Die Kartellbehörde — Kartellamt, Monopolamt oder ähnliches — bedarf im Hinblick auf die von ihr zu handhabende Genehmigung, Kontrollauflagenerteilung und Prüfung hinsichtlich ihrer Organisation, ihrer Funktion, hinsichtlich ihres Initiativrechts bei Prüfung und Aufsicht sowie besonders auch hinsichtlich ihrer eigenen parlamentarischen Kontrolle besonderer Aufmerksamkeit.
Diese drei Punkte sind nach unserer Auffassung eng miteinander verbunden. Bei der Behandlung des Entwurfs müssen wir die Anerkennung eines jeden Punktes dieser These davon abhängig machen, inwieweit bei den anderen Punkten unsere Vorstellungen zur Erfüllung gelangt sind. Ich bitte daher, die nachfolgenden Ausführungen zu den einzelnen Kartellausnahmen, zur Behandlung der Monopolfrage stets unter dem Gesichtspunkt dieser engen Verzahnung der genannten drei Thesen zu werten.
Nach unserer Auffassung sollen ohne besondere Genehmigung — d. h. auch ohne besondere Erlaubnis — folgende Kartelle z. B. erlaubt sein: Normungs- und Typisierungskartelle, Exportkartelle, soweit dadurch die handelspolitischen Beziehungen nicht gestört werden.
Als Gruppe der genehmigungspflichtigen Kartelle sehen wir z. B. folgende Typen an: Inlandskartelle zur Sicherung der Funktion von Exportkartellen, Importkartelle, Beteiligung an internationalen Kartellen, Rationalisierungskartelle,


(Dr. Schöne)

Krisenkartelle, wobei betont sein mag, daß hier nur konjunkturelle Krisen gemeint sind, also die Regelung eines vorübergehenden, nicht auf nachhaltiger Änderung der Nachfrage beruhenden Absatzrückgangs.
In dieser Aufzählung der ohne Genehmigung und der mit Genehmigung zulässigen Kartelle sind einige Typen von Kartellen nicht enthalten, die jedoch in bestimmtem Zusammenhang zu bestimmter Zeit eine entscheidende volkswirtschaftliche Ordnungsaufgabe übernehmen können. Strukturell bedingte Anpassungskartelle können gesamtwirtschaftlich notwendig sein. Kartellartige Beschaffungsorganisationen der mittleren gewerblichen Wirtschaft und des Handwerks sind unter Umständen als Abwehrmaßnahmen gegen die beherrschende Stellung von Lieferanten und Konkurrenten zweckmäßig und erwünscht, wenn sie diesen kleinen und mittleren Unternehmungen durch entsprechende organisatorische Maßnahmen gleiche Startbedingungen verschaffen.

(Abg. Raestrup: Sehr richtig!)

Endlich gibt es immer wieder nicht allgemein abgrenzbare Fälle, in denen Ordnungsmaßnahmen erforderlich sind. Für diese Kartelle, die sich für eine Aufzeichnung und gesetzesmäßige Festlegung nicht eignen, muß nach unserer Auffassung im Gesetz eine besondere Tür in Form einer Generalklausel aufgestoßen werden, durch die diese Kartelle in den Bereich der genehmigten Kartelle eingehen können. Allerdings soll die Genehmigung nur in den Fällen erteilt werden, wenn derartige Zusammenschlüsse im Interesse der Allgemeinheit als notwendig angesehen werden. Den Entscheid hierüber und damit über die
o Genehmigung möchten wir jedoch nicht in die Hände der Kartellbehörde legen. Nach unserer Auffassung gehört eine Entscheidung auf Grund einer solchen Generalklausel zumindest in die Zuständigkeit des politisch verantwortlichen Ministers. In besonders bedeutsamen Fällen soll die Bundesregierung auf Antrag des Bundeswirtschaftsministers die Erlaubnis erteilen, wenn die Beschränkung des Wettbewerbs zur Wahrung eines besonderen öffentlichen Interesses geboten ist.
Wenn ich eingangs hervorhob, daß unser Grundsatz die Freiheit für alle, also die Gerechtigkeit verlangt, dann ist damit die Richtschnur für unsere Auffassung von Kartellen gegeben. Die nach unserer Auffassung ohne besondere Erlaubnis zugelassenen Kartellformen dienen, richtig betrachtet und angewandt, dem Produzenten und dem Konsumenten zugleich. Sie festigen echten Wettbewerb und führen letzten Endes zu einer günstigen Auswirkung auf die Gesamtwirtschaft.
Die Gruppe der genehmigungspflichtigen Kartelle zeigt diese guten Eigenschaften nicht a priori. Besonders das Rationalisierungskartell wird in seiner begrifflichen Festlegung besonderer Gewissenhaftigkeit bedürfen. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist jedoch den konjunkturellen Krisenkartellen zuzuwenden. Ihre Genehmigung sollte nur erteilt werden, wenn sie bei konjunkturellen Preisstößen in einer Art Fallschirmwirkung die heftigsten Stöße und Stürze auffangen, damit also gesamtwirtschaftlich erwünscht sind und Konsumenten wie Produzenten gemeinsam dienen.
Für diese Gruppe der Kartelle gilt jedoch nach unserer Auffassung der unumstößliche Grundsatz
der Kontrolle durch die Kartellbehörde, damit der Pfad des Gesamtwirtschaftlichen nicht verlassen wird. Man sollte es vermeiden, diese Kontrolltätigkeit mit der eines Wachmannes oder mit Polizeistaatmethoden gleichzusetzen. Der Staat hat nicht nur das Recht, sondern er hat auch die Pflicht, die Freiheit aller seiner Staatsbürger zu schützen. Der Vorwurf, der in dieser Beziehung der Polizeistaatlichkeit liegt, fällt auf jene zurück, die es als ihr Privileg ansehen wollen, dadurch größere Freiheit zu genießen, daß sie andere in Unfreiheit setzen. Für die über die Generalklausel in den Zustand der Genehmigung und der Aufsicht eingehenden Kartelle gilt das eben Gesagte natürlich in noch stärkerem Maß.
Die Genehmigung setzt Darlegungen der Verhältnisse und der Notwendigkeit voraus. Wenn um diese Genehmigung im Hinblick auf gesamtwirtschaftliches Interesse nachgesucht wird, ist eine Kontrolle durch die Gesamtwirtschaft eine logische Konsequenz und Selbstverständlichkeit.
Für alle Kartelle, d. h. sowohl für die nach Gesetz wie durch besondere Genehmigung zugelassenen Kartelle müssen bestimmte Grundsätze der Publizität angewandt werden. Erstens: Die Genehmigungen sind zeitlich zu befristen. Dem Gedanken einer automatischen Verlängerung der genehmigten Frist können wir uns nicht anschließen, da wir wünschen, daß die Antragsteller zu einer erneuten Begründung für die Ausnahmeregelung angehalten werden. Zweitens: Die in § 48 des Entwurfs bestimmte Veröffentlichungspflicht wünschen wir für alle als Ausnahme durch Gesetz und durch besondere Genehmigungen zulässigen Kartelle erweitert zum Grundsatz der Schriftlichkeit und Registrierung. Drittens: Die im Entwurf früher enthaltene Forderung des Grundsatzes der Verbindung der Erlaubniserteilung mit einer Erteilung von Auflagen muß wiederhergestellt werden, wobei sich eine entsprechende Ergänzung ides § 31 des Entwurfs als notwendig erweisen wird. Wir folgen hierbei dem Wortlaut der Regierungsbegründung, in der es heißt:
Die durch die Erlaubnis einem Kartell eingeräumte Marktmacht wird ständig überwacht. Es wird im einzelnen zu prüfen sein, in welcher Form diese Kartelle in ihrem Innenleben und in ihrem Außenleben einer solchen Aufsicht am besten und zweckmäßigsten unterstellt werden können.
Meine Damen und Herren, ich darf mich nun einem zweiten Kapitel zuwenden, das heute ziemlich vernachlässigt wurde, dem Kapitel der marktbeherrschenden Unternehmen. Der Entwurf der Regierung geht dabei von der richtigen Erkenntnis aus, daß ein grundsätzliches Kartellverbot zum verstärkten Ausweichen zum vertikalen Prinzip, zur stärkeren Konzentration und Marktmacht führen kann. Hierbei ist es völlig richtig, zu bedenken, daß ein Einzelunternehmen über eine Monopolstellung verfügen kann, sofern sein Marktanteil einen Umfang erreicht, daß ihm ein wesentlicher Wettbewerb nicht mehr gegenübersteht, daß zum andern aber auch Zusammenschlüsse von Unternehmungen zur Begründung einer marktbeherrschenden Stellung führen können. Für beide wählt der Entwurf die Bezeichnung „marktbeherrschendes Unternehmen", als dessen Kennzeichen in § 17 genannt werden: Größe des Marktanteils, wesentliche Rücksichtnahme auf Wettbewerber und fühlbare Beeinflussung des Marktes.


(Dr. Schöne)

Mit diesen Kriterien wird nach unserer Auffassung noch nicht auf einen wesentlichen Tatbestand abgehoben, nämlich auf das Kriterium der volkswirtschaftlichen Bedeutung. Es muß demnach hier noch 'Beachtung finden, daß das Unternehmen für die Gesamtwirtschaft von Bedeutung ist.
Die vom Bundesrat durch •Einfügung eines zweiten Absatzes in § 17 vorgeschlagene Ergänzung durch Einbeziehung des Oligopols hat in eimer abgeänderten Formulierung von der Bundesregierung Zustimmung gefunden. Die Einbeziehung des Oligopols in die Bestimmungen des § 17 erscheint uns richtig, wobei die Formulierung sicher noch einer genaueren Betrachtung bedarf. Wir werden hinsichtlich 'des Oligopols keine Formulierung akzeptieren, die eine echte Kontrolle unmöglich macht.
Ein Beispiel mag die Bedeutung eines Oligopols kurz beleuchten, aber gleichzeitig dartun, welche unmittelbare Gefahr für den Konsumenten aus einem Mißbrauch oligopolistischer Stellung erwachsen kann. Ich wähle hierbei als Beispiel die Glühlampenindustrie. Die deutsche Produktion von Gebrauchslampen wird im wesentlichen von drei Großfirmen betrieben. Das Verhältnis der Aufteilung der Produktion unter diese drei Finnen ist etwa 50 %, 25 % und 10 %, d. h. sie haben zusammen rund 85%. Der Rest von 15 % verteilt sich auf sechs Firmen; noch vor etwa zwei Jahren waren es zwanzig. Wie Notierungen von Besatzungsaufträgen zeigen, lassen die Großen auch hin und wieder den Kleinen etwas zukommen, d. h. man lebt zur Zeit „friedlich und verständnisinnig" nebeneinander, nun, so etwa wie Wolf und Lamm. Es bedarf keiner Kommentierung, daß in diesem Beispielsfall eine gewissenhafte Beaufsichtigung ) durch das Kartellamt angebracht ist. Daß zur Zeit kein Mißbrauch herrscht, ist kein Beweis dafür, daß die Gefahr eines solchen nicht besteht.
Der Entwurf sieht nun in § 17 Eingriffe der Kartellbehörde vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen ungerechtfertige Preise fordert oder anbietet, ungerechtfertigte Geschäftsbedingungen anwendet oder unzulässige Koppelungsgeschäfte tätigt. Eingriffe der Kartellbehörde sind also nur bei Mißbrauch vorgesehen. Dies wird von uns für richtig gehalten. Dabei müßte aber auch auf Preisunterbietungen abgestellt werden. Voraussetzung für ein Wirksamwerden der Kartellbehörde ist, daß. sie einen Einblick in das Geschäftsgebaren hat. Es ist auch notwendig, daß sie sich diesen Einblick gegebenenfalls erzwingen kann. Hier ist wiederum ein wesentlicher Punkt für die besondere Bedeutung der Kartellbehörde hinsichtlich ihrer Organisation, ihrer Funktionen und ihres Initiativrechts.
In ,diesem Zusammenhang gestatten Sie mir ein paar Worte aus der Sicht sozialdemokratischer Mittelschichtenpolitik. Insbesondere im Interesse eines fortschrittlichen Handwerks muß einer Herausbildung von marktbeherrschenden Unternehmen entgegengetreten werden. In den Paragraphen des Entwurfs ist noch keine Handhabe gegeben, um die Kleinen im Interesse der Erhaltung selbständigen Unternehmertums gegen marktbeherrschende Unternehmungen zu schützen. Man wird, wenn man eine solche Politik ehrlich will, die Paragraphen des Entwurfs noch um eine Bestimmung ergänzen müssen, die der Kartellbehörde die Möglichkeit zum Eingreifen an die Hand gibt, wenn mißbräuchlicher Einsatz von Kapitalmacht zwecks Schädigung der Konkurrenten vorliegt.
Der dritte Komplex wettbewerbsbehindernder Institutionen und Erscheinungen wird von dem Regierungsentwurf unter dem Begriff Individualverträge erfaßt. Sicherlich ist die Zahl der Individualverträge mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung außerordentlich groß, und ebenso erscheinen sie in vielfältiger Gestalt. Die Schlußfolgerung des Entwurfs, daß es weder möglich noch notwendig ist, solche Individualverträge mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung generell für unwirksam zu erklären oder von einer Erlaubnis abhängig zu machen, ist sicher richtig. In den §§ 10 bis 16 .greift der Entwurf jedoch eine bestimmte Gruppe solcher Verträge heraus. Erfaßt werden hier Vereinbarungen, die die freie Entschließung des Unternehmens über sein geschäftliches Handeln beeinträchtigen. Die Begründung der Regierung bezeichnet solche Verträge als eine Entartung der Vertragsfreiheit, die zu unterbinden ist.
Als besonderes Beispiel sei die Preisbindung der zweiten Hand erwähnt, die Auflage des Produzenten ,an den Händler, zu einem festen Preise die Ware zu verkaufen. Wir folgen hier durchaus dem grundsätzlichen Verbot des § 10 der Regierungsvorlage. Die §§ 11 und 15 bringen nur Ausnahmen von diesem Verbot, darunter eines der am heftigsten umstrittenen Probleme, nämlich die Preisbindung der zweiten Hand für Markenartikel. In der Begründung hierzu führt die Bundesregierung aus:
Markenartikel sind Waren des Massenkonsums. Die Verbindung der Marke mit einer Ware, die damit verbundene Notwendigkeit, dieser Marke durch gleichbleibende Qualität und durch längere Werbung Verkehrsgeltung zu schaffen, bringen eine besondere Situation hervor. ... Unbeständige Verkaufspreise rufen beim Konsumenten leicht die Vorstellung wach, daß auch die Güte der Ware schwanke.
Somit Wird — wenn ;ich es richtig sehe, aus Konsumenteninteressen — die vertikale Preisbindung bei Markenartikeln im Regierungsentwurf grundsätzlich hingenommen. Hierzu meint der Entwurf um so mehr berechtigt zu sein, als er in § 12 das Ventil schafft, um einem Mißbrauch auf diesem Gebiet 'entgegentreten zu können. Dieses Ventil besteht darin, daß die Preisbindung aufgehoben werden kann, wenn die einem bestimmten Markenartikel gewährten Handelsspannen durch die Marktverhältnisse nicht mehr gerechtfertigt erscheinen.

(Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

Diese ,Ausnahmebestimmung für Markenartikel berührt eines der wichtigsten Probleme. Es sei vorausgeschickt, daß nach unserer Auffassung ein echter Markenartikel durchaus den Interessen des Verbrauchers dienen kann, weil er es dem Verbraucher erleichtert, die verschiedenen Waren zu vergleichen und eine ihm zusagende Ware jederzeit und an verschiedenen Orten einzukaufen. Der Markenartikel ermöglicht es dem Hersteller, in unmittelbare Beziehung zum Verbraucher zu treten, sein Vertrauen zu erwerben und sich dadurch einen breiten Absatz und die Möglichkeit einer rationellen Mengenfertigung zu sichern.
Aber, meine Damen und Herren, was ist ein Markenartikel? Der Entwurf bemüht sich, eine Definition zu geben. Sie ist jedoch nicht so exakt anwendbar, daß mit ihr verhindert wenden könnte, daß immer mehr Waren zu Markenartikeln wer-


(Dr. Schöne)

0) den. Man kann mit ihr sicherlich nicht der Entwicklung steuern, die in den letzten Jahrein als reine Markenartikel-Inflation einsetzte, die Bindfäden ebenso zu Markenartikeln machte wie Kohle in der Tüte. Entscheidend für diese Tendenz war doch sicherlich nicht das Bestreben, auf dem Qualitätsgebiet eine besondere unternehmerische Leistung zu bewirken. Der Anreiz kam 'doch von der anderen Seite her, von der Preisseite. Wenn elektrische Hörgeräte für Schwerhörige einen Fabrikkostenpreis — d. h. Material-, Lohn- und Betriebsgemeinkosten — von 70 DM haben, dann muß man einen Verkaufspreis von 447 DM als zumindest reichlich übertrieben bezeichnen.

(Hört! Hört! bei der SPD und in der Mitte.)

Der gebundene Preis von 60 DM für einen Trokkenrasierapparat ist bei einem Fabrikabgabepreis an den Großhandel mit 16,80 DM eine unzumutbare .Belastung des Verbrauchers.

(Hört! Hört! bei der SPD und in der Mitte. — Zuruf von der Mitte: Das kann man wohl sagen!)

Es ist nun eine unbestreitbare und auch unbestrittene Tatsache, daß das Streben nach Markenartikelgeltung im letzten Jahr einen starken Umfang angenommen hat. Hierauf hat heute morgen der Kollege Illerhaus bereits hingewiesen. Es ist nicht uninteressant, daß hierbei unterschiedliche Motive mitgewirkt haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang ohne Kommentierung ein paar Sätze aus der „Neuen Württembergischen Zeitung" vom 16. März 1955 zitieren:
Anläßlich einer Besprechung mit der Kühlschrankindustrie erklärte deren Verbandsvorsitzender, daß die Fabrikanten dieses Industriezweigs die Einzelverkaufspreise an den Konsumenten wieder vorschreiben und damit die Preisbindung der zweiten Hand wieder einführen möchten, wenn sich die 'Gelegenheit dazu bietet. Ein anwesender Vertreter des Kühlschrankhandels fügte hinzu, daß auch seine Berufskollegen den gebundenen Einzelhandelspreis begrüßen würden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es müsse dabei nur bedacht werden, daß sich zwar die Anständigen unter diesen nach den Preisvorschriften richten würden, während erfahrungsgemäß die Unanständigen zu dem Versuch neigten, diese zu umgehen (lies: den Konsumenten billiger als vorgeschrieben zu beliefern).

(Hart! Hört! bei der SPD.)

Ganz eindeutig formuliert, bedeutet das, — ich zitiere immer noch --
daß derjenige ein unanständiger Händler ist, der durch billigeres Angebot als das der Konkurrenz für gleiche oder gleichwertige Waren sich um Vergrößerung seines Absatzes bemüht. Nicht der Dienst am Kunden in des Wortes letzter Bedeutung soll das Verhältnis zwischen Handel und Verbrauchern bestimmen, sondern die Bindung des Kunden, die mit vagen Begriffen wie „Service" usw. als etwas Besonderes hingestellt wird, obwohl sie lediglich die allererste Voraussetzung für den Geschäftsgang überhaupt ist.
Welchen Umfang dieses Streben nach Markenartikeln mit Preisbindung angenommen hat, mag die Tatsache zeigen, daß ein großes deutsches Kaufhaus vor etwa einem halben Jahr festgestellt hat, daß bei allen — bei allen! — außer einem einzigen Artikel seines wirklich umfangreichen Sortiments die Preisbindung zweiter Hand zumindest versucht worden war. Die erste Andeutung einer Rüstungswirtschaft rief die Produzenten von Luftschutz-und Brandschutzartikeln auf den Plan, sich ebenfalls als Markenartikler — versteht sich, mit gebundenen Preisen — zu deklarieren.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Vor wenigen Wochen konnte festgestellt werden, daß etwa 60 % des Wertes aller Verbrauchsgüter auf Markenartikel entfallen. Das krasseste Beispiel jedoch für die hier angesprochene Tendenz ist die Vereinbarung zwischen dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Bundeswirtschaftsministerium, die den Grundsatz der Preisbindung verallgemeinert, also nicht einmal wenigstens optisch den Versuch macht, eine Begrenzung auf Markenartikel anzusteuern.

(Hart! Hart! bei der SPD.)

Gerade dieser letzte Tatbestand macht es meines Erachtens deutlich, daß es sehr schwer sein wird, eine Abgrenzung nur für echte Markenartikel zu finden, — nicht so sehr aus der Sache oder der Schwierigkeit des Formulierens heraus, vielmehr, weil man es nicht will.

(Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

Man hat die Preisbindung zweiter Hand für Markenartikel kurz Markenartikel-Kartell genannt. Wir sind zunächst noch nicht der Überzeugung, daß eine solche Terminologie richtig ist. Den Darlegungen von Lutz „Warum feste Preise für Markenartikel" entnahm ich die Vertriebskostensätze des Kölner Instituts für Handelsforschung; sie betrugen für Drogerien z. B. 27,6 %, eine Zahl die man respektieren könnte. Aus Angaben einer Drogerie selbst aber entstammen folgende Zahlen, erstens: 85% aller ihrer Waren sind Markenartikel; zweitens: die Handelsaufschläge einschließlich Rabatt und Skonti betragen bei einer bekannten Seifenmarke 70 %, bei bekannten Zahnpasten 74 bis 91%, bei Fruchtwürfeln 89% und bei Rasierklingen 91 %.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich darf hinzufügen, daß es sich bei diesem Sortiment einer Drogerie grundsätzlich um Artikel des unmittelbaren breiten Konsums handelt. Wenn man ein ganz klein wenig Rücksicht auf den Verbraucher nimmt, wird man sich daran erinnern müssen, daß die Wirtschaft letzten Endes dem Konsum dient; und dann wird man es verstehen, daß es uns ein echtes Anliegen sein wird, gerade diese Frage zu klären und hier Mißstände zu beseitigen.
Daher werden wir uns einmal darum bemühen, eine Abgrenzung wirklicher Markenartikel zu finden. Gelingt dies, dann würden wir bereit sein, für diesen Fall einer Preisbindung als Höchstpreisbegrenzung zuzustimmen. Das heißt, daß anerkannte Markenartikel zu jedem, jedoch höchstens zu dem gebundenen Preis verkauft werden können. Je mehr sich die Schwierigkeiten einer solchen Abgrenzung mehren, je unmöglicher dieses Vorhaben erscheint, um so stärkere Bemühungen haben unseres Erachtens einzusetzen, um die Herausarbeitung eines verbesserten Gesetzes gegen unlauteren


(Dr. Schöne)

Wettbewerb. In gleicher Richtung müssen im Interesse des Handels Überlegungen angestellt werden, ob nicht auch durch steuerliche Maßnahmen für Handel und Konsumenten dasjenige besser und gleichzeitig wirkungsvoller erreicht werden kann, was die Preisbindung zweiter Hand nicht gestattet. Der Mißbrauch, der gerade auf dem Gebiet der Preisbindung zweiter Hand getrieben wird, veranlaßt uns, dieser Frage bei dier Beratung unsere ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Bestimmungen des Regierungsentwurfs über die Kartellbehörde sind verhältnismäßig dürftig. Dies braucht nicht unbedingt ein Mangel zu sein, besonders dann nicht, wenn man in unserem Sinne anerkennt, daß diese Stelle ein umfangreiches Initiativrecht, eine Wendigkeit der Organisation und eine ausreichende Fächerung der Funktionen haben sowie einer wirkungsvollen Kontrolle durch das Parlament unterworfen sein muß. Als wesentliche Punkte solcher Funktionen aus unserer Sicht darf ich, ohne vollständig sein zu wollen, nennen:
1. Die Kartellbehörde muß ein Initiativrecht zur Prüfung von Unternehmungen erhalten, bei denen ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die Bestimmungen des Gesetzes verstoßen.
2. Die Kartellbehörde muß ein Initiativrecht zur Prüfung ganzer Wirtschaftsbereiche haben, um festzustellen, ob Tatbestände vorliegen, die ein Einschreiten auf Grund des Gesetzes rechtfertigen. Häufig ergibt sich aus der Kenntnis der Zusammenhänge in einem größeren Bereich erst die Tatsache des Vorliegens kartellmäßigen Verhaltens.
3. Die Kontrollmaßnahmen müssen wirksam und geeignet sein, einen Machtmißbrauch zu verhindern. Dabei sollte man versuchen, möglichst viel selbsttätige Kontrollelemente einzuschalten, um die Notwendigkeit einer ständigen bürokratisch wahrzunehmenden Kontrolltätigkeit weitmöglichst einzuschränken. In diesem Zusammenhang möchte ich nur erwähnt haben, daß die seit Jahren im Gespräch befindliche Aktienrechtsform hier sehr gute Dienste leisten könnte, wenn sie die so oft vorgetragene Forderung nach größerer Publizität erfüllt.
4. Dem Parlament oder einem seiner Ausschüsse sollte neben dem Bundeswirtschaftsministerium das Recht gegeben werden, die Durchführung einer Prüfung zu verlangen. Zumindest sollte eine periodische Berichterstattung an das Parlament bzw. an einen seiner Ausschüsse vorgeschrieben werden, die wesentlich weiter geht als die Verpflichtung des jetzigen Entwurfs, einen jährlichen Bericht zu veröffentlichen. Soweit zu dem Entwurf, den die Regierung einmal vorgelegt hatte.
Gestatten Sie mir jetzt noch ein paar kurze Bemerkungen zu den sonst noch vorgelegten Entwürfen. Der von dem Kollegen Höcherl und Genossen vorgelegte Entwurf ist in doppelter Beziehung außerordentlich gelobt worden, im wesentlichen auch von ihm selbst. Es ist gesagt worden, einmal sei er sehr kurz und zum anderen wahre er die Interessen der praktischen Wirtschaft. Nun, der Herr Kollege Höcherl hat bei seiner Einbringung auf diesen beachtenswerten Tatbestand der Kürze deutlich hingewiesen und hat dabei den Kollegen Dresbach zitiert, der wohl mal Komplikateure als eine gefährliche Rasse bezeichnet hat. Man kann Herrn Höcherl darin folgen. Nur fürchte ich, wenn wir dem Gedanken von Herrn Höcherl zu sehr folgen, sind wir bald in der Versuchung, auch Simplifikateure als eine gefährliche Rasse zu bezeichnen. Das zu dem Grundsatz der Kürze! Außerdem erlaubte ich mir bereits den Zwischenruf, daß der Entwurf des Kollegen Höcherl immerhin noch drei Paragraphen länger sei als der Entwurf des Kollegen Böhm. Also das ist kein Argument.
Meines Erachtens sind in dem Entwurf gut die Bestimmungen über Schriftlichkeit, Registerführung und Publizität. Wir würden uns freuen, wenn diese Grundsätze auch in dem Fall vertreten werden, daß die Ausschußberatung eine andere Grundkonzeption des Gesetzes ergibt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Der Hauptpunkt unserer Kritik richtet sich gegen § 3, der den Grundsatz ausspricht, daß Preiskartelle wirksam sind, und gegen § 4, der der Kartellbehörde aufgibt, Mißbräuche abzustellen, wenn schädliche Wirkungen zu befürchten sind. Bei dieser Befürchtung gibt es noch eine drollige kleine Nuancierung. Die schädliche Wirkung besteht nach dem Entwurf bei Erzeugung oder Handel grundsätzlich, bei dem Verbraucher jedoch nur hinsichtlich einer angemessenen Versorgung.
Um das Preiskartell in seiner wirtschaftlichen Bedeutung gerade in diesem Zusammenhang zu verdeutlichen, gebe ich Ihnen jetzt zwei Beispiele aus der Bauwirtschaft. Ich zitiere den ersten Fall aus der von mir so geschätzten Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Frankfurter Raum bestand ein Ring von 34 Baufirmen, der nach folgendem Prinzip arbeitete — ich beginne mit dem Zitat —:
Die zu einer Angebotsabgabe aufgeforderten Firmen kommen mit den anderen Firmen der gleichen Ausschreibung zu Besprechungen zusammen, um ihre Kalkulationsunterlagen offenzulegen, um etwaige Korrekturen auszumachen und um zu vereinbaren, welche von ihnen durch die günstigste Stellung des Angebots den wahrscheinlichen Zuschlag erhält. Bei fortlaufend beabsichtigten Preisabsprachen wird für eine Regelung gesorgt, die jeden im Turnus zum Zuge kommen läßt.
Ein anderes Beispiel, ebenfalls aus dem hessischen Raum. Im Gebiet einer Mittelstadt befinden sich drei Fliesenfachgeschäfte. — Hören Sie gut zu, Herr Höcherl. Das gibt es woanders auch, das gebe ich zu. — Es erfolgt eine Ausschreibung. Die Angebote dieser drei Firmen differieren bei einer Gesamtsumme des Objekts von 11 880 DM um ganze 2,23 DM.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Durch einen dummen Zufall erhält ein Fliesenfachgeschäft einer benachbarten Großstadt ein Angebotsformular. Es reicht seinen Vorschlag mit 10 980 DM, d. h. mit fast 1000 DM Differenz ein. Warum habe ich Ihnen diese Beispiele gebracht? In beiden Fällen ist im Ablauf der Produktion kein Schaden eingetreten, und in beiden Fällen ist eine angemessene Versorgung des Verbrauchers erfolgt. Wenn ich also richtig sehe, würde diese Art Kartell nach der Vorlage Höcherl rechtswirksam sein. Deswegen habe ich sie zitiert.
Man wendet nun gern ein, daß kurzfristige Preiskartelle keinen wesentlichen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten könnten. Eine wesentliche Preiserhöhung sei schon deshalb unwahrscheinlich, weil bei einer überhöhten Preisfestsetzung jeder Beteiligte nach Ablauf des Kartelljahres mit der Ab-


(Dr. Schöne)

lehnung seines Verlängerungsantrages mit einem dann um so stärkeren Preisrückschlag rechnen müsse. Aber liegt denn die Problematik nicht tiefer? Wenn ein Kartell einen durch den Wettbewerb gebildeten Marktpreis erst einmal beseitigt und durch einen von ihm festgesetzten Preis ersetzt hat, dann besteht für die beste Kartellbehörde gar nicht mehr die Möglichkeit, festzustellen, inwieweit der Kartellpreis als Ergebnis eines Kartellmißbrauchs anzusehen ist. Dem Staat wird mit dieser Propagierung des Mißbrauchs eine in sich sinnlose Aufgabe zugewiesen. Es drängt sich hier die Vermutung auf: vielleicht will man das überhaupt. Der Entwurf geht nach unserer Einstellung vom verkehrten Prinzip aus und löst mit der Möglichkeit des Kartellierens nach freiem Ermessen keines der anstehenden Probleme.
Zum Entwurf von Professor Böhm möchte ich folgendes sagen. Die Bestimmung, daß nichtig nicht nur Verträge sein sollen, sondern auch ein entsprechendes Verhalten, scheint mir die modernste Kartellform anzupacken, nämlich die Nichtdiskriminierungsabreden und -mitteilungen. Bei den Maßnahmen, die der Entwurf der Kartellbehörde in solchen Fällen zuweist, fällt mir auf, daß sich die Behörde auf ein Untersagen gemäß § 11 beschränken muß. Dieser Mangel an Gestaltungsbefugnis, also an positiven Eingriffsmöglichkeiten der Kartellbehörde, tritt meines Erachtens am empfindlichsten bei marktbeherrschenden Unternehmen hervor. Gerade hier wäre eine Zuweisung des Gestaltungsrechtes an die Kartellbehörde unerläßlich. Nach unserer Konzeption genügt es eben nicht, Hindernisse des Wettbewerbs zu untersagen oder wirkungslos zu machen. Es muß das aktive Moment des Gestaltens hinzutreten.
Ich möchte noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Der Böhmsche Entwurf kennt keine Abtrennung von sogenannten Ausnahmegebieten. Ich habe eingangs dargelegt, daß diese Ausnahmegebiete für uns Bereiche manipulierten Wettbewerbs sind. Aus der Anlage des Böhmschen Entwurfs entnehme ich, daß es solche Bereiche nach seiner Auffassung nicht gibt, daß diese Bereiche, die gesamtwirtschaftlich orientiert sein sollen, dem Wettbewerb auf Zeit verschlossen sind. Mag sein, daß der Entwurf an dieser Stelle noch nicht völlig ausgefeilt ist; mag sein, daß eine grundlegend unterschiedliche Auffassung uns in diesem Punkte trennt. Insgesamt gesehen wird der Böhmsche Entwurf, der uns in Konzeption und Anlage gut anspricht, erst in intensiver Ausschußarbeit voll erkannt und gewertet werden können.
Ich möchte hier nur noch hinzufügen, daß ich kürzlich in einer Zeitung gelesen habe, ein Kenner der Materie habe vom Böhmschen Entwurf gesagt, daß er eine romanhafte Zusammenstellung kapitalistischer Sünden sei.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Nun, ich glaube das nicht. Wenn Professor Böhm das gewollt hätte, hätte er sich wahrscheinlich nicht auf 31 Paragraphen beschränkt.

(Erneute Heiterkeit.)

Dann ein paar Bemerkungen zu den zwischen dem BDI und Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums getroffenen Absprachen. Diese sind kein Gegenstand der Verhandlung; aber es sitzen ja Beauftragte hier, um in den Ausschußberatungen diese Punkte gleichsam als eigene Vorschläge vorzubringen. Gestatten Sie mir deshalb auch hierzu ein paar Worte, gleichsam um ebenfalls die Grenzen abzustecken, so sagte man ja wohl seinerzeit. Über die Absprachen hinsichtlich der Kartelle läßt sich doch schlicht und einfach der Satz schreiben: Von einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist keine Rede mehr. Das Krisenkartell wird auch auf das strukturelle Krisenkartell ausgedehnt. Nur damit zwischen konjunkturellen und strukturellen ,Krisenkartellen noch unterschieden werden kann, ist nach den hier vertretenen freiheitlichen und sozial-marktwirtschaftlichen Vorstellungen das konjunkturelle Krisenkartell automatisch zu genehmigen, während das strukturelle Krisenkartell wenigstens noch eines Antrages bedarf. In Vokabeln, die einem Unternehmer verständlich sind, würde man die Bedeutung dieser Absprache wohl dahin zusammenfassen können: Abwälzung der unternehmerischen Risiken auf „Unbekannt".
Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang aus einem Jahresbericht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie — 1953/54, Seite 14 — zitieren: „Die deutsche Industrie bejaht das Wettbewerbsprinzip in seiner vernünftigen Anwendung als tragenden Pfeiler der Marktwirtschaft." Nun, ein weiterer Pfeiler dieses freiheitlichen Wettbewerbs ist bei dieser Absprache das Funktionsrabattkartell. Jeder Fabrikant pflegt den Abnehmern größerer Mengen einen Nachlaß auf seine normalen Preise zu gewähren. Von jeher nun haben sich die Verbände Mühe gemacht, Einfluß darauf zu nehmen. Nach den Änderungsvorschlägen des Arbeitskreises sollen horizontale Abreden über Rabatte zulässig sein, soweit diese der wirtschaftlichen Funktion des Rabattnehmers entsprechen und die Rabattgewährung nicht zu einer ungerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung von Wirtschaftsstufen führt. Einer vorherigen Erlaubnis bedarf es in diesem Falle nach den Änderungsvorschlägen selbstverständlich nicht. Was damit gewollt ist, ist klar. Die Verbände erhalten die Gelegenheit, die Absatzwege und über sie die Vertriebsformen im weitesten Umfang durch Einsatz von Kollektivmacht zu beeinflussen. Außerdem sind damit auf Umwegen die nicht zugelassenen Absprachen über Mengenrabatte wieder eingeführt. Wenn man dann endlich in Rechnung stellt, daß diese Regelung keine Begrenzung auf Markenartikel kennt, dann sieht man klar und deutlich vor sich eine vollständige Zementierung des gesamten Preisgefüges zum einseitigen Vorteil der kartellierungsfähigen Industrie.
Die Bestimmungen über das marktbeherrschende Unternehmen sollen dadurch völlig ausgehöhlt werden, daß einmal der § 18 der Regierungsvorlage gestrichen wird und daß man zum anderen aber als „marktbeherrschend" nur zwei oder mehrere Unternehmen ansehen will, die zusammenwirkend im gleichförmigen Verhalten den Markt wesentlich beeinflussen. Diese Formulierung ist interessant. Wenn das Wirklichkeit wird, bleiben an dem Feigenbaum des marktbeherrschenden Unternehmens nur noch zwei dürftige Blätter, erstens der Fall des reinen Monopols, und den gibt's in Deutschland kaum; zweitens Oligopole, bei denen die Verbandssyndizi von sich aus zugeben, daß sie synchronisiert sind und gleichförmig handeln, und solche schlechten Syndizi gibt's selbst in Deutschland nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)



(Dr. Schöne)

A) Erfreulich an diesem Beratungsergebnis scheint mir etwas anderes zu sein, nämlich daß sich unverzüglich nach Bekanntwerden dieser vereinbarten Leitsätze namhafte Industrielle des Bundesverbandes der Deutschen Industrie auf dem Petersberg trafen und in einer deutlichen Erklärung von diesem Produkt abrückten. Erfreulich ist, daß man gelegentlich in Tageszeitungen auch Stimmen wie die folgende liest — ich darf wieder die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitieren, und zwar vom 8. Januar 1955 —:
Nachdem der Bundesverband der Deutschen Industrie in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht hat, daß nahezu die gesamte Industrie in der Kartellfrage hinter ihm stehe, sehen wir uns veranlaßt, ausdrücklich zu betonen, daß wir Kartellgegner sind.
Ich zitiere aus einem Hauptversammlungsbericht einer großen Aktiengesellschaft. Diese grundsätzlichen Bemerkungen zu dem Entwurf der Regierung bzw. zu den anderen Entwürfen!
In der Frage der Regelung des Wettbewerbs wurde viel Zeit versäumt. Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, daß es nunmehr allerhöchste Zeit ist, ein Kartellgesetz zu verabschieden. Als ein solches Anzeichen nenne ich die Tatsache, daß ein Blick in die praktische Wirtschaft die Meinung aufkommen lassen muß, daß in den letzten Jahren die Durchkartellierung der deutschen Wirtschaft fast zur Vollendung gekommen ist. Dies ist geschehen, obwohl der Bundeswirtschaftsminister immer und immer wieder gesagt hat, daß nunmehr das Kartellgesetz komme, daß es nunmehr ernst werde, daß es nunmehr zum Schwur komme. Mir will scheinen, daß die bekannte Methode des Bundeswirtschaftsministers, mit psychologischen Effekten
à la Coué zu arbeiten,

(Heiterkeit)

in diesem Fall genau die gegenteilige Wirkung von dem erreicht hat, was er eigentlich erreichen wollte. Wenn ich in seiner modernsten Sprache sprechen darf, dann war das Kartellgesetz so eine Art fleet in being. Aber diese Flotte war bereits torpediert, bevor sie von Stapel lief. Gleichsam im Schutze der Diskussionen um das Kartellgesetz haben sich Absprachen und Nichtdiskriminierungsabreden und dergleichen mit Zähigkeit und Stetigkeit entwickelt, und man wird zu tun haben, um diese Tatsachen zu beseitigen.
Ein weiteres Anzeichen für die Dringlichkeit des Anliegens! Beim Umhören im praktischen Wirtschaftsleben hört man oft den sicher manchmal nicht unbegründeten Verdacht, daß der durch die Handwerksordnung verstärkte Einfluß der Innungen, falsch verstanden, dazu ausgenutzt wird, preisliche Vorteile einheitlich durchzusetzen. Es fällt auf, daß führende Firmen Preiserhöhungen zu dem gleichen Termin und in demselben Ausmaß vornehmen. In einzelnen Industriezweigen ist es Brauch geworden, fast schlagartig einheitliche Lieferungs- und Zahlungsbedingungen anzuwenden. Bei all diesen Dingen handelt es sich doch um Tatsachen, die weder als Dienst am Konsumenten angesprochen noch als besondere unternehmerische Leistungen anerkannt werden können.
Ein weiteres Anzeichen dafür, daß wir mit der Bearbeitung eines Kartellgesetzes in Eile zu sein haben, leite ich aus der Tatsache her, daß verschiedene Preisschutzbestimmungen ins Wanken geraten sind. Ich darf daran erinnern, daß der § 19 des Wirtschaftsstrafgesetzes ersatzlos weggefallen
ist, der eine starke psychologische Bremse darstellte. Es ist bekannt, daß man gegen die noch bestehende Preisauszeichnungsverordnung ebenso Sturm läuft wie gegen die Verordnung über Auskunftspflicht. Ich sage dies alles nur, um von dieser Stelle aus deutlich zu machen, daß eine gewisse Eile mit der Bearbeitung dieses Gesetzes geboten ist.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen letzten Gedanken! Der Bundestag ist ein politisches Parlament. Politische Meinungen werden nicht aus einer Wirtschaftssparte oder aus einem Wirtschaftszweig heraus geboren, genau so wenig wie ein Wirtschaftszweig oder eine Wirtschaftssparte in den Bundestag Abgeordnete entsendet. Politische Meinungen — und das ist gut so — werden unterschiedlich sein. Nur aus dem Politischen heraus können solche Ordnungsgesetze erster Art wie der vorliegende Entwurf beurteilt, gewertet und mit einem Votum versehen werden. Man sollte bei den Ausschußberatungen wie auch bei den endgültigen Beratungen im Plenum darauf bedacht sein, politische Meinungen und Ansicht einer Wirtschaftssparte genau voneinander zu trennen. Die politische Meinung gehört in dieses Haus, die Ansicht einer Wirtschaftssparte gehört an den Tisch einer Verbandskonferenz.
Der Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — federführend — stimmen wir zu. Wir versehen die Überweisung mit einer doppelten Bitte: erstens, die Beratungen des Entwurfs mögen in sachlicher Form unter politischem Aspekt geführt werden, damit ein Ordnungsgesetz von der Bedeutung des Kartellgesetzes in seiner dritten Lesung vom Politischen her mit einem klaren Votum versehen werden kann. Zweitens, die Beratungen mögen nicht nur beschleunigt in Angriff genommen werden, sondern sie mögen auch beschleunigt zu einem Ergebnis führen. Das sind wir uns nach den Ereignissen, die sich bislang um diesen Gesetzentwurf abgespielt haben, schuldig.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207705800
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz (Brühl).

Aloys Lenz (CDU):
Rede ID: ID0207705900
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwischen den beiden Heerlagern der Kartellgegner und der Kartellbefürworter steht der Verbraucher, dem es höchst gleichgültig ist, wie und wann ein Kartell zu seiner dunklen Existenz auch noch den Segen des Staates bekommt. Der Verbraucher hat nur ein Interesse: möglichst billig und möglichst preiswert auf dem Markt zu kaufen und nicht zu erleben, daß ihm diese Möglichkeit durch Absprachen, Kartelle und Konditionen vorenthalten wird.
Geht man von diesem Standpunkt aus, so verdient die Regierungsvorlage zweifellos den Vorzug vor den anderen Vorlagen, die dem Hause zugegangen sind. Wir haben mit Genugtuung die klare Haltung des Wirtschaftsministers bei der Begründung seines Entwurfs in der letzten Bundestagssitzung zur Kenntnis genommen. Wir haben sie mit Freude vermerkt und dürfen versichern, daß wir rückhaltlos hinter seiner Auffassung stehen. Wir sind bereit, jede Maßnahme zu fördern, die dem Unwesen der Preisabsprachen, der vertikalen Preisbindungen, der Alleinherrschaft einzelner auf dem Markt Einhalt gebieten kann


(Lenz [Brühl])

Wir scheuen uns dabei nicht, ein wachsames Auge auch für die Preisdiktate bestimmter Stellen der öffentlichen Hand zu haben. Wir brauchen dann nicht sehnsüchtig auf das Energiewirtschaftsgesetz zu warten, wenn es bereits hier gelingt, das Monopol der öffentlichen Hand bei sehr vielen ihrer Leistungen im Kartellgesetz zu brechen und Sicherungen einzubauen.
Auch die Preisbindungen der zweiten Hand werden wir uns sehr genau ansehen müssen. Wir haben den Eindruck, daß sich hinter dem Mantel der sogenannten gleichbleibenden Qualität und der angeblich besten Marktversorgung sehr viel an Verdienstgarantien verbirgt, die wirtschaftspolitisch nicht zu vertreten sind.
Weil es uns um den Verbraucher zu tun ist, halten wir ein Verbotsgesetz für wirksamer als ein nur auf Mißbrauch abgestelltes Gesetz, das ein Instrument ist, welches nicht funktioniert, wenn es zur Anwendung kommen soll. Unser Anliegen ist ein sozialpolitisches. Wir möchten, daß die breiten Schichten der Bevölkerung, der kleinen Einkommensbezieher, nachdem sie unter vielen Opfern den Weg einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung mitgegangen sind, nun auch als Herr auf dem Markte erscheinen können und nicht über Kartelle und kartellähnliche Absprachen aus dieser Stellung verdrängt werden. Von dieser Grundeinstellung aus haben wir alle Fragen, die mit dem Kartellgesetz zusammenhängen, beurteilt. Wir werden diese Haltung mit allem Nachdruck auch im Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Geltung bringen. Wir wollen keinen Schutz der Kartelle, sondern den Schutz der Verbraucher. Deshalb soll der Wirtschaftsminister mit dem Kartellgesetz von uns Axt und Säge erhalten, damit er das Kartellgestrüpp im Unterholz des deutschen Wirtschaftswaldes gehörig auslichten kann.

(Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706000
Das Wort hat der Abgeordnete Samwer.

Adolf Franz Samwer (CDU):
Rede ID: ID0207706100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich nicht vor, heute nachmittag noch einmal zu sprechen. Aber der Herr Kollege Professor Böhm hat versucht, mich zu zitieren. Er meinte so dem Sinn nach, ich wäre in dieser wichtigen Frage gegen die Theorie. Ich habe versucht, durch einen Zwischenruf die Sache zu klären. Es ist mir aber leider nicht geglückt. Ich habe heute vormittag — das wird das Protokoll ergeben — lediglich darauf hingewiesen, daß .diese nüchterne wirtschaftliche Angelegenheit allzu reichlich mit Theorien verbrämt würde. Vielleicht kann ich meine Ansicht an Hand der kleinen Anekdote über Kuno Fischer, den berühmten Philosophen, weiland Professor und Exzellenz in Heidelberg, dartun. Er hatte Besuch, und der Besucher nannte ihn allzuoft mit seinem Titel ,,Exzellenz". Da sagte Kuno Fischer, indem er dem Besucher auf die Schulter klopfte: „Lieber Freund, ab und zu, nicht zu oft". Das ist es, was ich meinte: Theorie ja, aber bitte in diesen sehr stark wirtschaftlichen Fragen nicht allzu reichlich; und im übrigen möchte ich noch hinzusetzen: die Theorien vielleicht auch nicht dem Problem gewaltsam anziehen. Aus diesem Grunde hatte ich mir erlaubt, heute früh wenige kritische Bemerkungen zu machen, die gerade im Zusammenhang mit meiner letzten Erklärung stehen.
Nun hat Herr Professor B ö h m eine Kardinalfrage gestellt und behauptet, er habe darauf von den Praktikern bisher nie eine Antwort bekommen. Er hat nämlich die Frage gestellt, wie man — wenn auch ein Kartell in sich berechtigt sei — die Folgen, die an anderer Stelle entstehen könnten, verantworten wolle. Ich meine, daß wir im Wirtschaftspolitischen Ausschuß auch diese Frage sehr ernsthaft erörtern müssen, und ich zweifle gar nicht, daß es eine Antwort darauf gibt. Ich möchte aber, um diese Besprechung im Wirtschaftspolitischen Ausschuß vorzubereiten, Herrn Professor Böhm eine Gegenfrage mit auf den Weg geben: Halten Sie volkswirtschaftlich voll oder überwiegend gerechtfertigte Kartellabreden wegen an anderer Stelle auftretender Folgen für tragbar oder nicht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 3 a bis c der heutigen Tagesordnung.

(Abg. Dr. Köhler: Zur Geschäftsordnung!)

— Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Köhler.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0207706300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schöne hat bereits die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß als federführenden Ausschuß beantragt. Ich möchte mich im Namen meiner politischen Freunde diesem Antrag anschließen, darüber hinaus aber aus sehr naheliegenden Gründen beantragen, daß der Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß und weiterhin im Hinblick auf die Frage der Außenhandelskartelle — aber nur für dieses Sachgebiet — an den Außenhandelsausschuß sowie, mit Rücksicht auf die agrarpolitischen Fragen, die damit verbunden sind, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kommt. Es ist natürlich unangenehm, daß es vier Ausschüsse sind. Aber wenn die betreffenden Ausschüsse sich lediglich mit der Spezialmaterie des Gesetzes befassen, die sie unmittelbar angeht, wird dadurch keine unnötige Verzögerung eintreten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706400
Meine Damen und Herren, es werden leider noch einige Ausschüsse mehr. Denn interfraktionell ist vereinbart, daß die Entwürfe auch noch an andere Ausschüsse gehen sollen. Ich darf vorlesen: Federführend Ausschuß für Wirtschaftspolitik, mitberatend Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ausschuß für Außenhandelsfragen, Ausschuß für Verkehrswesen, Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Ausschuß für Geld und Kredit und Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ist das Haus damit einverstanden, daß so verfahren wird? — Bitte, Herr Abgeordneter Schöne!

Dr. Joachim Schöne (SPD):
Rede ID: ID0207706500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten mit dem Vorschlag einverstanden sein, jedoch mit der Einschränkung, die Herr Kollege Köhler gemacht hat, daß die mitberatenden Ausschüsse — ich nehme den Rechtsausschuß aus — sich in ihrer Beratung lediglich auf die Punkte beschränken, die ihr engeres Ressort angehen. Mit dieser Einschränkung würde ich einverstanden sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706600
Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorschlag auf Einschränkung der Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse gehört. Gerade für den Rechtsausschuß, Herr Kollege Dr. Schöne, wäre die Bemerkung nicht notwendig gewesen; denn der Rechtsausschuß, dem ich schon immer angehöre, hat sich seit jeher in, ich möchte sagen, vorbildlicher Weise an seine Aufgabe gehalten, dann, wenn er nicht federführend war, nur die rechtspolitischen Probleme der ihm überwiesenen Gesetze zu betrachten.
Ist das Haus mit dieser Art der Überweisung einverstanden?

(Zustimmung.)

— Dann ist so beschlossen.
Punkt 4 der heutigen Tagesordnung ist im allgemeinen Einvernehmen abgesetzt.
Ich rufe Punkt 5 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Platner, Dr. Leiske und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1083);
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1233).
Ich schlage dem Hause vor, so zu verfahren, daß zunächst die beiden Begründungen gegeben werden und wir dann die Debatte über die Entwürfe unter a und b zusammenziehen. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Zur Begründung des Entwurfs Drucksache 1083 erteile ich dem Abgeordneten Platner das Wort.
Platner (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Rechtsebene unserer Zeit der Gleichheit und Freiheit nimmt sich das gegenwärtig in der Bundesrepublik noch geltende Apothekenrecht gleichsam wie ein Schutzgebiet historisch überholter, antiquierter Rechtsfiguren aus. Wir haben da Realrechte und Privilegien und Realkonzessionen, die veräußerlich und vererblich sind, und wir haben ferner — um es kurz zu machen — Personalkonzessionen, die nun auf der anderen Seite unveräußerlich und unvererblich sind. Man hat angesichts dieses fundamentalen Unterschiedes bisher von dem gemischten System gesprochen.
Im Jahre 1949 proklamierte die amerikanische Militärregierung im Bereich der amerikanischen Zone die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit. Als deren Folge trat in Teilgebieten der amerikanischen Zone nahezu eine Verdoppelung der Zahl der Apotheken ein. Es war also zu vermuten, daß durch eine weitere Vermehrung der Zahl der Apotheken eine Gefährdung der Existenz des einzelnen Apothekers entstehen könne und damit mittelbar eine generelle Gefährdung der gesicherten Arzneiversorgung der Bevölkerung.
Als Abwehraktion kam im Jahre 1950 aus dem Bereich der deutschen Apothekerschaft der Frankfurter Entwurf eines bundeseinheitlichen Apothekengesetzes. In einer Urabstimmung der deutschen Apothekerschaft über diesen Gesetzentwurf stimmten 92 % der an der Abstimmung teilnehmenden Apotheker dem Gesetzentwurf zu.
In der Folge — im Juli 1951 — wurde er dann durch die CDU-Fraktion im 1. Bundestag eingebracht, blieb dann aber im 1. Bundestag in der Beratung stecken. Als Riegel gegen eine drohende
weitere Vermehrung der Apotheken wurde dann ebenfalls auf Initiative des 1. Bundestages im Januar 1953 das sogenannte Apothekenstoppgesetz eingebracht, zunächst mit einer Geltungsdauer von sechs Monaten. Da auch innerhalb dieser sechs Monate gemäß dem Frankfurter Entwurf kein einheitliches Bundesapothekengesetz zustande kam, wurde durch zwei Verlängerungsgesetze die Geltungsdauer dieses sogenannten Apothekenstoppgesetzes bis zum Ende des Jahres 1955 verlängert.
Das Land Bayern, ebenfalls zur amerikanischen Zone gehörend, schuf seinerseits im Sommer 1952 ein eigenes Landesapothekengesetz. In Anbetracht des auf der Bundesebene ergangenen Apothekenstoppgesetzes erhob die bayerische Landesregierung im Februar 1953 im Normenkontrollverfahren bei dem Bundesverfassungsgericht Feststellungsklage; sie begehrte Feststellung dahin, daß das Apothekenstoppgesetz mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Zur Begründung führte die bayerische Landesregierung aus, es sei keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben. Hiermit wird die bayerische Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht voraussichtlich insofern Erfolg haben, als die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes unter dort normierten Voraussetzungen sogenannte Bedarfskompetenz ist. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 sind aber bei diesem Apothekenstoppgesetz nicht gegeben.
Diese, insgesamt gesehen, sehr ungewisse Situation zwingt uns also auf Bundesebene zur schnellen Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung des Apothekenrechts. Dabei möchte ich grundlegend vorausschicken: Es besteht in beiden Lagern, sowohl in dem Lager der Abgeordneten, die hinter dem Regierungsentwurf stehen, als auch bei den Abgeordneten, die hinter unserem Entwurf stehen, allseitiges Einverständnis darüber, daß der beherrschende gesundheitspolitische Gesichtspunkt der Sicherung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung eine Beschränkung der Zahl der Apotheken fordert.

(Abg. Dr. Hammer: § 3 b Ihres Gesetzentwurfs!)

Wir werden also vom Grundsatz einer beschränkten oder, wie man es auch genannt hat, gelenkten Niederlassungsfreiheit auszugehen haben. Das bedeutet mit anderen Worten, daß die Neuerrichtung von Apotheken nur mit behördlicher Erlaubnis vor sich gehen kann.
Die konkrete Ausgestaltung dieses Grundsatzes unter Schaffung einer allen Apotheken gemeinsamen Betriebsform muß aber gemäß der zwingenden Bindung des Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes entsprechend der Grundrechtsordnung unserer Verfassung vor sich gehen. Es handelt sich demnach bei der Ausgestaltung dieses Grundsatzes im Rahmen eines Gesetzes fast ausschließlich um Rechtsfragen. Das Anliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit unter Schaffung einer für alle Apotheken geltenden Betriebsform ist aber unseres Erachtens rechtlich auf dem Wege der sogenannten Personalkonzession nicht realisierbar, denn bei der Personalkonzession fällt beim Tode des Konzessionsträgers die Konzession an den Staat zurück. Sie ist also, mit anderen Worten, unveräußerlich und unvererblich. Die Realrechte, Privilegien und Realkonzessionen dagegen sind veräußerlich und vererblich. Wollte


(Platner)

man die Personalkonzession bei der Schaffung eines einheitlichen, gleichen Apothekenrechts zur alleinigen Betriebsrechtsform für alle Apotheken machen, so würde für die Privileg-, Realrechts-und Realkonzessionsinhaber eine Entziehung von Rechten Platz greifen. Da nach herrschender Ansicht die Realrechte und Realkonzessionen Vermögenswerte und daher Eigentum im Sinne des Art. 14 des Grundgesetzes sind, würde hier ein Konflikt mit der genannten Bestimmung des Grundgesetzes eintreten. Art. 14 gewährleistet das Eigentum und läßt Enteignungen nur zum Wohle der Allgemeinheit und gegen Entschädigung zu. Die Vereinheitlichung des Apothekenrechts auf der Basis der Personalkonzession als einheitlicher Betriebsform für alle Apotheken würde also auf dem angedeuteten Wege zu weitgehenden Entschädigungsforderungen der Realrechtsinhaber und Realkonzessionäre führen.
Der Regierungsentwurf, der die Personalkonzession für neu zu errichtende Apotheken zum Prinzip erhebt, ist deshalb genötigt, das gemischte System unter Konservierung der bisherigen Betriebsrechtsformen beizubehalten. Aber dadurch kommt der Regierungsentwurf unseres Erachtens in einen grundsätzlichen Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3. Nach diesem muß der Gesetzgeber Gleiches gleich behandeln. Nach der inzwischen bereits weit entwickelten Rechtsprechung unseres Bundesverfassungsgerichts können bei Schaffung eines Gesetzes allerdings Differenzierungen aus dem Gesichtspunkt des Herkömmlichen zulässig sein; aber gerade vom Grundsatz der Gleichheit ausgehend kennt das moderne Recht nur das Gesetz mit allgemeinem, abstraktem Inhalt.
Diesem fundamentalen Gedanken der Rechtsgleichheit widerspricht das Privileg als sogenanntes Individualgesetz, denn das Privileg ist ein Fall individueller Begünstigung, und zwar entweder eines einzelnen oder einer Gruppe. Das Privileg als Individualgesetz ist also ein wesensfremdes Element im Recht unseres Zeitalters der Gleichheit. Die gesetzliche Bestätigung, die hier erstmalig hinsichtlich solcher Individualgesetze vorgenommen werden soll, würde aber so fundamental gegen den kategorischen Grundsatz der Gleichheit verstoßen, daß die durch diesen Verstoß geschaffene Ungleichheit nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des Herkömmlichen als irrelevant für die Prüfung der Frage einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes betrachtet werden kann.
Aber auch soziale Gesichtspunkte sprechen gegen die Personalkonzession unter Beibehaltung des gemischten Systems. Die Personalkonzession mußte bisher in ihrer Praktizierung ersessen werden. Der Bewerber mußte ein ziemlich erhebliches Anwartschaftsalter besitzen, um in der Praxis die Personalkonzession erhalten zu können. Daraus resultierte die Tatsache, daß solche Anwartschaftsbewerber, die eine Personalkonzession erhielten, im Durchschnitt ein Lebensalter von 55 bis 60 Jahren hatten. Andererseits hatten die Realrechte und Realkonzessionen hohe Idealwerte, die in der Vergangenheit zum Teil die zehnfache Höhe eines nüchternen Geschäftswertes erreichten. Solche Apotheken mit derart hohen Idealwerten waren also nur für sehr vermögende Apotheker käuflich.
Ein wirklich einheitliches und gleiches Betriebsrecht für alle Apotheken entsprechend den Bestimmungen unseres Grundgesetzes kann aber
meines und unseres Erachtens nur durch die veräußerliche und vererbliche Betriebserlaubnis als alleinige Betriebsrechtsform für die Apotheken geschaffen werden. Diese Erlaubnis darf bei Neugründungen von Apotheken nicht wieder von einer eigentlichen Bedürfnisprüfung abhängig gemacht werden, sondern wir müssen hier einen Weg finden, der lediglich zum Charakter einer bloßen Zulassungsbeschränkung führt, weil sonst eine gesicherte Arzneiversorgung in Frage gestellt werden kann. Wir müssen uns dabei auch darüber klar sein, daß die derzeitige Rechtsprechung der höheren Verwaltungsgerichte und die gutachtliche Stellungnahme des Bundesgerichtshofs zu fünf verschiedenen Ansichten bezüglich der Zulässigkeit der Bedürfnisprüfung geführt hat. Es gibt also noch keine ausgetragene feste Stellungnahme der Rechtsprechung. Hier tut sich die Problematik der Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes auf.
Folgt man dabei allerdings der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Urteilen vom 15. Dezember 1953 und 10. März 1954, so kann das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht in Anspruch genommen werden, wenn dadurch ein für den Bestand der Gemeinschaft notwendiges Rechtsgut — das wäre hier das Rechtsgut der Volksgesundheit — gefährdet wird. Das ist also die hier vorhandene Problematik.
Die Bundesregierung lehnt nun in ihrem Entwurf das System der gelenkten Niederlassungsfreiheit ab, und zwar — das ergibt sich aus dem generellen Teil der Begründung des Entwurfs der Regierung — aus vorwiegend berufsinternen Gründen. Diesen Gründen wird meines Erachtens im Regierungsentwurf ein zu großes Gewicht eingeräumt. Diese Gründe der Regierung sind folgende. Die Regierung sagt, eine gelenkte Niederlassungsfreiheit lasse für die bisherigen Personalkonzessionäre einen erheblichen Geschäftswert entstehen. Das führe zu folgenden Folgen: Verteuerung des Betriebs der Apotheken, Verringerung der Möglichkeit für jüngere Apotheker, Apotheken zu kaufen, und letztlich dazu, daß es an hinreichendem Nachwuchs von Apothekern fehlen werde. Diese Argumente vermögen wir nicht als richtig anzuerkennen. Die Begründung des Regierungsentwurfs wird unseres Erachtens durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt, wie sie sich in der amerikanischen Zone abgezeichnet hat. Wir haben dort auf Grund der von den Amerikanern vorübergehend eingeführten unbeschränkten Niederlassungsfreiheit die Tatsache zu verzeichnen, daß die hohen Einheitswerte der Realrechte und Realkonzessionen steuerlich weitgehend abgeschrieben wurden und neue Geschäftswerte in vernünftigen Grenzen festgesetzt werden. Hier zeichnet sich also eine durchaus gesunde Entwicklung ab, die bei der Realisierung unseres Entwurfs in der gesamten Bundesrepublik gleichmäßig Platz greifen würde. Damit würde aber unseres Erachtens folgender Zustand herbeigeführt: Es würde die Möglichkeit für jüngere Apotheker, Apotheken zu kaufen, erheblich erweitert, weil die hohen Werte der Realrechte und Realkonzessionen — und das ist ja über ein Drittel aller Apotheken — auf einen vernünftigen Stand zurückgeführt würden.
Diese Entwicklung und das in unserem Entwurf vorgesehene Initiativrecht des Apothekers zur Einreichung eines Antrags auf Erteilung der Erlaubnis zur Neuerrichtung einer Apotheke sind


(Platner)

aber nach unserer Ansicht ein hinreichender Anreiz für junge Menschen, den Apothekerberuf zu ergreifen. Der Art. 2 unseres Grundgesetzes, der das Recht des Menschen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit proklamiert, und soziale Gesichtspunkte haben uns dazu geführt, in unserem Entwurf ein Initiativrecht des Apothekers zur Errichtung neuer Apotheken vorzusehen. Wer die Möglichkeit der Neuerrichtung einer Apotheke aufspürt, muß das Recht haben, den Antrag auf Betriebserlaubnis von sich aus zu stellen, und soll nicht erst eine Initiative der Behörde im Wege der Ausschreibung, wie es bisher bei der Personalkonzession Übung war, abwarten müssen.
Soziale Gesichtspunkte wie auch der Grundsatz der Gleichheit führen uns ferner in unserem Entwurf zu der Forderung, daß jeder Apotheker nur eine Apotheke haben soll. Soziale Gesichtspunkte verlangen aber schließlich auch die Sicherstellung einer Altersversorgung im Rahmen eines einheitlichen Apothekengesetzes, und zwar einer Altersversorgung für die nicht selbständigen Apotheker. — Damit habe ich in wenigen Worten die grundsätzlichen Anliegen unseres Entwurfs hervorgehoben.
Ich darf zum Abschluß noch darauf hinweisen, daß wir bei. der Ausarbeitung unseres Entwurfs bestrebt waren, ihm eine möglichst kurze Fassung zu geben. Da es bei der Ausgestaltung eines deseinheitlichen und gleichen Apothekenrechts nach unserer Auffassung nur um Rechtsfragen geht, stelle ich hiermit den Antrag, unseren Entwurf an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und ferner an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß sowie an den Ausschuß für Gesundheitswesen zu überweisen.

(Zuruf von der Mitte: Das hat doch mit Wirtschaft nichts zu tun!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706700
Ich erteile das Wort zur Einbringung des Gesetzes über das Apothekenwesen, Drucksache 1233, dem Herrn Bundesinnenminister.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0207706800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes über das Apothekenwesen hiermit einzubringen. Dieses Gesetz regelt die Rechtsform, nach der in der Bundesrepublik eine Apotheke zu betreiben ist.
Apotheken sind Gewerbebetriebe besonderer Art. Der Staat muß an ihnen wegen der Bedeutung, die sie für die Volksgesundheit haben, ein besonderes Interesse nehmen. Der Apotheker selbst unterliegt besonderen gesetzlichen Bestimmungen über seine Ausbildung und die Befähigung für seinen Beruf. Auch die Apotheke braucht als eine Einrichtung im Rahmen des Verkehrs mit Arzneimitteln und als eine der Ausübungsformen des Apothekerberufs eine gesetzliche Regelung.
Dem Gesetzentwurf ist eine ausführliche Begründung beigegeben. Ich will deshalb von einer Darstellung der Motive und des Gesetzesinhalts im einzelnen absehen und mich auf einige Bemerkungen beschränken.
Der Regierungsentwurf hält an dem Grundsatz fest, daß eine Apotheke nur mit einer staatlichen Erlaubnis betrieben werden darf und daß die Zahl der Apotheken beschränkt gehalten werden muß.
Er will das Wesen der deutschen Apotheke, wie es sich durch Jahrhunderte entwickelt hat und durch das sie in der ganzen Welt Ansehen genießt, bewahren und fördern. Der Entwurf stellt nun den ersten Versuch dar, die verschiedenen historisch gewordenen Formen der Betriebsberechtigung in ein gesetzliches System zu bringen und damit der künftigen Entwicklung eine feste und klare Grundlage zu geben. Dadurch soll dem dringenden, im übrigen auch vom Bundesrat ausgesprochenen Wunsche nach einer bundeseinheitlichen Regelung Rechnung getragen werden. Die Kompetenz des Bundes zum Erlaß eines solchen Gesetzes ist gegeben.
Der Gesetzentwurf sieht davon ab, die verschiedenen Betriebsrechtsformen auf eine einzige Form zu vereinheitlichen mit Ausnahme der Lizenz in der ,amerikanischen Zone. Die Bundesregierung hält das Nebeneinanderbestehen von Privilegien, Realkonzessionen und Personalkonzessionen aus sachlichen und auch aus sozialen Gründen für eine gute Lösung, zumal die Personalkonzession durch die Einführung eines Initiativrechts der Apotheker bei der Neuerrichtung von Apotheken eine Auflockerung erfahren soll. Das Prinzip einer sogenannten gelenkten Niederlassungsfreiheit, das gleichzeitig die allgemeine Veräußerlichkeit und Vererblichkeit aller Apotheken umfassen soll, vermag die Bundesregierung nicht als geeigneten Weg für eine bundesgesetzliche Regelung anzusehen. Es besteht vielmehr die Besorgnis, daß ein solches System in kurzer Zeit das Wesen der deutschen Apotheke in einer Weise verändern würde, die wir alle nicht wünschen.
Dazu kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Die Zahl der Apotheken muß beschränkt bleiben, um einen Konkurrenzkampf der Apotheken untereinander auszuschließen. Ein solcher Kampf muß im Interesse der ordnungsmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Apotheken unter allen Umständen vermieden werden. Nach Auffassung der Bundesregierung läßt sich ein gesetzlich festgelegter Konkurrenzschutz mit einem freien Verfügungsrecht über sämtliche Apothekenbetriebsberechtigungen schwerlich vereinbaren.
Ich darf ganz kurz, wie das Herr Kollege Platner bei der Einbringung seines Initiativgesetzentwurfs getan hat. auch zu den Fragen Stellung nehmen, die er in den Vordergrund gerückt hat. Der von ihm eingebrachte Entwurf hat viel Ähnlichkeit mit einem Entwurf. der bereits dem 1. Bundestag vorgelegen hat. Dieser Entwurf hat damals lange Zeit den Gesundheitsausschuß beschäftigt, ist aber nicht Gesetz geworden. Die Beratungen im Gesundheitsausschuß sind nicht über die Generaldebatte hinaus gediehen. Es zeigte sich, daß die Grundgedanken dieses Entwurfs, der weitgehend mit dem aus der Apothekerschaft stammenden sogenannten Frankfurter Entwurf übereinstimmte, nicht die Resonanz im Ausschuß fanden, die zu eine positiven Beschlußfassung geführt hätte.
Der Entwurf, wie er jetzt vorgelegt wird, weicht nur unwesentlich von dem damaligen Entwurf ab. Auch er steht im Zeichen der sogenannten gelenkten Niederlassungsfreiheit. Das will sagen, jeder qualifizierte Apotheker soll die Freiheit haben, sich als selbständiger Apotheker niederzulassen, also eine Apotheke zu erwerben oder neu zu errichten. Die Freiheit zur Neuerrichtung einer Apotheke soll jedoch insofern gelenkt werden, als die behördliche Erlaubnis dazu vor allem dann zu versagen


(Bundesminister Dr. Schröder)

wenn nicht zu erwarten ist, daß die bestehenden Apotheken und die neu zu errichtende Apotheke eine einwandfreie Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung durchführen können. Dies wird vornehmlich dann der Fall sein, wenn die bestehenden Apotheken und die neu zu errichtende Apotheke nicht mehr über die erforderliche wirtschaftliche Grundlage für eine geordnete Arzneimittelversorgung verfügen.
Auch wenn dies in dem Gesetzentwurf der Herren Abgeordneten Platner und Genossen im Gegensatz zu dem früheren Entwurf nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, sollen auch nach diesem Entwurf alle Apotheken verkäuflich und vererblich sein, also auch die bisher auf Grund von Personalkonzession betriebenen. Der vorliegende Entwurf will allerdings daneben noch das Recht der Behörden zur Ausschreibung von neu zu errichtenden Apotheken aufrechterhalten.
Die Bundesregierung hat sich in Verbindung mit dem von ihr vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über das Apothekenwesen eingehend mit dem Prinzip der sogenannten gelenkten Niederlassungsfreiheit beschäftigt, das auf der Umwandlung aller Apothekenbetriebsrechte in verkäufliche und vererbliche Rechte beruht, Sie hat sich nicht überzeugen können, daß die Abschaffung der Personalkonzession als unverkäuflichen und urivererblichen Betriebsrechtes vertretbar ist. Sie ist vielmehr der Meinung, daß diese Betriebsrechtsform neben den verkäuflichen und vererblichen Privilegien und Realkonzessionen bestehenbleiben muß. Sie will bei der Neuerrichtung von Apotheken von dem Ausschreibungsmonopol der Verwaltungsbehörden abgehen und unter bestimmten Voraussetzungen die eigene Initiative der Apotheker zum Zuge kommen lassen. Sie glaubt aber, daß diesem Initiativrecht der Apotheker ein bestimmterer Rahmen gegeben werden muß, als dies in dem vorliegenden Entwurf der Herren Abgeordneten Platner und ,Genossen vorgesehen ist. Die hierin enthaltene Vorschrift für eine Versagung der Erlaubnis macht der Behörde den ihr obliegenden Beweis für das Vorliegen des Versagungsgrundes so schwer, daß sie sich, besonders vor einem Verwaltungsgericht, damit praktisch kaum wird durchsetzen können. Das aber würde auf die unlenkbare Niederlassungsfreiheit hinauslaufen. Ich bedaure daher, in diesem Entwurf in seiner vorliegenden Fassung ein geeignete Grundlage für eine geordnete Arzneimittelversorgung nicht erblicken zu können.
Auch der Begründung, die zu diesem Gesetzentwurf gegeben wird, bedaure ich nicht folgen zu können. Ich kann nicht zugeben, daß das bisherige gemischte System, nämlich das Nebeneinanderbestehen von Realrechten, Realkonzessionen und Personalkonzessionen gegen das Gleichheitsprinzip des Art. 3 des Grundgesetzes verstößt. Diese Betriebsrechtsformen haben sich historisch entwickelt, sie sind nicht willkürlich geschaffen worden. Ihr Nebeneinanderbestehen läßt sich auch heute noch durchaus rechtfertigen, ja es erscheint sogar als notwendig. Die Möglichkeit, Apothekenbetriebsberechtigungen sowohl durch Kauf oder Erbschaft als auch im Wege der staatlichen Verleihung auf Grund des Betriebsberechtigungsalters zu erwerben, wird von der Bundesregierung als eine den heutigen sozialen Verhältnissen am 'besten gerecht werdende Lösung des Problems des Zugangs zu einer Apothekenbetriebsberechtigu.ng angesehen. Da die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten allen Personen, 'die für die Ausübung des Apothekerberufs qualifiziert sind, gleichmäßig offensteht, ist dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes Rechnung getragen.
Es trifft ferner nicht zu, daß das Grundrecht des Art. 12 des 'Grundgesetzes verletzt sei. Wie das Bundesverwaltungsgericht in der schon erörterten Entscheidung vom 15. Dezember 1953 ausgesprochen hat, kann das Grundrecht der freien Berufswahl nicht in Anspruch genommen werden, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet würden. Zu diesen notwendigen Rechtsgütern, so erklärt das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich, gehört auch die Volksgesundheit.
Der Heimfall einer Personalkonzession an den Staat und die Neuverleihung an einen von dem Staat zu bestimmenden Bewerber stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 14 des Grundgesetzes dar. Diese Betriebsrechte sind persönliche Erlaubnisse, die von den Vermögenswerten, die zu ihrer Ausübung dienen, wie Einrichtungsgegenstände und Warenlager, rechtlich völlig zu trennen sind und die im Gegensatz zu diesen weder zu Eigentum erworben noch vererbt werden können.
Die Begründung des Gesetzentwurfs meint, durch den bisherigen Zustand im Apothekenwesen sei die Arzneimittelversorgung gefährdet. Dazu darf ich nachdrücklich bemerken, daß die Arzneimittelversorgung in der Bundesrepublik durchaus nicht gefährdet ist. Das Gesetz über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken vom 13. Januar 1953, das aus der Mitte des Bundestags hervorgegangen ist, hat die planlose und ungelenkte Vermehrung von Apotheken in der amerikanischen Besatzungszone, die bei einer Fortdauer allerdings sehr bald zu einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung in dieser Zone geführt hätte, gestoppt.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend der Hoffnung Ausdruck geben, daß trotz der Schwierigkeiten, die die Behandlung dieser Materie sicher haben wird, und trotz der in dieser Beziehung nicht allzu ermutigenden Erinnerungen aus den Zeiten des 1. Bundestags es dem 2. Bundestag vergönnt sein möge, den Wurf der Vereinheitlichung des Apothekenrechts in 'Deutschland bald und befriedigend zu verwirklichen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207706900
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich das Wort erteile, bitte -ich, daran zu denken, daß wir doch wohl pünktlich um 21 Uhr Schluß machen wollen. Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Steinbiß.

Dr. Viktoria Steinbiß (CDU):
Rede ID: ID0207707000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Apothekenwesen stellt sich mir in einer etwas anderen Beleuchtung als meinem Vorredner Herrn Platner. Ich möchte in meinen kurzen Ausführungen die Frage erörtern, was wir von einem Apothekengesetz erwarten. Das Problem des Apothekenwesens ist grundsätzlich und überwiegend ein Problem des Gesundheitswesens und sollte auf keinen Fall primär vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir denken zuerst an die Bevölkerung und haben
den Wunsch und den Willen, sie gut mit Arzneimitteln zu versorgen. Wir fordern darum auch vom


(Frau Dr. Steinbiß)

kommenden Apothekengesetz als erste und grundlegende Bedingung, daß dieses Gesetz der Bevölkerung eine einwandfreie Versorgung mit Arzneimitteln sichert. Wir glauben allerdings, daß diese Versorgung wie bisher auf die Dauer nur dann gesichert werden kann, wenn der Apotheker in der Höhe seines Wissens und Könnens nicht nachläßt und er zudem in seiner Existenz gesichert ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Zu dieser Existenzsicherung gehört auch, daß der Apotheker eine Möglichkeit erhält, früher oder später selbständig zu werden. Die einwandfreie Versorgung der Bevölkerung wird in Frage gestellt, wenn sich zu viele Apotheken um die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln bemühen. Um existieren zu können, wird der Apotheker dann leicht in Versuchung geführt, den Käufer durch alle möglichen Mittel und Mittelchen anzulocken. Diesen Zustand der allzu stark vermehrten Apotheken kennen wir aus der amerikanischen Zone; wir bezeichnen ihn als Niederlassungsfreiheit. Vorher haben wir diesen Zustand in Deutschland nicht gekannt. Bei uns wird seit jeher vom Staat für eine Apotheke ein Einzugsgebiet von mindestens 7000 bis 8000 Seelen vorgesehen. Der Staat gewährt damit dem Apotheker einen Schutz und sichert ihn vor dem seine Unabhängigkeit gefährdenden Konkurrenzkampf, den das allgemeine Gewerbe sonst austragen muß.
Wenn wir diesen Grundsatz der Herausnahme der Apotheken aus dem sonstigen Gewerbe befürworten, so vor allen Dingen — das möchte ich noch einmal betonen — deshalb, weil wir vor das Eigen- interesse des Apothekers das Interesse der Bevölkerung setzen. Wir sagten schon, daß zu einer guten Arzneimittelversorgung der in seiner Existenz gesicherte Apotheker gehört, und wollten die Ermöglichung der Selbständigkeit dazu gerechnet wissen.
Nun wird diese Sicherheit von einigen Seiten darin gesehen, daß man alle Apotheken verkäuflich und vererblich macht. Man glaubt, daß der angestellte Apotheker auf solchem Wege schneller zur eigenen Apotheke kommt, als das bei dem jetzigen System der Fall ist. Diese Anschauung beruht aber auf einem Irrtum. Schon im vorigen Bundestag haben wir bei der Erörterung dieser Frage nach eingehender Beratung mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundesarbeitsministerium und auf Grund des Urteils der Sachverständigen einstimmig festgestellt, daß die Altersschichtung der Apothekenbesitzer von der Art der Konzession unabhängig ist.
Bei dem Vererblich- und Verkäuflichmachen aller Apotheken muß auch folgendes gesehen werden. Es ist wahrscheinlich, daß heute noch 800 bis im Höchstfall 1000 Apotheken neu geschaffen werden können. Würden wir diese neu zu schaffenden Apotheken nach dem System der Niederlassungsfreiheit vergeben, so würden im Sättigungszustand, d. h. wenn diese 800 bis 1000 Apotheken eröffnet wären, sämtliche Apotheken verkäuflich und vererblich sein. Die Apotheke könnte nur noch durch Erbgang, Einheirat oder Verkauf in andere Hände übergehen, und die bestehenden Apotheken würden, da keine neuen mehr erstellt werden könnten, Liebhaberwerte erlangen. Beim jetzigen System, das ein gleichzeitiges Vorkommen von 40% vererblicher und 60 %personeller Konzessionen bedeutet, fallen auch im Sättigungszustand 60% in
streng geordneter Berechtigungsfolge an solche Bewerber, die nicht über die Geldmittel verfügen, käufliche Konzessionen zu erwerben, die auch nicht einheiraten und die nicht erben.
Es ist sicherlich richtig, daß das jetzige System, das auch im Regierungsentwurf vorgesehen ist, allerlei Mängel und Angriffsflächen zeigt, und hier muß die Arbeit des Gesundheitsausschusses reformierend einsetzen, z. B. bei der Frage der Lizenzen. Doch es hat den großen Vorteil, daß es den verschiedenen Strukturen des menschlichen Leistungsvermögens angepaßte Möglichkeiten zur Durchsetzung gibt. Wir kennen den mit der Tradition groß gewordenen Apotheker, wir kennen den bewährten Mitarbeiter, der in die Apotheke einheiratet, wir kennen auch den Käufer der Apotheke, der keineswegs immer nur der große Geldbesitzer, sondern oft der wagemutige, sich selbst vertrauende Mann ist. Und endlich kennen wir auch den Apotheker, der im geordneten Berechtigungsverfahren zur Personalkonzession kommt. Während also im Mischsystem dem Apothekerangestellten die Chance, ja die Gewißheit gegeben wird, früher oder später in den Besitz einer Apotheke zu gelangen, haben wir bei dem ersten Verfahren, wenn alle Apotheken verkäuflich und vererblich sind, die Tatsache, daß sich jetzt zwei Stände gegenüberstehen, nämlich der Stand des Apothekenbesitzers und der Stand des Apothekenangestellten, der aus der Stellung des Angestellten nicht mehr herauskommen kann.
Wir dürfen also den Schluß ziehen, daß man sich im Apothekenwesen nicht auf eine Einzelform festlegen sollte. Jede Einzelform bietet individuelle Vorteile und Nachteile. Monopolisiert man aber die Einzelform, so wachsen die Vor- und Nachteile alternativ ins Große. Eine Gleichzeitigkeit verschiedener Systeme aber gibt dem Guten des Einzelsystems die Möglichkeit, sich 'durchzusetzen. Die Nachteile treten weitgehend in den Hintergrund.
Ich möchte Sie bitten, den Antrag, der Ihnen vorgetragen worden ist, nämlich die Gesetzentwürfe dem Ausschuß für Rechtswesen — federführend — sowie dem Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß — mitberatend — zu überweisen, abzulehnen, und beantrage im Namen meiner Freunde, die Gesetzentwürfe dem Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens — federführend — und dem Rechtsausschuß — mitbeteiligt — zu überweisen. Wir sind stolz auf die deutsche Apotheke, und wir wollen sie als eine gute Apotheke behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207707100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0207707200
Meine Damen und Herren! Einige Gedanken zu diesen beiden Gesetzentwürfen! Ich bitte Sie, in der Regierungsvorlage den § 12 aufzuschlagen. Darin finden Sie eine wunderbare Illustration zu der Frage der Personalkonzession. Dort steht: „Die Personalkonzession ist zurückzunehmen, wenn der Inhaber 1. ihre Erteilung durch unlautere Mittel, wie Täuschung, Drohung oder Bestechung herbeigeführt hat". Meine Damen und Herren, ein ereignisvoller Tag, an dem der Innenminister dieser Bundesrepublik feststellt, daß Ermessensentscheide des Staates so schwierig zustande kommen können!


(Dr. Hammer)

Ein zweiter Gedanke! Heute ist hier sehr viel über die Probleme der Marktwirtschaft gesprochen worden, und der Herr Kollege Platner hat vorhin beantragt, diese Gesetzentwürfe dem Wirtschaftsausschuß — federführend — zuzuweisen. Ich warne da vor Täuschungen! Das Berufsbild eines Apothekers hat nicht sehr viel mit dem Berufsbild eines Kaufmanns zu tun. Darf ich Sie daran erinnern, daß er nur nach einer Arzneitaxe zu verkaufen hat, daß er zu einer Vorratshaltung gezwungen wird, Depots für ein Vierteljahr anzulegen hat, die ihm nachher keiner abnimmt, daß er seine zugrunde gegangenen Seren in den Schmutzkasten zu stekken hat und keinen Saisonschlußverkauf veranstalten kann, daß er alles, was er anzubieten hat, nach den Qualitätsvorschriften des Deutschen Arzneibuches anbieten muß, also in einer ganz bestimmten Norm, und andere Waren nicht aufkaufen darf!
Aber noch viel interessanter ist, sich einmal vorzustellen: wer ist denn der sogenannte Käufer in der deutschen Apotheke? Dreiviertel der Leute, die dort Waren entnehmen, tragen in der Hand einen Bezugschein, der von einem Kassenarzt der deutschen Krankenversicherung ausgestellt worden ist. Einen Preisvergleich vornehmen — die wesentlichste Aufgabe des Käufers auf dem Markt — das können diese Leute nicht, sie haben nichts zu zahlen. Die Lieferungen werden nämlich von Dritten bezahlt: den Versicherungsträgern.
Wir haben es in der amerikanischen Zone erlebt, daß, nachdem die Anzahl der Apotheken dort erheblich vermehrt worden war, in der Tat die Abgaben für die Krankenversicherungsträger erheblich in die Höhe gegangen sind. Der Gesundheitspolitische Ausschuß des Deutschen Bundestages hat sich in der ersten Legislaturperiode die Mühe gemacht, das nachzuprüfen. Das Resultat der Vermehrung der Apotheken war, daß die Aufwendungen für Arzneimittel für die Versicherungsträger ganz erheblich höher geworden sind.

(Abg. Dr. Gille: Jemand muß sie doch verordnet haben!)

— Selbstverständlich! Aber der, der sie einlöst, bezahlt sie nicht, und der, der sie verordnet, bezahlt sie auch nicht; das ist der Unterschied zu einer echten Marktwirtschaft.
Der § 3 b des Platnerschen Antrags reicht nicht aus, um das zu regeln, was wir unbedingt regeln müssen. Die deutsche Apotheke muß bezüglich ihres Standorts und ihrer Anzahl an gewissen Orten und in festen Grenzen limitiert sein. Das wird dazu führen, daß der Behörde ein — wenn auch schmaler — Ermessensspielraum gegeben werden muß.
In der Regierungsvorlage gefällt uns ferner folgendes nicht. Die Lizenzen der amerikanischen Zone sind unserer Ansicht nach Eigentum geworden. Ich möchte bezweifeln, daß man sie jetzt ohne Rechtsverletzung in Personalkonzessionen umwandeln kann!
Wir haben noch ein anderes Anliegen. Nach dem jetzigen Stand der Regierungsvorlage, also nach Durchgang durch den Bundesrat, sind die sogenannten hessischen Gemeindeapotheken immer noch am Leben, ein Ausbeutungsinstitut schlimmster Art, indem die Stadtkämmerer unbilligerweise
einen bestimmten Personenstand, der zufällig Apotheker heißt, mit Zehntausenden von Mark pro Jahr belasten.
Die deutsche Apotheke hat den Zweck, die Bevölkerung mit standardisierten erstklassigen Arzneimitteln preiswert zu versorgen. Dazu gehört ein leistungsfähiger Apothekerstand. Am leistungsfähigsten ist immer der, der im Eigentum sitzt. Aus dieser Überlegung und aus dem Zwang, den Standort der Apotheke so zu wählen, daß sie dem Wohl des Kranken dient, haben wir die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Das wird die Aufgabe des Ausschusses sein, selbstverständlich des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens. Die Regierungsvorlage stammt vom Innenministerium. Das Innenministerium verwaltet die Gesundheitspolitik. Ich empfehle Ihnen deshalb: Überweisen Sie diese beiden Anträge zur Federführung an den Gesundheitspolitischen Ausschuß.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207707300
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger.
Geiger München) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Spitze meiner Ausführungen den Hinweis auf die Tatsache stellen, daß gegenwärtig noch eine Anfechtungsklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe läuft. Bekanntlich hat Bayern die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet der Apothekengesetzgebung nicht anerkannt und infolgedessen schon, wenn ich mich recht erinnere, im März 1953 beim Bundesverfassungsgericht eine Anfechtungsklage eingereicht. Leider ist diese Klage noch nicht entschieden. Wenn sich der Bundestag nun mit der Materie befaßt, so besteht die Möglichkeit, daß die I ganze Mühe, die wir auf diesen Gesetzestext verwenden, umsonst sein wird. Das ist der Fall, wenn das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung trifft, daß die Gesetzgebung über das Apothekenwesen nicht Angelegenheit des Bundes, sondern Angelegenheit der Länder ist. Ich möchte mich auf die juristischen Erörterungen hier nicht einlassen. Das mögen die Verfassungsjuristen entscheiden. Wir werden die Entscheidung, wie sie auch ausfallen wird, anerkennen. Es wäre wohl zu überlegen, ob unter diesen Gesichtspunkten nicht die Erörterung im Bundestag über ein Bundesapothekengesetz überhaupt zurückzustellen ist, bis endgültige Klarheit besteht. Wenn wir trotzdem der Beratung zustimmen, so deshalb, weil unseres Erachtens gegenwärtig eine Regelung auf dem Gebiete des Apothekenwesens dringend nötig ist und weil doch damit gerechnet werden kann, daß bis zur dritten Lesung dieses Gesetzes eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts getroffen ist.
Nun möchte ich einen kleinen geschichtlichen Rückblick anstellen, um in großen Zügen einige Gesichtspunkte herauszustellen. Früher, bis etwa zum Jahre 1810, wurden die Apotheken ausschließlich als Privilegien verliehen. Dann kam die Einführung der sogenannten Personalkonzession, jedoch praktisch nur auf dem Papier, weil bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den einzelnen Bundesstaaten die zunächst als persönliche Konzession verliehenen Rechte an einen qualifizierten Nachfolger übergeben werden konnten. Dies bezeichnet man als das Präsentationsrecht. In Preußen wurde die Personalkonzession in wirklicher Ausprägung erst im Jahre 1894 eingeführt. In Bayern bestand, wenn auch rechtlich immer umstritten, praktisch


(Geiger [München])

bis zum Jahre 1913 auch bei Personalkonzessionen in den meisten Fällen eine Art Präsentationsrecht. Erst von diesem Zeitpunkt an war auch in Bayern die reine Personalkonzession eingeführt, allerdings mit dem Recht, daß nach dem Tode des Apothekers die Witwe bis zu ihrer Wiederverheiratung oder bis zu ihrem Lebensende die Apotheke weiter betreiben konnte. Später ist dieses Recht dann noch abgewandelt worden.
In Hessen gab und gibt es, wie wir bereits gehört haben, Gemeindeapotheken. In Preußen blieben die Personalkonzessionen mit Präsentationsrecht als vererbliche und veräußerliche Apotheken bestehen. In Bayern hießen die Privilegien Realrechte. Kurz und gut, wir sehen hier ein buntes Durcheinander, so daß es nicht übertrieben erscheint, wenn man feststellt, daß im ehemaligen Reichsgebiet Dutzende von Apothekenbetriebsformen bestanden haben.
Diese Buntheit ist es auch, die es mit sich gebracht hat, daß alle Bestrebungen des Reichs, die Apothekergewerbefrage einheitlich für das Reichsgebiet zu regeln, fehlgeschlagen sind. Von Bismarck angefangen haben sich einige Kanzler des Reichs, verschiedene preußische und Reichsinnenminister vergeblich um die Einführung eines einheitlichen Apothekensystems bemüht. Nicht einmal im „Dritten Reich" ist es gelungen, eine Vereinheitlichung durchzuführen. Die Apothekenrechte in den einzelnen Bundesländern blieben grundsätzlich sehr unterschiedlich.
In solcher Unterschiedlichkeit befand sich das deutsche Apothekenwesen nach dem Zusammenbruch, wo praktisch die Länder die einzigen Staatsorgane waren, die einigermaßen intakt geblieben waren. In Wirklichkeit aber regierten in den Besatzungszonen die Besatzungsmächte, die gerade bezüglich der gewerblichen Betätigung völlig unterschiedliche Ansichten vertraten. Die Amerikaner vertraten die Idee der schrankenlosen Niederlassungsfreiheit, ein Grundsatz, der sich schließlich sogar auch bei den Apothekenbetrieben durchsetzte, freilich mit der kleinen Einschränkung, daß nicht jede x-beliebige Person eine Apotheke betreiben konnte, sondern nur ein Apotheker. Aber bezüglich der Zahl der zu errichtenden Apotheken, der Lage, wo eine Apotheke errichtet werden konnte, gab es kein Hemmnis. Die Prüfung der Bedürfnisfrage, die Rücksichtnahme auf die besonderen Verhältnisse der Apotheke, die wohl auch einen Gewerbetrieb, im wesentlichen jedoch ein Instrument des Gesundheitsdienstes, der Gesundheitsfürsorge darstellt, wurden völlig fallengelassen. So vollzog sich in der amerikanischen Besatzungszone eine bis dahin unvorstellbare Erhöhung der Zahl der Apothekenbetriebe. Ich darf einige Beispiele erwähnen. In Bayern z. B. ist die Zahl der Apotheken von 800 auf 1250 gestiegen, in Hessen hat sich die Zahl der Apothekenbetriebe von 1945 bis 1952 direkt verdoppelt, und in anderen Ländern der amerikanischen Besatzungszone, in Nordbaden und Nordwürttemberg sowie in Bremen, sind die Verhältnisse ziemlich ähnlich. Diese hemmungslose Vermehrung der Apotheken hat zu unangenehmen Folgen geführt, die freilich nicht so groß waren, wie man ursprünglich befürchtete. Immerhin erschien es den verantwortlichen Stellen in Bayern beispielsweise angebracht, die durch die amerikanische Besatzungsmacht dekretierten Bestimmungen der Niederlassungsfreiheit für Apotheken in gesetzlich geordnete Bahnen zu lenken.
So entstand das bayerische Apothekengesetz vom 16. Juni 1952, das von sämtlichen Parteien
des bayerischen Landtags einstimmig — meine Damen und Herren, das scheint mir sehr bemerkenswert zu sein — angenommen worden ist. Die Konzeption dieses bayerischen Apothekengesetzes entspricht den Vorstellungen und den Wünschen, wie sie die deutschen Apotheker wiederholt in Bekanntmachungen und Abstimmungen vorgetragen haben.
Die deutschen Apotheker wollen keine vom Staat verliehene hoheitliche Bewilligung zum Betrieb einer Apotheke, wie es vor 100 Jahren vielleicht als erstrebenswert erschienen sein mag. Die deutschen Apotheker wollen ihre eigene Apotheke, die sie selbst errichten, selbst aufbauen, selbst erweitern und betreiben und die sie schließlich, wenn sie nach erfolgreicher Laufbahn sich vom aktiven Dienst als Apotheker zurückziehen, an ihren Sohn oder an einen Rechtsnachfolger, wenn er qualifizierter Apotheker ist, übergeben können. Die deutschen Apotheker erstreben das Prinzip der vererblichen und veräußerlichen Apotheke und sind der Meinung — was ich bestätigen kann —, daß die Interessen der Allgemeinheit durch Erfüllung dieses Wunsches nicht geschädigt werden und daß eine geordnete Arzneiversorgung und geregelte Arzneipreise gleichfalls absolut gewährleistet sind.
Das bayerische Apothekengesetz hat diese Grundsätze verwirklicht. Die von den Apothekern und den Deutschen Apothekertagen immer wieder vorgebrachten Wünsche, die sogenannten Frankfurter Beschlüsse durchzusetzen, haben im bayerischen Apothekengesetz ihre Erfüllung gefunden. Niemand wird behaupten können, daß die Arzneimittelversorgung in Bayern etwa weniger gut wäre als in den übrigen Bundesländern, daß in Bayern etwa die Arzneipreise höher wären als in den Ländern, wo noch das Gesetz der preußischen Medizinalbürokratie, die Personalkonzession, herrschend ist. Niemand wird behaupten können, daß die Berufsaussichten der Mitarbeiter in den Apotheken in Bayern etwa schlechter wären als in den anderen Bundesländern.
Der Antrag Platner nun huldigt dem Prinzip der vererblichen und veräußerlichen Apotheke und koppelt mit dieser Forderung die Frage einer standesgemäßen Altersversorgung derjenigen Mitarbeiter, die unter dem Prinzip der gelenkten Niederlassungsfreiheit, wie Herr Kollege Platner sagte, nicht mehr zur Selbständigkeit gelangen können.
Wir können dem Platner-Entwurf in fast allen seinen Bestimmungen zustimmen, haben aber gerade aus der Erfahrung des bayerischen Apothekengesetzes gegen die jetzt vorliegende Fassung des Entwurfs Platner gewisse Bedenken. Wir müssen dafür sorgen, daß die Apotheken nicht einfach als ein Gewerbebetrieb wie jeder andere gewertet wird. Der Staat hat die Pflicht, der Apotheke ganz besondere Aufgaben zuzuweisen, muß von den Apothekern die Erfüllung bestimmter Verpflichtungen verlangen und kann infolgedessen auch diesem Instrument der Gesundheitsfürsorge, nämlich der Apotheke, einen gewissen Schutz vor hemmungslosem Wettbewerb angedeihen lassen.
Der § 3 des Platner-Entwurfs bannt die Gefahr einer schrankenlosen Niederlassungsfreiheit meines Erachtens nicht. Hier würde einem Regierungsbeamten eine Verpflichtung ,auferlegt, unter Umständen unter ungenügender Begründung die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke zu versagen. Der Beamte hätte dann die Aufgabe, nachzuweisen, daß die neu zu errichtende Apotheke eine geordnete Arzneiversorgung auf die Dauer nicht durch-


(Geiger [München])

führen kann. Kann man z. B. von einem verantwortungsbewußten Ministerialrat verlangen, eine solche Entscheidung zu fällen, wenn er immer das Gefühl haben muß, später für die Versagung der Entscheidung zur Rechenschaft, unter Umständen vielleicht sogar zum Schadensersatz herangezogen zu werden? Man kann eine solche Entscheidung meines Erachtens nicht verlangen. Der Ministerialrat wird also die Versagung nicht aussprechen, es werden Apothekenbetriebe an den Brennpunkten der Städte ,entstehen, ein vielleicht hemmungsloser Konkurrenzkampf wird sich entfalten, kurzum, die deutsche Apotheke als ein vom Staat beaufsichtigtes Instrument der Gesundheitsfürsorge wird voraussichtlich schwer leiden. Wir können dem Entwurf Platner infolgedessen nur dann unsere Zustimmung geben, wenn die Gefahren, die ich aufgezeichnet habe, durch den Einbau von entsprechenden regulierenden Bestimmungen ausgeräumt sind.
Der Regierungsentwurf verrät sicherlich eine fleißige Arbeit. Er würde bestimmt, wenn er vor 50 Jahren im Reichstag vorgelegt worden wäre, von einem Teil der Apotheker wie von den Reichstagsabgeordneten als ein großer Fortschritt bezeichnet worden sein. Einen solchen Regierungsentwurf im Jahre 1954 vorzulegen, scheint mir allerdings eine Art Anachronismus zu sein, ein Zurückschrauben einer Entwicklung, die sich in unserem gesamten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Leben vollzogen hat, ein Pochen auf die autoritäre Macht des Staates, ein staatlicher Dirigismus. Kurzum, dieser Regierungsentwurf ist für uns in der vorliegenden Fassung nicht diskutabel. Er ist schon einen Teil des parlamentarischen Weges gegangen und kann vielleicht als Grundlage für die Beratung der Ausschüsse dienen. Dann müssen aber diejenigen Paragraphen eine grundlegende Umgestaltung erfahren, die der jetzigen Zeit nicht mehr angepaßt sind. Es müssen einige ,Grundforderungen berücksichtigt werden, die — ich spreche aus der Erfahrung des bayerischen Apothekengesetzes — ich im folgenden feststellen möchte.
Erstens. Das Prinzip der sogenannten Personalkonzession erscheint mir als ein Übergang zur Staatsapotheke, als ein Instrument, das, weil es dem Prinzip der Verstaatlichung nahekommt, in vollem Umfange abzulehnen ist. Eine Personalkonzession bedingt eine negative Auswahl der Personen, die als Apothekenleiter in Betracht kommen. Das Dienstalter, das Berechtigungsalter allein schafft keine Kämpfer und richtigen Vertreter für ihren Beruf; im Gegenteil, der ganze Stand bleibt bei diesem System in der Entwicklung zurück.
Zweitens. Die Vererblichkeit und Veräußerlichkeit der Apotheke scheint mir der richtige Grundsatz zu sein. Wer eine Apotheke errichtet hat, gleichgültig ob sie aus eigener Initiative oder deshalb errichtet worden ist, weil die Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen an einem bestimmten Ort die Errichtung einer weiteren Apotheke für richtig und notwendig hält, soll auch im Genuß des Besitzes bleiben, damit er weiß, daß seine Investitionen ihm und seiner Familie nicht verlorengehen. Er soll die Apotheke vererben und, wenn er will, an einen qualifizierten Apotheker veräußern und auf diese Weise die Früchte seiner eigenen Arbeit sicherstellen können.
Dritter Punkt. Die mitarbeitenden Apotheker müssen in irgendeiner Form, wenn sie nicht alle zur 'Selbständigkeit gelangen können, vor den Sorgen des Alters und der Invalidität geschützt werden, und zwar über das Maß der Angestelltenversicherung hinaus. Die Apotheker müßten von sich aus die Mittel aufbringen, um ein solches Versorgungswerk auf gesetzlicher oder tariflicher Basis ins Leben zu rufen.
Viertens eine letzte Forderung, die ich nun als bayerischer Bundestagsabgeordneter erhebe. Sie erscheint mir als unabdingbar. Durch das bayerische Apothekengesetz vom Jahre 1952 ist nämlich in Bayern der Einheitstyp der veräußerlichen und vererblichen Apotheke, gleichgültig ob die Apotheke in der ursprünglichen Rechtsform ein Privileg, also ein bayerisches Realrecht, oder eine Personalkonzession oder eine sogenannte Lizenzapotheke auf Grund der Niederlassungsfreiheit war, geschaffen worden. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, daß die in Bayern befindlichen Apotheken von dem früheren Rechtsstatus abhängig und entweder auf Realrecht beruhen bleiben oder in den früheren Status der Personalkonzession zurückgeführt werden. Meine Damen und Herren, hier werden Grundrechte und Grundsätze berührt. Die CSU spricht sich dafür aus, daß in Bayern, überhaupt in der gesamten amerikanischen Besatzungszone, der Status quo, also für die dort bis jetzt bestehenden Apotheken das Recht der Vererblichkeit und Veräußerlichkeit, erhalten bleibt.
Wenn diese vier ,Grundsätze in den Regierungsentwurf eingearbeitet werden, mag auch dieser trotz aller Bedenken gegen die ganze Konzeption, die sich im Regierungsentwurf ausdrückt, unsere Billigung finden.

(Beifall bei der CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207707400
Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.

Artur Stegner (FDP):
Rede ID: ID0207707500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zur Frage der Betriebsrechte in dieser vorgerückten Stunde nicht Stellung nehmen; denn das Problem lösen wir heute abend doch nicht mehr. Es wird Aufgabe des Rechtsausschusses sein, sich damit zu befassen. Ich wollte lediglich die Ausführungen des Herrn Kollegen Platner, denen ich vollinhaltlich zustimme, in einem Punkte ergänzen.
Frau Kollegin Dr. Steinbiß hat vorhin den Eindruck erweckt, daß es im Grunde zwei Gruppen von Apothekern gebe, die Apothekenbesitzer und die angestellten Apotheker. Das ist zwar in der Praxis so geworden, weil heute unter den angestellten Apothekern eine große Zahl ist, die keine Aussicht mehr auf einen Apothekenbesitz hat. Aber wir dürfen ohne weiteres davon ausgehen, daß jeder, der sich der Pharmazie gewidmet hat, das Berufsziel der Selbständigkeit, die eigene Apotheke, im Auge hatte. Da bietet der § 15 des Platner-Entwurfs einen guten Anhaltspunkt, in dieser Richtung etwas zu tun.
Wenn Sie einmal das Apothekerjahrbuch 1955 über die Schichtung der Apotheker zu Rate ziehen, werden Sie finden, daß einer Zahl von über 6000 — annähernd 6300 — Apothekenbesitzern an approbierten Mitarbeitern, Kandidaten, erwerbslosen älteren angestellten Apothekern und Industrieapothekern mehr als 7000 gegenüberstehen. Studenten kommen mit 2700 hinzu. Sie sehen also, daß ein großer Teil der Apotheker, die nicht Apothekenbesitzer sind, große Schwierigkeiten haben wird, jemals eine Apotheke zu erlangen.


(Stegner)

Besonders schwierig ist die soziale Lage der älteren Apotheker. Sie kennen alle die Problematik der älteren Angestellten. Ich gebe zu, daß es der Bundesanstalt gelungen ist, ihre Zahl um ein Drittel zu vermindern. Bei den angestellten Apothekern trifft das nicht zu. Die Zahl der erwerbslosen älteren Apotheker ist zwar gering, aber sie ist im Wachsen begriffen. Hier sollte man den § 15 des Platner-Entwurfs im Ausschuß beachten. Platner fordert in seinem Entwurf, daß eine Alters-und Hinterbliebenenversorgung auf gesetzlicher Grundlage für die nicht zur Selbständigkeit gelangten Apotheker vorgesehen wird. Es wäre nun sehr einfach, diese gesetzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung auf die Apothekenbesitzer auszudehnen. Dann würde eine größere Anzahl Apothekenbesitzer auf ihre Konzession rechtzeitig verzichten und damit angestellten Apothekern den Platz frei machen. Sie müssen doch einmal, wirtschaftlich gesehen, davon ausgehen, daß die meisten Altapothekenbesitzer bei der Währungsreform ihr erspartes Kapital sehr weitgehend verloren haben. Was in der Zwischenzeit erworben wurde, mußte weitgehend zur Modernisierung der Apotheken benutzt werden. Sie werden die meisten deutschen Apotheken in einem sehr modernen und guten Zustand finden. Das konnte natürlich nur aus Mitteln geschaffen werden, die der Apotheker im wesentlichen aus seinem Betrieb herausgewirtschaftet hat. Wir haben eine größere Anzahl Apothekenbesitzer über 70 Jahre, die gerne ihre Konzession in jüngere Hände legen würden, wenn sie nur die Garantie einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung hätten.
Es kommt noch ein Zweites hinzu. Wenn man die Apothekenbesitzer in die Hinterbliebenenversorgung einbezöge, könnte man die Hinterbliebenenversicherung durch ein an den Umsatz gekoppeltes Prämiensystem versicherungsmathematisch sehr viel schneller ausbauen. Ich glaube, die Ausschüsse sollten diesem Punkt eine wesentliche Beachtung schenken. Ich bin der Meinung, daß auf diesem Weg vielen angestellten Apothekern eher zu einer Apotheke verholfen werden kann als durch Veränderung der Betriebsrechte und schrankenlose Neuzulassung. Der Platner-Entwurf will ja ebenfalls keine schrankenlose Neuzulassung.
Das war alles, was ich den Ausschüssen für die Beratung als Unterlage mitgeben wollte. Auch ich würde es für richtig halten, wenn der Rechtsausschuß bei der Beratung der sehr komplizierten Rechtslage, die ja eine jahrhundertealte Geschichte hat, eine entscheidende Rolle spielte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207707600
Das Wort hat der Abgeordnete Becker (Hamburg).

Fritz Becker (DP):
Rede ID: ID0207707700
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat zu Anfang seiner Begründung des Entwurfs der Regierung ausgeführt, es komme entscheidend darauf an, den Ruf der deutschen Apotheke, wie er sich in den Jahrhunderten entwickelt habe, zu erhalten. Genau das ist das Anliegen auch der Fraktion der Deutschen Partei. Aber man muß doch einmal fragen: Was hat denn eigentlich zu diesem Ruf der deutschen Apotheke beigetragen? Oder anders ausgedrückt — erst seit 60 Jahren gibt es das System der Personalkonzession! —: Sind es nicht die schon seit Jahrhunderten vererbbaren und übertragbaren Apotheken gewesen, die den Ruf der deutschen Apotheke begründet haben, und hat sich dieser Ruf
der deutschen Apotheke in den letzten Jahrzehnten nicht trotz ¡der Personalkonzession erhalten? Die Apotheker, die mit einer Personalkonzession betraut worden sind, haben leider, weil sie rechtlich gebunden waren, zu diesem Ruf der deutschen Apotheke nicht das beitragen können, was sie hätten tun können, wenn wir dieses System der Personalkonzession gar nicht erst gehabt hätten. Darum scheint es mir — es sind hier schon harte Worte gegen den Regierungsentwurf gefallen — einfach unverständlich, daß die Regierung jetzt, da nach jahrzehntelangem Ringen, nachdem sowohl die Öffentlichkeit wie die Apothekerschaft sich um ein einheitliches Apothekenrecht bemüht haben, endlich die Gelegenheit gegeben warden ist, ein solches Recht zu schaffen, rein Apothekengesetz vorlegt, das zwar regional gesehen im ganzen Bundesgebiet einheitliches Recht schaffen soll, das in seiner Substanzaber ein gespaltenes Recht ist.
Der Herr Bundesinnenminister hat im weiteren Verlauf seiner Begründung ausgeführt, mit dem Prinzip des geschützten Wettbewerbs sei es nicht vereinbar, daß sämtliche Betriebsrechte vererbbar und verkäuflich seien. Dazu muß ich den Herrn Bundesinnenminister doch fragen: Ist denn mit dem Prinzip des sogenannten geschützten Wettbewerbs etwa vereinbar, daß ein Teil der Apotheken vererbbar und verkäuflich ist und der andere Teil der Apotheken nicht? Die Regelung, die der Regierungsentwurf vorsieht, ist doch noch viel weniger mit dem sogenannten Prinzip des geschützten Wettbewerbs vereinbar.
Der Herr Bundesinnenminister hat weiter gesagt, die allgemeine Veräußerung der Betriebsrechte der Apotheken würde das Wesen der Apotheken verändern. Ich möchte gerade im Gegenteil sagen: wenn erreicht werden könnte, daß die Betriebsrechte der Apotheken allgemein veräußerlich, vererbbar oder auf den gewünschten Nachfolger übertragbar sind, dann wäre das eigentliche Wesen der Apotheken wiederhergestellt.
Sehr verehrte Frau Dr. Steinbiß, Sie haben mit Recht gesagt, die Apotheken hätten in erster Linie Bedeutung für die Erhaltung der Gesundheit. Aber man muß doch einmal fragen: Wodurch ist denn eigentlich die wirtschaftliche Problematik in diese Sache hineingetragen worden? Der Grund ist doch einfach der, daß diese Apotheken nach verschiedenen Rechten geführt werden. Daraus hat sich eben ein verschiedener ökonomischer Wert für die einzelnen Apothekenbetriebsrechte entwickelt, der gar nicht in der Leistung des einzelnen Apothekers begründet ist, sondern in der verschiedenen Rechtslage.
Die Fraktion der Deutschen Partei hält einmütig das Prinzip der gelenkten Niederlassungsfreiheit für das richtige. Wir halten es auch für richtig, daß der Platner-Entwurf zur Grundlage der Beratungen gemacht wird. Im wesentlichen ist an dem Platner-Entwurf, der auch meine Unterschrift trägt, bisher nur der § 3 Abs. b kritisiert worden. Mein Herr Vorredner, der Kollege Stegner, hat schon ausgeführt, daß es an sich nicht die Absicht und der Sinn auch des Entwurfs Platners gewesen ist, eine schrankenlose Niederlassungsfreiheit einzuführen. Dieser § 3 Abs. b soll gerade der schrankenlosen Niederlassungsfreiheit entgegenstehen. Sollten diese Bestimmungen nicht ausreichen, wie jetzt von verschiedenen Seiten dargelegt worden ist, dann ist es gar kein Problem, dafür zu sorgen, daß dieser § 3 Abs. b eine stärkere Kontur und Be-


(Becker [Hamburg])

grenzung erfährt. Selbstverständlich ist es auch möglich, durch einige wenige zusätzliche Sätze festzulegen, daß im Durchschnitt auf 7000 Bewohner eine Apotheke zuzulassen ist, oder ähnliche Bestimmungen zu treffen, wodurch dann die eventuell die Erlaubnis versagende Behörde von vornherein in die Lage versetzt wird, die richtige Entscheidung zu fällen.
Im übrigen aber glaube ich, daß der Entwurf Drucksache 1083 eine viel klarere und bessere Grundlage für die Beratungen abgibt als der sehr umständliche, gespaltenes Recht schaffende Entwurf der Bundesregierung, Drucksache 1233.
Ich will zum Schluß kommen. Die verschiedenen Ausführungen, die hier gemacht worden sind, die Begründung des Herrn Bundesinnenministers, die Begründung, die Herr Platner seinem Entwurf gegeben hat, und auch die Ausführungen verschiedener anderer Kollegen haben es deutlich gemacht, daß die eigentliche Problematik eine Rechtsproblematik Darum halte ich es für meine Person für richtig, daß diese Gesetzentwürfe dem Rechtsausschuß als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß und dem ,Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens überwiesen werden.

(Beifall.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207707800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.

Dr. Willy Reichstein (GB/BHE):
Rede ID: ID0207707900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir halten eine bundeseinheitliche Ordnung im Apothekenwesen für erforderlich. Die Kompetenz des Bundes ist nach un- serer Auffassung gegeben. Da es sich, wie Sie aus der Debatte schon ersehen haben werden, um eine außerordentlich schwierige Materie handelt, darf es nicht wundern, wenn die vorgelegten Gesetzentwürfe nicht von vornherein ungeteilte Zustimmung finden. Auch der Entwurf der Bundesregierung in seiner derzeitigen Form vermag unser e Zustimmung nicht zu finden. Wir haben dafür insbesondere rechtliche und sozialpolitische Gründe. Nach unserer Auffassung verstößt die Beibehaltung verschiedener Betriebsformen, das Mischsystem, wie es der Regierungsentwurf selbst nennt, gegen den Art. 3 des Grundgesetzes, die Pflicht des Gesetzgebers, Gleiches gleich zu behandeln. Auch die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers können uns von dieser Auffassung nicht abbringen.
Aus denselben Gründen, die insbesondere Herr Kollege Geiger schon erörtert hat, sehen auch wir keine erstrebenswerte Lösung in der besonderen Betonung des Personalkonzessionssystems als der einzigen Betriebsform für neu zu errichtende Apotheken.
Der Begründung der Bundesregierung vollends, die von ihr vorgeschlagene Lösung werde den soziologischen Forderungen unserer Zeit gerecht, können wir gar nicht folgen. Das Nebeneinander verschiedener Betriebsformen von verkäuflichen und unverkäuflichen Apotheken wird nach unserer Auffassung zweifellos zu einer Erhöhung der Kaufsumme führen. Die Personalkonzession, die vielleicht — vielleicht! — eine Ergänzung zu diesem System. eine Abschwächung dieser Übelstände darstellen könnte, ist es schon deshalb nicht, weil, wie die Erfahrung lehrt, das Konzessionsalter bei uns jedenfalls im Durchschnitt bei 60 Jahren liegt. Man kann hier nicht sagen, daran seien die Vertriebenen-Apotheker schuld, sondern es ist eine Tatsache, daß auch in den Ländern, die keine VertriebenenApotheker zu berücksichtigen haben, wie etwa Schweden, das Konzessionsalter von Jahr zu Jahr steigt, weil eben die Zahl derer, die sich um eine Apotheke bemühen, ebenfalls steigt.
Wir haben weiter die Befürchtung, daß der Regierungsentwurf, wenn er in der vorgelegten Form Gesetz würde, nicht dazu beitragen würde, die sehr verschiedene Häufung der Apotheken im Bundesgebiet, wie sie insbesondere durch die in der amerikanischen Zone in früheren Jahren geltende Gewerbefreiheit eingetreten ist, aufzulockern und dadurch die Situation zu verbessern.
Demgegenüber scheint uns der Initiativgesetzentwurf, der von Herrn Kollegen Platner und anderen vorgelegt wird, in Gestalt der einheitlichen Rechtsform, die er schafft, Vorteile zu haben. Er dehnt Rechte, die bisher einem kleinen Teil vorbehalten waren, auf alle aus und verstößt damit nach unserer Auffassung in keiner Weise gegen das im Grundgesetz geschützte Recht auf Eigentum. Wertminderungen, die zweifellos dadurch auftreten, müssen aus Gründen der Billigkeit selbstverständlich durch steuerliche Maßnahmen erfaßt werden. Trotzdem wird auch nach unserer Auffassung der Initiativentwurf von Herrn Platner und anderen noch zu schweren Auseinandersetzungen führen. Auch bei diesem Entwurf werden bei der Beratung große und schwerwiegende Probleme auftreten. Insbesondere werden bei der Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke zu erteilen ist, sehr schwierige Probleme auftauchen: Sollen nur fachliche Gesichtspunkte maßgebend sein? Kann man etwa völlig freie Niederlassung durchführen? Muß man vor einer Erlaubnis die Sicherung der Existenz des einzelnen prüfen? Soll man das Bedürfnis zuvor prüfen? Soll man eine Verhältniszahl — eine Apotheke auf soundso viel tausend der Bevölkerung — einsetzen? Alle diese Fragen werden auch bei der Beratung des Entwurfs Platner eingehend zu untersuchen sein. Insbesondere aber werden die Ausschüsse, die sich mit dieser Materie zu befassen haben, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen haben, ob und welche Grenzen einem Gesetz über das Apothekenwesen durch die Pflicht des Staates zur Erhaltung der Gesundheit gezogen sind.

(Beifall beim GB/BHE und rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207708000
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0207708100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte noch um ein paar Minuten Gehör. Ich werde mich bemühen, dem Wunsch des Präsidenten entsprechend mich kurz zu fassen.

(Bravo !-Rufe.)

Der Gesetzentwurf, der von der Regierung vorgelegt worden ist, geht in seiner Begründung davon aus, daß er die Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung sicherstellen will. Wenn dem so wäre, dann müßte man nach meiner Überzeugung ein Arzneimittelgesetz vorlegen, das darüber Verbindliches aussagt. Das ist aber im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf nicht geschehen. Man wird sich also möglicherweise noch einmal darüber unterhalten müssen, wie dieses Problem zu lösen ist.


(Lange [Essen])

Obwohl der Gesetzentwurf von dieser Begründung ausgeht — die Begründung wäre in Ordnung, wenn ein Arzneimittelgesetz da wäre, das den heutigen Voraussetzungen entspräche —, werden in ihm eine Reihe von Rechtsfragen behandelt, ausgehend von den Fragen der Betriebsrechtsform, in der die Apotheken betrieben werden. Ich will mich dazu im Augenblick nicht weiter äußern.
Darüber hinaus wird aber auch, da ja das Apothekenstoppgesetz abläuft, der Versuch unternommen, das ganze Apothekenwesen jetzt bundeseinheitlich neu zu regeln. Damit wirkt der Regierungsentwurf, der sich in seiner Begründung auf die Heilberufe bezieht, auch für alle anderen Heilberufe präjudizierend. Er wirkt ferner im gewerberechtlichen Sinne präjudizierend, so daß wir auch einen ganz wesentlichen Anteil wirtschaftspolitischer Fragen in diesem Gesetzentwurf enthalten sehen.
Die Frage dabei ist, ob es hier, wie der Gesetzentwurf vorsieht, dabei bleiben soll, daß Stadt und Land rechtlich unterschiedlich behandelt werden, daß man möglicherweise den Versuch macht, doppelten Schutz zu schaffen. Bitte, hier wird das Problem der Altersversorgung mit berührt; im Regierungsentwurf nicht in So ausgedehnter Form wie im Platnerschen Entwurf. Wir müssen uns dann fragen: Welche Möglichkeiten sind im Zusammenhang mit einer Alterssicherung für das Selbständigwerden von Nachwuchskräften gegeben? Diese Fragen tauchen auf.
Aus all diesen Erwägungen heraus, die sich aus den Fragen der Betriebsrechtsform, den gewerberechtlichen Fragen, dann im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge und auf den Zusammenhang mit der Alterssicherung ergeben, glauben wir — ich betone das noch einmal —, ein starkes Interesse auch wirtschaftspolitischer Art an diesem Gesetz haben zu sollen. Es ist in seiner gegenwärtigen Form kein ausschließlich gesundheitspolitisches Gesetz. Das Gesundheitspolitische soll und muß natürlich aber auch im Zusammenhang mit dem noch nicht vorhandenen Arzneimittelgesetz im Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens geprüft werden; das ist gar keine Frage. Und dann stellt sich für uns die Frage: Will man die Arzneimittelversorgung — ich will nicht fragen, ob sie heute ausreichend oder unzulänglich ist; ich will das nicht untersuchen, wenn ich an das Angebot denke— staatlich lenken, oder wie will man die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen? Und dann sind wir wieder in der Problematik, die ich eben angedeutet habe.
Mehr möchte ich heute zu diesem ganzen Problem nicht sagen. Es wird die Aufgabe der Ausschüsse sein, es eingehend zu erörtern. Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die heute geführte Kartelldebatte verweisen, weil darin einige Gesichtspunkte stecken, die uns auch hier berühren. Wir müssen uns in den Ausschüssen — gleichgültig, weiche Ausschüsse federführend oder mitberatend beteiligt werden — diese Probleme mit allem Ernst vornehmen und sie mit allem Nachdruck und aller Entschiedenheit zu einer Lösung führen, durch ,die wir uns nicht irgendwelche Hindernisse der künftigen Gestaltung des Gewerberechts, des Berufsausübungsrechts aufbauen — das Berufswahlrecht wird ja nicht betroffen; Grundgesetz Art. 12 Abs. 1: Berufswahl frei, nur Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden —, die wir dann nicht übersteigen können. Wir müssen also zu einer Lösung gelangen, durch die nicht gewisse Schwierigkeiten entstehen, weil man sagen könnte: „Bitte, ihr habt ja damals schon solche Lösungen herbeigeführt; jetzt müßt ihr auch uns ähnliche Lösungen zugestehen." Diese Fragen, die von d e r Seite her an uns herankommen, sollten wir mit aller Sorgfalt prüfen.
Deshalb komme ich jetzt noch einmal mit einer anderen Bitte, als sie hier schon vorgetragen worden ist, und ich frage diejenigen, die vorher beantragt haben, den Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß als federführendem Ausschuß zu überweisen, ob sie einer solchen Bitte entsprechen können. Meiner Meinung nach ist es wegen der gewerbepolitischen Konsequenzen, die sich aus diesem Gesetz für andere Dinge ergeben können, notwendig, den Gesetzentwurf dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung dem Gesundheitsausschuß und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.

(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Das ist doch kein Gewerbe!)

— Verzeihung! — Nun, winken Sie doch bitte nicht so ab! Der Herr Bundesminister des Innern, Herr Kollege Weber, hat selber hier mit außerordentlichem Nachdruck vorgetragen, die Apotheke sei ein Gewerbebetrieb, aber besonderer Art, wenn ich richtig gehört habe.

(Abg. Frau Dr. Steinbiß: Natürlich, das ist es! Das ist aber das Entscheidende! — Zuruf des Bundesministers Dr. Schröder.)

— Über die Volksgesundheit wollen wir uns ja auch unterhalten; und wenn wir das als den tragenden Gesichtspunkt ansehen, dann sage ich: Bitte, Arzneimittelgesetz! Und dann wollen wir weiter sehen, wie der Vertrieb nach dem Arzneimittelgesetz erforderlich ist. Das ist ja das Problem, das dann für uns ansteht. Deshalb noch einmal meine Bitte: federführend ,der Wirtschaftspolitische Ausschuß, mitberatend der Gesundheitspolitische Ausschuß und der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207708200
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Peter Horn (CDU):
Rede ID: ID0207708300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zur Sache reden, sondern mich nur mit einigen Worten gegen die Anträge auf Ausschußüberweisung wenden, die sowohl vom Kollegen Platner als auch insbesondere von dem Kollegen der SPD vorgetragen worden sind. Wir müssen von der Tatsache ausgehen, daß das zuständige Ressortministerium das Bundesinnenministerium ist und daß es sich hier primär um eine Frage des Gesundheitswesens handelt. Infolgedessen kann nach unserer Überzeugung der federführende Ausschuß auch nur der Gesundheitsausschuß sein. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß kommt nach meiner Meinung gar nicht in Frage;

(Abg. Hilbert: Sehr richtig!)

denn wir dürfen diese Angelegenheit nicht so behandeln, als ob wir es mit gewerblichen Wirtschaftsunternehmen zu tun hätten. Die Apotheken
sind vielmehr eine Einrichtung ganz besonderer
Art, die mit den üblichen wirtschaftspolitischen


(Horn)

Maßstäben nicht gemessen werden kann. Wenn bei irgendeiner anderen Gelegenheit im wirtschaftspolitischen Raum Fragen auftauchen, die an dieses Problem oder an diese Kategorie rühren, dann kann, wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage ansteht, die dies notwendig macht, selbstverständlich darüber auch in diesem Ausschuß gesprochen werden. Ich möchte aber aus ganz grundsätzlichen Erwägungen davor warnen, hier den Eindruck aufkommen zu lassen, daß wir es mit einer Sache zu tun hätten, die die Wirtschaft, das Wirtschaftsministerium oder die Wirtschaftspolitik federführend angehe.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich möchte deshalb den von meiner Kollegin Frau Dr. Steinbiß gestellten Antrag noch einmal ganz nachdrücklich unterstreichen, und zwar: die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend — vorzunehmen, weil das Ministerium des Innern federführend ist und die Überweisung an einen andern Ausschuß zur Federführung deshalb nach unserer Meinung nicht in Frage kommt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207708400
Herr Abgeordneter Platner!

Eduard Platner (DP):
Rede ID: ID0207708500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinsichtlich der Formulierung des § 3 unseres Entwurfs ist hier einige Kritik laut geworden. Diese hat sich auch in zahlreichen mir zugegangenen Schriften schon geäußert. Ich möchte dazu grundsätzlich folgendes sagen. Ein Initiativgesetzentwurf ist nicht der Weisheit letzter Schluß, und wir können uns bei den Beratungen in den Ausschüssen durchaus über die Modifizierung des § 3 im einzelnen unterhalten, um eine Fassung zu schaffen, die nicht die Gefahr eröffnet, daß, wie man kritisch gesagt hat, die Realisierung unseres Entwurfs letztlich zu einer unbeschränkten Niederlassungsfreiheit führen könnte. So einsichtig sind auch wir. Daß auch im übrigen noch an dieser oder jener anderen Bestimmung Änderungen vorgenommen werden können, ist eine Selbstverständlichkeit; dazu sind auch wir einsichtsvoll genug.
Aber nun lassen Sie mich noch ein Wort bezüglich der Verweisung an die Ausschüsse sagen. Die Rangordnung der für die Ausgestaltung des Apothekengesetzes maßgeblichen Gesichtspunkte geht dahin, daß in der ersten Rangstufe der beherrschende gesundheitspolitische Gesichtspunkt der Sicherung der Arzneiversorgung der Bevölkerung steht. Darüber besteht zwischen beiden Lagern volles Einverständnis. Es kann also über diesen grundlegenden Gesichtspunkt gar keine Debatte mehr geben. Im zweiten Rang folgen dann jedoch die verfassungsrechtlichen und die Rechtsfragen Über diese bestehen ganz erhebliche Divergenzen bei der Behandlung beider Entwürfe, so daß darüber sehr ernsthafte Debatten zu führen sein werden. Gerade weil diese Rechtsfragen aber so beherrschend im Vordergrund stehen, halte ich es für unbedingt geboten, für beide Entwürfe den Rechtsausschuß federführend sein zu lassen. Soweit bei Einzelbestimmungen des Gesetzes berufsinterne Gesichtspunkte eine Rolle spielen sollten, sind diese doch untergeordnet und drittrangig und können dann vom mitberatenden Gesundheitsausschuß ergänzend behandelt werden.
Ich wiederhole deshalb meinen Antrag, die beiden Entwürfe an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Gesundheitswesen und den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207708600
Das Wort hat der Herr Minister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0207708700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zu der Zuständigkeitsfrage und zu der Frage, welche Ausschüsse zweckmäßigerweise befaßt werden. Ich brauche nicht zu versichern, daß mir alle Ausschüsse des Hohen Hauses gleich lieb sind. Ich glaube aber, daß die Zuständigkeiten, die nun einmal in unserer staatlichen Organisation gegeben sind, nicht ohne Not durcheinandergebracht werden sollten, weil die Erfahrung lehrt, daß sich dadurch die Schwierigkeiten der Arbeit nur vermehren. Ich möchte Sie deswegen sehr herzlich bitten, dem Gesundheitsausschuß, der doch für diesen Zweck besonders gebildet ist, auch hier die Federführung zu lassen, und darf daran den Wunsch anknüpfen, daß man im übrigen die Zahl der mitbeteiligten- Ausschüsse möglichst gering hält.

(Beifall in der Mitte und rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207708800
Das Wort hat der Abgeordnete Samwer.

Adolf Franz Samwer (CDU):
Rede ID: ID0207708900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist der Vorschlag gemacht worden, auch den Wirtschaftspolitischen Ausschuß miteinzuschalten. Nachdem wir doch die soziale Marktwirtschaft und die freie Marktwirtschaft haben und die Frage einmal geklärt werden muß, wie weit heute wirklich noch die Apotheken eine ganz besondere Stellung haben müßten, halte ich es für dringend notwendig, wenn wir es mit der Marktwirtschaft wirklich ernst meinen, den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zumindest als mitberatenden Ausschuß einzusetzen.

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207709000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0207709100
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß noch ein Wort zu den Ausführungen meines Kollegen Platner sagen. Die Argumentation im ersten Teil war durchaus richtig, aber sie trifft, glaube ich, auf jedes Gesetz zu. Deswegen wäre es falsch, wenn wir damit begännen, für jedes Gesetz den Rechtsausschuß als federführend zu bestimmen. Ich halte es für sehr gut und notwendig und würde es begrüßen, wenn wir dahin kämen, praktisch jedes Gesetz einmal durch die Schleuse des Rechtsausschusses zu leiten. Damit könnte viel an Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten erspart werden. Aber hier ist doch wirklich eine echte Zuständigkeit gegeben; denn wenn ein Gesetz wie das Apothekengesetz überhaupt irgendwo ressortiert, dann beim Gesundheitsausschuß und beim Innenministerium, und das ist ressortmäßig nicht idas Pendant zum Rechtsausschuß, sondern zum Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens. Deshalb ist es wirklich sinnvoll und vernünftig, wenn wir an den Gesundheitsausschuß überweisen und den Rechtsausschuß mitwirken lassen. Damit wird allen Bedenken und allen Notwendigkeiten Rechnung getragen, ich glaube, auch denen des Kollegen Samwer.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0207709200
Meine Damen und Hehren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 5.
Ich komme zur Abstimmung. Es liegt ein Antrag Platner vor, der Unterzeichner des einen Gesetzentwurfs isst. Deshalb Hasse ich über diesen Antrag zuerst abstimmen: federführend der Rechtsausschuß? Es wird sich ja nach meiner Auffassung bloß um die Frage handeln: ist der Rechtsausschuß oder der Gesundheitsausschuß federführend? Ich komme also nicht zu dem Gesamtantrag Platner, sondern nur zu dem Antrag, dem Rechtsausschuß die Federführung zu übertragen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Darf ich daraus schließen, daß sich das Haus damit gleichzeitig dafür ausgesprochen hat, den Gesundheitsausschuß federführend sein zu lassen?

(Zustimmung in der Mitte. Widerspruch bei der SPD.)

- Gut, dann komme ich zur Abstimmung. Wer der Meinung ist, daß der Gesundheitsausschuß federführend sein soll, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Stimmt das Haus dem Antrag zu, den Rechtsausschuß mitberatend zu beteiligen? - Erhebt sich kein Widerspruch?

(Abg. Samwer: Und den Wirtschaftsausschuß!)

- Ja, langsam, ich kann nur nacheinander abstimmen lassen. - Ich höre keinen Widerspruch; also mitberatend der Rechtsausschuß.
Ich stelle den weiteren Antrag zur Abstimmung, daß auch der Wirtschaftsausschuß mitberatend
tätig sein möge. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?

(Abg. Raestrup: Hammelsprung! Heiterkeit.)

- Meine Damen und Herren, es tut mir außerordentlich leid, das Präsidium ist sich nicht einig; wir müssen auszählen.

(Die Abgeordneten verlassen den Saal.)

Ich bitte, etwas beschleunigt den Saal zu verlassen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.

(Wiedereintritt und Zählung.)

Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 124, mit Nein 109;

(Heiterkeit)

2 haben sich enthalten. Das sind zusammen 235. Das Haus ist nicht mehr beschlußfähig.

(Große Heiterkeit.)

Ich hebe die Sitzung auf, und bevor ich die nächste einberufe, wünsche ich den Damen und Herren des Hauses gutes Osterfest und gute Erholung.
Ich berufe die nächste, die 78. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. April 1955, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.