Rede von
Walter
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte auch noch sagen: Liebe Kartellgegner und weniger geschätzte Kartellfreunde, die ja hier im Saale sitzen. Die Neutralisten scheinen draußen zu sein, und ich stelle fest: das ist schon seit heute morgen die Mehrzahl in diesem Streit.
Wir stehen vor einer etwas schwierigen Situation, vor einer Anzahl von Kartellgesetzentwürfen und Änderungsanträgen, die uns hier vorgelegt worden sind. Insgesamt sind es fünf oder sogar sechs verschiedene Versionen, die uns vorliegen: der alte Regierungsentwurf, die Änderungsanträge des Wirtschaftsausschusses, die des Bundesrates, dann der Entwurf des Kollegen Höcherl, der Entwurf des Kollegen Böhm und im Hintergrund, uns nicht vorliegend, aber doch hier mehrfach, auch durch die Anfrage der SPD-Fraktion, an die Wand gezaubert, die Abmachungen mit dem BDI. Ich persönlich muß gestehen: ich habe so das 'Gefühl, als
ob von den Einreichern dieser Entwürfe recht wenige mit schrecklicher Leidenschaft ihren eigenen durchbringen möchten. Fast alle scheinen auch mit einer anderen Lösung zufrieden zu sein.
Es ist hier schon vorn Grundsatz her das Problem der Wettbewerbswirtschaft angesprochen worden. Es haben, glaube ich, noch nicht alle Professoren dieses Hauses gesprochen. Ich weiß auch nicht, ob sie sich alle an dieser Diskussion beteiligen wollen. Ich stelle zu meiner Beruhigung fest, daß Professor Böhm im Augenblick nicht im Hause ist. Das wird mich der Sorge entheben, mit ihm in eine gewisse Verstimmung zu geraten, die zweifellos entstehen würde, wenn er das hörte, was ich jetzt zu sagen habe.
Meine Damen und Herren, Eucken, der ja doch der Erfinder all dieser Gedanken ist — Erfinder ist zuviel gesagt; aber auf seinen Gedankengängen beruht ja immerhin die Grundsatzdiskussion —, hat nicht behauptet, daß es die reine Form der Marktwirtschaft geben könne. Er hat selber gesagt: Die Wirtschaftsordnung, wie sie sich in der Praxis zeigt, kann nur immer eine Verschmelzung der beiden Extreme, nämlich einer Verkehrswirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft, sein, wobei der Beimischungsgrad je nach Lage unterschiedlich ist. Wir haben einen hohen Beimischungsgrad der Verkehrswirtschaft in unserer praktischen Wirtschaftspolitik. Es ist also unbestritten, daß die Wettbewerbswirtschaft in der chemisch reinen Form nicht besteht und nicht bestehen kann. Daher nennen wir unsere Wirtschaftsordnung ja
Marktwirtschaft, weil wirr mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik eine gesellschaftsformende Aufgabe erfüllen wollen. Die Grundlage. einer reinen Wettbewerbswirtschaft ist aber doch der Leistungswettbewerb, der hier so oft beschworen worden ist, von dem wir aber wissen, daß er in der Praxis durchaus nicht regelmäßig auftritt, daß er sogar selten auftritt. Nur 25 % aller gewerblichen und wirtschaftlichen Tätigkeit unterliegen überhaupt dem beabsichtigten Kartellgesetz, der ganze Rest ist ohnehin nicht drin.
— Diese Zahlen sind hier in der Diskussion mehrfach genannt worden, unbestritten genannt worden. Ich dachte, Sie seien damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Anzahl von Möglichkeiten der wirtschaftlichen Betätigung, sogar gegen den reinen Leistungswettbewerb oder gegen den Marktmechanismus anzugehen. Wenn ich z. B. an die Wirkung einer Werbung denke, — das ist doch nichts anderes als der Versuch eines Produzenten, den Mechanismus des Marktes ge- rade umzukehren, sich nicht von dort her seinen Preis diktieren zu lassen, sondern sich durch seine massive Werbung selber in die Lage zu versetzen, den Preis zu bestimmen. Ich habe auch nicht ge- hört, ,daß der Herr Wirtschaftsminister bisher etwas gegen die Werbung gesagt hätte. Oder: große Teile des Arbeitsmarktes sind ohnehin unbestritten aus dem Marktmechanismus herausgenommen. Niemand von uns würde so töricht sein, die Kartellbildungen auf dem Arbeitsmarkt anzugreifen. Auch der Staat und das Parlament selber wirken ja aus gutem Grund des öftern sogar gegen die Gesetze einer reinen Marktwirtschaft durch Interventionen, die wir bejahen. Ich denke beispielsweise an einen Fall, der hier vor einiger Zeit eine
Rolle gespielt hat: die Erhaltung der Arbeitsplätze in dem Werk Sontra, einem Bundesbetrieb. Wenn wir aber echt marktwirtschaftlich handeln wollten, dann dürfte das alles nicht geschehen, sondern dann müßte man so etwas aus dem Wettbewerb ausscheiden. Wir tun genau das Gegenteil, und alles das doch nicht mit schlechten Absichten.
Die Tatsache, daß ein Kartell der Volkswirtschaft schaden, aber auch nutzen kann, hat auch diese Debatte, wie sie bisher abgelaufen ist, nur unterstrichen. Das heißt aber doch, daß ein Kartell zunächst einmal und an sich neutral ist. Wenn wir den Schaden nun so rigoros verbieten, verbieten wir natürlich gleichzeitig auch den Nutzen. Das ist eine augenscheinlich vorsichtige, sichere, aber in der Tat kurzsichtige Methode; denn das würde heißen, daß wir meinetwegen Streichhölzer verbieten müßten, weil sie sich ja in der Tasche eines Brandstifters befinden könnten.
Die Unterschätzung des Nutzens, den gewisse Formen von Kartellen für die Volkswirtschaft und für :den Konsumenten bringen, ist, glaube ich, in der Regierungsvorlage und auch in der Vorlage von Professor Böhm zu sehen.
Die These von der Harmonie der vollkommenen Konkurrenz hat als gedankliches Modell durchaus ihre Bedeutung, und wir bemühen uns ja in unserer Wirtschaftspolitik fortgesetzt, uns diesem nützlichen Modell anzugleichen, weil seine Richtigkeit im Grundsatz von niemandem bestritten wird. Der wünschenswerte Automatismus, bei dem Anbieter und Nachfrager wie Seismographen auf Preisschwankungen reagieren, setzt aber neben der Markttransparenz eine Elastizität auf beiden Seiten, auch beim Angebot, voraus, die sicher in I verschiedenen Bereichen vorhanden ist und in größerem Maße früher einmal vorhanden war. Unsere moderne Wirtschaft, vor allem unsere moderne Industrie — um bei der Angebotsseite zu bleiben — ist alles andere als elastisch. Die hohen investierten Kapitalien, Zinsen, Amortisationen gestatten es einem Betriebe heute nicht mehr in allen Fällen, die Produktion bei verminderter Nachfrage einzuschränken; auch kann sich ein solcher Betrieb nun nicht etwa von Damenstrümpfen auf schlauchlose Autoreifen umstellen. Er will vielmehr unter allen Umständen seinen Umsatz erhalten und wird in völlig markt-gegenläufigem Verhalten nicht etwa seine Produktion einschränken, sondern wird versuchen, seine Konkurrenten im Preis zu unterbieten. Auf der anderen Seite können die Käufer nun auch noch mit der Nachfrage zurückhalten, was nicht :den Gesetzen des Marktes entspricht, sondern weil sie annehmen — es gibt viele psychologische Gründe dafür —, daß sinkende Preise noch weiter fallen.
Solche Zeiten erfordern es auch im Interesse des Konsumenten, daß einem ruinösen Wettbewerb, der sich da ergeben könnte, Einhalt geboten wird durch eine Absprache, ,die sich nicht gegen den Konsumenten zu wenden braucht. Aber diese Absprache muß dann schnell geschehen, sonst hat sie ihre Wirkung vollkommen verfehlt, und darum muß es bei dem Gesetzentwurf gehen.
Ich weiß nicht, warum man hier in unserem Hause von den Kartellen immer nur das Allerschlimmste, das Schrecklichste erwartet, was es
überhaupt geben kann. An sich ist ja jeder Produzent und Händler, auch wenn er einem Kartell angehört, sorgfältig darauf bedacht, seine potentielle Konkurrenz in diesem Stadium zu halten und sie nicht so zu provozieren, daß sie als offene Konkurrenz auftritt. Das bedingt ohnehin schon eine vernünftige Preispolitik.
Die Kartelle können potentielle Konkurrenz, die ja überall drinsteckt, nur dann ausschalten, wenn sie nach außen hin einen starken Zwang, etwa durch Rohstoffsperren und ähnliche Maßnahmen, ausüben. Dann allerdings ist wohl das Verbot am Platze; darüber besteht bei uns gar kein Zweifel.
Es darf eben in unserer Diskussion nicht darum gehen, Kartelle generell zu verbieten, sondern man muß versuchen, die nützlichen von den schädlichen zu unterscheiden, die nützlichen zuzulassen und zu überwachen, die schädlichen allerdings zu verbieten, die nützlichen also in einer zweckmäßigen Form unserer marktwirtschaftlichen Ordnung einzugliedern.
Das ist sicher auch der Gedanke gewesen, der unseren Kollegen Dr. Schöne , der gerade vor mir sitzt, bewogen hat, in der ersten Lesung im 1. Deutschen Bundestag zu sagen — ich zitiere ihn jetzt —:
Aus den obigen Darlegungen zum Wettbewerb, wie wir ihn sehen, ist ersichtlich, daß es uns sehr darauf ankommt, die richtige 'Grenzlinie zwischen zweckmäßigen und unzweckmäßigen Erscheinungen wirtschaftlicher Macht zu ziehen. Aus dieser Konzeption
— so sagte er damals —
bietet sich eine Mißbrauchsgesetzgebung eher an als eine Verbotsgesetzgebung.
Ich will Herrn Dr. Schöne nicht darauf festlegen, sondern ich will ihm durchaus die Freiheit lassen, im letzten Punkt seine Meinung zu ändern. Aber ich glaube, daß wir im ersten Teil —
— Sie wissen, es ist Idas Geheimnis der Zitate, nicht allzuviel zu zitieren!
Herr Dr. Schöne, ich glaube, daß wir im ersten Teil Ihrer Aussage auch heute noch übereinstimmen, daß es nämlich notwendig ist, diese Grenzlinie zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, wir sollten doch einmal gerade hier in einem Parlament naheliegende Vergleiche wählen, um etwas über das Wesen von Kartellen zu erfahren. Sehen wir uns doch einmal hier unter uns selbst um! Was ist das, was wir vor uns sehen, denn anderes, als Zweckvereinigungen verschiedener Schattierungen, 'die man auch Fraktionskartelle nennen könnte! Wenn z. B. bei der SPD der Kollege Menzel — er ist nicht da —
— aha! — bei der namentlichen Abstimmung eine rote Karte hochhebt und 150 Leute wählen mit Nein — das ist ja die normale Form der Wahl —, dann ist das doch nichts anderes als ein Kartell!
Ich will hier weiß Gott nicht die Opposition allein
damit belasten. Ich biete Ihnen an, den Namen
„Dr. Menzel" durch „Dr. Krone" und die Zahl 150 durch die Zahl 250 zu ersetzen; das ist Ihnen ganz überlassen. Natürlich gibt es auch unter uns hier starke potentielle Konkurrenz innerhalb der einzelnen Kartellvereinigungen. Dafür hat ja gerade meine Fraktion in der jüngsten Vergangenheit Beweise genug geboten, wobei diese potentielle Konkurrenz, ganz wie das in der praktischen Wirtschaft ist, vom großen Außenseiter mit leicht monopolistischen Tendenzen — der Herr Bundeskanzler ist nicht da — freundlich ermuntert worden war.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben diese Zweckverbände ja nicht gebildet, um unsere ,;Konsumenten", die Wähler, übers Ohr zu hauen. Nein, ganz im Gegenteil; wir haben sie doch gebildet, um ihnen dadurch besser dienen zu können. Warum wollen Sie das, was wir für uns in Anspruch nehmen, einem Wirtschaftler auf jeden Fall absprechen?
Die Behauptung, 'daß Kartelle auf alle Fälle preissteigernde Wirkungen hätten, ist in dieser generellen Form ja auch nicht aufrechtzuerhalten. Wenn ich mich einmal an dien Korea-Boom und seine Auswirkungen und Begleiterscheinungen erinnere, dann fällt mir doch auf, daß zu jener Zeit unser Wirtschaftsminister Professor Erhard eine Rede gehalten hat, und zwar war es am 6. Februar 1952 vor dem Institut für Auslandsforschung an der Universität in Zürich, in der er sagte — vollkommen berechtigt —:
Mit um so größerer Befriedigung kann ich feststellen, daß bei einem europäischen Vergleich die Schweiz und Deutschland die beiden Länder gewesen sind, die, bildlich gesprochen, am besten über die Runden kamen. Diese beiden Länder haben die geringsten Preissteigerungen aufzuweisen, und das Verhältnis zwischen Löhnen und Preisen hat sich in keinem anderen Land unter einem sozialen Aspekt so wohltätig entwickelt wie gerade bei uns.
Nun, meine Damen und Herren, die Schweiz ist nicht gerade ein Land mit besonders scharfen Kartellverboten, im Gegenteil, sie 'ist ja das Land in Europa, das, auch nach den Aussagen des Bundeswirtschaftsministers, am härtesten kartelliert ist; und es steht in der Preisbewegung ganz unten, wie der Bundeswirtschaftsminister sagt, an letzter Stelle. Und wieso haben wir eigentlich da gestanden? Nun, ich erinnere mich sehr lebhaft, damals an verschiedenen Veranstaltungen von Wirtschaftsverbänden teilgenommen zu haben, bei denen der Bundeswirtschaftsminister als Redner aufgetreten ist. Er hat uns mit Recht und sicherlich zum Nutzen der Konsumenten mit aller Wärme, die er aufbringen konnte, beschworen, trotz der Bewegung auf dem Weltmarkt nur ja mit den Preisen unten zu bleiben. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als der Versuch, ein Kartell zu bilden. Das wäre nach seinem eigenen Gesetzentwurf ja doch zu bestrafen, nicht wahr?
Also unser Bundeswirtschaftsminister ist sicherlich einer der populärsten Kartellgründer der Nachkriegszeit gewesen, aber doch nicht, um den Konsumenten zu schädigen, sondern um die Preise möglichst unten zu halten; und das ist ihm ja Gott sei Dank auch gelungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird des öfteren darauf hingewiesen, daß die Ameri-
kaner so gute Erfahrungen mit ihrer Gesetzgebung gemacht haben. Ich habe es immer sehr dankbar begrüßt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bei jeder Gelegenheit betont hat, daß die amerikanische Gesetzgebung weder für uns ein Vorbild sein kann noch unser eigenes Gesetz von ihr inspiriert ist. Ich habe das sehr dankbar begrüßt, und ich habe auch nie einen Verdacht in dieser Richtung gehabt. Aber wir müssen die Sherman Act doch eingebettet in die übrigen Gesetze der Vereinigten Staaten sehen. Wir dürfen nicht übersehen, daß z. B. das Gesetz der Rule of Reasons in der Rechtsprechung eine große Bedeutung hat. Wir dürfen nicht übersehen, daß es neben der Sherman Act auch eine Patman Act gibt, die preisdiskriminierende Maßnahmen verbietet. Das ist, glaube ich, von entscheidender Bedeutung; ich darf es deswegen hier einmal erwähnen. Sicher sind in den Vereinigten Staaten alle Kartelle verboten. Durch die Patman Act ist es dem Produzenten verboten, seinen Abnehmern unterschiedliche Preise zu machen, d. h. er darf sich nicht selber Konkurrenz machen. In der Praxis — das wird jeder zugeben, der die Märkte beobachtet — wirkt sich das eine genau so aus wie das andere, und deswegen werden Sie, wenn Sie nach den Vereinigten Staaten kommen, feststellen, daß auf den dortigen Märkten die Preise nicht etwa wild auseinanderklaffen, sondern Sie werden immer verwundert sein, daß sich unter einer Verbotsgesetzgebung eine außerordentliche, ich möchte fast sagen, Preisdisziplin für den Konsumenten auf dem amerikanischen Markt ergibt.
Ich nehme an, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn er an einer Esso-Tankstelle 61,3 Pf, an einer Shell-Tankstelle 61,3 Pf und an einer BV-Tankstelle 61,3 Pf bezahlt hat, mit Recht auf den Gedanken gekommen ist, daß sich dieser Preis in schärfstem Wettbewerb ergeben hat. So sieht es allerdings auch auf dem Markt der USA aus, und wir dürfen das nicht unberücksichtigt lassen.
Ich will allerdings auch darüber sprechen, welche soziologischen, welche gesellschaftspolitischen Wirkungen die Antikartell- und -monopolgesetzgebung in den Vereinigten Staaten gehabt hat. Die Monopole hat sie nämlich nicht getroffen. Niemand von uns wird etwa sagen, daß New Jersey Oil —oder was Sie wollen — kein Monopol oder Oligopol mit sehr gefährlichen Tendenzen wäre. Das ist also nie vermieden worden, und mir ist kein größerer Fall eines Rechtsstreites bekannt, wo etwa DuPont oder ein ähnlicher Konzern erheblich auseinandergefiattert wäre, obgleich die Amerikaner doch bei uns bewiesen haben, daß sie das Auseinanderdividieren, das Dekonzentrieren in der Technik recht gut verstehen. Sie haben es in ihrem eigenen Lande nur niemals angewandt. Andererseits ist doch nicht zu verkennen, daß sich unter dieser Gesetzgebung eine außerordentliche Konzentration vollzogen hat und darüber hinaus. was man meist, wenn man von small business spricht, übersieht. daß das small business in der Zahl allerdings noch besteht oder noch größer geworden ist, daß es sich aber vom Konsumentenmarkt entfernt hat: es konkurriert nicht mehr in der Härte des Marktwettbewerbs — das sind meist Oligopolisten, die konkurrieren -, sondern das small business ist zum abhängigen Zulieferer geworden, etwa wie heute der Hersteller von Wagenhebern ein verhältnismäßig abhängiger Zulieferer einer Automobilfabrik geworden ist. Ich bin davon überzeugt, daß Henry Ford — dies sei einmal eingestreut —, der sich außerordentlich für die Antikartellgesetzgebung eingesetzt hat, das mit gutem Grund getan hat. Ihm wäre es unangenehm, wenn sich etwa die Wagenheberproduzenten zu einem Kartell zusammenschließen wollten, und das möchte er vermeiden. Ihn trifft das Anti-Trust-Gesetz nicht.
Ich darf hier noch einen Gedanken erwähnen, der im Zusammenhang mit der Diskussion in der Presse erörtert worden ist: Kartellgesetz und Grundgesetz. Es liegt ja ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Zusammenhang mit der Investitionshilfe vor, das sehr gut sagt, wie die Dinge liegen. „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialform" — so sagt das Bundesverfassungsgericht —„ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche". Damit — so glaube ich — ist mit Recht herausgestellt, daß das Grundgesetz als solches keine technische Wirtschaftsform vorschreibt. Nun scheinen aber die Mitglieder unseres Hauses, die sich für eine generelle Verbotsgesetzgebung einsetzen, schlicht und einfach von der Voraussetzung auszugehen, daß diese ihre Meinung die Wirtschaftsdoktrin unseres Grundgesetzes wäre.
— Ich sprach von einer Pressepolemik. In der Presse ist das so erschienen.
— Ich sage also nicht: „die Mitglieder", sondern ich sage: „einige", und wenn einige sich dagegen wehren sollten, nehme ich das auch noch zurück und beschränke es auf die Pressepolemik. Ich will niemandem zu nahe treten. Weiß Gott, die Mitglieder dieses Hauses, die also sehr kräftige Verbotsgesetzgeber sind, sind mir lieb und wert. Das ist ganz klar. Ich nehme ja nicht in Anspruch, daß meine Auffassung die allein seligmachende ist, auf gar keinen Fall; ich lasse mich sogar in den Beratungen im Ausschuß belehren, wenn das mit den nötigen Beweismitteln getan wird. Meine Meinung liegt noch nicht einmal fest. Ich komme nachher noch darauf. Nur will ich sagen: da das Grundgesetz von einer wirtschaftstheoretischen Entscheidung doch abgesehen hat, ist damit auch die Behandlung der Kartellfrage unter wirtschaftstheoretischen Aspekten ausgeschlossen. Nach dem Grundgesetz ist lediglich zu prüfen — das steht allerdings drin —, ob Kartelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen und ob diese Gefahr konkret genug ist, um das Einschalten des Gesetzgebers zu rechtfertigen. Und dieser Beweis dürfte in solcher Allgemeingültigkeit — will ich einmal sagen — kaum zu erbringen sein. Eine starre — ich betone ausdrücklich: starre — Verbotsgesetzgebung kann daher als Folgerung aus dem Grundgesetz auf jeden Fall nicht in Betracht kommen.
Es ist über die Frage der Beweislast — wir kommen jetzt schon in die Technik hinein — auch hier und in der Öffentlichkeit sehr viel gesprochen und geschrieben worden. Wenn sich z. B. Herr Dr. Ilau
— ein alter Bekannter von mir, sogar ein Freund; ich bin ihm nie böse, wenn er anderer Auffassung ist —, in der FAZ über mangelnde Klärung der Mißbrauchsfragen beschwert, so tut er das gewiß in der Anwendung des Satzes, daß die Beweislast für jede Freiheitsbeschränkung auf seiten dessen
liegt, der behauptet, die Freiheit beschränken zu können.
Er unterstellt also, daß es sich bei Kartellen a priori um Freiheitsbeschränkungen handelt. Nun darf man sich auf der anderen Seite auf die gleiche Prämisse stützen und argumentieren, daß das Kartellverbot eine Freiheitsbeschränkung sei; dann würde die Beweislast bei einem einzurichtenden Kartellamt liegen. Wie kommt es nun zu dieser paradoxen Gegenüberstellung? Nun, die Anhänger der Verbotsgesetzgebung gehen davon aus, daß sich die Harmonie der vollkommenen Konkurrenz verwirklichen läßt, in vollem Umfang verwirklichen läßt und Freiheit und Gerechtigkeit in sich verbürgt. Wenn sich das beweisen läßt — woran ich noch zweifle —, wären Kartelle in der Tat einem Ausnahmerecht zu unterwerfen. Oder: Wenn sich das Grundgesetz gar für eine bestimmte Wirtschaftsdoktrin in der Technik entschieden hätte, könnten Kartelle als solche schon verfassungswidrig sein. Professor Nipperdey unterstellt ja auch, daß sich das Grundgesetz für die neoliberale Wirtschaftstheorie entschieden habe, wenn er von den Rechten, die die Persönlichkeitsfreiheit betreffen, die Wettbewerbsfreiheit als eine der wesentlichen Bestandteile bezeichnet und ihr den Vorrang gegenüber allen anderen Rechten einräumt. Damit nimmt er aber eine Wertung der Wirtschaftsartikel des Grundgesetzes vor, die dem Grundgesetz sicher nicht immanent ist. Die Anhänger dieser Gesetzgebung können nicht für sich in Anspruch nehmen, allein mit dem Kartellverbot die Wettbewerbsfreiheit erhalten zu können. Das ist eine Auffassung, die nicht allgemein geteilt werden kann, sondern sie ist eine subjektive Auffassung.
Nun kommt es mir darauf an, einmal wegzukommen von dieser schrecklichen Alternative: Verbot oder Mißbrauch. Das ist doch gar nicht das Entscheidende, ob man mit dieser oder jener Technik dieses Problem angeht. Ich muß Ihnen gestehen, ich würde mich zu der einen und zu der anderen bekennen, wenn damit das Problem so gelöst wird, wie wir es, glaube ich, zumindest zum größten Teil lösen wollen; das heißt, wahrscheinlich wird es in der Praxis so sein, daß wir für einen großen Teil Verbote aussprechen müssen, für einen anderen Teil, den wir mit Mißbrauchsmethoden bekämpfen müssen, aber nicht. Ich kann doch nicht sagen: Nur das eine oder nur das andere ist allein seligmachend.
Das ist das Anliegen, was ich Ihnen heute als das allerdringendste vortragen möchte: Wegzukommen von dieser unglücklichen Formulierung „Verbot oder Mißbrauch" und sich zu beschränken auf die Untersuchung: Schaden oder Nutzen und dann eine Technik der Gesetzgebung zu finden. Das ist doch die Aufgabe des Wirtschaftspolitischen Ausschusses: nicht mit idem Schaden auch den Nutzen zu verhindern, sondern den Schaden in weitestem Umfang zu verhindern, auch prophylaktisch — dieser Meinung bin ich —, aber auch einen Nutzen, wo er erkennbar ist, zuzulassen. Dazu gehört auch eine gewisse Schnelligkeit in der Schaffung von Absprachen, wie ich das eben schon einmal ausgeführt habe.
Dem Bundeswirtschaftsminister wirft man — meiner Auffassung nach zu Unrecht — häufig vor, er sei auf eine ganz bestimmte Form festgelegt. Ich glaube, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister das durchaus nicht ist. Er hat mehrfach, zuletzt bei der ersten Lesung hier im Bundestag, seiner Auffassung Ausdruck gegeben, daß er genau so beweglich zu denken beabsichtigt, wie wir es wollen. Ich zitiere ihn jetzt noch einmal. Er sagte am 27. Januar 1950 — bei Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht —:
Wir wissen sehr wohl, daß die Kartelle sehr unterschiedliche Zielsetzungen haben, und da möchte ich Ihnen gleich sagen: wenn ich mich in der Öffentlichkeit
— so sagte der Herr Bundeswirtschaftsminister —
als entschiedener Gegner der Kartelle bekannt habe, dann schien mir diese Haltung notwendig zu sein, um einmal den Grundsatz, das Prinzip als solches völlig klar herauszustellen. Niemand konnte annehmen, ... daß es die Absicht der Regierung gewesen ist, mit der Konsequenz, die Sturheit bedeutet, nun etwa alles zu zerstören, was im Sinne einer organisierten Wettbewerbsordnung durchaus wertvoll sein könnte.
Auf dieser Feststellung, glaube ich, kann sich das Haus treffen. Der Gesetzentwurf ist ein Grundgesetz der deutschen Volkswirtschaft. Die Arbeit in den Ausschüssen wird schwer und verantwortungsvoll sein. Es wird nötig sein, unvoreingenommen und mit Aufgeschlossenheit unsere Arbeit zu beginnen. Vielleicht opfern wir sogar einmal unsere unumstößliche Konzeption einer lebendigen, lebens- und wirtschaftsnahen Konstruktion.