Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Fraktion der SPD Drucksachen 1245 und 1293 [neu] verfolgen ein doppeltes Ziel. Es werden Auskünfte seitens der Bundesregierung über den Verlauf der Saarverhandlungen nach der Bundestagsdebatte vom 27. Februar dieses Jahres verlangt. Ferner wird die Bundesregierung im Antrag Drucksache 1245 beauftragt, die Ratifikation des Saarabkommens auszusetzen, bis die Gegensätzlichkeiten in der Auffassung der Vertragspartner über wesentliche Bestimmungen des Statuts ausgeräumt worden sind.
Ein Teil der von der Fraktion der SPD geäußerten Wünsche auf Erteilung von Auskünften dürfte insofern heute überholt sein, als die angeforderten Auskünfte bereits in der Presse veröffentlicht worden sind. Das gilt beispielsweise für die Erklärung F des französischen Außenministeriums, die am 4. März dieses Jahresabgegeben worden ist und die sich auf Art. VI, auf die Frage des Friedensvertrages und auf die Frage der englisch-amerikanischen Garantien bezogen hat. Der Wortlaut dieser Erklärung ist bekannt. Es ist ebenso durch die Presse bekanntgeworden, daß die deutsche diplomatische Vertretung bereits am folgenden Tage, am 5. März, gegen die von französischer Seite gegebenen Auslegungen Vorstellungen in Paris erhoben hat.
Es scheint uns aber von großer Wichtigkeit zu sein, daß im Laufe der weitergeführten Besprechungen über eine sehr wesentliche Frage des Vertrages, nämlich über Art. VI, die Frage der Freiheit der politischen Betätigung, eine gemeinsame Formulierung gefunden worden ist. Diese Formulierung ist vom Herrn Bundeskanzler bekanntgegeben worden. Diejenigen unter uns, weiche dem Saarabkommen ihre Zustimmung gegeben haben, haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie die Bestimmungen des Art. VI über die Freiheit der politischen Betätigung an der Saar nach Inkrafttreten des Statuts als unbefriedigend ansehen. Durch die jetzt gemeinsam ausgearbeitete Formulierung ist zum Ausdruck gebracht worden, daß während der Geltungsdauer des Statuts bis zum Friedensvertrag die Freiheit der politischen Meinung total sein soll. Diese totale Freiheit der politischen Meinung erleidet dann allerdings Einschränkungen. Wir sind uns bewußt, daß die Abgrenzungen, die in dieser Formulierung getroffen worden sind, auch in der Praxis nicht alle Schwierigkeiten ausschließen können.
Aber wichtiger scheint es uns zu sein, daß es unter Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union eine Aufgabe des Europäischen Kommissars sein wird, darüber zu wachen, daß die beiden Grundsätze, einmal die totale Freiheit der politischen Meinungsäußerung und sodann die Begrenzungen, die in der Formulierung enthalten sind, beachtet werden.
Die gefundene Formulierung schließt nicht aus, daß das zukünftige Schicksal der Saar beim Friedensvertrag frei erörtert werden kann. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten freier Meinungsäußerung, die nicht als politische Aktionen bezeichnet werden können, und es gibt andererseits mannigfaltige Formen von politischen Aktionen, die eine freie Meinungsäußerung zulassen, ohne das Prinzip des Statuts direkt oder indirekt zu beeinträchtigen. Wir dürfen der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Europäische Kommissar des Saargebiets, der unter der Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union seine Aufgabe erfüllen wird, bei der Überwachung des Statuts und bei der Anwendung des Art. VI, dessen Verdeutlichung nunmehr gemeinsam erarbeitet worden ist, dem Geiste des Abkommens auch so, wie wir es verstehen, gerecht zu werden vermag.
Durch die Ausarbeitung dieser Formulierung scheint uns ein wesentlicher Punkt, über den Meinungsverschiedenheiten bestanden haben, geklärt worden zu sein. Am 27. März dieses Jahres ist in Paris ein Protokoll zwischen den Vertretern des Saargebiets und Frankreichs über die künftige Ausgestaltung einer saarländisch- französischen Wirtschaftskonvention niedergelegt worden. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Protokoll noch nicht die französisch-saarländische Wirtschaftskonvention darstellen soll, die in Art. XII des Saarabkommens vorgesehen ist. Das ergibt sich sowohl aus dem Protokoll selbst als auch aus den Erklärungen, die der französische Außenminister, Herr Pinay, im französischen Senat abgegeben hat. Dieses Protokoll soll allerdings Grundlagen für die künftige Ausarbeitung einer französisch-saarländischen Wirtschaftskonvention schaffen.
Die Art des Zustandekommens und der Inhalt des Protokolls erfüllen uns mit einer gewissen Sorge,
und es scheint angebracht zu sein, schon im jetzigen Zeitpunkt Fragen zu stellen, deren Klärung erforderlich scheint. Hat nicht die Durchführung der französisch-saarländischen Wirtschaftsverhandlungen zur Voraussetzung, daß zunächst das Saarabkommen als solches ratifiziert und das Saarstatut in Kraft getreten ist? Hat in diesem Falle nicht auch der Europäische Kommissar mitzuwirken, dem die Domäne der Außenpolitik bezüglich des Saargebiets übertragen werden soll, und soll dieses zweiseitige Abkommen nicht verbunden werden mit dem Abschluß eines dreiseitigen Abkommens zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und dem Saargebiet, wobei, wie es in Art. XII Abs. A des Saarabkommens heißt, den folgenden Bestimmungen, nämlich des Art. XII B ff., Rechnung zu tragen ist, den Bestimmungen, die gerade den künftigen Abschluß eines dreiseitigen Vertrages zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und dem Saargebiet vorsehen?
Eine weitere Frage: Wird durch den Abschluß des saarländisch-französischen Abkommens oder
durch das Protokoll, das eine Grundlage für dieses künftige Abkommen legen soll, der Abschluß des in Art. XII vorgesehenen dreiseitigen Abkommens zwischen Frankreich, Deutschland und der Saar erleichtert, oder wird er erschwert?
Und eine letzte Frage: Wenn Art. V des Saarabkommens vorsieht, daß in allen Angelegenheiten des Saargebiets, in denen der Europäische Kommissar nicht kompetent sein soll, die Organe der Saar die Zuständigkeit erhalten sollen, — wird die Zuständigkeit der Saarorgane für diese Fragen, die die saarländische Gesetzgebung und die saarländische Verwaltung angehen, in vollem Maße gewährleistet?
Diese Fragen werden durch die Lektüre des inzwischen abgeschlossenen Wirtschaftsprotokolls aufgeworfen. Es sind Fragen, deren Beantwortung wir — nicht heute und nicht hier — von der Bundesregierung erwarten. Aber wir erwarten, daß die Bundesregierung sich bemüht, diese Fragen zu klären.
Die Anträge der Fraktion der SPD verfolgen sodann ein zweites Ziel. Die Ratifikation des Saarabkommens, das vom Bundestag und vom Bundesrat angenommen und das inzwischen auch bereits im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist, soll ausgesetzt werden, bis die Gegensätzlichkeiten in der Auffassung der Vertragspartner über wesentliche Bestimmungen des Statuts ausgeräumt worden sind. Einer der wesentlichen Gegensätze, nämlich die Frage der Auslegung des Art. VI, hat seine Austragung gefunden durch die Schaffung einer gemeinsamen Formel. Damit ist ein Hauptpunkt verdeutlicht worden, und es sind Garantien dafür geschaffen worden, daß Zweifelsfälle, die künftig auftreten können, unter der Mitwirkung des Europäischen Kommissars bereinigt werden.
Aber ist es wirklich Aufgabe des Bundestages, in diesem Stadium des Verfahrens, nachdem das Saarabkommen in Bundestag und Bundesrat nach langen Debatten abschließend behandelt worden ist, nachdem die Verkündung des Saarabkommens im Bundesgesetzblatt bereits erfolgt ist, nunmehr der letzten Instanz, dem Herrn Bundespräsidenten in die Arme zu greifen und die Bundesregierung zu beauftragen, die Ratifikation des Saarabkommens auszusetzen? Der Empfänger dieses Auftrags, die Bundesregierung, wäre ihrerseits nicht mehr zuständig; denn die Zeichnung und Gegenzeichnung des Saarabkommens durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundeswirtschaftsminister sind bereits erfolgt, und der letzte Akt der Ratifikation oder einer etwaigen Notifikation obliegt allein dem Herrn Bundespräsidenten.
Dieses Parlament — und jedes Parlament, dem das Wohl seines Landes am Herzen liegt — hat bestimmt die Verpflichtung, mit allem Eifer seine Rechte zu wahren. Dieses Parlament - und jedes Parlament - soll und muß seine Privilegien verteidigen, und es soll seine Kompetenzen ausschöpfen. Aber wenn und insoweit es dies tut, muß es zugleich die Schranken respektieren, die das Grundgesetz ihm gesetzt hat. Kein Organ eines Staates, das im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit gehandelt hat, darf einem anderen Organ in den Arm fallen, das wiederum nach den Bestimmungen der Verfassung zum Handeln bestimmt ist, es sei denn, daß das Grundgesetz diese Möglichkeiten einer Hemmung für das erste Organ vorsehen sollte. Dies aber ist nicht der Fall.
Wenn Herr Abgeordneter Mommer auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen hat, dann möchte ich eine Äußerung zitieren, die lange zurückliegt und die am 30. November 1929 im alten Weimarer Reichstag vom damaligen Herrn Innenminister Se v e ring bei der Behandlung eines deutschnationalen Antrages auf ein Gesetz gemacht worden ist, das ein Volksbegehren vorsehen sollte:
Was die grundsätzliche Seite der Sache angeht, — hat damals Herr Severing gesagt —
so ist den Herren bekannt, daß sich der Staatsgerichtshof im Augenblick damit beschäftigt. Es ist aber nicht üblich, daß sich in einer derartigen Situation der Reichstag oder überhaupt eine Volksvertretung in die Verhandlungen einschaltet.
Damals hat es sich darum gehandelt, daß das von der Deutschnationalen Partei eingebrachte Gesetz, das ein Volksbegehren vorsehen sollte, Bestimmungen enthielt, durch die eine Einwirkung auf Maßnahmen der Reichsregierung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik erfolgen sollte. Es ist interessant, diese vergilbten Blätter nachzulesen, und man wird finden, daß nicht nur der damalige Minister des Innern Severing, sondern auch der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, Herr Breitscheid, diesen Anträgen entgegengetreten sind, und zwar gerade deshalb, weil sie die Einwirkung des Parlaments auf Maßnahmen, die der Reichsregierung verfassungsmäßig zustehen, als unzulässig angesehen haben.
Meine Damen und Herren, dieses Parlament hat zu den Fragen des Saarabkommens eingehend Stellung genommen. Es hat seine verfassungsmäßigen Obliegenheiten erfüllt genau wie der Bundesrat und genau wie der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister, die inzwischen die Gegenzeichnung des Abkommens vorgenommen haben. Diese Organe haben das getan, was ihnen nach dem Grundgesetz zu tun zustand. Es bleibt ein letzter Akt zu vollziehen, nicht durch die Bundesregierung, sondern durch den Herrn Bundespräsidenten. Mag der Bundespräsident nach verantwortungsvoller und gründlicher Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen das Seinige tun.
Namens der Koalitionsparteien beantrage ich, die beiden Anträge der SPD als durch die Erklärung der Bundesregierung erledigt zu erklären.