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ID0207705000

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Metadaten
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    Vokabeln: 6
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    2. Wort: 1
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    5. Abgeordnete: 1
    6. Bender.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955 4227 77. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4228 A, 4240 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage 1) . . . 4293 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Pferdmenges 4228 B Mitteilung über Vorlage eines Berichts des Bundesministers der Finanzen betr. Mißstände auf dem Gebiet der Besatzungsbauten (Drucksache 1307) 4228 B Mitteilung über Vorlage des Geschäftsberichts der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein für das Geschäftsjahr 1953/54 4228 B Mitteilung über Zurückziehung des Antrags der Fraktion der DP betr. Einfuhr- und Vorratsstellen (Drucksache 196) . . . . 4228 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Statut der Saar (Drucksache 1245) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Veröffentlichung des Schreibens von Bundeskanzler Dr. Adenauer an den französischen Außenminister Pinay (Drucksache 1293 [neu]) 4228 B Dr. Mommer (SPD), Antragsteller . 4228 C, 4236 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler 4232 C, 4236 B Dr Kopf (CDU/CSU) 4233 A Dr. Arndt (SPD) 4234 D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 4238 A Dr. Krone (CDU/CSU) 4238 B Abstimmungen 4237 D, 4238 B Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik im Mündlichen Bericht über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit (Drucksachen 1162, 973; Antrag Umdruck 292) 4238 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1158) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1253) und mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Dr. Böhm (Frankfurt), Dr. Dresbach, Ruf u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1269) . . . 4238 D Dr. Horlacher (CDU/CSU) 4239 A Dr. Reif (FDP) 4241 D Samwer (GB/BHE) 4244 D, 4280 B Illerhaus (CDU/CSU) 4246 A Dr. Elbrächter (DP) 4250 A Unterbrechung der Sitzung . . 4252 C Scheel (FDP) 4252 D Raestrup (CDU/CSU) 4256 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 4260 B Bender (GB/BHE) 4260 D Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 4264 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 4266 A Dr. Schöne (SPD): zur Sache 4267 D zur Geschäftsordnung 4280 D Lenz (Brühl) (CDU/CSU) 4279 D Dr. Köhler (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 4280 C Ausschußüberweisungen . . . . 4280 B, 4281 A Änderungen der Tagesordnung . . 4263 D, 4281 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (Drucksache 1316) . . . . 4263 D Beschlußfassung 4264 B Erste Beratung des von den Abg. Platner, Dr. Leiske u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1083) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1233) 4281 A Platner (CDU/CSU), Antragsteller . 4281 A, 4292 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 4283 B, 4292 C Frau Dr. Steinbiß (CDU/CSU) . . . 4284 D Dr. Hammer (FDP) 4285 D Geiger (München) (CDU/CSU) . . 4286 C Stegner (Fraktionslos) 4288 D Becker (Hamburg) (DP) 4289 B Dr. Reichstein (GB/BHE) 4290 A Lange (Essen) (SPD) 4290 D Horn (CDU/CSU) 4291 D Samwer (GB/BHE) 4292 C Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 4292 D Ausschußüberweisungen 4293 A Beschlußunfähigkeit festgestellt und Weiterberatung vertagt 4293 C Nächste Sitzung 4293 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 4293 B, C, 4294 Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Wahl 14. Mai Stingl 14. Mai Feller 7. Mai Dr. Bucher 7. Mai Dr. Furler 7. Mai Dr. Rinke 7. Mai Neumann 7. Mai Heiland 7. Mai Dr. Lenz (Godesberg) 7. Mai Peters 23. April Pelster 23. April Kunze (Bethel) 23. April Dr. Maier (Stuttgart) 16. April Kühlthau 9. April Mißmahl 9. April Frau Lockmann 9. April Frau Kettig 2. April Dr. Pfleiderer 2. April Morgenthaler 2. April Dr. Kather 2. April Gedat 2. April Bauknecht 2. April Schuler 2. April Dr. Seffrin 2. April Frau Beyer (Frankfurt) 2. April Rademacher 2. April Dr. Jentzsch 2. April Euler 2. April Dr. Hesberg 2. April Kirchhoff 2. April Schrader 2. April Diedrichsen 2. April Frau Welter (Aachen) 2. April Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 1. April Ladebeck 1. April Frau Dr. Schwarzhaupt 1. April Feldmann 1. April Berendsen 1. April Hepp 31. März Dr. Baade 31. März Frau Nadig 31. März Dr. Wellhausen 31. März Naegel 31. März Frau Dr. Probst 31. März Hufnagel 31. März Brockmann (Rinkerode) 31. März Dr. Leverkuehn 31. März Even 31. März Seiboth 31. März Haasler 31. März Walz 31. März Paul 31. März Schütz 31. März Schneider (Bremerhaven) 31. März Neuburger 31. März Kalbitzer 31. März Jahn (Frankfurt) 31. März Dr. Kreyssig 31. März Dr. Schmid (Frankfurt) 31. März Brandt (Berlin) 31. März b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Becker (Hersfeld) 30. April Dr. Graf Henckel 30. April Kalbitzer vom 12. April bis zum 16. Mai Josten vom 4. April bis zum 20. Mai
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Raestrup, Sie haben mich zitiert, und wenn Sie auch sozusagen im Auftrage gehandelt haben

    (Abg. Raestrup: Nicht im Auftrag!)

    — im Auftrag der Männer, die Ihnen Briefe geschrieben haben —, so möchte ich doch vor diesem Hause feststellen, was ich gesagt habe:
    Die Mißbrauchsgesetzgebung erscheint in meiner Sicht als ein Gesetzesmißbrauch; denn sie
    erweckt wider besseres Wissen und gegen alle historische Erfahrung den Schein, als ob ein solches Gesetz die Nachteile und Schäden verhindern könnte, die angeblich verhindert werden sollen. Als Wirtschaftsminister aber habe ich nicht die Interessen gewerblicher Gruppen, sondern das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern zu verteidigen.
    Wenn jemand das so ausdeutet, als ob ich gesagt oder gemeint hätte, ich müsse das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern g e g en die Unternehmer verteidigen, dann kann ich das nur als eine leichtfertige Unterstellung bezeichnen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Damit hat es nicht das geringste zu tun. Wenn ich das Lebensrecht von 50 Millionen deutscher Menschen verteidige, dann ist darin auch das Lebensrecht aller gewerblichen Gruppen und aller Schichten unseres Volkes eingeschlossen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Aber wir wissen ganz genau, daß es gewerbliche Interessen, legitime gewerbliche Interessen gibt. Die mögen verteidigt werden. Aber der Wirtschaftsminister ist nicht berufen, gewerbliche Interessen zu verteidigen. Nichts anderes habe ich damit gesagt.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Im übrigen muß ich sagen: ich empfinde es nach sieben Jahren marktwirtschaftlicher Politik geradezu als grotesk, wenn ein offenes Wort, das ich hier aus meiner Gesamtverantwortung vor dem deutschen Volke ausspreche, in solcher Weise gedeutet wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Noch ein Wort zu der Theorie. Ich weiß, daß Theorie allenthalben nicht sehr populär ist. Aber ich habe in den letzten sieben Jahren keinen so heftigen Widerstand gegen meine Theorie gespürt. Wenn eine Theorie richtig ist, dann ist sie nämlich richtig, dann ist sie nicht heute richtig und morgen falsch oder umgekehrt. Im ganzen möchte ich feststellen, daß diese meine Theorie der deutschen Wirtschaft bis jetzt eigentlich ganz gut bekommen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der DP.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Bender.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Reinhold F. Bender


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf bedarf in den Ausschüssen , nicht nur seines Inhalts wegen, sondern auch wegen seiner Form intensivster Beratung. Von einem Gesetzentwurf, der in seinen Auswirkungen die gesamte Wirtschaft, nicht nur den Industriellen, nicht nur den Arbeiter, nicht nur den Bauern, sondern auch den Händler und schließlich den letzten Verbraucher angeht, sollte man eigentlich verlangen, daß er wenigstens für die Betroffenen verständlich ist. Das ist aber leider nicht der Fall. Durch den Wirrwarr der uns vorgelegten Paragraphen findet sich überhaupt nur durch, wer an der Gestaltung des Gesetzentwurfs mitgewirkt hat.
    Dem Justizministerium, das ja wohl für die Gesetzestechnik verantwortlich ist, das ich aber heute hier nicht vertreten sehe, muß man wohl den Vor-


    (Bender)

    wurf machen, daß es uns ein sprachlich unvollkommenes und rechtlich unverständliches Gesetz vorgelegt hat. Es sollte eigentlich nicht die Aufgabe dieses Hauses und seiner Ausschüsse sein, derartige Mängel festzustellen und auszuräumen.
    Der materielle Inhalt des Gesetzes geht von sehr umstrittenen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen aus. Er verbietet kaufmännisches Handeln auf Gebieten, auf denen zu handeln selbst in den Vereinigten Staaten erlaubt ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat in Europa nicht seinesgleichen — das ist heute schon angeklungen —, und die Ausschüsse werden unter diesem Gesichtspunkt Rechtsvergleichung betreiben und internationales Recht studieren müssen. Es gibt kein europäisches Land, in dem der Wirtschaft derartige Fesseln angelegt werden, lediglich weil möglicherweise Kartelle oder sonstige Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen einmal schädlich sein können. Wir sollten uns sehr überlegen, ob wir mit der Annahme eines solchen Gesetzentwurfes dem deutschen Ansehen dienen. Wir sollten auch darüber nachdenken, daß die Amerikaner dem ebenfalls besiegten Japan die Kartelle schon wieder gestattet haben. Warum sollen allein wir Deutsche unter diesem Sonderrecht stehen, das ja seine Wurzeln zweifellos in amerikanischen Wünschen hat, wobei ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ohne weiteres attestieren will, daß die amerikanische Initiative sich mit seiner eigenen gedeckt hat und daß nicht etwa seine Initiative der amerikanischen entsprungen ist!
    Ich bedaure es, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nach fast sieben Jahren der Überlegung — denn vor sieben Jahren haben die Alliierten uns ihre Wünsche nach dieser Richtung mitgeteilt — uns nicht mit etwas wirklichkeitsnäheren Ergebnissen aufwarten kann als denen, die uns jetzt vorliegen. Sowohl sprachlich wie auch inhaltlich hätten wir an die Kartellverordnung vom Jahre 1923 anknüpfen können. Sie war eine gute Verordnung, und sie hat sich in ihren Auswirkungen bestens bewährt. So aber enthält der Regierungsentwurf eine ganz unglückliche Mischung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Vorschriften, die in ihrer Unklarheit den Staat in den Mittelpunkt privater Wettbewerbsstreitigkeiten stellen. Ich will auf die zweifellos bestehenden, sehr starken verfassungsrechtlichen Bedenken gar nicht eingehen, die sowohl zum materiell-rechtlichen wie zum verfahrensrechtlichen Teil vorliegen. Ich hoffe, daß diese Fragen mit allem Ernst im Rechtsausschuß geprüft werden.
    Ich halte es aber für notwendig, einmal die Frage zu stellen, warum denn über das Kartellrecht hinaus im zweiten Abschnitt dieses Gesetzes, und zwar in den §§ 10 ff., plötzlich unser bisher bestehendes und nicht schlechtes bürgerliches Recht durch neue Vorschriften ergänzt und geändert wird. Ist man sich darüber im klaren, daß diese Vorschriften über Individualverträge, d. h. also Verträge zwischen zwei x-beliebigen Partnern, gar nicht in das Gesetz hineingehören? Diese Vorschriften schaffen nur Rechtsunsicherheit und sind in ihrer Systematik, insbesondere soweit sie das Patent- und Lizenzrecht betreffen, einfach unbegreiflich.
    Zu den volkswirtschaftlichen Grundsätzen, die durch dieses Gesetz verankert werden sollen, ist zu sagen, daß sie in Deutschland und in Europa so umstritten sind, daß man sie nicht zur Grundlage einer gesetzgeberischen Lösung machen kann. Ich brauche nur Namen wie Schmalenbach, Schumpeter, Miksch und andere zu nennen, um darzutun, daß auch die sozialistische Lehre den Amoklauf gegen wirtschaftliche Verständigung, auch wenn mit ihr volkswirtschaftliche Nachteile verbunden sein können, nicht mitmacht. Schmalenbach sagt einmal: Man kann den Kindern das Kratzen verbieten, sooft man will; wenn es sie juckt, dann kratzen sie sich doch. — Herr Kollege Raestrup hat heute die Antwort gegeben „Sie ahnungsloser Engel, Sie!". Wollen Sie denn den Zustand, der uns allen bekannt ist, zu einem Verbotszustand erheben

    (Abg. Raestrup: Nein, ich bin doch dagegen!)

    mit demselben Ergebnis, wie es die Alliierten mit ihrem Kartellverbot erzielt haben?

    (Abg. Raestrup: Wir sind ja einer Meinung!)

    Kann und soll man Dinge verbieten, von denen man weiß, daß sie nicht verboten werden können? Haben wir überhaupt ein Recht dazu, das zu tun? Denn wir entfernen uns gleichermaßen von der Vernunft wie vom Recht, wenn wir wichtige Lebensvorgänge der Wirtschaft zunächst generell verbieten, um sie nachher auf Grund von Ausnahmegenehmigungen wieder zu gestatten. Wollen wir denn erst die Köpfe abreißen und sie dann wieder draufsetzen? Ist nicht der umgekehrte Zustand der biologisch richtige?

    (Heiterkeit.)

    Es gibt einfachere gesetzgeberische Methoden, die auch in der Zielsetzung klarer und gerechter sind. Der Gesetzgeber sollte die staatlichen Organe durch entsprechende Möglichkeiten und Vollmachten in den Stand setzen, dort einschreiten zu können, wo staatliche Interessen, die Interessen der Allgemeinheit wirklich gefährdet sind. Aber abwegig und unvernünftig ist jede Regelung, die den Staat das Maß des zulässigen Wirtschaftens bestimmen läßt und ihn so zum Vollstrecker einer Wettbewerbswirtschaft macht, die — man braucht keine Prophetengabe, sondern nur praktische Erfahrung zu besitzen, um das vorauszusagen — am Ende nur allzuleicht für die Verfolgung privatwirtschaftlicher Ziele ausgenutzt werden kann, insbesondere deshalb, weil ich mir klar darüber bin, daß man mit einfachen gesetzgeberischen Methoden zu einem verständlicheren, besseren und gerechteren Ziele kommen kann, indem man nicht zunächst alles wirtschaftliche Leben verbietet, um es nachher auf Grund von Ausnahmeregelungen wieder zu gestatten, sondern indem der Gesetzgeber den staatlichen Organen die Möglichkeiten und Vollmachten erteilt, dort einzuschreiten, wo der Staat gefährdet ist.
    Man soll sich davor hüten, den Staat zum Vollstrecker der Wettbewerbswirtschaft zu machen. Ich kenne Fluch und Segen der Kartelle aus eigener beruflicher Anschauung. Menschliche Macht ist von Natur eng mit der Möglichkeit ihres Mißbrauchs verbunden. Die mit solchem Mißbrauch verbundene Gefahr ist gewissermaßen der irdische Schatten der Macht. Ich weiß natürlich, daß auch wirtschaftliche Macht mißbraucht werden kann. Aber ebensowenig wie man wirtschaftliche Macht verbieten kann, ebensowenig gibt es irgendein Rezept, ihren möglichen Mißbrauch von vornherein auszuschalten.


    (Bender)

    Meiner Meinung nach gilt das auch für wirtschaftliche Verständigung. Auch sie kann zu Mißbrauch und zu Ausartung führen; aber man wird niemals völlig auf sie verzichten können. Sollte sich der Staat nicht damit begnügen, dort einzugreifen, wo diese wirtschaftliche Verständigung zu einer Gefahr wird?
    Es kann nicht im Sinne einer demokratischen Staatsordnung liegen, wenn der Staat Lebensgebiete, die bisher für den Kriminalisten uninteressant waren, zu Bezirken der strafrechtlichen Relevanz erklärt. Noch vor 50 Jahren, meine Damen und Herren, war der Begriff des Devisenverbrechers oder des Steuersünders unbekannt. Heute haben wir uns daran gewöhnt, daß es strafrechtliche Tatbestände auf dieser Ebene gibt. Nicht zu unserem Vorteil haben wir uns daran gewöhnt. Morgen wird es vielleicht, wenn der Bundesregierung nicht noch die notwendige Erleuchtung zuteil wird und sie ihren Gesetzentwurf zurückzieht, den Transportverbrecher geben, nämlich den Mann, der Dinge auf seinen Lastwagen lädt, die auf einer Verbotsliste stehen. Wollen wir das System der polizeilichen Bespitzelung immer weiter in unser nationales und wirtschaftliches Leben hineinfressen lassen? Wollen wir jeden Kaufmann, der mit einem Kunden oder mit seiner Konkurrenz ein Telephongespräch über Preise führt, den Denunzianten und staatlichen Ermittlern in die Hände liefern?
    Bitte, überlegen Sie die Gefahr, die bereits heute in der übergroßen Anzahl von Normen besteht. Zu viele Gesetze führen genau zu derselben Rechtsunsicherheit wie die Willkürherrschaft. Wenn der Staatsbürger sich durch die Unzahl der Ge-
    leben nicht mehr durchfindet und trotzdem weiterleben will, dann muß er aus seiner Unsicherheit heraus Wege beschreiten, die den gesetzeskundigen Exekutivorganen sehr leicht als Irrwege erscheinen können. Rechtsunsicherheit aber ist das Grab des Vertrauens des Staatsbürgers zu seinem Staat und damit das Ende der Demokratie.
    Ich halte es in unserem Staatsleben auch nicht für verantwortbar, daß jemand gezwungen wird, zu einer Behörde zu gehen, um sich bestätigen zu lassen, daß das, was er zu tun beabsichtigt, auch erlaubt ist. Das ist eine unerträgliche Einmischung des Staates in die private Sphäre des Staatsbürgers und hat mit Freiheit nichts mehr zu tun. Mißbraucht der einzelne seine Freiheit, so ist es Aufgabe des Staates, diesen Mißbrauch zu verhüten. Das darf ,aber nicht dazu führen, daß der Staatsbürger seiner Freiheitsrechte durch Normen beraubt wird, die sozusagen nur deshalb geschaffen wurden, um es den Staatsorganen möglichst leicht zu machen, ihre überwachende Funktion auszuüben, und dem Staatsbürger das Leben zu erschweren. Das ist eine Verkennung der Aufgabe der Wirtschaftsgesetzgebung.
    Ich komme jetzt zu den uns weiterhin vorgelegten Entwürfen der Kollegen Höcherl und Böhm und Genossen. Ich darf den zweitgenannten Entwurf zuerst behandeln. Es kommt mir so vor, als ob dieser in Windeseile auf unsere Schreibtische gezauberte Entwurf irgendwie dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht ,ganz ungelegengekommen wäre. Ich könnte mir vorstellen, daß dieser Böhmsche. von einem Antikartell-Zelotismus besessene Entwurf so eine Art Windschatten darstellen soll, hinter dem die Pflanze des Regierungsentwurfs gedeihen kann, wenn der Wind der Kartellfreundlichkeit den Böhmschen Entwurf — hoffentlich recht bald — weggeweht hat. Ich weiß nicht, ob ich da richtig argumentiere; aber es kommt mir so vor.
    Ich möchte den Herrn Kollegen Böhm auch von einigen philologischen Randbemerkungen nicht ganz freistellen. Der Entwurf windet sich in endlosen Schachtelsätzen hin, es wimmelt in ihm von Ingredienzien aus einem neoliberalen Cocktail. Ich meine, er ist für noch viel ,weniger Experten überhaupt verständlich als der Regierungsentwurf. Wenn sich jemand von Ihnen, meine Damen und Herren, durch die Kürze des Entwurfs bestechen lassen sollte — wovor ich dringend warne —, dann mache ich darauf aufmerksam, daß im Entwurf des Herrn Professor Böhm die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten, Behörden, Verfahren, Sonderregelungen, die im Regierungsentwurf etwa die Hälfte aller Paragraphen ausmachen, noch gar nicht enthalten sind. Das hat Herr Professor Böhm einem weiteren Gesetz vorbehalten. Wenn aber die Böhmsche Legislatur erst einmal vollständig vor uns steht— als Kathedrale der Konstruktionsvolkswirtschaft —, dann werden wir erleben, daß der Böhmsche Entwurf etwa dreimal so lang ist wie der Höcherlsche.
    Man sagt, kurze Gesetze seien gute Gesetze. Dieses Gesetz wird, wenn es den Perfektionismus erreicht, den sein Verfasser wünscht, ein sehr langes Gesetz sein. Wir kennen den Herrn Kollegen Böhm aus einer Fülle von Veröffentlichungen, in denen er mit der Wirtschaft so spielt, wie Kinder in einem Sandkasten oder mit einem Baukasten es tun. Ich möchte hierzu sagen, daß die Wirtschaft weder mit einem Sandkasten noch mit einem Baukasten noch mit irgendeinem sonstigen Kasten vergleichbar ist. Die sogenannte Modelltheorie der Freiburger Schule, von der der Herr Kollege Böhm sich leiten läßt, ist weltfremd, und sie ist falsch. Das kann Ihnen jeder Praktiker bestätigen. Die Automatik des Marktes ist ja doch wesentlich komplexer, als der Herr Kollege Böhm es wahrhaben möchte. Es ist absurd, anzunehmen, Herr Kollege Böhm, daß sich die Wirtschaft dort, wo kein Wettbewerb ist, so benehmen wird wie etwa ein Skiläufer auf einer grünen Wiese oder sonst auf einem ungeeigneten Skigelände.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf folgendes hinweisen. Es ist mir unverständlich, daß man innerhalb des Gesetzes weite Ausnahmebereiche schafft, auf die seine Bestimmungen deshalb nicht angewendet werden können, weil hier kein vollständiger Wettbewerb möglich ist. Derartige Ausnahmen führen zu zweierlei Recht und damit zu willkürlichen Wettbewerbsverschiebungen. Das Gesetz wird damit seinem Namen nicht mehr gerecht. Es wird zu einem Gesetz f ü r Wettbewerbsbeschränkungen, nicht zu einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, da die Ausnahmevorschriften volumenmäßig über die gesetzlichen Verbotsvorschriften hinausgehen.
    Der Entwurf des Kollegen Höcherl entspricht in weiten Teilen den Auffassungen der bayerischen Wirtschaft. Die bayerische Wirtschaft, revierfern, wettbewerbsbenachteiligt, ist auf marktregelnde Vereinbarungen viel mehr angewiesen als die Wirtschaft des Reviers, als die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und in Hessen. Auch die Flüchtlingsindustrien sind wettbewerbsbenachteiligter als die angesessenen Industrien; sie sind auf Verein-


    (Bender)

    barurigen viel mehr angewiesen als alle anderen Industrien, die sich etwas haben herüberretten können.
    Der Entwurf des Kollegen Höcherl hat den Vorteil, klar und übersichtlich zu sein. Er ist gerechter als der Regierungsentwurf; denn er schafft nicht zweierlei Recht. Er kommt auch der Auffassung des Herrn Bundeswirtschaftsministers entgegen. Er verbietet Quotenkartelle und Syndikate und überläßt dem Bundeskartellamt die Entscheidung, ob Wettbewerbsbindungen höherer Art nötig sind.
    Die Ausschüsse, denen diese drei Entwürfe überwiesen werden, werden überlegen müssen, mit welcher Berechtigung man einzelnen Teilen der Wirtschaft, insbesondere der Industrie, Zusammenschlußmöglichkeiten verbieten will, die in anderen Wirtschaftszweigen als durchaus erlaubt gelten. Denken wir an die Marktordnungsgesetze der Landwirtschaft! Herr Dr. Müller ist nicht da, Herr Horlacher auch nicht; ich habe also keine Attacke zu befürchten. Denken wir an die vorzüglich funktionierenden Kartelle der Banken und Versicherungen! Versuchen Sie doch bitte einmal, irgendwo zu einem abweichenden Zinssatz Geld zu leihen oder zu einem etwas höheren Zinssatz Geld anzulegen!

    (Abg. Raestrup: Sehr gut!)

    Sie stoßen auf ein Kartell. Versuchen Sie, sich gegen Feuer versichern zu lassen! Vielleicht kriegen Sie aus der Provision des Vertreters etwas ab, damit er den Auftrag bekommt; aber die Versicherungsgesellschaft hält sich an ihr Kartell. Denken Sie an das europäische Monsterkartell, an die Montanunion, und denken Sie schließlich daran, daß unsere im klassischen Sinn kartellreifen Industrien hochkartellierten Wettbewerbern auf den Weltmärkten gegenüberstehen! Denken Sie auch an die heute schon genügend behandelten Preisbindungen zweiter Hand, die schließlich auch ein Kartell darstellen. Sondergesetze aber, die einzelne Staatsbürger und einzelne Gebiete wirtschaftlicher Betätigung unter Ausnahmerecht stellen, schaffen nicht Recht, sondern Unrecht.
    Kartelle sind weder gut noch schlecht; sie sind Werkzeuge, deren man sich zum Vorteil wie zum Nachteil der nationalen Wirtschaft und des Verbrauchers bedienen kann. Bitte, sehen Sie die Kartelle auch nicht nur unter dem Gesichtpunkt des Verbrauchers an! Sehen Sie sie auch daraufhin an, ob sie vielleicht zur Sicherung des Arbeitsplatzes dienen können. Was nützt Ihnen ein deroutiertes Preisgefüge, wenn Sie Ihre Arbeiter entlassen müssen, weil Sie sie nicht mehr entlohnen können? Auch der Arbeiter ist unter allen Umständen an guten Kartellen sehr stark interessiert.
    Lassen Sie mich aus eigener beruflicher Erfahrung noch einige Worte über die beiden Kartelle sagen, die ich sehr genau kennengelernt habe. Es handelt sich einmal um den Deutschen Verband der Flaschenfabriken, der um 1910 gegründet worden ist und 1930 in die Deutsche Flaschenverkaufsgesellschaft, ein Quotenkartell und Verkaufssyndikat, übergeleitet worden ist. Wäre dieser Verband seinerzeit nicht gegründet worden, dann hätte die deutsche Flaschenindustrie die amerikanischen Lizenzen, mit deren Hilfe die automatische Flaschenherstellung in Deutschland seit Jahrzehnten gehandhabt wird, noch jahrelang nicht erwerben können. Keine der einzelnen Mitgliedsfirmen des Verbandes war in der Lage, die Lizenzen zu erwerben; durch den Zusammenschluß konnte man es. Das Ende der Schwerarbeit, der Schwerstarbeit in dieser feuerungsintensiven Industrie war herangerückt. Die Flaschenpreise sanken infolge der rationalisierten Herstellung, und weite Gebiete wurden für die Verwendung der Glasflasche erobert.
    Das andere Kartell, das ich erwähnen möchte, ist das ebenfalls bei Kriegsende liquidierte Fensterglaskartell. Trotz der Oligopolstellung der deutschen Fensterglasindustrie hat dieses Kartell eine Preispolitik betrieben, die von höchstem sozialem Verantwortungsbewußtsein getragen wurde. Trotz der von den Alliierten erzwungenen Auflösung des Kartells hat sich dieses Verantwortungsbewußtsein bis heute erhalten. Wenn Sie die heutigen Baustoffpreise mit denen von 1938 ver- gleichen, dann finden Sie, daß die Preise für die zwei wichtigsten Baustoffe — außer Holz, wovon ich nicht reden will — um 209 und um 244 % gestiegen sind, der Preis für Fensterglas jedoch nur um 54 %, obwohl die Roh- und Brennstoffkosten auch in der Fensterglasindustrie weit höhere Steigerungen erfahren haben: Kohle 144 %, Ferngas 430 %, Soda 75 %. Die Löhne schließlich sind im Vergleichszeitraum um 105 bis 142% gestiegen. Der Endpreis ist um 54 % gestiegen. Das ist der Segen eines verantwortungsbewußten Kartells gewesen.
    Meine Damen und Herren, es wäre eine Unterlassungssünde, wollte ich zum Schluß nicht des Mannes gedenken, der mir persönlich durch Jahrzehnte Freund und Lehrmeister war und der als leidenschaftlicher Kartellfreund eine der markantesten Persönlichkeiten der deutschen Industrie gewesen ist, gleichzeitig einer der Hauptträger des sozialen Gewissens in der deutschen Fensterglasindustrie. Es war Dr. Otto Seeling, dessen Tod wir vor einigen Wochen betrauern mußten. Eines der für mich ergreifendsten Erlebnisse an seiner Bahre war es, daß ein Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Glas, Herr Philipp Müller, in echter Trauer dem Verstorbenen Worte höchster Anerkennung widmete. In den 32 Jahren, die ihn in zähem, aber fairem Kampf mit Seeling verbunden hätten, sei von keiner Seite jemals ein unfreundliches Wort gefallen. Diese Worte haben Gewicht, meine Damen und Herren, Sie wären zweifellos nicht gesagt worden, wenn der Gewerkschaftsvertreter in so langer Zeit nicht den Eindruck gewonnen hätte, in Otto Seeling einen Gesprächspartner gefunden zu haben, dem persönlich und geschäftlich unsoziales Verhalten weltenfern gelegen hat. Otto Seeling hat seine Stimme gegen die Verbotsgesetzgebung oft und oft erhoben. Er hat den Bundeswirtschaftsminister gebeten und beschworen, von der Verbotsgesetzgebung Abstand zu nehmen. Otto Seeling kann nicht mehr sprechen. Ich entledige mich eines Vermächtnisses von ihm, wenn ich es heute tat.

    (Beifall beim GB/BHE und bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)