Rede von
Dr.
Franz
Böhm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir das letzte Mal eine Debatte mehr im Stile des theoretischen Denkmodells gehabt haben, wie es das Industrieinstitut feststellt, während heute die Diskussion mehr im Stile gereifter Praktiker geführt worden ist, möchte ich um Verzeihung bitten, wenn ich die Diskussion der gereiften Praktiker in meiner Eigenschaft als „theoretisierender SandkastenHosenmatz" noch einmal unterbreche. Ich tue das nur deshalb, weil ich den gereiften Praktikern eine Frage zu stellen habe, eine Frage, auf die ich bisher — ich habe sie schon oft gestellt — niemals eine Antwort bekommen habe.
Es besteht überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es in einer Reihe von Märkten und Industriezweigen möglich ist, die Rentabilität der Betriebe dieser Wirtschaftszweige durch
den Abschluß von Kartellverträgen zu verbessern. Es besteht also bei niemandem ein Zweifel darüber, daß die Kartelle zum Nutzen einzelner kartellierter Wirtschaftszweige sein können, dergestalt, daß es den Unternehmern dieser Wirtschaftszweige nach der Kartellierung besser geht als vor der Kartellierung, d. h. mit der Kartellierung besser als ohne Kartellierung.
Ich räume Ihnen gern ein, daß die Beurteilung darüber, ob auf einem Markte, in einem Industriezweig die Verhältnisse so sind, daß sie ohne Kartellierung als für einen Teil der Unternehmer sehr drückend bezeichnet werden können, und die Beurteilung darüber, ob es möglich ist, durch eine Preisabsprache oder durch eine Mengenabsprache oder durch die Errichtung eines Syndikats die Verhältnisse für diesen Wirtschaftszweig zu verbessern, bei den beteiligten Industriellen und Praktikern zweifellos „ausgezeichnet" ist und daß niemand diese Frage besser beantworten kann als die Praktiker dieses Wirtschaftszweigs. Aber in dem Augenblick, in dem es einem Wirtschaftszweig gelungen ist, durch eine Kartellabsprache seine Preise und damit — das ist nicht notwendig, aber es ist möglich — auch die Rentabilität der Unternehmen zu verbessern, entsteht doch die weitere Frage: wer muß ,das bezahlen? Auf wessen Kosten wird dieser Vorteil erzielt? Sicher ist, daß die Abnehmer, die Kunden dieser Industrie nun höhere Preise bezahlen müssen, und daß die Abnehmer, wenn sie trotz der höheren Preise genau so viel kaufen, dann einen höheren Teil ihrer Kaufkraft für die Befriedigung dieses Bedürfnisses verwenden müssen und daß zur Befriedigung ihrer übrigen Bedürfnisse nun nicht mehr so viel Geld, so viel Kaufkraft übrigbleibt, so daß also irgendwo eine andere Industrie oder ein Handelszweig —das verbreitet sich sehr — entsprechend weniger verdient, entsprechend Arbeiter entlassen muß usw. Durch das Kartell wird also an einer Stelle geholfen, an anderer Stelle geschadet. Diese Überlegung ist sehr einfach. Und nun möchte ich die Praktiker fragen: wie haben Sie sich das überlegt, welches Urteil und welche Ansichten haben Sie sich darüber gebildet, wer nun die Risiken im Markt zu tragen hat, die eine bestimmte Industrie auf ihrem Markte auf Unbekannte abgewälzt hat. Wie sind die Folgen der Kartellierung eines Marktes für die übrigen Märkte? Hierauf haben die Praktiker als Praktiker noch niemals eine Antwort erteilt. Diese Frage interessiert sie nicht, sie interessiert sie naheliegenderweise nicht, weil sie sich für ihren eigenen Wirtschaftszweig interessieren. Dazu, wie sich die Nachteile ihrer für sie selber erfolgreichen Politik auf andere Wirtschaftszweige auswirken, sagen sie: das ist nicht unsere Sache, wir haben für uns und unseren Wirtschaftszweig zu sorgen.
Wenn wir hier aber ein Gesetz machen, dann dürfen wir uns als Bundestagsabgeordnete und als Gesetzgeber nicht damit zufriedengeben, daß einzelne Wirtschaftszweige durch Kartellierung ihre Lage verbessern können, sondern wir müssen uns die Frage vorlegen: welche Wirkungen hat das auf die gesamte übrige Wirtschaft, wenn einzelne Unternehmungen ein Kartell bilden. Da sich die Praktiker mit dieser Frage nicht beschäftigt haben, blieb es schließlich nur noch den Theoretikern übrig, diese Frage zu stellen. Die Frage, die wir als Gesetzgeber zu lösen haben, ist die theoretische Frage der gesamtwirtschaftlichen Wirkung von Kartellen. Es handelt sich einfach darum, eine
Frage im großen und ganzen und in all ihren Teilen zu lösen, und nicht nur darum, einen einzigen Ausschnitt herauszugreifen und danach die Frage zu lösen. Wenn heute — ich glaube, von Herrn Kollegen Samwer — die Überzeugung ausgedrückt worden ist, daß wir endlich die Theorie beiseite schieben und durch die nüchterne Betrachtung des Praktikers ersetzen müßten — —
— Ich habe es hier nicht im Stenogramm.
Ich hatte nur den sehr deutlichen Eindruck, daß Sie mit Betonung des Wortes „nüchtern" von der „nüchternen Betrachtung des Praktikers" sprachen, als sei nicht die Theorie, sondern die Betrachtung des Praktikers nüchtern. Meine Damen und Herren, es gibt doch nicht nur Praktiker, die an Kartellen interessiert sind, sondern es gibt ebensoviel Praktiker, die sich über fremde Kartelle ärgern. Während die Praktiker, die an einem Kartell interessiert sind, mich für einen sanft theoretisierenden Hosenmatz am Sandkastenmodell halten, halten mich die anderen Praktiker, die sich über andere Kartelle ärgern, für einen Mann, der weiß, was im Leben gespielt wird, und die Dinge richtig ansieht. Es kommen hier also jeweils ganz verschiedene Interessen in Frage. Es sind aber immer Interessen von Praktikern.
Worauf ich hier abstellen will, ist, daß wir das Problem nur unter der Fragestellung behandeln können: Welche Folgen hat es, wenn wir die Kartellierung erleichtern und begünstigen? Welche Folgen hat es, wenn wir den umgekehrten Weg einschlagen, den ich empfehle, und die Kartelle soweit wie möglich erschweren und eine Erlaubnis für Kartelle nur geben, wenn vier ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sind? Das sind gerade diejenigen Bedingungen, bei deren Vorliegen wir sagen können: Gut, hier versagt die Konkurrenz, hier versagt die Freiheit des Marktes, hier müssen wir etwas machen.
Wir haben doch heute eine so ungeheure Fülle von Interventionen und Eingriffen in die Marktwirtschaft in Form von Steuern, in Form von Zöllen, in Form von amtlichen und staatlichen Preisfestsetzungen, in Form von Einfuhrbeschränkungen, in Form von Sozialabgaben aller möglichen Art. Dazu kommen dann noch die privaten Interventionen der Kartelle. Dadurch sind die Struktur und die Ordnung unseres marktwirtschaftlichen Systems so undurchsichtig geworden, daß niemand von uns allen mehr hindurchsieht. Wenn wir uns hier etwa darüber unterhalten, ob auf irgendeine Ware, z. B. Benzin oder Dieselöl, 3% oder 31/2% Steuern oder Zölle erhoben werden sollen in der Hoffnung, daß dann, wenn wir das tun, die und jene Folge eintreten wird, und wenn wir hier abstimmen und ein Teil für 3 % und ein Teil für 31/2% stimmt, dann sollen wir doch den Leuten im Volk nicht weismachen, daß auch nur einer unter uns ist, der weiß, was passiert, wenn 3 oder 31/2 % erhoben werden. Unsere Volkswirtschaft ist allmählich so verwickelt geworden, daß es einfach eine hochstaplerische Behauptung ist, wir machten hier noch seriöse Wirtschaftspolitik. Das ist doch der Sinn einer Verbotsgesetzgebung,
daß wir nun auch auf dem Gebiete der privater, Interventionen anfangen wollen mit einem Abbau dieses Hineinregierens und Hineinintervenierens in freie Märkte, wobei wir uns sagen: Gut, dies€ freien Märkte sind nicht vorbildlich; aber es wird doch dann überall nach ungefähr dem gleichen Prinzip verfahren, und im Rechte gibt es keinen Unterschied.
Allmählich wird infolge dieser Verwickeltheit und — wenn wir die Kartellierung begünstigen — der vielen zusätzlichen Monopolierungen auf den Märkten das Spiel noch undurchsichtiger. Wenn nun eine Kartellbehörde hier eingreifen und die Dinge zum Besten wenden will, so kann auch sie nur hochstapeln. Auch sie kann nicht wissen, was im einen oder im anderen Falle erfolgt. Es kommt mir so vor, als wenn die Regierung und der Bundestag, also der Gesetzgeber, soweit sie Wirtschaftspolitik treiben, sich allmählich, je komplizierter und uneinheitlicher der Ablauf der freien Wirtschaft wird, um so mehr in die Rolle von Medizinmännern und Zauberern begeben, die nun allerlei Räucherkerzen anzünden, Nebel verbreiten, Gebetsmühlen ableiern und so tun, als ob dieses ganze Tun einen Sinn hätte. Und wenn dann ein redlicher und schlichter Mann kommt und sagt: Nun macht doch mal den Nebel weg, stellt eure Gebetsmühlen ab und hört mit eurem Gemurmel auf, wir wollen uns mal hinsetzen und uns einen klaren Überblick verschaffen, — dann wird gesagt: Was will dieser lächerliche Theoretiker?
Meine Damen und Herren, so liegen doch hier die Verhältnisse. Der Bundestag kann diese Frage nur lösen, wenn er sich um ein Höchstmaß von Klarheit bemüht. Das bedeutet aber: so viel ernste theoretische Bemühung wie überhaupt möglich! Wenn wir die Frage anders lösen, wenn wir sie nur im Wege des Aushandelns und der Kompromisse hinter verschlossenen Türen lösen, so bleiben wir dem Volk, so bleiben wir der Wirtschaft, so bleiben wir den Arbeitern, so bleiben wir dem Mittelstand, so bleiben wir vor allem den deutschen Verbrauchern so gut wie alles schuldig. Der Ruf „Nur keine Theorie" nimmt sich nirgends schlechter als im Mund eines vom Volk gewählten Abgeordneten und Mitglieds einer gesetzgebenden Körperschaft aus. Der Ruf „Nur keine Theorie; dafür ist die Frage sozusagen zu ernst" hat beinahe etwas Lustiges an sich. Aber dabei stimmt schon etwas: Wenn man nämlich den Nebel zerstreut und Klarheit schafft, dann werden Besitzstände gefährdet, die sich unter dem Schutz des Nebels gebildet haben, ganz legitim, ohne daß da jemand etwas Böses getan hat.
Nun werden aber diese Besitzstände allein durch die Verbreitung von Klarheit gefährdet, und infolgedessen tritt für die Inhaber dieser bevorzugten Besitzstände eine ernste Lage ein in dem Augenblick, in dem eine zureichende theoretische Fragestellung und denkerische Klarheit auftaucht. Aber gerade das ist doch die Aufgabe des Parlaments. Gute Theorie und gute Gesetzgebung sind Zwillinge. Wenn hier jemand sagt: „Wenn wir hier Gesetze machen wollen, dann müssen wir die Theorie zu Hause lassen", dann bedeutet das: „Der Himmel behüte uns davor, in diesem Hause gute Gesetze zu machen"!