Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf kurz resümieren, was ich vor Einsetzen des „Pfeifkonzerts" gesagt habe. Die Sozialdemokratische Partei hat zwei Anträge gestellt, die sich auf Ereignisse beziehen, die nach der Verabschiedung der Pariser Verträge hier im Bundestag eingetreten sind. Die französische Regierung hat die Zeit, die zwischen der Verabschiedung hier und der Annahme der Verträge im französischen Senat lag, dazu benutzt, sich zusätzliche Vorteile zu verschaffen und den Inhalt des Saarvertrags zu ihren Gunsten zu entwickeln. Das ist zum Teil unter aktiver Mitwirkung des Herrn Bundeskanzlers geschehen — er hat nämlich neu verhandelt und dem
Herrn französischen Außenminister einen Brief geschrieben, in dem bestimmte Zusicherungen enthalten sind —, und es ist zum anderen Teil dadurch geschehen, daß die französische Regierung von sich aus, ohne Zustimmung der Bundesregierung — ich möchte vermuten: gegen den Willen der Bundesregierung - auf wirtschaftlichem Gebiet neue Tatsachen geschaffen hat, die jetzt dastehen und von der Bundesregierung zur Kenntnis genommen werden müssen.
Die Eile, die die Bundesregierung mit der Verabschiedung von solchen Verträgen hat, hat somit zum zweitenmal dazu geführt, daß wir, weil wir so brave Europäer sind, zusätzliche Preise an Frankreich zahlen müssen. Die Ereignisse, von denen ich rede, lagen auf dem Gebiet der politischen Freiheit an der Saar, und zweitens ging es um die Erhaltung der dominierenden französischen Position in der Saarwirtschaft. Bei der Behandlung des Saarvertrags im Bundestag war sich der Herr Bundeskanzler bewußt gewesen, daß der schwächste Punkt des Statuts der Art. VI — mit dem Problem der Freiheit — war. Er wußte wohl, daß zumindest im Willen des Vertragspartners dieses Statut ein Statut ohne, ja sogar ausdrücklich gegen freie Wahlen an der Saar sein sollte.
Da sah der Herr Bundeskanzler die Mehrheit für dieses Vertragswerk im Bundestag gefährdet, und, wenn man so sagen darf, er plauderte aus der Schule. Und vielleicht plauderte er mehr, als in der Schule gesagt worden war. Er stellte die Behauptung auf, Pierre Mendès-France habe ihm die Zusicherung gegeben, daß die Freiheit an der Saar nicht etwa auf drei Monate, bis zur Annahme des Statuts in dem ersten Referendum, beschränkt sein solle, daß sie vielmehr auch nachher nicht eingeschränkt würde.
Durch diese Äußerung des Bundeskanzlers sah sich die französische Regierung ihrerseits wieder in einem sehr wunden Punkte getroffen. Frankreich weiß genau, daß die Aufrechterhaltung der Separation des Saargebiets von Deutschland nur in Unfreiheit möglich ist, nur wenn es keine freien Wahlen gibt, wie wir sie sonst in der Bundesrepublik verstehen und wie man sie drüben auch in Frankreich versteht. Deshalb erfolgte die
prompte Zurückweisung der Thesen des Herrn Bundeskanzlers. Es wurde auch Ihnen, meine Damen und Herren, soweit Sie dem Saarstatut zugestimmt haben, gesagt, daß Sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, wenn Sie geglaubt haben, einem Vertrag zuzustimmen, in dem freie Wahlen für die eine Million Deutscher an der Saar zugesichert werden. Der Kernsatz dieses Kommuniqués der französischen Regierung vom 4. März lautet:
Artikel VI des Statuts, der ein Infragestellen des europäischen Statuts des Saarlandes nach der Annahme durch eine Volksabstimmung ausschließt, enthält keine Zweideutigkeit. Jede politische Tätigkeit oder Propaganda, die auf eine gegenwärtige oder künftige Änderung des Statuts hinzielen würde, solange dieses Thema noch nicht in den Friedensverhandlungen angeschnitten wurde, wäre ungesetzlich.
Man kann es nicht oft genug wiederholen, daß hier von der französischen Regierung klipp und klar gesagt wird, daß die Freiheit, die nach Art. VI Abs. 1 geschaffen werden soll, eine Freiheit für drei Monate und für nicht länger sein soll.
Diese Äußerung des französischen Kommuniqués traf nun wieder den Herrn Bundeskanzler an einer empfindlichen Stelle; denn er hatte doch die Zustimmung des Bundestages zum Saarstatut gerade mit der Behauptung erreicht, es werde volle Freiheit, auch zeitlich uneingeschränkte Freiheit an der Saar geben. Er sah sich jetzt veranlaßt, wenigstens zum Schein gegen die französische Erklärung zu protestieren. Er schickte unseren diplomatischen Vertreter in Paris zum französischen Außenministerium. Aber das, was wir über den Gegenstand und Inhalt dieses Schrittes erfahren haben, bezieht sich nur auf die Wiederholung der Thesen, die der Herr Bundeskanzler hier im Bundestag vorher aufgestellt hat. Es wurde nicht etwa der Versuch gemacht, die Unklarheiten und Gegensätzlichkeiten in der Auslegung des Statuts durch neue Verhandlungen zu beseitigen.
Was dann geschah, ist für uns in Dunkel gehüllt. Die Bundesregierung hat sich bisher nicht bemüßigt gefühlt, den Bundestag über die wichtigsten Geschehnisse zu unterrichten. Wir erfuhren plötzlich aus der Zeitung, daß der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß in Paris verhandelt habe, und wir erfuhren aus der bruchstückweisen Veröffentlichung eines Briefes des Herrn Bundeskanzlers an Herrn Außenminister Pinay auch, worüber verhandelt worden ist. Aus diesem Brief sind nur ein paar Sätze bekanntgeworden. Nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war darin folgendes zu lesen:
Während der Geltungsdauer des Statuts bis zum Friedensvertrag wird die Freiheit der politischen Meinung total sein. Doch ist jede politische Aktion ausgeschlossen, die geeignet ist, das Prinzip des Statuts, d. h. sein reibungsloses Funktionieren und den inneren Frieden an der Saar unmittelbar oder mittelbar zu beeinträchtigen. Es wird unter Kontrolle des Ministerrats der Westeuropäischen Union Aufgabe des Europäischen Kommissars sein, darüber zu wachen, daß diese beiden Grundsätze beachtet werden.
Jetzt ist ein neuer Streit darüber ausgebrochen, was nun die politische Bedeutung dieser orakelhaften Sätze sein soll. In Saarbrücken hat man sie sofort als die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers zu der französischen Interpretation des Saarabkommens gedeutet. Das gleiche ist in Frankreich geschehen. Im französischen Senat — —
— Herr Präsident, ich muß sagen, daß ich sehr gestört werde.