Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich eingangs einen Zusatzantrag zu unserem eigenen Antrag Drucksache 1293 stellen. Es soll ein neuer Absatz folgenden Wortlauts angefügt werden:
Die Bundesregierung wird ersucht,
dem Bundestag ihre Meinung über die Vereinbarkeit des französisch-saarländischen Protokolls eines Übereinkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 21. März 1955 mit Geist und Buchstaben des Abkommens über das Statut der Saar vom 23. Oktober 1954 bekanntzugeben.
Die beiden Anträge der sozialdemokratischen Fraktion, die heute zur Beratung stehen, sind nach der dritten Lesung der Pariser Verträge im Bundestag gestellt worden, und sie beziehen sich auf Ereignisse, die nach dieser dritten Lesung eintraten. Diese Ereignisse sind zum Teil unter Mitwirkung der Herrn Bundeskanzlers, zum Teil unter seiner bloßen Duldung zustande gekommen. In beiden Fällen aber ging es um eines: es ging darum, dem französischen Senat die Annahme der Pariser Verträge zu erleichtern. Es hat sich gezeigt, daß zu diesem Zweck, um die Verträge im Rat der Republik ,durchzubringen, sogar zusätzliche Verhandlungen möglich waren, von denen man uns vorher sagte, daß sie nicht durchsetzbar seien, obschon der Bundeskanzler selbst versprochen hatte, solche zusätzlichen Verhandlungen zur Klärung strittiger Punkte zu führen. Über diese Verhandlungen ist uns kaum etwas bekanntgeworden. Ein Resultat dieser Pariser Gespräche war jener Brief des Herrn Bundeskanzlers an den französischen Außenminister Pinay, aus dem auch wieder nur ein Bruchstück bekanntgeworden ist. Aber ehe ich darauf im einzelnen eingehe, darf ich folgende Ausführungen machen.
Nach der dritten Lesung im Bundestag war die Sachlage die: Der Herr Bundeskanzler hatte sich in der dritten Lesung veranlaßt gesehen, einige Äußerungen zu tun, die ein bezeichnendes Licht auf dieses Statut der gegenseitigen Hintergedanken warfen, und diese Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers hatten in Paris beunruhigend gewirkt und dort Reaktionen ausgelöst. Ein zweiter Punkt, der die Sachlage nach der Verabschiedung der Verträge hier im Hause charakterisierte, war dieser: Frankreich hat jetzt schon gelernt, sich den Eifer der Bundesregierung zunutze zu machen.
Die Bundesregierung glaubt immer vorweglaufen zu müssen, wenn es darum geht, solche Verträge zu ratifizieren, und wenn hier in Bonn die Verträge angenommen worden sind, dann kommt Paris automatisch in die starke Position. Denn dann geht es ja nur noch um die Zustimmung in Paris, und dann kann Paris zusätzliche Forderungen stellen. Das haben wir mit den Verträgen von 1952 erlebt, und das haben wir jetzt wieder mit den Pariser Verträgen erlebt. Wie es damals war, so
war es auch jetzt wieder: Die Bundesregierung hat zusätzliche Preise zahlen müssen oder hat Brüskierungen und französische Usurpationen hinnehmen müssen,
ohne sich gegen sie zur Wehr setzen zu können. Sie mußte es schlucken, um die Verträge in Paris nicht zu gefährden. Das Resultat des neuen Nachgebens der Bundesregierung war dann, daß die Verträge in der Zweiten Kammer in Paris durchgingen und daß der Senat den Saarvertrag mit einer noch größeren Mehrheit als .die Nationalversammlung annahm. Schon die Nationalversammlung hatte immerhin das Saarstatut so günstig für Frankreich gefunden, daß sie es mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen hat.
Welches waren nun die Zusicherungen und Garantien, die der Herr Außenminister Pinay forderte, um die Verträge im Senat besser durchbringen zu können? Da ging es erstens einmal darum, Garantien zu bekommen gegen die „gefährlichen" politischen Freiheiten an der Saar, und es ging zweitens darum, sicherzustellen, daß an der dominierenden Stellung Frankreichs in der Saarwirtschaft nichts geändert werde.
Lassen Sie mich zuerst einige Sätze zu 'dem ersten Punkt, zur Frage der politischen Freiheiten an der Saar, sagen.
In 'der zweiten und ,dritten Lesung hier im Hause war sich der Herr Bundeskanzler wohl bewußt, daß die Frage der Freiheit an der Saar, die Frage ,der freien Wahlen, der schwächste Punkt des Saarabkommens ist, und er hat sich, weil sich die Angriffe und die Bedenken aller auf diesen Punkt konzentrierten, veranlaßt gesehen, Äußerungen zu tun, die dann wieder in Paris als eine Gefährdung der Verträge angesehen wurden.