Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, es sei zwischen deutscher und französischer Seite ein Einvernehmen über die Auslegung des Artikels VI des Saarabkommens erzielt worden. Auch der Herr Kollege Kopf hat soeben hinzugefügt, man habe eine gemeinsame Formulierung gefunden. Leider wissen wir nicht, Herr Bundeskanzler, ob das, was Sie uns hier gesagt haben, den gesamten Inhalt Ihres Briefes an den französischen Außenminister, Herrn Pinay, darstellt,
denn man muß, um etwas beurteilen zu können, den ganzen Brief wissen, also auch den Zusammenhang, in dem eine Äußerung steht;
denn so für sich alleine genommen ist diese Äußerung ja außerordentlich widerspruchsvoll und kann höchstens eine Einigung darüber sein, daß man sich nicht einig ist.
Denn es wird zunächst einmal gesagt: die Meinungsfreiheit ist total, und im nächsten Satz heißt es: sie unterliegt Einschränkungen. Nun, eine Totalität mit Einschränkungen ist eine neue Erfindung,
mit der man wieder einmal die Grenzen der Wahrheit etwas erweitert hat.
Also entweder hat man an der Saar die Meinungsfreiheit, oder man hat sie nicht, und dabei geht es doch um einen ganz konkreten Punkt, den weder Sie. Herr Bundeskanzler, angesprochen haben noch der Herr Kollege Dr. Kopf, nämlich um die konkrete Frage: Ist man an der Saar auch nach Ablauf der ersten drei Monate und der ersten sogenannten Volksabstimmung befugt, den Inhalt eines künftigen Friedensvertrages zu erörtern? Ist man befugt, diesen Friedensvertrag zu fordern, und 'ist man befugt, sich zu Deutschland zu bekennen und den Wunsch zu äußern, daß in dem Friedensvertrag die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland bestätigt wird? Das ist die Frage, um die es geht,
und da haben wir nichts dazu gehört, daß darüber mit den Franzosen Einverständnis erzielt sei; im Gegenteil, im Rat der Republik und in der französischhörigen saarländischen Presse ist Ihr Brief an Herrn Pinay so ausgelegt worden, als ob dadurch der französische Standpunkt bestätigt worden wäre, daß über diese Frage Grabesruhe zu herrschen habe. Und zwar warum? Weil ja doch nach der französischen Auffassung das Saarstatut eine Art Verfassung darstellt, eine Art Verfassung, der gegenüber man zur Treue verpflichtet ist, während nach unserer Auffassung die Saar nach wie vor zum Staate Deutschland gehört und auch das Saarstatut von der Treuepflicht Deutschland gegenüber nicht beurlauben kann.
Das ist doch der eigentliche Punkt, und Ihr Brief ist, wenn er überhaupt eine gemeinsame Formulierung bedeuten kann, höchstens geeignet, den französischen Standpunkt zu stützen, aber nicht den deutschen,
und das bedauern wir auf das tiefste. — Nun, das ist das eine.
Dann muß ich etwas zu dem sagen, was der Herr Kollege Kopf in Reminiszenzen an die Weimarer Zeit eben ausgeführt hat. Nun, die fallen Ihnen immer zum falschen Zeitpunkt ein,
Herr Kollege Kopf. Denn das, was Sie da von Ausführungen Breitscheids und Severings zitiert haben, das haben wir 'während der Verhandlungen des EVG-Vertrages und der Pariser Verträge ja
oft genug erörtert. Damals wollten Sie nichts davon hören. Was hat man nämlich in jener Zeit im Reichstag gesagt? Man hat gesagt, es sei nicht zulässig, in die Richtlinien der Politik, die damals wie heute, damals dem Reichskanzler, heute dem Bundeskanzler zustehen, einzugreifen durch ein Gesetz, etwas, was wir auch bei diesen Verhandlungen immer wieder gesagt haben, weshalb wir auch in den Pariser Verträgen es nicht für statthaft halten, auch alle künftigen Bundeskanzler auf eine gewisse Integrationspolitik festzulegen. Das ist damals von dem Reichsinnenminister Severing erklärt worden: es gehe nicht ,an, im Wege eines Gesetzes in die nach der Verfassung dem Reichskanzler zustehenden Richtlinien der Politik einzugreifen und durch Gesetz einen Reichskanzler auf eine bestimmte Politik festzulegen. Das hat aber überhaupt nichts mit den Fragen zu tun, die heute hier anstehen. Denn heute steht hier die Frage an, ob ein Parlament seinen politischen Willen dahin äußern kann und darf und muß, daß ein völkerrechtlicher Vertrag noch nicht notifiziert wird, daß man also noch davon absieht, eine völkerrechtliche Bindung eintreten zu lassen. Einen politischen Willen hierzu äußern kann selbstverständlich ein Parlament jederzeit.
Da sind Sie einfach mit dem Zitat in \\den falschen Zettelkasten gerutscht.
Sie haben aber etwas sehr richtiges anderes gesagt. Sie haben gesagt: Jedes Verfassungsorgan muß die Schranken respektieren, die ihm gesetzt sind,
und jedes Verfassungsorgan muß so handeln, daß dadurch verfassungsrechtliche Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans nicht beeinträchtigt werden. Großartig, Herr Kollege Kopf! Nicht wahr? Denn der erste Satz bedeutet, daß auch der Bundestag bei dem Saarabkommen und dem Zustimmungsgesetz die Schranken beachten mußte, die das Grundgesetz allen Verfassungsorganen beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge zieht.
Und nicht nur wir, sondern auch außerhalb der Sozialdemokratie behaupten ja weite Kreise in Deutschland, daß diese Schranken überschritten worden sind und daß das Zustimmungsgesetz deshalb mit dem Grundgesetz nicht in Einklang steht.
Also diese Erkenntnis, daß man die Schranken respektieren muß, ist gut, sie führt aber jetzt zu dem Zweiten, was Sie auch so schön gesagt haben, daß kein Verfassungsorgan so handeln darf, daß es die Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans beeinträchtigt. Wer hat denn nun zu entscheiden und zu prüfen, ob die Schranken, die dem Bundestag und der Bundesregierung vom Grundgesetz gesetzt sind, rechtlich eingehalten wurden? — Kein anderes Verfassungsorgan als das Bundesverfassungsgericht!
Also nach Ihrer eigenen Deduktion muß jetzt alles unterlassen werden, was geeignet sein könnte, die Aufgaben und Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts zu beeinträchtigen. Infolgedessen folgt daraus die Rechtspflicht, die Notifizierung des Saarabkommens zu unterlassen, ehe nicht das
Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, wie es mit der Vereinbarkeit zum Grundgesetz ist. Das ist das wahre Ergebnis Ihrer Ausführungen.
Und damit bin ich dann beim letzten Punkt, nämlich bei der so etwas sehr vereinfachten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, daß es nicht anginge, einen völkerrechtlichen Vertrag, dem durch ein in drei Lesungen verabschiedetes und verkündetes Gesetz zugestimmt sei, auf Eis zu legen. Nun, die Verpflichtung zu dem Auf-EisLegen ergibt sich im Gegenteil gerade aus der Verfassung, deshalb, weil ein an der Ratifikation zu beteiligendes Verfassungsorgan, nämlich das Bundesverfassungsgericht, noch nicht sein Wort gesprochen hat, das in der Rechtsfrage das letzte Wort ist. Im übrigen, Herr Bundeskanzler, haben Sie es mit Ihrem Kühlschrank jeweils doch so gehalten, wie es Ihnen gefiel.
Sie haben z. B. das Heimkehrerentschädigungsgesetz sieben Monate auf Eis gelegt.
Die Platow-Amnestie haben Sie nie verkündet, (Hört! Hört! bei der SPD)
bis der 2. Bundestag dann den gesetzgeberischen Beschluß des 1. Bundestages wieder aufgehoben hat. Im übrigen ist es ja bei Verträgen mit auswärtigen Staaten so, daß das Zustimmungsgesetz grundsätzlich eine Ermächtigung an das Staatshaupt darstellt und es durchaus fraglich ist, wieweit die Ermächtigung zugleich auch eine Verpflichtung oder eine Bindung ist. Nichts also spricht dafür, hier die Notifizierung des Saarabkommens zu
überstürzen. Von einem Verstoß gegen die Verfassung dadurch, daß man diese Notifizierung nicht unverzüglich vornehme, kann überhaupt keine Rede sein, sondern es ist einmal durchaus noch Zeit und an der Zeit, die Zweifelsfragen durch die Verhandlungen klarzustellen, die Sie, Herr Bundeskanzler, uns bei der ersten Lesung des Saarabkommens ja ausdrücklich selbst versprochen haben,
und zweitens ist es nicht nur noch Zeit, sondern es besteht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, vor einer Notifikation abzuwarten, wie es sich mit der Verfassungsmäßigkeit des Saarabkommens verhält.
Von einer Erledigung unserer Anträge, Herr Kollege Kopf, kann keine Rede sein — so billig sollten Sie es nicht machen —, sondern wir müssen erwarten, daß man uns den vollen Wortlaut des Schreibens des Herrn Bundeskanzlers an den französischen Außenminister Pinay mitteilt und daß man auch im übrigen unseren Anträgen entspricht.