Meine Damen und Herren, die Behörden in Saarbrücken haben diese Stelle des Briefes des Herrn Bundeskanzlers sofort als die Annahme der französischen Interpretation des Saarabkommens durch die Bundesregierung ausgelegt. Der französische Außenminister hat bei der Lesung der Verträge im Senat ebenfalls in dem Brief des Herrn Bundeskanzlers eine Bestätigung der französischen Auffassung gesehen.
Gestern hat in der Nationalversammlung eine Debatte stattgefunden, in der der Herr Außenminister folgendes gesagt hat. Er erinnerte an das Schreiben Dr. Adenauers, in dem der Kanzler versichert habe, bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages werde an der Saar jede politische Aktivität ausgeschlossen sein,
die die französisch-deutschen Beziehungen trüben und die Ordnung im Saargebiet stören könnte.
Wir wissen aber, daß die französische Regierung und die Saarregierung bisher jede Tätigkeit der Parteien, die für den Verbleib des Saargebietes bei Deutschland sind, als eine Tätigkeit angesehen haben, die die französischdeutschen Beziehungen trübt und die die Ordnung an der Saar stört.
Wir müssen also, Herr Bundeskanzler, solange Sie uns nicht ausreichende Erklärungen über den wirklichen Inhalt der Verhandlungen und den ganzen. Wortlaut Ihres Briefes geben, annehmen, daß Sie erneut nachgegeben haben und daß Sie auch die schwache Chance, die vielleicht noch blieb, um die Freiheit an der Saar etwas länger als drei Monate dauern zu lassen, noch preisgegeben haben,
um im französischen Senat den Verträgen zur Annahme zu verhelfen.
Die französische Regierung hat sich die Eile der Bundesregierung um das Zustandekommen der Verträge auch auf wirtschaftlichem Gebiet zunutze gemacht. Es ist seit der Unterzeichnung des Abkommens in Paris am 23. Oktober auch auf wirtschaftlichem Gebiet eine denkbar schlechte Entwicklung für die deutsche Sache an der Saar eingetreten.
Die französische Regierung hat mit der Saarregierung über die Neugestaltung 'der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saargebiet und Frankreich verhandelt. Die Bundesregierung hat wegen der Beratungen im Senat zu allem geschwiegen und sich dabei die unerhörtesten Brüskierungen einfach gefallen lassen.
Als am 21. März das Protokoll eines Abkommens über die wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Frankreich bekanntwurde, da hat die Bundesregierung nur durch verlegenes, betretenes und deprimiertes Schweigen reagiert,
ein Schweigen, das sie auch bis heute noch nicht gebrochen hat. Und wir sind neugierig, ob sie diese Gelegenheit heute wahrnimmt, um dem Bundestag einige Erklärungen über 'dieses Geschehen abzugeben. Wird sie die Unmöglichkeiten heute anprangern, die da vorgekommen sind? Es ist von der französischen Regierung mit der Saarregierung verhandelt worden auf Grund eines Abkommens, das noch nicht in Kraft ist. Die französische Regierung glaubte jetzt in der besseren Position zu sein, jetzt vor dem Inkrafttreten des Abkommens und solange diese Regierung Johannes Hoffmann in Saarbrücken die Fäden in der Hand hält. Die französische Regierung wollte mit diesem Johannes Hoffmann verhandeln, der eine Regierung führt, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen und die deswegen von der Bundesregierung nicht anerkannt worden ist. Es war aber unser Interesse und wohl auch unsere gemeinsame Absicht, daß alle Dinge, die auf Grund dieses Saarstatuts in Zukunft unter Beteiligung der Saarregierung geschehen müßten, unter Beteiligung einer frei gewählten 'Saarregierung zu geschehen hätten. Auch 'dies hat die Bundesregierung hingenommen, ohne sich zur Wehr zu setzen.
Nach dem Art. XII des Saarstatuts sollen zwischen der Wirtschaft im Bundesgebiet und der Saarwirtschaft gleichartige Beziehungen geschaffen werden, wie sie zwischen der Saarwirtschaft und Frankreich bestehen. Wenn gleichartige Beziehungen geschaffen werden sollen, dann kann Frankreich aber nicht einseitig im Tête-à-tête mit dem von ihm selbst eingesetzten Johannes Hoffmann die Wirtschaftsbeziehungen Frankreich-Saargebiet neu regeln, dann müßte die Bundesregierung von vornherein an diesen Verhandlungen beteiligt sein.
Das war auch der Wille der Bundesregierung. Sie wollte daran beteiligt sein. Sie hat sich, um beteiligt sein zu können, sogar gedemütigt
und hat mit Herrn Johannes Hoffmann persönlich verhandelt. Aber auch diese Demütigung hat nichts genutzt. Nachdem hier die Verträge angenommen waren, glaubte Frankreich es sich leisten zu können, die wirtschaftlichen Verhandlungen mit Johannes Hoffmann ohne Rücksicht auf die Bundesregie-
rung und ohne deren Beteiligung zu Ende führen zu können.
Und dann muß man sich den Inhalt dieses Protokolls eines Abkommens über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Saargebiet einmal des näheren ansehen! Ich kann das hier nicht in Ausführlichkeit tun und kann nur einige Punkte hervorheben. Die Illusionen über die „gleichartigen Beziehungen" dürften restlos verweht sein,
nachdem dieses Protokoll in Paris unterzeichnet worden ist.
Nehmen wir den Punkt der Investierung! Es heißt in diesem Protokoll, daß in Zukunft Investierungen von Devisenausländern — von „Devisenausländern", das sind wir nämlich — an der Saar nur mit Zustimmung des französischen Finanzministers vorgenommen werden können.
Und nicht nur das, daß auf diese Weise also ein Riegel dagegen eingebaut wird, daß sich in Zukunft deutsche Unternehmen an der Saar wirtschaftlich betätigen können, man versucht, den deutschen wirtschaftlichen Einfluß, der im Saargebiet noch besteht, noch weiter zurückzudrängen und aus der Saar herauszudrängen. Die französische Regierung will die widerrechtliche Beschlagnahme der Völklinger Eisenwerke nicht aufheben und den Eigentümern ihr Eigentum zurückgeben, sondern sie will jetzt die Familie Röchling definitiv aus dem Saargebiet herauswerfen. Hören Sie, was M. Pinay darüber gestern in der Nationalversammlung gesagt hat:
Der Außenminister bestätigte, — nach dieser dpa-Meldung —
daß die Familie Röchling ihre Industriewerke an der Saar auf keinen Fall zurückerhalten werde.
Wenn es im Statut heißt, daß die Sequesterverwaltung vor Inkrafttreten des Statuts aufgehoben werden soll, 'dann ist das eben so zu lesen, daß sie deshalb aufgehoben werden kann, weil inzwischen mit allen Mitteln des politischen Druckes das Eigentum an diesen Werken in französische Hände überführt sein soll. Das ist die Wirklichkeit dieses Saarstatuts,
das ist die Wirklichkeit der französisch-deutschen Zusammenarbeit, die nach diesem Vertrag stattfinden soll,
das ist die Wirklichkeit des europäischen Geistes dieses europäischen Statuts, das Sie uns hier serviert haben.
Wir haben noch nichts davon gehört, daß die Bundesregierung auch nur den Versuch gemacht hätte, die Frage der Sequesterverwaltung zu klären. Sie wissen, 'daß die Sequesterverwaltung auf Grund eines widerrechtlichen Eingriffs der französischen Regierung eingerichtet worden ist. Widerrechtlich hat die französische Regierung die Hand auf das Eigentum gelegt, indem sie eine Entscheidung der Reparationsbehörde in Brüssel so auslegte, als
könnte sie Reparationen in Anspruch nehmen, ohne die als Reparationsgut dienenden Maschinen und Einrichtungen zu demontieren. In der Bundesrepublik haben wir es nirgendwo erlebt, daß die Reparationen so gehandhabt wurden, daß die Reparationsgläubiger nun Mitbesitzer der zur Demontage vorgesehenen Werke wurden. An der Saar aber hat man diesen Dreh gefunden,
um sich zum Miteigentümer an den entscheidenden Hüttenwerken zu machen. Hier fehlt jede Rechtsgrundlage, und nachdem jetzt die Familie Röchling einigen Widerstand leistet und nicht freiwillig auf ihre Besitztitel verzichten will, werden die politischen Druckmittel eingesetzt, um die Werke endgültig in französische Hand zu bringen.
Meine Damen und Herren! Der Text des Saarabkommens vom 23. Oktober ist schlimm. Wir haben gewarnt. Wir haben unsere Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Alle unsere Befürchtungen sind leider Gottes als berechtigt bestätigt worden. Wenn ich recht sehe, sind Sie doch selbst entsetzt über das, was da jetzt in Frankreich geschehen ist, wie man da einen Vertrag handhabt, den Sie angeblich zur deutsch-französischen Verständigung und im Interesse des Aufbaus Europas unterzeichnet haben. Aber Sie haben zu allem geschwiegen. Sie sind da die Gefangenen Ihrer eigenen Politik,
Sie sind die Gefangenen des Junktims zwischen dem Saarvertrag und den anderen Pariser Verträgen, des Junktims, das Sie auch selbst wieder durch Ihre Politik ermöglicht haben.
Für uns ist die Sache nicht zu Ende, und für uns l ist der Punkt 3 unseres Antrags Drucksache 1245 noch aktuell,
in dem neue Verhandlungen gefordert werden. Der Prozeß der Ratifizierung ist nicht abgeschlossen. Die Hinterlegung der Urkunden bzw. die Notifizierung ist noch nicht erfolgt. Wir glauben auch, daß, solange der Antrag auf Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht schwebt, eine solche Notifizierung nicht möglich ist. Wir warnen Sie, meine Damen und Herren, diesen Antrag in Karlsruhe zu leicht zu nehmen.
Was wäre denn dieser Vertrag mehr als ein Fetzen Papier, wenn in Karlsruhe festgestellt würde, daß er mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist? Wollen Sie denn einen solchen Vertrag durchführen, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit festgestellt hat, oder wollen Sie das Grundgesetz ändern und dann einen neuen Vertrag machen? Zu dieser Grundgesetzänderung im Interesse eines solchen Vertrages werden Sie auf jeden Fall in diesem Hause keine ZweidrittelMehrheit bekommen.
Wenn Sie die Dinge dahin treiben lassen, daß Sie notifizieren, und in Karlsruhe eine Ihnen unangenehme Entscheidung fällt, dann treiben Sie die Bundesrepublik in eine schwere innere Krise hinein. Und Sie treiben sie auch in eine schwere außenpolitische Krise hinein. Denn welches werden denn die Wirkungen eines solchen Ereignisses auf die deutsch-französischen Beziehungen sein?
Meine Damen und Herren, der Weg des Statuts vom 23. Oktober bis heute hat von einem Konflikt zum andern geführt, und zwar zu Konflikten sowohl zwischen den Vertragspartnern als auch zu innerpolitischen Konflikten hier in der Bundesrepublik. Ich fürchte, in der Zukunft wird es noch schlimmer sein. Die außen- und innenpolitischen Konflikte, die sich aus diesem Vertrage ergeben, werden in Zukunft noch größer sein, wenn Sie nicht die Gelegenheit nutzen, die es jetzt noch gibt, die Gelegenheit nämlich, durch neue Verhandlungen die Steine des Anstoßes aus dem Wege zu räumen.