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ID0207705400

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955 4227 77. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. März 1955. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4228 A, 4240 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage 1) . . . 4293 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Pferdmenges 4228 B Mitteilung über Vorlage eines Berichts des Bundesministers der Finanzen betr. Mißstände auf dem Gebiet der Besatzungsbauten (Drucksache 1307) 4228 B Mitteilung über Vorlage des Geschäftsberichts der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein für das Geschäftsjahr 1953/54 4228 B Mitteilung über Zurückziehung des Antrags der Fraktion der DP betr. Einfuhr- und Vorratsstellen (Drucksache 196) . . . . 4228 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Statut der Saar (Drucksache 1245) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Veröffentlichung des Schreibens von Bundeskanzler Dr. Adenauer an den französischen Außenminister Pinay (Drucksache 1293 [neu]) 4228 B Dr. Mommer (SPD), Antragsteller . 4228 C, 4236 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler 4232 C, 4236 B Dr Kopf (CDU/CSU) 4233 A Dr. Arndt (SPD) 4234 D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 4238 A Dr. Krone (CDU/CSU) 4238 B Abstimmungen 4237 D, 4238 B Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik im Mündlichen Bericht über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit (Drucksachen 1162, 973; Antrag Umdruck 292) 4238 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1158) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1253) und mit der Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abg. Dr. Böhm (Frankfurt), Dr. Dresbach, Ruf u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 1269) . . . 4238 D Dr. Horlacher (CDU/CSU) 4239 A Dr. Reif (FDP) 4241 D Samwer (GB/BHE) 4244 D, 4280 B Illerhaus (CDU/CSU) 4246 A Dr. Elbrächter (DP) 4250 A Unterbrechung der Sitzung . . 4252 C Scheel (FDP) 4252 D Raestrup (CDU/CSU) 4256 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 4260 B Bender (GB/BHE) 4260 D Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 4264 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 4266 A Dr. Schöne (SPD): zur Sache 4267 D zur Geschäftsordnung 4280 D Lenz (Brühl) (CDU/CSU) 4279 D Dr. Köhler (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 4280 C Ausschußüberweisungen . . . . 4280 B, 4281 A Änderungen der Tagesordnung . . 4263 D, 4281 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (Drucksache 1316) . . . . 4263 D Beschlußfassung 4264 B Erste Beratung des von den Abg. Platner, Dr. Leiske u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1083) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen (Drucksache 1233) 4281 A Platner (CDU/CSU), Antragsteller . 4281 A, 4292 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 4283 B, 4292 C Frau Dr. Steinbiß (CDU/CSU) . . . 4284 D Dr. Hammer (FDP) 4285 D Geiger (München) (CDU/CSU) . . 4286 C Stegner (Fraktionslos) 4288 D Becker (Hamburg) (DP) 4289 B Dr. Reichstein (GB/BHE) 4290 A Lange (Essen) (SPD) 4290 D Horn (CDU/CSU) 4291 D Samwer (GB/BHE) 4292 C Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 4292 D Ausschußüberweisungen 4293 A Beschlußunfähigkeit festgestellt und Weiterberatung vertagt 4293 C Nächste Sitzung 4293 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 4293 B, C, 4294 Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Wahl 14. Mai Stingl 14. Mai Feller 7. Mai Dr. Bucher 7. Mai Dr. Furler 7. Mai Dr. Rinke 7. Mai Neumann 7. Mai Heiland 7. Mai Dr. Lenz (Godesberg) 7. Mai Peters 23. April Pelster 23. April Kunze (Bethel) 23. April Dr. Maier (Stuttgart) 16. April Kühlthau 9. April Mißmahl 9. April Frau Lockmann 9. April Frau Kettig 2. April Dr. Pfleiderer 2. April Morgenthaler 2. April Dr. Kather 2. April Gedat 2. April Bauknecht 2. April Schuler 2. April Dr. Seffrin 2. April Frau Beyer (Frankfurt) 2. April Rademacher 2. April Dr. Jentzsch 2. April Euler 2. April Dr. Hesberg 2. April Kirchhoff 2. April Schrader 2. April Diedrichsen 2. April Frau Welter (Aachen) 2. April Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 1. April Ladebeck 1. April Frau Dr. Schwarzhaupt 1. April Feldmann 1. April Berendsen 1. April Hepp 31. März Dr. Baade 31. März Frau Nadig 31. März Dr. Wellhausen 31. März Naegel 31. März Frau Dr. Probst 31. März Hufnagel 31. März Brockmann (Rinkerode) 31. März Dr. Leverkuehn 31. März Even 31. März Seiboth 31. März Haasler 31. März Walz 31. März Paul 31. März Schütz 31. März Schneider (Bremerhaven) 31. März Neuburger 31. März Kalbitzer 31. März Jahn (Frankfurt) 31. März Dr. Kreyssig 31. März Dr. Schmid (Frankfurt) 31. März Brandt (Berlin) 31. März b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Becker (Hersfeld) 30. April Dr. Graf Henckel 30. April Kalbitzer vom 12. April bis zum 16. Mai Josten vom 4. April bis zum 20. Mai
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Böhm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir das letzte Mal eine Debatte mehr im Stile des theoretischen Denkmodells gehabt haben, wie es das Industrieinstitut feststellt, während heute die Diskussion mehr im Stile gereifter Praktiker geführt worden ist, möchte ich um Verzeihung bitten, wenn ich die Diskussion der gereiften Praktiker in meiner Eigenschaft als „theoretisierender SandkastenHosenmatz" noch einmal unterbreche. Ich tue das nur deshalb, weil ich den gereiften Praktikern eine Frage zu stellen habe, eine Frage, auf die ich bisher — ich habe sie schon oft gestellt — niemals eine Antwort bekommen habe.
    Es besteht überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es in einer Reihe von Märkten und Industriezweigen möglich ist, die Rentabilität der Betriebe dieser Wirtschaftszweige durch
    den Abschluß von Kartellverträgen zu verbessern. Es besteht also bei niemandem ein Zweifel darüber, daß die Kartelle zum Nutzen einzelner kartellierter Wirtschaftszweige sein können, dergestalt, daß es den Unternehmern dieser Wirtschaftszweige nach der Kartellierung besser geht als vor der Kartellierung, d. h. mit der Kartellierung besser als ohne Kartellierung.
    Ich räume Ihnen gern ein, daß die Beurteilung darüber, ob auf einem Markte, in einem Industriezweig die Verhältnisse so sind, daß sie ohne Kartellierung als für einen Teil der Unternehmer sehr drückend bezeichnet werden können, und die Beurteilung darüber, ob es möglich ist, durch eine Preisabsprache oder durch eine Mengenabsprache oder durch die Errichtung eines Syndikats die Verhältnisse für diesen Wirtschaftszweig zu verbessern, bei den beteiligten Industriellen und Praktikern zweifellos „ausgezeichnet" ist und daß niemand diese Frage besser beantworten kann als die Praktiker dieses Wirtschaftszweigs. Aber in dem Augenblick, in dem es einem Wirtschaftszweig gelungen ist, durch eine Kartellabsprache seine Preise und damit — das ist nicht notwendig, aber es ist möglich — auch die Rentabilität der Unternehmen zu verbessern, entsteht doch die weitere Frage: wer muß ,das bezahlen? Auf wessen Kosten wird dieser Vorteil erzielt? Sicher ist, daß die Abnehmer, die Kunden dieser Industrie nun höhere Preise bezahlen müssen, und daß die Abnehmer, wenn sie trotz der höheren Preise genau so viel kaufen, dann einen höheren Teil ihrer Kaufkraft für die Befriedigung dieses Bedürfnisses verwenden müssen und daß zur Befriedigung ihrer übrigen Bedürfnisse nun nicht mehr so viel Geld, so viel Kaufkraft übrigbleibt, so daß also irgendwo eine andere Industrie oder ein Handelszweig —das verbreitet sich sehr — entsprechend weniger verdient, entsprechend Arbeiter entlassen muß usw. Durch das Kartell wird also an einer Stelle geholfen, an anderer Stelle geschadet. Diese Überlegung ist sehr einfach. Und nun möchte ich die Praktiker fragen: wie haben Sie sich das überlegt, welches Urteil und welche Ansichten haben Sie sich darüber gebildet, wer nun die Risiken im Markt zu tragen hat, die eine bestimmte Industrie auf ihrem Markte auf Unbekannte abgewälzt hat. Wie sind die Folgen der Kartellierung eines Marktes für die übrigen Märkte? Hierauf haben die Praktiker als Praktiker noch niemals eine Antwort erteilt. Diese Frage interessiert sie nicht, sie interessiert sie naheliegenderweise nicht, weil sie sich für ihren eigenen Wirtschaftszweig interessieren. Dazu, wie sich die Nachteile ihrer für sie selber erfolgreichen Politik auf andere Wirtschaftszweige auswirken, sagen sie: das ist nicht unsere Sache, wir haben für uns und unseren Wirtschaftszweig zu sorgen.
    Wenn wir hier aber ein Gesetz machen, dann dürfen wir uns als Bundestagsabgeordnete und als Gesetzgeber nicht damit zufriedengeben, daß einzelne Wirtschaftszweige durch Kartellierung ihre Lage verbessern können, sondern wir müssen uns die Frage vorlegen: welche Wirkungen hat das auf die gesamte übrige Wirtschaft, wenn einzelne Unternehmungen ein Kartell bilden. Da sich die Praktiker mit dieser Frage nicht beschäftigt haben, blieb es schließlich nur noch den Theoretikern übrig, diese Frage zu stellen. Die Frage, die wir als Gesetzgeber zu lösen haben, ist die theoretische Frage der gesamtwirtschaftlichen Wirkung von Kartellen. Es handelt sich einfach darum, eine


    (Dr. Böhm [Frankfurt])

    Frage im großen und ganzen und in all ihren Teilen zu lösen, und nicht nur darum, einen einzigen Ausschnitt herauszugreifen und danach die Frage zu lösen. Wenn heute — ich glaube, von Herrn Kollegen Samwer — die Überzeugung ausgedrückt worden ist, daß wir endlich die Theorie beiseite schieben und durch die nüchterne Betrachtung des Praktikers ersetzen müßten — —

    (Abg. Samwer: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt „allzu reichlich mit Theorie verbrämt"! Herr Professor, wenn Sie zitiere 1, bitte richtig!)

    — Ich habe es hier nicht im Stenogramm.

    (Abg. Samwer: Sehen Sie im Protokoll nach! Hören Sie doch besser zu!)

    Ich hatte nur den sehr deutlichen Eindruck, daß Sie mit Betonung des Wortes „nüchtern" von der „nüchternen Betrachtung des Praktikers" sprachen, als sei nicht die Theorie, sondern die Betrachtung des Praktikers nüchtern. Meine Damen und Herren, es gibt doch nicht nur Praktiker, die an Kartellen interessiert sind, sondern es gibt ebensoviel Praktiker, die sich über fremde Kartelle ärgern. Während die Praktiker, die an einem Kartell interessiert sind, mich für einen sanft theoretisierenden Hosenmatz am Sandkastenmodell halten, halten mich die anderen Praktiker, die sich über andere Kartelle ärgern, für einen Mann, der weiß, was im Leben gespielt wird, und die Dinge richtig ansieht. Es kommen hier also jeweils ganz verschiedene Interessen in Frage. Es sind aber immer Interessen von Praktikern.

    (Abg. Samwer: Ich habe keine Sonderinteressen!)

    Worauf ich hier abstellen will, ist, daß wir das Problem nur unter der Fragestellung behandeln können: Welche Folgen hat es, wenn wir die Kartellierung erleichtern und begünstigen? Welche Folgen hat es, wenn wir den umgekehrten Weg einschlagen, den ich empfehle, und die Kartelle soweit wie möglich erschweren und eine Erlaubnis für Kartelle nur geben, wenn vier ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sind? Das sind gerade diejenigen Bedingungen, bei deren Vorliegen wir sagen können: Gut, hier versagt die Konkurrenz, hier versagt die Freiheit des Marktes, hier müssen wir etwas machen.
    Wir haben doch heute eine so ungeheure Fülle von Interventionen und Eingriffen in die Marktwirtschaft in Form von Steuern, in Form von Zöllen, in Form von amtlichen und staatlichen Preisfestsetzungen, in Form von Einfuhrbeschränkungen, in Form von Sozialabgaben aller möglichen Art. Dazu kommen dann noch die privaten Interventionen der Kartelle. Dadurch sind die Struktur und die Ordnung unseres marktwirtschaftlichen Systems so undurchsichtig geworden, daß niemand von uns allen mehr hindurchsieht. Wenn wir uns hier etwa darüber unterhalten, ob auf irgendeine Ware, z. B. Benzin oder Dieselöl, 3% oder 31/2% Steuern oder Zölle erhoben werden sollen in der Hoffnung, daß dann, wenn wir das tun, die und jene Folge eintreten wird, und wenn wir hier abstimmen und ein Teil für 3 % und ein Teil für 31/2% stimmt, dann sollen wir doch den Leuten im Volk nicht weismachen, daß auch nur einer unter uns ist, der weiß, was passiert, wenn 3 oder 31/2 % erhoben werden. Unsere Volkswirtschaft ist allmählich so verwickelt geworden, daß es einfach eine hochstaplerische Behauptung ist, wir machten hier noch seriöse Wirtschaftspolitik. Das ist doch der Sinn einer Verbotsgesetzgebung,
    daß wir nun auch auf dem Gebiete der privater, Interventionen anfangen wollen mit einem Abbau dieses Hineinregierens und Hineinintervenierens in freie Märkte, wobei wir uns sagen: Gut, dies€ freien Märkte sind nicht vorbildlich; aber es wird doch dann überall nach ungefähr dem gleichen Prinzip verfahren, und im Rechte gibt es keinen Unterschied.
    Allmählich wird infolge dieser Verwickeltheit und — wenn wir die Kartellierung begünstigen — der vielen zusätzlichen Monopolierungen auf den Märkten das Spiel noch undurchsichtiger. Wenn nun eine Kartellbehörde hier eingreifen und die Dinge zum Besten wenden will, so kann auch sie nur hochstapeln. Auch sie kann nicht wissen, was im einen oder im anderen Falle erfolgt. Es kommt mir so vor, als wenn die Regierung und der Bundestag, also der Gesetzgeber, soweit sie Wirtschaftspolitik treiben, sich allmählich, je komplizierter und uneinheitlicher der Ablauf der freien Wirtschaft wird, um so mehr in die Rolle von Medizinmännern und Zauberern begeben, die nun allerlei Räucherkerzen anzünden, Nebel verbreiten, Gebetsmühlen ableiern und so tun, als ob dieses ganze Tun einen Sinn hätte. Und wenn dann ein redlicher und schlichter Mann kommt und sagt: Nun macht doch mal den Nebel weg, stellt eure Gebetsmühlen ab und hört mit eurem Gemurmel auf, wir wollen uns mal hinsetzen und uns einen klaren Überblick verschaffen, — dann wird gesagt: Was will dieser lächerliche Theoretiker?
    Meine Damen und Herren, so liegen doch hier die Verhältnisse. Der Bundestag kann diese Frage nur lösen, wenn er sich um ein Höchstmaß von Klarheit bemüht. Das bedeutet aber: so viel ernste theoretische Bemühung wie überhaupt möglich! Wenn wir die Frage anders lösen, wenn wir sie nur im Wege des Aushandelns und der Kompromisse hinter verschlossenen Türen lösen, so bleiben wir dem Volk, so bleiben wir der Wirtschaft, so bleiben wir den Arbeitern, so bleiben wir dem Mittelstand, so bleiben wir vor allem den deutschen Verbrauchern so gut wie alles schuldig. Der Ruf „Nur keine Theorie" nimmt sich nirgends schlechter als im Mund eines vom Volk gewählten Abgeordneten und Mitglieds einer gesetzgebenden Körperschaft aus. Der Ruf „Nur keine Theorie; dafür ist die Frage sozusagen zu ernst" hat beinahe etwas Lustiges an sich. Aber dabei stimmt schon etwas: Wenn man nämlich den Nebel zerstreut und Klarheit schafft, dann werden Besitzstände gefährdet, die sich unter dem Schutz des Nebels gebildet haben, ganz legitim, ohne daß da jemand etwas Böses getan hat.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Nun werden aber diese Besitzstände allein durch die Verbreitung von Klarheit gefährdet, und infolgedessen tritt für die Inhaber dieser bevorzugten Besitzstände eine ernste Lage ein in dem Augenblick, in dem eine zureichende theoretische Fragestellung und denkerische Klarheit auftaucht. Aber gerade das ist doch die Aufgabe des Parlaments. Gute Theorie und gute Gesetzgebung sind Zwillinge. Wenn hier jemand sagt: „Wenn wir hier Gesetze machen wollen, dann müssen wir die Theorie zu Hause lassen", dann bedeutet das: „Der Himmel behüte uns davor, in diesem Hause gute Gesetze zu machen"!

    (Beifall in der Mitte und bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Fritz Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint mir angebracht zu sein, noch auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die in der bisherigen Aussprache über die verschiedenen Gesetzentwürfe nach meiner Meinung nicht genügend hervorgehoben worden sind, und die es wahrscheinlich den Vertretern der verschiedenen Auffassungen eher möglich machen werden, zu einem Kompromiß zu kommen, als es zunächst bei zumindest zwei Entwürfen den Anschein hat.
    Ich habe den Eindruck, daß ein großer Teil des Kartellstreits in der deutschen Öffentlichkeit in den letzten Jahren auf Prämissen beruht, die nicht oder nur bedingt zutreffen, beispielsweise auf der Prämisse, daß Kartelle, gleichgültig welcher Art, Wettbewerb grundsätzlich ausschlössen. Wir vermissen bis heute eine Antwort auf die Frage, welche Form der Wettbewerb bei irgendwelchen wettbewerbsbeschränkenden Verabredungen annimmt, in welchen Formen er sich vollzieht, und zwar innerhalb und außerhalb des Kartells. Wir vermissen ein Eingehen auf die Tatsache, daß kartellierte Wirtschaftsbereiche unter Umständen als Ganzes im Wettbewerb zu anderen Wirtschaftsbereichen stehen, nämlich etwa Werkstoffe zu verschiedenen anderen Werkstoffen, wie Eisen und Stahl zu Leichtmetall, Baustoffe verschiedener Art zu anderen Baustoffen; ferner natürliche Produkte wie Wolle und Baumwolle gegenüber den synthetischen Fasern. Wir vermissen weiterhin ein Eingehen auf die Frage, inwieweit bestimmte Gütergruppen im Wettbewerb um die Kaufkraft des Konsumenten gegenüber anderen Verwendungsmöglichkeiten für sein Einkommen stehen, etwa Güter des gehobenen Lebensstandards beim Hausrat zu dem Wunsch, zu reisen, zu dem Wunsch nach einer verbesserten Ernährung, und zu vielen anderen Dingen mehr, die hier auch beachtet werden sollten. Eine weitere Ausgangsposition, die nicht ganz zutreffend ist, ist die starke Vereinfachung, daß man dem komplizierten Tatbestand „wettbewerbsbeschränkende Verabredungen" nur mit entweder der einen oder der anderen Weise der Behandlung begegnen müsse.
    Die Gegenüberstellung: entweder Mißbrauchsregelung oder Verbotsregelung wird mit der Vielfältigkeit der Erscheinungen einfach nicht fertig. Das hat nicht nur die Praxis der Jahre bei uns und in Amerika gezeigt, sondern das zeigen auch die verschiedenen Entwürfe, die nach allen Seiten Zugeständnisse und Ausnahmen machen müssen. Das gilt sowohl auf dier Seite des Verbotsgedankens oder der Nichtigkeitserklärung wie auch auf de Seite der Mißbrauchsregelung.
    Ich vermisse weiterhin in der Kartelldebatte der letzten Jahre ein näheres Eingehen auf die sehr Vielgestaltigen Erscheinungsformen von Monopolstellungen und monopolähnlichen Stellungen. Wie will man beispielsweise bestimmten auf natürlichen Standortverhältnissen beruhenden Monopolen entsprechen? Gerade die Vielgestaltigkeit von Monopolen und monopolähnlichen Erscheinungsformen hat vielfach zu Verabredungen dier Wettbewerber geführt, um Korrekturen gegenüber Monopolsituationen an anderer Stelle vorzunehmen. Man wird sehr rasch antworten: „Was diem einen recht ist, ist idem anderen noch nicht billig. Man sollte zunächst einmal mit gutem Stil, mit gutem Benehmen und mit gutem Beispiel vorangehen. Insbesondere sollte gerade die private Wirtschaft mit gutem Beispiel vorangehen, wenn derartige unerwünschte
    Verhaltensweisen am Markte, etwa im Bereich der öffentlichen Wirtschaft und der öffentlichen Unternehmungen oder Ämter oder in ähnlichen Bereichen auftreten." Ich kann demgegenüber nur sagen, der Gesetzgeber muß sich darüber klar sein, daß er in einer jahrzehntelangen Entwicklung den Wettbewerbsspielraum, von dem die klassische Theorie ausgegangen ist, mehr und mehr eingeengt hat und daß nicht nur er mit der Fülle von Steuern, Abgaben und sonstigen Lasten aller Art, sondern auch die tatsächliche wirtschaftliche und technische Entwicklung zu Einengungen in vielen Bereichen geführt hat.
    Heute ist eine Zahl genannt worden. Es ist gefragt worden, ob man denn überhaupt ermitteln könne, in welcher Größenordnung in unserer Wirtschaft noch Wettbewerb denkbar und möglich sei und in welchen Bereichen das nicht mehr der Fall sei. Ich habe mir vor längerer Zeit schon einmal die Mühe gemacht, an Hand der Wertschöpfung, der volkswirtschaftlichen Produktion einen Überblick zu verschaffen, in welchem Bereich denn überhaupt noch Wertschöpfung auf dem Wege des Wettbewerbs erfolgt. Es ergab sich, daß von dem Nettosozialprodukt zu Marktpreisen nur noch rund die Hälfte auf dem Wege über die Produktion und die Erstellung von Leistungen im Wettbewerb aufgebracht wird, während die andere Hälfte der Entstehung nach der dirigistischen Wirtschaft und öffentlichen Bereichen zufällt oder aber unter die Bestimmungen des Kartellgesetzentwurfs der Bundesregierung fällt. Wenn man den Bereich der privaten Wertschöpfung für sich nimmt, so waren es in diesem Bereich, in dem man eigentlich die durchgängige Wettbewerbswirtschaft hätte vermuten müssen, nur zwei Drittel der Wertschöpfung, die man bestenfalls als einer uneingeschränkten Wettbewerbsordnung zugängig bezeichnen könnte.
    Wir haben uns ebenso die Mühe gemacht, in Verbindung mit der Kostenuntersuchung einer größeren Zahl von typischen industriellen Betrieben einmal zu untersuchen, in welchem Spielraum bei der industriellen Kostenstruktur Marktschwankungen aus dem Wettbewerb heraus aufgefangen und idem Vorlieferanten weitergegeben werden können. Die Weitergabe dieser Wettbewerbsschwankungen am Markt geht nämlich dort nicht, wo sich der Produzent gebundenen Kasten bzw. Kostenfaktoren gegenübersieht, denen gegenüber eine Weitergabe der Marktschwankungen nicht vorgenommen werden kann. Das ist der ganze Block der tarifmäßigen Löhne und Gehälter, der gesetzlichen Sozialabgaben, der kartellierten oder der kartellierungsfähigen Rohstoffe, wozu auch diejenigen zählen, die nunmehr weitgehend der deutschen Zuständigkeit entzogen sind und zur Jurisdiktion der Hohen Behörde im Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gehören. Es sind weiter der Block der Kosten von Energie sowie von anderen Brenn- und Hilfsstoffen, ferner die Steuern, die Transportkosten und ein kleiner Rest sonstiger gebundener Kosten.
    Ich darf hier für einige Betriebe den Raum der gebundenen Kosten und der nichtgebundenen Kosten nennen: bei einem Werk dier Industrie der Steine und Erden 85% gebundene Kasten, 15 % Kosten nicht gebunden;

    (Abg. Dr. Köhler: Hört! Hört!)

    bei einem Großbetrieb der elektrotechnischen Industrie mit über 5000 Beschäftigten 68% der


    (Dr. Hellwig)

    Kosten gebunden, 32 % der Kosten nicht gebunden;

    (Abg. Raestrup: Hört! Hört!)

    bei einem Werk der Zementerzeugung 71 % der
    Kasten gebunden, 29% der Kosten nicht gebunden;

    (Abg. Dr. Köhler: Hört! Hört!)

    bei Werken der Eisen-, Blech- und Metallverarbeitung, der Schrauben- und Normteileindustrie und ähnlichen Eisen verarbeitenden Werken rund gesprochen 70 bis 80% der Kosten gebunden, 20 bis 30 % der Kosten nicht gebunden.
    Ich erwähne diese Zahlen nicht, um zu sagen, man müßte die Flinte ins Korn werfen und dann wäre es aus mit dem Wettbewerb. Diese Schlußfolgerung, die vielleicht von anderer Seite gezogen werden könnte, sei hier keinesfalls gezogen. Nein, diese Situation zwingt doch dazu, einmal zu überlegen: Ist denn durch diese Art der Kostenverhärtung der Wettbewerb völlig unmöglich gemacht worden, oder wie und in welcher Form findet er nunmehr statt?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte hier einmal auf eine Erscheinung der modernen industriellen Produktion aufmerksam machen, die in den deutschen Erörterungen bisher viel zuwenig beachtet worden ist. Ich meine die Tatsache, daß der Wettbewerb der Produzenten und der Verteiler nicht mehr, wie das noch im 19. Jahrhundert und bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts der Fall war, ausschließlich oder überwiegend als Wettbewerb mit dem Preisangesehen werden kann, sondern daß dort, wo der Wettbewerb mit dem Preis erheblich eingeschränkt ist, andere Formen des Wettbewerbs, nämlich Wettbewerb mit der Leistung, Wettbewerb mit der Leistungssteigerung, Wettbewerb mit der Produktivität, Wettbewerb in der Qualität und Wettbewerb in den Konditionen, in den Bedingungen, im „service" für den Verbraucher, an die Stelle getreten sind.

    (Abg. Dr. Köhler: Sehr richtig!)

    Ich glaube, daß man auch bestimmte Erscheinungen im Fortschritt der industriellen Produktion, in der Steigerung der industriellen Produktivität förmlich mit einer gewissen Stabilisierung der Preise in ursächlichen Zusammenhang zu bringen hat. Wo nämlich der ,Preiswettbewerb als die beherrschende Form ides Wettbewerbs den ständigen Einsatz aller Reserven erforderlich macht, fehlen diese Reserven sehr leicht zur Vornahme der Investitionen, die zur .Erzielung einer Leistungssteigerung, zu einer Erhöhung der Produktivität gemacht werden müssen. Je stärker der Wettbewerb über den Preis ist, um so geringer sind die Chancen einer nachhaltigen und beschleunigten Produktivitätssteigerung, weil es hier eben an den Mitteln zur Vornahme erforderlicher Investitionen fehlt. Ich glaube, gerade die Erfahrungen in der amerikanischen Industrie bestätigen, daß bei einer bestimmten Stabilisierung — nicht Festsetzung, nicht Fixierung und Einfrierung, aber bei einer bestimmten Stabilisierung — der Preisschwankungen der Gewinn 'durch einen Wettbewerb um erhöhte Produktivität schließlich auch idem Verbraucher zukommt; ihm ist er in der Vergangenheit in Amerika nachweislich zugeflossen..
    Ich gebe zu, daß damit die Wirksamkeit des Preises, der sich aus Angebot und Nachfrage entwickelt, als Ordnungsfaktor, als Steuerungsfaktor etwas eingeschränkt wird; ,aber ich glaube, daß man diese Veränderungen in eden Formen und in den Zielsetzungen des Wettbewerbs doch in unsere Betrachtungen einbeziehen muß.
    Es wäre noch viel an Einzelheiten zu sagen; aber das sollte der Debatte und den Beratungen in den Ausschüssen vorbehalten bleiben. Mir erscheint es notwendig, noch einmal ;darauf hinzuweisen, daß wir hier keine Entweder-oder-Politik machen können.

    (Abg. Raestrup: Sehr richtig!)

    Wir werden wahrscheinlich um einen Kompromiß nicht herumkommen, der für einen bestimmten Teil wettbewerbsbeschränkender Abreden nur die Mißbrauchsregelung und für andere wettbewerbsbeschränkende Verabredungen die Aufsicht, den Genehmigungszwang und damit die Nichtigkeitsregel als erste Festsetzung übernimmt.
    Ich möchte alle diejenigen Kollegen, die glauben, daß man die vielgestaltigen Erscheinungen des Wettbewerbs im Wirtschaftsleben in allen Möglichkeiten paragraphenmäßig erfassen könne und Verhaltens- und Verfahrensvorschriften für jeden vorkommenden Fall finden könne, vor dies n Aberglauben in bezug auf einen bestimmten gesetzgeberischen Institutionalismus warnen. Worum es geht — das ist wohl die Aufgabe, zu der wir alle uns bekennen —, ist, die Gesamtheit unserer Wirtschaft einschließlich auch der Vertreter der öffentlichen Hand in dieser Wirtschaft zu dem Wettbewerb als einer Haltung zu verpflichten, zu dem Wettbewerb als Haltung auch zu erziehen und bestimmte Erscheinungen der Vergangenheit damit überwinden zu helfen. Ich habe allerdings die große Befürchtung, daß, je mehr Befugnisse zur Entscheidung über die Zulässigkeit von Abreden irgendwelcher Art zunächst der Verwaltung gegeben werden, desto mehr ,die Chance einer wirklichen Erziehung zum Wettbewerb verringert wird. Es wäre mir lieber gewesen, wenn die Durchsetzung und die Erziehung zum Wettbewerb viel stärker auf den Weg der Rechtsprechung, d. h. der Klagemöglichkeit und der gerichtlichen Entscheidung, verwiesen worden wäre, als es — nach Lage der Gerichtsverfassung im Augenblick wohl nicht anders möglich — in den jetzigen Entwürfen zunächst der Fall ist. Auch hier handelt es sich darum, daß jeder einzelne in der Wirtschaft angesprochen wird und sich für die Verteidigung seines Rechtes selbst interessiert. Die große Zahl von Möglichkeiten, die nunmehr in Ermessensentscheidungen zunächst bei den unteren Kartellbehörden liegen werden, halte ich nicht für einen glücklichen Ansatzpunkt, um die Erziehung zum Wettbewerb, um die es uns geht, wirklich erfolgreich durchzuführen.

    (Beifall in der Mitte.)