Protokoll:
17232

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 232

  • date_rangeDatum: 22. März 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:40 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/232 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 232. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. März 2013 I n h a l t : Gedenken an den 23. März 1933 . . . . . . . . . . Absetzung des Zusatztagesordnungspunk- tes 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur (Drucksache 17/12115) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident (Sachsen-Anhalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Josip Juratovic, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsge- botes für Frauen und Männer (Entgelt- gleichheitsgesetz) (Drucksachen 17/9781, 17/12782) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Dorothee Bär, Markus Grübel, Ingrid Fischbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Nicole Bracht-Bendt, Miriam Gruß, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP: Entgeltgleichheit für Frauen und Männer verwirklichen – Familien- freundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter (Drucksachen 17/12483, 17/12782) . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Beate Müller-Gemmeke, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskri- minierung von Frauen verhindern (Drucksachen 17/8897, 17/12575) . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 29003 A 29004 A 29004 A 29004 A 29005 D 29008 B 29010 A 29011 D 29013 D 29015 B 29016 B 29017 D 29018 C 29020 A 29021 C 29022 B 29024 B 29024 B 29024 C 29024 D 29026 C 29027 D 29029 D 29031 C 29032 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Torsten Staffeldt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Den Wandel in der maritimen Wirtschaft begleiten und ihre nationale Aufgabe für den Wirtschaftsstandort Deutschland herausstellen (Drucksache 17/12817) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umsteuern in der Krise – Maritime Wirtschaft unterstützen (Drucksache 17/12723) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Arbeitsbedingun- gen in der maritimen Wirtschaft för- dern – Flaggenflucht verhindern (Drucksache 17/12823) . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dritter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsper- spektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland (Drucksache 17/12567) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Valerie Wilms, Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäische Tonnagesteuer statt Steuer- sparmodell (Drucksachen 17/12697, 17/12878) . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde (Drucksache 17/12708) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Zusammenar- beit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäi- schen Union (EUZBBG) (Drucksache 17/12816) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 29034 C 29035 C 29036 D 29037 D 29038 C 29040 A 29041 B 29042 D 29044 B 29045 B 29047 B 29047 C 29047 C 29047 C 29047 D 29048 A 29049 A 29050 D 29052 B 29054 A 29055 C 29057 C 29058 D 29059 D 29062 A 29062 A 29063 A 29063 C 29065 A 29065 D 29067 A 29067 D 29068 D 29069 A 29070 B 29070 D 29072 A 29073 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 III Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes – Schutz vor Gefah- ren für Leib und Leben durch kriegs- waffenähnliche halbautomatische Schuss- waffen (Drucksachen 17/7732, 17/12872) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger private Waffen (Drucksachen 17/2130, 17/12872) . . . . . . Günter Lach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29074 A 29075 A 29076 B 29076 C 29076 C 29078 C 29079 D 29081 C 29082 C 29083 D 29085 A 29086 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29003 (A) (C) (D)(B) 232. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. März 2013 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29085 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 22.03.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 22.03.2013 Burchardt, Ulla SPD 22.03.2013 Canel, Sylvia FDP 22.03.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 22.03.2013 Dr. Franke, Edgar SPD 22.03.2013 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 22.03.2013 Goldmann, Hans- Michael FDP 22.03.2013 Günther (Plauen), Joachim FDP 22.03.2013 Gunkel, Wolfgang SPD 22.03.2013 Hahn, Florian CDU/CSU 22.03.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 22.03.2013 Hempelmann, Rolf SPD 22.03.2013 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 22.03.2013 Jung (Konstanz), Andreas CDU/CSU 22.03.2013 Kamp, Heiner FDP 22.03.2013 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Krüger-Leißner, Angelika SPD 22.03.2013* Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Laurischk, Sibylle FDP 22.03.2013 Ludwig, Daniela CDU/CSU 22.03.2013 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Mast, Katja SPD 22.03.2013 Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU 22.03.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 22.03.2013 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.03.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 22.03.2013 Movassat, Niema DIE LINKE 22.03.2013 Nešković, Wolfgang fraktionslos 22.03.2013 Dr. von Notz, Konstantin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 22.03.2013 Rebmann, Stefan SPD 22.03.2013 Dr. Reimann, Carola SPD 22.03.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 22.03.2013 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.03.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 22.03.2013 Schreiner, Ottmar SPD 22.03.2013 Schulz, Jimmy FDP 22.03.2013 Dr. Schwanholz, Martin SPD 22.03.2013 Schwanitz, Rolf SPD 22.03.2013 Seif, Detlef CDU/CSU 22.03.2013 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 22.03.2013 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 22.03.2013* Simmling, Werner FDP 22.03.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 29086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an der 128. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Begriffe „Vegetarisch“ und „Vegan“ gesetzlich schützen auf Drucksache 17/3067 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 17/10898 Nr. A.3 Ratsdokument 13327/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.5 Ratsdokument 16019/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.6 Ratsdokument 17344/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.10 Ratsdokument 17322/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.11 Ratsdokument 17360/12 Sportausschuss Drucksache 17/8967 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2012)0025 Drucksache 17/11919 Nr. A.7 Ratsdokument 16214/12 Rechtsausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.23 Ratsdokument 11780/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.8 Ratsdokument 16097/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.14 Ratsdokument 5213/13 Drucksache 17/12126 Nr. A.15 Ratsdokument 17324/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.13 Ratsdokument 17817/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.15 Ratsdokument 17881/12 Finanzausschuss Drucksache 17/12449 Nr. A.4 Ratsdokument 5132/13 Drucksache 17/12449 Nr. A.5 Ratsdokument 5249/13 Haushaltsausschuss Drucksache 17/12244 Nr. A.20 Ratsdokument 17929/12 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/12449 Nr. A.6 Ratsdokument 5292/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.3 Ratsdokument 6121/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.4 Ratsdokument 6122/13 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/12126 Nr. A.45 Ratsdokument 17135/12 Strothmann, Lena CDU/CSU 22.03.2013 Süßmair, Alexander DIE LINKE 22.03.2013 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013 Weinberg, Harald DIE LINKE 22.03.2013 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.03.2013* Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 232. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 30 Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur TOP 31 Entgeltgleichheit für Frauen und Männer TOP 32, ZP 10 Maritime Wirtschaft TOP 33 Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei TOP 34 Zusammenarbeit in EU-Angelegenheiten (EUZBBG) TOP 35 Waffenrecht Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723200000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere
Tagesordnung eintreten, möchte ich an ein historisches
Ereignis erinnern, das für die Geschichte unseres Landes
und für die Parlamentsgeschichte im Besonderen zwei-
fellos von herausragender Bedeutung ist.

Morgen, am 23. März 2013, jährt sich der 80. Jahres-
tag der Verabschiedung des sogenannten Ermächti-
gungsgesetzes. In der Krolloper, wo der Reichstag nach
dem verheerenden Brand vom 27. Februar zusammen-
trat, beschlossen am 23. März 1933 die Abgeordneten
das sogenannte Gesetz zur Behebung der Not von Volk
und Reich – mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit,
allein gegen die Stimmen der Sozialdemokraten unter ih-
rem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Des-
sen denkwürdige und heldenhafte Rede war, in den Wor-
ten seines Kollegen Wilhelm Hoegner, ein – ich zitiere –
„letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Mensch-
lichkeit und des Menschenrechts“. Bei der Abstimmung
im Reichstag fehlten damals bereits 107 Abgeordnete:
neben 26 Sozialdemokraten die 81 Fraktionsmitglieder
der KPD, die bereits in Haft genommen waren oder sich
aus berechtigter Angst um ihr Leben auf der Flucht be-
fanden.

Mit der Übertragung der gesetzgebenden Gewalt vom
Parlament auf die Exekutive wurde die Gewaltenteilung
aufgehoben, die parlamentarische Demokratie aufgege-
ben und der Weg in die Diktatur zementiert, der seit dem
30. Januar 1933 mit beispiellosem politischem Terror
eingeschlagen worden war.

Siegestrunken, aber in der Sache leider nicht einmal
falsch triumphierte der Völkische Beobachter über die,
so wörtlich, „Kapitulation des parlamentarischen Sys-
tems“. Richtig ist: Der 23. März steht für die mutwillige
Zerstörung einer Demokratie, die freilich nicht erst an
diesem Tag begonnen hat. Das Ermächtigungsgesetz be-
deutete nach der Auslieferung des Staates durch die kon-
servativ-reaktionären Machteliten Ende Januar die
Selbstaufgabe des Parlamentes, dessen verfassungs-
rechtliche Kompetenz und Verantwortung am Ende nur

noch von einer einzigen Partei hochgehalten wurde. Be-
gleitet wurde dies, wie Sebastian Haffner im bitteren
Rückblick festhielt, von einem in der Gesellschaft – ich
zitiere – „sehr weit verbreiteten Gefühl der Erlösung und
Befreiung von der Demokratie“.

Tatsächlich litt die politische Kultur der Weimarer
Republik von Beginn an unter der Skepsis gegenüber
dem parlamentarischen System, den Vorbehalten gegen-
über dem Prinzip der Repräsentation und dem Miss-
trauen in die pluralistisch-demokratischen Entschei-
dungsprozesse. Zur historischen Wahrheit gehört
deshalb: Die Republik ging keineswegs nur an ihren vie-
len Gegnern zugrunde, die es zweifellos gab, sondern
auch und gerade durch das Versagen der Demokraten.

Die Doppelerfahrung des Scheiterns von Weimar und
der nationalsozialistischen Diktatur prägt den Geist un-
seres Grundgesetzes; aus ihr folgt der Gedanke einer
wehrhaften Demokratie. Der Parlamentarismus in
Deutschland ist auch heute nicht völlig unangefochten,
aber er erweist sich auch und gerade bei Herausforderun-
gen als robust und vital, getragen von der Einsicht von
Demokraten, dass sie eine gemeinsame Verantwortung
haben, die noch wichtiger ist als der legitime jeweilige
politische Ehrgeiz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bit-
ten, sich für einen Augenblick von den Plätzen zu erhe-
ben. – Wir verneigen uns heute vor allen Opfern der na-
tionalsozialistischen Diktatur und erinnern uns dankbar
all derer, die während und nach der brutalen Zerstörung
der ersten deutschen Demokratie durch ihren Mut und
ihre Tatkraft den politischen, sozialen und moralischen
Wiederaufbau unseres Landes ermöglicht haben. – Vie-
len Dank.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich die Bundesregierung? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ziemlich schamlos!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf
aufmerksam machen, dass die für heute ursprünglich
beantragte Aktuelle Stunde zum Thema „Umvertei-
lungspläne der Koalition und Auswirkungen auf Durch-





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


schnittsverdiener und sozial Benachteiligte – Schul-
denfinanzierte Steuersenkungen und Rente mit 69“ nicht
stattfindet. Der entsprechende Antrag ist zurückgezogen
worden.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung zum Stand der
Aufarbeitung der SED-Diktatur

– Drucksache 17/12115 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Staatsminister bei der Bundeskanzlerin,
Bernd Neumann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


B
Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1723200100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
nächsten Jahr feiern wir den 25. Jahrestag des Mauer-
falls in Berlin, der eine entscheidende Wegmarke am
Ende der unseligen kommunistischen Diktatur in Ost-
deutschland war. 40 Jahre lang hatten 17 Millionen
Deutsche in der DDR unter der SED-Diktatur gelitten,
waren ihrer Freiheit beraubt; Menschenrechte wurden
mit Füßen getreten, Hunderttausende von Bürgern wur-
den bespitzelt, Andersdenkende und Regimekritiker wa-
ren inhaftiert und wurden drangsaliert – auch dann,
wenn sie nur die DDR verlassen wollten. Millionen von
Menschen wurden also ihrer Zukunft beraubt.

Auch über 20 Jahre nach der deutschen Einheit ist die
Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ
und in der DDR eine für Staat und Gesellschaft notwen-
dige und herausragende Aufgabe. Einen Schlussstrich
unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht ge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die 40-jährige DDR-Diktatur darf nicht verdrängt,
nicht vergessen und schon gar nicht verharmlost und
verniedlicht werden. Dies sind wir nicht nur den Opfern
schuldig, sondern auch den Werten unserer Demokratie,
aber auch den Menschen, die die friedliche Revolution
1989 erst möglich machten.

Die Regierungsparteien hatten sich daher für die
17. Wahlperiode vorgenommen, die Aufarbeitung weiter
zu verstärken, um einer Verklärung und Verharmlosung
der SED-Diktatur entgegenzuwirken. Der von der Bun-

desregierung vorgelegte Bericht zum Stand der Aufar-
beitung der SED-Diktatur, der heute erstmals Gegen-
stand der Debatte ist, dokumentiert in umfassender und
eindrucksvoller Weise auf fast 300 Seiten, was in den
letzten Jahren an Aufarbeitung geleistet wurde.

Beigetragen haben verschiedene Bundesressorts und
zentrale Einrichtungen des Bundes für die Aufarbeitung
der SED-Diktatur, die zu meinem Geschäftsbereich ge-
hören, so etwa die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, das
Haus der Geschichte, das Deutsche Historische Museum
sowie das Bundesarchiv, aber auch alle 16 Länder,
Opferverbände wie auch Einrichtungen von Gedenkstät-
ten. Der Bericht belegt, dass die Bundesregierung dem
Auftrag des Koalitionsvertrags, die Aufarbeitung zu ver-
stärken, umfänglich nachgekommen ist.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt nur die
Aktivitäten des Bundes kurz darlege:

Grundlage dafür bildet die 2008 vorgelegte Gedenk-
stättenkonzeption des Bundes. Ich habe in meiner Amts-
zeit bewusst die Mittel für die Aufarbeitung beider deut-
scher Diktaturen um 50 Prozent erhöht. Fast alle in
dieser Konzeption thematisierten Maßnahmen sind be-
reits abgeschlossen oder befinden sich in der Umset-
zung.

So wurden – um nur einige Beispiele zu nennen – die
Gedenkstätten Berliner Mauer, Deutsche Teilung
Marienborn, Leistikowstraße – also das ehemalige sow-
jetische Untersuchungsgefängnis – wie auch die Erinne-
rungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde in die institu-
tionelle Förderung des Bundes aufgenommen. An der
Bernauer Straße öffnete 2009 das Besucherzentrum
seine Pforten. 2010 konnte der erste Abschnitt der Open-
Air-Ausstellung auf dem ehemaligen Mauerstreifen fol-
gen. Im September 2011 eröffnete die Bundeskanzlerin
die Dauerausstellung zum Alltag der deutschen Teilung
im „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße. Im Ja-
nuar 2012 konnte Haus 1 in der Normannenstraße, die
ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicher-
heit, nach denkmalgerechter Instandsetzung der Öffent-
lichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Darüber hi-
naus wurden unter anderem Sanierungsmaßnahmen mit
Kosten in Millionenhöhe wie auch Projekte finanziert,
etwa beim ehemaligen Stasiknast in Hohenschönhausen,
im Zuchthaus Cottbus, in der „Runden Ecke“ in Leipzig
wie im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.

Auch an der ehemaligen Zonengrenze bzw. am soge-
nannten Todesstreifen, der die DDR abtrennte, finden
mit Mitteln des Bundes wichtige Aktivitäten statt. Ich
nenne nur Beispiele wie das Grenzlandmuseum Eichs-
feld, das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth und
Point Alpha.

Meine Damen und Herren, alle genannten Einrichtun-
gen arbeiten dagegen an, die Verbrechen vergessen zu
machen und das System der DDR schönzureden. Zeit-
zeugen können dem am eindrucksvollsten etwas entge-
gensetzen. Daher haben wir im Juni 2011 das Koordinie-
rende Zeitzeugenbüro eingerichtet – eine Anregung der





Staatsminister Bernd Neumann


(A) (C)



(D)(B)


FDP, die in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden
ist –, bei dem die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die
Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner
Mauer zusammenarbeiten. Allein im letzten Jahr gab es
bundesweit 514 Zeitzeugeneinsätze. Insgesamt wurden
über 22 000 Teilnehmer erreicht. Dieses werden wir dau-
erhaft fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Insgesamt gibt der Bund für die geschichtliche Aufar-
beitung der SED-Diktatur jährlich etwa 100 Millionen
Euro aus. Aber, meine Damen und Herren, trotz aller
Aktivitäten des Bundes, aber auch der Länder haben wir
beunruhigende Befunde in verschiedenen Studien zum
historischen Wissen von Jugendlichen. Das muss alle
Verantwortlichen in Deutschland wachrütteln, die An-
strengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, insbe-
sondere in den Schulen, noch weiter zu verstärken. Bei-
tragen können dazu auch Schülerprojekte wie das, das
Roland Jahn im Januar unter dem Titel „Stasi – Was geht
mich das an?“ durchgeführt hat und an dem sich über
300 Schülerinnen und Schüler aus vier Bundesländern
beteiligt haben. Das Gelände des ehemaligen Stasiquar-
tiers auf diese Weise auch als authentischen außerschuli-
schen Lernort zu nutzen, finde ich unterstützenswert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Ziel eines „Campus der Demokratie“, das Roland
Jahn hat, finde ich dem Grundsatz nach eine gute Idee.
Ob der Name optimal ist, können wir ja noch einmal in
Ruhe diskutieren.

Lieber Kollege Thierse, laut Zeitungsberichten haben
Sie zu dieser Idee des Campus kritisch gesagt – ich zi-
tiere –:

Es kam ja auch niemand auf die Idee, ein NS-Kon-
zentrationslager in einen Campus der Demokratie
umzuwandeln.

Finden Sie nicht, dass Ihr Vergleich inkorrekt und ge-
schmacklos ist, Konzentrationslager und Stasizentrale
gleichzusetzen? Ich finde das unmöglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Erlauben Sie mir an dieser Stelle auch eine Anmer-
kung zur sogenannten Perspektivkommission für den
BStU, die die SPD ja wieder für sich entdeckt zu haben
scheint. Ihre Argumentation, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der SPD, ist doch – ja – etwas scheinheilig.
Warum? In der Großen Koalition waren es – zugegeben –
einige Politiker der Union, die sich auf eine alsbaldige
Überführung der Behörde in die Zuständigkeit des Bun-
desarchivs verständigen wollten. Sie, die SPD, und die
Grünen waren damals einstimmig dagegen. Nun haben
wir in der christlich-liberalen Koalition das Stasiunterla-
gengesetz novelliert und alle entsprechenden Überprü-
fungsfristen bis 2019 verlängert. Wir sind uns mittler-

weile alle einig, dass vor diesem Datum eine Integration
ins Bundesarchiv auf keinen Fall infrage kommt. Aber
unabhängig davon steht doch fest, dass, ob integriert
oder nicht integriert, die Aufarbeitung auch darüber hi-
naus weitergeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb unser Vorschlag: Wir sollten in der nächsten Le-
gislaturperiode in Ruhe über die Zukunft der Behörde
beraten.

Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung der
dunklen Kapitel unserer Geschichte ist uns Verpflich-
tung. Das gilt im besonderen Maße für die Zeit der natio-
nalsozialistischen Terrorherrschaft und ihrer singulären
Verbrechen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deswegen war die FDP vorhin auch nicht hier! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Komm! Hören Sie auf! – Gegenruf des Abg. Sigmar Gabriel [SPD]: Das hätten wir mal machen sollen! Dann wären Sie der Erste, der dort gestanden hätte!)


Aber auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist aller
Anstrengungen wert. Der Bericht zeigt: Die Bundes-
regierung hat sich dieser Aufgabe umfassend und auf ho-
hem Niveau gestellt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723200200

Um an dieser Stelle unnötige Missverständnisse zu

vermeiden: Ich hatte keine Informationen, dass die Sit-
zung der FDP-Fraktion, die etwas später als die der
CDU/CSU-Fraktion unter Beteiligung der Bundeskanz-
lerin stattgefunden hat, noch nicht beendet war, als wir
das Plenum pünktlich eröffnet haben. Insofern ist es ab-
wegig, aus der Nichtanwesenheit der FDP-Fraktion zu
Beginn der Sitzung irgendeine Schlussfolgerung auf die
Relevanz der vorgenommenen historischen Erinnerung
herzuleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Unglaublicher Vorgang!)


Das Wort hat nun der Kollege Thierse für die SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723200300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich er-

laube mir trotzdem eine Bemerkung: Es bleibt ein be-
dauerlicher Umstand, dass während der Worte der Erin-
nerung des Bundestagspräsidenten an den Untergang der
Weimarer Demokratie und an den Mut von Otto Wels
und anderen Sozialdemokraten kein Minister anwesend
war.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja nicht! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜND Dr. h. c. Wolfgang Thierse NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, eine Ministerin! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Wanka war anwesend!)





(A) (C)


(D)(B)


– Dann sage ich also: Es ist bedauerlich, dass die Bun-
desregierung so gut wie gar nicht durch Minister vertre-
ten war. Dies bleibt ein bedauerlicher Umstand.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie können zumindest so viel Respekt erweisen, dass Sie
dieses Gefühl der sozialdemokratischen Fraktion und der
anderen Fraktionen der Opposition entgegennehmen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nachkarten!)


Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen
haben in ihrem Koalitionsvertrag einen Bericht der Bun-
desregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Dik-
tatur angekündigt; jetzt liegt er endlich vor. Diese Auf-
arbeitung – das will ich betonen – bleibt eine wichtige
gesellschaftliche Herausforderung, auch 23 Jahre nach
dem Ende der DDR. Sie gehört zum verpflichtenden
Erbe der friedlichen Revolution. Ein Schlussstrich ist
weder möglich noch überhaupt sinnvoll.

Der Titel des Berichts lässt Großes erwarten, Antwor-
ten auf grundsätzliche Fragen: Welche Aufgaben hat die
Politik zur Aufarbeitung der SED-Diktatur übernom-
men? Was wurde erreicht? Was bleibt zu tun? – Zu-
nächst einmal ist Erfreuliches zu berichten: Es passiert
wirklich viel. Es ist in den vergangenen 23 Jahren eine
vielfältige Aufarbeitungslandschaft – wie man das nennt –
entstanden: Unzählige Forschungsarbeiten wurden pu-
bliziert. Gedenkorte und Museen tragen zur Aufklärung
über die SED-Diktatur bei. Hier hat der Bund, Bundes-
regierung und Bundestag, bei der Unterstützung und
Finanzierung viel geleistet. Ebenso viele ehrenamtliche
und private Initiativen sind aktiv. Aufarbeitung – das
wird deutlich – ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe im
weiten und vernünftigen Sinn dieses Wortes, die in ihrer
ganzen Breite nur gelingt, weil engagierte Bürgerinnen
und Bürger sich dafür einsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU])


Detailliert zählt der Bericht Gedenkstätten und Mahn-
male, Initiativen und Einrichtungen auf. Er leuchtet viele
Aspekte der Aufarbeitung aus, von der Rehabilitierungs-
gesetzgebung, der Wiedergutmachung über Archive und
Forschung bis hin zu Bildungsprojekten. Er bildet das
breite Spektrum der Gruppen ab, für die Aufklärung und
Aufarbeitung von besonderer Bedeutung sind, nicht nur
im Bund, sondern auch in den Ländern. Man wird immer
auch sagen können – ich weiß das von mancherlei Aus-
landsreisen –, dass Deutschland hier durchaus vorbild-
lich mit der Hinterlassenschaft einer Diktatur oder, wenn
man so will, sogar zweier Diktaturen umgeht. All dies ist
lobenswert. Jedem, der sich einen Überblick über beste-
hende Einrichtungen verschaffen will, sei der Bericht
deshalb empfohlen, auch wenn die Gewichtungen nicht
immer stimmen: Man hat gelegentlich den Eindruck,

dass die Berichte der aufgeforderten Institutionen ein-
fach zusammengeheftet worden sind.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird ja gar kein Hehl draus gemacht!)


Diesem Bericht fehlt – so bewerte ich es nach meiner
Lektüre – etwas Entscheidendes, leider: Dieser Bericht
kennt und nennt keine Kriterien, um den Stand der Auf-
arbeitung zu bewerten. Aktuelle und länger bekannte
Probleme blenden Sie einfach aus. Doch Probleme zu
ignorieren, bringt keine Lösung; das wissen Sie, und das
zeigen die vergangenen vier Jahre Ihrer Regierungszeit.

Ich will zwei Beispiele nennen; das eine betrifft die
Rehabilitierung von Haftopfern, das andere die Entwick-
lung der Stasiunterlagenbehörde.

Kürzlich traf ich mich mit Frauen des Süddeutschen
Freundeskreises „Hoheneckerinnen“, eines Zusammen-
schlusses ehemaliger politischer Häftlinge – eine sehr
beeindruckende, mich bewegende Begegnung. Diese
Frauen erzählten mir von ihren Erlebnissen. Im Gefäng-
nis Hoheneck erfuhren sie die ganze Härte des Unrechts,
dessen der Justizapparat der DDR fähig war. Die Haft
wirkt bis heute nach; die Frauen leiden unter schlimmen
Spätfolgen, unter schweren Traumata, Schlafstörungen
und physischen Folgeerscheinungen, die behandelt wer-
den müssen.

Diese Frauen haben einen Forderungskatalog aufge-
stellt. Eine der Forderungen lautet: Sie wollen für ihre
Rehabilitierung und Opferrente nicht jahrelang mit einer
Bürokratie kämpfen müssen, die ihnen mit peinlichen
Hürden zusetzt. Sie wollen nicht um jeden Cent, der ih-
nen zusteht, kämpfen.


(Beifall bei der SPD)


Sie fordern deshalb eine Professionalisierung, Vereinfa-
chung und Vereinheitlichung des behördlichen Umgangs
mit den Opfern. Ich finde, darüber sollten wir nachden-
ken. Der vorgelegte Bericht liefert dafür keinerlei nützli-
che Informationen.

Auch bei der Stasiunterlagenbehörde scheint nach
diesem Bericht alles in Ordnung zu sein. Der Bericht
spart die zentrale Frage völlig aus: Wie geht es weiter
mit dieser Behörde und ihren Aufgaben? Der Staats-
minister für Kultur und Medien sagt dazu nichts, wäh-
rend sich öffentlich besorgte Stimmen mehren: Kommt
die Behörde ihrem eigentlichen Hauptauftrag angemes-
sen nach, nämlich Bürgerinnen und Bürgern Einsicht in
ihre Akten zu gewähren? Reagieren Politik und Behör-
den angemessen und rechtzeitig auf die Veränderungen,
die mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Gegen-
stand der DDR-Geschichte für Aufklärung und Aufar-
beitung entstehen?

Der jüngst vorgelegte 11. Tätigkeitsbericht des Beauf-
tragten für die Stasiunterlagen ist da sehr deutlich. Dezi-
diert beklagt er personelle Schwierigkeiten bei der Ak-
tenbereitstellung. Die Wartezeiten für Antragsteller
verlängern sich. Das ist nicht akzeptabel, und da läuft
doch etwas falsch. Im Bericht findet sich dazu nichts.





Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Das Personalproblem aber ist nicht isoliert zu sehen.
Der gegenwärtige Bundesbeauftragte, Roland Jahn, legte
kürzlich erste Pläne vor, den einstigen Sitz der Stasizent-
rale in der Normannenstraße zu einem „Campus der De-
mokratie“ umzugestalten. Er forderte richtigerweise eine
öffentliche Debatte darüber. Diese Debatte versagt ihm
die Regierungskoalition.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Das ist doch albern!)


Das entsprechende Debattengremium, eine Experten-
kommission, die die Koalition für diese Legislatur-
periode angekündigt hatte, ist bis heute nicht eingesetzt.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wir haben doch schon gehandelt bis 2019! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Vor einem Jahr haben Sie genau das Gegenteil behauptet!)


Meine Damen und Herren von der Koalition, ich for-
dere Sie auf: Setzen Sie diese Kommission endlich ein!
Sie muss Vorschläge erarbeiten und öffentlich diskutie-
ren, wie und in welcher Form die verschiedenen Aufga-
ben dieser Behörde mittel- und langfristig zu erfüllen
sind. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies haben Sie schließlich selbst in Ihrem Koalitionsver-
trag festgelegt. Dies steht auch in der Gedenkstättenkon-
zeption des Bundes, auf die Sie sich beziehen.

Nur nebenbei: Wenn ich in dem Bericht lese, alle in
der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption be-
schlossenen Maßnahmen wurden – wörtlich – „erfolg-
reich umgesetzt oder befinden sich in der Schlussphase
ihrer Realisierung“, dann trifft dies eben auf dieses
Thema gewiss nicht zu.

Die Debatte über die Zukunft der BStU ist aber unbe-
dingt zu führen, und sie ist jetzt zu führen. Die Idee des
„Campus der Demokratie“ führt nämlich nach meiner
Überzeugung in die Irre. Es ist ein Irrtum, zu glauben,
die bloße Anschauung der Diktatur bringe Demokraten
hervor.


(Zuruf von der FDP: Das hat er auch nicht behauptet!)


Dies geschieht ebenso wenig, wie die Betrachtung des
Lasters die Tugend mehrt, um hier Richard Schröder zu
zitieren.


(Beifall bei der SPD)


Der Titel ist nicht der entscheidende Punkt. Viel
wichtiger noch ist: Die Idee des „Campus der Demokra-
tie“ beinhaltet grundlegende und langfristige Weichen-
stellungen weg von der zentralen Aufgabe der Gewäh-
rung von Akteneinsicht und hin zur Etablierung der
Stasiunterlagenbehörde als dauerhafter Bildungseinrich-
tung. Die Frage ist aber doch: Wollen und brauchen wir
genau dies? Das sollte uns beschäftigen, gerade auch mit
Blick auf die anderen politischen Bildungseinrichtungen

im Lande und auf die vielfältige Landschaft der Aufar-
beitung.

Indem die Regierungskoalition schweigt statt zu han-
deln, stiehlt sie sich – das meine ich schon ernst – aus ih-
rer politischen Verantwortung. Sie verschleppt die not-
wendige Diskussion zur Perspektive der BStU,


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist doch völliger Quatsch!)


sie missachtet die Gestaltungspflicht und Gestaltungs-
freiheit des Parlaments.


(Beifall bei der SPD)


Dieses Vakuum kann der Behördenleiter nicht adäquat
füllen.

Die BStU-Behörde war und ist aus gutem Grunde
eine Institution des Bundestages, über deren Zuschnitt
und Aufgaben sich das Parlament zu verständigen hat.
Weil strukturelle Veränderungen der Behörde notwendi-
gerweise auch personelle Konsequenzen nach sich zie-
hen, lassen sich langfristige Planungen einerseits und der
Umgang mit heute auftretenden personellen Problemen
andererseits nicht voneinander isolieren.


(Beifall bei der SPD – Burkhardt MüllerSönksen [FDP]: Das ist richtig!)


Die Untätigkeit der Regierungskoalition im Bundes-
tag führt zu einer weiteren Schieflage, nämlich zur Ver-
unsicherung in der Öffentlichkeit. Wer es wagt, öffent-
lich die Tatsache auszusprechen, dass die Behörde des
Beauftragten für die Stasiunterlagen vor über 20 Jahren
– ich war dabei, als wir sie gefordert und erfunden ha-
ben – aus guten Gründen als befristetes, also endliches
Projekt geplant war, wer daran erinnert, dass sie eine
Ausnahmeinstitution in unserem Rechtsstaat ist, der
setzt sich dem Vorwurf aus, die BStU-Behörde zerschla-
gen und die SED- und Stasiaufarbeitung in toto beenden
und einen Schlussstrich ziehen zu wollen. Das Gegenteil
ist der Fall. Jedenfalls ist das ganz und gar nicht meine
Absicht.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das haben Sie aber vor vier Jahren ganz anders gesagt!)


– Nein; im Unterschied zu Ihnen, Kollege Vaatz.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ich habe immer dasselbe gesagt!)


Ich erinnere mich noch sehr gut an Vorschläge aus Ihren
Reihen, bestimmte Dinge zu beenden.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)


Die BStU-Behörde leistet – ich betone es noch einmal –
wichtige Arbeit und verfügt zu Recht über hohes Anse-
hen.


(Beifall bei der SPD und der FDP)


Damit dies in Zukunft so bleibt, müssen wir sie weiter-
entwickeln. Ich will vier Dinge nennen, über deren zu-
künftige Verwirklichung wir diskutieren müssen:

Erstens. Die Stasiüberprüfungen werden im Jahr 2019
enden. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es weder





Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


politisch noch menschlich angemessen, dass dann weit
zurückliegende Stasiverwicklungen noch ein Hinde-
rungsgrund für Anstellungen und Berufungen darstellen
sollen.

Zweitens wird der Bedarf schwinden, eine behörden-
eigene Spezialforschung zu unterhalten. Sukzessive er-
schließt die Behörde ihre Archivbestände mit dem Ziel,
externen Wissenschaftlern den Zugang zu den Akten zu
erleichtern. Über kurz oder lang werden deshalb ein-
schlägige zeitgeschichtliche Institute diese Forschungen
weiterführen können.

Bei allen Veränderungen muss drittens die Möglich-
keit der Akteneinsicht für Betroffene unbedingt erhalten
bleiben. Diese Kernaufgabe ist dauerhaft sicherzustellen,
auch für die Zeit nach 2019. Der Aktenzugang bleibt für
die Aufarbeitung elementar, auch wenn das Stasiarchiv,
in welcher Weise auch immer, dem Bundesarchiv ange-
gliedert werden sollte.

Viertens. Auch die historische und politische Aufar-
beitung wird selbstverständlich nicht abgeschlossen
sein. Allerdings ist ernsthaft darüber nachzudenken, wel-
che der bestehenden Einrichtungen diese Aufgabe über-
nehmen können. Ich denke an die Bundesstiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur oder die Bundeszentrale
und die Landeszentralen für politische Bildung. Der Be-
richt der Bundesregierung breitet übrigens die ganze
Fülle der bereits existierenden kompetenten Einrichtun-
gen sehr schön aus.

Über all diese Punkte müssen wir sprechen. Doch an-
statt Fachleute und Interessierte einzuladen und zur Dis-
kussion zu ermuntern, damit in diesen Fragen ein öffent-
licher Konsens erreicht wird, herrscht koalitionäres
Schweigen. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte
über Zuschnitt, Qualität und Zukunft der Aufarbeitung
und nicht eine Tabuisierung einer solchen Debatte. Sonst
verlieren wir uns in kleinteiligen finanziellen Vertei-
lungskämpfen. Der Bericht der Bundesregierung ist da-
für nur begrenzt hilfreich.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723200400

Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1723200500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Thierse, niemand wirft hier irgendjeman-
dem etwas vor. Wir werfen Ihnen nicht vor, dass bei dieser
wichtigen Debatte, die wir gerade führen, der Spitzenkan-
didat der SPD nicht anwesend ist, der Parteivorsitzende
der SPD nicht anwesend ist, der Fraktionsvorsitzende der
SPD nicht anwesend ist.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Da ist er doch!)


– Er telefoniert hinten in der Ecke. Herr Gabriel, telefo-
nieren Sie bitte draußen! Hier ist der Deutsche Bundes-
tag und nicht irgendein Kindergarten. Wir führen hier
eine wichtige Debatte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Außerdem, Herr Thierse: Wir alle haben die Ho-
heneckerinnen getroffen, jede einzelne Fraktion, nicht
nur Sie. Der Deutsche Bundestag, die Verwaltung, hatte
zu einer entsprechenden Veranstaltung eingeladen. Ein-
geladen waren SPD, Linke, Grüne, CDU/CSU und FDP.
Alle Fraktionen des Hauses haben diese Veranstaltung
begleitet. Ich persönlich kam hinzu, als der Vertreter der
Linken seine Ausführungen gerade beendet hatte. Durch
seine Einlassungen hatte er bei den Hoheneckerinnen be-
sondere Emotionen hinterlassen. Ich konnte dann einiges
wiedergutmachen.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Veranstaltung hat mir gezeigt, dass Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit keine selbstver-
ständlichen Werte sind. Darauf wird auch im Bericht der
Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-
Diktatur in aller Deutlichkeit hingewiesen. Wir leben
heute in Freiheit und Wohlstand. Die tristen Zustände
der DDR und der SED-Mief erscheinen sehr fern. Sie
sind – auch das muss man deutlich sagen – für viele aber
auch nicht mehr greifbar; denn die Mauer ist vor immer-
hin 24 Jahren und 4 Monaten eingerissen worden. Viele
haben aufgrund ihres biologischen Alters gar nicht mehr
die Möglichkeit, sich ein Bild davon zu machen, wie es
in der DDR ausgesehen hat, wie es dort gerochen hat,
wie dort die Umstände waren usw. usf. Das ist die ei-
gentliche Herausforderung für die Aufarbeitung. Es geht
heute nicht mehr um juristische Aufarbeitung, sondern
darum, dass junge Menschen urteilsfähig bleiben gegen-
über Unrecht und Unfreiheit, den Wert der Freiheit als
solchen erkennen und die Freiheit auch verteidigen wol-
len. Darum geht es: Die Menschen müssen urteilsfähig
bleiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch eine zivilisierte Gesellschaft kann durch Unfreiheit
erdrückt werden.

Insofern können wir stolz darauf sein, was die DDR-
Aufarbeitung bei uns darstellt. Wir hatten im Osten
Deutschlands die Kraft, uns der eigenen Aufarbeitung zu
stellen. Das ist nicht die Regel; es ist die Ausnahme, und
zwar weltweit. Andere postkommunistische Diktaturen
haben eine solche Aufarbeitung nicht durchgeführt.
Aber auch innerhalb Deutschlands müssen wir genau
hinschauen, inwiefern manche Dinge bei der Aufarbei-
tung schiefgelaufen sind.

Wir haben vor 20 Jahren gewissermaßen auf Druck
der Linken sehr intensiv über Stasiunrecht gesprochen.
Die Linke hat es geschafft, den Fokus weg vom DDR-
Unrechtsstaat sozusagen hin zu einer staatsterroristi-
schen Einheit, nämlich der Stasi, zu verschieben und
sich damit selber aus der Verantwortung zu nehmen, die





Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)


SED ein wenig reinzuwaschen und die gesamte Verant-
wortung der Stasi zuzuschreiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die DDR war ein SED-Unrechtsstaat, und die SED war
überall und hat dieses Unrecht begangen. Das müssen
wir auch heute deutlich sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Auch das will ich Ihnen sagen, Herr Thierse: Unter
Rot-Grün ist die Erinnerungsarbeit erlahmt. Sie ist ge-
bremst worden. Sie wurde akademisiert und ist dadurch
nicht mehr greifbar – ich sage nicht: angreifbar –; das ist
das Entscheidende. Bei der Aufarbeitung ist es entschei-
dend, verstanden zu werden, und das ist Ihnen nicht ge-
lungen. Die FDP nimmt für sich in Anspruch – ich hoffe,
die Union spricht uns da weiterhin zu –, dass wir 2009 in
die gesamte SED-Aufarbeitung neuen Schwung hinein-
gebracht haben, nicht aus Rachegelüsten oder Ähnli-
chem, was Sie uns manchmal unterstellen, sondern um
nach vorne zu zeigen und Zukunftsfähigkeit zu bewei-
sen.


(Lachen des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


– Da braucht man nicht abzuwinken, Herr Lenkert. Sie
kommen aus Jena. Wissen Sie, wie schwierig es ist, in
Jena politische Überzeugungsarbeit zu leisten, was Frei-
heit ist usw.?


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wissen Sie, wer der Oberbürgermeister a. D. von Jena ist?)


– Der Oberbürgermeister von Jena a. D. sitzt in unseren
Reihen und weiß genau, wie schwierig es im Osten ist,
mit Demokratie und Freiheit umzugehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sind besondere Herausforderungen. Das ist letztlich
Ihr Erbe.

Herr Staatsminister, Sie haben noch einmal überzeu-
gend deutlich gemacht, welche Erfolge wir hatten. Wir
von der FDP sind große Optimisten, aber dass das Koor-
dinierende Zeitzeugenbüro ein solcher Erfolg wird, hat-
ten wir nicht geglaubt. Es ist ein ungeheuer erfolgreiches
Projekt. Weiter so! Wir haben die Stasiopferrente gleich
am Anfang verbessert. Wir haben 40 Millionen Euro für
einen Fonds für DDR-Heimkinder bereitgestellt. Wir ha-
ben mehrere Stasiunrecht-Gedenkstätten und auch kom-
munistische Gedenkstätten saniert wie das Haus 1 in der
Normannenstraße und das ehemalige KGB-Untersu-
chungsgefängnis – das letzte sowjetische KGB-Untersu-
chungsgefängnis überhaupt in Osteuropa – in Potsdam in
der Leistikowstraße. Das kennt kaum jemand, weil die
Brandenburger Landesregierung alles getan hat, damit
das Kapitel einigermaßen unter der Decke bleibt.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir haben das behoben. Jetzt ist die Leistikowstraße sa-
niert und im Rahmen der Möglichkeiten wieder offen für
die Bevölkerung. Es ist wichtig, zu zeigen, wohin Kom-
munismus bzw. Diktatur führen kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Auch wenn die Regierung in Brandenburg das nicht wahrhaben will!)


Meine Damen und Herren, wir, die Koalition, haben
sehr bedauert, dass die Opposition an der Stelle im Bun-
destag nicht zugestimmt hat: Wir haben das Stasiunterla-
gengesetz noch einmal verlängert. Wir sagen: Solange es
biologisch möglich ist, dass sich Opfer und Täter im Ar-
beitsleben begegnen, befördern oder behindern können,
muss es nach unserer Auffassung möglich sein, dass
man in die Stasiakten Einblick nehmen und nachlesen
kann, ob jemand Opfer oder Täter war. Das ist ausge-
sprochen wichtig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe nicht verstanden, warum ostdeutsche Bun-
desländer der Novelle zum Stasiunterlagengesetz nicht
zugestimmt haben. Letztlich ist es dem SPD-regierten
Hamburg und dem grün-rot regierten Baden-Württem-
berg, die im Bundesrat zugestimmt haben, zu verdanken,
dass diesem wichtigen Gesetz die Freigabe erteilt wurde.
In diesen beiden Bundesländern ist die Weitsicht zumin-
dest in der Frage offensichtlich angekommen. Herr Mi-
nisterpräsident, trotzdem herzlichen Dank, dass Sie
heute hier sind. Es ist nicht üblich, dass die Bundesrats-
bank bei solchen Themen besetzt ist. Meistens geht es
um Geld, wenn dort jemand sitzt. Heute sind Sie bei ei-
nem solchen Thema anwesend. Insofern sage ich: Herz-
lich willkommen bei uns hier im Deutschen Bundestag!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir als Koalition haben Roland Jahn zum Behörden-
leiter gemacht. Das ist ein ungeheurer Fortschritt. Herr
Thierse, ich möchte daran erinnern, dass Sie, als Frau
Birthler die Behördenleitung innehatte, die Behörde un-
begrenzt erhalten wollten. Sie haben gesagt: Die Be-
hörde kann bis in alle Ewigkeit bestehen. – Jetzt herrscht
dort ein anderer Wind. Frau Birthler hat nicht alles
schlecht gemacht; aber Roland Jahn fasst die Dinge eben
anders an. Er hat eine andere Biografie und geht mit dem
Thema anders um. Plötzlich gibt es bei Ihnen einen Mei-
nungsumschwung. Plötzlich sagen Sie: Schluss mit dem
ganzen Stasiunterlagen-Behördensystem! Wir müssen
jetzt eine Trennung herbeiführen; wir wollen das auslau-
fen lassen. – Was gilt denn nun? Wollen wir wieder Frau
Birthler ins Amt holen? Sind Sie dann wieder dafür, dass
es weitergeht? Wie machen wir das? Diese Koalition
sorgt dafür, dass an der Stelle Rechtssicherheit herrscht
und wir die Dinge politisch in ihrer ganzen Tragweite
begutachten können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr gut!)






Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)


Leider bleibt mir nicht genügend Zeit, um darauf ein-
zugehen, dass wir auch heute für Freiheit und Ähnliches
einstehen müssen. Ich habe es außerordentlich bedauert,
dass der Kollege Steinbrück von Herrn Kuhn von den
Grünen zum Neujahrsempfang der SPD in Stuttgart eine
Mao-Zedong-Fibel bekommen hat, eine rote Bibel, wie
man sie auch nennt. Ich finde es unglaublich, dass je-
mand, der Deutschland regieren will, dieses Geschenk
überhaupt angenommen hat.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind ja ein unverschämter Vogel!)


So geht das nicht. Wir müssen in der täglichen Arbeit für
Freiheit und gegen Unfreiheit einstehen. Das macht sich
auch bei solchen Dingen bemerkbar.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: Wie blöd muss man eigentlich sein, um bei der FDP Bundestagsabgeordneter zu werden?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723200600

Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Bartsch für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723200700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das

klar und deutlich vorweg zu sagen: Natürlich wollen
auch wir eine seriöse, eine wissenschaftliche Aufarbei-
tung; natürlich bleibt das auch weiterhin eine gesell-
schaftliche Aufgabe. Deshalb ist parteipolitische Instru-
mentalisierung in dieser Frage wirklich fehl am Platz,
Herr Kurth.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sonst muss man auch einen Halbsatz zu den Blockpar-
teien sagen. Wenn es eine Frage der Aufarbeitung sein
soll, wenn jemand eine Mao-Fibel geschenkt bekommt,
dann sind wir wirklich nicht sehr weit gekommen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr müsst doch verlangen, dass Das Kapital verschenkt wird!)


Ich will – das ist ganz klar – sowohl zum Bericht als
auch zur Rede des Herrn Staatsministers Widerspruch
anmelden. Zunächst einmal will ich darauf hinweisen
– und das hat nichts mit Verklärung zu tun –, dass die
DDR-Geschichte natürlich zuallererst auch eine Ge-
schichte der deutschen Teilung und ein Teil der deut-
schen Geschichte ist. Die DDR ist doch nicht vom Him-
mel gefallen. Der Bundestagspräsident hat heute auf das
Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 hingewiesen.
Die DDR ist eben auch ein Ergebnis der größten Kata-
strophe, die wir in Deutschland hatten. Hitler-Deutsch-
land, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust – das alles
hat dazu geführt, dass es eine sowjetische Besatzung und
im Ergebnis die Gründung der DDR gegeben hat. Auch
deshalb lehnen wir als Linke jeden Versuch der Delegiti-

mierung der DDR von Anbeginn ab, und das wird auch
so bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer, wie es auch im Bericht steht, von kommunisti-
scher Diktatur in der SBZ und in der DDR redet, der be-
weist sowohl, dass er vom Kommunismus wenig Ah-
nung hat, als auch, dass er die damaligen Abläufe nicht
verstanden hat. Es ist doch kein Zufall, dass viele Intel-
lektuelle nach dem Zweiten Weltkrieg ebendiesen Staat
ausgewählt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Viele haben schnell erkannt, dass es eine Illusion war, und sind dann gegangen oder mussten gehen!)


Das ist kein Zufall; dafür gab es Gründe. Thomas Mann,
Stefan Heym, Friedrich Wolf – ich kann Ihnen ganz viele
Namen nennen –, die sind alle dorthingekommen, und
sie hatten Gründe dafür.


(Holger Krestel [FDP]: Wie viele Intellektuelle wollten denn ausreisen aus dem Staat?)


Ich will auch daran erinnern, dass nach der Zerschla-
gung Hitler-Deutschlands in der Sowjetischen Besat-
zungszone die SPD, die KPD und die CDU als Parteien
zugelassen worden sind. Eine Lehre aus der Geschichte
war der Auftrag: Nie wieder Faschismus! Nie wieder
Krieg! – Das war das Motto aller Parteien dort. Wer dies
bei der Geschichtsaufarbeitung nicht zur Kenntnis
nimmt, der kommt nicht ans Ziel.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das sollten Wissenschaftler machen, nicht Politiker!)


Ich will daran erinnern, dass die DDR schon 1949 den
8. Mai 1945 als Tag der Befreiung angesehen hat. In der
Bundesrepublik hat dies Richard von Weizsäcker 1985
zur Staatsräson gemacht. Auch das gehört mit zur Wahr-
heit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein zweiter Punkt: Es ist ganz klar und eindeutig, dass
kein Mensch einen Schlussstrich will. Auch wir wollen
die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Keine Par-
tei hat das so kritisch, so selbstkritisch wie die damalige
PDS gemacht.


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Reinwaschen!)


– Herr Kurth, da geht es nicht um Reinwaschen. Das ist
doch einfach nur dummes Zeug. – Ich will vom außer-
ordentlichen Parteitag 1989 – er war die Wiege der da-
maligen PDS – zitieren:

Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als
ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber
dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass
die ehemalige Führung der SED unser Land in
diese existenzgefährdende Krise geführt hat.





Dr. Dietmar Bartsch


(A) (C)



(D)(B)



(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Nennen Sie mal die Menschen! Das ist das Thema heute!)


Wir sind willens, diese Schuld abzutragen. … Der
außerordentliche Parteitag hat den Bruch mit der
machtpolitischen Überhebung der Partei über das
Volk, mit der Diktatur der Führung … vollzogen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber für die Todesstrafe haben Sie sich nicht entschuldigt und den Schießbefehl!)


Diesen Weg sind einige gegangen, viele nicht. Bei Ih-
nen ist das ganz einfach: Diejenigen, die am Tag danach
wussten, dass alles falsch war, und sich sofort woanders
engagiert haben, sind die Guten. Diejenigen, die sich auf
den schwierigen Weg gemacht haben, persönlich die Ge-
schichte und Verantwortung selbstkritisch aufzuarbeiten
und Schlussfolgerungen zu ziehen, sind für Sie die Bö-
sen, weil Sie das parteipolitisch instrumentalisieren.

Ich werfe Ihnen das überhaupt nicht vor; aber Sie wis-
sen gar nicht, unter welchen Auseinandersetzungen
diese Aufarbeitung in der PDS bzw. in der Linken statt-
gefunden hat. Das ist eine sehr, sehr kritische, schmerz-
hafte Auseinandersetzung – auch unter Tränen – gewe-
sen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!)


Es ist das Kuriose, dass teilweise selbst diejenigen, die
nach 1989 geboren wurden, für alles zuständig sein sol-
len, was die Vergangenheit – seit dem Bauernkrieg – be-
trifft. Das nehmen wir gerne an; das ist in Ordnung. Wir
wollen auch diese Zuständigkeit und diese Auseinander-
setzung. Nehmen Sie aber zur Kenntnis: Die SED hatte
2,3 Millionen Mitglieder. Weniger als 1 Prozent davon
sind heute in der Linken, und es ist so, dass diese die
Auseinandersetzung vorangetrieben haben.


(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Sie haben ein ganzes Volk terrorisiert!)


Ein dritter Punkt: Wir setzen uns nicht Ihretwegen mit
der Geschichte auseinander, sondern um unserer selbst
willen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen sie aus unserem Interesse, und zwar um der
Zukunft einer demokratisch-sozialistischen Partei wil-
len. Nichts anderes kann der Maßstab sein.

Ich will noch ein Zitat anführen, weil das Thema
„Mauer“ da eine Schlüsselfrage ist. Wir haben zum
40. Jahrestag des Mauerbaus erklärt:

An der bitteren Erkenntnis, dass der Staatssozialis-
mus in der DDR am Ende war, als die Mauer gebaut
wurde und es kein Konzept zu ihrer Überwindung
gab, führt kein Weg vorbei.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Und weiter:

Ein Staat, der sein Volk einsperrt, ist weder demo-
kratisch noch sozialistisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Was immer die konkreten … Umstände waren, die
zu dem Ereignis … führten – diese Lehre ist … un-
umstößlich.

Ich möchte noch zwei Bemerkungen machen. Ers-
tens. Es ist wirklich inakzeptabel, wenn, wie im Bericht
geschehen, eine Gleichsetzung der DDR mit dem fa-
schistischen Hitler-Regime erfolgt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist wirklich inakzeptabel. Ich will dazu Egon Bahr
zitieren, der sagte: Die Millionen Leichen sind eben
nicht mit Millionen von Aktenbergen zu vergleichen. –
Mögen wir doch bitte gemeinsam dabei bleiben. Diese
Gleichsetzung ist in keiner Weise zu akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann doch wohl nicht wahr sein! – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer die DDR-Geschichte nicht als Teil der deutschen
Geschichte und als Teil der Geschichte der deutschen
Einheit sieht, der begreift nicht,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich!)


dass es andere Ursachen für diese Entwicklung gegeben
hat. Wer nicht bereit ist, zu verstehen, dass Menschen
aus der DDR Erfahrungen und Lebensleistung in die
deutsche Einheit einbringen, auf die sie stolz sein dürfen
und auf die sie stolz sind, der wird Geschichte nie verste-
hen und leistet keinen Beitrag zur deutschen Einheit.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723200800

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723200900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den

SED-Millionen sage ich diesmal nichts, da darf ich Sie
beruhigen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Kollege Bartsch hat leider Stichworte genug gelie-
fert.

Ich beginne mit dem Stichwort „inakzeptabel“, das er
hier einige Male gebraucht hat. Es ist völlig inakzepta-
bel, dass der Vertreter einer Partei, die das alles ange-
richtet hat – SED-Diktatur –, sich hier hinstellt und sagt:
Wir machen die Aufarbeitung primär um unserer selbst,
um unserer Partei willen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben doch nicht Sie zu entscheiden!)


Ja, wenn es denn eine Aufarbeitung wäre! Sie haben sich
von Anfang an gegen die Delegitimierung der DDR ge-
wandt. Was soll das denn heißen? Die Gruppe Ulbricht





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


kam, und von Ulbricht, Ihrem früheren Parteivorsitzen-
den, kennen wir den Satz:


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Es muss demokratisch aussehen!)


Genossen, es muss alles schön demokratisch aussehen. –
Es sollte so aussehen, aber das war es nie. Wer wider-
sprach, wer Widerstand leistete, landete in den Kerkern
des KGB; so war es.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, so war es! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau!)


Die DDR war von der ersten Minute an ein Unterdrü-
ckungsstaat, Herr Kollege Bartsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Da Sie gesagt haben: „Wir haben den 8. Mai als Tag
der Befreiung gefeiert, bevor es die alte Bundesrepublik
tat“ – als sei das sozusagen ein historischer Vorsprung –,
frage ich Sie: Auf was für einen Geschichtsrevisionis-
mus haben Sie sich da eigentlich eingelassen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD] – HansJoachim Otto, Parl. Staatssekretär: Guckt euch das an! Die Grünen klatschen ja noch nicht mal!)


Mich macht das wütend.

Als der Kollege Kurth geredet hat, kam der Zwi-
schenruf „LDPD!“. Die Staffage der Blockparteien ha-
ben Sie aufgebaut. Das war Ihre Staffage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Welches Gefängnis hat denn die LDPD betrieben? Wel-
chen Geheimdienst hat denn die Ost-CDU gehabt? Sa-
gen Sie mir das einmal! Das hat alles Ihre Partei ge-
macht. Nach viermaliger Umbenennung sitzen Sie hier
wie Forscher, wie Wissenschaftler, die sich irgendein
Gebilde ansehen, mit dem sie gar nichts zu tun haben.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Geheuchelt ist das!)


Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Ihr Lothar Bisky hat Ulbricht einen großen Patrioten
genannt; Ihr Ehrenvorsitzender Hans Modrow, Genosse
Hans, hat den 17. Juni einen konterrevolutionären
Putsch genannt – das alles im vereinten Deutschland,
nicht zu DDR-Zeiten. Das sind Ihre Erkenntnisprozesse.

Ein Wort zu Sahra Wagenknecht. Sie mag in jede
Talkshow gehen, sie mag von der Liebe ihres Lebens re-
den,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nur nicht neidisch sein!)


vom Turbokapitalismus und von der Euro-Krise; das al-
les ist ihr gutes Recht. Aber sie sollte auch einmal etwas
zu folgenden Sätzen sagen – ich zitiere –:


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wo ist sie eigentlich?)


– die ist nie hier; aber sie äußert sich –

Die DDR war das friedfertigste und menschen-
freundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen
im Gesamt ihrer bisherigen Geschichte geschaffen
haben.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was haben Sie eigentlich damals so gemacht?)


Erich Honecker gebühre deshalb „unser bleibender Res-
pekt“.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Pfui!)


Die Mauer ist für sie eine Maßnahme „zur Grenzbefesti-
gung …, die dem lästigen Einwirken des feindlichen
Nachbarn ein längst fälliges Ende setzte“. Das ist Ihre
historische Aufarbeitung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und von wann ist das? – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ja, und jetzt sagen Sie auch mal, wann sie das gesagt hat!)


– Diese Sätze hat sie als Erwachsene bei klarem Ver-
stand im wiedervereinigten Deutschland geschrieben.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: War das damals beim Kommunistischen Bund?)


Dazu würde ich von ihr gerne etwas hören.

Ich möchte nicht von Ihnen, Herr Bartsch, hören: Un-
ser Parteitag hat 1989 beschlossen, dass wir Fehler ge-
macht haben. Wir entschuldigen uns. Damit ist es ein für
alle Mal gut.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was haben Sie denn 1989 so gemacht? Und vor allem: Was war davor?)


Das ist doch lächerlich! Das ist doch kein Eingeständnis.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist nur ein Lippenbekenntnis!)


Das ist doch keine Reue. Das ist doch nichts, was den
Opfern je geholfen hätte. Keine müde Mark, keinen mü-
den Euro haben Sie selber je dafür ausgegeben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch falsch!)


Sie haben das Geld beiseitegeschafft.





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man von Opferentschädigung redet, muss man
auch einmal die Frage stellen: Wer wäre denn primär da-
für zuständig gewesen? Sie wären primär dafür zustän-
dig gewesen. – Es tut mir leid; aber nach diesem Rede-
beitrag musste das sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist schon in Ordnung! Das muss Ihnen nicht leid tun! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein! Das musste nun wirklich nicht sein! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das musste sein! Ganz genau! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie wären wirklich besser bei der Union aufgehoben! Oder noch besser bei der FDP!)


– Es sind die Getroffenen, die bellen; das wissen wir.
Das ist auch gut. Aber Sie sollten solche Auseinander-
setzungen auch einmal öffentlich führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tun wir das nicht gerade? – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das machen wir seit Jahren! Sie müssten mal zu unseren Parteitagen kommen! Dann wüssten Sie auch, worüber Sie reden!)


– Hallo? Uns hier zu erzählen, die DDR sei irgendwie
vom Himmel gefallen und nicht ohne die deutsche Ge-
schichte verstehbar, das ist doch keine Auseinanderset-
zung mit dem Unrecht, das Sie begangen haben!

Der Bericht – das wurde gesagt – ist vielfältig; das
war eine Fleißarbeit. Er stellt eine gute Diskussions-
grundlage dar; das muss man sagen. Er sollte ursprüng-
lich jedes Jahr erscheinen. Nun erscheint er ein Mal in
jeder Legislaturperiode; auch das ist so akzeptabel. Da-
mit kann man leben. Der Bericht zeigt, dass die Auf-
arbeitung der DDR-Vergangenheit so vielfältig ist, wie
das Leben in der DDR war. Im Mittelpunkt steht natür-
lich die Unterdrückung, stehen authentische Orte des
Zerstörens von Menschen wie Berlin-Hohenschönhau-
sen, wie Bautzen, wie Hoheneck, wie Torgau – ohne je-
den Anspruch auf Vollständigkeit. In dieser Aufzählung
fehlen immer noch Orte; ich denke an das Militärgefäng-
nis in Schwedt. „Wer in Schwedt war, schweigt“, hieß es
in der DDR. Das zeigt: Bei so vielen Orten der Unterdrü-
ckung braucht man wirklich einen langen Atem. Ich
denke, wir haben ihn.

Es ist richtig, dass auch die Alltagskultur in der DDR
in Museen ausgestellt wird, dass man sich damit aus-
einandersetzt. Es gab in der DDR nämlich auch das, wo-
für sich der Begriff „gelebtes Leben“ herausgebildet hat.
Wir dürfen nicht den Fehler machen, das zu übersehen.
Niemand akzeptiert, wenn seine Biografie nur negativ
gesehen wird, nur abgewertet wird. Von daher sehe ich
mich mit Roland Jahn durchaus auf einer Linie, wenn er
sagt: Wir müssen die ganzen Kreisläufe erklären. Wir

müssen erklären, wer die Stasi warum eingerichtet hat,
was sie bewirkt hat und wie sie sich auf das Leben der
Menschen ausgewirkt hat. – Es wurde schon gesagt: Die
heute 20-Jährigen kennen das alles nicht mehr. Sie wol-
len auch wissen: Wie habt ihr in der DDR gelebt? Was
waren eure Ängste? Was waren eure Träume? – Auch
das gehört zur Aufarbeitung. Da sind wir, denke ich, tat-
sächlich auf einem guten Weg.

Andere Dinge – das kann ich Ihnen nicht ersparen,
Herr Staatsminister – müssen noch geklärt werden: Die
Expertenkommission zur Entwicklung der Stasiunterla-
genbehörde sollte kommen; das steht ohne jede Bedin-
gung in der Koalitionsvereinbarung. Sie ist nicht gekom-
men. Vier Jahre wurden nicht genutzt. Das ist schlecht.
Wir Grüne haben immer gesagt: Wir weisen die Mäkelei,
die es bei Marianne Birthler gab, zurück. Wir können
auch nicht verstehen, warum man Roland Jahn nun ähn-
lich behandelt. Das mag zum Teil auch Gründe haben,
die in den Personen liegen.

Für uns steht im Vordergrund: Die Stasiunterlagenbe-
hörde ist eine großartige Einrichtung: Das erste Mal hat
sich ein Volk der Akten seiner Unterdrücker bemächtigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen das Beispielgebende dieser Institution beto-
nen. Wir müssen diskutieren: „Welchen Weg soll sie ge-
hen?“, aber doch bitte schön nicht in ganz kleiner
Münze; das findet nicht unsere Zustimmung. Wir Grüne
wissen: Den Königsweg wollen wir nicht, können wir
gar nicht vorzeichnen. Deswegen muss diese Experten-
kommission jetzt eingesetzt werden. Hier gibt es eine
klare Reihenfolge. Zuerst muss geklärt werden: „Wie
lange und in welcher Form hat sie die Aufgaben zu erfül-
len?“, dann: „Was kommt danach?“ – wenn denn danach
etwas kommt. Danach erst kann man überlegen: Was
machen wir mit den Gebäuden? – „Campus der Demo-
kratie“, dieser Begriff wird nicht gehen. Man kann einen
Ort der Täter nicht in „Campus der Demokratie“ umbe-
nennen. Aber die Idee von Roland Jahn finden wir rich-
tig. Die Errichtung einer Jugend- und Begegnungsstätte
war auch ein Prüfauftrag in der Koalitionsvereinbarung.
In Roland Jahns Konzept ist das enthalten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201000

Kollege Wieland, gestatten Sie eine Bemerkung oder

Frage des Kollegen Sharma?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723201100

Ja, bitte.


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201200

Herr Kollege Wieland, Sie hatten freundlicherweise

gesagt, dass Sie nichts zu den SED-Millionen sagen wer-
den – das fand ich schon einmal sehr sympathisch –, ha-
ben dann trotzdem entsprechende Andeutungen ge-
macht.

Bei uns reden Kolleginnen und Kollegen, die im Os-
ten geboren und groß geworden und politisiert sind. Ich





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


selber bin im Westen geboren und zwölf Jahre lang Mit-
glied der SPD gewesen. Ich war auch nicht – anders als
andere hier – Maoist oder Pol-Pot-Anhänger, wie Sie
möglicherweise, sondern immer ein ordentlicher Demo-
krat. Weil ich insoweit unverdächtig bin,


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)


will ich sagen: Man kann vieles kritisieren, was die da-
malige Parteiführung der SED gemacht hat.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist selbstkritisch!)


Ich selber gehöre zu denen, die auch vieles kritisieren,
was unsere jetzige Parteiführung macht; ich nehme ei-
gentlich kein Blatt vor den Mund. Aber was man den
Menschen in der SED und den Mitgliedern der Linken
nicht vorwerfen kann, ist, dass sie sich mit ihrer Vergan-
genheit nicht auseinandergesetzt hätten. Der Kollege
Bartsch hat nicht umsonst auf den Sonderparteitag 1989
hingewiesen. Herr Wieland, Sie fordern eine öffentliche
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein. Ich kann
Ihnen sagen: Diese Auseinandersetzung läuft permanent.
Auch bei dem Grundsatzprogramm, das wir in Erfurt be-
schlossen haben, haben wir uns auseinandergesetzt mit
der Vergangenheit und mit dem Unrecht gegenüber den
Menschen in der DDR, was auch von unserer Partei zu
verantworten gewesen ist.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wege zum Kommunismus habt ihr beschlossen!)


Das alles haben wir getan.

Ich bitte Sie einfach einmal, das nicht permanent zu
ignorieren, weil das einfach komplett falsch ist und weil
Sie dadurch hier diese Selbstkritik und diese enorme
menschliche Leistung auch derjenigen, die durch diesen
tiefen Tunnel gegangen sind und den Mut aufgebracht
haben, sich damit auseinandersetzen, negieren.


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Ist hier in absehbarer Zeit noch eine Frage zu erwarten?)


Damit negieren Sie eine wirklich große Leistung von
Menschen.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Jetzt eine Frage! Holen Sie einmal Luft!)


Das ist eine Verachtung, die nicht angemessen ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723201300

Herr Kollege Sharma, ich sehe diese Leistung nicht;

das tut mir leid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Kollege Bartsch hat hier vorgetragen: Es war ein
Fehler, die Mauer zu bauen; das war nicht demokratisch. –
Meine Güte, was heißt das denn?


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]:Das habe ich gar nicht gesagt! Haben Sie nicht zugehört?)


Heißt das: Wir werden nie wieder eine Mauer bauen? –
Soll das als richtige Kritik der Partei durchgehen, die
diese Mauer gebaut hat? Soll das als Verbeugung vor den
Opfern durchgehen?


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie müssen zuhören! Hören müssen Sie schon! Das Zuhören ist doch nicht verboten worden!)


– Ich habe sehr genau zugehört und habe das gelesen. –
Das ist nicht ausreichend; das sage ich Ihnen hiermit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Oberlehrer Wieland!)


Gerade wenn man in seiner Vergangenheit Fehler ge-
macht hat, muss es einen radikalen Bruch geben. Auch
ich habe welche gemacht.


(Zurufe von der LINKEN: Ah!)


– Ja, gar keine Frage. Daraus habe ich nie einen Hehl ge-
macht. – Es gibt dann immer zwei notwendige Dinge:

Erstens. Man muss der Vergangenheit gegenüber ehr-
lich sein und darf nichts beschönigen.

Zweitens. Man muss es radikal anders und besser ma-
chen.

Das ist wichtig.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen wir!)


– Das machen Sie nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Die Linken machen es radikal, aber nicht besser! Das ist der Unterschied!)


Passen Sie auf: Der Herr Sharma als Schatzmeister
sagte ja – nun hat er mich doch auf die Milliarden ge-
bracht –,


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


da seien Milliarden verschwunden. – Wenn ich gefragt
werde, dann antworte ich. – Trotz Einsetzens einer unab-
hängigen Kommission und trotz der Beauftragung von
Detektiven ist dieses Geld, das Sie beiseite gebracht ha-
ben, nicht gefunden worden. Dieses Geld hätte den Op-
fern und nicht in Ihre dunklen Kanäle gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wo ist denn deren Notar? Wir wollen deren Notar sehen! Der soll Auskunft geben!)


Schließlich und endlich: In Bezug auf die Entschädi-
gung der Opfer gab es Fortschritte, die die Große Koali-
tion erreicht hat, zum Beispiel durch die Opferrente. Das
kann aber noch nicht das letzte Wort sein. Wir müssen
auch zu einer Ehrenpension und zu einer Anerkennung
von Verfolgungsschicksalen kommen. Das wäre eine





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


Weiterentwicklung. Es kann nicht sein, dass es nur eine
bessere Haftentschädigung gibt, die auch noch von einer
Bedürftigkeit abhängig ist. Das ist noch unzureichend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt viele Opfergruppen, zum Beispiel zwangsver-
setzte Schüler und Zwangsumgesiedelte, die noch immer
auf eine entsprechende Entschädigung warten. Auch da
kann es keinen Schlussstrich geben. Auch da sind wir
noch mitten in der Umgestaltung und dabei, das zu leis-
ten, was notwendig ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU])


Abschließend ein Satz von Willy Brandt, den er un-
mittelbar nach der friedlichen Revolution gesagt hat:
Nichts vergeben, nichts vergessen. – Das war sehr
apodiktisch. Vergessen dürfen wir tatsächlich nicht. Das
Vergeben hängt davon ab, ob die Opfer dazu bereit sind.
Nur sie können es. Das kann man nicht einfordern.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das kann man hier auch nicht beschließen!)


Die Bereitschaft der Opfer dazu setzt voraus, dass die
Täter Einsicht zeigen, und da, Freundinnen und Freunde,
müsst ihr noch ganz gewaltig wachsen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201400

Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt,

Reiner Haseloff, hat das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



(SachsenAnhalt)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren
Abgeordnete! Wie wir gerade gehört haben, werden uns
die Debatten um den Charakter des SED-Staates und um
seine Hinterlassenschaften noch sehr lange beschäftigen.
Die untergegangene DDR hat tiefe Spuren hinterlassen.
Einen Schlussstrich kann und wird es nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sicherlich hat manch einer ein großes Interesse an ei-
nem schnellen Vergessen. Wer mittel- oder unmittelbar
für den Überwachungs- und Unterdrückungsstaat Ver-
antwortung trug, stellt sich nicht gerne kritischen Fra-
gen. Andere wiederum plädieren für ein Ende der Debat-
ten, weil sie der Konfrontation mit dem Unbequemen
ausweichen wollen.

Bei aller Dringlichkeit unserer alltäglichen Aufgaben
dürfen wir die Vergangenheit nicht auf sich beruhen las-
sen. Vergessen stiftet keinen dauerhaften Frieden. Die
Errichtung der Stasiunterlagenbehörde war wichtig, und
ihre Arbeit muss fortgesetzt werden. Sie schützt vor der

Gefahr, den SED-Staat nostalgisch zu verklären und sei-
nen diktatorischen Charakter auszublenden.

Ich habe die DDR-Wirklichkeit tagtäglich erlebt. Ich
habe mich in einem atheistischen Staat zum Christentum
bekannt. Deshalb weiß ich: Der SED-Staat und sein Ap-
parat waren alles andere als harmlos. Die Debatte um die
Aufarbeitung der DDR-Geschichte darf sich nicht aus-
schließlich auf die Rolle der Stasi fokussieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das MfS war ein konstitutives Herrschaftsinstrument
der SED, ihr „Schild und Schwert“. Die SED prägte die
DDR: von der Gründung bis zum Untergang. Der Füh-
rungsanspruch dieser Partei erstreckte sich auf alle Be-
reiche von Staat und Gesellschaft. Die DDR war ihr
Staat. Jeder SED-Kreissekretär war mächtiger als ein
Kreisdienststellenleiter der Staatssicherheit. Vorsitzen-
der der Bezirkseinsatzleitung war der erste Sekretär der
SED-Bezirksleitung. Für den Ernstfall waren Isolie-
rungslager für mehr als 84 000 unliebsame DDR-Bürger
geplant. Mit den Vorbereitungen waren zwar MfS-Mitar-
beiter befasst. Sie erfüllten aber als Schild und Schwert
der Partei nur einen Auftrag der SED.

Das wahre Ausmaß von Überwachung und Unterdrü-
ckung wurde erst nach Öffnung der Archive allmählich
sichtbar. Noch längst sind nicht alle Fragen gestellt, ge-
schweige denn beantwortet. Insbesondere die Opfer des
Regimes haben einen Anspruch auf umfassende Aufklä-
rung. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur bleibt eine
notwendige Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schließung oder Vernichtung der Akten würde wenig
zum inneren Frieden beitragen, aber sehr viel zu einer
Verdrängung und Verharmlosung dieser Diktatur.

Die Geschichte der DDR ist auch die Geschichte der
SED und ihrer Versuche, das Leben der Menschen bis
weit in ihre Privatsphäre hinein zu kontrollieren und zu
bestimmen. In diesem Zusammenhang ist zu Recht von
der DDR als einer „Erziehungsdiktatur“ gesprochen
worden. Wer weiß das heute von den Heranwachsenden?
Eine 2008 durchgeführte Befragung von Schülerinnen
und Schülern aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin
und Brandenburg hat gravierende Wissenslücken offen-
bart. Je geringer das Wissen über die DDR war, desto
positiver wurde sie beurteilt. Deshalb ist Aufklärung
wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb sind Symbole, Gesten und Jahrestage wich-
tig. Unter ihnen hat der 17. Juni sein eigenes Gewicht
und seine eigene Symbolik. Deshalb sind Orte wichtig,
die die Gegenwart der Vergangenheit deutlich machen.
Wir müssen uns der Geschichte stellen, vorbehaltlos und
aufrichtig. Zur Aufrichtigkeit gehört vor allem, die Per-
spektive der Opfer nicht auszublenden. Ihre Schicksale
dürfen uns nicht gleichgültig sein oder gleichgültig wer-
den.





Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt)



(A) (C)



(D)(B)


Wie viele Menschen Opfer der SED-Diktatur wurden,
wissen wir bis heute nicht genau. Wir kennen nur unge-
fähre Zahlen. Was wir aber mit Sicherheit wissen: Die
SED-Diktatur schreckte vor Mord nicht zurück. Sie ließ
Lebensentwürfe scheitern, stellte Identitäten infrage und
zerstörte Beziehungen.

Die Aufarbeitung dieser Diktatur schützt vor Legen-
denbildung. Die DDR war keine Nischengesellschaft.
Sie ließ keine autonomen Gesellschaftsmodelle zu. Die
DDR war ein totalitärer Staat. Er kannte weder Gewal-
tenteilung noch politischen Pluralismus. Die Macht der
SED gründete auf Zwang und Gewalt. Das von der SED-
Führung installierte und perfektionierte Grenzregime
versinnbildlichte die fehlende Legitimation des Staates
und war Symbol für eine Menschen- und Freiheitsrechte
verachtende Politik.

Im Innern herrschte der Verdacht. Die SED misstraute
dem eigenen Volk. Nur mittels eines gigantischen Si-
cherheitsapparates konnte die SED ihre Herrschaft auf-
rechterhalten. Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl
sind Geschichte. Sie müssen aber einen Platz in unserer
Erinnerungskultur behalten. Einen Schlussstrich darf es
deshalb nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Er wäre nämlich eine unverantwortliche Flucht aus der
Geschichte. Geschichte endet nicht mit einer neuen Ge-
neration, und Unrecht bleibt Unrecht; es verjährt nicht.

Unsere Vergangenheit bürdet uns eine große Verant-
wortung auf. Sie macht vor niemandem halt, weder vor
der Erlebnisgeneration noch vor den später Geborenen;
denn neben die unmittelbare Zeitzeugenschaft tritt die
moralische. Sie erfordert Engagement und Empathie.
Engagement und Empathie sind wir vor allem den Op-
fern der SED-Diktatur schuldig, deren Schicksale wir
immer wieder persönlich erleben. Wir sind es aber auch
uns selbst und den kommenden Generationen schuldig;
denn eine gemeinsame Zukunft lässt sich nicht auf Irrtü-
mern, Legenden und Beschönigungen aufbauen. Ebenso
wenig eignet sich politisch-historische Gleichgültigkeit
für eine gute Zukunftsgestaltung. Vergessen wir nicht:
Wir alle tragen Verantwortung für unsere gesamte Ge-
schichte. Wir haben die Pflicht, zu erinnern. Wir haben
die Pflicht, aus unserer Geschichte zu lernen, und wir ha-
ben die Pflicht, dem Vergessen zu wehren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201500

Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1723201600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Ministerpräsident Haseloff, ich gebe Ihnen aus-

drücklich recht: Diese Aufgabenstellung, dieses Thema
bedarf des Engagements und der Empathie. Im Gegen-
satz dazu steht das, was Herr Kurth hier abgeliefert hat.
Es ist auf keinen Fall ein Thema, an das man als Eiferer
mit einer selbstgerechten Haltung herangehen kann. Das
war total daneben, Herr Kurth.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das macht es unheimlich schwer, eine Linie fortzufüh-
ren, die seit 1989/90 in einem breiten Konsens in diesem
Haus immer wieder gefunden wird. Das erschweren Sie
durch eine derartige Haltung.

In der Sache selbst einen kleinen Hinweis: Da Sie
dargelegt haben, unter Rot-Grün sei die Erinnerungspoli-
tik erlahmt, gebe ich Ihnen nur das Stichwort „Gedenk-
stättenkonzept“ oder erinnere an die Änderungen im
Bundesvertriebenengesetz. Setzen Sie sich bitte einmal
damit auseinander! Dann werden Sie zu anderen Ergeb-
nissen kommen.

Ich finde es ausgesprochen hilfreich, dass uns dieser
Bericht vorliegt. Er bietet eine sehr gute Gesamtschau.
Problematisch ist es allerdings, wenn der Bericht den
Eindruck erweckt, als sei die Aufarbeitung der SED-Ge-
schichte als abgeschlossener Prozess zu bewerten. Ich
leite das deshalb ab, weil der Bericht an einer Stelle
extrem schwächelt. Er enthält nämlich relativ wenige,
nahezu keine Empfehlungen und keinen Blick in die Zu-
kunft, der deutlich macht, was zu tun ist. Da gibt es enor-
men Handlungsbedarf. Gleichwohl ist sehr beeindru-
ckend, wie viele Einrichtungen und Initiativen in Bund
und Ländern sich der Aufarbeitung widmen. Doch die
Anzahl der Institutionen allein gibt keine Auskunft da-
rüber, ob unsere Gesellschaft das Erbe der DDR in all ih-
ren Facetten wirklich verarbeitet hat. Insofern bleibt die
Aufarbeitung des begangenen Unrechts eine fortwäh-
rende Aufgabe, die sich allein durch Zeitablauf auf kei-
nen Fall erledigt.

Eine viel beachtete Studie des Forschungsverbundes
„SED-Staat“ der Freien Universität Berlin hat unter dem
Titel Später Sieg der Diktaturen? festgestellt, dass Schü-
lerinnen und Schüler in ganz Deutschland insgesamt ein
sehr geringes historisches und politisches Wissen haben.
Das gilt gleichermaßen für die Geschichte der DDR wie
für die Geschichte des Nationalsozialismus. Insofern
lautet die zentrale Frage: Wie kann es in Zukunft besser
gelingen, Wissen und Erfahrungen so zu vermitteln, dass
sie auch nachfolgenden Generationen präsent sind? Das
erreicht man eben nicht allein durch große Aufarbei-
tungsinstitutionen, sondern durch eine Fülle kleinteili-
ger, qualitativ guter Angebote im Bereich der politisch-
historischen Bildung. Beispielhaft möchte ich an dieser
Stelle die Bundesstiftung Aufarbeitung nennen, die
deutschlandweit zahllose Ausstellungen, Konferenzen
und Veranstaltungen organisiert, unermüdlich Publika-
tionen und Dokumentarfilme fördert und erstellt und auf
diese Art und Weise zu einer intensiven Auseinanderset-
zung mit den kommunistischen Diktaturen in Deutsch-
land und in Europa anregt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das trifft zu! Gute Arbeit machen die!)






Siegmund Ehrmann


(A) (C)



(D)(B)


In diesem Zusammenhang möchte ich an die wichti-
gen Vorarbeiten erinnern, die in einer Enquete-Kommis-
sion in den Jahren 1992 bis 1997 geleistet wurden. Eine
zentrale Forderung dieser Enquete-Kommission war
1997, ebendiese Stiftung zu gründen und sie langfristig
mit der Auseinandersetzung mit den Folgen der DDR-
und SED-Diktatur zu beauftragen.

Natürlich haben wir daneben weitere wichtige Institu-
tionen. Sie sind hier genannt worden: die Bundeszentrale
für politische Bildung und die jeweiligen Landeszentra-
len, aber auch der Bundesbeauftragte für die Stasiunter-
lagen. Überall wird gute Arbeit geleistet. Daneben dür-
fen wir allerdings die vielen kleinteiligen, ehrenamtlich
getragenen Einrichtungen im ganzen Land nicht verges-
sen. Deren Engagement möchte ich an dieser Stelle aus-
drücklich würdigen und anerkennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU])


Was es aber jetzt braucht, ist gewissermaßen ein Bo-
xenstopp. Wir müssen danach fragen, wie wir all diese
Akteure noch effektiver vernetzen und die Angebote
vielleicht noch genauer aufeinander abstimmen können,
damit sie besser wirken. Darüber hinaus gibt es Finan-
zierungsprobleme. Gerade was die politische Bildung in
den Schulen anbelangt, gibt es einen enormen Bedarf,
authentische Orte zu besuchen. Aber die Finanzierung
solcher Aktivitäten leidet Not. Dabei fällt enorm ins Ge-
wicht, dass gerade die Bundesstiftung Aufarbeitung auf-
grund der aktuell niedrigen Zinsrate eine Schrumpfung
ihrer Projektmittel um rund 1,3 Millionen Euro erwarten
muss. Hier wünschte ich mir seitens der Bundesregie-
rung ein deutlicheres Bekenntnis, das aufzufangen.

Einen weiteren Anhaltspunkt möchte ich nennen, wa-
rum die Aufarbeitung eine fortwährende Aufgabe bleibt:
der Umgang mit dem politischen Erbe der friedlichen
Revolution von 1989. Diesen Umbruch habe ich persön-
lich damals sehr intensiv beobachten und begleiten kön-
nen aufgrund meiner Kontakte zu unserer Partnerge-
meinde in Falkenhagen in Brandenburg. Der unbändige
Wille der Menschen, der aufgebracht wurde, um das Le-
ben und die neue Zeit zu gestalten und die Verfehlungen
des Systems und seiner Akteure offenzulegen, hat mich
tief beeindruckt. Selbstverständlich geschah damals das
eine oder andere überstürzt – eine Revolution kennt eben
keine Blaupause. Umso erfreulicher, beinahe wunder-
sam ist es, dass ein Großteil der Akten des ehemaligen
Staatssicherheitsdienstes gesichert werden konnte.

Aus diesem Gefühl von Aufbruch und Aufbrechen
heraus hat sich eine Vielzahl von Vereinen und Initiati-
ven entwickelt, die sich des historischen Erbes an au-
thentischen Orten, in Gedenkstätten und anderswo ange-
nommen haben. Aus den ganz aktuellen Protesten für
den Erhalt der East Side Gallery hier in Berlin spricht
auch eine Aneignung des politischen Erbes durch die
Bevölkerung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass
sich mit der Zeit die Bedürfnisse verändern und sich die
Betrachtungsweisen des Erbes, also bestimmter Institu-
tionen und Ereignisse, ein Stück weit wandeln.

Wurde nach 1990 zunächst viel über die Repression
und ihre Instrumente in der DDR-Diktatur diskutiert,
sind mittlerweile auch andere Aspekte der Aufarbeitung
wichtig geworden. Ich erwähne die Sabrow-Kommis-
sion, deren Ergebnisse in dem vorliegenden Bericht
überhaupt nicht erwähnt werden, obwohl sie eine sehr
grundlegende und wichtige Arbeit erbracht hat. Die Di-
mensionen von Aufarbeitung – Alltag, Widerstand und
Opposition, Ideologie, Teilung und Grenze – sind viel-
fältig. Aufarbeitung ist folglich deutlich mehr als nur die
Beschäftigung mit der Stasi. Insofern erinnere ich noch
einmal an die Bundesstiftung Aufarbeitung, die einen
sehr breiten Auftrag hat, der weit über die Betrachtung
der Stasiunterlagenbehörde hinausgeht.

Ich habe beispielhaft zwei Bereiche von Aufarbeitung
genannt, die einer konzeptionellen Weiterentwicklung
bedürfen. Zudem hängen damit auch Fragen der besse-
ren Vernetzung der Akteure und Einrichtungen, der wei-
teren Professionalisierung und natürlich der Finanzie-
rung ihrer Aufgaben zusammen. Umso wichtiger ist es
deshalb – hier erinnere ich an die Einlassungen von
Wolfgang Thierse –, dass wir eine nach vorne gerichtete
Debatte über die Zukunft und den Anspruch der Aufar-
beitung in Deutschland organisieren.

Die im Gedenkstättenkonzept und im Koalitionsver-
trag der schwarz-gelben Regierung verankerte Experten-
kommission, die sich mit genau diesem Thema aus-
einandersetzen soll, ist bis heute nicht realisiert. Das ist
angesprochen worden. Das fordern wir massiv ein. Ich
hoffe, dass wir auf Grundlage eines solchen Diskurses
zu einer Neujustierung der Erinnerungspolitik, auch im
Zusammenhang mit dem SED-Staat, kommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201700

Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1723201800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es gibt eine Debatte hier im Haus, die sozusa-
gen auf einer Ebene stattfindet. In dieser Debatte setzen
wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
Die Linke auseinander. Dazu haben Herr Wieland, aber
auch andere Redner das Notwendige, wie ich finde, sehr
treffend gesagt. Sie, liebe Kollegen von der Linken, ver-
passen leider eine Chance, wenn Sie in diese Debatten
immer diejenigen senden, die es durchaus schaffen, mit
wohlabgewogenen Worten einen gewissen Eindruck zu
erwecken – ich denke dabei an Herrn Sharma, den ich
persönlich in der Tat für sehr glaubhaft halte, aber auch
an Herrn Bartsch, den viele hier im Hause schätzen –,
während diejenigen, die sich immer wieder Punkten ih-
rer eigenen Vergangenheit nicht stellen, in diesen Debat-





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)


ten nie ein öffentliches Bekenntnis zum Ausdruck brin-
gen, obwohl ihnen das Glaubwürdigkeit verschaffen
würde.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Die kommen hier gar nicht her! Die sind gar nicht im Plenum, Frau Wagenknecht, zum Beispiel!)


– Wo ist denn Frau Wagenknecht? Wo sind denn diejeni-
gen, die Urheber der Zitate sind, die Herr Wieland den
Linken vorgehalten hat? Von ihnen hören wir in diesen
Debatten leider nie irgendeinen Ton. Gesprochen haben
vielmehr immer diejenigen, die durchaus eine gewisse
Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit
pflegen. Das war meine erste Bemerkung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweite Bemerkung. Herr Ehrmann, gerade weil ich
Ihren Beitrag in vielen einzelnen Punkten sehr geschätzt
habe: Wenn jemand, der in der ehemaligen DDR gelebt
hat, über ein solches Thema redet, ist die Herangehens-
weise natürlich anders, als wenn Sie oder ich als Mensch
aus Westdeutschland es tun. Es ist für mich immer sehr
glaubwürdig, wenn ich jemanden wie Herrn Kurth hier
reden höre, der einfach aus eigener Erfahrung berichtet
hat. Reden von Menschen mit einem entsprechenden fa-
miliären Hintergrund, Reden von Menschen, die die Art
und Weise kennen, wie man mit Christen umgegangen
ist, mit Personen, die einen Glauben hatten, Reden von
Menschen, die erfahren mussten, dass es die Trennung
zwischen Privatem und Öffentlichem in einem solchen
Unrechtsstaat eben nicht gegeben hat, sind – das gehört
zur Aufarbeitung der Geschichte – von anderer Emotio-
nalität geprägt, als wenn wir beide darüber reden. Ich
glaube, wir erleben hier kein Eiferertum, sondern ein-
fach eine andere Form des Umgangs mit der Vergangen-
heit.


(Beifall bei der FDP)


Ich will zwei weitere Punkte nennen:

Erster Punkt. Herr Bartsch hat sich hier zur frühen
DDR geäußert. Ich erinnere mich an Abende mit unse-
rem verstorbenen Kollegen Wolfgang Mischnick, in de-
nen er über die frühen Jahre der DDR geredet hat. Ich er-
innere mich auch an Gespräche mit Wolfgang Knoll.
Auch in der Sozialdemokratie und in der Christdemokra-
tie gibt es Menschen, die in Dresden und andernorts leb-
ten und die DDR aus Angst, politisch verfolgt zu wer-
den, schon in den allerersten Jahren verlassen haben.
Insofern ist Ihr Versuch, Verständnis für den Anfang der
DDR zu wecken, glaube ich, zutiefst misslungen.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Habe ich nicht gesagt! Historisch einordnen! Nicht Verständnis: historisch einordnen!)


Zweiter und letzter Punkt. Mir ist wieder deutlich ge-
worden, dass es nicht nur um die großen Themen gehen
kann. Ich habe neulich das Buch von Inga Markovits Ge-
rechtigkeit in Lüritz gelesen. Darin sind einfach einmal
die Akten eines Gerichts in der ehemaligen DDR, die
alltäglichen Fragen des Umgangs mit Gerechtigkeit, bei-
spielsweise mit dem Christentum, mit Menschen, die et-

was glauben, aufgearbeitet worden. Dieses Dokument ist
so frappant und so beängstigend, dass man immer wie-
der daran erinnern muss. Es ist eine weitere Aufgabe von
uns allen, auch in Zukunft in der Bundesrepublik
Deutschland das Verständnis für Unrecht im Kleinen wie
im Großen nicht nur wissenschaftlich aufzuarbeiten,
sondern auch durch Pädagogik zu fördern. Ich gestehe:
Einzelne von Ihnen sind daran durchaus beteiligt. Leider
verpassen Sie regelmäßig die Chance einer Debatte wie
der heutigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723201900

Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Alterspräsident des 13. Deutschen Bundestages,
Stefan Heym, dessen 100. Geburtstag wir in wenigen Ta-
gen begehen, schrieb in seinem Buch 5 Tage im Juni:


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist nur im Westen veröffentlicht! Das sollte man nicht vergessen!)


Die Arbeiterklasse, sagen wir, sei die führende
Klasse und die Partei die führende Kraft der Klasse.
Offensichtlich muß es Menschen geben, die stell-
vertretend auftreten für die führende Klasse und de-
ren führende Kraft. Aber wer verhindert, daß sie,
stellvertretend, nur noch sich selbst vertreten?

Dieses Buch von Stefan Heym wurde 1965 in der
DDR von Erich Honecker kritisiert und durfte bis zum
Ende der DDR dort nicht erscheinen.

Ich finde es gut, dass wir uns heute mit der Vergan-
genheit eines Teils unseres Landes befassen. Und natür-
lich richten sich in dieser Debatte viele Augen auf unsere
Fraktion – wie könnte es anders sein. Ich verstehe das.
Unsere Partei Die Linke ist Rechtsnachfolgerin der PDS,
und diese ist aus der SED hervorgegangen.


(Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident [Sachsen-Anhalt]: Umbenannt!)


Wir leugnen das nicht. Wir sind vor unserer Vergangen-
heit nicht einfach davongelaufen, und wir tun das auch
heute nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Vorwurf allerdings, wir würden uns mit unserer
Vergangenheit nicht auseinandersetzen, ist nun wirklich
nachweisbar falsch.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Eben nicht!)


In unserem Parteiprogramm, das wir im Oktober 2011
beschlossen haben, heißt es:





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen
Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, son-
dern von einer Staats- und Parteiführung autoritär
gesteuert wird, muss früher oder später scheitern.
Ohne Demokratie kein Sozialismus.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll reichen?)


Deshalb formulierten die Mitglieder der SED/PDS
…: „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinis-
mus als System.“


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun es nicht!)


Dieser Bruch mit dem Stalinismus gilt für DIE
LINKE ebenso.


(Beifall bei der LINKEN – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun es doch nicht!)


So weit unser Grundsatzprogramm.

Ja, unsere Partei kommt aus der SED. Aber eines muss
auch gesagt werden, Herr Wieland, Herr Kurth: Wir sind
nicht mehr die SED. Über 90 Prozent der SED-Mitglieder
haben die Partei bereits 1989/90 verlassen. Und schon
damals kamen neue hinzu: Halina Wawzyniak, Angela
Marquardt oder auch ich selbst seien hier erwähnt.

Und auch wenn es eher die Ausnahme als die Regel
war – ich will es an dieser Stelle erwähnen –: Auch Ver-
treter der DDR-Opposition stritten seit der Wende an un-
serer Seite,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was ist mit dem Vermögen der SED passiert?)


Marion Seelig zum Beispiel, unsere langjährige Abge-
ordnete im Abgeordnetenhaus von Berlin, deren Tod wir
erst kürzlich beklagen mussten. Herr Wieland, Ihre Rede
war deshalb für mich so erstaunlich, weil Sie es besser
wissen.


(Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Offene Worte zum Vermögen der SED!)


Sie, Herr Wieland, haben mit Marion Seelig viele Jahre
im Abgeordnetenhaus von Berlin im Innenausschuss zu-
sammengearbeitet. Sie wissen ganz genau, welche De-
batten Marion Seelig bei uns in der Partei und in der
Fraktion angestoßen hat. Trotzdem bauen Sie hier so ei-
nen Pappkameraden auf.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen doch selber: eine Außenseiterin! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Pappkameraden?)


Marion Seelig hat in der DDR in der „Kirche von Un-
ten“ gearbeitet und war Teilnehmerin am Zentralen Run-
den Tisch. Sie war sowohl in der DDR als auch in der
Bundesrepublik eine wirkliche Bürgerrechtlerin – ohne
das heute so gern verwendete „ehemalig“ davor. Aber
nicht nur wegen Menschen wie Marion Seelig ist uns der

Blick zurück wichtig und schätzen wir die Arbeit jener,
die hierzu ernsthaft forschen, dokumentieren und infor-
mieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Bericht, über
den wir hier sprechen, enthält allerdings auch Leerstel-
len. Über die Blockparteien der DDR erfährt man, an-
ders als über die Rolle der SED, die sehr ausführlich dar-
gestellt wird, fast nichts.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie haben doch diese Partei daraus gemacht!)


Richtig ist, Herr Kauder, dass die SED die führende
Rolle in der DDR innehatte; falsch ist hingegen die An-
nahme, dass es sich bei der CDU der DDR und der De-
mokratischen Bauernpartei der DDR, mit der sich die
CDU am 2. Oktober 1990 vereinigt hat, oder bei der
LDPD und der NDPD der DDR, Herr Kurth, mit denen
sich die FDP vereinigt hat, um Oppositionsbewegungen
handelte. Das ist falsch.


(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie haben die Leute erschossen! 19-Jährige haben sie erschossen! Das kann ja wohl nicht wahr sein, was Sie hier abliefern! Ihre Vorgänger haben die Leute erschossen und guillotiniert!)


Alle vier Parteien – Herr Ministerpräsident Haseloff,
ich möchte es an dieser Stelle sagen – waren bis zum bit-
teren Ende der DDR 1990 mit 208 von 500 Abgeordne-
ten in der Volkskammer vertreten. Alle Parteien, Herr
Haseloff – Sie sind 1976 der Ost-CDU beigetreten, als
ich vier Jahre alt war –,


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


stellten bis zum Schluss Minister in der DDR – ganz am
Schluss die Minister für Umwelt, Post und Justiz. Inso-
fern möchte ich Roland Jahn recht geben, der sagte, die
Union könnte mehr zur Erforschung ihrer Vergangen-
heit, der DDR-Blockpartei CDU, beitragen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist eine Nebelkerze!)


Apropos Roland Jahn: Wir sind natürlich dafür, dass
die Einsicht in die Akten des ehemaligen Ministeriums
für Staatssicherheit gewährleistet bleibt. Unter welchem
Namensschild dies passiert, ist hierbei nicht das Ent-
scheidende.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir Linke ducken
uns vor den Debatten über die Vergangenheit nicht weg,


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Doch! Das machen Sie doch gerade! Sie relativieren! Das ist doch Geschichtsrelativismus!)


auch wenn Sie hier wider besseres Wissen immer wieder
etwas anderes behaupten. Der Sozialismus, für den wir
streiten, der liegt nicht hinter uns, der liegt vor uns. Und
es kann nur ein demokratischer Sozialismus sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Gott sei Dank nicht!)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202100

Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1723202200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Es ist nicht ganz einfach, nach so einem Ausfall an das
Rednerpult zu treten. Ich will mich auch nicht an dieser
Art von Geschichtsklitterung beteiligen.


(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP])


Ich habe an der Stelle nämlich den Eindruck, dass Unbe-
lehrbarkeit herrscht. Eine Unterrichtung durch die Bun-
desregierung sollte man eigentlich als Unterricht nutzen,
statt sich hier hinzustellen und zu sagen – Sie wissen es
doch besser als jeder andere in diesem Raum; ich meine
da auch die Kollegen aus der CDU/CSU und der FDP –,
dass erst dieses System eigentlich demokratische Par-
teien zu seinem Bestandteil gemacht hat, indem sie un-
terwandert und missbraucht wurden.


(Beifall des Abg. Holger Krestel [FDP] – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Freiwillig!)


Das als Argument in die Debatte einzuführen, ist eigent-
lich pure kommunistische Dialektik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sollten Sie besser wissen. Das entbehrt auch jeder
Grundlage.

Und, Herr Liebich, in dieser Art und Weise mit dem
Wort „Pappkamerad“ zu operieren –


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Unglaublich!)


Kollege Wieland, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze;
ich nehme Sie da auch in Schutz –, zeigt, wes Geistes
Kind Sie sind,


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da ist das Wort „Schießbefehl“ sehr nahe!)


wenn es um die Art und Weise der Auseinandersetzung
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wer wie die Linke in der Tradition der PDS und der SED
steht und die Verantwortung für Tod und Stacheldraht
und Mauer hat, der sollte sich nicht hinstellen und ande-
ren, die kritisieren, das Wort „Pappkamerad“ vorhalten.
Ich glaube, da wäre eine Entschuldigung notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Staatsminister, was untergeht, ist die Auseinan-
dersetzung über die Unterrichtung durch die Bundes-
regierung. Der Bericht ist eine Bestandsaufnahme; zu-
gleich geht er weit darüber hinaus. Ich bedanke mich für
die CSU innerhalb der CDU/CSU herzlich für diesen
Bericht. Ich will deutlich machen, dass es sich bei die-
sem Bericht – manchmal habe ich den Eindruck: die

SPD agiert mittlerweile sehr obsessiv, wenn es um die
Frage der Kritik geht – um ein Kompendium handelt, in
dem wirklich ein kollektiver Bewusstwerdungsprozess
deutlich wird. Auf der einen Seite handelt es sich um
eine Chronik; es wird ein chronologischer Fortgang be-
schrieben. Auf der anderen Seite handelt es sich um ei-
nen Katalog des politisch Möglichen und des politisch
Machbaren. Wir wissen, dass die Beispiele aus der Pra-
xis die Voraussetzung dafür sind, dass ein Gesamtpro-
zess in der Bundesrepublik stattfinden kann, in dem die
Aufarbeitung das Wesentliche ist. Es handelt sich um ei-
nen gesamtgesellschaftlichen Prozess, und genau das
bildet dieser Bericht ab.

Wie schon zu Recht betont wurde, ist eine Aufarbei-
tung weder allein durch den Staat möglich, noch ist sie
zu verordnen.


(Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Richtig!)


Wir brauchen die Menschen, und wir brauchen die Be-
reitschaft der Menschen, diesen Weg mitzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Opferverbände,
UOKG natürlich, Forschung und Lehre in die Darstel-
lung eingebunden wurden. Auch die Gedenkstättenkon-
zeption wird angesprochen. Dass Politik, Verwaltung
und Enquete-Kommissionen dafür den Boden bereiten,
die Rahmenbedingungen setzen, ist das eigentlich Ent-
scheidende, das Wesentliche.

Die CDU/CSU hat ihren Beitrag geleistet und ihren
Stempel mit aufgedrückt bei all den Entscheidungen, die
getroffen wurden, etwa zum Stasi-Unterlagen-Gesetz,
zur Opferrente und zur Stiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur.

So exzeptionell der Vorgang einer friedlichen, gewalt-
freien Revolution und des damit einhergehenden Um-
bruchs war, so dramatisch ist natürlich auch die Aus-
einandersetzung über das Ungewöhnliche dieses Weges.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als Jugend-
licher an der S-Bahn-Station Friedrichstraße am Grenz-
übergang stand, nur einen Steinwurf von hier entfernt,
mit dem Gefühl der Überwachung im Genick, der greif-
baren Pression. Deshalb verletzt es mich fast, wenn ich
lesen, erfahren und feststellen muss, dass sich gerade
junge Leute in einer erschreckenden Art und Weise
durch Nichtwissen auszeichnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nichtwis-
sen führt immer zu „nicht wissen“: nicht wissen, wie
man mit Menschen umgeht, nicht wissen, wie man Pro-
bleme angeht, nicht wissen, wie man anderen gegen-
übertritt, um Probleme aus dem Weg zu schaffen, wie
man andere, die Leid und Unrecht erfahren haben, um
Vergebung bitten kann. Das ist etwas, was tatsächlich
fehlt. Das ist der Grund für die Ausbildung von Ostalgie.
Die Zahl der Besucher in Hohenschönhausen aus den al-
ten Bundesländern: gigantisch; aus den neuen Bundes-
ländern: besorgniserregend. Darauf sollten und müssen
wir achten.





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


Als Integrationsbeauftragter meiner Fraktion wün-
sche ich mir, dass diese Aufarbeitung im demokratischen
Prozess auch dazu führt, dass – ich sage einmal – demo-
kratische Wurzeln von Menschen mit Migrationshinter-
grund gestärkt werden, die oftmals selber in ihrer Bio-
grafie Unrecht und Willkür eines Landes, eines Staates
erlebt haben. Diese Unterrichtung kann ein beispielge-
bender Anlass sein, den Menschen deutlich zu machen,
dass man auch so damit umgehen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Bartsch, ich muss auch deutlich sagen, dass es
nicht angeht, dass man sich unter Berufung auf die Tat-
sache, dass Unrecht in sich nicht vergleichbar ist, bei
diesem Thema immer wieder vom Acker macht. Die Be-
zugnahme auf die Diktaturen des 20. Jahrhunderts ist
immer schwierig, dieser Weg führt nur ganz selten zum
Erfolg, weil er entweder das Unrecht des einen relati-
viert oder das Unrecht des anderen bagatellisiert. Dieje-
nigen, die Verantwortung tragen, müssen aber deutlich
machen, dass man mit diesen Folgen leben muss. Es
wäre jedoch aberwitzig, wenn man Fehler, die bei der
Aufarbeitung dieser Phase des 20. Jahrhunderts began-
gen wurden, erneut machen würde. Deshalb sage ich an
dieser Stelle: Es war nach dem Zweiten Weltkrieg ein re-
volutionärer Akt, die Wiege eines modernen Völker-
strafrechtes aus den Nürnberger Prinzipien zu entwi-
ckeln. Jetzt könnten wir genauso beispielgebend für die
Welt sein. Der Prozess der Aufarbeitung könnte auch für
andere beispielgebend sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Hohenschönhausen einlädt, dann kommen
120 Botschafter. Ein Projekt mit Tunesien ist bereits an-
gestoßen. Das kann etwas sein. Das verhindern Sie,
wenn Sie engstirnig immer sagen, es dürfe doch um
Gottes Willen nichts relativiert werden. Wenn Sie sich
der Aufarbeitung stellen, wären wir in der Lage, ein Bei-
spiel zu geben und den Menschen, statt ihnen den Weg
zu verstellen, eine Perspektive zu eröffnen.

Bedeutend in diesem Aufarbeitungsprozess ist immer
die Absicht, dass man den Menschen, denen Unrecht
und Leid geschah und die heute noch daran leiden, eine
Perspektive gibt, aber auch denjenigen, die am Unrecht
beteiligt waren. Das ist die Grundlage für ein Zusam-
menleben, für ein gedeihliches Morgen, für ein Mitei-
nander in einem demokratischen Staat. Wer immer das
Klischee der Siegerjustiz bedient, wird nichts anderes er-
reichen als eine Blockade im Kopf, eine Blockade in den
Herzen, die die Menschen voneinander fern hält, sie aber
nicht aufeinander zubewegt. Das sollten Sie bei der Ge-
schichte Ihrer Partei überdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch ich glaube, dass Aufarbeitung immer ein
schwieriger und schmerzvoller Prozess ist. Das liegt im
Wesen der Dinge. Dass dieser Prozess aber möglich ist,
zeigt die vorliegende Unterrichtung durch die Bundes-
regierung. Deshalb, Herr Staatsminister, vielen herzli-
chen Dank dafür, dass hier Unterrichtung zum Unterricht
in Geschichte wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202300

Das Wort hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):
Rede ID: ID1723202400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In der Tagesordnung steht: Stand der Aufarbei-
tung der SED-Diktatur. Ich glaube, sagen zu dürfen, dass
diese Debatte leider zeigt – insbesondere die Debatten-
beiträge der Linken –, dass wir dabei noch am Anfang
sind. Das haben Sie sehr klar dargestellt. Es reicht kein
Lippenbekenntnis eines Bundesparteitages, dass Sie sich
von der Vergangenheit abwenden. Das ist ein Prozess
und kein einzelner Beschluss, lieber Herr Bartsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist aber eine ganz schlaue Erkenntnis! Darauf sind wir nicht gekommen! Ganz schön schlau!)


Die Zeit der deutschen Teilung ist Teil des kollektiven
Gedächtnisses unserer Republik. Auch wenn sich der
Fall der Mauer in diesem Jahr zum 24. Mal jährt, sind
wir mit der Aufarbeitung nicht am Ende. Ganz im Ge-
genteil. Wir sind noch mittendrin, wie diese Diskussion
zeigt. Am 12. Juni 1987 sagte der US-Präsident Ronald
Reagan: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!“
26 Jahre später, am letzten Sonntag, steht wieder ein
Amerikaner am Rest der Berliner Mauer und wirbt aus
meiner Sicht zu Recht: Das letzte Stück der Mauer sollte
unantastbar sein, damit wir daran erinnert werden. – Die
Geschichte der deutschen Teilung bewegt nicht nur uns,
sondern auch weltweit, wie wir sehen, die Menschen.

Im damaligen Westen waren rund 40 000 Personen
über die Jahre für die Stasi tätig. Vielen von ihnen waren
Bürgerinnen und Bürger der BRD, die keinem sozialen
Druck ausgesetzt waren; sie haben aus freien Stücken
mit der Stasi kooperiert.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Viel zu lange wurde die Aufarbeitung der SED-Diktatur
im öffentlichen Bewusstsein nur als ostdeutsche Auf-
gabe begriffen. Es ist endlich an der Zeit, den Blick zu
weiten und auch die gesamtdeutsche Dimension in den
Vordergrund zu stellen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


So haben auch westdeutsche Unternehmen Waren im
Strafvollzug der DDR fertigen lassen, ohne sich ausrei-
chend über die Arbeitsbedingungen informiert zu haben.
Teilweise wurde sogar auf die Zwangsarbeit politischer
Häftlinge zurückgegriffen. Auch bei diesem Thema ste-
hen wir erst am Anfang. Tiefergehende Forschung ist
notwendig, um die Zusammenhänge aufzudecken. Wir
sind es den Opfern, den Häftlingen schuldig, dass dieses
Thema nicht vergessen wird.





Burkhardt Müller-Sönksen


(A) (C)



(D)(B)


Für uns ist der Bericht der Bundesregierung keines-
falls eine abschließende Bilanz. Die Arbeit der Aufarbei-
tungsinstitutionen wird sich in den nächsten Jahren
weiterentwickeln, um den Anforderungen einer Gesell-
schaft, in der immer mehr Bürgerinnen und Bürger auf-
grund ihres Alters keine eigenen Erfahrungen mehr mit
der deutschen Teilung haben, gerecht zu werden.

Um die junge Generation zu erreichen, braucht es Zeit-
zeugenarbeit, authentische Erinnerungsorte und – dies ist
mir besonders wichtig – einen offenen und ehrlichen
Umgang mit unserem eigenen Handeln in der Zeit der
deutschen Teilung. Neue Formen der Vermittlung sind
notwendig. Daher ist in meinen Augen die Idee eines
Campus der Demokratie – oder wie immer man es nen-
nen möchte –, in dem Archiv, Forschung und Bildung
unter einem Dach zusammenkommen, besonders zu-
kunftsweisend. Wir unterstützen dieses Projekt.

Abschließend möchte ich sagen: Lieber Herr
Ehrmann, Konsens bei diesem Thema: „Ja, sehr gerne“,
aber Konsenssoße mit der Linken: „Nein!“ Es wäre mir
lieber gewesen, Sie hätten sich den Ausführungen der
Grünen angeschlossen, anstatt sich sehr kleinlich an
Herrn Kurth abzuarbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202500

Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1723202600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal danke ich dem Ältestenrat da-
für, dass er diese Debatte heute in die Kernzeit gelegt
hat. Dort gehört sie hin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke auch dem Vorsitzenden meiner Fraktion,
Volker Kauder. Er ist der einzige Fraktionsvorsitzende,
der dieser Debatte von Anfang bis Ende beiwohnt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Vogt [SPD]: Ich würde den Mund nicht so voll nehmen!)


Als Abschlussredner ist es an mir, ein Stück weit auf
meine Vorredner einzugehen. Das will ich gerne tun.

Als Erstes zu Ihnen, lieber Herr Wieland: Sie haben
mir mit jedem Satz, den Sie hier gesagt haben, aus dem
Herzen gesprochen;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


das wird Sie nicht überraschen. Aber vielleicht erlauben
Sie mir eine Frage. Denn es gibt eine Sache, die ich noch
nicht verstehen kann, nämlich wie angesichts der
schrecklichen Geschichte, die seit Hitler auf Deutsch-
land lastet, ausgerechnet in der westdeutschen Linken,

ausgerechnet in den Kreisen, in denen man ein für alle
Mal mit solchen Dingen Schluss machen wollte, ein
Massenmörder wie Mao Zedong, eines der schlimmsten
Ungeheuer der neueren Menschheitsgeschichte,


(Zurufe von der LINKEN)


zum Idol einer ganzen Jugendbewegung werden konnte.
Das verstehe ich bis heute nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Frage muss beantwortet werden. Man muss meines
Erachtens auch einmal aufarbeiten, warum eine ganze
Reihe von Menschen aus Ihren Kreisen dieses Idol auf-
gebaut hat. Auch das gehört dazu.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!)


Zweitens. Verehrter Herr Ehrmann, ich habe Ihnen
aufmerksam zugehört. Ich muss sagen: Ich fasse es
nicht, wie es möglich sein kann, dass Sie, der Sie das
Glück hatten, die DDR nicht am eigenen Leibe erleben
zu müssen, heute zum Kollegen Kurth sagen, er sei hier
selbstgerecht aufgetreten, obwohl er im Grunde nur von
seinen Erlebnissen berichtet hat und dabei selbstver-
ständlich etwas leidenschaftlich und temperamentvoll
geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Siegmund Ehrmann [SPD]: Wenn es so gewesen wäre!)


Wissen Sie, wenn Sie sich in dieser Art und Weise als
Besserwisser von außen hinstellen, werden Sie in Ost-
deutschland, jedenfalls unter denjenigen, die die DDR-
Diktatur abgelehnt haben, niemals Akzeptanz finden;
das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, hauptsächlich muss ich
mich natürlich mit den Beiträgen der Linken befassen.


(Kersten Steinke [DIE LINKE]: Na klar! Was sonst? Damit sind Sie beim Thema!)


– Selbstverständlich. – Herr Bartsch, Sie haben so ein-
drucksvoll gesagt, dass Sie eine Delegitimierung der
DDR ablehnen.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Herr Vaatz, ich habe gesagt: „von Anfang an“!)


Ich sage für mich und für meine Fraktion: Wir haben
niemals, zu keinem Zeitpunkt, die Legitimitätsbeteue-
rungen der DDR akzeptiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


– Ich gehe auf alle Vorwürfe ein. Sie können sich Ihre
Zwischenrufe sparen.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein! Wir sind jetzt hier, wo man das machen darf! Es ist nicht mehr wie früher! Das ist anders geworden!)






Arnold Vaatz


(A) (C)



(D)(B)


– Ja, dürfen können Sie alles, aber Sie können es sich
auch sparen, wenn Sie wollen. Das ist Ihnen anheimge-
stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Wieland hat eben den entscheidenden Satz von
Ulbrich genannt: Es muss alles schön demokratisch aus-
sehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Das ist
aus dem Buch Die Revolution entlässt ihre Kinder von
Wolfgang Leonhard. Hinter diesem Satz verbirgt sich:
Man nutzt die Demokratie, um sie abzuschaffen.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja, einverstanden! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat mit der Linkspartei nichts zu tun! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Hat mit uns doch nichts zu tun!)


Das war von der ersten Minute an die Kernbestrebung
der DDR.

Sie haben gesagt, wir sollen vor unserer eigenen Tür
kehren. Die CDU, die LDPD etc. seien alles Blockpar-
teien gewesen, sie hätten das Lied der DDR gesungen
usw. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Es ist richtig, dass
der Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration
vom 1. Juli 1945 gelautet hat, die alten bürgerlichen Par-
teien wiederherzustellen. Es gab Personen, die dieser
Einladung gefolgt sind und das geglaubt haben.

Einer derjenigen, die den Gründungsaufruf der CDU
unterschrieben haben, war Andreas Hermes; zu Hitlers
Zeiten zum Tode verurteilt, da vom Widerstand als
Landwirtschaftsminister auserkoren. Dieser Mann stellte
sich an die Spitze der CDU. Wissen Sie wie lange? Ein
Jahr! Dann kam die sowjetische Besatzungsmacht in
Kumpanei mit der SED und hat ihn erst einmal abge-
setzt. Dann kamen Jakob Kaiser und Ernst Lemmer. Wie
lange haben sie die CDU geführt? Zwei Jahre! Dann pas-
sierte dasselbe. So hat die SED nicht locker gelassen, bis
die CDU gleichgeschaltet war. Die CDU ist Opfer und
nicht Täter gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Und mit der haben Sie sich vereint! Mit der gleichgeschalteten CDU! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Die musste man dann doch nicht übernehmen! Keine Vereinigung!)


Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Ich habe 1990
auch gedacht: Diese CDU ist viel zu nahe an der SED,
hier muss wirklich etwas verändert werden. Nachdem
ich in die CDU eingetreten bin, habe ich allerdings die
Schicksale derjenigen kennengelernt, die 1945 in dieser
CDU gelandet sind und über diese ganze Zeit versucht
haben, ihre Existenz zu retten.


(Zuruf des Abg. Sönke Rix [SPD])


Sie mussten aber mit ansehen, wie die CDU von oben
herab umgekrempelt wurde, und zwar von Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Es ist nicht so, dass die CDU die SED gleichgeschaltet
hat, sondern die SED hat die CDU vergewaltigt und ka-
puttgemacht. Das war das Ziel.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau so ist das! Mord und Totschlag!)


Das ist das, was Sie unter Demokratie verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202700

Kollege Vaatz, gestatten Sie eine Bemerkung oder

eine Frage des Kollegen Thierse?


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1723202800

Nein.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oi! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Angsthase! – Gegenruf des Abg. Michael Frieser [CDU/ CSU]: Das Niveau war schon so erschreckend! Dann kann es nicht besser werden!)


– Ich will noch gerne ein paar Bemerkungen machen.

Lieber Herr Bartsch, Sie haben uns bezichtigt, wir
wollten die DDR und das Hitler-Regime gleichsetzen.
Ich muss Sie auf eine Sache aufmerksam machen: Die
DDR und das Hitler-Regime gleichzusetzen hat hier nie-
mals, in keiner Sekunde, jemand versucht.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Im Bericht! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Doch!)


Allerdings gibt es das Recht auf Vergleich mit dem Ziel,
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden
herauszuarbeiten.

Sie fragen sich, weshalb die DDR über lange Jahre re-
lativ ruhig überlebt hat, weshalb die Menschen das im-
mer akzeptiert haben, sich jedenfalls den Anschein gege-
ben haben. Eine Möglichkeit, um das herauszufinden, ist
in diesem Zusammenhang beispielsweise, einen Ver-
gleich mit Norwegen anzustellen. Ich weiß nicht, ob Ih-
nen der Name Vidkun Quisling bekannt ist. Dieser Mann
hat bestimmt nicht dieselben Verbrechen wie Hitler be-
gangen, man kann ihn nicht mit Hitler gleichsetzen – um
Gottes Willen. Aber das Schreckensregime, das er in
Norwegen aufgebaut hat, konnte auf dem Abschre-
ckungspotenzial, das Hitler in Deutschland errichtet
hatte, aufbauen.

Oder lesen Sie das Buch von Jörg Baberowski Ver-
brannte Erde über den Stalinismus in der Sowjetunion.
Da lesen Sie, dass vor dem Krieg Quoten festgelegt wur-
den, wie viele Menschen ein Parteisekretär in seiner Re-
gion umbringen muss. Diese Praxis ist damals auch in
Deutschland nicht verborgen geblieben. Wer als Ausläu-
fer eines solchen Terrorregimes regiert, der verschafft
sich selbstverständlich Respekt, aber nicht mit demokra-
tischen Mitteln, sondern mit Angst und Schrecken. Und
das hat die SED gemacht.





Arnold Vaatz


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es wäre noch viel zu sa-
gen, aber ich muss leider abbrechen. Zuvor, Frau Präsi-
dentin, muss ich noch eine Kritik loswerden. Die betrifft
im Grunde das ganze Haus. Die Aufarbeitung der DDR-
Vergangenheit darf sich nicht nur auf die Dimension der
Menschenrechte und auf die Dimension der Vergewalti-
gung der Demokratie beschränken. Wir haben noch
mehr aufzuarbeiten, so zum Beispiel das ganze Kapitel
des wirtschaftlichen Versagens, der Planwirtschaft. Denn
wir sind – das befürchte ich – in einigen Punkten genau
auf dem Weg, auf dem die DDR gescheitert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb lohnt auch die Aufarbeitung des wirtschaftli-
chen Versagens der DDR.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Regierung auf dem Weg zur Planwirtschaft! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war aber eine steile These zum Schluss!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723202900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12115 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme,
Josip Juratovic, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Durchsetzung des Entgeltgleich-

(Entgeltgleichheitsgesetz)


– Drucksache 17/9781 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/12782 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel)

Christel Humme
Nicole Bracht-Bendt
Cornelia Möhring
Monika Lazar

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus
Grübel, Ingrid Fischbach, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge-

ordneten Nicole Bracht-Bendt, Miriam Gruß,
Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Entgeltgleichheit für Frauen und Männer ver-
wirklichen – Familienfreundliche Unterneh-
men als Beitrag zur Gleichstellung der Ge-
schlechter

– Drucksachen 17/12483, 17/12782 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel)

Christel Humme
Nicole Bracht-Bendt
Cornelia Möhring
Monika Lazar

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Renate Künast, Beate Müller-Gemmeke, Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskriminie-
rung von Frauen verhindern

– Drucksachen 17/8897, 17/12575 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.


(Unruhe)


– Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der fol-
genden Beratung nicht teilnehmen können, ihre Gesprä-
che doch bitte außerhalb des Plenums zu führen, damit
ich die Aussprache eröffnen kann.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Unionsfraktion
hat die Kollegin Nadine Schön das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gestern, am 21. März, haben wieder zahlrei-
che Frauen und Männer am Brandenburger Tor eine
Kundgebung abgehalten. Eine Kundgebung, die dazu
diente, auf den nach wie vor vorhandenen Entgeltunter-
schied zwischen Männern und Frauen aufmerksam zu
machen. Dieser beträgt 22 Prozent. Wenn man die Teile
wegrechnet, die zu erklären sind, dann kommt man auf
Werte zwischen 2 Prozent und 7 Prozent.

Auch unsere Partei hat sich an dieser Kundgebung be-
teiligt. Ich will mich herzlich bei allen bedanken, die
gestern, aber auch schon in den Tagen und Wochen zu-
vor in ganz Deutschland auf diese Entgeltunterschiede in
eigenen Veranstaltungen, Kundgebungen und Diskus-
sionsveranstaltungen aufmerksam gemacht haben.

Wir, die Koalitionsfraktionen, haben bereits zum
Weltfrauentag am 8. März einen Antrag vorgelegt, der





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


sich schwerpunktmäßig mit den Entgeltunterschieden
zwischen Männern und Frauen in Deutschland befasst.
Dabei haben wir aber im Gegensatz zu Ihnen nicht ver-
sucht, den Eindruck zu erwecken, man brauche nur ein
einziges Gesetz und schon wäre man den Kampf gegen
die Lohnlücke beherzt angegangen.


(Elke Ferner [SPD]: Sie machen gar nichts, Frau Schön!)


Leider ist die Wirklichkeit komplexer; denn der Entgelt-
lücke liegen zahlreiche Ursachen zugrunde. Alle muss
man angehen. Und das tun wir.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was denn?)


Durch den Ausbau der Kinderbetreuung und die Ini-
tiativen für familienfreundliche Arbeitszeiten sorgen wir
für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Zuruf von der SPD: Betreuungsgeld!)


Dadurch werden die Auszeiten kürzer, die Teilzeitquote
wird geringer, und wer Vollzeit oder vollzeitnah arbeitet,
hat natürlich auch ein höheres Einkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann aber pro Stunde immer noch zu niedrig sein!)


Wir werben mit zahlreichen Programmen und Projek-
ten für mehr Frauen in technischen Berufen; denn mehr
Frauen in diesen Branchen bedeutet weniger Entgeltun-
terschiede.

Wir wollen, dass mehr Frauen in Führungspositionen
kommen.


(Elke Ferner [SPD]: Auch da machen Sie lieber nichts, als dass Sie etwas machen!)


Da gilt es schon einmal festzuhalten: Seit die CDU/
CSU-Frauen dieses Thema lautstark aufgegriffen haben,
hat sich in den Führungsetagen der deutschen Unterneh-
men einiges bewegt. Da ist wirklich Bewegung hinein-
gekommen. Daran hat auch unser Engagement seinen
Anteil. Höhere Positionen bedeuten auch höhere Ein-
kommen.

Das alles sind strukturelle Maßnahmen, die dazu bei-
tragen werden, dass die Entgeltlücke kleiner werden
wird. Und es sind gute Maßnahmen; denn sie sind nach-
haltig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Nachhaltig heißt in der Konsequenz, dass sie sich auch
positiv auf die Rentenlücke auswirken. Denn die Ent-
geltlücke ist nicht das einzige Problem. Ein viel größeres
Problem, das in meinen Augen noch viel dramatischer
ist, ist die Rentenlücke. Sie liegt teilweise bei über
50 Prozent, und das ist wirklich dramatisch.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen macht die Regierung gar nichts!)


Deshalb sagen wir: Man muss gezielt etwas dafür tun,
dass Frauen sich eine eigene Altersvorsorge aufbauen
können.

Genau aus diesem Grund kämpfen wir auch dafür,


(Elke Ferner [SPD]: Das wäre das erste Mal, dass Sie für etwas kämpfen!)


dass die Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben,
mehr Rentenpunkte bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist ein wichtiger Punkt, liebe Kollegen von der Op-
position. Zu diesem Thema habe ich von Ihnen noch nie
etwas gehört. Wir sind fest entschlossen, in der nächsten
Legislaturperiode dafür zu sorgen, dass die Frauen, die
vor 1992 Kinder bekommen haben, mehr Rentenpunkte
bekommen. Denn es ist nicht einzusehen, dass hier so
ein großer Unterschied gemacht wird.

Ich würde mich freuen, Sie würden uns bei diesen
ganz konkreten Vorschlägen unterstützen. Das würde
den Frauen mehr bringen als solche Placebogesetze wie
der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Elke Ferner [SPD]: Sie reden sich die Welt schön! – Weitere Zurufe von der SPD)


Außerdem haben wir durch den Bonus beim Betreu-
ungsgeld nun die Möglichkeit, dass diejenigen, die ihr
Kind betreuen und deshalb ihre Berufstätigkeit reduzie-
ren, mit 115 bzw. 165 Euro monatlich privat vorsorgen
können. Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Mehr als die
Hälfte der Frauen reduziert ihre Berufstätigkeit, wenn
das Kind noch im zweiten oder dritten Lebensjahr ist.
Diesen Frauen haben wir die ganze Zeit gesagt – Sie sa-
gen es nach wie vor –: Da habt ihr halt Pech gehabt;
dann fehlen halt diese Punkte bei der Rente. – Genau das
wollen wir nicht. Deshalb haben wir beschlossen, dass
ab Sommer diese Frauen 115 bzw. 165 Euro für die pri-
vate Altersvorsorge anlegen und somit einiges für die
Rente tun können.


(Zuruf des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD])


Das ist gut; das ist richtig; das ist ein ganz wichtiger
Schritt beim Thema Entgeltungleichheit und Rentenlü-
cke im Alter.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie, liebe Kollegen der Opposition, versuchen aller-
dings mit Ihren heute vorgelegten Gesetzentwürfen, den
Eindruck zu erwecken, man brauche nur ein kleines Ge-
setz zu machen und schon wären Rentenlücke und Ent-
geltlücke bekämpft. Ein Entgeltungleichheitsgesetz ha-
ben Sie vorgelegt. Ich dachte zunächst: Das ist vielleicht
ganz interessant; denn alles, was uns hilft, diese Lücke
zu bekämpfen, ist erst einmal gut. Aber wenn man sich
anschaut, was Sie genau vorschlagen, kriegt man wirk-
lich das kalte Grausen.


(Elke Ferner [SPD]: Was genau schlagen Sie denn vor?)






Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


Nach Ihren Vorstellungen sollen Unternehmen ab 15 Be-
schäftigten regelmäßig detailliert über ihre Lohnstruktu-
ren Rechenschaft ablegen. Das heißt, alle Unternehmen
ab 15 Mitarbeitern müssen einen eigenen Bericht ferti-
gen und die komplette Lohnstruktur ihres Unternehmens
offenlegen. Zum obersten Sittenwächter wird dann die
Antidiskriminierungsstelle. Sie soll prüfen, ob es in Tau-
senden von Betrieben gleiche Bezahlung für gleichwer-
tige Arbeit gibt.

In der Anhörung ist schon deutlich geworden, dass es
sehr schwer ist, gleichwertige Arbeit zu definieren.


(Christel Humme [SPD]: Welche Anhörung? Sie haben sich mit dem Gesetz gar nicht auseinandergesetzt!)


Ihr Gesetzentwurf gibt auf diese Frage auch überhaupt
keine Antwort. Sie schreiben, die Antidiskriminierungs-
stelle soll das bewerten. Letzte Instanz soll nicht etwa
ein Gericht sein, sondern die Antidiskriminierungsstelle.
Sie soll als letzte Instanz darüber entscheiden, ob Unter-
nehmen bestraft und Sanktionen verhängt werden. Auch
das wurde in der Anhörung kritisiert. Das alles zusam-
mengenommen ist nicht nur rechtlich äußerst bedenk-
lich, sondern es ist auch gar nicht umsetzbar.


(Elke Ferner [SPD]: Wo sind Ihre Änderungsanträge?)


Fakt ist: Was Sie vorschlagen, bringt eine ganze
Menge Bürokratie für die Unternehmen. Jedes Unter-
nehmen ab 15 Mitarbeitern muss künftig Berichte ferti-
gen. Seien wir ehrlich: Wer fertigt diese Berichte? Meis-
tens die Frauen, die in den Büros sitzen. Sie dürfen das
noch zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit machen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ach Gott! – Elke Ferner [SPD]: Peinlich!)


Das bringt nur Mehrbelastung. Es ist zugleich aber nicht
erwiesen, dass uns das beim Bekämpfen der Entgeltun-
gleichheit auch nur einen Schritt weiterbringt.

Ich bin mir sicher, dass die Frauen in Deutschland
nicht auf dieses durchschaubare Manöver hereinfallen
werden. Das ist der Versuch, Ihren Spitzenkandidaten,
der offensichtlich einige Probleme mit Frauen hat, etwas
aufzuhübschen.


(Elke Ferner [SPD]: Weniger als Ihre Kanzlerin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist ganz neu!)


Er ist leider heute auch nicht anwesend. Das ist sehr
schade. Die Kehrtwende, die jetzt versucht wird, wird
aber nicht einmal von den eigenen Frauen aufgenom-
men. In der Presseberichterstattung der letzten Tage ist
nachzulesen, dass, als er das Thema auf einer Veranstal-
tung angesprochen hat und eine Frau kritisch nachge-
fragt hat, sie gefragt wurde, ob sie denn wirklich in der
richtigen Partei sei. – So geht man mit Kritik in Ihren
Reihen um. So geht man mit Frauen in Ihren Reihen um,
wenn sie einmal kritische Nachfragen stellen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Die Frauen in der CDU werden vom Fraktionsvorsitzenden bei der Quote im mer unterstützt! Sie erzählen vielleicht putziges Zeug, Frau Schön!)


Das ist ein wirklich sehr durchschaubares Wahlkampf-
manöver. Darauf werden die Frauen in diesem Land
nicht hereinfallen. Wir wollen gemeinsam erfolgreich
daran arbeiten, dass die Entgeltlücke kleiner wird und
vor allem auch die Rentenlücke im Alter kleiner wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723203000

Das Wort hat der Kollege Dr. Frank-Walter

Steinmeier für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1723203100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Schön, Lesen hätte geholfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über dem Gesetzentwurf steht nicht „Gesetz zur Entgelt-
ungleichheit“, sondern „Engeltgleichheitsgesetz“; das
Gesetz soll nämlich zur Entgeltgleichheit führen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zehn Wo-
chen bzw. 57 Arbeitstage innerhalb dieser zehn Wochen –
so lange müssen Frauen dieses Jahr länger arbeiten, um
auf den gleichen Lohn zu kommen wie die Männer. Bis
gestern, bis zum Equal Pay Day, waren alle erwerbstäti-
gen Frauen in Deutschland allein damit beschäftigt, den
Lohnrückstand aus dem letzten Jahr aufzuholen. Ich
hoffe, dass wir uns bei allen Unterschieden wenigstens
über eines einig sind: Jeder Tag dieser zehn Wochen ist
einer zu viel, und deshalb muss das aufhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir uns darüber einig sind, dann müssen wir auch
etwas tun. Lamentieren allein – das stellen wir gelegent-
lich auch auf anderen Feldern fest – hilft nicht. In den
letzten Jahren hat sich nur leider kaum etwas bewegt.

Sie haben es zitiert, allerdings falsch ausgewertet: Im-
mer noch verdienen erwerbstätige Frauen 22 Prozent
weniger Lohn als die Männer. Das sind pro Stunde im-
merhin 4 Euro weniger Lohn. Damit sind wir europaweit
Schlusslicht bei der Entgeltgleichheit. Das darf doch
nicht so bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht hier nicht um die Probleme Einzelner. Schuld
sind nicht die Frauen, die – das liest man gelegentlich –
bei Lohnverhandlungen entweder zu bescheiden sind
oder nicht genügend streng verhandeln können. Die
Lohnlücke zwischen Männern und Frauen – das wissen
wir doch alle – ist kein individuelles Problem. Da gibt es
systematische Benachteiligungen:





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


Erstens werden typische Frauenberufe nach wie vor
schlechter vergütet als klassische Männerberufe, obwohl
verdammt noch mal in der Altenpflege viel und hart ge-
arbeitet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens sind es eben vor allen Dingen Frauen, die
die Erwerbstätigkeit gelegentlich unterbrechen, entwe-
der um die Kinder zu erziehen oder um die Pflege von
Angehörigen zu leisten. Je länger die Auszeit ist – auch
das zeigt die Erfahrung –, desto höher sind anschließend
die Einbußen beim Lohn.

Drittens sitzen Frauen zu oft in der Teilzeitfalle.

Viertens sind die Führungsetagen immer noch Män-
nerdomänen.

Und selbst da, wo es Frauen geschafft haben, gleiche
Tätigkeiten auszuüben, ist bei gleicher Qualifikation und
gleicher Tätigkeit immer noch schlechterer Lohn für die
Frauen an der Tagesordnung. Wenn wir nichts tun, dann
wird das so bleiben, und genau das darf nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun ist das keine völlig neue Diagnose. Diese Dia-
gnose liegt schon länger auf dem Tisch. Aber nicht nur
das: Auch Rezepte liegen schon länger auf dem Tisch,
zum Beispiel der Entwurf eines Gesetzes für mehr
Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen,


(Beifall bei der SPD)


zum Beispiel der Entwurf eines Gesetzes für den Ausbau
von Kindertagesstätten. Zu all dem haben wir Vorschläge
unterbreitet. Hinzu kommt der Vorschlag, den wir Ihnen
heute unterbreiten, der Entwurf eines Entgeltgleichheits-
gesetzes. Das Traurige ist: Nichts von dem können wir
mit dieser Regierung machen. Alles, was Ihnen in letzter
Zeit eingefallen ist, ist ein Betreuungsgeld, das mehr Pro-
bleme schafft als beseitigt. Das ist aus meiner Sicht – las-
sen Sie es mich einmal so sagen – eine zynische Antwort
für Frauen, die arbeiten müssen und verzweifelt nach ei-
nem Kitaplatz suchen. Das ist bildungspolitisch eine Ka-
tastrophe, es ist familienpolitisch falsch, und es ist zy-
nisch. Deshalb ist das die falsche Antwort für Familien,
die falsche Antwort für Kinder und erst recht die falsche
Antwort für Frauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das war schon die
Forderung der ersten weiblichen Abgeordneten der Wei-
marer Republik. Ich weiß nicht, ob die sich hätten träu-
men lassen, dass wir 90 Jahre später noch immer über
dasselbe Thema, noch immer über dasselbe Problem,
noch immer über Lohnungleichheit in dieser Dimension
reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Miriam Gruß [FDP]: Was haben Sie denn in Ihrer Regierungszeit gemacht, Herr Steinmeier?)


Weil das so ist, weil wir noch immer darüber reden
und das Reden nichts geholfen hat, brauchen wir eine
gesetzliche Regelung. Appelle allein – das haben wir ge-
sehen – sind nicht geeignet, um die Welt zu verändern.
Die Verantwortlichen sowohl in den Unternehmen als
auch, wie ich glaube, die Tarifpartner brauchen einen ge-
setzlichen Rahmen, in dem Lohndiskriminierung zu-
nächst einmal offengelegt wird, um sie dann zu beseiti-
gen. Nur so erreichen wir – davon bin ich überzeugt –
endlich unser Ziel. Das Ziel ist, dass der Equal Pay Day
nicht irgendwann Mitte März, sondern in Zukunft am
1. Januar stattfindet. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die FDP äußert sich zu diesen Dingen überhaupt
nicht; das hat sie auch am Brandenburger Tor nicht ge-
tan.


(Miriam Gruß [FDP]: Wir waren am Hauptbahnhof!)


Die CDU/CSU war, wie in den vergangenen Jahren,
auch diesmal vertreten. Deshalb sage ich an die Union
gerichtet: Wenn auch Sie der Meinung sind, dass die
Lohnunterschiede überholt sind und dass man etwas ma-
chen muss, dann machen Sie bitte in Zukunft keine fal-
schen Versprechungen am Brandenburger Tor, sondern
zeigen Sie, dass Sie Kreuz haben, und stimmen Sie unse-
rem Gesetzentwurf zu.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723203200

Vielen Dank, Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier. –

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der FDP unsere Kollegin Frau Nicole Bracht-Bendt.
Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1723203300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Steinmeier, wir waren nicht am Brandenburger Tor, aber
wir waren am Hauptbahnhof und intensiv im Gespräch
mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Zweitens frage ich mich, was Sie denn in den vergan-
genen Jahren gemacht haben. Sie hatten doch die Mög-
lichkeit, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen, aber Sie
haben nicht gehandelt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Da hatten wir ein Antidiskriminierungsgesetz, das Sie abgelehnt haben!)






Nicole Bracht-Bendt


(A) (C)



(D)(B)


Männer und Frauen arbeiten auf Augenhöhe: Das ist
in der FDP-Fraktion das Leitmotto.


(Elke Ferner [SPD]: Deshalb sind Sie auch so viele, Frau Kollegin!)


– Hören Sie zu! – Das war auch gestern bei unserer Ak-
tion am Hauptbahnhof zum Equal Pay Day so. Wir alle
wissen, dass es immer noch Defizite bei der Entgelt-
gleichheit gibt. Der im Grundgesetz verankerte Art. 3
Abs. 2 und 3, wonach niemand wegen seines Geschlech-
tes benachteiligt werden darf, ist immer noch nicht über-
all umgesetzt. Das ist bedauerlich.

Wenn Männer und Frauen unterschiedlich hohe Ge-
hälter bekommen – das haben auch Sie, Herr Steinmeier,
angesprochen –, obwohl sie die gleiche Qualifikation
und Berufserfahrung haben, besteht Handlungsbedarf.


(Ulrike Gottschalck [SPD]: Ja, eben!)


Das steht für uns außer Frage.

Wir sollten aber endlich mit der leidigen Geschlech-
terkampfdebatte aufhören.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich halte es für unredlich, wenn neue Zahlen über die
Verdienste von Frauen und Männern veröffentlicht wer-
den und jedes Mal so getan wird, als würden Frauen in
Deutschland generell bei gleicher Qualifikation und Be-
rufserfahrung 22 Prozent weniger als ihre männlichen
Kollegen aufs Gehaltskonto überwiesen bekommen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Statistische Bundesamt ist unredlich? Ich glaube es nicht!)


Das ist eine reine Irreführung und Stimmungsmache, die
skandalös ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das Bundesamt untersteht Ihnen!)


Fakt ist: Den größten Anteil an der Gehaltslücke ha-
ben die Erwerbsunterbrechungen. Eine Frau, die sich
nach der Geburt eines Kindes dafür entscheidet, einige
Jahre zu pausieren, um sich ausschließlich ihrem Kind
oder mehreren Kleinkindern zu widmen, tut dies aus
freien Stücken. Hier hat sich der Staat herauszuhalten.


(Beifall bei der FDP)


Wir sollten auch mit dem Märchen von den ach so
schlimmen Minijobs aufhören. Die Minijobs sind nicht
per se schlecht.


(Elke Ferner [SPD]: Nein!)


– Hören Sie zu! – Problematisch wird es, wenn die Frau
zu lange zu Hause bleibt. Längere familienbedingte Aus-
zeiten bremsen häufig die Karriere von Frauen aus.

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft machen
allein familienbedingte Erwerbsunterbrechung und Teil-
zeitarbeit 56 Prozent des Lohnunterschiedes aus. Ziel
muss sein, die Babypause möglichst kurz zu halten. Je-
der Monat länger weg vom Beruf oder ein Teilzeitjob

machen es Frauen schwerer, im Aufstiegswettbewerb
Erfolg zu haben.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann dem Betreuungsgeld zugestimmt?)


Dass die SPD-Fraktion reflexartig sagt, dass ein Ge-
setz hermuss, überrascht uns nicht mehr. Denn die SPD-
Fraktion glaubt, ohne Gesetz funktioniert in unserem
Lande nichts. Ich denke, wir beweisen das Gegenteil.
Das ist eben der elementare Unterschied zwischen Ihnen
und uns.


(Elke Ferner [SPD]: Ja, Gott sei Dank!)


Mit einem Entgeltgleichheitsgesetz käme auf die Unter-
nehmen ein neues Bürokratiemonster zu. Mit Bürokra-
tieabbau, den wir immer anstreben, hat das wahrlich
nichts zu tun.

Was mich ehrlich verblüfft, ist, dass die Gewerkschaf-
ten die Füße so still halten. Sie sind es doch, die zusam-
men mit den Arbeitgebern am Tisch sitzen und ihre Un-
terschrift unter Tarifverträge setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir über ungerechte Lohnlücken reden, ist es
Quatsch, die Tarifautonomie auszuhebeln. Hier sind die
Gewerkschaften in der Pflicht, sich für die Rechte und
Interessen der Frauen einzusetzen.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh nein! Wir sind der Gesetzgeber! Das ist unsere Aufgabe!)


Ein anderes Thema sind die sogenannten traditionel-
len Frauenberufe. Sie werden ja bekanntlich meistens
schlechter besoldet als traditionelle Männerberufe. Wir
sollten darüber reden, warum das so ist. Auch hier ver-
misse ich eine klare Ansage der Gewerkschaften.

Wir haben schon in den vorausgegangenen Debatten
festgestellt:


(Bettina Hagedorn [SPD]: Es reicht nicht, nur darüber zu reden! Handeln ist angesagt!)


Um Entgeltgleichheit herzustellen, müssen wir die Ursa-
chen für die Unterschiede aufdecken und handeln. Wir
sind dabei. Wir tun dies.


(Beifall bei der FDP)


Der Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP


(Elke Ferner [SPD]: Der ist wirklich nur peinlich, Frau Kollegin!)


hat die Verwirklichung der Entgeltgleichheit mit Blick
auf die Ursachen in Zusammenarbeit mit der Gesell-
schaft, den Tarifpartnern, Frauen- und Wirtschaftsver-
bänden zum Gegenstand.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir als Parlament haben da etwas zu machen! Das ist unsere Aufgabe!)


Für uns Liberale ist Transparenz – ich wiederhole es –
die zentrale Herausforderung. Unternehmen, in denen
Mitarbeiterinnen für gleiche Leistung und bei gleicher





Nicole Bracht-Bendt


(A) (C)



(D)(B)


Qualifikation weniger Gehalt bekommen als die Mitar-
beiter, werden spätestens dann, wenn der Fachkräfte-
mangel richtig losgeht, den Kürzeren ziehen.

Es ist ja auch nicht so, dass die Bundesregierung in
Sachen Entgeltgleichheit noch nichts unternommen hat.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Doch, so ist es! Sie haben nichts getan!)


Das Lohntestverfahren Logib-D und das Unternehmens-
programm „Erfolgsfaktor Familie“ gewährleisten auf der
einen Seite rechtliche Grundlagen, um Entgeltgleichheit
durchzusetzen. Auf der anderen Seite werden die Öffent-
lichkeit, die Unternehmen und die Tarifpartner aktiv in
die Strategie eingebunden.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Um die Lohnlücke zu schließen, müssen wir also die
Ursachen im Blick behalten:

Erstens. Frauen sind in Berufszweigen, in denen es
nur geringe Aufstiegsmöglichkeiten gibt, überrepräsen-
tiert.


(Elke Ferner [SPD]: Ach so! Sie sind also auch noch selber daran schuld, ja?)


Zweitens. Frauen entscheiden sich häufig für Berufe
auf einem unteren Einkommensniveau.


(Lachen bei der SPD – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Soll das etwa heißen, die Frauen sind selber schuld? Ich glaube es ja nicht! – Elke Ferner [SPD]: Das ist wirklich nicht zu fassen!)


Eine Diplompädagogin verdient heute durchschnittlich
2 500 Euro im Monat, während schon das Einstiegsge-
halt eines Absolventen eines Studienganges für Umwelt-
technik oder Maschinenbau 1 000 Euro darüber liegt.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Die Feststellung ist ja schon mal gut! Jetzt fehlen nur noch das Fazit und die Konsequenz daraus!)


Die Berufswahl ist immer noch eines der entscheidenden
Kriterien für die Gehaltsentwicklung.

Wir können und wollen Frauen nicht dazu zwingen,
sich beruflich anders zu orientieren und statt Philosophie
oder Pädagogik besser Mathematik oder Ingenieurswis-
senschaften zu studieren.


(Zurufe von der SPD)


Wir müssen aber dafür sorgen – vielleicht hören Sie auch
einmal zu –, dass junge Frauen wissen, dass die Berufs-
wahl für die Karrieremöglichkeiten und das spätere Ein-
kommen ausschlaggebend sein kann.


(Beifall bei der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Dann gibt es keine Friseurinnen mehr, dann gibt es keine Altenpflegerinnen mehr usw.! – Diana Golze [DIE LINKE]: Was halten Sie denn von einem Mindestlohn?)


– Ja, Mindestlohn; nur diese Antwort kommt für Sie ja
infrage.

Die dritte Ursache ist bekannt – aber ich wiederhole
sie, weil ich sie für ursächlich und für die gravierendste
halte –:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die dritte Ursache ist die FDP!)


Je länger die Familienphase, in der die Frau aus dem Be-
ruf aussteigt, desto schwieriger wird auch der Wieder-
einstieg.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Betreuungsgeld!)


Junge Frauen müssen sich die Konsequenzen klarma-
chen: Die Lohnlücke, die während der Familienphase
entsteht, kann nicht mehr geschlossen werden. Abgese-
hen davon bedeutet weniger Gehalt automatisch auch
weniger Rente.

Die Politik der Liberalen folgt dem Grundsatz:


(Elke Ferner [SPD]: Frauen raus!)


Frauen und Männer arbeiten auf Augenhöhe.


(Elke Ferner [SPD]: Das sieht man an dem Frauenanteil in Ihrer Fraktion, Frau Kollegin!)


Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit muss deshalb selbst-
verständlich sein. Auch wenn Sie es nicht hören wollen:
Wir wollen dasselbe wie Sie, nur ohne Gesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Politik, Unternehmen und Frauen müssen gemeinsam
an einem Strang ziehen. Ein weiteres Gesetz, wie es die
SPD plant, ist aus Sicht der FDP-Fraktion, wie Sie sich
denken können, nicht der richtige Weg. Deshalb werden
wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Miriam Gruß [FDP]: Und das ist auch gut so!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723203400

Vielen Dank, Frau Kollegin Bracht-Bendt. – Nächste

Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die
Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze. Bitte schön,
Frau Kollegin Diana Golze.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723203500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der
gestrige Equal Pay Day markierte eine der größten Un-
gerechtigkeiten, die es in diesem Land gibt. Denn ges-
tern – das wurde bereits angesprochen – endete die Zeit-
spanne, die Frauen im Jahr 2013 länger arbeiten
mussten, um genauso viel zu verdienen, wie der Durch-
schnittslohn eines Mannes im Jahr 2012 betrug. Für die
gleiche Bezahlung 80 Tage länger arbeiten müssen,
80 Tage für lau arbeiten müssen, das ist eine riesige Un-
gerechtigkeit und ein Beweis für den Unwillen zu politi-
schem Handeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)


Häufig heißt es – dieser Gedanke hat in dieser De-
batte schon eine Rolle gespielt –, die Entgeltungleichheit
liege daran, dass Frauen eben schlechter bezahlte Berufe
ergriffen. Das ist ein Satz, der schnell dahingesagt ist
und den viele aus ihren Alltagserfahrungen heraus viel-
leicht bestätigen würden. Aber dieser Satz ist gefährlich,
in mehrerlei Hinsicht:

Zum einen verschleiert er, dass Frauen auch in den
sogenannten Männerberufen schlechter bezahlt werden
als ihre männlichen Kollegen,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass selbst nach Berücksichtigung von Teilzeitbeschäfti-
gung und Babypausen immer noch eine Lohnlücke
bleibt.

Zum anderen macht eine solche Aussage die Frauen
zu Anwältinnen in eigener Sache, ohne dass sie etwas an
den Ursachen ändern könnten. Mit der Zuweisung der
Verantwortung für schlechtere Bezahlung an die Frauen
selbst stiehlt sich die Politik, stiehlt sich die Gesellschaft
aus der eigenen Verantwortung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Politik hat damit einen schönen Vorwand dafür, wes-
halb sie die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen
nicht ergreift, und in der Öffentlichkeit wird dieser Miss-
stand als individuelles Problem und nicht als gesell-
schaftliche Ungerechtigkeit wahrgenommen.

Es ist aber kein individuelles Problem, wenn Ge-
haltseinstufungen von Arbeitgebern intransparent vorge-
nommen werden. Es ist kein individuelles Problem,
wenn Lücken in der Erwerbsbiografie, die durch Erzie-
hungszeiten oder das Muttersein an sich entstanden sind,
als nicht kalkulierbares Ausfallkriterium eingeschätzt
werden. Es ist auch kein individuelles Problem, wenn
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Ar-
beitswelt immer mehr Flexibilität gefordert wird, was
ein Familienleben fast unmöglich macht.

Nein, meine Damen und Herren, es ist ein riesengro-
ßes gesellschaftliches Problem, wenn die sogenannten
Frauenberufe – die Berufe der Alten- und Krankenpfle-
gerinnen, der Friseurinnen, der Frauen im Gesundheits-
wesen, der Grundschullehrerinnen, der Erzieherinnen in
der Kita – die schlecht bezahlten Berufe sind.

Solange der Beruf der Erzieherin ein reiner Frauenbe-
ruf war, hat sich für dessen schlechte Bezahlung kaum
jemand interessiert. Nun aber, da unsere Ministerin für
Frauen, Kristina Schröder, gern auch mehr Männer in
die Kitas locken möchte, kommt das Thema Bezahlung
ganz plötzlich auf den Tisch.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Das ist ziemlicher Unsinn!)


Insofern finde ich es schade, Frau Ministerin, dass Sie
sich in dieser Debatte heute gar nicht zu Wort gemeldet
haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage Sie, liebe Damen und Herren: Wer hat das
Recht, die Arbeit dieser Frauen durch eine schlechtere
Bezahlung derart herabzuwürdigen?


(Agnes Alpers [DIE LINKE]: Genau!)


Und wer hat das Recht, auch noch mit dem Finger auf
die Frauen zu zeigen und ihnen vorzuhalten: „Hättet ihr
einen Männerberuf gewählt! Dann hättet ihr das Problem
nicht“? Niemand hat dieses Recht!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was tun die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen, um die Einkommenssituation der Frauen zu
verbessern? Schauen wir einmal auf den gestrigen Tag
zurück: Bei der Aktion des Deutschen Gewerkschafts-
bundes vor dem Brandenburger Tor, Frau Bracht-Bendt,
war die FDP weder mit einem Stand noch mit einer Red-
nerin vertreten.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Haben Sie nicht zugehört?)


– Ich habe Ihnen zugehört: Sie waren am Hauptbahnhof;
zu welchem Thema, haben Sie uns nicht verraten.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Sie haben nicht zugehört! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie hat auf den Zug gewartet!)


Es ist zumindest konsequent, dass man sich, wenn man
nichts zu sagen hat, an solchen Aktionen auch nicht be-
teiligt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Miriam Gruß [FDP]: So ein Unsinn!)


Zu diesem Entschluss konnte sich die CDU/CSU lei-
der nicht durchringen. Im Gegenteil, sie hatte sogar eine
besonders tolle Idee. Sie ist mit Plakaten gekommen, auf
denen die bahnbrechende Ankündigung „Mütterrente
kommt!“ zu lesen war.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Frauen, die gar nicht betroffen sind!)


Respekt! Derart am Thema vorbei zu plakatieren, das
muss man erst einmal hinbekommen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einmal ganz davon abgesehen, dass Sie einem diesbe-
züglichen Antrag meiner Fraktion gerade erst nicht zu-
gestimmt haben, ist festzuhalten: Es ging gestern um die
ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern im Be-
rufsleben. Sie haben also das Thema verfehlt.

So verwundert es mich auch nicht, dass es keinen ent-
sprechenden Gesetzentwurf der Regierung gibt. Warum





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)


sollten Sie sich auch in persönliche Aushandlungspro-
zesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern einmi-
schen? Warum sollten Sie auch politische Verantwortung
für individuelle Probleme von Frauen übernehmen? Ich
sage Ihnen, warum: Weil es Ihre Pflicht und Schuldigkeit
als Regierung wäre.

Könnten Sie nach der Ablehnung einer Frauenquote
für Führungspositionen, nach dem Festhalten am Ehe-
gattensplitting, nach der Einführung des Betreuungsgel-
des nicht wenigstens einmal so tun, als wenn die Gleich-
stellung der Geschlechter für Sie ein Thema wäre?


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Werte Kolleginnen und Kollegen, der Handlungsbe-
darf für die Politik liegt auf der Hand. Ich möchte nur
drei Beispiele nennen:

Erstens. Wir brauchen gesetzliche Regelungen zur
Durchsetzung der Entgeltgleichheit. Unternehmen müs-
sen verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis geschlechter-
gerecht zu gestalten, und dies muss für alle Beschäftig-
ten transparent erfolgen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Ja, wir brauchen endlich – Frau Bracht-
Bendt wartet ja schon darauf, dass ich es sage – einen
gesetzlichen Mindestlohn als Lohnuntergrenze,


(Beifall der Abg. Nicole Bracht-Bendt [FDP])


weil besonders Frauen von Dumpinglöhnen betroffen
sind und sie gerade deshalb von einem Mindestlohn am
meisten profitieren würden.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Auch die Forderung nach einem Rechtsan-
spruch auf Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitbeschäfti-
gung teilen wir. Er gehört dazu, damit Frauen ihre Ar-
beitszeit nach einer familienbedingten Reduzierung
wieder aufstocken können. Die Frauenministerin hat die-
sen Rechtsanspruch beim Familiengipfel vor wenigen
Tagen angesprochen und geäußert, sie würde sich dafür
einsetzen. Dieser Ankündigung müssen nun aber auch
Taten folgen.


(Beifall bei der LINKEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Darauf können wir aber lange warten!)


Verehrte Damen und Herren, auf dem Weg zu wirkli-
cher Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es viel zu
tun. Solange die Mehrheit dieses Hauses ihre Verweige-
rungshaltung aber leider nicht aufgibt, bleibt der Weg für
viele Frauen eine Sackgasse.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723203600

Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. – Nächste Redne-

rin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katrin Göring-
Eckardt. Bitte schön, Frau Kollegin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt die aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes,
die sagt, Frauen verdienen im Schnitt 22 Prozent weni-
ger als Männer. Vor kurzem – so steht es auch noch in
unserem Antrag – waren es noch 23 Prozent. Die Regie-
rung sagt an einer solchen Stelle dann gerne: Wir sind
auf einem guten Weg; das ist ein großer Schritt voran.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber Spaß beiseite. Tatsache ist: Deutschland liegt in
der EU ganz am Ende, was die Lohnunterschiede zwi-
schen Frauen und Männern angeht. Das ist ein Skandal,
und es zeigt übrigens auch, dass es nicht an den Frauen
liegt, sondern an der Struktur: an fehlender Gesetzlich-
keit und an falschen Vereinbarungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Schön, wenn man sich das, was Sie hier gesagt
haben, im Protokoll noch einmal anschaut, dann liest
man: wir wollen, wir wollen, wir wollen, wir kämpfen
für. – Meine Güte! Wer regiert hier eigentlich? Sie regie-
ren doch! Sie hätten das doch längst tun können! Sie
müssen nicht wollen, Sie müssen machen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Bracht-Bendt, ich finde es in besonderer Weise
doppelt diskriminierend, wenn Sie sich hier hinstellen
und sagen: Die Frauen sind doch selber schuld. Sie er-
greifen einfach die falschen Berufe. – Nein, die Frauen
sind nicht selber schuld. Die Politik hat die Verantwor-
tung, dafür zu sorgen, dass es Entgeltgleichheit gibt; sie
darf diese Verantwortung nicht den Frauen zuschieben,
die dann doppelt gestraft sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Über die Gründe der Lohndiskriminierung ist schon
viel geredet worden. Selbstverständlich sind die fami-
lienbedingten Erwerbsunterbrechungen der Haupt-
grund. Das Stichwort „Gläserne Decke“ gehört dazu.
Das ist ein ganz entscheidender Faktor.

Hinzu kommt natürlich auch die Alltagsdiskriminie-
rung, nach dem Motto: Frauen können es eben nicht so
gut wie Männer. – Danach wird in vielen Betrieben nach
wie vor verfahren. Das ist eine plumpe Diskriminierung.
Es ist richtig: Hier brauchen wir eine andere Unterneh-
menskultur.

Meist ist es aber noch viel subtiler. Die Kranken-
schwester verdient weniger als der Müllmann, die Erzie-
herin verdient weniger als der Automechaniker. Die Er-
zieherin in Mecklenburg-Vorpommern verdient unter





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


7 Euro pro Stunde. Das hat mit Respekt überhaupt nichts
mehr zu tun. Gleichwertige Arbeit muss endlich gleich
bezahlt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen darauf achten, welches Signal wir hier
setzen. Wir reden über demografische Entwicklung, über
Pflegenotstand und über einen drastischen Mangel an
Erzieherinnen und Erziehern. Es ist absurd, zu glauben,
das würde sich irgendwie regeln, solange diese Berufe in
Deutschland nicht endlich besser bezahlt werden. Dafür
haben wir als Politiker eine Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich finde, man muss sich auch noch einmal genau an-
gucken, was Angela Merkel und ihre Koalition machen.
Das alles ist eine Als-ob-Politik nach dem Motto: eine
freiwillige Verpflichtung, eine freiwillige Selbstver-
pflichtung, auf der Basis der Freiwilligkeit. Die von die-
ser Regierung gern bemühte Freiwilligkeit ist ein Code-
wort für nur eines: abwarten und nichts tun. – Die
Geduld der Frauen in diesem Land ist am Ende. Sie ver-
dienen endlich mehr Geld statt irgendwelcher warmer
Worte hier.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen ist es notwendig, dass wir das Gesetz zur
Entgeltgleichheit bekommen. Deswegen ist es notwen-
dig, dass es klare Sanktionen und klare Pflichten zur
Überprüfung und zur Beseitigung der Diskriminierung
gibt. Wir wollen ein Gesetz für Lohngleichheit mit ver-
bindlicher Durchsetzung und wirklichen Sanktionen.
Wir brauchen endlich eine verbindliche Regelung statt
irgendwelches Gerede. Dafür werden wir auch kämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich brauchen wir andere Rahmenbedingungen.
Ja, wir brauchen den Mindestlohn. Wir sollten uns hier
nicht hinstellen und so tun, als ob die Teilzeitarbeit die
Falle wäre. Nein, Frauen verdienen auch in Teilzeit we-
niger als Männer.


(Elke Ferner [SPD]: So ist es!)


Das ist doch absurd. Ja, wenn man über den Gender Pay
Gap redet, darf man auch über den Gender Pension Gap
nicht schweigen. Wenn Sie von Mütterrente und von Le-
bensleistungsrente reden, haben Sie genau die Frauen,
die es betrifft, nicht im Blick.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie machen nichts anderes, als jahrzehntelang ein fal-
sches Familienmodell zu subventionieren und hinterher
erschreckt zu sagen: Meine Güte, das könnte für die
Mütter im Alter finanziell eng werden. – Nein, das ist
falsch. Altersarmut wird auch mit Ihren Vorschlägen

weiblich bleiben. Deswegen braucht es hier eine andere
Lösung, eine echte Garantierente, mit der die Altersar-
mut von Frauen wirklich bekämpft wird. Das, was bei
Ihrem Koalitionsgeschwurbel am Ende herausgekom-
men ist, kann vielleicht für Sie gut sein, damit endlich
Ruhe herrscht; aber es ist nicht gut für die Frauen, denen
Altersarmut droht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Zum Schluss: Ja, Frauen bekommen schlechtere Ge-
hälter, auch im gleichen Job. Ja, Frauen wechseln ihre
Jobs nicht so oft wie Männer. Wenn sie es endlich ge-
schafft haben, die Kitaöffnungszeiten, die Arztsprech-
stunden, den Klavierunterricht und das Fußballtraining
mit dem eigenen Job zusammenzubringen, dann werden
sie nicht dauernd von einem Job zum anderen wechseln.
Auch das führt dazu, dass sie weniger verdienen.

Frauen machen übrigens auch weniger Fortbildung in
Deutschland. Warum? Weil sie sie seltener vom Arbeit-
geber bezahlt bekommen als Männer, nicht etwa, weil
sie sagen, sie hätten dafür keine Zeit. Ja, es bleibt ab-
surd, dass beim Müllmann die körperliche Belastung
zählt und bei den Pflegekräften eben nicht. Ja, es bleibt
absurd, dass wir keine vernünftigen Rahmenbedingun-
gen dafür haben, dass Frauen tatsächlich wieder in den
Beruf zurückkehren und Vollzeit arbeiten können. So-
lange Sie auch nur 1 Euro für das sinnlose Betreuungs-
geld ausgeben, tun Sie nichts dafür, dass sich an der Si-
tuation der Frauen etwas ändert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Man muss ganz einfach sagen: An einem Tag im Jahr
geht es um Equal Pay. Eigentlich müsste an 365 Tagen
im Jahr in dieser Frage politisch aktiv gehandelt werden.
Die notwendige gesellschaftliche Debatte gehört dazu.
Aber es gehört eben auch ganz knallharte Politik dazu.
Vor allem ist es aber absurd, nur noch einen Tag länger
anzunehmen, mit dieser Regierung würde sich zum
Wohl der Frauen irgendetwas ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wie machen Sie das denn in der EKD-Synode?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723203700

Vielen Dank, Frau Kollegin Katrin Göring-Eckardt. –

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Elisabeth
Winkelmeier-Becker. Bitte schön, Frau Kollegin
Winkelmeier-Becker.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1723203800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir sind uns in der Tat in vielen Punkten einig.
Herr Steinmeier, dass im Schnitt Frauen fast drei Monate
länger arbeiten müssen als Männer, um so viel zu verdie-





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


nen wie das, was Männer schon am Silvesterabend in der
Kasse haben, ist empörend und ungerecht. Es ist klar,
dass das ein wichtiges Handlungsfeld der Politik sein
muss.

Es sind viele Punkte angesprochen worden, die in
dem Ursachengeflecht eine Rolle spielen. Auch die An-
hörung hat da keine wirklich große Überraschung ge-
bracht. Die Zusammenhänge, die dort dargestellt wur-
den, waren bekannt: Erwerbsunterbrechungen wegen
familiärer Sorgearbeit, Reduzierung der Arbeitszeit,
Teilzeit, Minijobs, die Rollenklischees, das Berufswahl-
verhalten. All diese Themen kennen wir seit langem,
auch in ihrem Zusammenspiel. Es zeigt, dass die Aus-
ganssituation sehr schwierig ist.

Ich möchte drei Sätze dazu sagen, wie es dazu ge-
kommen ist. Die Bundesrepublik hat einfach mit einem
– in Anführungszeichen – „normalen“ Familienbild be-
gonnen, das sich über die Jahrzehnte etabliert hat. Da-
rum herum haben sich das Steuerrecht und das Bildungs-
system entwickelt. In diesem Modell haben Frauen nur
dazuverdient. Das wurde damals gar nicht als Defizit
empfunden. Das sehen wir heute natürlich ganz anders.
Das ist heute so nicht mehr denkbar. Da haben sich die
Situation, die Erwartungshaltung und auch die – berech-
tigten – Ansprüche der Frauen deutlich verändert.

Der Verweis auf die historische Entwicklung macht
das Ergebnis, mit dem wir heute konfrontiert sind, nicht
erträglicher, sondern ist als Aufforderung zu verstehen,
uns dieser großen Aufgabe zu stellen.


(Elke Ferner [SPD]: Es freut mich, dass Sie zustimmen, Frau Kollegin!)


Es handelt sich wirklich um eine große Aufgabe. Ich
habe nicht die Hoffnung, dass sie sich mit einem auf Be-
triebe beschränkten Entgeltgleichheitsgesetz wuppen
lässt.

Ich habe noch eine Bitte. Wir sollten die Diskussion
nicht so führen, dass sich diejenigen, die das beschrie-
bene Modell gelebt haben, diskriminiert oder in ihrer Ar-
beit nicht gewürdigt fühlen. Viele Frauen hatten damals
keine andere Wahl. Sie haben eine tolle Arbeit geleistet,
haben ihre Familien gut versorgt und Kinder erzogen.
Aber am Ende sehen sie sich mit dem Gender Pension
Gap konfrontiert. In der Tat sollten wir hier etwas tun.
Die Anerkennung von Erziehungszeiten kann ein Ele-
ment sein. Damit sind an dieser Stelle sicherlich nicht
alle Probleme gelöst. Aber so kann durchaus ein relevan-
ter Beitrag geleistet werden.

Ich kann nicht auf alle Punkte eingehen, die anzuspre-
chen wären. Ich möchte aber auf den Zusammenhang
zwischen Berufsunterbrechung und der Entwicklung von
Berufschancen eingehen. Ich möchte ausdrücklich sa-
gen: Es geht mir nicht nur um Berufschancen, sondern
auch um Karrierechancen. Das ist ein Unterschied. Die
Frauen wollen nicht nur in den Beruf zurückkehren, son-
dern sie wollen auch dort wieder anknüpfen, wo diejeni-
gen stehen, mit denen sie zusammen im Beruf begonnen
haben und die keine Unterbrechung hatten. Das ist der
Anspruch.

Die Grünen verweisen in ihrem Antrag zu Recht da-
rauf: Wird die Erwerbstätigkeit wegen Familienarbeit
unterbrochen oder reduziert, hat das Einkommenseinbu-
ßen zur Folge, die später nicht wieder auszugleichen
sind. – Das stimmt und ist erschütternd. In der Anhörung
wurde das sogar näher beziffert. Wer ein Jahr aussetzt,
hat im Durchschnitt 4,8 Prozent weniger Lohn pro Jahr
zu erwarten und wird damit sogar mehr abgestraft als je-
mand, der ein Jahr wegen Arbeitslosigkeit aussetzt. Dass
das so ist, hat mich sehr erschüttert.

Deshalb ist klar: Alles, was die Rückkehr in den Be-
ruf sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf er-
leichtert, ist gut und entspricht im Übrigen auch den Er-
wartungen, die die Arbeitgeber vor dem Hintergrund des
Fachkräftemangels formulieren. Die Möglichkeiten für
Frauen, in den Beruf zurückzukehren, sind also eigent-
lich ganz gut, sofern sie denn Kinderbetreuungsmöglich-
keiten haben.

Man muss das aber auch aus einer anderen Perspek-
tive sehen. Ich weiß aufgrund meiner eigenen Lebenser-
fahrung – das lässt sich auch im Gleichstellungsbericht
und im Achten Familienbericht finden –, dass es immer
wieder einmal Phasen gibt, in denen beide Elternteile
nicht durchgängig Vollzeit arbeiten können. Ich selbst
habe drei Kinder. Als diese null, drei und viereinhalb
Jahre alt waren, habe ich mir eine komplette Auszeit von
zwei Jahren genommen. Es wäre nicht zielführend ge-
wesen und hätte auch nicht der Lebensqualität genutzt,
wenn auch ich damals Vollzeit gearbeitet hätte. Es war
schon kompliziert genug, als ich zwei Jahre später wie-
der angefangen habe.

Wir müssen dafür sorgen, dass es jederzeit möglich
ist, einmal eine begrenzte Zeit auszusetzen, ohne dabei
den Anspruch zu verlieren, beim beruflichen Wiederein-
stieg dort anzuknüpfen, wo man ohne die Unterbrechung
wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um es vielleicht noch anschaulicher zu machen: Ich
finde, man muss beispielsweise im Alter von 30 Jahren
einmal zwei Jahre aussetzen und trotzdem mit 50 oder
auch mit 40 Jahren Führungspositionen bekleiden kön-
nen. Die berufliche Entwicklung sollte jedenfalls alters-
gerecht und ohne den nachhängenden Nachteil einer
Kindererziehungsphase verlaufen. Auch das müssen wir
berücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu gehört, dass Familienarbeit und die dabei er-
worbenen Kompetenzen besser gewürdigt werden. Das
heißt, wir brauchen eine gezielte Förderung beim beruf-
lichen Wiedereinstieg. Für mich gehört dazu auch – das
ist sicherlich keine Neuigkeit – eine verbindliche Ziel-
quote in der Frauenförderung, gerade wenn es um Füh-
rungspositionen geht. Denn das kann das Vertrauen in
die Überzeugung stärken, dass man ruhig einmal eine
Auszeit nehmen kann, wenn sie zur eigenen Life Work
Balance gehört, ohne Karrierechancen zu verlieren.





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


Jetzt wollen Sie sicherlich wissen, warum wir Ihren
Antrag ablehnen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stimmt!)


– Das fällt mir nicht schwer zu sagen.

Ein Punkt stört mich wirklich. Ich finde, dass das
Ehegattensplitting – auch wenn diese Phasen nicht ein
ganzes Leben lang oder 15 Jahre dauern, sondern viel-
leicht nur 2 oder 3 Jahre – die angemessene steuerliche
Behandlung darstellt. Wer in dieser Zeit Alleinverdiener
ist, während der Partner mit den Kindern zu Hause ist,
darf steuerlich nicht so veranlagt werden, als hätte er das
Geld für sich alleine. Es muss vielmehr steuerlich aner-
kannt werden, dass er sein Geld mit dem anderen Partner
teilt.

Mich hat nie das Argument überzeugt, dass das Ehe-
gattensplitting der große Hemmschuh bei dem Wieder-
einstieg in den Beruf sein soll.


(Elke Ferner [SPD]: Dann lesen Sie doch mal die ganzen Studien!)


Wenn wir ordentliche Stellen und eine ordentliche Be-
treuung haben, dann ist für den Wiedereinstieg das Split-
ting kein Hemmschuh. Denn das zusätzliche Einkom-
men wird immer den größeren Effekt haben als der
Vorteil durch das Splitting.


(Elke Ferner [SPD]: Wer das Splitting beibehalten will, will auch die Einkommensunterschiede beibehalten!)


– Nein, die Einkommensunterschiede werden nicht ho-
noriert, sondern im Steuerrecht wird nur der Nachteil
ausgeglichen,


(Elke Ferner [SPD]: Die Unterschiede werden honoriert!)


sodass man sich nicht schlechter steht als das Paar, das
gleiche Einkommen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723203900

Sie sehen auf die Uhr, Frau Kollegin?


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1723204000

Ja. – Ich wünsche mir, dass wir noch viele Equal Pay

Days im Schnee feiern, aber dass das nicht an einem au-
ßergewöhnlich kalten März liegt, sondern daran, dass
wir demnächst den Equal Pay Day im Januar, am liebs-
ten an Neujahr, feiern können.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723204100

Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. –

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der SPD unsere Kollegin Elke Ferner. Bitte schön,
Frau Kollegin Elke Ferner.


(Beifall bei der SPD)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1723204200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

muss wirklich sagen: Die Debattenbeiträge der schwarz-
gelben Koalition zeigen – so kommt es mir vor –, dass
Sie nach dem Motto verfahren: Ich habe zwar keine Lö-
sung, aber ich bewundere das Problem.


(Heiterkeit bei der SPD)


Nach der rechtlichen Situation – das wissen wir ganz
klar – ist die Entgeltdiskriminierung bereits verboten.
Dazu braucht man eigentlich kein neues Gesetz.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Das Härteste an Forderungen in Ihrem Antrag ist
– ich will das hier allen zur Kenntnis geben –, dass die
Bundesregierung im Rahmen der zur Verfügung stehen-
den Haushaltsmittel sich weiterhin für die Überwindung
der Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern
einsetzen und Benachteiligungen von Frauen in Wirt-
schaft und Arbeitswelt beseitigen soll. Das ist ein Ap-
pell. Aber wir leben in einem Rechtsstaat und nicht in ei-
ner Bananenrepublik. Eine Regierung muss geltendes
Recht durchsetzen. Ein Parlament muss, wenn das Recht
nicht ausreicht, neues Recht schaffen und dafür sorgen,
dass dieses durchgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD)


Aber das sehen Sie anders. Die ganzen Analysen, die
Sie hier zu Markte tragen, zielen auf eines ab, nämlich
zu beweisen, dass die Frauen im Prinzip selber daran
schuld sind. Warum haben wir ein Recht ohne Praxis?
Das Recht ohne Praxis haben wir deshalb, weil jede ein-
zelne Frau ihren Arbeitgeber auf Zahlung gleichen
Lohns verklagen muss. Jetzt braucht man keine Prophe-
tin zu sein, um vorauszusagen, wer so etwas macht. Das
machen keine Frauen, die ihren Job behalten wollen,
sondern das machen vielleicht die, die sich mit dem Ge-
danken an eine Kündigung tragen oder schon gekündigt
haben. Genau das ist das Problem. Die Kollegin, die am
Arbeitsplatz nebenan arbeitet, muss ihr Recht ebenfalls
individuell einklagen. Deshalb ist klar: Das geltende
Recht führt nicht zum Ziel der Entgeltgleichheit. Des-
halb muss man etwas ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben gesagt, die Ursachen seien Teilzeitarbeit,
die Auszeiten wegen der Familie oder eine geringere Ta-
rifbindung in den kleineren Betrieben, in denen Frauen
überwiegend beschäftigt seien. Das ist alles richtig, aber
nicht nur Frauen mit Kindern und Auszeiten haben weni-
ger Einkommen als ihre männlichen Kollegen. Auch
Frauen ohne Kinder und ohne Auszeit verdienen im
Durchschnitt weniger als ihre männlichen Kollegen.
Also sind die Gründe für die Ungleichbezahlung nicht
allein diejenigen, die Sie nennen.

Ich sage Ihnen: Die Regierung und die Regierungsko-
alition sind dazu da, Problemlösungen zu finden, und
nicht, Problemanalysen zu betreiben. Sie bleiben immer
bei den Problemanalysen stehen. Dafür brauchen wir Sie
aber nicht. Die Probleme analysieren können wir selber.





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn das, was Sie als Gründe für die Ungleichbezah-
lung anführen, die tatsächlichen Gründe wären, dann
sollte man da ansetzen. Aber was machen Sie? Sie ma-
chen im Prinzip genau das Gegenteil: Sie verstärken das,
was Sie für ebendiese Gründe halten. Sie haben be-
schlossen, das Betreuungsgeld einzuführen. Dadurch
werden die Auszeiten der Frauen nicht verkürzt, sondern
verlängert. Sie haben mit Ihrer Mehrheit beschlossen,
die Verdienstgrenze für die Minijobs auf 450 Euro zu er-
höhen. Das verringert nicht die Entgeltungleichheit, son-
dern vergrößert sie. Sie haben verbal immer wieder be-
teuert, dass Sie für Berufsrückkehrer gerne einen
Rechtsanspruch auf die alte Arbeitszeit wollen. Aber wo
ist denn das entsprechende Gesetz, Frau von der Leyen
und Frau Schröder? Sie sind doch an der Regierung. Le-
gen Sie hier doch einen Gesetzentwurf vor. Dann können
wir ihn einstimmig im Deutschen Bundestag verabschie-
den.

Nein, Sie machen nichts, auch nicht beim Steuerrecht.
Stattdessen kommen Sie mit den absurdesten Argumen-
ten, wenn es darum geht, das Ehegattensplitting, das
wirklich von vorvorgestern ist, zu verteidigen.

Frau Schön, schönreden und schönrechnen helfen
nicht weiter. Sie sind da ganz auf der Linie Ihres Landes-
verbandes: Links blinken, wenn es um das Reden geht,
aber rechts abbiegen, wenn es um das konkrete Handeln
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was wir brauchen, ist mehr Transparenz. Österreich
hat beispielsweise ein Transparenzgesetz. Wir brauchen
Entgeltberichte. Wir brauchen vor allen Dingen ein
Messverfahren, das wirkt. Was ich nun wirklich nicht
verstehen kann, liebe Kollegen und Kolleginnen von der
Union: Sie beschreiben in Ihrem Antrag das Lohntest-
verfahren Logib-D und bezeichnen gleichzeitig die Aus-
zeiten als das Hauptproblem. Ist Ihnen nicht klar, dass
dieses Messverfahren an der Person und auch an den
Auszeiten ansetzt und damit eine Entgeltdiskriminierung
auch noch rechtfertigt? Gleicher Lohn muss für gleiche
Arbeit und nicht für die gleiche Anzahl an Berufsjahren
gezahlt werden.

Letzter Punkt. Wir brauchen ein Gesetz zur Herstel-
lung der Entgeltgleichheit, weil die jetzigen gesetzlichen
Regelungen nicht funktionieren. Wir brauchen ein Ge-
setz, mit dem auch diejenigen, die die typischen Frauen-
berufe ausüben, mehr Respekt und auch eine bessere Be-
zahlung erhalten. Wer das ändern will, der muss
Schwarz-Gelb abwählen und muss dafür sorgen, dass
wir eine rot-grüne Mehrheit bekommen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen wir nicht mit! Das wird nicht klappen!)


Dann können wir ein vernünftiges Gesetz machen. So
können wir zur Entgeltgleichheit zwischen Frauen und
Männern nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der
Wirklichkeit kommen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723204300

Vielen Dank, Kollegin Elke Ferner. – Nächste Redne-

rin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Miriam
Gruß. Bitte schön, Frau Kollegin Gruß.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1723204400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Frau Ferner, wer hat denn elf Jahre in
Deutschland regiert? Wo war denn in Ihrer Regierungs-
zeit, Herr Steinmeier, ein Entgeltgleichheitsgesetz? Das
muss man an dieser Stelle einmal fragen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Was ist mit dem Antidiskriminierungsgesetz?)


– Da Sie jetzt dazwischenrufen, darf ich einmal nachfra-
gen: Wer waren die Ersten, die das Betreuungsgeld mit
beschlossen haben? Das waren ja wohl Sie von der SPD.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, selbstverständlich.


(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wahrheiten müssen hier genannt werden.

Kommen wir zum Thema. Es ist unbestritten: Ja, es
bestehen immer noch Unterschiede in der Bezahlung
von Frauen und Männern. Wir alle hier sind uns doch ei-
nig, dass dies ungerecht ist. Die Fakten sind genannt;
aber man muss in der Diskussion auch korrekt bleiben.
Es bringt nämlich gar nichts, einen 30-jährigen IT-Spe-
zialisten mit einer gleichaltrigen Erzieherin zu verglei-
chen. Vielmehr müssen wir die Bruttostundenlöhne in
den gleichen Jobs anschauen. Dann wird deutlich, dass
es hier nicht um 22 Prozent Lohnungleichheit geht, son-
dern um etwa 10 Prozent. Das ist immer noch genug,
aber deutlich weniger, als die ganze Zeit behauptet wor-
den ist.

Lassen Sie uns die Polemik einmal beiseiteschieben
und uns um die tatsächlichen Probleme kümmern, näm-
lich um die Ursachen der Lohnungleichheit. Prinzipiell
gilt: Wenn es um die Lohnfindung geht, haben wir in
Deutschland ein sehr gut funktionierendes Tarifsystem,
das sich bewährt hat.


(Christel Humme [SPD]: Leider nicht überall!)


Hier sind doch vor allem die Tarifpartner gefordert. Sie
legen die Löhne fest. Wer Rechte hat, hat auch Pflichten.
Es geht in der Lohnfindung nämlich nicht nur darum,
Lohnerhöhungen zu beschließen, sondern auch darum,
Löhne gerecht auszutarieren. Wann erlebt man es bei-
spielsweise einmal, dass Lohngruppen, in denen insbe-
sondere Frauen zu finden sind, bei den Verhandlungen in
den Mittelpunkt gestellt werden, meine Damen und Her-
ren?





Miriam Gruß


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Unternehmen haben ihrerseits erkannt, dass sie in
der Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft gut ausge-
bildete Frauen brauchen. Vor Ort werden Lösungen ge-
sucht und gefunden, um Arbeit und Familie besser ver-
einbaren zu können. Diesen Prozess unterstützen wir
politisch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit den Programmen „Erfolgsfaktor Familie“, „audit
berufundfamilie“ und „Betrieblich unterstützte Kinder-
betreuung“ sprechen wir gezielt Unternehmen an. Denn
in den Unternehmen geht es darum, die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu verbessern – nicht hier im
Bundestag.

Da Sie gestern am Brandenburger Tor auf der DGB-
Veranstaltung groß getönt haben, möchte ich noch sa-
gen: Auch die Gewerkschaften sind gefordert, meine
Damen und Herren von der SPD und von den Linken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen nämlich bei den
Tarifverhandlungen noch stärker typische Frauenberufe
in den Mittelpunkt stellen. Davon habe ich in der Ver-
gangenheit wenig gesehen. Bisher galt doch eher: Män-
ner werden hoch anerkannt und gut bezahlt, wenn sie
harte körperliche Arbeit verrichten, wie etwa im Stra-
ßenbau, als Drucker oder bei der Müllabfuhr. Bei
Frauen, beispielsweise in der Altenpflege, ist das hinge-
gen immer noch nicht der Fall.

Von politischer Seite unterstützen wir den Prozess der
Gleichstellung so früh wie möglich – und früh muss man
ansetzen –, beispielsweise in der frühkindlichen Bil-
dung.


(Elke Ferner [SPD]: Ja klar, Mama bleibt zu Hause mit Betreuungsgeld!)


Hier gilt es, Rollenbilder aufzubrechen und Jungen und
Mädchen nach ihren Talenten zu fördern, nicht nach ih-
rem Geschlecht. Stereotypen muss endlich entgegenge-
wirkt werden. Deshalb führen wir Mädchen und junge
Frauen schon früh an neue Berufsfelder und Interessen-
gebiete heran, beispielsweise mit „Komm, mach MINT.“
oder dem „Girls‘ und Boys‘ Day“.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Familienphase unterbrechen Frauen wegen fa-
miliärer Verpflichtungen immer noch deutlich häufiger
ihre Berufslaufbahn als Männer. Auch deshalb ist es
richtig, dass die Fraktionen von Schwarz-Gelb und die
Bundesregierung endlich auch einmal den Fokus auf die
Männer gerichtet haben. Es ist richtig, dass wir eine ei-
genständige Jungen- und Männerpolitik eingeführt ha-
ben. Das lasse ich mir von Ihnen nicht schlechtreden,
schon gar nicht von Ihnen von der Linken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Es ist richtig, endlich dafür zu werben, dass mehr
Männer in Erzieherberufe kommen, und Stereotype auf-
zubrechen. Aber das, was Sie hier vertreten, ist Politik
von vorgestern, meine Damen und Herren von der Op-
position.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben den Ausbau der Betreuungsplätze so stark
vorangetrieben wie keine Bundesregierung zuvor. Vor
allem gute und flexible Betreuungsmöglichkeiten sind
ein Schlüssel zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
genauso wie die eigenständige Jungen- und Männerpoli-
tik, die ich bereits angesprochen habe.

Nicht zuletzt müssen wir weiter Anreize setzen, damit
es sich für Mütter und Ehefrauen lohnt, arbeiten zu ge-
hen. Die Abschaffung der Steuerklasse V nehmen wir
als FDP in unser nächstes Wahlprogramm auf. Dafür
werden wir uns einsetzen.

Es gilt zudem, staatliche Leistungen, die der Rück-
kehr in das Berufsleben im Wege stehen, zu überdenken.
Ich freue mich deshalb auch auf eine Neuorientierung
der ehe- und familienpolitischen Leistungen im Rahmen
der Gesamtevaluation, die auch unter diesem Aspekt in
Angriff genommen werden muss.

Um die Situation für Frauen in der Arbeitswelt zu
verbessern, bedarf es also der Unterstützung von Wirt-
schaft, Gewerkschaften, Gesellschaft und Politik. Es gibt
viel zu tun. Alle Akteure sind gefordert, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723204500

Vielen Dank, Frau Kollegin Gruß. – Nächste Redne-

rin in unserer Aussprache ist unsere Kollegin Frau
Yvonne Ploetz für die Fraktion Die Linke. Bitte schön,
Frau Kollegin Ploetz.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723204600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer

dann, wenn ein Mann 1 Euro verdient, bekommt eine
Frau nur 78 Cent. Frauen mussten bis zu diesem ver-
schneiten Frühlingsanfang arbeiten, um das zu haben,
was Männer bereits an Silvester bekommen haben. Ich
glaube, wir alle sind uns einig: Fair und gerecht sieht an-
ders aus. Leider habe ich in der gesamten Debatte von
den Regierungsfraktionen keine nennenswerten Vor-
schläge dazu gehört, wie man dies beheben könnte.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Elke Ferner [SPD]: Die bewundern nur das Problem!)


Nur zwei kleine Beispiele: Nach drei Jahren Ausbil-
dung verdienen Frauen 1 071 Euro netto – Männer ha-
ben 500 Euro mehr. Arbeiten Frauen in Vollzeit – und
das kommt ja viel zu selten vor, wie wir wissen –, haben
sie 2 312 Euro brutto – Männer haben 600 Euro mehr.
Wenn ich mir diese Zahlen so anschaue, dann frage ich
mich ernsthaft, was denn los wäre, wenn es plötzlich öf-





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


fentliche Verdienstlisten gäbe, wie das in Norwegen der
Fall ist, wenn Frauen schwarz auf weiß einsehen könn-
ten, wie viel weniger sie – völlig zu Unrecht – verdie-
nen. Lohntransparenz sollte in der gesamten Debatte
kein Tabuthema mehr sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, besondere Wirkung würde Lohntranspa-
renz in Verbindung mit dem Verbandsklagerecht erhal-
ten. Wir als Linksfraktion haben das gestern im Bundes-
tag beantragt. Wir wissen doch alle: Eine Frau allein
traut sich kaum, Verbesserungen für sich einzuklagen.
Aber viele Frauen, gemeinsam mit den Verbänden, wä-
ren nicht mehr aufzuhalten. Ich glaube, dann würden
auch Sie von der Regierung sich bewegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, der diesjährige Equal Pay
Day stand unter dem Motto „Viel Dienst – wenig Ver-
dienst“; es geht also um Frauen in Gesundheitsberufen.
Ich finde es wirklich besonders schäbig, dass genau
diese Branche beispielhaft für das gesamte Dilemma der
Frauen am Arbeitsmarkt steht. Nicht nur, dass diese
Frauen rund ein Viertel weniger verdienen als ihre
männlichen Kollegen: Es ist auch so, dass die Gesund-
heitsbranche zu den Branchen mit den meisten Frauen
im Niedriglohnsektor gehört.

Dankenswerterweise hat mir die Bundesagentur für
Arbeit gestern die neuen Zahlen zu Minijobs in Gesund-
heitsberufen zur Verfügung gestellt. Im Vergleich zum
Jahr 2000 hat sich hier die Zahl der Frauen in Minijobs
auf 5 Millionen fast verdoppelt. Besonders betroffen
sind Altenpflegerinnen; hier gibt es eine Steigerung um
73 Prozent. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen
wirklich nicht mehr erklären, was Minijobs für Frauen
bedeuten. Sie sind eine Sackgasse und müssen unbedingt
eingedämmt werden; sie müssen vom ersten Euro an in
sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Sicherlich haben Sie alle am Montag die Studie des
Familienministeriums zur Kenntnis genommen, in der
ganz klar gesagt wird: Minijobs sind – ich zitiere – „ein
Programm zur Erzeugung lebenslanger ökonomischer
Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen“. Gerade ein-
mal 14 Prozent aller Frauen schaffen den Absprung aus
einem Minijob in eine Vollzeitstelle. Alle anderen kom-
men aus diesem Teufelskreis von Dumpinglöhnen heute
und Armutsrenten morgen nicht mehr heraus. Nicht nur,
dass Sie dem einfach so zusehen; nein, Sie weiten das
auch noch aus. Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Wenn
schon Ihr Gewissen Sie nicht einholt, werden Sie irgend-
wann, hoffe ich, von den Wählerinnen die Quittung da-
für bekommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Hinzu kommt, dass für die Frauen in Gesundheitsbe-
rufen die Arbeitsbedingungen fast unerträglich sind. Es
herrscht ganz starker Leistungsdruck und Termindruck.
Die Arbeitsabläufe sind ganz streng getaktet. Diese
Frauen – ich zitiere den Stressreport 2012 – „arbeiten an

der Grenze der Leistungsfähigkeit“. Das ist der reinste
Raubbau an der pflegenden Frau und ist in keinster
Weise zu akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was wir brauchen, liegt auf der Hand. Wir brauchen
armutsfeste Renten, Mindestlöhne, das Verbot von Leih-
arbeit in so sensiblen Branchen, eine Humanisierung der
Arbeitsabläufe, das heißt eine gute Personalausstattung,
und familienfreundliche Arbeitszeiten. Natürlich brau-
chen wir Entgeltgleichheit per Gesetz.

Doch das allein reicht noch nicht. Wir leben in einer
Gesellschaft, in der es mehr wert ist, 2 Zentner Zement
am Bau zu heben, als einen kranken Menschen aus dem
Bett zu heben. Es muss bei uns wirklich ein Umdenken
stattfinden. Der Dienst am Menschen, Kindererziehung,
Pflege, Gesundheit, all das ist viel mehr wert.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Frau Schröder sagt – ich zitiere aus einem Bei-
trag auf der Equal-Pay-Day-Homepage –: „Die schlechte
Bezahlung in frauendominierten Berufen, und dazu ge-
hören Gesundheitsberufe, ist eine wesentliche Ursache
für den bestehenden statistischen Entgeltunterschied“,
dann stimmt ihr jeder zu; das ist doch ganz selbstver-
ständlich. Nur kaufen kann sich dafür keine Frau etwas.
Sie, Frau Schröder, sind in der Verantwortung, hier et-
was zu ändern. Sie müssen etwas ändern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723204700

Vielen Dank, Frau Kollegin Ploetz. – Nächste Redne-

rin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere
Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön,
Frau Kollegin Müller-Gemmeke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich bin immer wieder verwundert und
erstaunt über die Diskussion zum Equal Pay Day hier im
Bundestag. Sie von den Regierungsfraktionen singen in
Ihrem Antrag und auch in der Debatte hier ein Loblied
auf die – vermeintlich – gute Familienpolitik der Bun-
desregierung. Sie führen eine Diskussion über die
Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt. Da geht es
um Beschäftigungsdiskriminierung. Dieses Thema ist
wichtig. Heute gehen Sie damit aber schlicht am eigent-
lichen Thema vorbei; denn heute geht es um Entgelt-
gleichheit, also um den Grundsatz: Gleicher Lohn für
gleiche und gleichwertige Arbeit. Ich frage mich wirk-
lich, ob Sie tatsächlich verstehen, warum all die Frauen
und Männer gestern am Brandenburger Tor demonstriert
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


Das Gleiche passierte unlängst bei der Anhörung.
Auch dort haben wir phasenweise zwei Diskussionen pa-
rallel geführt. Den Regierungsfraktionen ging es um die
Erwerbsbeteiligung von Frauen, um Teilzeit, um Mini-
jobs und darum, ob Frauen einfach zu wenig Lohn for-
dern und sich nicht durchsetzen können. Das war alles
recht amüsant. Das Problem war nur, dass diese Diskus-
sionen mit dem Gesetzentwurf der SPD und dem Antrag
von uns Grünen so gar nichts zu tun hatten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wurde auch gerätselt, wie die Frauen dazu bewegt
werden könnten, MINT-Studiengänge zu belegen. Auch
heute haben Sie, Frau Bracht-Bendt, dieses Thema wie-
der angesprochen. Natürlich verdienen Physikerinnen
mehr als Pflegekräfte. Darum geht es aber nicht. Der
Skandal ist doch vielmehr, dass die Physikerin weniger
verdient als ihr männlicher Kollege,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


und die Pflege schlechter bezahlt wird als andere gleich-
wertige Tätigkeiten. Genau deswegen wollen wir eine
gesetzliche Regelung gegen Entgeltdiskriminierung;
denn es muss endlich Schluss sein, dass es Arbeit von
Frauen zum Schnäppchenpreis gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber ich möchte nicht unfair sein: Bei der Anhörung
und auch in der heutigen Debatte geht es auch um zwei
Aspekte, die sich tatsächlich mit den Anträgen auseinan-
dersetzen. So wird ein Entgeltgleichheitsgesetz immer
wieder als Angriff auf die Tarifautonomie bezeichnet.
Das hieße, dass die Tarifparteien Frauen unbehelligt dis-
kriminieren dürfen, als wären sie nicht an das Grundge-
setz gebunden. Ein Gesetz zur Durchsetzung von Ent-
geltgleichheit regelt lediglich, dass die Löhne auf
Entgeltdiskriminierung überprüft werden müssen. Wie
Entgeltgleichheit hergestellt wird, ist natürlich Sache der
Tarifpartner. Und deshalb sind gesetzliche Regelungen
in keinster Weise ein Angriff auf die Tarifautonomie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann wird immer noch das Argument Bürokratie ge-
nannt. Frau Schön hat es angesprochen. Das Recht auf
Entgeltgleichheit ist im Grundgesetz verankert. Allein
schon das Abwägen zwischen Grundrecht und bürokrati-
schem Aufwand ist für mich nicht akzeptabel. Ein
Grundrecht hat für uns selbstverständlich höchste Priori-
tät. Alles andere geht gar nicht.

Sehr geehrte Regierungsfraktionen:

Die schlechte Bezahlung in frauendominierten Be-
rufen, und dazu gehören Gesundheitsberufe, ist eine
wesentliche Ursache für den bestehenden statisti-
schen Entgeltunterschied.

Das sage nicht ich, sondern Ministerin Schröder. Dieser
Satz steht auch auf der offiziellen Internetseite des Equal

Pay Day. Mir scheint, dass die Ministerin wohl nicht ge-
merkt hat, was ihr in den Text geschrieben wurde. Denn
genau darum geht es, warum wir gleichen Lohn für
gleichwertige Arbeit fordern. Aber die Durchsetzung
funktioniert nicht mit Freiwilligkeit und Selbstverpflich-
tung. Notwendig sind gesetzliche Regelungen; denn
Frauen verdienen mehr.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723204800

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der CDU/CSU unser Kollege Paul Lehrieder. Bitte
schön, Kollege Lehrieder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723204900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Was haben
Estland, die Tschechische Republik, Österreich und
Deutschland neben der EU-Mitgliedschaft gemeinsam?
Sie alle bilden im europäischen Vergleich das Schluss-
licht im Gender Pay Gap, dem prozentualen Unterschied
im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Män-
nern und Frauen. Der Durchschnitt der Europäischen
Union liegt bei 16 Prozent. In Deutschland – die Vorred-
ner haben bereits darauf hingewiesen – liegen wir mit
22 Prozent deutlich darüber. Diese Zahl ist im Verlauf
dieser Debatte bereits mehrfach genannt worden.

Nur zum Vergleich: Das Land mit den europaweit ge-
ringsten Unterschieden im Bruttostundenverdienst von
Frauen und Männern war im vorletzten Jahr Slowenien
mit 2 Prozent. Auch unser Nachbarland Polen mit 5 Pro-
zent und Italien mit 6 Prozent verzeichneten eher mode-
rate Gehaltsunterschiede. Dabei gebietet es die Ehrlich-
keit, darauf hinzuweisen, dass gerade in Italien sehr viele
Frauen nach der Babyphase nicht mehr ins Berufsleben
einsteigen und als Gehaltsempfängerinnen überhaupt
nicht auftauchen. Die Statistik muss hier fairerweise dif-
ferenziert betrachtet werden.


(Elke Ferner [SPD]: Damit rechtfertigen Sie schon wieder die Ausweitung als Grund für schlechtere Bezahlung!)


– Ich rechtfertige hier gar nichts, Frau Ferner. Stellen Sie
mir eine Frage, dann kann ich länger reden.


(Elke Ferner [SPD]: Darauf können Sie lange warten!)


In den letzten Tagen erreichten mein Büro anlässlich
des gestrigen Equal Pay Day zahlreiche Pressemitteilun-
gen und Gesprächseinladungen. Bundesweit fanden in
diesem Rahmen zahlreiche Aktionen statt. So machten
zum Beispiel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der
Pflege am Bundestag mit einer Tanzaktion auf ihre Si-
tuation aufmerksam und sangen: „We work hard for the
money“. In der Altenpflege sind 80 Prozent des Perso-
nals, wie Sie wissen, weiblich.





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Auch in meinem Wahlkreis Würzburg war ein Bündnis
zum Equal Pay Day mit einem Informationsstand am
Sternplatz vertreten, um die bestehenden Entgeltunter-
schiede zwischen Frauen und Männern anzuprangern und
somit zur Bewusstseinsbildung beizutragen. In diesem
Jahr standen die bundesweiten Aktionen unter dem
Motto: „Lohnfindung im Gesundheitswesen – viel Dienst,
wenig Verdienst“. Frau Kollegin Müller-Gemmeke hat
bereits darauf hingewiesen: Es geht um die schlechte Be-
zahlung in frauendominierten Berufen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat sie!)


Eine Entgeltlücke ist selbst bei Führungspositionen
zu finden. Zwar ist die Gehaltslücke zwischen weibli-
chen und männlichen Führungskräften in den letzten
Jahren etwas kleiner geworden; dennoch werden Frauen
in Führungspositionen schlechter bezahlt als ihre männ-
lichen Pendants.

Erlauben Sie mir, mit einigen Sätzen auf die Vorred-
ner einzugehen. Frau Kollegin Göring-Eckardt hat aus-
geführt, es hätte schon längst etwas getan werden kön-
nen. Es ist durchaus berechtigt, zu fragen: Was haben Sie
in der rot-grünen Regierungszeit für die Minderung des
Gender Pay Gaps, der ungleichen Bezahlung, getan?


(Elke Ferner [SPD]: Fragen Sie sich mal, was Sie in der Großen Koalition verhindert haben!)


Was haben Sie, Frau Ferner, gemacht? Was hat Rot-Grün
in seiner Regierungszeit erreicht? Nichts. Wenn es so
einfach wäre, dieses Problem zu lösen, dann hätte Rot-
Grün es tun können. Deshalb arbeiten wir noch daran.


(Elke Ferner [SPD]: Sie arbeiten doch gar nicht daran!)


Herr Kollege Steinmeier, Sie haben auf die Weimarer
Republik hingewiesen und ausgeführt, dass die Un-
gleichheit schon vor 80 oder 90 Jahren ein Thema war.
Ein berühmter Vertreter Ihrer Partei, der SPD, war am
Equal Pay Day auch am Brandenburger Tor – das habe
ich heute der Presse entnommen –: Herr Kollege
Steinbrück.


(Elke Ferner [SPD]: Da war sogar Herr Gabriel da! Und viele andere auch!)


– Herr Gabriel war auch da; ich hoffe, Sie alle waren
da. –


(Elke Ferner [SPD]: Herr Lehrieder, wo waren Sie denn?)


Herr Kollege Steinbrück hat sich zu Wort gemeldet und
wird folgendermaßen zitiert – mit Erlaubnis des Präsi-
denten darf ich das im O-Ton zitieren –:

Wenn es nach mir und der SPD geht, ist nächstes
Jahr diese Veranstaltung nicht mehr notwendig.


(René Röspel [SPD]: Ja! Bravo!)


Da dachte ich: Boah! – Die Medien schrieben:
„Steinbrück zeigt Flagge für Frauen.“

Ich habe mir dann Ihren Antrag angeschaut, Frau
Ferner. Im Antrag steht – –


(Elke Ferner [SPD]: Jetzt erst? Wir haben einen Gesetzentwurf!)


Im Gesetzentwurf steht in § 18:

Beginn des ersten Prüfzeitraumes


(1) Die Verpflichtung zur Erstellung und Übermitt-

lung eines betrieblichen Prüfungsberichtes besteht
bei Unternehmen …

mit mehr als 1 000 Beschäftigten bis zum letzten
Tag des 24. Monats nach Inkrafttreten des Geset-
zes …

für die übrigen Betriebe bis zum letzten Tag des
60. Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes.

Das heißt, dieser Mann will das Problem innerhalb ei-
nes halben Jahres lösen, das Sie nach einer Evaluation ge-
mäß Ihrem Gesetzentwurf erst nach zwei bis fünf Jahren
umsetzen können. Da ist natürlich die Vollmundigkeit,
das Wahlkampfgetöse des Kandidaten Peer Steinbrück
mit Händen zu greifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Was ist jetzt eigentlich Ihr konkreter Vorschlag?)


Frau Göring-Eckardt, Sie haben ausgeführt, wir för-
derten das falsche Familienmodell. Darf ich Sie als Bun-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1723205000
Woher nehmen Sie den
Mut, zu entscheiden, welche Familie welches Modell zu
leben hat?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Woher nehmen Sie eigentlich den Mut, solche Reden zu halten?)


Wir schreiben das nicht vor, Frau Göring-Eckardt.

Sie haben ausgeführt, das Betreuungsgeld sei sinnlos;
viele Vorredner von der Opposition haben dieses Thema
strapaziert. Ich will es der Vollständigkeit halber für das
Protokoll wiederholen: Das Betreuungsgeld hindert
keine Frau daran, nach der Geburt eines Kindes berufstä-
tig zu werden. Zum Mitschreiben, Frau Ferner: Das Be-
treuungsgeld hindert keine Frau, in den Beruf einzustei-
gen.


(Elke Ferner [SPD]: Hängen sie das Kind so lange an die Garderobe, oder was? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man denn jetzt 1,5 Milliarden dafür ausgeben?)


Meine Damen und Herren, Frau Göring-Eckardt hat
von der schlechten Bezahlung in den sozialen Berufen
gesprochen. Ich bin gespannt, was die Pressemitteilun-
gen der EKD in den nächsten Tagen und Wochen dazu
verlautbaren, wie viel mehr eine Altenpflegerin und eine
Kindergärtnerin in Zukunft verdienen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich freue mich und bin sehr gespannt darauf, wie opti-
mistisch die Meldungen der EKD in Zukunft ausfallen.





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)



(Abg. Angelika Graf [Rosenheim] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Hier hat jemand eine Frage, Herr Präsident.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723205100

Vielen Dank, Herr Lehrieder, dass Sie auch hier mit-

wirken.


(Heiterkeit)


Frau Kollegin, Sie haben das Recht zu einer Zwi-
schenfrage.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723205200

Dann sollten Sie die Uhr anhalten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723205300

Das ist schon erfolgt. – Bitte schön.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1723205400

Sie kommen doch aus Bayern. Ich habe eine Frage:

Ist es richtig, dass Frau Haderthauer denjenigen, die im
Hinblick auf das Betreuungsgeld gegebenenfalls an-
tragsberechtigt sind, bereits vorausgefüllte Anträge zu-
schicken will? Wie verträgt sich das mit der Einlassung,
die Sie gerade gemacht haben?


(Elke Ferner [SPD]: Wie? Was? Vorausgefüllte Anträge?)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723205500

Welche Anträge? Sie müssen das schon präzisieren:

Was steht in den Anträgen?


(Elke Ferner [SPD]: Fertige Anträge!)


Ich kenne diese Anträge nicht; aber ich kann sie mir gern
zuleiten lassen.


(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Dann lesen Sie offensichtlich keine Zeitung, Herr Kollege!)


Geht es um einen Antrag, der die Frauen in Bayern daran
hindert, berufstätig zu sein? Mit Verlaub, man kann hier
natürlich Volksgruppen diskreditieren. Aber wenn Sie
uns Bayern für so rückständig halten, muss ich sagen:
Wir sind es nicht; wir tun das nicht; wir lassen die
Frauen arbeiten, auch wenn die häusliche Betreuung der
Kinder – –


(Elke Ferner [SPD]: Sie lassen die Frauen arbeiten? Da sind die Frauen aber dankbar, dass Sie sie arbeiten lassen! Wie peinlich! Das ist ja der Hammer!)


– Frau Ferner, wir schreiben kein Familienmodell vor.
Wir haben durchaus Respekt vor der Lebensentschei-
dung der Familien, Respekt vor der Entscheidung der
Frau, entweder zu Hause zu bleiben oder berufstätig zu
sein.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723205600

War das jetzt die Beantwortung der Frage?


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723205700

Ja.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723205800

Gut, dann lasse ich die Uhr weiterlaufen.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723205900

Entgeltgleichheit gehört zu den ältesten Forderungen

der Frauenbewegung. Der Grundsatz der gleichen Be-
zahlung ist in der EU schon lange verankert: bereits seit
1957 in Art. 141 des EG-Vertrages.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Konsequenz ziehen Sie daraus für Ihr Regierungshandeln?)


Dies wird auch in Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes
definiert. Das heißt im Klartext: Dieser Grundsatz hat
bereits Verfassungsrang. Von meinen Vorrednern wurde
konzediert: Wir brauchen kein Gesetz, weil wir das ver-
fassungsrechtlich schon normiert haben.


(Elke Ferner [SPD]: Es kommt doch auf die Realität an! Wo leben Sie denn eigentlich?)


Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist ein bü-
rokratisches Monstrum. Dieses Gesetz wird nicht hand-
habbar sein, es wird nicht funktionieren. Deshalb werden
wir es – das wird Sie nicht überraschen – ablehnen.

Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Im De-
zember 2012 wurde eine dreijährige Forschungsphase
„Tarifverhandlungen und Equal Pay“ gestartet. In Zu-
sammenarbeit mit den Tarifpartnern und der Forschung
sollen mögliche Ansatzpunkte für den Abbau der ver-
bleibenden Lohnunterschiede im Rahmen kollektiver
Lohnverhandlungen identifiziert werden. Das Projekt
richtet sich vorrangig an die Tarifpartner. Ziel ist, dass
das Thema Entgeltgleichheit künftig in den Tarifver-
handlungen eine größere Rolle spielt.

Lassen Sie mich auf die Rede von Frau Kollegin
Golze zurückkommen. Sie hat es nicht lassen können,
das Thema Mindestlohn als Allheilmittel in diese De-
batte einzubringen.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Ich habe mehrere Vorschläge gemacht!)


Liebe Frau Kollegin Golze, nehmen Sie bitte zur Kennt-
nis, dass die Sachverständigenanhörung ergeben hat:
Insbesondere im Bereich der höheren Bezahlung geht
der Gender Pay Gap auseinander. Der Lohnunterschied
ist in den ungelernten Berufen mit 5 Prozent noch am
geringsten.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Und deshalb muss man dafür nichts tun? Das ist doch lächerlich!)


Bei Angelernten beträgt er 14 Prozent, bei Fachange-
stellten 11 Prozent, bei herausgehobenen Arbeitnehmern
15 Prozent und bei Arbeitnehmerinnen in leitender Stel-
lung immerhin 24 Prozent.





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)



(Diana Golze [DIE LINKE]: Und deshalb muss man für diesen Bereich nichts tun?)


Das heißt, ein Mindestlohn wird das Problem der unter-
schiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern leider
nicht lösen.


(Elke Ferner [SPD]: Zwei Drittel der Niedriglöhner sind Frauen!)


Wir setzen neben dem Betreuungsgeld auf den ver-
stärkten Ausbau von Betreuungseinrichtungen, Frau
Ferner. Wir haben in diesem Jahr zusätzlich 580,5 Mil-
lionen Euro ausgegeben, weil viele, insbesondere sozial-
demokratisch dominierte Regionen, in den letzten Jahren
ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Das ist wirk-
sam.

Im Übrigen haben wir im letzten Jahr in der Bundes-
republik mit 71 Prozent die höchste Frauenerwerbsquote
aller Zeiten erzielt,


(Elke Ferner [SPD]: Viel Teilzeit! Das Arbeitsvolumen ist nicht gestiegen!)


und das auch ohne Ihre kritische Begleitung, liebe Frau
Kollegin Ferner. Wir werden auf diesem Weg weiterma-
chen; denn damit helfen wir den Frauen und den Fami-
lien.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Auch die Kinder würden von einem Mindestlohn profitieren!)


Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihr geduldiges
Warten.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723206000

Vielen Dank, Herr Kollege Paul Lehrieder. – Nächste

Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unsere Kollegin Christel Humme.
Bitte schön, Frau Kollegin Christel Humme.


(Beifall bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Endlich eine vernünftige Rede!)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1723206100

Frau Schön – – Natürlich erst einmal: Herr Präsident!

– Entschuldigung.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723206200

So viel Zeit muss sein – vielen Dank.


(Heiterkeit – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Man kann auch sagen: Schöner Präsident!)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1723206300

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Schön und

Herr Lehrieder, es bleibt dabei: Im 21. Jahrhundert ange-
langt, und immer noch ist die Arbeit der Frauen weniger
wert als die Arbeit der Männer. Da müssen wir etwas
tun. Wir haben heute die Chance, diese Ungerechtigkeit

endlich zu beenden. Stimmen Sie daher unserem Gesetz-
entwurf zu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Lehrieder, Herr Steinbrück hat recht: Wir möch-
ten gerne, dass der Equal Pay Day endlich überflüssig
wird.


(Beifall bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Das wollen wir alle!)


In Ihrem Antrag lese ich: Sie wollen, dass der Equal Pay
Day weiterhin vom Ministerium finanziell gefördert
wird. Das signalisiert mir doch: Sie trauen Ihrer eigenen
Politik nicht über den Weg. Sie rechnen offensichtlich
nicht damit, dass Ihre Politik die Lohnlücke schließt. Ihr
Antrag ist meiner Ansicht nach eine echte Offenbarung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir von der SPD stellen uns an die Seite der Frauen.
Wir wollen im Gegensatz zu Ihnen den Grundsatz „Glei-
cher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ tatsäch-
lich durchsetzen. Das geht unserer Auffassung nach nur
mit einer Verpflichtung, nur mit einem Gesetz. Appelle
und Freiwilligkeit haben den Frauen bisher nicht gehol-
fen und werden das auch in Zukunft nicht tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Bracht-Bendt, Sie haben recht: Es gibt schon
viele Gesetze. Ich will sie noch einmal nennen: das All-
gemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Betriebsverfas-
sungsgesetz, seit 60 Jahren das Grundgesetz. In allen
wird – auch das ist richtig – die Gleichbehandlung von
Männern und Frauen und damit auch gleiche Entlohnung
gefordert.

Aber kein Gesetz wirkt. Warum? Um gleichen Lohn
herzustellen, bedarf es einer wichtigen Voraussetzung:
Wir müssen wissen, wie der Betrieb insgesamt entlohnt,
damit wir die Situation überhaupt verbessern können.
Das heißt, wir brauchen Transparenz.


(Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD])


Nichts ist in Deutschland ein besser gehütetes Geheim-
nis – das wissen wir doch alle – als das Gehalt der Kolle-
gin und vor allem das des Kollegen. Es ist klar, dass es
damit einfach ist, ungleich zu bezahlen. Unser Gesetz –
das ist wichtig – wird die Transparenz herstellen, die wir
brauchen, um für Gerechtigkeit zu sorgen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die bestehenden
Gesetze funktionieren auch deshalb nicht, weil diese Ge-
setze überhaupt kein Verfahren vorsehen, das gleichen
Lohn für gleiche Arbeit schafft und Diskriminierung be-
seitigt. Wir wollen die Arbeitgeber verpflichten, gemein-
sam mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und,
falls vorhanden, mit dem Betriebsrat oder dem Personal-
rat und den Gleichstellungsbeauftragten ihre Entgeltsys-





Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)


teme eigenständig diskriminierungsfrei zu gestalten. Wir
setzen dabei auf ein eigenverantwortliches Handeln,
quasi im Schatten des Gesetzes. Für das gesamte Verfah-
ren ist im Gesetz ein angemessener Zeitraum von mehre-
ren Jahren vorgesehen. Eine Gesetzeskeule, wie das Frau
Schön immer wieder gerne sagt, sehe ich darin überhaupt
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen natürlich auch Sanktionen; das ist keine
Frage. Denn ohne sie fehlt es an Durchsetzungskraft.
Frau Ministerin Schröder – sie ist auch hier – will, so-
weit wir wissen, ebenfalls eine Prüfung.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Sie wollen das auch. – Sie bieten Logib-D zum Down-
load an und hoffen, dass die Arbeitgeber es nicht nur
herunterladen, sondern auch nutzen. Insgesamt sollen
200 Unternehmen beraten werden. Das ist ein schönes
Vorgehen, allerdings mit großen Webfehlern:

Erstens. Alles ist freiwillig und entzieht sich einer Er-
folgskontrolle.

Zweitens. Das Messverfahren ist überholt.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Drittens. Die Arbeitgeber entscheiden alleine, ob sie
das machen oder nicht. Eine Mitbestimmung der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer ist im Gegensatz zu un-
serem Gesetzentwurf nicht vorgesehen.

Viertens. Sie beraten 200 Unternehmen, und das bei
insgesamt 3 Millionen Unternehmen. Was soll das brin-
gen? Das bringt überhaupt nichts, aber es kostet eine
ganze Menge. 4,5 Millionen Euro stellen Sie dafür in
den Haushalt ein. Lohngleichheit mit Ihnen? Ich sage:
Fehlanzeige.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Bracht-Bendt, ich habe es fast schon geahnt,
dass der Vorwurf der Bürokratie erhoben wird.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Ja!)


Dahinter verstecken Sie sich immer dann gerne, wenn
Sie keine gesellschaftspolitischen Veränderungen wol-
len.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Nein, nein!)


– Selbstverständlich, Frau Bracht-Bendt. Sobald es um
gesellschaftspolitische Veränderungen geht, sagen Sie,
das sei zu bürokratisch.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Verkehrsregeln einhalten, Verbraucher schützen und
Lebensmittelskandale verhindern – das alles ist doch nur
mit Bürokratie möglich. Und das ist gut so; damit dienen
wir doch dem Allgemeinwohl. Warum soll nicht das
Gleiche für die Einhaltung der Grundrechte, also für die

Gleichberechtigung von Männern und Frauen, gelten?
Es kann doch nicht sein, dass Sie Bürokratie nur akzep-
tieren, wenn es um Ihre Klientel geht, angefangen in die-
ser Legislaturperiode mit der Hotelsteuer.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)


Das Betreuungsgeld ist genauso bürokratisch. Das ak-
zeptieren Sie, aber wenn es um die Gleichstellung von
Männern und Frauen und wenn es um Menschenrechte
geht, dann kritisieren Sie alles.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Menschenrechte jetzt auch? Was ist mit den Frauen bei der Babyklappe?)


Ich sage Ihnen: Unsere Geduld ist am Ende. Wenn wir
das derzeitige Tempo unterstellen – Abbau der Entgelt-
ungleichheit um 1 Prozent in sechs Jahren –, sind es
132 weitere Jahre, bis wir den Equal Pay Day tatsächlich
abschaffen können. Es ist Zeit für Taten. Stimmen Sie
heute unserem Gesetzentwurf zu!

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723206400

Vielen Dank Frau Kollegin Christel Humme. –

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion von CDU/CSU unsere Kollegin Katharina Landgraf.
Bitte sehr, Frau Kollegin Landgraf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1723206500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
in der Arbeitswelt ist eine unendliche Geschichte. Da-
rüber reden wir – auch ich – jedes Jahr wieder; leider
bislang ohne durchschlagenden Erfolg.

Die Erwerbstätigkeit der Frauen nimmt seit Jahren
stetig zu, aber die tatsächliche Gleichstellung der Frauen
in der Arbeitswelt ist noch lange nicht erreicht. Denn:
Obwohl Frauen heute durchschnittlich höhere und bes-
sere Bildungsabschlüsse als Männer erreichen, sind sie
in gut bezahlten Berufen und höheren Entscheidungs-
positionen immer noch selten zu finden.

Einen Lichtblick gibt es allerdings in den neuen Bun-
desländern. Dort ist die Lohnlücke sehr viel kleiner. Sie
beträgt zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern nur
4 Prozent und in Sachsen 9 Prozent, während sie in Ba-
den-Württemberg 27 Prozent beträgt. Dies liegt auch da-
ran, dass die Männer im Osten durchschnittlich weniger
verdienen als ihre westdeutschen Kollegen und dass die
Frauen im Osten häufiger in Vollzeit arbeiten und selte-
ner in Minijobs. Zudem unterbrechen sie ihre Berufstä-
tigkeit seltener für längere Zeit – denn 50 Prozent aller
Zweijährigen gehen bei uns in eine Kinderkrippe –, und
es gibt im Osten mehr Frauen, die Führungspositionen
innehaben.





Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)



(Elke Ferner [SPD]: Das findet jetzt Herr Lehrieder gar nicht gut!)


Die SPD betont in ihrem Gesetzentwurf, dass sie die
Entgeltgleichheit mit einem Gesetz durchsetzen will. Ich
sage hingegen: Der Staat als Handelnder soll sich hier so
weit wie möglich zurückhalten. Das verträgt sich aber
nicht mit diesem Gesetzentwurf. Denn Sie fordern eine
Verpflichtung zur Vorlage von Entgeltberichten, zum
Aufbau einer Behördenstruktur und einer Prüfungsin-
stanz.


(Elke Ferner [SPD]: Schaffen wir das Kraftfahrt-Bundesamt auch ab, oder was?)


Sie fordern also den Aufbau einer ausladenden Bürokra-
tie. Das widerspricht unseren ordnungspolitischen Prin-
zipien und unserem Ziel des Bürokratieabbaus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wo bleibt außerdem die Tarifvertragsfreiheit?

Wir haben schon eine Rahmengesetzgebung zum
Thema Entgeltgleichheit und brauchen kein neues Ge-
setz. Ich erinnere an die vorhandenen Gesetze, zum Bei-
spiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das
Grundgesetz.


(Elke Ferner [SPD]: Sie wollen also die Verhältnisse so lassen, wie sie sind! Das ist schon mal eine Aussage!)


Ich versuche jetzt, nicht das zu wiederholen, was
meine Kollegen schon vorgetragen haben. Ich will auch
nicht noch einmal die Ursachen nennen; darin stimme
ich mit Ihnen überein. Ich möchte bloß wiederholen,
dass unser Ministerium schon lange auch bei den Ursa-
chen ansetzt.

Ich möchte zu den Aktivitäten nur einen Punkt nen-
nen, den auch Kollege Lehrieder schon angesprochen
hat: das Forschungsprojekt „Tarifverhandlungen und
Equal Pay“. Zusammen mit den Tarifpartnern und der
Forschung werden – darauf setze ich große Hoffnung –
Maßnahmen für einen Abbau von Lohnunterschieden im
Rahmen von Lohnverhandlungen benannt.


(Elke Ferner [SPD]: Gesetzgeber sind doch Sie, nicht die Tarifpartner!)


Das Projekt richtet sich vorrangig an die Tarifpartner.
Ziel ist es, dass das Thema Entgeltgleichheit künftig in
Tarifverhandlungen eine größere Rolle als bisher spielt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Entgeltgleichheit ist doch nicht verhandelbar!)


Im brandfrischen Antrag der Koalition fordern wir die
Bundesregierung auf, weitere Maßnahmen zur Überwin-
dung der Entgeltungleichheit zu ergreifen.


(Elke Ferner [SPD]: Bei der Regierung können Sie aber noch lange darauf warten!)


So werden zum Beispiel die Tarifpartner darin unter-
stützt, die Stellen- und Arbeitsbewertungen zu verän-
dern.


(Elke Ferner [SPD]: Die Regierung verändert jetzt die Stellenund Arbeitsbewertungen?)


– Hören Sie gut zu, Frau Ferner. Das ist ein bisschen was
anderes als das, was andere gesagt haben. Denn ich finde
es wichtig, dass wir nicht nur in Sonntagsreden vom
Dienst am Menschen sprechen,


(Elke Ferner [SPD]: Wir wollen was tun im Gegensatz zu Ihnen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Nicht immer dazwischenquatschen, wenn die Kollegin aus Sachsen redet!)


sondern dass sich das auch im Lohn auswirkt, den diese
Menschen bekommen. Ich denke zum Beispiel an unsere
Lehrerinnen, Erzieherinnen, Pflegerinnen und all die, die
für den Dienst am Menschen bisher noch zu wenig Geld
bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das trägt dazu bei, die Auswirkungen auf die Entgelt-
gleichheit zwischen Männern und Frauen zu mindern.

Einer der wichtigsten Punkte ist aber nach wie vor die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Elke Ferner [SPD]: Betreuungsgeld!)


Trotz eines veränderten Rollenverständnisses von Män-
nern sind es nach wie vor die Frauen, die die Erziehung
der Kinder übernehmen. Die Unternehmenskultur ist
trotz jahrelanger Bemühungen und auch unserer Appelle
in der letzten Zeit nicht freundlicher geworden.


(Elke Ferner [SPD]: Also, Appelle helfen nicht!)


Die Erwerbstätigenquote von Frauen war im vorigen
Jahr zwar mit 71 Prozent auf dem Höchststand. Die Teil-
zeitquote ist in Deutschland aber leider unverhältnismä-
ßig hoch. Zahlreiche Studien und meine Erfahrungen be-
legen, dass ein Teil dieser Frauen sehr gerne in Vollzeit
arbeiten würde. Dass sie dies trotz oft sehr guter Qualifi-
kation nicht können, liegt häufig an den bisher noch
nicht ausreichenden Infrastrukturmaßnahmen für die Be-
treuung von Kindern, an starren Arbeitszeiten, mangeln-
der Flexibilität bei dem Wechsel zwischen Vollzeit und
Teilzeit oder auch an mangelnden Gestaltungsmöglich-
keiten. Nach wie vor ist es die Frau, die zu Hause bleibt,
ihre Arbeitszeit reduziert, und das schlägt sich eben auf
das Entgelt und die Altersversorgung nieder.

Wir fordern weiterhin innovative Arbeitszeitmodelle
in Form von Gleitzeit, Teilzeit, Telearbeit usw. Das
würde auch den Männern guttun. Das führt zu weniger
Fehlzeiten, zu weniger Fluktuation und zu einer höheren
Motivation. Wir werben in diesem Zusammenhang in
unserem Antrag – gerade im Hinblick auf den Fachkräf-
temangel – für eine Kultur der Vielfalt innerhalb der Un-
ternehmen und dafür, dass das Potenzial von Berufsrück-
kehrerinnen besser genutzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP])


Die noch vorherrschende Präsenzkultur muss durch eine
Effizienzkultur ersetzt werden, bei der es viel weniger
auf die Länge der Arbeitszeit als auf die Ergebnisse an-





Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)


kommt. Dazu muss auch die Charta für familienbe-
wusste Arbeitszeiten ausgewertet und weiterentwickelt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber mit Entgeltgleichheit überhaupt nichts zu tun!)


Die Verbesserung der Vereinbarung von Familie und
Beruf ist nicht nur ein gleichstellungs- und familienpoli-
tisches Ziel. Es hilft allen. Es stünden dem Arbeitsmarkt
nach aktuellen Schätzungen rund 1,2 Millionen qualifi-
zierte Frauen mehr zur Verfügung. Die bessere Verein-
barkeit von Familie und Beruf hat einen starken Einfluss
auf die Erwerbsbeteiligung und trägt somit maßgeblich
zur Verringerung der Lohnlücke bei.

Ich appelliere daher an die Arbeitgeber und an die Ta-
rifparteien,


(Elke Ferner [SPD]: Ich denke, die Appelle helfen nichts!)


auf die Frauen und deren Möglichkeiten einzugehen, da-
mit uns deren Potenzial nicht verlorengeht, sondern es
bestmöglich genutzt wird.


(Elke Ferner [SPD]: Sie müssen sich einmal entscheiden, ob die Appelle jetzt helfen oder nicht!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Nur peinlich!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723206600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin aus

der Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin
Frau Gabriele Hiller-Ohm. Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1723206700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

traurig und für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP, beschämend, dass wir diese De-
batte heute überhaupt führen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie könnten den unhaltbaren Zustand der unmittelbaren
Diskriminierung von 17 Millionen erwerbstätigen
Frauen mit Ihrer Regierung sofort ändern.


(Zuruf des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP] – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Wollen die nicht! Aha!)


In Ihrem Antrag stößt man auf folgende richtige Ana-
lyse: Das Grundgesetz verbietet es,

Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein
geringeres Entgelt zu zahlen als Männern. … Den-
noch verharrt seit Jahren der durchschnittliche Ver-
dienstunterschied zwischen Frauen und Männern
nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei
22 Prozent.

Ja, so ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie brin-
gen die Wirklichkeit für 41 Millionen Frauen in
Deutschland ganz genau auf den Punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was wollen Sie angesichts dieser 64 Jahre währenden
Grundgesetzverstöße machen? Schauen wir in Ihren An-
trag: Erst einmal freuen Sie sich über 200 von 3 Millio-
nen Unternehmen in Deutschland, die das Instrument
Logib-D freiwillig nutzen. Diese Unternehmen können
freiwillig gegen Lohnunterschiede vorgehen und damit
genau 0,0014 Prozent der Lohnlücke schließen. Sie
freuen sich über einen Familiengipfel, auf dem viele
warme Worte verloren wurden. Sie freuen sich über
1 000 Unternehmen in Deutschland, die laut Hertie-Stif-
tung Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf ergriffen haben. Toll! Das entspricht ja
immerhin einem Unternehmen von 3 000.


(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])


In Ihrem Antrag schreiben Sie dann im Forderungs-
teil, dass Sie Werbung machen wollen: für mehr Fami-
lienfreundlichkeit, für den verstärkten Einsatz von Ta-
gesmüttern, weil diese so herrlich flexibel sind, für die
Erleichterung des Wiedereinstiegs von Frauen nach der
Kinderphase, für eine Effizienzkultur statt einer Präsenz-
kultur in der Arbeitswelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb,
die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen wird
von Feministinnen schon seit über 100 Jahren problema-
tisiert. Sie hält sich in Deutschland trotz großen Pro-
blembewusstseins noch viel hartnäckiger als in vielen
anderen europäischen Ländern.


(Elke Ferner [SPD]: Wohl wahr!)


Diese Entgeltlücke wollen Sie als verantwortliche Re-
gierung allen Ernstes mit „Freuen“ und „Werben“ schlie-
ßen? Realitätsferner geht es ja wohl nicht.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


So sieht Ihr Kampf gegen die Lohndiskriminierung
aus: Ihre Ministerin, Kristina Schröder, Mutter des Be-
treuungsgelds, geht in die Betriebe, freut sich über die
Belegplätze der Unternehmen bei einer Tagesmutter,
wirbt für das große Potenzial von Berufsrückkehrerinnen
und denkt, dass die netten Chefs ihren Arbeitnehmerin-
nen nachher freiwillig ein Viertel mehr Gehalt zahlen
würden. In welcher Welt, so frage ich Sie, leben Sie?


(Beifall bei der SPD)


Wir alle – das war auch unter Rot-Grün so – haben
doch schon unsere Erfahrungen mit Freiwilligkeit ge-
macht – viel zu lange. Nichts hat sich bis heute an der
Lohndiskriminierung geändert. Wir wollen endlich Ta-
ten sehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP: Würden Sie es hinnehmen, wenn
Ihre Bank Monat für Monat widerrechtlich ein Viertel
Ihres Gehaltes einbehielte? Würden Sie nach 100 Jahren





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


noch diskutieren und sich freuen, dass Ihr Bankberater
Ihren Unmut versteht? Würden Sie dafür werben, Ihnen
wenigstens eine Chance zu geben, die ungerechtfertigten
Abzüge zu verringern?


(Elke Ferner [SPD]: Nein, würden sie nicht!)


Es geht nicht darum, langsam eine gesellschaftliche
Stimmung für Lohngerechtigkeit zwischen den Ge-
schlechtern zu erzeugen. Es ist richtig: Wir müssen die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Aber
das allein löst das Problem nicht.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Wir müssen die systematische Diskriminierung beseiti-
gen;


(Beifall bei der SPD)


denn auch Frauen ohne Kinder, die überhaupt kein Pro-
blem hinsichtlich der Vereinbarkeit zwischen Familie
und Beruf haben, sowie Frauen in typischen Männerbe-
rufen werden für gleiche Leistungen schlechter bezahlt
als Männer. Alle Frauen in Deutschland sind deshalb be-
troffen.

Sehenden Auges wird gegen unser Grundgesetz ver-
stoßen, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung wird
bis ins hohe Alter, bis zum Tod, krass benachteiligt. Das,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Skandal. Wir je-
denfalls werden es nicht länger hinnehmen, dass die
Rechte von Frauen in unserem Land mit Füßen getreten
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen deshalb unseren Gesetzentwurf durchset-
zen, mit dem wir diese Ungerechtigkeit ein für alle Mal
beenden können. Die Gewerkschaften stehen dabei dicht
an unserer Seite. Wir zeigen eine wirksame und unbüro-
kratische Lösung auf, wie man Entgeltdiskriminierung
unterbinden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, tun Sie endlich einmal etwas Richtiges, und stim-
men Sie unserem Gesetzentwurf zu!


(Beifall bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Nur ein Mal in dieser Wahlperiode etwas Richtiges machen!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723206800

Vielen Dank, Frau Kollegin Hiller-Ohm. – Letzter

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von
CDU/CSU unser Kollege Eckhard Pols. Bitte schön,
Kollege Pols.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1723206900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen doch sicherlich
alle den Satz: Bei uns ist jeder Tag Frauentag. – So wirbt
der Zentralverband des Deutschen Handwerks nicht nur

für mehr Frauen im Handwerk, sondern er stellt Frauen
und Männer hinsichtlich der Entlohnung gleich.

Als Mittelständler und Handwerksmeister möchte ich
als letzter Redner zum Thema „Entgeltgleichheit für
Männer und Frauen“ einen Blick auf das deutsche Hand-
werk werfen, um auch einmal einen Praxisbezug herzu-
stellen und aufzuzeigen, wie es funktionieren kann. Das
deutsche Handwerk ist in vielen gesellschaftspolitischen
Bereichen sowieso einen Schritt voraus.

In den vergangenen Jahren ist der Frauenanteil im
Handwerk kontinuierlich gestiegen. Frauen haben in vie-
len der fast 1 Million Handwerksbetriebe die Hosen
– oder besser gesagt: die Schweißerjacke, die Lupen-
brille oder die elektrisch ableitfähigen Handschuhe – an;
denn Frauen sägen, löten, schweißen, hämmern, schrau-
ben an Autos und decken Dächer. Mehr als ein Viertel
der Auszubildenden im Handwerk sind Frauen, mehr als
20 Prozent der Meisterprüfungen werden von Frauen ab-
gelegt, und fast jeder vierte Gründer im Handwerk ist
weiblich. Bei diesen Zahlen gibt es sogar eine steigende
Tendenz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese erfreuliche Entwicklung zeigt, dass die freiwil-
lige Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit
von Männern und Frauen, die vor zehn Jahren zwischen
der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der
deutschen Wirtschaft geschlossen wurde, sehr erfolg-
reich ist. Frauen haben also längst die klassische Män-
nerdomäne Handwerk erobert.


(Elke Ferner [SPD]: 20 Prozent – sehr ambitioniert!)


Diese Entwicklung muss – umgekehrt – auf die Dienst-
leistungsbranche, insbesondere auf die Gesundheits- und
Pflegeberufe, übertragen werden. In diesen frauendomi-
nierten Berufen brauchen wir mehr Männer, um nicht
nur dem Fachkräftemangel, sondern auch dem demogra-
fischen Wandel entgegenzuwirken. Ziel des Bundesfa-
milienministeriums ist es daher, die Attraktivität der Ge-
sundheitsbranche zu steigern,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Wie denn?)


zum einen durch eine gesellschaftliche und zum anderen
vor allem durch eine finanzielle Aufwertung der Ge-
sundheitsberufe.


(Elke Ferner [SPD]: Appelle! Jawohl!)


Das sind Maßnahmen, um die Entgeltunterschiede zwi-
schen Frauen und Männern zu verringern. Mit diesem
Thema, nämlich mit der Lohnfindung in den Gesund-
heitsfachberufen, beschäftigt man sich auch im Rahmen
des diesjährigen Equal Pay Day.

Ich selbst kann nur schwer nachvollziehen, warum
beispielsweise der Umgang mit Maschinen oder mit dem
Thema Finanzen im Hinblick auf die Entlohnung eine
andere Bewertung erfährt als die hohe psychische und
körperliche Belastung im Umgang mit kranken oder





Eckhard Pols


(A) (C)



(D)(B)


hilfsbedürftigen Menschen. Das widerspricht meinem
persönlichen Gerechtigkeitsempfinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Und warum tun Sie dann nichts dagegen?)


Ein gesellschaftliches Umdenken ist hier dringend erfor-
derlich.


(Elke Ferner [SPD]: Sie sollten umdenken!)


Für das Handwerk gilt: Wo Tarifverträge existieren,
fällt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern ge-
ringer aus, weil die Entgeltpraxis an diesen Stellen trans-
parenter ist.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sagen Sie doch auch mal etwas Konkretes zum Thema!)


Wichtig ist auch, dass man bei der Frage der Entgelt-
gleichheit nicht Äpfel mit Birnen vergleicht.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn eine Frau beim gleichen Arbeitgeber die gleiche
Arbeit leistet wie ein Mann, dann wird sie auch gleich
entlohnt. Das ist im Handwerk gelebte Praxis und wird
auch nach Recht und Gesetz verlangt.


(Elke Ferner [SPD]: Dann braucht ihr ja keine Angst vor dem Gesetz zu haben!)


– Hören Sie doch erst einmal zu, Frau Ferner! Dann kön-
nen Sie dazwischenrufen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es wäre auch ökonomisch unsinnig, Männern bei
gleicher Arbeit mehr zu zahlen als Frauen.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht um gleichwertige Arbeit, Herr Kollege! Sie haben es immer noch nicht begriffen!)


Dazu steht auch nicht im Widersprich, dass Männer und
Frauen beim gleichen Arbeitgeber und im gleichen Be-
ruf dennoch oftmals unterschiedlich viel verdienen.
Denn bei der Lohn- bzw. Gehaltseinstufung werden auch
individuelle Vorkenntnisse und Fähigkeiten, der Grad
der Belastung, die Verantwortung des Arbeitnehmers
und die Art, Vielfalt und Qualität der Tätigkeit berück-
sichtigt.


(Elke Ferner [SPD]: Es geht also nicht um die Arbeit, sondern um die Nase!)


Dies erklärt zum Beispiel, warum nicht jeder Lehrer, je-
der Krankenpfleger und jeder Verkäufer gleich entlohnt
werden.

Die viel diskutierte Entgeltlücke von 22 Prozent zwi-
schen Frauen und Männern spiegelt das, was suggeriert
wird, nicht wider. Da die Bruttostundenlöhne von Frauen
um 22 Prozent unter denen von Männern liegen, wird
auf eine Diskriminierung von Frauen in Deutschland ge-
schlossen. Bei dieser Argumentation bleiben jedoch ei-
nige Faktoren, die die Vergütung sehr stark prägen, un-
berücksichtigt, zum Beispiel die Berufswahl, die Dauer

von Elternzeiten und die Häufigkeit von Teilzeittätigkei-
ten.


(Elke Ferner [SPD]: Ja, ja! Jetzt sind die Frauen auch noch selber schuld!)


Wie eben gesagt, macht es sich natürlich in der Vergü-
tung von Frauen bemerkbar, dass sich viele von ihnen
für erzieherische, lehrende oder gesundheitsbezogene
Berufe entscheiden statt für technische oder gar inge-
nieurwissenschaftliche. Das Institut der deutschen Wirt-
schaft Köln hat dazu Berechnungen durchgeführt und
festgestellt, dass Elternzeiten von mehr als drei Jahren
mit Entgelteinbußen von durchschnittlich 12 Prozent
einhergehen. Dass Frauen häufiger als Männer in Mini-
jobs arbeiten, senkt ihre durchschnittliche Vergütung.
Der wesentliche Teil der Entgeltlücke zwischen Frauen
und Männern lässt sich somit durch unterschiedliche Be-
rufswahl und Verantwortung in der Familie erklären. Be-
reinigt man diese Entgeltlücke um die genannten Fakto-
ren, dann bleibt lediglich eine Lücke von 2 Prozent
bestehen.


(Elke Ferner [SPD]: Also gar kein Problem, oder wie? Toll! Das ist ja echtes Problembewusstsein!)


Dies sind, wie gesagt, Zahlen des Instituts der deutschen
Wirtschaft Köln. Dieser Wert, Frau Ferner, taugt nun
wirklich nicht, um eine fundamentale Diskriminierung
von Frauen zu belegen. Dies ändert aber nichts an unse-
rem grundsätzlichen, generellen Ziel, die Gleichstellung
von Frauen und Männern in der Arbeitswelt voranzutrei-
ben.

In unserem Antrag haben wir deshalb ein Bündel an
Maßnahmen vorgeschlagen,


(Elke Ferner [SPD]: Oh ja! Maßnahmen wie Appelle und Bitten!)


um dieses Ziel zu erreichen, zum Beispiel die Schaffung
von besseren Rahmenbedingungen zur leichteren Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf – das haben wir schon
von Frau Landgraf gehört –


(Elke Ferner [SPD]: Betreuungsgeld!)


und insbesondere eine flächendeckende und bedarfsge-
rechte Kinderbetreuung. Frau Ferner, noch einmal ganz
deutlich: Wenn Ihre Tochter für ihr Kind Betreuungsgeld
bezieht, dann heißt das noch lange nicht, dass Ihre Toch-
ter währenddessen nicht auch arbeiten kann.


(Elke Ferner [SPD]: Und das Kind hängt sie dann an den Kleiderhaken, oder wie?)


Wir arbeiten in unserer christlich-liberalen Koalition an
diesem Bündel von Maßnahmen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn meine
Handwerkskollegen gefragt werden, dann sagen sie im-
mer: Wir sind Handwerker, wir können das.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723207000

Vielen herzlichen Dank, Kollege Eckhard Pols.

Kollege Pols war auch der letzte Redner in unserer
Aussprache,


(Elke Ferner [SPD]: Der Letzte, da haben Sie recht!)


die ich nun auch schließe.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der SPD zur Durchsetzung des Ent-
geltgleichheitsgebotes für Frauen und Männer. Der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12782, den Gesetzentwurf der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9781 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der
SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12782 empfiehlt der Ausschuss die An-
nahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und
FDP auf Drucksache 17/12483 mit dem Titel „Entgelt-
gleichheit für Frauen und Männer verwirklichen – Fa-
milienfreundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleich-
stellung der Geschlechter“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfrak-
tionen. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Frauen
verdienen mehr – Entgeltdiskriminierung von Frauen ver-
hindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12575, den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/8897 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Ge-
genprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen.
Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende
dieses Tagesordnungspunktes.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d sowie
den Zusatzpunkt 10 auf:

32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Thomas
Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner


(Berlin), Torsten Staffeldt, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion der FDP

Den Wandel in der maritimen Wirtschaft be-
gleiten und ihre nationale Aufgabe für den
Wirtschaftsstandort Deutschland herausstel-
len

– Drucksache 17/12817 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Umsteuern in der Krise – Maritime Wirtschaft
unterstützen

– Drucksache 17/12723 –

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert
Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Soziale Arbeitsbedingungen in der maritimen
Wirtschaft fördern – Flaggenflucht verhin-
dern

– Drucksache 17/12823 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Dritter Bericht der Bundesregierung über die
Entwicklung und Zukunftsperspektiven der
maritimen Wirtschaft in Deutschland

– Drucksache 17/12567 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms,
Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Europäische Tonnagesteuer statt Steuerspar-
modell

– Drucksachen 17/12697, 17/12878 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Gerhard Schick

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Sie sind damit
einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Bun-
desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Hans-
Joachim Otto. – Bitte schön, Kollege Hans-Joachim
Otto.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1723207100


Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gleich eingangs meine zentrale Botschaft:
Die maritime Wirtschaft in Deutschland ist eine strate-
gisch unverzichtbare Zukunftsbranche mit einem über-
durchschnittlichen Wachstumspotenzial. Wir brauchen
sie als drittgrößtes Exportland der Welt, und wir brau-
chen diese Branche zur Lösung von zentralen Zukunfts-
fragen


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


wie etwa der Energieversorgung, der Rohstoffversor-
gung und des Klimawandels. Wir brauchen deshalb auch
ein starkes maritimes Cluster. Um das auch in der Zu-
kunft zu erreichen, hat sich die maritime Wirtschaft ins-
besondere im Bereich des Schiffbaus strategisch neu und
erfolgversprechend aufgestellt.

Die Werften haben ihre Produktpalette konsequent
angepasst, und inzwischen werden in diesem Bereich
nach langer Zeit wieder zusätzliche Arbeitsplätze aufge-
baut.

Unterstützung brauchen die Werften bei der nach wie
vor schwierigen Finanzierung. Bund und Länder haben
insgesamt aber bewiesen, dass sie ihre Instrumente,
nämlich Exportkreditgarantien, CIRR-Zinsausgleichsga-
rantien und Landesbürgschaften, flexibel und erfolgreich
einsetzen.

Ich begrüße es nachdrücklich, dass es uns gemeinsam
gelungen ist, die Mittel für die Innovationsförderung auf
13 Millionen Euro zu erhöhen. Die Länder stellen eine
Kofinanzierung in gleicher Höhe bereit, und vielleicht
gelingt es uns ja, bei dieser Position auch noch ein biss-
chen zuzulegen.

Besonders schwierig – darüber gibt es keine Zwei-
fel – ist weiterhin die Lage in der Seeschifffahrt. Es
herrscht weltweit ein Überangebot an Tonnage vor. Die
dringend notwendige Erholung der Charter- und Fracht-
raten wird wohl kaum vor 2015 eintreten. Hier wird von
den Reedern, den Eigenkapitalgebern und den Banken
viel Engagement verlangt, um die Folgen der strukturel-
len und konjunkturellen Krise bewältigen zu können.

Die Bundesregierung setzt sich ihrerseits im Rahmen
des Maritimen Bündnisses verlässlich dafür ein, den
Schifffahrtsstandort Deutschland zu stärken. Instrumente
wie Tonnagesteuer, Lohnsteuereinbehalt, Zuschüsse zu
den Lohnnebenkosten und Arbeitsplatzförderung schaf-
fen hier bestmögliche Rahmenbedingungen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Erneuerung des Maritimen Bündnisses hat die
Bundesregierung im vergangenen Jahr ein deutliches
und, wie ich finde, sehr wichtiges Signal gesetzt. Damit
hat die Bundesregierung Kontinuität und Verlässlichkeit
bewiesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zugleich haben wir erreicht, dass die deutschen Ree-
der mit 30 Millionen Euro jährlich zusätzlich einen sub-
stanziellen Eigenbeitrag zur Stärkung von Ausbildung
und Beschäftigung in Deutschland erbringen. Auch das
will ich an dieser Stelle ausdrücklich gutheißen.

Mit Erleichterung kann ich sagen, dass die Koalition
auch dafür sorgt, dass jetzt keine zusätzlichen Belastun-
gen auf die Reeder zukommen. Ich danke – das tue ich
hier durch besonderes Hervorheben – den Finanzpoliti-
kern der Koalition dafür, dass sie sich auf eine gesetzli-
che Klarstellung verständigt haben, wonach Erlöspools
in der Schifffahrt nicht versicherungsteuerpflichtig sind.

Ich bin sehr froh, dass dieses Thema noch vor der
Achten Nationalen Maritimen Konferenz erledigt wer-
den konnte. Diese Konferenz findet in zwei Wochen in
Kiel statt. Sie wird dort einer breiten Öffentlichkeit zei-
gen, dass wir beispielsweise mit dem Zulassungsverfah-
ren für private bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord den
Reedern die notwendige Rechtssicherheit verschaffen,
dass wir im Bereich Verkehrsinfrastruktur viel für Ha-
fenanbindung und Ertüchtigung der Bundeswasserstra-
ßen tun – ein Beispiel ist der Nord-Ostsee-Kanal –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Torsten Staffeldt [FDP] – Lachen bei der SPD)


und dass wir den Nationalen Masterplan Maritime Tech-
nologien erfolgreich fortschreiben und umsetzen. Für
Zukunftsmärkte, zum Beispiel Offshorewind, maritime
Sicherheit und Tiefseebergbau, konnten wichtige Ak-
zente gesetzt und konkrete Aktivitäten angestoßen wer-
den.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ihre Aktivitäten bestanden doch nur aus Spatenstichen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute ver-
mutlich meine letzte Rede als Maritimer Koordinator vor
diesem Hohen Haus. Ich will deshalb die Gelegenheit
nutzen, um mich bei Ihnen allen für eine insgesamt sehr
konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit in den
vergangenen Jahren zu bedanken. Die maritime Koope-
ration – so nenne ich das – über alle Fraktionsgrenzen
hinweg ist viel sachorientierter und zielgerichteter ver-
laufen, als es vermutlich die folgenden Redebeiträge der
Opposition vermuten lassen.

Ich freue mich darauf, möglichst viele von Ihnen in
14 Tagen in Kiel wiedersehen zu können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723207200

Auch Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär,

ein herzliches Danke. – Nächster Redner in unserer Aus-
sprache für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Uwe Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe
Beckmeyer.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1723207300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren!


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: In Hamburg sagt man: Uwe, hör auf zu tüdeln!)


– Herr Fischer, haben Sie sich einmal Gedanken ge-
macht, weshalb hier kein Minister sitzt? Ist das für die
Minister Rösler und Ramsauer kein Thema? Aber gut.

Die maritime Wirtschaft schaut auch ohne die Minis-
ter heute nach Berlin.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Ist Herr Gabriel da?)


In der Vorbereitung der Konferenz in Kiel werden von
der Politik überzeugende Antworten erwartet,


(Otto Fricke [FDP]: Wo ist denn Herr Steinmeier?)


die helfen können, die maritime Wirtschaft in schwieri-
gen Zeiten zu unterstützen. Das gilt für die derzeitige
Bundesregierung leider nicht. Sie hat in den Augen der
maritimen Wirtschaft schon auf der Konferenz in Wil-
helmshaven kläglich versagt. Showeffekte sind kein Er-
satz für eine stimmige und hilfreiche Politik.


(Beifall bei der SPD)


Auch nach der letzten Maritimen Konferenz hat es die
Regierung nicht vermocht, das Steuer herumzureißen. In
wesentlichen Handlungsfeldern der maritimen Wirt-
schaft sind von ihr keine Antworten geliefert worden.
Die Folgen: Auf wichtigen Feldern, ob Offshorewind-
energie, Maritimes Bündnis oder Hinterlandanbindung,
ist weiterhin kein Land in Sicht. Die Aussichten verhei-
ßen wenig Besserung, zumindest was die Politik von
Union und FDP betrifft. Die Achte Nationale Maritime
Konferenz in Kiel fällt mit dem Ende dieser Wahl-
periode zusammen. Oder sollte man besser sagen: Mit
dem Ende der schwarz-gelben Regierungszeit?


(Torsten Staffeldt [FDP]: Die Wahl ist doch erst im September!)


Daher ist dies auch der Zeitpunkt für eine Bilanz von
vier Jahren Schwarz-Gelb. Das Ergebnis fällt nicht posi-
tiv aus; denn eine Schlüsselbranche unserer Volkswirt-
schaft ist unter der jetzigen Bundesregierung auf sich ge-
stellt.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Ach Quatsch!)


Die derzeitige Bundesregierung versteht sich, wie im
Bericht mehrfach nachzulesen, als moderierend. Han-
deln ist nicht so ihr Ding. Sie setzt auf wichtigen Hand-
lungsfeldern der maritimen Wirtschaft auf den Rückzug
des Staates, das Laisser-faire der Märkte – eine Haltung,

die dem maritimen Standort insgesamt schadet. Wir
brauchen einen Kurswechsel in der maritimen Politik.
Notwendig ist eine konsequente Innovationspolitik, um
die maritime Wirtschaft in der Krise aktiv zu unterstüt-
zen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Machen wir schon!)


Entscheidend wird sein, den Modernisierungsprozess
der Branche aktiv zu steuern. Eine strategische Indus-
triepolitik für den gesamten maritimen Bereich muss
vier zentrale Bausteine enthalten: erstens die Finanzie-
rung von maritimen Projekten, zweitens die Förderung
zukunftsfähiger Arbeit, drittens eine umfassende Inno-
vationsstrategie und -förderung und viertens die Stär-
kung der Infrastruktur. Kurz gesagt: Ein Zukunftspaket
für die maritime Branche ist notwendig. Darauf setzen
wir Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD – Ingbert Liebing [CDU/ CSU]: Das habt ihr doch noch nie hingekriegt!)


Die Zukunftsfähigkeit der maritimen Branche hängt
wesentlich vom technologischen Fortschritt und von
marktfähigen Innovationen ab. Dies erfordert jedoch
hohe Investitionssummen. Angesichts der weltweit an-
gespannten Lage auf den internationalen Kapitalmärkten
und der wachsenden globalen Standortkonkurrenz ist die
solide Finanzierung absolut notwendig und eine wesent-
liche Herausforderung der maritimen Erfolge und der
maritimen Projekte.

Darum fordern wir die Bundesregierung auf, sich ge-
genüber der BaFin für die Übernahme des sogenannten
Long Term Asset Value als alternatives Ertragswertver-
fahren für die Schiffsfinanzierung einzusetzen – bis zum
heutigen Tage ist da auf Ihrer Ebene nichts passiert –,
gemeinsam mit den schiffsfinanzierenden Banken Mo-
delle zu entwickeln, um die deutschen Reeder beim Ab-
bau von Schiffskapazitäten zu unterstützen, und zwar
durch Aufliegerprogramme oder durch Herausnahme
von Schiffen, die nicht energieeffizient sind oder älter
als 15 Jahre, die bestehenden Finanzierungsinstrumente
zu überprüfen und im Rahmen von Förderzielen neue
Perspektiven für die Schiffbaubranche zu eröffnen.

Ich will das abkürzen. Wir haben im Bereich der Off-
shoreförderung ein KfW-Sonderprogramm. Bis zum
heutigen Tage haben Sie, sehr geehrte Damen von der
christdemokratischen Union und der FDP, es abgelehnt,
dies für den Bereich der Hafen- und Schiffskapazitäten
zu öffnen. Das ist ein Umstand, der – ich sage es einmal –
für die deutsche Küste schädlich ist.


(Beifall bei der SPD)


Der maritime Arbeitsmarkt ist in den vergangenen
Jahren stark in Bewegung geraten. Vor diesem Hinter-
grund sind Fragen der Verfügbarkeit und Qualifizierung
von Fachkräften sowie der Stellenwert und die Perspek-
tive der traditionellen Industriearbeit zu diskutieren.
Auch hier wurden Aufgaben nicht erfüllt. Deshalb for-
dern wir Sozialdemokraten die Entwicklung von Maß-
nahmen zur Sicherung des Nachwuchses in der Schiff-





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


bauindustrie, die Erhöhung der Ausbildungsquote in der
deutschen Werftindustrie, die Verknüpfung der Förde-
rung für den Bereich Schiffbau, Seeschifffahrt und
Offshorewindenergie mit quantitativen und qualitativen
Zielen hinsichtlich Ausbildung, Übernahme und Ausge-
staltung der Tarifverträge.

Wir fordern ein Sicherheitskonzept Deutsche Küste
im Bereich des Rettungswesens auf Offshorewindener-
gieanlagen und eine koordinierte Strategie einer mariti-
men Sicherheitspartnerschaft aller Beteiligten ein. Nicht
nur diejenigen, die vor der Küste technisch tätig sind,
sondern wir alle müssen uns darum kümmern. Ich will
mich auch hier kurzfassen. Die Langfassung können Sie
in unserem Antrag nachlesen. Wir fordern Sie des Weite-
ren auf, auf europäischer Ebene beim Verzicht auf Aus-
schreibungspflicht für Lotsdienste tätig zu werden. Hier
ist zu vermerken, dass Sie bislang alle Aktivitäten unter-
lassen haben.

Wir brauchen dringend Anstrengungen bei der be-
schleunigten Modernisierung der Schiffsflotte zur ver-
stärkten Emissionsminderung und Energieeffizienz. Wir
brauchen eine systematische Untersuchung der Vor- und
Nachteile von Flüssiggas und Flüssigerdgas. Auch hier
haben Sie in Ihrer Strategie einen absoluten Nullpunkt
erreicht. Wir brauchen die Entwicklung einer Exzellenz-
strategie, die es der deutschen Werftindustrie ermöglicht,
im Hightechsegment tätig zu werden. Wir brauchen zu-
dem eine deutliche Aufstockung im Haushaltstitel „Ma-
ritime Technologie der nächsten Generation“ zugunsten
der Werftindustrie in Deutschland.

Wesentlicher Bestandteil einer Innovationsstrategie
für die maritime Wirtschaft muss auch eine gezielte
staatliche Infrastrukturpolitik sein; denn die logistische
Anbindung der deutschen Seehafenstandorte wird in den
kommenden Jahren zu einem kritischen Wettbewerbs-
faktor werden. Nur eine Politik der zwei Säulen – indus-
trielle Entwicklung und Ausbau der Infrastruktur – wird
dazu beitragen, die Wachstumsbasis der maritimen Bran-
che in Deutschland nachhaltig zu sichern und zu stärken.
Hierzu einige Stichworte: zuverlässige Abwicklung der
Hinterlandverkehre insbesondere durch den Ausbau der
Schienen- und Wasserwege sowie den zügigen Ausbau
der seewärtigen Zufahrten unserer Seehäfen inklusive
Nord-Ostsee-Kanal; Kürzung der Verfahrensdauer beim
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig durch eine deut-
lich bessere Personalausstattung. Sie müssen das Prinzip
der verkehrsträgerbezogenen Finanzierungskreisläufe
aufgeben. Wir brauchen eine integrierte Finanzierung
unserer Verkehrsinfrastruktur.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Wir brauchen endlich eine klarsichtige Politik bei der
Neuordnung der Bundeswasserstraßen. Was Sie dort ak-
tuell machen, ist schädlich für Deutschland. Sie bringen
den ganzen Bereich in Unordnung. Wir wollen das been-
den. Ich hoffe, dass es nach Abwahl dieser Regierung zu
einem Neustart kommt.

Sie sehen, meine Damen und Herren: Nichts ist gut
auf diesem Feld in der Bundesrepublik Deutschland. Die
Bundesregierung versucht mit ihrer selbstgefälligen Art,

die Fehlleistungen der vergangenen dreieinhalb Jahre zu
übertünchen. Aber die maritime Industrie lässt sich nicht
mehr hinter die Fichte führen. Sie wartet auf einen Neu-
start. Diesen wird es allerdings mit dieser Bundesregie-
rung nicht geben. Wir brauchen einen Kurswechsel in
der maritimen Politik, vielleicht kommt er erst nach der
Bundestagswahl.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723207400

Vielen Dank, Kollege Uwe Beckmeyer. – Nächster

Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege
Eckhardt Rehberg.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein, Enak Ferlemann! Die haben getauscht!)


– Dieser Tausch ist bei mir, dem Präsidenten, nicht ange-
kommen. Es ist schön, dass die richtige Reihenfolge we-
nigstens auf dem Bildschirm erscheint. Aber beim Präsi-
denten ist es nicht angekommen.

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Kollege Enak Ferlemann. Bitte schön, Kollege Enak
Ferlemann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1723207500


Sehr geschätzter, hochverehrter Herr Präsident, ent-
schuldigen Sie, dass ich mich etwas vorgedrängelt habe.
Aber die Geschäftsordnung sieht das so vor. Gleichwohl
werden alle Kolleginnen und Kollegen hier noch zu
Wort kommen.

Wir haben gerade einen etwas erschütternden Bericht
des Kollegen Beckmeyer über ein Land, das ich gar
nicht kenne, gehört. Die Bundesrepublik Deutschland
kann das jedenfalls nicht sein.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen vor der Achten Nationalen Maritimen
Konferenz, einer wunderbaren Errungenschaft. Die
ganze Branche mit ihren verschiedenen Facetten trifft
sich, kann miteinander sprechen, Impulse setzen, über
Lösungsansätze diskutieren und hat die Möglichkeit, mit
Politik, Verwaltung und Gesellschaft in Austausch zu
treten. Viele andere Branchen in Deutschland würden
sich wünschen, dass es eine solche Gelegenheit gäbe,
sich auszutauschen.

Pünktlich zum Maritimen Bündnis legen die Koali-
tionsfraktionen unter deiner Federführung, lieber
Eckhardt Rehberg, einen wiederum außerordentlich ge-
lungenen Antrag vor,


(Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])


der die maritime Politik exzellent beschreibt, der aber
auch deutlich macht, welche Herausforderungen für
diese Branche auf Deutschland und auf die Politik zu-
kommen.





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


Man kann allerdings feststellen, lieber Kollege
Beckmeyer: Die maritime Wirtschaft und die maritime
Politik sind bei uns in sehr guten Händen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann das nur betonen und darf mich an dieser Stelle
für die exzellente Zusammenarbeit mit meinem Kolle-
gen Otto aus dem Wirtschaftsressort bedanken. Ich
glaube, die Erfolge der vergangenen Jahre können sich
wahrhaft sehen lassen.

Wir haben es hier mit einer Branche zu tun, in der es
rund 400 000 Beschäftigte gibt und die einen sagenhaf-
ten Jahresumsatz von rund 50 Milliarden Euro macht.
Häufig wird maritime Politik als rein norddeutsche Poli-
tik qualifiziert, die sie aber nicht ist; denn alle Auswir-
kungen der maritimen Politik betreffen immer das ganze
Land. Maritime Politik ist nicht nur eine Politik für die
Küstenländer, sondern maritime Politik ist eine Politik
für das ganze Land, sie ist eine nationale Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Schwerpunkt der maritimen Politik liegt insbe-
sondere auf den norddeutschen Ländern; aber genauso
wichtig ist die Anbindung der ZARA-Häfen. Auch die
ZARA-Häfen sind wichtig für die maritime Politik, die
wir in Deutschland machen müssen;


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


denn auch dort werden Hinterlandanbindungen ge-
braucht, auch dort wird importiert und exportiert. Des-
wegen muss man beides im Blick haben. Ich glaube,
dass wir die Nordwestrange insgesamt sehen müssen.
Die Konkurrenz dieser Häfen findet nicht untereinander
statt, sondern das ist nur Wettbewerb; und das ist gut und
richtig so. Die Konkurrenz droht aus Süd- und Südost-
europa. Darauf muss die Nordwestrange reagieren, und
darauf müssen die richtigen politischen Antworten gege-
ben werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach
der Anbindung der Seehäfen. Bei dem steigenden Wa-
renumsatz, den wir durch die Globalisierung haben, sind
die Seehäfen die Einfallstore der Globalisierung. Deswe-
gen ist es vordringliche Aufgabe des Verkehrsministe-
riums, für eine ordnungsgemäße Anbindung der See-
häfen zu sorgen. Das tun wir. Noch nie hat eine
Bundesregierung einen Schwerpunkt so sehr auf die See-
hafenhinterlandanbindung gelegt wie diese. Im neuen
Bundesverkehrswegeplan, der von 2015 bis 2030 rei-
chen wird, wird sie es wiederum tun.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Versprechungen!)


– Herr Beckmeyer, ich denke, auch Sie sind mit großer
Freude zwischen Bremen und Hamburg oder Hamburg
und Bremen, wie auch immer Sie das sehen, auf der neu
gestalteten A 1 gefahren.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ist das Ihr Erfolg?)


Da gibt es nicht einmal ein Tempolimit, so gut ist sie
ausgebaut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So schnell sind Sie auf der Straße noch nie von Bremen
nach Hamburg gekommen. Wir sind mit dem Ausbau
der A 7 weit vorangekommen, wir bauen den nächsten
Abschnitt der A 21,


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ein Erfolg von Wolfgang Tiefensee!)


die A 14 ist begonnen worden, und die Planungen der
A 20 und der A 39 gehen zügig voran. Trotz mancher
Koalitionsversprechen, die Sie in den norddeutschen
Ländern gegeben haben, was diesen Projekten wahrhaft
nicht guttut, werden wir sie trotzdem hinbekommen.

Denken Sie an die Schiene und das Seehafenhinter-
landanbindungsprogramm, das wir haben. Ich erinnere
an die Knoten, die ertüchtigt und aufgebaut werden. Es
stellt sich die Frage, ob wir die steigenden Mengen auf
dem bestehenden Netz abwickeln können oder ob wir
Alternativen brauchen – Stichwort: Y-Trasse. Die Unter-
suchungen laufen.


(Ingo Egloff [SPD]: Bezahlt von den norddeutschen Ländern, nicht von Ihnen!)


Wir haben viele Projekte, zum Beispiel die Betuwe-
Line, die wir auf nordrhein-westfälischer Seite aus-
bauen. Alles das sind Punkte, die für eine exzellente
Politik sprechen. Sie haben zu Ihren Regierungszeiten
davon geträumt, so etwas verwirklichen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Genauso ist es mit den seewärtigen Anbindungen.
Alle seewärtigen Anbindungen sind von dieser Regie-
rung in der Planung weit vorangetrieben worden. Die
Planfeststellungsverfahren sind häufig abgeschlossen
und liegen jetzt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Ich
finde, man sollte etwas bescheidener sein, wir als Exeku-
tive und Sie als Legislative, wenn die Judikative Recht
sprechen soll. Warten Sie doch in Ruhe die Urteile ab.
Ich vertraue darauf, dass unsere Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter einen hervorragenden Job gemacht haben
und wir bei Gericht schon gewinnen werden. Ein biss-
chen Geduld tut manchmal auch einem Bremer ganz gut.
Der Blutdruck normalisiert sich dann. Warten wir das
also ab. Dann gestalten wir die Dinge, die da kommen.

Wir sehen allerdings am Nord-Ostsee-Kanal, so wie
an vielen Stellen, dass wir mehr Geld für den Erhalt der
Seehafenhinterlandanbindungen brauchen. Da haben wir
die Programme so umgestrickt, dass wir schon im ak-
tuellen Investitionsrahmenplan einen größeren Schwer-
punkt auf die Unterhaltung als auf Neuinvestitionen ge-
legt haben. Das ist gut und richtig so.

Wir werden auf dieser Maritimen Konferenz sicher-
lich über die Krise der Seeschifffahrt, über die Finanzie-
rungsfragen sprechen. Wir werden über das hervorra-
gend ausgestaltete Maritime Bündnis sprechen, das noch
nie so gut wie jetzt dastand.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


Ich freue mich darüber, dass wir das Seearbeitsgesetz
fertiggestellt haben. Ich freue mich über die Modernisie-
rung der Flaggenpolitik, und ich freue mich darüber,
dass trotz mancher Diskussion in diesem Hause die Ton-
nagesteuer nach wie vor eine der bedeutendsten Förder-
möglichkeiten für die Reeder ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden über die Zukunft der Werften reden. Wir
werden über die sicheren Seewege reden, darüber, was
die Operation Atalanta gebracht hat, darüber, was wir
gemeinsam vereinbart haben, um Sicherheitskräfte auch
an Bord deutsch geflaggter Schiffe nehmen zu können.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Alle warten darauf, dass diese Regierung geht!)


Wir werden über die leistungsfähigen Seehäfen reden,
übrigens auch über die Binnenhäfen. Haben Sie das neue
Konzept der Bundesregierung schon einmal gelesen,
Herr Beckmeyer? Exzellente Arbeit! Das müssten Sie ei-
gentlich zugestehen.

In diesem Zusammenhang seien mir noch folgende
Fragen erlaubt: Wie stellt Herr Beckmeyer sich vor,
Seehäfen, die ausgebaut werden, zu fördern? Herr
Beckmeyer, was machen Sie denn mit denen, die ausge-
baut worden sind? Wie wollen Sie denn da fördern? Die
Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen hat er natür-
lich nicht erwähnt, sondern er ruft nach Geld ohne Kon-
zept, ohne Sinn und Verstand. Die Offshorewindindus-
trie wird es schon genau zu werten wissen.

Wir werden über Klima und Umweltschutz reden,
über die maritime Sicherheit, über all diese Punkte.


(Sören Bartol [SPD]: Sie reden immer nur!)


Ich glaube, wir haben mit der Achten Nationalen Mariti-
men Konferenz ein hervorragendes Diskussionsforum.
Ich glaube, wir haben alle Möglichkeiten, die Zukunfts-
fähigkeit der Branche für ganz Deutschland – maritime
Politik ist eine nationale Aufgabe – gut darzustellen und
Impulse zu setzen. Ich freue mich, wenn wir uns in Kiel
wiedersehen und nachher die Ergebnisse bewerten und
umsetzen können. Alles Gute der nächsten Maritimen
Konferenz in Kiel!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723207600

Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723207700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jetzt ein paar Worte aus der real existierenden Bundesre-
publik.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Schiffe unter deutscher Flagge werden von Monat
zu Monat weniger. 600 sollten es mindestens sein – Sie
wissen es –; das wurde im Maritimen Bündnis vor zehn
Jahren vereinbart. Aktuell sind es halb so viele. Die Ver-
suche der Bundesregierung seit der Siebten Nationalen
Maritimen Konferenz in Wilhelmshaven, die Reeder
wieder zu mehr Engagement zu bringen, sind weitge-
hend gescheitert. Das Maritime Bündnis ist in Wirklich-
keit kein Bündnis mehr. Die Reeder haben ihren Beitrag
an Ausbildung und Beschäftigung zwar erhöht, aber pa-
radoxerweise wird dieser Beitrag zum Teil aus Gebühren
finanziert, die eingenommen werden, wenn Schiffe aus-
geflaggt werden. Das heißt im Umkehrschluss: Je mehr
Schiffe ausgeflaggt werden, umso mehr Geld können die
Reeder zur Verfügung stellen, um Beschäftigung zu för-
dern. Das kann doch kein Konzept sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein anderes Beispiel für diese falsche Politik finden
wir beim Flaggenrecht. Die Bundesregierung behauptet,
sie habe die maritime Ausbildung gestärkt. Aber was hat
sie tatsächlich gemacht? Die Koalitionsfraktionen drück-
ten durch, dass Flaggenflucht nur dann genehmigt wird,
wenn die Reeder dafür einen Ausgleich leisten. Der Aus-
gleich besteht darin, dass Ausbildungsplätze auch auf
ausgeflaggten Schiffen erhalten bleiben sollen. Aber
keine Regel ohne Ausnahme: Die Reeder können sich
mit geringen Ausgleichszahlungen von der Ausbildungs-
pflicht freikaufen. Mit dieser Politik muss Schluss ge-
macht werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern, die Arbeitsbedingungen in der maritimen
Wirtschaft zu verbessern, und dazu gehört, die Flucht
aus der deutschen Flagge zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Reeder oder, besser gesagt, die Finanzinvestoren
und Fonds, die dahinterstecken, suchen ihre Anlagemög-
lichkeiten immer dort, wo am meisten Profit erwirtschaf-
tet werden kann. Ist es hier im Land zu wenig, dann zieht
man halt weiter. Verlierer ist der Staat, weil ihm Steuer-
einnahmen wegbrechen; Verlierer sind insbesondere die
Beschäftigten, weil Konkurrenzvorteile immer auch zu-
lasten von sozialen Standards, Arbeitsplätzen und Ein-
kommen gehen. Darum müssen Wettbewerbsvorteile,
die ausschließlich zulasten der Beschäftigten und der
Steuerzahler gehen, abgeschafft werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung muss auf europäischer Ebene
dahin gehend aktiv werden, den Subventionswettlauf zu
stoppen. Förderungen an Unternehmen darf es nur dann
geben, wenn Ausbildung und Know-how verbindlich ge-
sichert werden. Leistung ohne Gegenleistung darf es in
der europäischen Schifffahrt nicht länger geben. Das for-
dern wir in unserem Antrag.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nicht nur auf See, sondern auch an Land sind die
Arbeitsbedingungen schlechter geworden. Die Unter-
nehmen nutzen die Krise und auch die Möglichkeiten





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


der Agenda 2010, um Druck zu machen. Leiharbeit,
Werkverträge, befristete Beschäftigungen sind Kennzei-
chen einer falschen Arbeitsmarktpolitik.

Auch wenn Unternehmen in die Krise geraten, wie
SIAG in Emden oder P+S in Wolgast und Stralsund, gibt
es mehr Möglichkeiten als Entlassungen und Lohnkür-
zungen. Die Menschen dort müssen eine Perspektive für
ihr Leben bekommen. Und wenn es den Unternehmen
allein nicht möglich ist, das finanziell zu wuppen, dann
müssen durch staatliche Förderung, Qualifizierungs-
gesellschaften, bessere Kurzarbeitsregelungen und Ar-
beitszeitverkürzungen Arbeitsplätze erhalten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht der
Bundesregierung zeigt die Probleme der maritimen
Wirtschaft auf: Überkapazitäten im Schiffbau, sinkende
Frachtraten und dramatische Unterbeschäftigung in
Schifffahrtsunternehmen und Werften. Aber Sie ziehen
keine Konsequenzen daraus. Sie predigen gebetsmüh-
lenartig Ihre alte Idee – Sie warten darauf, dass die euro-
päische Finanz- und Wirtschaftskrise endlich vorbeigeht,
und hoffen, dass die strahlende Zukunft für Häfen, Werf-
ten und Zulieferer an der Nord- und Ostseeküste durch
die Offshorewindenergie kommen wird. Aber Hoffen
und Harren allein reichen doch nicht aus. Sie müssen
handeln!


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Sie listen in Ihrem Antrag mehr als ein Dutzend Maß-
nahmen auf, die angeblich die Belange der maritimen
Wirtschaft gefördert hätten. Am Ende lassen sich diese
Maßnahmen auf zwei Begriffe reduzieren: Wir brauchen
mehr Wachstum, wir brauchen mehr Markt. – Das kann
es aber doch nicht sein! Zu Recht werden an 16 Stellen
im Bericht der Bundesregierung „große Herausforderun-
gen“ – so heißt es – erwähnt, denen man sich stellen
müsse. Aber wenn keine Prioritäten gesetzt werden,
dann wird doch daraus nichts!

„Das Meer ist Wirtschafts- und Lebensraum sowie
Nahrungs- und Ressourcenquelle zugleich.“ So steht es
sehr richtig in dem Antrag der Koalition. Aber diese teils
gegensätzlichen Funktionen des Meeres bergen Kon-
flikte. Darum müssen Richtungsentscheidungen gefällt
werden. Neben der Schaffung guter Arbeit in der mariti-
men Wirtschaft und auf Schiffen ist die Forschung und
Entwicklung in zukunftsfähige, umweltverträgliche
Technologien ein sehr, sehr wichtiges Handlungsfeld für
staatliche Technologiepolitik und auch für Forschungs-
förderung.


(Beifall bei der LINKEN)


Vordringlich ist die Senkung der Emissionen von
Schadstoffen in der Schifffahrt nicht nur auf hoher See.
Eine der Hauptursachen der Feinstaubemissionen gerade
in Norddeutschland ist die Verbrennung von Schweröl in
Schiffsmotoren. Inzwischen gibt es zwar gesetzliche
Grenzwerte für Schwefelemissionen, nicht aber bei

Schwermetallen und Ruß. Hier besteht sofortiger Hand-
lungsbedarf.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Bericht der Bundesregierung wird der Schutz der
natürlichen Umwelt aber unter den Vorbehalt von Wirt-
schaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit der Produkte ge-
stellt. Sie wollen mit Ihrer Forschungs- und Entwick-
lungspolitik erreichen, dass Innovationszyklen drastisch
verkürzt werden, um der Konkurrenz immer einen
Schritt voraus zu sein. Sie wollen erreichen, dass schnel-
ler und billiger produziert wird. Aber sind das nicht auch
die Ursachen des internationalen Verdrängungswettbe-
werbs, für die bestehenden Wahnsinnsüberkapazitäten
auf den Weltmärkten? Zukunftsweisende Forschungs-
und Technologiepolitik in der maritimen Wirtschaft sieht
wirklich anders aus.


(Beifall bei der LINKEN)


SPD und Grüne haben Anträge vorgelegt, in denen sie
eine Umsteuerung in der maritimen Wirtschaft fordern.
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben erkannt,
dass die Liberalisierung der Märkte und der Rückzug des
Staates nicht dazu führen, dass maritime Standorte ge-
stärkt werden – eine späte, aber richtige Erkenntnis, al-
lerdings auch das Gegenteil dessen, was ursprünglich
Ihre Arbeitsmarktpolitik war.

Wir unterstützen viele Ihrer Forderungen, können Ih-
rem Antrag aber nicht zustimmen. Denn wieder setzen
Sie auf den Marineschiffbau und fordern von der Bun-
desregierung, „den Marineschiffbausektor bei seinen Ex-
portanstrengungen durch die Förderung von Referenz-
projekten zu unterstützen“. Bau und Export von
Kriegsschiffen und anderen Marineprodukten sind aber
nicht die Zukunft. Wir wollen Rüstungsexporte stoppen.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Ihr wollt alles stoppen, aber gleichzeitig Arbeitsplätze erhalten! Das ist widersprüchlich! Sie sprechen mit gespaltener Zunge!)


Beim Marineschiffbau muss mit intelligenter Konver-
sionspolitik umgebaut werden; die darin steckenden fi-
nanziellen Mittel müssen in zukunftsfähigen zivilen
Schiffbau umgelenkt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, sind wir dabei, wenn es darum geht, die
weitere Liberalisierung der Hafendienstleistungen zu
verhindern. Auch wir fordern: Port Package III darf es
nicht geben. Ich hoffe sehr, dass die Maritime Konferenz
in Kiel die wesentlichen Fragen diskutieren und Schwer-
punkte setzen wird. Passiert das nicht, bleibt die mari-
time Wirtschaft in schwerer See.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723207800

Die Kollegin Dr. Valerie Wilms von der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen hat nun das Wort.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723207900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Dass der maritime Wirt-
schaftszweig Debattenthema hier im Bundestag ist,
kommt nur alle zwei Jahre vor,


(Torsten Staffeldt [FDP]: Das stimmt aber nicht!)


bedauerlicherweise; es gibt nämlich genug Probleme in
dem Sektor. Wir kommen hier mehr oder weniger nur
alle zwei Jahre dazu, darüber zu diskutieren, weil dann
wieder eine neue maritime Konferenz vor der Tür steht.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Das stimmt aber nicht!)


Kurz vorher machen wir hier wieder unsere übliche par-
lamentarische Selbstbeweihräucherungsshow nach zwei
Jahren zwischenzeitlichen Stillstands.

Nachdem wir uns 2011 auf der Baustelle des JadeWe-
serPorts in Wilhelmshaven – ich sage einmal – zum poli-
tischen Camping getroffen haben, ist die deutsche mari-
time Wirtschaft immer weiter in die See hineingeflossen;
sie ist beinahe verschwunden.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sie reden sie schlechter, als sie ist! Sie ist gut aufgestellt!)


Wir sind zwar die weltgrößte Containerschiffnation
– das hört sich zunächst einmal ganz gut an –, aber die
Schiffe fahren nicht unter deutscher Flagge, liebe Kol-
leginnen und Kollegen. Wir haben einen dramatischen
Rückgang zu verzeichnen, nämlich von knapp 500 Schiffen
auf jetzt nur noch knapp über 300 Schiffe.

Was wir sehen, ist eine riesige Schiffsblase, die in
Kürze zerplatzen wird.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Wie soll ich mir das denn vorstellen?)


Die Banken, werter Kollege Staffeldt,


(Torsten Staffeldt [FDP]: Was ist eine Schiffsblase? Erklären Sie uns das bitte!)


ziehen sich aus der Schifffahrt zurück. Vielleicht ist das
sogar bei der FDP angekommen. Die Commerzbank hat
das angekündigt. Die HSH Nordbank, der ehemals
größte Schiffsfinanzierer der Welt, kann nur mit gerade
wieder auf 10 Milliarden Euro erhöhten staatlichen
Bürgschaften aus Schleswig-Holstein und Hamburg
– um einmal im maritimen Bild zu bleiben – knapp über
Wasser gehalten werden.

Wo bleibt die schonungslose Analyse des ach so kom-
petenten Wirtschaftsministers?


(Martin Burkert [SPD]: Was für eine Kompetenz hat der?)


Ich habe sie noch nicht gehört. Die gibt es nämlich nicht.
Der Wirtschaftsminister stammt zwar aus der sogenann-
ten Partei der Wirtschaft, aber Fehlanzeige im dicken
Bericht der Bundesregierung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann mir auch durchaus vorstellen, warum das so
ist. Den ganzen Schlamassel – den können Sie auch
nicht mit Träumereien über irgendwelche sich wieder er-
höhenden Frachtraten und Ähnliches verdecken – hat die
Politik mit zu verantworten. Unsere Vorgängerinnen und
Vorgänger haben es zugelassen, dass sich diese Blase,
diese riesige Schiffsmenge, bilden konnte. Mit dem In-
strument des Schiffsfonds wurde eine prima Steuerspar-
möglichkeit für Anleger geschaffen, angefeuert durch
die vereinfachte Tonnagegewinnermittlung – umgangs-
sprachlich: Tonnagesteuer; es wurde schon angespro-
chen –, die im Grundsatz sicherlich nicht ganz falsch ist.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Aha!)


Aber wir kennen das auch aus anderen Bereichen: Das
Instrument ist falsch angewendet worden. Ich denke da
an die Bauherrenmodelle aus früherer Zeit. Das ist aber
nur die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille ist, dass wir mit diesem
Finanzierungssystem ermöglicht haben, dass unterneh-
merische Verantwortung und unternehmerisches Risiko
praktisch voneinander entkoppelt sind.


(Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Torsten Staffeldt [FDP]: Quatsch!)


Durch die Konstruktion der Schiffsfonds als KG zählt
das für die finanzierenden Banken bislang als Eigenkapi-
tal, obwohl der Reeder gar kein eigenes Geld hinein-
gesteckt haben muss. Als Eigenkapital steckt im Wesent-
lichen nur das Geld der aufs Steuersparen fixierten
Anleger drin; Herr Staffeldt, das sollten auch Sie so
langsam mal begriffen haben.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Ist das bei einer Aktiengesellschaft anders?)


Der Reeder bekommt also ein Schiff, das er einsetzen
kann, ohne dass er mit einem einzigen Euro Eigenkapital
in die unternehmerische Haftung gegangen ist. So haben
wir die Blase geschaffen, meine Damen und Herren, an
der die maritime Wirtschaft jetzt zugrunde zu gehen
droht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was müssen wir jetzt machen? Vor allen Dingen muss
die Bundesregierung endlich aus ihrem maritimen Tief-
schlaf aufwachen und wirksame Maßnahmen ergreifen.


(Martin Burkert [SPD]: Jawohl! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Der Staatssekretär sieht aber ganz munter aus! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Hellwach!)


– So nach hellwach sah das eben aber nicht aus, Kollege
Otto. – Eine funktionierende Lösung haben wir in un-
serem Antrag zur Tonnagesteuer präzise vorgeschlagen
– die Finanzwelt sieht das mittlerweile auch so –:

Erstens. Die Tonnagegewinnermittlung muss direkt
bei der Schiffsgesellschaft vorgenommen werden. Also
für die Fachleute unter uns und den Zuschauern: Umstel-
lung der Besteuerung der Schiffsfonds vom Transpa-
renz- auf das Trennungsprinzip.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Oje!)






Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


Zweitens. Alle Schiffe eines Reeders müssen in des-
sen konsolidierte Bilanz aufgenommen werden, unab-
hängig vom Anteil der tatsächlichen finanziellen Beteili-
gung des Reeders. Damit übernimmt er nämlich auch
wieder Verantwortung für sein unternehmerisches Han-
deln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Wir müssen unser Flaggenregister dringend
dienstleistungsorientiert aufstellen oder müssen am bes-
ten gleich ein solches dienstleistungsorientiertes euro-
päisches Flaggenregister schaffen, also die Europa-
flagge. Wir sind schließlich Bestandteil des vereinigten
Europa.

Es gibt noch einen weiteren Punkt, der zur unterneh-
merischen Verantwortung passt: das Thema Ausbildung
in der Seeschifffahrt. Junge Menschen bilden wir zu
Nautikern aus. Sie freuen sich und verlassen die See-
fahrtsschulen, erhalten stolz ihr Patent, und dann kommt
das böse Erwachen: Sie finden keine Anstellung auf ei-
nem Schiff mit deutscher Flagge, um ihre Patente aus-
zufahren. Was ist die Folge? Nach drei Jahren sind sie
schlicht und ergreifend ihr Patent wieder los, und die
ganze teure Ausbildung war für die Katz.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Das ist falsch, was Sie erzählen!)


Hier brauchen wir dringend Lösungen, die ein echtes
maritimes Bündnis aller Partner aus Wirtschaft, Gewerk-
schaften und Politik schaffen könnten. Sonst stehen wir
nämlich bald ganz ohne Nautiker aus deutscher Ausbil-
dung da und brauchen dann für sie auch keine Tarifver-
träge und gesetzlichen Regelungen mehr. Das will ich
wirklich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum brauchen wir jetzt den echten Neustart des Mari-
timen Bündnisses. Der 22. September ist dafür der rich-
tige Stichtag.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Es kommt jetzt das Kapitel Wahlkampf!)


Werter Kollege Otto, Sie schmücken sich mit dem
schillernden Titel „Maritimer Koordinator der Bundesre-
gierung“. Toll! Doch ich frage mich: Wo sind Sie, wenn
es um die wichtigen Fragen der maritimen Politik geht?
Schiffsfinanzierung? Abgetaucht. Hafenkonzept? Abge-
taucht. Meeresschutz? Abgetaucht. Also komplett abge-
taucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Vielleicht ist er der Koordinator für U-Boote! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Haben Sie etwas gegen U-Boote?)


Zum Neustart des Maritimen Bündnisses nach der
Wahl gehört auch eine neue Rolle für den Maritimen Ko-
ordinator. Es macht einfach keinen Sinn, wenn wir das
Themenfeld auf zwei oder mehr Ministerien aufteilen,
die sich dann auch noch spinnefeind sind.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Was?)


Der Maritime Koordinator muss mit der Fachebene sinn-
voll verbunden sein. Er oder besser sie gehört dahin, wo
die meisten Fachabteilungen sind: ins Verkehrsministe-
rium. Mit der heutigen Konstruktion werden wir der Be-
deutung der Branche nicht mehr gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein zukunftsfähiges Konzept ist von dieser Regierung
nicht mehr zu erwarten.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Also, wenn das eine Bewerbungsrede sein soll, sind Sie durchgefallen!)


Hier ist Abwracken angesagt. In genau sechs Monaten
ist der Stichtag.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723208000

Der Kollege Eckhardt Rehberg hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1723208100

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Für einen hessischen Jungen, lieber Hans-
Joachim, ist es am Anfang wahrscheinlich nicht ganz
einfach gewesen. Wenige Tage vor der Nationalen Mari-
timen Konferenz will ich dir im Namen der Unionsfrak-
tion danken. Es war heute wahrscheinlich deine letzte
Rede als Maritimer Koordinator.

Lieber Uwe Beckmeyer, ich werde darauf eingehen,
was geleistet worden ist, unter anderem bei der Bekämp-
fung der Piraterie, beim Maritimen Bündnis. In den zehn
Jahren eurer Regierungszeit, in denen ihr die Verkehrs-
minister gestellt habt, habt ihr nicht einmal ansatzweise
das geschafft, was wir auf die Reihe bekommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Wer hat denn die Maritime Konferenz angefangen? Wer hat sich darum gekümmert?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Säulen
der Schifffahrtsförderung in Deutschland sind die Ton-
nagesteuer, der Lohnsteuereinbehalt und das Maritime
Bündnis. Bei der Tonnagesteuer wird oft nur auf die
Zahl der Schiffe geguckt, die unter deutscher Flagge fah-
ren.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja, das war vereinbart!)


Natürlich wird es Probleme geben, wenn die Reeder mit
Standort in Deutschland nicht zur Vernunft kommen. Es
gibt nämlich zwei Kriterien: Entweder fahren 60 Prozent
unter europäischer Flagge, oder es gibt einen Aufwuchs
bei der eigenen Flagge. Auf der anderen Seite muss man





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


sehen, dass wir seit 1999 einen Zuwachs an Landarbeits-
plätzen von 16 000 auf 23 000 zu verzeichnen haben,
insbesondere in den norddeutschen Ländern. Das sind
hochqualifizierte Arbeitsplätze. Deswegen hat auch das
ZEW Mannheim der Tonnagesteuer bei einer Betrach-
tung der 20 größten Subventionen im Bundeshaushalt
nicht die rote Karte gezeigt, sondern die grüne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen, Frau Kollegin Wilms, ist Ihre Kritik völlig
überzogen und unangebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Genau das wird vom ZEW bestätigt! Sie müssen das Gutachten richtig lesen!)


Herr Kollege Beckmeyer, ich frage mich, in welchem
Land Sie leben und ob Sie Fakten überhaupt zur Kennt-
nis nehmen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir haben nur über Fakten gesprochen!)


– Nein, Sie haben überhaupt nicht über Fakten gespro-
chen. Wenn man Ihren Antrag liest, erkennt man: Sie
fordern die Bundesregierung auf, zu „untersuchen“ und
zu „prüfen“, ohne sich wirklich einmal mit den Gege-
benheiten zu befassen.

Ich will einmal einen auch Ihnen bekannten Reeder
aus Hamburg bzw. Bremen, Claus Peter Offen, zitieren.
Die Frage der Frankfurter Allgemeinen vom August
letzten Jahres war:

Sollte der Staat den Reedern helfen?

Antwort:

Nein. Es ist nicht Aufgabe des Staates, hier zu inter-
venieren. Die Unternehmen sollten ihre Probleme
selbst lösen.

In der Ostsee-Zeitung vom 7. Januar heißt es:

Im Kern aber sind die Reeder selbst verantwortlich
für ihre Misere: Sie bringen zu viele Schiffe an den
Markt.

Dann wird Großreeder Peter Krämer zitiert:

Wir Reeder waren blauäugig – dachten, der Boom
der 2000er-Jahre hört nicht mehr auf, und haben
entsprechend Schiffe bestellt, ohne konkreten Be-
darf.

Ein drittes Zitat bezieht sich auf Michael Behrendt,
Vorstandsvorsitzender bei Hapag-Lloyd, nebenbei Präsi-
dent des Verbandes Deutscher Reeder:

Michael Behrendt hat den Glauben an die Vernunft
seiner Branche längst verloren. „Es existiert wohl
keine andere Industrie, die derart irrational han-
delt“, sagt der Vorstandsvorsitzende von Deutsch-
lands größter Containerreederei Hapag-Lloyd.
„Und leider betrifft diese Irrationalität ausnahmslos
alle Reeder.“ Was den Manager in Rage bringt, sind
die andauernden Preiskämpfe der Linienreeder rund
um den Globus.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Vorstellungen zu Auf-
liegern und zu einer Abwrackprämie den Preiskampf der
großen Linienreedereien in den Griff bekommen, der
sich bis in die Charterreedereien durchzieht?


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Die haben gar kein Interesse daran! Die deutsche Reederschaft! Um die geht es!)


Schauen Sie sich die Zuläufe im Containerbereich im
Jahr 2013 an! Schauen Sie sich den Zuwachs im Bulk-
carrierbereich, im Tankerbereich an! Das, was Sie hier
den Reedern suggerieren, ist schon keine weiße Salbe
mehr; das ist Verhohnepipelung, das ist Sand-in-die-
Augen-Streuen, das ist schlichtweg populistisch, Herr
Kollege Beckmeyer, und trägt nicht zur Lösung bei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist sachgerecht und mit der Branche gut diskutiert!)


Wenn ich höre, dass die Sozialdemokratische Partei
Deutschlands kritisiert, wie wir jetzt das Maritime Bünd-
nis gestaltet haben, denke ich daran, was Sie über ein
Jahrzehnt versäumt haben. Ich war förmlich von den So-
cken, als ich hörte, dass die Ausflaggungsgebühren nicht
einmal 1 Million Euro betrugen. Wir haben sie jetzt in
einem ersten Schritt auf 10 Millionen Euro angehoben;
die eingenommenen Mittel wurden direkt in den Haus-
halt eingestellt und auch für die Senkung von Lohnne-
benkosten verwendet.

Wir haben eine Vereinbarung mit dem Verband Deut-
scher Reeder zur Ausbildung und zum Ausfahren von
Patenten getroffen: Die Reeder müssen Ablösebeiträge
zahlen, wenn sie nicht selber ausbilden. Das heißt, wir,
die Christdemokraten und die Freien Demokraten, neh-
men die Wirtschaft in die Pflicht: Wenn sie etwas nicht
tut, muss sie im Gegenzug zahlen. Wir sorgen uns um
Ausbildung, Beschäftigung und das Ausfahren von Pa-
tenten; wir sorgen für Nachwuchs. Das heißt, öffentliche
Hand und private Hand handeln gemeinsam. Das ist an
dieser Stelle wirklich eine öffentlich-private Partner-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das, was wir im
Bereich der Piraterie machen, keine Lösung ist. Man
kann ja vorschlagen, dass wir Tausende Bundespolizis-
ten und Bundeswehrangehörige auf Schiffe unter deut-
scher Flagge einsetzen. Man müsste dann schauen, wie
man es macht, vielleicht unter europäischer Flagge. Die
Eigensicherung der deutschen Reeder wird von der Bun-
despolizei massiv unterstützt. Das Bundesverkehrsmi-
nisterium hat mit dazu beigetragen. Es gab hier eine
rechtliche Grauzone; wir haben eine rechtlich saubere
Basis geschaffen. Es ist ein Verdienst von Hans-Joachim
Otto, dass er die Initiative ergriffen hat, hier rechtlich
saubere Regelungen zu schaffen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber wann wirkt denn die Regelung?)


Meine Damen und Herren, die Verordnung ist jetzt
fertig, sie hat 60 Seiten.





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)



(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wirkt sie schon jetzt? Nein!)


Es war ein schwieriger Prozess. Das Problem privater
Sicherheitsunternehmen auf Schiffen unter deutscher
Flagge – unter dänischer oder norwegischer Flagge ver-
hält es sich ähnlich – haben wir gelöst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Auf dem Papier, aber nicht in der Praxis! Die existiert noch nicht!)


– Herr Kollege Beckmeyer, private Sicherheitsunterneh-
men an Bord – das ist ein sehr sensibler Bereich. Wir ha-
ben alles getan, um das durch Verordnung bzw. Gesetz
abzusichern. Die Politik hat hier alles dafür getan, dass
das vernünftig und sauber läuft.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Und wann beginnt es?)


Da lassen wir uns von Ihnen nicht vorwerfen, dass wir
nichts getan hätten.

Letzter Punkt: Schiffsfinanzierung. Man hat gerade
gestern gesehen, dass die Finanzierungsinstrumente des
Bundes greifen: Die KfW IPEX-Bank als Konsortialfüh-
rer finanziert zwei innovative Hightechschiffe für die
niederländische Reederei RollDock, die auf der Werft
Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft gebaut werden, zu-
sammen mit zwei niederländischen Banken mit einem
Kredit von rund 75 Millionen Euro, CIRR-finanziert,
Hermes-gedeckt. Das heißt: Unsere Förderinstrumente
und unsere Finanzierungsinstrumente tragen mit dazu
bei, dass auf deutschen Werften Hightechschiffe im Off-
shorebereich gebaut werden. Dies zeigt: Unsere Instru-
mente greifen, wenn wir sie flexibel und mobil einset-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn hier jemand behauptet – auch einige Haushälter
sind dabei –, dass wir nicht in der Lage sind, flexibel zu
handeln: Wir haben in den letzten Jahren, wenn es darauf
ankam, unsere Förderinstrumente so flexibel gehalten,
dass Milliardenaufträge, über CIRR-Finanzierung und
Hermes-gedeckt, nach Deutschland gekommen sind.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Absolut richtig!)


Unter anderem eine Werft in Niedersachsen profitiert
davon in hohem Maße. Die Beschäftigungseffekte sind
enorm. Wir konnten allein in einem Jahr 23 000 Men-
schen beschäftigen, davon ein Viertel in der Region rund
um Papenburg und die restlichen drei Viertel in ganz
Deutschland. Wenn wir unsere Finanzierungsinstru-
mente einsetzen, hilft das also nicht nur der Küste, son-
dern ganz Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sa-
gen: Gerade was mein Heimatland Mecklenburg-Vor-
pommern betrifft, ist festzustellen, dass der Bund in den
letzten Jahren bis an die Grenze dessen gegangen ist,
was verantwortbar war.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Richtig!)


Jetzt werden Debatten losgetreten, der Bund solle sich
stärker engagieren. Nur ein Hinweis dazu: Die 100-pro-
zentige Tochter der KfW-Förderbank, die KfW IPEX-
Bank, ist auch hier involviert und engagiert. Ich kann für
die Bundesregierung mitsprechen, wenn ich sage: Wir
setzen alles daran, dass Schiffbauaufträge gerade der
schwierigen Region Mecklenburg-Vorpommern zugute-
kommen.

Wir brauchen keine neuen Förderinstrumente, und wir
brauchen schon gar nicht, Herr Beckmeyer, dass der ma-
ritime Standort Deutschland schlechtgeredet wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723208200

Der Kollege Ingo Egloff hat für die SPD-Fraktion das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1723208300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Auf die Bedeutung der maritimen Wirtschaft
mit über 400 000 Arbeitsplätzen und 50 Milliarden Euro
Umsatz ist schon hingewiesen worden. Ich gebe der Kol-
legin Wilms recht, dass wir öfter – und nicht nur aus An-
lass der Nationalen Maritimen Konferenz – dies von die-
ser Stelle aus, vielleicht auch grundsätzlich, diskutieren
sollten. Letztendlich hat die Entwicklung der maritimen
Wirtschaft Auswirkungen auf Arbeitsplätze in ganz
Deutschland.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)



Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1723208400
Die
maritime Wirtschaft stand noch nie so gut da wie
heute. – Ich frage mich, in welcher Wirklichkeit Herr
Ferlemann lebt. Wer gestern das Handelsblatt zum
Thema Schiffsfinanzierung gelesen hat und auch weiß,
dass wir seit 2008 eine Schifffahrtskrise haben, weiß ge-
nauso: Man kann eine solche Behauptung nicht aufstel-
len.


(Beifall bei der SPD)


Herr Ferlemann, Sie loben die Projekte im Zusam-
menhang mit dem Hafenhinterlandverkehr, die angeb-
lich von Ihrer Regierung auf den Weg gebracht worden
sind. Die Autobahn Bremen ist damals unter Minister
Tiefensee in Angriff genommen worden. Die Planungs-
mittel der Y-Trasse sind von drei norddeutschen Bundes-
ländern zur Verfügung gestellt worden.


(Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär: Nein, nur ein Teil!)


– Doch, von Hamburg, Bremen und Niedersachsen;
sonst wäre überhaupt nichts passiert, Herr Ferlemann.

Herr Rehberg, Sie haben eben Herrn Behrendt von
Hapag-Lloyd zitiert. Natürlich hat Herr Behrendt als





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)


Linienreeder ein anderes Interesse als andere Reeder,
weil er von niedrigen Charterraten profitiert. Aber ich
denke, man muss das Schiffsportfolio insgesamt sehen,
das wir in Deutschland haben: 3 900 Schiffe, die in ir-
gendeiner Weise von Deutschland aus gesteuert werden,
über 400 Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren. Wir
müssen feststellen, dass das Problem nicht gelöst ist.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Richtig! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Und ihr glaubt an ihre Lösung? – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Nein, Herr Kollege, aber man muss sich diesen Proble-
men zuwenden.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Dann macht mal einen Vorschlag!)


Vom Verband Deutscher Reeder, vom Zentralverband
Deutscher Schiffsmakler und von Schiffsfinanzierern
hört man, dass die Führung des Wirtschaftsministeriums
am 30. August 2012 zugesagt hat, dass man über diese
Fragen diskutieren will. Trotz mehrfacher Nachfragen ist
da aber nichts passiert. Das erinnert mich an das
Theaterstück Warten auf Godot. Der ist auch nie gekom-
men.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Otto, wir haben schon beim Thema Nord-
Ostsee-Kanal darüber diskutiert, was Ihre Aufgabe als
Maritimer Koordinator ist. Ich werde mich dem Dank
für Ihre Arbeit nicht anschließen; denn ich finde, dass
Sie Ihre Arbeit als Maritimer Koordinator nicht gut ge-
macht haben.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Undank ist der Welten Lohn!)


Bleiben wir einmal beim Thema Schiffsfinanzierung.
Natürlich kann die Bundesregierung dieses Problem
nicht in Gänze lösen; das verlangt auch keiner. Aber
nicht umsonst sprechen Sie in Ihrem gemeinsamen An-
trag den Long Term Asset Value an und sagen, dass mit
der BaFin über solche Dinge geredet werden muss, um
eine andere Bewertung zu erreichen.

Herr Rehberg, ich weiß, dass Sie sich in Bezug auf
die Versicherungsteuer sehr eingesetzt haben; ich bin Ih-
nen auch dankbar dafür. Wenn 30 Container-Reedereien
200 Schiffe in einen Erlöspool einbringen


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich würde das nicht so breit diskutieren! Diesen Rat gebe ich Ihnen, Kollege Egloff!)


und am Ende dabei herauskommt, dass das Finanzminis-
terium darauf eine Versicherungsteuer erheben will, so
ist das nicht zielführend. Ich bin Ihnen dankbar dafür,
dass Sie dieses Thema aufgenommen haben, dass Sie es
angeschoben haben, dass die Überlegungen nun in die
richtige Richtung gehen; aber wir warten auf eine ent-
sprechende Regelung in einer Verordnung oder in einem
Gesetz, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft
nicht wieder passiert.

Meine Damen und Herren, Offshore ist eine unendli-
che Geschichte. Nachdem Frau Merkel mit dem Aus-
stieg aus der Atomenergie ihr Erweckungserlebnis hatte,
hat das Wirtschaftsministerium ein Jahr gebraucht, um
die Frage der Netzanschlüsse zu klären, zumindest auf
dem Papier. Zu fragen ist: Sind die Offshoreanlagen an-
geschlossen? Nein, das sind sie zum Teil nicht. Warum
sind EnBW, RWE und Dong ausgestiegen? Warum wur-
den drei Projekte gestoppt? Wenn Sie mit den Unterneh-
men reden, sagen die: Wenn bei dem Stauchungsmodell
nichts geschieht, werden wir das auch später nicht nach-
holen. – So kann man die Energiewende nicht betreiben.

Herr Beckmeyer hat auf die Finanzierung der Errich-
terschiffe im Offshorebereich hingewiesen; dies war
nicht im KfW-Programm enthalten. In dem Bericht der
Bundesregierung lese ich nun, dass kein Mangel an Er-
richterschiffen bestehe. Nein, natürlich nicht. Warum
nicht? Weil sie fast alle in Dubai, in Korea und in China
gebaut werden und nur zwei in Deutschland, nämlich bei
Sietas. Der Bau eines dieser beiden Schiffe ist sogar
noch gestoppt worden, weil RWE aus dem Projekt aus-
gestiegen ist.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offshore ist doch keine Zukunft, Herr Kollege!)


Meine Damen und Herren, wenn Sie von Wertschöp-
fungsketten für Offshore in Norddeutschland reden,
dann müssen Sie auch den Beweis dafür erbringen. Das
haben Sie nicht getan. Sie haben das Gegenteil gemacht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723208500

Das Wort hat der Kollege Torsten Staffeldt für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1723208600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Beste an der Rede meines Vorredners waren die
Pausen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage es einmal so: Wenn Fachkompetenz die Voraus-
setzung dafür wäre, vor dem Hohen Hause über dieses
Thema reden zu dürfen, dann hätten ohnehin nur die
Kollegen Otto, Ferlemann und Rehberg reden können.


(Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär: Und Staffeldt!)


– Danke. Das wollte ich hören.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben eine interessante Debatte gehabt. Ich freue
mich darüber. Es war übrigens keineswegs die einzige
im Laufe von zwei Jahren. Wenn Sie zurückblicken, wis-





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


sen Sie, dass wir schon häufiger über die Themen der
maritimen Wirtschaft geredet haben, natürlich insbeson-
dere über die Bereiche Schiffbau, Schifffahrt und mari-
time Meerestechnik, aber eben auch über andere Berei-
che. Ich freue mich grundsätzlich, wenn wir über dieses
Thema reden, weil ich wie wohl der Großteil des Ple-
nums der festen Überzeugung bin, dass man sich im
Deutschen Bundestag generell mehr damit beschäftigen
sollte; denn Schiffbau, Schifffahrt und maritime Meeres-
technik sind Zukunftsfelder, bei denen wir gut beraten
sind, Fördermittel zur Verfügung zu stellen und dafür zu
sorgen, dass die Innovationsfähigkeit der unterschiedli-
chen Bereiche erhalten bleibt und ausgebaut wird.

Glücklicherweise gibt es im Bereich des Schiffbaus
nach wie vor weltmarktfähige Unternehmen. Die Werf-
ten in Papenburg und Flensburg wurden schon genannt.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir müssen uns auch um den Rest kümmern!)


Wir haben dort glücklicherweise starke Player, und die
müssen wir erhalten.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wer kümmert sich um den Rest?)


Dazu ist das Bundeswirtschaftsministerium aufgefor-
dert. Deswegen haben wir auch den Maritimen Koordi-
nator dem Wirtschaftsministerium und nicht dem Ver-
kehrsministerium zugeordnet. Ich danke an dieser Stelle
ausdrücklich Hans-Joachim Otto für seine Arbeit, die er
im Laufe der letzten Jahre im Deutschen Bundestag und
in der Regierung für Schiffbau und Schifffahrt geleistet
hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich danke auch Enak Ferlemann und dem Verkehrs-
ministerium, die zusammen mit uns, den interessierten
und begeisterten Parlamentariern, dafür gesorgt haben,
dass die Zukunftsfähigkeit der deutschen Schifffahrt er-
halten bleibt. Dem dient auch unser Antrag, den wir
heute vorgelegt haben. Er listet noch einmal alles Gute
auf, was wir im Laufe der letzten Jahre getan haben. Der
Antrag der SPD zeigt, dass Sie im Grunde genommen
nicht wissen, wie Sie damit umgehen sollen. Es ist nur
von Prüfaufträgen die Rede. Eigentlich finden Sie gut,
was wir gemacht haben. Das sollten Sie endlich zuge-
ben, Herr Beckmeyer.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wünschenswert erscheint mir, dass die Kompetenzen
des Maritimen Koordinators im Hinblick auf die Durch-
setzungsfähigkeit an der einen oder anderen Stelle
gestärkt werden. Denn es ist eine schwierige Aufgabe, in
der Gemengelage zwischen den unterschiedlichen
Ministerien wie Verkehrs- und Umweltministerium die
Sicherheitsbelange sowohl im Inneren wie im Äußeren
– ich denke dabei an den Zoll oder die Deutsche Marine –
als auch im Ernährungsbereich, beispielsweise in der
Fischerei, zu berücksichtigen. Das sind alles Bereiche,
die die maritime Wirtschaft betreffen, und ich wäre
dankbar, wenn wir als Parlament und in der Regierung

dafür sorgen würden, dass die Kompetenzen dahin ge-
hend gestärkt werden.

Die maritime Sicherheit ist ein wichtiges Thema.
Deswegen freue ich mich insbesondere, dass bei der
kommenden Nationalen Maritimen Konferenz in Kiel
das Thema „Maritime Sicherheit“ wieder als Work-
shop VII auf der Tagesordnung steht. Letztes Mal war
das nicht der Fall. Ich denke, gerade im Hinblick auf das
Thema Piraterie ist es wichtig, weiter daran zu arbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir mit der
CDU/CSU die Regierung gebildet und die Aufgabenver-
teilung vorgenommen haben, stand den Reedern und
Schiffbauern das Wasser bis zum Hals. Auf meinem
Schlips sehen Sie die sogenannte Plimsoll-Marke bzw.
Freibordmarke. Sie zeigt, wie weit ein Schiff beladen
werden darf in Abhängigkeit zum Fahrtgebiet, beispiels-
weise im Winter im Nordatlantik oder im Tropenfrisch-
wasser. Zu dem Zeitpunkt, als wir in der Regierung die
Verantwortung übernommen haben, stand den Reedern
und Schiffbauern das Wasser bis zum Hals. Sie waren
kurz vorm Umkippen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind sie abgesoffen, Herr Kollege!)


Durch unsere gute Arbeit, die wir als Parlamentarier und
als Regierung in den letzten Jahren geleistet haben, ist es
uns gelungen, dafür zu sorgen, dass Schiffbau, Schiff-
fahrt und maritime Meerestechnik in Deutschland wei-
terhin eine Zukunft haben.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Es hat sechs Insolvenzen während Ihrer Zeit gegeben! Wissen Sie das eigentlich gar nicht? Schiffe sind ausgeflaggt worden, viele bedrohte Arbeitsplätze! Ein Schwätzer sondergleichen! Setzen Sie sich bloß wieder! Es ist ja nicht zum Aushalten, welchen Unsinn Sie reden!)


Dafür bedanke ich mich recht herzlich.

Ich bin froh und dankbar, dass es auch nach dem
22. September so weitergehen wird; denn wohin rot-
grünes Chaos führt, wenn es um Verkehrsinfrastruktur
geht, sehen wir in Nordrhein-Westfalen und jetzt in Nie-
dersachsen. Das wollen wir für Deutschland nicht, meine
Damen und Herren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723208700

Das Wort hat der Kollege Ingbert Liebing für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1723208800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir heute
im Vorfeld der Achten Maritimen Konferenz diese De-
batte über die maritime Wirtschaft führen und die Kon-
ferenz in Kiel in meinem Heimatland Schleswig-Hol-





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


stein stattfindet, möchte ich zum Abschluss dieser
Debatte gerne mit einem Thema beginnen, das uns in
Schleswig-Holstein besonders am Herzen liegt, nämlich
dem Nord-Ostsee-Kanal.

Wir haben in dieser Woche bereits in der Aktuellen
Stunde am Mittwoch Gelegenheit gehabt, über dieses
Thema zu debattieren.


(Ingo Egloff [SPD]: Da haben Sie schon ordentlich eins an die Backen gekriegt! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das hat geschmerzt!)


Es ist gut, dass wir als Koalition mit unserem Antrag
auch ein klares Bekenntnis zum Nord-Ostsee-Kanal ab-
legen. Damit machen wir deutlich, dass wir handeln und
die Versäumnisse der Vergangenheit bereinigen. Die
Koalition hat mit dem Infrastrukturbeschleunigungspro-
gramm bereits die notwendigen Haushaltsmittel bereit-
gestellt, damit die fünfte Schleuse in Brunsbüttel gebaut
werden kann.


(Zuruf von der SPD: Ramsauer taucht immer noch!)


Der Haushaltsausschuss hat mit den Stimmen der Koali-
tion auch dafür gesorgt, dass mögliche Nachfinanzierun-
gen unproblematisch erfolgen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist gut, wenn die Ausschreibung noch vor Beginn der
Maritimen Konferenz herausgeht. Ich bin sicher, dass
das Bundesverkehrsministerium, Bundesverkehrsminis-
ter Ramsauer und Staatssekretär Ferlemann alles dafür
tun werden, damit nach der Ausschreibung zügig die
Vergabe erfolgt und mit dem Bau begonnen wird. Das
brauchen wir. Das braucht die maritime Wirtschaft als
nationale Wirtschaft. Deswegen sind wir als Koalition
bei diesem Thema gut aufgestellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das sehen wir ja! Vier Jahre Verzug!)


Anschließend müssen, parallel vorbereitet, die nächs-
ten Maßnahmen folgen: die Reparatur der Schleusen, der
Ausbau der Oststrecke und die Vertiefung des Kanals.
Wir wissen, dass das ein Milliardenprogramm ist, das
schwierig zu stemmen ist. Dafür müssen wir alle Kräfte
bündeln.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Mehr Personal bei der Wasserund Schifffahrtsdirektion! Sie bauen das alles ab!)


Deswegen ist es gut, wenn es jetzt ein Aktionsbündnis
aller Beteiligten gibt. Das ist allemal mehr wert als das
Wahlkampfgetöse, das wir von Ihnen zu diesem Thema
zu hören bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Sie haben doch nur wegen der Schleswig-Holstein-Wahl die Hosen voll!)


Auf der Achten Nationalen Maritimen Konferenz
wird ein Schwerpunkt wieder auf dem Bereich der Um-
welt liegen. Schiffe sind – die heutige Debatte ist eine

gute Gelegenheit, noch einmal darauf hinzuweisen – das
sauberste Verkehrsmittel, wenn wir die Relation zwi-
schen transportierter Ladung und Schadstoffausstoß zu-
grunde legen. Auch deshalb, aus diesen ökologischen
Gründen, unterstützen wir als Union die Schifffahrt.

Dabei beschreiten wir manchmal einen schmalen
Pfad. Ich denke zum Beispiel an die Schwefelemissions-
sondergebiete in Nord- und Ostsee, an die SECAs.
Einerseits ist es gut und ein großer ökologischer Fort-
schritt, wenn der Schadstoffgehalt ab dem 1. Januar
2015 in Nord- und Ostsee auf 0,1 Prozent reduziert wird.
Andererseits müssen wir aufpassen, dass höhere ökolo-
gische Standards nicht zu einer Verkehrsverlagerung
vom Schiff auf die Straße führen; denn das wäre ökolo-
gisch kontraproduktiv.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb appelliere ich an die Branche, die Zeit bis zum
1. Januar 2015 – das ist nicht mehr viel Zeit – für Anpas-
sungen zu nutzen. Die technologischen Möglichkeiten,
die die Schifffahrtsindustrie und die Meerestechnik der
Branche anbieten, müssen genutzt werden. Deutschland
verfügt in diesem Bereich über die modernsten Umwelt-
technologien. Bei Neubauten ist das kein Problem; aber
bei Bestandsbauten haben wir Probleme hinsichtlich der
Finanzierung, wenn es darum geht, das wirtschaftlich
darzustellen. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregie-
rung mit der Innovationshilfe für neue Projekte hilft. Wir
haben in unseren Antrag aufgenommen, dass bestehende
KfW-Programme für Nachrüstungen optimiert werden
sollen. Dies hilft ganz konkret.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die maritimen Technologien und die Umwelttechno-
logien im maritimen Sektor bieten gewaltige Chancen
für unsere deutsche maritime Wirtschaft. Das gilt insbe-
sondere für den Bereich der Offshorewindkraft. Wir ha-
ben aber auch erfahren müssen, dass manche Hoffnun-
gen und Erwartungen, die mit der Offshorewindkraft
verbunden wurden, überzogen waren.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war doch absehbar!)


Offshorewindkraft bringt besondere technologische
Herausforderungen und Anforderungen mit sich. Die
Entwicklung dauert länger, und es wird auch teurer als
zunächst erwartet. Deshalb werden wir bis 2020 wohl
kaum die angepeilten 10 Gigawatt erreichen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Weil Ihre Regierung versagt hat! – Gegenruf des Abg. Torsten Staffeldt [FDP]: Sie glauben, jedes Problem mit Geld lösen zu können! Das ist Ihr Problem!)


Ich greife gerne einmal auf, was die Sozialdemokra-
ten zum Thema Offshore gesagt haben. In Ihrem Antrag
fordern Sie uns auf, mehr für den Bereich Offshore zu
tun.


(Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])






Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


– Herr Kollege Beckmeyer, ein Vorschlag: Seien Sie ein-
mal ganz ruhig, und hören Sie zu! Hinterher können Sie
immer noch brüllen. – Der Kollege Egloff hat uns eben
noch einmal aufgefordert, sehr viel mehr im Bereich
Offshore zu tun.


(Ingo Egloff [SPD]: Ich habe Sie auf Ihre Versäumnisse hingewiesen!)


Die norddeutschen Ministerpräsidenten – allesamt mit
SPD-Parteibuch –


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Gott sei Dank!)


haben vor kurzem ein energiepolitisches Papier vorge-
legt. Der SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vor-
pommern, Herr Sellering, hat dieses Papier mit der Auf-
forderung verbunden, sehr viel mehr für den Bereich
Offshore zu tun. Sein Kieler Kollege, Herr Albig, der
das gleiche Papier mitbeschlossen hat, wirft uns vor, wir
würden viel zu viel für den Bereich Offshore tun. Meine
Damen und Herren Sozialdemokraten, was wollen Sie
nun eigentlich? Was stimmt denn jetzt? Sie wissen nicht,
was Sie wollen, und Sie wissen nicht, was Sie tun. Ver-
antwortungsvolle Politik ist das, was Sie hier bieten,
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie müssen das noch einmal nachlesen! Da ist ein Fehler drin bei Ihnen!)


Wir dagegen handeln ganz konkret. Wir unterstützen
die Offshorebranche, wo es notwendig und sinnvoll ist,


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist sträflich vernachlässigt worden!)


weil wir darin eine Zukunftsoption sehen, gerade für die
maritime Wirtschaft. Ich nenne vier Stichworte: das Kre-
ditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau – hie-
rüber werden 5 Milliarden Euro für die Offshorewindparks
bewegt –, die Regelungen in Bezug auf die Haftungsrisi-
ken, mit denen wir Investitionsbremsen lösen, die Rege-
lungen zum Netzanschluss, mit denen wir den Netz-
anschluss verbessern und beschleunigen,


(Ingo Egloff [SPD]: Sie haben eine Regelung, aber keinen Netzanschluss! Das ist das Problem!)


und die Raumplanung in der Ausschließlichen Wirt-
schaftszone, die wir zum Abschluss gebracht haben, da-
mit auch die Probleme hinsichtlich der Nutzungskonkur-
renzen auf dem Meer, die mit der Offshorewindenergie
verbunden sind, gelöst werden können. Das alles sind
konkrete Maßnahmen, die helfen. Für uns besteht kein
Gegensatz zwischen der Förderung von Offshorewind-
energie und Onshorewindenergie. Wir brauchen beides:
Wir brauchen Offshore und Onshore. Dafür stehen wir,
und dafür sorgen wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die Offshorewirtschaft kann und wird ein
Wachstumstreiber der maritimen Wirtschaft in Deutsch-
land sein.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Trotz Ihrer Regierung!)


Deshalb ist es auch verständlich, dass die maritime Wirt-
schaft auf der Maritimen Konferenz mit besonderen
Erwartungen auf dieses Thema blickt. Wir als Unions-
fraktion, wir als Koalitionsfraktionen unterstützen ge-
meinsam mit der Bundesregierung diese Entwicklung
mit ihren Herausforderungen und Chancen. Wir handeln
ganz konkret. So führen wir die maritime Wirtschaft in
eine gute Zukunft.

Ich bin sicher, dass die Maritime Konferenz, die in
14 Tagen – im April – in Kiel stattfindet, den Beweis da-
für liefern wird, wie gut diese Branche aufgestellt ist,
dass sie in eine gute Zukunft gehen und mit Optimismus
in die Zukunft schauen kann. Dies ist auch ein Ergebnis
unserer guten Politik, die wir mit der Bundesregierung
bzw. mit dem Maritimen Koordinator, Herrn Otto – dem
ich auch herzlichen Dank sagen möchte –, gemeinsam
machen. In diesem Sinne wünsche ich dieser Maritimen
Konferenz alles Gute und der Wirtschaft entsprechend
einen guten Erfolg.

Vielen Dank für diese Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723208900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/12817 mit dem Titel „Den Wandel in der maritimen
Wirtschaft begleiten und ihre nationale Aufgabe für den
Wirtschaftsstandort Deutschland herausstellen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 32 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12723 mit
dem Titel „Umsteuern in der Krise – Maritime Wirt-
schaft unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt.

Tagesordnungspunkte 32 c und 32 d. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
17/12823 und 17/12567 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Zusatzpunkt 10. Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Europäische
Tonnagesteuer statt Steuersparmodell“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/12878, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/12697 abzulehnen. Wer stimmt





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als
Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde
– Drucksache 17/12708 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Frank Tempel für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Linke schlägt Ihnen vor, eine Bundesfi-
nanzpolizei zu bilden, das heißt, aus der bisherigen Bun-
deszollverwaltung die Zollfahndungseinheiten und das
Zollkriminalamt herauszulösen. Die Grundlage unseres
Antrags ist ein Thesenpapier der Gewerkschaft der Poli-
zei, also der GdP. Ganz nebenbei: Vorschläge aus Be-
rufs- und Fachverbänden sollten ruhig öfter den Weg ins
Plenum finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Zoll hat zwei zentrale Aufgaben: Erstens geht es
in einem administrativen Teil um die Verwaltung der
Bundessteuern, um die Vollstreckung von Geldforderun-
gen des Bundes und bundesunmittelbarer Körperschaf-
ten und um die Überwachung der Einhaltung von Verbo-
ten und Beschränkungen im grenzüberschreitenden
Warenverkehr. Zweitens geht es – darum soll es hier und
heute gehen – um polizeiliche Aufgaben, also um die
Bekämpfung von Schmuggel, Außenwirtschaftskrimina-
lität, international organisierter Geldwäsche, illegaler
Beschäftigung, Subventionsbetrug und Steuerhinterzie-
hung zum Nachteil der EU und ihrer Mitgliedstaaten.
Diese Straftaten kosten den Staat – da dürften wir uns
wohl alle einig sein – sehr viel Geld. Schätzungen belau-
fen sich auf einen Betrag von 4 Milliarden Euro – das ist
eine vorsichtige Schätzung – bis hin zu einem Betrag
von 50 Milliarden Euro. Allein die Summe des illegal in
die Schweiz verbrachten Geldes wird auf 150 Milliarden
Euro geschätzt.

Was soll nun anders werden? Gegenwärtig ist der Be-
reich für Fahndung und Ermittlung in den 43 Zollfahn-
dungsämtern zersplittert und nur zum Teil örtlich ausge-
richtet, die Vernetzung ist sehr gering, und dann gibt es

auch noch das Zollkriminalamt. Die Folge der Zersplit-
terung ist das Fehlen von Synergieeffekten zwischen den
Ermittlungsstrukturen. Dies wiederum führt zu einer ge-
ringeren Kontrolldichte. Dadurch kommt es zu mehr un-
bemerkten Straftaten und letztendlich zu einem Ausfall
von Steuereinnahmen in erheblichem Umfang. Die Höhe
dieser Steuerausfälle bedient übrigens nicht ganz zu Un-
recht das Bild: Die großen Fische dürfen – zumindest
fast – ungestraft betrügen, die kleinen Fische dagegen
verfolgt man mit großem Aufwand.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Woher haben Sie denn dieses Bild?)


Lassen Sie uns doch in der kommenden Debatte darüber
nachdenken, wie wir auch den großen Fischen besser das
Handwerk legen können!


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Und die kleinen Fische wollen Sie gehen lassen?)


– Das steht in unserem Antrag gar nicht drin; das ist
Blödsinn. Stellen Sie doch eine Frage, wenn Sie fragen
wollen!


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Na, na! Ein bisschen freundlicher könnten Sie aber sein!)


Unser Vorschlag lautet, dieses Problem mit einer
Straffung der Strukturen anzugehen. Es geht überhaupt
nicht darum, etwas völlig Neues zu schaffen. Der ganze
Bereich der bisherigen Zollverwaltung bleibt im Verant-
wortungsbereich des Bundesfinanzministeriums, auch
die Bundesfinanzpolizei. Es erfolgt jedoch eine Aufspal-
tung der bisherigen Bundeszollverwaltung in einen fis-
kalisch-administrativen Teil auf der einen Seite und ei-
nen – ebenfalls selbstständig agierenden – Fahndungs-
und Ermittlungsteil, die Bundesfinanzpolizei, auf der an-
deren Seite. Die Vorteile liegen auf der Hand: stärkere
Vernetzung bei Zusammenarbeit und Informationsaus-
tausch und damit mehr Ermittlungsbreite – es geht also
um die kleinen und um die großen Fische – und eine spe-
zialisiertere Ausbildung mit kriminalistischer Orientie-
rung. Die Trennung von Verwaltung und Ermittlung ist
– auch das ist wichtig – immer ein Fall für die Korrup-
tionsprävention.


(Beifall bei der LINKEN)


Eines möchte ich deutlich machen, weil es in der me-
dialen Berichterstattung zu Missverständnissen gekom-
men ist: Bei unserem Vorschlag geht es nicht darum, in
die Zuständigkeiten und Befugnisse der Länder einzu-
greifen. Es geht auch nicht darum, in die Befugnisse von
Bundespolizei und Bundeskriminalamt einzugreifen; es
geht um Aufgaben, die bereits jetzt in der Zuständigkeit
der Bundeszollverwaltung liegen. Es geht auch nicht da-
rum, die Befugnisse und Eingriffsrechte staatlicher Be-
hörden auszuweiten und Bürgerrechtsstandards zu be-
schneiden; die bisherigen Befugnisse sind ausreichend.
Es geht darum, durch verbesserte Strukturen bzw. durch
eine einfache Strukturmaßnahme den finanziellen Scha-
den durch Straftaten zu verringern. Jede Milliarde mehr,
die dadurch eingenommen wird, kann Kürzungen in den
Bereichen Kultur, Bildung und Soziales verhindern hel-





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)


fen, und das möchte doch hoffentlich jeder hier, auch die
FDP.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich glaube nicht, dass die das wollen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209100

Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1723209200

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der

Umbau der Sicherheitsbehörden unter Berücksichtigung
der Zollverwaltung – Sie hatten das eben geschildert –
ist ein Gedanke, der immer mal wieder, auch heute durch
Ihren Antrag, in das politische Gespräch kam und teil-
weise noch kommt. Die Zielrichtung war, je nachdem,
ob es eine finanz- oder eine innenpolitische Schwer-
punktsetzung gab, unterschiedlich. Ich denke, wir be-
gegnen uns hier durchaus mit großem Respekt.

Im Mittelpunkt standen zumeist – Sie haben das ge-
rade geschildert – ein Stück weit die Herauslösung we-
sentlicher Bestandteile aus dem Gesamtgefüge des Zolls,
insbesondere im Vollzugsbereich, und der Aufbau einer
neuen, anders gearteten Behördenstruktur mit verstärkt
polizeilicher Ausrichtung; ich habe das jetzt einmal ver-
kürzt ausgedrückt.

Ich rede ausdrücklich in der Vergangenheit; denn ge-
nau deshalb hatten wir bereits zu Beginn der laufenden
Legislaturperiode eine eigene Kommission, die soge-
nannte Werthebach-Kommission, damit beauftragt, sich
mit der Struktur der Sicherheitsbehörden eingehend zu
beschäftigen. Ausweislich des Berichts der Werthebach-
Kommission von 2010 kommt eine entsprechende Um-
organisation, die aufgrund der Vielzahl entstehender
Schnittstellen keinen fachlichen Mehrwert hätte, bereits
aus verfassungsrechtlichen Erwägungen und aufgrund
der Kernaufgaben der Zollverwaltung – Sicherung der
Staatseinnahmen und der Sozialsysteme, Schutz von
Staat und Bürgern – nicht in Betracht.

Damit nicht genug: Der Wissenschaftliche Dienst des
Deutschen Bundestages kam kurz danach in einem eige-
nen Gutachten zu einem vergleichbaren Ergebnis, näm-
lich dass die vollzugspolizeiliche Komponente der Zoll-
verwaltung nicht von ihren steuerlich-administrativen
Aufgaben getrennt werden könne. Diese Komponente
stehe in einem unauflösbaren Zusammenhang mit den
Kernaufgaben der Zollverwaltung.

Unabhängig vom Inhalt des Gesagten ist festzuhalten:
Allein damit wird Ihre heutige Forderung nach einer er-
neuten – Sie beschreiben das in Ihrem Antrag – „Eva-
luierung der besonderen Befugnisse und Rechtsgrundla-
gen der Zollfahndung und des Zollkriminalamts“ zur
Feststellung von Schnittstellen mehr als entbehrlich.
Kolleginnen und Kollegen, Sie wärmen hier etwas auf,
was längst geklärt ist. Das Ergebnis – wie vorgetragen –
ist Ihnen auch bekannt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Tempel, man könnte es dabei bewenden lassen;
aber es ist an dieser Stelle einfach zu schön. Sie werfen
dem Zoll obendrein vor – Sie begründen Ihre Initiative
damit; das steht nicht wörtlich in Ihrem Antrag, aber an
anderer Stelle –, es handle sich bei ihm um eine „ineffi-
ziente Institution“, die mitverantwortlich sei an dem in
Ihren Augen massiven Einnahmeproblem in Deutsch-
land.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Oh!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209300

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage zu-

lassen?


Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1723209400

Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209500

Dann halte ich die Uhr an, und der Kollege Tempel

hat das Wort für eine Zwischenfrage.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209600

Frau Kollegin, Sie haben schon mitbekommen, dass

sich meine Äußerung eindeutig auf die Strukturen bezog
und nicht auf die Arbeit der Mitarbeiter?


Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1723209700

Ich habe nur zitiert, was Sie in der Clara, Ausgabe 27

vom 13. Februar 2013, geschrieben haben:

Das liegt … an ineffizienten Institutionen … wie
zum Beispiel dem Zoll.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber Sie haben auch meine Worte gehört?)


– Ich habe sie gehört. – Schauen Sie, Herr Tempel, ich
weiß nicht, was Sie damit bezwecken.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich Ihnen doch erklärt!)


Sie wollen doch Mitarbeiter in Ihrem Sinne motivieren.
Umso unverständlicher ist es, wenn Sie mit solchen Aus-
sagen agieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kommt von den Mitarbeitern!)


Ich meine das gar nicht böse; ich sage nur, was Sie vor-
haben. Es mag meine persönliche Ansicht sein; aber ich
muss schon sagen: Ich betrachte das als einen Schlag ins
Gesicht der 40 000 Zöllnerinnen und Zöllner, die ihrer
täglichen Arbeit mit einem gewissen Stolz nachgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Genau von denen kommt das!)


Herr Tempel, es geht Ihnen um die Einnahmen. Diese,
wie Sie sie nennen, ineffiziente Institution nimmt jedes





Patricia Lips


(A) (C)



(D)(B)


Jahr immerhin die Hälfte der dem Bund zufließenden
Steuern ein: rund 125 Milliarden Euro. Sie hat gefälschte
Ware im Wert von 127 Millionen Euro eingezogen. Sie
hat Schäden durch Schwarzarbeit im Umfang von
750 Millionen Euro aufgedeckt. Sie hat 29 Tonnen
Rauschgift beschlagnahmt. Sie hat 543 000 Personen
und 66 000 Arbeitgeber überprüft. Sie hat 146 Millionen
Schmuggelzigaretten eingezogen. Es muss Ihnen doch
klar sein, dass die Zollverwaltung alles andere ist als
eine ineffiziente Institution, dass hier Menschen sehr gut
und effizient und prozessorientiert ihrer Arbeit nachge-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bundespoli-
zei wie Zoll leisten eine wertvolle Arbeit in einem oft
schwierigen Umfeld.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Also doch!)


Ihnen gebühren unsere Achtung und unser Respekt. Wir
haben uns aus den genannten Gründen dafür entschieden,
bei gemeinsamen Schnittstellen die Zusammenarbeit der
Behörden ganz unmittelbar vor Ort – ob im Einsatz, in der
Ausbildung, beim Training, bei der Ausstattung oder an-
derem mehr – zu intensivieren und zu unterstützen. Diese
Zusammenarbeit ist vielleicht noch nicht in jedem Fall
vorhanden. Aber ich habe zwischenzeitlich, gemeinsam
mit Kolleginnen und Kollegen, mehrfach die Gelegenheit
wahrgenommen, mir das Wachsen dieser Strukturen vor
Ort anzuschauen, und werde gerne weiter daran arbeiten.
Diese Besuche, die Gespräche und die Unterstützung
durch dieses Haus dienen der Motivation deutlich mehr,
als wenn bestehende, durchaus effiziente Strukturen auf-
gelöst werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Ihnen ist schon klar, dass das Thesenpapier von diesen Kollegen kommt?)


– Herr Tempel, es gibt ja auch andere Meinungen an an-
derer Stelle.

Ich habe mich von Anfang an gefragt, wieso ausge-
rechnet die Linke einen solchen Antrag stellt. Immerhin
geht es darin um die Gründung einer Bundesfinanzpoli-
zei, deren Ausrichtung eng an der der Bundespolizei an-
gelehnt ist – bis hin zu einer Verankerung in Gesetzen
ähnlich der der Bundespolizei. Allein in diesem Satz
kam dreimal „Polizei“ vor.

Ihnen persönlich nehme ich das sogar noch ab. Wie
passt das aber zu Folgendem – das sind nur drei Bei-
spiele; gehen Sie ins Internet –: „… Linke attackieren
Chef der Bundespolizei“, „Linke kritisieren Kontrollpra-
xis der Bundespolizei“, „Linke kritisieren Personenkon-
trollen der Bundespolizei“. Dabei erwähne ich gar nicht
erst die zahllosen Meldungen unter den Stichworten
„Die Linke“ oder einfach nur „Polizei“ oder Ihre ver-
schiedenen und durchaus auch kritischen Anfragen zu
dieser Personengruppe hier im Deutschen Bundestag.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP])


Herr Tempel, ich frage mich mit Erstaunen: Was
würde sich bei Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei ei-
gentlich an Ihrem Duktus ändern, und warum sollte sich
in den Reihen Ihrer Partei etwas ändern? Nein, Sie haben
es ja selber erwähnt: Dafür soll es jetzt einen eigenen
Bundesfinanzpolizeibeauftragten geben,


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das klingt schon fürchterlich!)


der die Einhaltung der gesetzlichen Regeln und bürgerli-
chen Standards durch eine Bundesfinanzpolizei kontrol-
lieren soll. So ganz scheinen Sie der von Ihnen beantrag-
ten Behörde dann also doch nicht zu trauen, da Sie den
Bediensteten von Anfang an ein Misstrauen ausspre-
chen; denn für die allgemeine Kontrolle fordern Sie par-
lamentarische Kontrollgremien gleich noch dazu.

Herr Tempel, wenn man an die ganz großen Fische
will, dann gilt am Ende des Tages doch eines: Auf harte
Jungs und Straftaten folgt im Rahmen unserer Gesetze
zwangsläufig auch schon einmal eine harte Kante beim
Vollzug. Das geschieht bereits heute, ist aber nachweis-
lich nicht gerade Ihre Linie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist falsch!)


Würde Ihrem Antrag gefolgt, dann hätte manch einer
mit großer Wahrscheinlichkeit seine helle Freude an Ih-
nen – vermutlich vor allem die ganz großen Fische.

Ich fasse zusammen:


(Iris Gleicke [SPD]: Oh Gott! Auch das noch! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann jetzt nicht viel sein!)


Die Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit ist in
der Tat Grundlage für das Funktionieren unseres Staates.
Es geht um Steuergerechtigkeit, es geht um die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Unternehmen, und es geht natür-
lich um den Vollzug. Bundes- und Zollkriminalamt,
Bundespolizei und Zoll und auch die Landespolizeien
mit ihren vielen Tausend Bediensteten arbeiten in die-
sem Sinne effektiv und prozessorientiert.

Durch eine Umstrukturierung entstünden nach Maß-
gabe der genannten Gutachten nur neue Schnittstellen,
die einen echten Mehrwert verhindern. Manchmal er-
reicht man Effektivität auch mit flexiblen Einheiten in
der Fläche.

Keine dieser Behörden ist statisch verharrend ausge-
richtet, sondern sie richten ihre Arbeit natürlich immer
wieder neu auf die neuen Herausforderungen aus. Das ist
ein dynamischer Prozess.

Unser Ziel sind Formen der vertieften Zusammenar-
beit, wo es notwendig ist bzw. Berührungspunkte gibt.
Wir laden Sie herzlich ein, uns und die Arbeit vor Ort am
weiteren Aufbau zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Bisher haben Sie gar nichts gemacht! Wie soll man das unterstützen?)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723209800

Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1723209900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

All das, was bisher gesagt wurde, ist weder in Gänze
richtig noch in Gänze falsch. Ich denke, es ist wichtig,
noch einmal herauszuheben, dass uns Wirtschaftskrimi-
nalität, Steuerbetrug, Korruption, Geldwäsche und orga-
nisierte Kriminalität vor gewaltige Probleme stellen und
dass sie gewaltige Herausforderungen darstellen, die wir
natürlich angehen müssen, und zwar noch intensiver und
effektiver als bisher.

Wir müssen hier maximal tätig werden. Es wird hier
nämlich ein immenser Schaden angerichtet, und zwar
letztendlich nicht nur vom Betrag her. Es geht hier um
nichts anderes als um die Integrität unserer Volkswirt-
schaften und unserer Staatsfinanzen und auch um das
subjektive Gefühl, dass wir die großen Fische in der Tat
nicht davonschwimmen lassen, sondern hier auch zu-
greifen, wenn es möglich ist.


(Beifall der Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD] und Frank Tempel [DIE LINKE])


Zweifelsohne wachsen die Anforderungen an die Be-
amtinnen und Beamten, die diese Kriminalitätsform und
ihre Folgen bekämpfen sollen. Das betrifft auch den Zoll
und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die trotz ge-
waltiger Arbeitsbelastung großartige Arbeit leisten. Ich
denke, das muss an dieser Stelle und in dieser Debatte
klar herausgearbeitet und erwähnt werden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP])


Der Antrag der Linksfraktion spricht – das will ich beto-
nen – Richtiges und Wichtiges an. Aber sinnvolle Lö-
sungen bietet er aus unserer Sicht nicht. Vieles bleibt un-
term Strich Stückwerk, das nicht zusammenpasst.

Wichtig erscheint mir der Hinweis, dass wir in der
letzten Legislaturperiode Strukturreformen bei der Zoll-
verwaltung in Angriff genommen haben. Jetzt ist die
Frage, ob wir an diesen Ergebnissen schon wieder he-
rumdoktern wollen oder ob wir nicht erst einmal detail-
liert erfassen wollen, wie sich die Reformen auf längere
Sicht bewähren. Ich meine, hier sollten wir in Ruhe ent-
sprechende Verbesserungsspielräume erörtern, ohne aber
auszuschließen, dass wir an den Schnittstellen die eine
oder andere Verbesserung benötigen.

Letztendlich sind Vorschläge in diesem Zusammen-
hang immer willkommen; denn – auch das erscheint mir
wichtig – zollintern sind natürlich noch längst nicht alle
Stellschrauben passend justiert. Das zeigt auch eine von
Verdi zitierte Erhebung aus dem letzten Jahr. Diese Er-
hebung, dieser Bericht sollte uns zu denken geben. Bei
der Mitarbeiterbefragung hat die Hälfte der Beschäftig-
ten auf die Frage, ob sie, wenn sie noch einmal die Ent-
scheidung treffen müssten, zum Zoll gehen würden oder

nicht, geantwortet, nein, sie würden nicht mehr zum Zoll
gehen. Deswegen meine ich, dass wir in der Tat überle-
gen sollten, was wir politisch dazu beitragen können, um
dienstebenenübergreifend für mehr Zufriedenheit zu sor-
gen.

Die Beamtinnen und Beamten brauchen – so ist
meine Meinung – zunächst einmal Erwartungssicherheit,
auch in organisatorischer Hinsicht, und keine unausge-
gorenen Rufe nach einer schnellen Neustrukturierung.
Dies wäre letztendlich weder Fisch noch Fleisch. Das
betrifft eben auch den Antrag der Linksfraktion, den wir
unter dieser Rubrik einordnen müssen. Darin wird nach
einer Bundesfinanzpolizei und nach einem Auflösen von
aufgeblähten Mittelbehörden gerufen. Dazu sagen wir:
Das scheint doch eher ein Schnellschuss zu sein als tat-
sächlich ein konsequent durchdachtes Konzept.

Ich kann das zusammenfassen, indem ich den Bund
Deutscher Kriminalbeamter zitiere, der uns über
Sebastian Fiedler heute seine Stellungnahme hat zukom-
men lassen: Die schwerwiegenden Kriminalitätspro-
bleme und komplexen Bedrohungen erfordern intelli-
gente Lösungen und keine unausgegorenen polemischen
Forderungen wie beispielsweise im Antrag der Links-
fraktion.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Patricia Lips [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210000

Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1723210100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich sind wir uns
einig, dass wir massiv gegen Steuerbetrug, gegen Wirt-
schaftskriminalität vorgehen müssen. Dem Staat entste-
hen jährlich Milliardenverluste durch Finanzkriminalität
und Wirtschaftskriminalität, durch Steuerhinterziehung,
Subventionsbetrug, Geldwäsche, Korruption und
Schmuggel.

Allein circa 30 Milliarden Euro jährlich gehen dem
Staat durch Steuerhinterziehung verloren.

Davon könnten rund 10 Milliarden Euro für den
Staat gerettet werden, wenn die Steuerfahndung ih-
ren Aufgaben angemessen ausgestattet wäre,

schätzt die Deutsche Steuer-Gewerkschaft. Hier stehen
die Länder in der Verantwortung. Hier müssen sie ihrer
Verantwortung gerecht werden. Weitere zweistellige
Milliardenbeträge werden dem Staatshaushalt durch
Wirtschaftskriminalität entzogen. Dagegen geht diese
christlich-liberale Koalition mit aller Macht vor,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


intensiver und konsequenter als je zuvor.





Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben in dieser Legislatur eine ganze Reihe Ge-
setze dazu auf den Weg gebracht, national umgesetzt
oder international angestoßen, zum Beispiel das Gesetz
zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und
Steuerhinterziehung, zum Beispiel die circa 90 Doppel-
besteuerungsabkommen inklusive Informationsaus-
tausch, die wir neu abgeschlossen oder auf den neuesten
Stand der OECD gebracht haben, zum Beispiel das Ab-
kommen mit der Schweiz – Sie haben die Summe von
150 Milliarden Euro deutscher Steuergelder in der
Schweiz angesprochen –, das Sie im Bundesrat verhin-
dert haben, mit dem erstmals sogar rückwirkend eine
Nachbesteuerung von illegalem Geld im Ausland ausge-
handelt wurde.


(Martin Gerster [SPD]: Aus gutem Grund haben wir es abgelehnt!)


Seit 1. Januar 2013 könnten wir bereits die Nachbe-
steuerung auf Altvermögen haben plus eine Abgeltung-
steuer auf alle künftigen Kapitalerträge


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!)


und damit eine Gleichbesteuerung mit Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. KlausPeter Flosbach [CDU/CSU])


Seit Januar könnten Milliardeneinnahmen aus der
Schweiz nach Deutschland fließen, und das Jahr für Jahr.
Dieses Geld fehlt nun dem Bund, den Ländern und den
Kommunen. Es geht Ihnen doch um die Einnahmen,
Herr Tempel.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Richtig!)


Aber das haben SPD, Grüne und Linke im Bundesrat
verhindert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Martin Gerster [SPD]: Aus gutem Grund!)


Sie setzen lieber auf Zufallsfunde und Steuer-CDs als
auf eine flächendeckende Besteuerung.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Straftäter müssen überführt werden, auch mit Hilfe von CDs!)


Eine gleichmäßige Steuererhebung und das Durchset-
zen von Steueransprüchen ist eine Frage der Steuerge-
rechtigkeit; das sollte doch Ihr Thema sein. Gleichmäßig
heißt in Deutschland auch einheitliche Auslegung, Um-
setzung und Durchsetzung des Steuerrechts in allen Bun-
desländern. Es wird immer wieder bemängelt, dass die
einzelnen Landesfinanzdirektionen eine unterschiedliche
Anzahl an Steuerfahndern mit unterschiedlichen Fahn-
dungsschwerpunkten einsetzen und Steuerrecht unter-
schiedlich strikt auslegen. Deshalb forderte die FDP be-
reits 2007 in der Föderalismuskommission II mehr
Weisungsbefugnis der Bundesfinanzverwaltung gegen-
über den Landesfinanzbehörden. Dies fand keine Mehr-
heit, da SPD, Grüne und Linke schon damals lieber zen-
tralisieren wollten und die Länder jede Veränderung
ablehnten.

Die Forderung der Linken in ihrem Antrag ist also
nicht neu: eine Trennung der Zollverwaltung in eine
Bundesfinanzpolizei und in eine administrative Bundes-
finanzverwaltung, beide dem BMF unterstellt. Wir dage-
gen sehen keine Qualitätsverbesserung alleine durch
Zerschlagung, Zentralisierung und Umorganisation von
Behörden. Sinnvoller ist, die Zusammenarbeit der Bun-
des- und Landesbehörden sowie zwischen Bundespolizei
und Zollverwaltung zu verbessern und unsere Behörden
vor allem international noch stärker zu vernetzen.
Schnittstellen müssen klarer definiert, Synergien geho-
ben werden. Auch hier hat diese Koalition bereits gehan-
delt. Die Bundesregierung hat 2010 die Werthebach-
Kommission ins Leben gerufen,


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Die war aber nicht so erfolgreich!)


genau mit dem Ziel, die Aufgaben sowie die Ablaufor-
ganisationen der einzelnen deutschen Sicherheitsbehör-
den auf Bundesebene darzustellen, zu vergleichen und
Vorschläge für eine bessere Verzahnung zu erarbeiten.
Sie kam zu dem eindeutigen Ergebnis – Frau Lips hat es
deutlich ausgeführt –, dass ein Heraustrennen der poli-
zeilichen Aufgaben des Zollvollzugs – was die Linke als
Bundesfinanzpolizei bezeichnet – aus der Zollverwal-
tung mehr Reibungsverluste erzeugen würde, als da-
durch Verbesserungspotenzial zu erwarten wäre.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
auch Sie sollten diese Ergebnisse kennen. Sie stellen hier
eine plakative Forderung auf, die längst geprüft und als
schlecht verworfen ist. Zudem hat das Bundesverfas-
sungsgericht in seiner Entscheidung von 1998 zum Bun-
desgrenzschutz eindeutig klargestellt, dass der Bundes-
grenzschutz „nicht zu einer allgemeinen, mit den
Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausge-
baut werden“ darf. Der Vorschlag der Linken wäre dem-
nach ebenfalls verfassungswidrig. Daran ist einfach
nicht zu rütteln.

Ohne Frage sehen wir die Notwendigkeit, Aufgaben
zu straffen, Kompetenzen klar zu definieren und Doppel-
zuständigkeiten abzubauen; darin sind wir uns einig.
Doch genau dies ist Aufgabe und Ziel der im Januar die-
ses Jahres neu eingerichteten Regierungskommission zur
Evaluierung der Sicherheitsgesetze. Wir sollten die Er-
gebnisse der Arbeit dieser Kommission abwarten.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Gut, dass Sie an diese Kommission erinnern!)


Das ist allemal effektiver, als grundgesetzlich bedenkli-
che Anträge und bereits als schlecht bewertete Vor-
schläge immer wieder zu diskutieren.

Im Ziel sind wir uns einig: Bekämpfung von Steuer-
betrug und Wirtschaftskriminalität sichert dem Staat ihm
zustehende Einnahmen – eine Frage der Haushaltssiche-
rung und eine Frage der Steuergerechtigkeit. Machen Sie
mit!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210200

Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will nur ganz kurz auf das Abkommen mit der
Schweiz eingehen, das Sie, Frau Kollegin Reinemund,
angesprochen haben. Ihre Sicht ist interessant. Warum
haben denn gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aus der Steuerverwaltung und aus dem Justizbereich der
Länder massiv davor gewarnt, ein solches Abkommen
abzuschließen? Gerade weil es verhindert hätte, dass
zahlreiche Straftaten im Bereich der Wirtschaftskrimina-
lität aufgedeckt werden.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Jetzt verjähren sie!)


Das war einer der Gründe, warum wir dieses Abkommen
zu Recht abgelehnt haben, nämlich damit die Ermittlun-
gen möglich bleiben und nicht alles in der Anonymität
versinkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Konkret zu dem Antrag der Linksfraktion: Uns errei-
chen die Hinweise von den Beschäftigten, dass es eine
Unzufriedenheit gibt. Kollege Gerster hat auf die Um-
frage hingewiesen. Sie haben das Gefühl, dass sie ihre
Arbeit nicht so tun können, wie sie sie tun sollten. Das
ist zunächst einmal etwas, was wir auf jeden Fall ernst
nehmen sollten. Es gibt ein zweites Argument – das ist
am Anfang Ihres Antrags genannt –, nämlich dass es
wachsende Aufgaben in dem Themenbereich Wirt-
schaftskriminalität gibt. Tatsächlich können wir – das
zeigen verschiedene Ermittlungen zur Geldwäsche im
Rahmen der Finanzkrise, die teilweise nicht zum ge-
wünschten Erfolg führen – feststellen, dass eine struktu-
relle Unterlegenheit der Behörden besteht.

Jetzt muss man sich fragen, ob der Vorschlag geeignet
ist, diese Probleme wirklich zu lösen. Da gibt es eine
Reihe von Zweifeln. Ich glaube nicht, Frau Lips, dass
die Werthebach-Kommission da schon das abschlie-
ßende Wort gesprochen haben kann. Das ist eine rein
von der Exekutive besetzte Kommission gewesen, die
viele unabhängige Stimmen nicht berücksichtigt hat und
deswegen gerade nicht zu einer Befriedung dieser Dis-
kussion führen konnte.

Trotzdem: Es gibt eine verfassungsrechtliche Tren-
nung, und wir müssen die Frage stellen, ob mit der Ent-
wicklung einer Bundesfinanzpolizei nicht die Frage der
Zuständigkeit des Bundes und der Länder berührt ist. Im
Zweifelsfall sollen die polizeilichen Aufgaben bei den
Ländern sein. Das halten wir für verfassungsrechtlich
richtig und geboten. Man muss sich fragen, ob die Fol-
gen für die Beschäftigten mit dieser Strukturveränderung
dann schon wirklich positiv sind. Es erreichen uns von
den Beschäftigten anderer Institutionen warnende Hin-
weise, dass das Problem damit möglicherweise nicht ge-
löst, sondern verschärft wird. Auch diese Hinweise sind
ernst zu nehmen. Es stellt sich die Frage der Abgrenzung

zu den Aufgaben der Landespolizeien und die Frage, die
Herr Gerster angesprochen hat, nämlich ob man kurz
nach der Reform in der letzten Legislaturperiode jetzt er-
neut an eine Reform herangeht und in welcher Form das
geschehen soll.

Ich finde, dass Ihr Antrag genau diese Abwägung der
verschiedenen Aspekte nicht vornimmt und nicht zeigt,
wie die Strukturveränderung zu einer wirklichen Pro-
blemlösung führt, ohne neue Probleme aufzuwerfen. Ge-
nau deswegen glaube ich, dass dieses Thema einer wei-
teren Diskussion bedarf.

Es gibt tatsächlich ein Nebeneinander von verschie-
denen Institutionen. Uns erreichen Hinweise, dass es
teilweise schwierig ist, zu einer guten Zusammenarbeit
zu kommen. Aber lassen Sie uns das etwas gründlicher
anschauen und dann mit einem Diskussionsprozess be-
ginnen, der wirklich die verschiedenen Stimmen berück-
sichtigt und nicht nur auf wenige Stimmen Bezug nimmt
und damit keine Zufriedenheit bei den Beschäftigten
schafft. Da hat die Koalition meines Erachtens das Nö-
tige noch nicht getan. Darauf weisen Sie zu Recht hin.
Aber die Lösung, die Sie vorschlagen, ist unseres Erach-
tens noch nicht zustimmungsfähig.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210300

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Michael Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1723210400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist in der Tat vieles im Bereich unserer ge-
samten Sicherheitsarchitektur nicht richtig sortiert und
zugeordnet. Das gilt auch für den Zoll und in besonde-
rem Maße für den sogenannten waffentragenden Zoll.
Wenn man sich beispielsweise überlegt, dass immer
noch, nachdem bekannt wurde, dass bei der Fracht in
Passagiermaschinen vieles nicht so läuft, wie wir es uns
wünschen würden, der Kompetenzstreit um Stellen und
Zuordnung zwischen dem Finanzministerium, dem Ver-
kehrsministerium und dem Bundesinnenministerium
tobt, wird klar, dass keiner sagen kann: Mit dem Zoll,
seiner Aufgabenwahrnehmung und seiner Zuordnung ist
alles in Ordnung. Aber das haben nicht die Beamtinnen
und Beamten am Frankfurter Flughafen oder anderswo
zu verantworten, sondern eine Bundesregierung, die
nichts anderes tut, als um Stellen zu streiten und das
Kompetenzgerangel auf dem Rücken der Beamtinnen
und Beamten auszutragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb meine ich: Wir müssen gemeinsam den Mut
haben, in Fragen der Sicherheitsarchitektur eine Aufga-
benkritik überall und an jeder Stelle vorzunehmen. Dazu
gehört unbedingt der Zoll. Wenn nun immer wieder das





Michael Hartmann (Wackernheim)



(A) (C)



(D)(B)


Stichwort „Werthebach-Kommission“ fällt, sei dazu aus
meiner Sicht eines gesagt: Fragen Sie doch bitte mal den
Herrn Werthebach, was er heute von seinen damaligen
Auftraggebern hält. Er wurde vorgeschoben, durfte zu-
sammen mit anderen hochmögenden ehemaligen Präsi-
denten von Sicherheitsbehörden nachdenken, musste be-
stimmte Fragen tabubewusst ausklammern und wurde
dann, nachdem das Ganze präsentiert worden war, sofort
zurückgepfiffen. Es ist gar nichts daraus geworden.

In der Frage des Zolls wurde die Aussage getroffen:
Bitte gar nicht erst anfassen. Genau das ist verkehrt. Man
muss sich auch den Problemen der Abgrenzung stellen.
Man darf nicht von vornherein Tabus schaffen und sa-
gen, die Sache sei erledigt. In der Tat: Der Zoll ist eine
wichtige Sicherheitsbehörde unseres Landes.

Wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären wol-
len, dass zum Beispiel die Bekämpfung von Drogen-
schmuggel, die Bekämpfung von Schleuserkriminalität,
die Bekämpfung von illegalen Aktivitäten organisierter
Kriminalität auch mit dem Instrument der Onlinedurch-
suchung und mit verdeckten Ermittlern wahrgenommen
wird, und dann fragen würden: „Wer macht das denn?“,
würden, glaube ich, die meisten Bürgerinnen und Bürger
antworten: Das macht doch die Polizei. Ob Bundes- oder
Landespolizei oder Bundeskriminalamt, sei einmal da-
hingestellt. Nein, das alles macht der Zoll. Deshalb muss
es erlaubt sein, zu fragen, ob der Zoll, der so weit im Be-
reich der Gefahrenabwehr, der unmittelbaren Gewalt,
der verdeckten Maßnahmen tätig ist, nicht tatsächlich
auch besser und geordneter als Polizei verstanden wer-
den muss, als das in der Vergangenheit der Fall war. In-
sofern ist die Fragestellung im Antrag der Linken unbe-
dingt eine berechtigte.


(Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Allerdings sind wir der Meinung, dass es sich lohnt,
alles genau anzuschauen und nicht sofort Ergebnisse zu
präsentieren; denn wir sind beispielsweise dann in einem
Feld, das der intensiven Diskussion bedarf, wenn wir
fragen: Was kann durch den Gesetzgeber eigentlich vor-
gegeben werden? Wo sind wir in Bereichen, die der Or-
ganisations- und Personalhoheit der Ministerien unter-
liegen, in denen das Parlament gar nichts zu sagen hat?
Wo kommen wir in Bereiche hinein, die durch das
Grundgesetz klar dem bisherigen Zoll zugewiesen sind?

Jetzt ist mir völlig klar, dass – ganz gleich, wer regiert
und wer wo Minister ist – niemand sich eine so schmu-
cke Truppe so einfach aus dem Ressort herausschneiden
lässt. Zugleich stellt sich allerdings die Frage, ob es
sachadäquat ist, allein dem Finanzminister bestimmte
Aufgaben einer eigentlich polizeilich orientierten Be-
hörde zuzuordnen. Deshalb sind wir der Meinung, lieber
Frank Tempel: Es ist nicht richtig, zu sagen: „Wir brau-
chen ein Sonderkontrollgremium für diese Einheiten“,
sondern das muss schon im klassisch parlamentarischen
Verfahren weiterlaufen.

Wir sind auch keineswegs der Meinung, dass die ge-
samte Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nun bei
dieser zukünftigen Bundesfinanzpolizei angesiedelt sein
sollte, sondern wir meinen, eine strenge und an der Auf-

gabe orientierte Kritik muss an der einzelnen Wahrneh-
mung im Sicherheitsbereich erfolgen. Dann kann man zu
gescheiten und zielführenden Lösungen kommen.

Insofern ist es gut, wenn wir mit den Freunden der
GdP, der DPolG, des BDK reden. Aber wir sollten als
Parlamentarier nie einfach deren Position übernehmen,
sondern eigenständig in der Gesamtschau prüfen. Wir
sollten im Übrigen auch nie sagen: Die Welt ist gut, so
wie sie ist. Meine Damen und Herren von der Koalition,
sie kann immer noch besser werden, auch beim Zoll.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Aber mit dieser Koalition!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12708 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP
wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Die
Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innen-
ausschuss.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Fe-
derführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bun-
desregierung und Deutschem Bundestag in
Angelegenheiten der Europäischen Union

(EUZBBG)


– Drucksache 17/12816 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Bernhard Kaster für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1723210600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Welch wunderbare Abkürzung – EUZBBG:
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Euro-
päischen Union. Für die Bürgerinnen und Bürger können
wir das einfach übersetzen: Es geht um ein Mitsprache-
gesetz, ein europäisches Mitsprachegesetz.

Im vergangenen Jahr hat das Bundesverfassungsge-
richt Leitsätze zu den Informationspflichten, zum Um-
fang, Zeitpunkt und zu der Qualität der Unterrichtung
zwischen Bundesregierung und Bundestag entwickelt.
Wir haben damals dieses Urteil, so auch unser Fraktions-
vorsitzender, ausdrücklich begrüßt.

Eine Neufassung des bisherigen Beteiligungsgeset-
zes forderte das Gericht nicht. Der Grundsatz des Bun-
desverfassungsgerichts lautet: Je mehr Kompetenz auf
die europäische Ebene verlagert wird, desto mehr Kon-
trollrechte der Parlamente muss es geben. – Das ist der
Hauptleitsatz des Verfassungsgerichtsurteils.

Deshalb haben wir uns im vergangenen Jahr frak-
tionsübergreifend darauf verständigt, ein neues Beteili-
gungsgesetz in Angelegenheiten der Europäischen
Union auf den Weg zu bringen. Es freut mich, dass es
gelungen ist, heute einen gemeinsamen Vorschlag aller
Fraktionen in das Parlament einzubringen. An dieser
Stelle sage ich ein ausdrückliches Danke an alle, die da-
ran mitgewirkt haben, an alle Beteiligten, die diesen Ge-
setzentwurf in der Arbeitsgruppe erarbeitet haben. Herz-
lichen Dank dafür!


(Beifall im ganzen Hause)


Danke sage ich auch deshalb, weil dieser Gesetzent-
wurf sowohl aus dem Blickwinkel des Bundestages wie
auch der Regierung zu betrachten ist. Er ist ebenso unab-
hängig vom derzeitigen Rollenverständnis zu betrachten,
ob Regierungsfraktion oder Oppositionsfraktion – in der
fernen Zukunft mögen die Rollen vielleicht auch einmal
wechseln.


(Zuruf von der FDP: Keine Drohungen!)


Aber um das an dieser Stelle klar zu sagen: Es geht
um die frühzeitige und vollständige Unterrichtung des
ganzes Parlamentes, um – wie es unser Bundestagspräsi-
dent formuliert hat – der „zentralen Stellung des Bundes-
tages als Ort der öffentlichen politischen Auseinander-
setzung und der rechtsverbindlichen Entscheidung“
gerecht zu werden. Es geht um unseren Beitrag zur „de-
mokratischen Legitimation der EU“. Darum geht es auch
hier im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herausgekommen ist ein Gesetz, das – und das halte
ich für sehr wichtig – die notwendige Balance wahrt
zwischen der parlamentarischen Kontrolle und Mitwir-
kung einerseits sowie der Eigenverantwortung und
Handlungsfähigkeit der Exekutive andererseits. Diese
Balance war uns auch ein Anliegen in den Gesetzes-
beratungen. Wir schaffen damit mehr Transparenz durch
stärkere Kontrolle und mehr demokratische Legitimation
durch parlamentarische Mitwirkung. Die Regierung
– um das abschließend dazu zu sagen – benötigt Hand-
lungsfähigkeit und parlamentarische Rückbindung glei-
chermaßen. Beides gehört zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Einen besonderen inhaltlichen Hinweis will ich noch
geben: Auch die Beteiligung des Parlamentes beim
Thema Einführung des Euro in einem Mitgliedstaat ist
durch eine Einvernehmensregelung in einem eigenen
Absatz noch einmal gestärkt worden. Ich denke, das ist
ein wichtiges Element.

Die wesentlichen Neuerungen liegen auch darin, dass
die Unterrichtungspflichten auf völkerrechtliche Ver-
träge und Regierungsvereinbarungen ausgedehnt worden
sind, sobald diese in einem besonderen Näheverhältnis
zur Europäischen Union stehen. Die Unterrichtungs-
pflichten umfassen alle Ebenen. Dabei ist natürlich klar,
dass die Informationsqualität, die Informationstiefe in
dem Maße zunehmen, in dem man sich im Laufe eines
Prozesses der politischen Entscheidungsebene nähert.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes sind überzeugte Europäer.
Sie stehen hinter Europa. Sie leben auch Europa, und sie
leben es – das sehe ich auch in meiner Heimat – mit gro-
ßer Selbstverständlichkeit. Aber gerade in den vergange-
nen Jahren sind Themen zum Euro aufgekommen – das
beschäftigt uns ja auch aktuell in dieser Woche – wie
Schuldenkrise oder Rettungsschirm. Thema war aber
auch manche Richtlinie, die wir diskutieren, etwa die
Trinkwasserrichtlinie oder aber auch die Richtlinie, in
der es darum ging, wie Feuerwehrkräfte in die Arbeits-
zeitrichtlinie zu integrieren sind. Hier wären viele The-
men aufzuzählen.

Wenn es um diese Themen geht, fragen viele der Bür-
ger uns Bundestagsabgeordnete: Blickt ihr da noch
durch?


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir ja!)






Bernhard Kaster


(A) (C)



(D)(B)


Seid ihr da genügend eingebunden? Bestehen da genü-
gend Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten? Ich
denke, mit diesem Gesetz können wir zumindest eine
bessere Antwort auf diese Fragen geben, was Mitwir-
kung, Unterrichtung und Kontrolle angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist auch unsere parlamentarische Aufgabe in
Deutschland, für Europa Subsidiarität, gewollte Vielfalt
wie auch nationale Besonderheiten im Blick zu behalten.
Wenn erst einmal die Fristen für eine Subsidiaritätsrüge
oder eine Subsidiaritätsklage zu laufen beginnen, ist es
meist schon zu spät. Deswegen muss das politische Han-
deln des Bundestages frühzeitiger einsetzen; das bedingt
entsprechende Informationen.

Ich will zum Schluss nicht übertriebenes Pathos ver-
breiten, aber ich möchte persönlich sagen, dass wir mit
diesem Gesetz sehr wohl, vielleicht auch modellhaft in
Europa, einen Weg aufzeigen, wie man parlamentarische
Mitwirkung, parlamentarische Kontrolle und damit die
vom Bürger ausgehende demokratische Legitimation
europäischer Entscheidungen besser gestalten und stär-
ken kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210700

Der Kollege Axel Schäfer hat nun für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1723210800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist ein besonderer Tag für unser Parlament, und
zwar aus vier Gründen:


(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Der erste Punkt ist: Es geht um das Selbstverständnis
unseres Hauses. Unser Selbstverständnis lautet: Wir
wollen und wir müssen und wir werden parlamentari-
sche Rechte gemeinsam wahrnehmen. Zu diesem Zweck
sind wir auch in der Lage, über Fraktionsgrenzen, über
die Konstellation von Regierung und Opposition hinaus-
zugehen. „Denken“ heißt auch immer „überschreiten“.
Wir haben das überschritten, indem wir es geschafft ha-
ben, dass ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP,
CDU/CSU, Grünen, Linken und SPD vorgelegt wurde.
Das ist nicht nur ein Wert für uns; das ist auch ein Wert
an sich für die parlamentarische Demokratie. Darauf
sollten wir in diesem Hause gemeinsam stolz sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch ein Beispiel dafür, dass Gesetzgebung al-
lein durch Parlamentarierinnen und Parlamentarier mög-

lich ist – das heißt, es gab nicht irgendwelche Vorlagen,
die uns die Regierung oder wer auch immer geschrieben
hat – und dass wir in der Lage sind, Sachkompromisse
zu finden. Das ist ganz besonders wichtig: Sachkompro-
misse zu finden.

Jetzt möchte ich etwas machen, was im Parlament
sehr oft vergessen wird, nämlich mich einmal bei denen
bedanken – an dieser Stelle muss ich in mein Manuskript
gucken –, die für das Zustandekommen eine wichtige
Arbeit geleistet haben, nämlich bei unseren Referentin-
nen und Referenten, die uns wirklich ausgezeichnet un-
terstützt haben.


(Beifall im ganzen Hause)


Namentlich sind zu nennen: Paul Göttke von der CDU,
Dr. Fabian Schulz von der SPD, Jakob Redl von den
Grünen, Jens Lorentz von der FDP und Janeta Mileva
von der Linkspartei. Ganz herzlichen Dank an dieser
Stelle!


(Beifall im ganzen Hause)


Es wird ja sehr oft vergessen, aber wer sich mit europäi-
schen Zusammenhängen beschäftigt, erlebt das jeden
Tag: Unser Deutscher Bundestag ist deshalb so stark und
kann sich in einzelnen Fragen so stark machen, weil er
das bestausgestattete Parlament in der EU ist, und zwar
hinsichtlich unserer Strukturen und unserer Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter. Das kommt hinzu. Auch darauf
müssen wir achten und dürfen nicht nur das im Blick ha-
ben, was wir selbst machen und können.


(Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Zuruf von der FDP: Ach, Manuel!)


– Gerne, Manuel. – Ach so, Frau Präsidentin.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723210900

Bei so viel Einigkeit habe ich nicht mit einer Meldung

gerechnet. Aber der Kollege Sarrazin hat für eine Be-
merkung oder Frage das Wort.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723211000

Herr Kollege Schäfer, sind Sie bereit, hier auch zu

würdigen, dass von unserer Fraktion auch das Justizia-
riat maßgeblich beteiligt war, vor allem in Person von
Herrn Tabbara?


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir können auch noch einen nennen!)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1723211100

Das mache ich gerne. Die anderen Namen hatte man

mir aufgeschrieben. Ihr wisst ja: die lieben Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter. Vielleicht hat da jemand gefehlt.

Der zweite Punkt nach dem Selbstverständnis ist die
Selbstkritik. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht al-
lein aus unseren Erkenntnissen und guten Ideen entstan-
den,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!)






Axel Schäfer (Bochum)



(A) (C)



(D)(B)


sondern auch aus schlechten Erfahrungen, respektive ei-
ner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, et-
was zu tun.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!)


Das ist schon eine klare Ohrfeige für die Haltung der Re-
gierung, die uns weismachen wollte, ESM und andere
wichtige Verträge wären keine europäischen Angelegen-
heiten, weil sie in den europäischen Verträgen gemein-
schaftlich nicht vorkommen. Das war falsch. Dass uns
erst ein Gericht darüber belehren musste, sollte – so rich-
tig und wichtig es war – in Zukunft nicht mehr notwen-
dig sein. Wir sollten schon Manns und Frau genug sein,
gemeinsam darauf zu kommen, und zwar egal, in wel-
chen Regierungs- und Oppositionskonstellationen wir
uns befinden.

Es gehört auch dazu, zu sagen: Jawohl, die Kollegin-
nen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben ge-
klagt. Zum einen Glückwunsch, dass sie es gemacht ha-
ben, zum anderen Glückwunsch, dass dies zum Erfolg
für uns alle geführt hat. Vielen Dank!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Es dürfen auch die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der FDP klatschen. Ich finde, das gehört
auch dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Der dritte Punkt: Aus dieser Erfahrung muss eine
Selbstverpflichtung für das ganze Haus entstehen.
Selbstverpflichtung heißt, dass wir in Zukunft die Dinge,
die wir von der Regierung erwarten und die wir auch
kontrollieren, immer zu unserer eigenen Sache machen.
Das heißt, dass wir uns auf der Grundlage der Informa-
tionen und der Berichte, die uns vorliegen, selbst zu
mehr Stellungnahmen dieses Hauses verpflichten. Die
entsprechenden Diskussionen müssen nicht immer nur
an Fraktions- oder Koalitionsgrenzen entlang verlaufen.
Wir müssen darüber hinaus überlegen, ob wir gemäß
Art. 45 Grundgesetz dem Europaausschuss häufiger die
Möglichkeit einräumen, die Rechte des Bundestages
wahrzunehmen; Stichwort: plenarersetzende Beschlüsse.
Auch das ist ein wichtiger Punkt, der leider sehr oft ver-
gessen wird.

Es gehört aus meiner Sicht auch dazu, zu überlegen,
ob wir auf der Grundlage des Art. 45 Grundgesetz einen
neuen Querschnitts- oder Unterausschuss schaffen, um
das zu erreichen, was bei der Änderung des Grundgeset-
zes vor über 20 Jahren noch nicht bedacht wurde, näm-
lich neue parlamentarische Möglichkeiten der Kontrolle
bei Entscheidungen im Bereich der Finanzen und der
Wirtschaft in der EU zu schaffen. Es reicht ja nicht, dass
wir uns immer über Zuständigkeiten – Unterrichtungen
etc. – streiten, also sozusagen über die innere Architek-
tur. Vielmehr kommt es auch auf die gemeinsame Hand-
lungsfähigkeit nach außen an.

Dazu gehört auch – die Vorsitzende des Haushaltsaus-
schusses, Frau Merkel von der SPD, hat dies schon zu
Recht eingefordert –, dass wir uns dafür einsetzen müs-
sen, dass das Kalendarium innerhalb der EU zwischen
den nationalen Parlamenten und dem EP so ausgestaltet
wird, dass wir als Parlamente einmal im Jahr mindestens
eine Woche gemeinsam tagen können, um uns zu beraten
und zu positionieren. Auch das würde dazu führen, dass
wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Europa gemein-
sam besser handlungsfähig werden. Das sollten wir uns
in diesem Hause überlegen.

Es gibt auch immer Erinnerungen an bestimmte Er-
fahrungen. Das will ich ganz offen sagen: Zu Zeiten der
Großen Koalition haben wir, CDU/CSU und SPD, es
hinbekommen, dass sich alle Fraktionen gemeinsam auf
die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bun-
destag in EU-Angelegenheiten verständigt haben. In die-
ser Legislaturperiode ist der vorliegende Gesetzentwurf
übrigens der erste, bei dem das wieder möglich war.

Am Ende, als alles beschlossen war, habe ich den
Vorsitzenden meiner Fraktion, den unvergessenen Peter
Struck – ein Vollblutparlamentarier –, gefragt: Peter, was
sagst du denn zu dem, was wir hier an Beteiligungsrech-
ten für den Bundestag zustande gebracht haben? Er hat
mir geantwortet: Axel, ich hätte euch nicht so viel zuge-
standen. – Wie es der Zufall so will, habe ich an diesem
Tag auch den Kollegen Kauder getroffen. Da habe ich
mir gedacht: „Na ja, wir sind ja in einer Koalition“, und
fragte Herrn Kauder – auch ein Vollblutparlamentarier –:
Was sagen Sie denn zu dem, was wir hier für den Bun-
destag erreicht haben? Daraufhin antwortete er mir: Ich
hätte Ihnen nicht so viel zugestanden. – Ich glaube, das
ist jetzt sieben Jahre her. Es gibt insgesamt einen Be-
wusstseinswandel, hoffentlich auch beim Kollegen
Kauder, der zu der Einsicht führte: Wir müssen als Parla-
ment in europäischen Angelegenheiten gemeinsam
engagierter sein. Wir sollten nicht nur sagen: Oh, das ist
Sache des Europaausschusses. – Es ist Sache des Parla-
ments insgesamt.

Europa wird nur demokratisch und damit auch parla-
mentarisch gelingen. Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen
und Kollegen, diese neuen Möglichkeiten gemeinsam
nutzen und es als Verpflichtung verstehen, andere in un-
seren eigenen Fraktionen – das soll in allen fünf Fraktio-
nen so sein – davon zu überzeugen. Auch diejenigen, die
ab September an der Regierung sind – wir von SPD und
Grünen wollen gemeinsam regieren –, sollen sich wirk-
lich daran halten.

Vielen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723211200

Der Kollege Dr. Stefan Ruppert hat für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1723211300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Auch ich finde es gut – das sollten wir Parla-
mentarier immer wieder herausstellen –, dass es uns ge-
lungen ist, in dieser Frage einen ganz breiten parteipoli-
tischen Konsens zu finden und die unterschiedlichen
Interessen, aber auch die unterschiedlichen politischen
Vorstellungen vom Gelingen eines gemeinsamen Arbei-
tens von Exekutive und Legislative unter einen Hut zu
bringen. Da er es nicht für sich selbst tun kann, ist es,
wie ich finde, an der Zeit, Herrn Kaster zu danken, der
all das ausgesprochen gut und kollegial koordiniert hat.
Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)


Jetzt könnte man sich überlegen, was eigentlich wäre,
wenn diese Debatte – ich nehme ein Beispiel – am
1. August 2009 stattgefunden hätte. Wer sich nicht mehr
so genau erinnert, was da war, dem sei gesagt: Kurz zu-
vor war das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsge-
richts verkündet worden. Liebe Kollegen von SPD und
Grünen, ich will es Ihnen jetzt ersparen, Ihnen Ihre
damaligen Reaktionen auf das Lissabon-Urteil vorzuhal-
ten. Wegen Äußerungen des Ihnen vermeintlich, wahr-
scheinlich sogar tatsächlich nicht nahestehenden Bericht-
erstatters haben Sie damals von „dumpfen nationalen
Tönen“ oder zumindest „Untertönen“ gesprochen. Sie
waren darüber besorgt, ob nun wieder „am deutschen
Wesen die Welt genesen“ solle. Es gab breite Empörung
in Ihren Reihen darüber, wie man darauf kommen
könne, etwas so Gutes wie die europäische Integration
dadurch zu behindern, dass man nationalen Parlamenten
mehr Rechte einräumt.

Von dieser Vorstellung, dass es ein Malus für die
europäische Integration sei, wenn man den Deutschen
Bundestag stärke, haben Sie sich zum Glück innerhalb
kürzester Zeit wieder entfernt, mit einer 180-Grad-Dre-
hung bei Ihren politischen Aussagen. Sie sind dann sehr
schnell – wie ich finde, aus guten Gründen – auf die Sys-
tematik eingestiegen, die mit dem Lissabon-Urteil ange-
stoßen worden ist.

Der Deutsche Bundestag hat sich viele Jahrzehnte
nicht um seine Beteiligungsrechte bei der europäischen
Integration gekümmert, anders als die Länder, die durch-
aus schon früher einen Blick darauf hatten. Erst als uns
das Karlsruher Urteil diese Mitwirkungsrechte einge-
räumt hatte – das Lissabon-Urteil ist hier zentral –, ha-
ben wir uns verstärkt um unsere Teilhaberechte geküm-
mert.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sachlich falsch!)


– Sie können eine schöne Gesetzeskommentierung von
mir dazu lesen. Ich kann Ihnen sagen, wann die ersten
Initiativen aus Ihrer Fraktion dazu kamen und wie die
ersten Debatten im Jahr 2009, kurz vor dem Lissabon-
Urteil, noch verlaufen sind.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: BBV 2006! Nachlesen!)


Heute sind wir zum Glück einen Schritt weiter. Aber
wir stellen auch fest: Zahlreiche Möglichkeiten der Be-
teiligung der nationalen Parlamente, über die wir heute
verfügen, erweisen sich bisher als relativ stumpfe
Schwerter – ich nenne die Subsidiaritätsrüge, aber auch
die Subsidiaritätsklage –, weil wir feststellen, dass die
parlamentarischen Abläufe und die Koordinierung mit
anderen europäischen Parlamenten faktisch so zeitauf-
wendig sind, dass die dort vorgefundenen Fristen in der
Regel nicht ausreichen, um etwas auf die Beine zu stel-
len.

Umso wichtiger ist es, dass wir im Gesetzentwurf
zum EUZBBG nicht so sehr auf formale Mittel setzen.
Sie sind auch wichtig, aber es geht mehr darum, dass
eine Exekutive zu jedem Zeitpunkt einer Debatte unter-
richtet. Sie informiert also das Parlament, den Deutschen
Bundestag; er nimmt diese Informationen auf und be-
wertet sie politisch. So können die Koalitionsfraktionen
ihrer eigenen Regierung sagen oder auch die Opposi-
tionsfraktionen signalisieren, inwieweit man bereit ist,
den Weg auf europäischer Ebene mitzugehen. Diese Tei-
lung von Kontrolle, Legitimation und Ermächtigung ist
im Gesetzentwurf zum EUZBBG genau richtig gewählt.
Deswegen stimmen wir aus voller Überzeugung zu.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren
Punkt ansprechen. Wir sollten die Schrauben nicht über-
drehen. Es gibt durchaus Bereiche exekutiven Handelns,
die von der Exekutive allein wahrgenommen werden
müssen. Es gibt einen Kernbereich exekutiven Handelns,
den wir ernst nehmen sollten. Wer schon einmal Ver-
handlungen auf europäischer Ebene erlebt hat oder über
diese berichtet bekam, der weiß, dass man in solchen
Verhandlungen nicht alles bis ins kleinste Detail deter-
minieren, kontrollieren oder voraussagen kann.

Insofern ist festzuhalten: Der heute vorgelegte Ge-
setzentwurf findet auch hier ein ausgewogenes Verhält-
nis zwischen exekutivem Kernbereich auf der einen
Seite und parlamentarischen Kontrollrechten auf der an-
deren Seite.

Ich muss zugeben: Einmal wäre ich gerne Grüner ge-
wesen.


(Zuruf von der LINKEN: Das kann man noch ändern! – Heiterkeit des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Ich hätte das Gesetz, offen gesagt, lieber zu einem Zeit-
punkt auf den Weg gebracht, als uns Karlsruhe noch
nicht dazu aufgefordert hat. Es ist immer besser, wir ma-
chen Gesetze selbst, als Handlungsaufträge aus Karls-
ruhe zu bekommen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das war damals – das sage ich ganz versöhnlich – noch
nicht gemeinsamer Verhandlungsstand. Wir sind etwas
später aufgebrochen, aber dafür haben wir umso bessere
Ergebnisse erzielt.

Vielen Dank.





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723211400

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt erzähl mal, warum ihr immer zustimmt!)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723211500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir bringen den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in
den luftleeren Raum ein, sondern wir diskutieren dieses
Thema immer auch im Hinblick auf die konkrete Situa-
tion in Europa. Wir kommen ja nicht drumherum, zuzu-
geben, dass Europa tatsächlich in einer tiefen Krise
steckt und dass sich immer mehr Menschen von diesem
Europa abwenden. Ob Sozialabbau, Rekordarbeitslosig-
keit, fehlende Investitionen in Bildung, Gesundheit oder
Infrastruktur: Insbesondere in Südeuropa gehen immer
mehr Menschen auf die Straße, weil sie den Eindruck
haben, dass der Europäische Rat und die EU-Kommis-
sion diese Politik der Europäischen Union diktieren. Sie
haben auch das Gefühl, dass ihre nationalen Parlamente
nicht in dem Umfang mitsprechen können, wie sie das
unter demokratischen Gesichtspunkten eigentlich gerne
sehen würden. Ich glaube also, wir müssen auch im
Lichte der aktuellen europäischen Entwicklung den
heute vorliegenden Gesetzentwurf beraten.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele haben den Eindruck, dass nicht mehr die Parla-
mente, sondern die Finanzmärkte, die Banken und die
Großkonzerne über die Zukunft der Europäischen Union
entscheiden. Integration hält damit leider nicht Schritt.
Wir als Linke haben von Anfang an gesagt: Europa wird
nur gelingen, wenn die Europäische Union sozialer und
demokratischer wird. Leider haben wir in den letzten
Jahren in dieser Hinsicht schwere Rückschläge erleben
müssen. In dieser Woche beispielsweise hat keine ein-
zige Brüsseler Entscheidung die Zustimmung Zyperns
erhalten. Das zeigt: Mit dieser Art europäischer Politik
haben wir Probleme, zu den Menschen durchzudringen.

Dass wir heute darüber diskutieren – meine Vorredner
haben es schon angesprochen –, ist auch keine Stern-
stunde des Parlaments. Es war schon so – das gehört zur
Wahrheit dazu –, dass der Großteil des Parlaments diese
Rechte eigentlich gar nicht mehr wollte, sondern von
Karlsruhe aufgefordert werden musste, sie sich als Parla-
ment zurückzuholen.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, Nein!)


Viele hier im Haus waren eher der Auffassung, man
solle die europapolitischen Entscheidungen, die die je-
weilige Bundesregierung hier einbringt, abnicken. Ich
denke, man kann im Zusammenhang damit, dass Karls-
ruhe uns hier auf einen anderen Weg gebracht hat, wirk-
lich auch von einer Ohrfeige reden.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht nur da! Es wird nicht die letzte sein! – Zuruf von der FDP: Ihr müsst einmal klatschen!)


Es ist positiv zu bewerten – da schließen wir uns an –,
dass es uns in den letzten Monaten gelungen ist, hier ei-
nen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf einzubrin-
gen; denn dieser bedeutet selbstverständlich eine Verbes-
serung des Status quo. Was die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik bzw. die Gemeinsame Sicherheits-
und Verteidigungspolitik anbelangt, hatten wir natürlich
weitere Vorschläge.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so richtig viele, Herr Ulrich!)


Die anderen Fraktionen haben leider nicht mitgemacht,
was wir schade finden. Aber das war für uns kein Grund,
aus den Verhandlungen auszusteigen.

Dazu möchte ich auch noch sagen: Natürlich hat man
immer wieder aufs Neue gemerkt, dass insbesondere
SPD und Grüne immer auch aus dem Blickwinkel heraus
diskutiert haben, dass es möglich sein kann, dass sie
morgen wieder die Regierung stellen, und sich vor die-
sem Hintergrund gefragt haben, ob man die Parlaments-
rechte wirklich so weit ausbauen will. Wir hätten uns ge-
wünscht, dass man noch einen Schritt weiter geht. Trotz
alledem wurde eine Verbesserung des Status quo er-
reicht.

Wir dürfen aber an diesem Punkt nicht haltmachen,
wenn es darum geht, europäische Politik transparenter
zu machen, sie auch bürgernäher zu machen. Ich denke,
über das Gesetz hinaus müssen wir uns in einem nächs-
ten Schritt auch Gedanken darüber machen, bei wesent-
lichen Entscheidungen der Europäischen Union Volks-
abstimmungen einzuführen.


(Beifall des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE])


Damit sind wir nicht alleine. Im Süden gibt es einen Mi-
nisterpräsidenten, der das auch immer gern diskutiert.
Wir warten einmal ab, wann zumindest die CSU im Par-
lament entsprechend agiert.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Ihre Partner? Interessant!)


Denn die Europäische Union wird, wie gesagt, nur funk-
tionieren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie
mitentscheiden können, dass es demokratisch abläuft
bzw. dass zumindest die Parlamentarier, die sie gewählt
haben, in letzter Konsequenz entscheiden. Heute haben
wir einen kleinen Schritt getan; aber es ist noch viel
mehr möglich.

Auch ich sage der Mitarbeiterebene und insbesondere
auch Ihnen, Herr Kaster, Dank. Sie haben das sehr gut
organisiert. Das liegt wahrscheinlich weniger daran, dass
Sie von der CDU/CSU-Fraktion sind,


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)






Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)


sondern eher daran, dass Sie wie ich Rheinland-Pfälzer
sind. Rheinland-Pfälzer haben manchmal richtig gute
Ideen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723211600

Der Kollege Manuel Sarrazin hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723211700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Eine bekannte Fernsehwerbung kann man auf-
grund der Debattenbeiträge abgewandelt so zitieren:
„Wer hat denn eigentlich die Parlamentsrechte vor Ge-
richt eingeklagt? – Die Grünen waren es.“

Auch wenn wir im Parlament eine lange gemeinsame
Geschichte seit der BBV haben – man kann eigentlich
sagen, dass die Urkompetenz für neue Rechte des Bun-
destages, die durch diese Gerichtsentscheidung und die-
ses neue Gesetz in einer ganz neuen Qualität ausgelegt
werden, die Einführung von Art. 23 im Rahmen der
Maastricht-Ratifikation ist –, muss man doch sagen, dass
es an der Stelle sehr wichtig war, dass wir Grüne – in
Stellvertretung des Parlaments, aber als einzige Frak-
tion – nach Karlsruhe gegangen sind und diese Rechte
eingefordert haben; die FAZ sprach in diesem Zusam-
menhang ja so treffend von der „Anatomie einer Hinter-
gehung“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Ursprünglich war es Herr Gauweiler! Den habt ihr noch diffamiert!)


Die gemeinsamen Positionen des Parlaments haben
wir auch im Gesetzgebungsprozess gegen die Regierung
durchsetzen müssen. Insoweit möchte ich mich dem
Dank in alle Richtungen anschließen. Wir haben kon-
struktiv gearbeitet. Sie wissen auch, dass wir noch wei-
tergehende Vorstellungen hatten, zum Beispiel die Idee,
ein Comprehensive Law, ein Europagesetzbuch zu schaf-
fen, in dem alle Beteiligungsrechte zusammengeführt
sind. Dennoch war das ein gutes Geschäft für alle Seiten,
auch wenn man sich vor Augen hält, dass die Bundesre-
gierung in den Verhandlungen in Karlsruhe noch argu-
mentiert hat, dass die Bereiche wie der ESM, die EFSF
oder andere völkerrechtliche Verträge, die in einem
Nähe-Verhältnis zur Europäischen Union stehen, einfach
nur Völkerrecht seien und dem Bundestag nur per Letzt-
entscheidungsrecht zugänglich wären. Dass wir diese
Baustelle schließen konnten, ist sehr wichtig für die Par-
lamentsrechte, gerade auch in Zeiten einer Krise, wie wir
sie momentan haben.

Dass wir in dieser Krise die Legitimation stärken, um
auch die Legitimität der Europäischen Union und der eu-
ropäischen Einigung gerade in so schwierigen Zeiten zu
erhalten, ist sehr wichtig. Vor dem Hintergrund ist es na-
türlich auch richtig, dass wir als Parlament uns bewusst
sind, dass mit dieser ganz neuen Qualität an parlamenta-
rischen Rechten auch Pflichten für uns einhergehen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel Sondersitzungen!)


Dazu gehört die Möglichkeit, dass wir uns dadurch, dass
wir viel früher, viel besser und auch über ganz andere
Sitzungsformate und Inhalte als bisher unterrichtet wer-
den, auch früher, proaktiver und eigentlich auch kon-
struktiver als bisher in europäischen Verhandlungen zu
Wort melden und so der Bundesregierung unsere Vor-
stellungen als Parlament zu einem Zeitpunkt mitgeben,
zu dem diese noch die Möglichkeit hat, sie in ihre Ver-
handlungsführung auf europäischer Ebene einzubringen.

Dazu gehört auch, dass beispielsweise die Sitzung,
die letzten Freitag zu der sehr misslichen Situation ge-
führt hat, die wir zurzeit haben, erst durch die Gesetzes-
änderung beim Fiskalvertrag und vollumfänglich erst
durch die Gesetzesänderung, die wir heute in Umsetzung
der grünen Verfassungsgerichtsklage beschließen, in den
gleichen Informationsraum wie die normalen europäi-
schen Verfahren gerät. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass
wir jetzt diese Beschlüsse fassen.

Mit diesen Rechten geht natürlich auch eine Verant-
wortung für die Abgeordneten einher, ihre Europapolitik
darauf auszurichten. Dazu gehört auch, dass wir, wenn
wir sensible Informationen erhalten, die vielleicht in an-
deren Staaten ganz besondere Befindlichkeiten auslösen
können, nicht gleich zum Beispiel per E-Mail an die
Presse weiterleiten, wie wir es im Fall Irland beispiels-
weise noch auf einer anderen Rechtsgrundlage erlebt ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU])


Dazu gehört auch, dass wir in den europapolitischen
Debatten, die wir führen, unsere Aufgabe als Abgeord-
nete, gerade wenn wir Zugriff auf Dokumente und In-
halte haben oder sogar auf die Verhandlungsführung mit
anderen Staaten, beispielsweise in der Euro-Krise, Ein-
fluss nehmen können, in einem Ton und mit einer Empa-
thie gegenüber dem Verhandlungspartner wahrnehmen,
dass niemand das Gefühl hat, beim Deutschen Bundes-
tag zum Bittsteller zu werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Das ist
ein guter Tag für die Parlamentsrechte und ein guter Tag
für die Grünen und alle anderen hier im Haus. Ich denke,
dass wir das in den nächsten Jahren gemeinsam noch
sehr gut nutzen werden.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723211800

Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen für die

Unionsfraktion.





Vizepräsidentin Petra Pau


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(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Stübgen, jetzt reißen Sie es wieder raus!)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1723211900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen
heute mit der Beratung und in der nächsten Sitzungswo-
che aller Voraussicht nach mit der Beschlussfassung
über den Entwurf eines EUZBBG – man müsste eigent-
lich „II“ hinzufügen, denn das Gesetz stellt nicht nur
eine Änderung oder Ergänzung dar, sondern wir schrei-
ben damit ein neues Gesetz – zu dem Endpunkt eines
Prozesses, der im November 2005 begonnen hat. Ich
glaube, am Schluss dieser Debatte sollte man darauf
noch einmal hinweisen.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Vor allen Dingen für die Kollegen, die damals nicht im Parlament waren!)


Denn es waren die damaligen Koalitionsfraktionen
CDU/CSU und SPD, die sich in den Koalitionsverhand-
lungen im November 2005 darauf geeinigt haben, eine
Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Bundestag
und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union zu erarbeiten und vertraglich zu beschlie-
ßen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dazu, gleich ein Gesetz zu machen, was ich damals
schon für den besseren Weg gehalten hätte, hat uns zu
der Zeit in der Tat noch der Mut gefehlt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Allerdings haben wir diese Zusammenarbeitsvereinba-
rung hinbekommen – ich weiß noch, Axel Schäfer, dass
wir sehr lange diskutieren mussten –, und das war ein
Meilenstein erstens für Informationsrechte des Bundes-
tages in europäischen Angelegenheiten und zweitens für
Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen
Angelegenheiten.

Wir haben das Gesetz in dieser Legislaturperiode um-
gesetzt, und dann kam das berühmte Lissabon-Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes. In diesem Zusammenhang
möchte ich am Schluss dieser Debatte allerdings ein
klein wenig Wasser in den Wein der vielen Lobeshym-
nen gießen, die auch heute schon auf das Karlsruher Ge-
richt als dem einzigen Hüter der Parlamentsrechte des
Bundestages gesungen worden sind. Zum Teil werden
sie auch vom Präsidenten Voßkuhle selber auf sein Ge-
richt gesungen.

Es ist nämlich nicht ganz richtig, dass nur Karlsruhe
die Wahrung der Rechte des Deutschen Bundestages er-
zwungen hat. Wir haben eine ganze Menge an Rechten
selber geschaffen.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr! Genau!)


Denn in dem Lissabon-Urteil hat das Verfassungsgericht
uns zu Recht, sage ich, gezwungen, ein Gesetz zu ma-

chen, das wir nicht umsonst Sonntagsgesetz nennen,
nämlich das sogenannte Integrationsverantwortungsge-
setz. Das heißt – ganz grob zusammengefasst –, Kompe-
tenzübertragungen, die in kleinen Vertragsänderungen
geregelt werden können, müssen in diesem Haus wie
Vertragsänderungen ratifiziert werden. Das hat das Ver-
fassungsgericht 2009 zu Recht von uns verlangt.

Das Verfassungsgericht hat überhaupt nicht im Blick
gehabt, dass Kompetenzverschiebungen in der Europäi-
schen Union tagtäglich in Form normaler Rechtsset-
zungsvorgänge – Richtlinien, Verordnungen etc. – statt-
finden. Das mussten wir schon selber machen. Wir
hatten als Vorlage die BBV. Damals haben wir kurzfristig
entschieden: Wir wollen das im Rahmen des EUZBBG re-
geln.

Ich glaube, einige können sich noch daran erinnern:
Das war im Sommer 2009. Eigentlich standen wir alle
im Wahlkampf und haben gegeneinander gekämpft, weil
jeder die Wahl gewinnen wollte, wie das halt so ist.
Gleichzeitig haben wir die Ratifizierung durchgeführt.
Aufgrund des Zeitdrucks haben wir uns entschieden, die
Zusammenarbeitsvereinbarung quasi mit leichten Verän-
derungen als Gesetz zu nehmen. Wir ahnten damals
schon, dass es systematisch nicht ganz richtig bzw. kom-
pliziert ist, einen Vertrag quasi wortwörtlich als Gesetz
zu übernehmen. Deswegen haben wir uns damals ein
Monitoring auferlegt. Wir haben festgelegt, dass wir in
der Mitte der Legislaturperiode die Wirkungsweise die-
ses Gesetzes genau analysieren und möglicherweise Ver-
änderungen bzw. Konkretisierungen herbeiführen wol-
len. Dieser Prozess hat stattgefunden. Aber es ist etwas
passiert, was 2009 keiner von uns auf dem Schirm hatte:
Die europäische Politik war in der Folgezeit geprägt
durch die Euro-Krise, durch die Finanzkrise und die da-
durch notwendig gewordenen verschiedenen Rettungs-
schirme. Deswegen wird dieses Gesetz erst heute verän-
dert bzw. neu geschaffen.

Ich will kurz noch zwei Punkte anbringen, die wir,
wie ich denke, ganz gut geregelt haben – die Zukunft
wird zeigen, ob wir daran vielleicht noch einmal etwas
ändern müssen –:

Zum einen müssen wir bei der Regelung der Informa-
tionsrechte des Bundestages die Balance finden zwi-
schen der Masse an Informationen, die es gibt, und der
Qualität der Informationen, die wir brauchen, um uns
über die europäischen Rechtssetzungen eine Meinung
bilden zu können. Die Europäische Kommission mit ih-
ren ganzen Agenturen und Beratergruppen – kein
Mensch weiß, wie viele das sind – produzieren täglich
tonnenweise beschriebenes Papier.


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Ihr kriegt das jetzt alles!)


1 Promille davon ist für uns wichtig. Spannend ist die
Frage, wie wir dieses 1 Promille finden. Ich glaube, wir
haben mit unserem Gesetzentwurf die richtige Antwort
gefunden: Inoffizielle Dokumente sollen nicht automa-
tisch an den Bundestag überwiesen werden – das wäre
ein Lastwagen voll am Tag –, sondern nur auf Nach-
frage; das ist allerdings notwendig.





Michael Stübgen


(A) (C)



(D)(B)


Ich möchte kurz noch einen zweiten Punkt ansprechen,
den ich genauso sehe wie das Bundesverfassungsgericht.
Das Verfassungsgericht hat in allen seinen Urteilen zu
europäischen Angelegenheiten in den vergangenen vier
Jahren das sogenannte Transparenzgebot als ganz we-
sentlichen Punkt genannt. Transparenzgebot bedeutet,
dass wir als gewählte Abgeordnete verpflichtet sind, we-
sentliche Entscheidungen öffentlich vorzutragen und öf-
fentlich zu begründen, damit das Volk die Möglichkeit
hat, die Entscheidungen nachzuvollziehen und die Frage
der Verantwortung zu beurteilen. Ich glaube, das Trans-
parenzgebot wird mit diesem Gesetz noch einmal ge-
stärkt. Auch in Zukunft werden wir öffentlich in diesem
Haus diskutieren, bevor ein weiteres Land in den Euro-
Raum aufgenommen wird. Man höre und staune, es gibt
Anwärter: Lettland und Litauen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723212000

Kollege Stübgen, ich bin ein geduldiger Mensch, ins-

besondere da Sie angekündigt haben, zum Schluss zu
kommen. Aber jetzt müssen Sie einen Punkt setzen.


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1723212100

Ich bin gleich fertig. – Wir werden das noch in diesem

Jahr umsetzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723212200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12816 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
derung des Waffengesetzes – Schutz vor
Gefahren für Leib und Leben durch kriegs-
waffenähnliche halbautomatische Schusswaf-
fen

– Drucksache 17/7732 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/12872 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Lach
Gabriele Fograscher
Serkan Tören
Frank Tempel
Wolfgang Wieland

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger
private Waffen

– Drucksachen 17/2130, 17/12872 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Lach
Gabriele Fograscher
Serkan Tören
Frank Tempel
Wolfgang Wieland

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Günter Lach für die Unionsfraktion.


Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1723212300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Waf-
fengesetzgebung hat zwei wichtige Aufgaben zu erfül-
len. Auf der einen Seite steht das berechtigte Sicher-
heitsbedürfnis der Öffentlichkeit, auf der anderen Seite
stehen die Interessen der legalen Waffenbesitzer wie
Sportschützen, Jäger und Sammler. Ziel einer Waffenge-
setzgebung sollte es nach meiner Ansicht sein, hier eine
sinnvolle Balance zu schaffen. Die Aufgaben auf diesem
Gebiet gilt es immer wieder neu zu überprüfen und,
wenn nötig, durch gesetzliche Maßnahmen weiter anzu-
passen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nötig!)


Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Obwohl ich diesen Gesetzentwurf und den Antrag mit
meiner Fraktion ablehne, freue ich mich, dass ich als
Erster sprechen darf.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann haben Sie auch noch die dreifache Redezeit von mir!)


– Lieber Kollege Wieland, ich darf Ihnen zumindest erst
einmal meine Anerkennung und meinen Respekt für Ihre
Rede heute Morgen zum Tagesordnungspunkt „Aufar-
beitung der SED-Diktatur“ aussprechen. Das hat meine
große Anerkennung gefunden. Das gilt leider nicht für
den Tagesordnungspunkt, den wir jetzt behandeln.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Man kann nicht alles haben!)


Dieser Tagesordnungspunkt beinhaltet zwei Punkte:
den Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Waffen-
gesetzes – Schutz vor Gefahren für Leib und Leben
durch kriegswaffenähnliche halbautomatische Schuss-





Günter Lach


(A) (C)



(D)(B)


waffen“ sowie den Antrag „Mehr öffentliche Sicherheit
durch weniger private Waffen“.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist daran schlecht? – Gegenruf des Abg. Serkan Tören [FDP]: Alles!)


Ein Hauptgrund für diesen Gesetzentwurf sind mit Si-
cherheit die Geschehnisse 2009 in Deutschland und
2011 in Norwegen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Es stellt sich nur die Frage, ob die im Gesetzentwurf ge-
forderten Maßnahmen der richtige Ansatz sind, um mehr
Sicherheit zu erreichen. Im Mai 2012 fand hier eine öf-
fentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Das ist
schon einige Zeit her; aber ich kann mich sehr gut daran
erinnern, dass es die einhellige Meinung der anwesenden
Experten war, dass mit einer Änderung des Waffenrechts
im Sinne des Gesetzentwurfs keine Sicherheitsgewinne
erzielt werden können.

Ich möchte einige Anmerkungen zu den Inhalten des
Gesetzentwurfs bzw. zu dem Antrag machen. Zunächst
einmal komme ich zu der Problematik des Begriffes
„kriegswaffenähnliches Aussehen“. Die Verbotsregelung
für diese Waffen haben wir mit Ihrer Mitwirkung 2002
schon einmal abgeschafft. Es stellt sich nämlich die
Frage: Was ist eine kriegsähnliche Waffe?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die stellt sich eigentlich nicht!)


Gerade in der Rechtsprechung haben wir damals keine
Sicherheit gehabt, da die Frage von den einzelnen Be-
hörden unterschiedlich gesehen wurde. Insofern hatten
wir eine rechtliche Unsicherheit bezüglich des Begriffes
„kriegsähnliche Waffen“.

Das Gleiche gilt auch für den Bereich der Anscheins-
waffen. Nach § 42 a des Waffengesetzes wird das Füh-
ren von Anscheinswaffen in der Öffentlichkeit verboten.
Dazu gehören sämtliche Schusswaffen, die nach ihrer
äußeren Form bzw. nach ihrem Gesamterscheinungsbild
den Anschein von scharfen Schusswaffen hervorrufen.
Nach der aktuellen Regelung fallen auch Nachbauten
von Spielzeugwaffen und deren Potenzial darunter. Auch
wenn von Nachbauten bzw. Spielzeugwaffen keine Ge-
fahr für das Leben ausgeht, so verringert die bestehende
Regelung mögliche Bedrohungssituationen. Damit wer-
den Anscheinswaffen aus dem öffentlichen Raum fern-
gehalten. Diese Maßnahme unterstützt auch die Arbeit
und Sicherheit unserer Polizei, da sie hilft, unnötige
Polizeieinsätze zu vermeiden.

Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den halbautoma-
tischen Waffen. Gerade für die Jagd sind halbautoma-
tische Waffen zwingend erforderlich, besonders für die
Bewegungsjagd. Hier ist das Magazin auf drei Schuss
begrenzt. Im sportlichen Bereich gibt es Disziplinen, bei
denen es eine Begrenzung des Magazins auf zehn Schuss
gibt. Würden wir halbautomatische Waffen total verbie-
ten, würden wir in vielen sportlichen Disziplinen nicht
mehr teilnehmen können.

In Ihrem Antrag „Mehr öffentliche Sicherheit durch
weniger private Waffen“ sagen Sie von den Grünen ja ei-
gentlich, dass Sie wollen, dass es in privaten Haushalten
überhaupt keine Waffen mehr gibt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind doch keine Extremisten, die Grünen! Mehr durch weniger!)


Sie fordern aber noch mehr, nämlich die zentrale Aufbe-
wahrung von Schusswaffen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Munition! – Gegenruf des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Also keine Schlagbolzen, ja?)


– Oder von Munition. – Alle Experten und Sachverstän-
digen sind der Meinung,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht alle! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


dass man durch eine zentrale Aufbewahrung von
Schusswaffen genau das Gegenteil dessen erreicht, was
man erreichen möchte. Wir wissen, dass sich Schieß-
stände gerade in den Randgebieten unserer Städte und
Gemeinden befinden


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! Die sind doch schon da!)


und dass das Einbruchspotenzial dort gerade aufgrund
der Abgeschiedenheit dieser Orte größer ist als im priva-
ten Bereich.

Im Rahmen der letzten Änderung des Waffengesetzes
haben wir schon einige besondere Regelungen getroffen.
So müssen die Waffenbehörden das Fortbestehen des
waffenrechtlichen Bedürfnisses von Waffenbesitzern
fortlaufend überprüfen. Es muss bei der Genehmigung
jeder Waffe überprüft werden; früher war das nur alle
drei Jahre notwendig. Das waffenrechtliche Bedürfnis
von Sportschützen wird bereits von Vereinen und Ver-
bänden bestätigt. Man kann sich also nicht einfach eine
Waffe kaufen, sondern der Verein bzw. Verband muss
dies bestätigen.

Im Hinblick auf das Schießen mit Großkaliberwaffen
haben wir die Altersgrenze von 14 auf 18 Jahre erhöht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann liegen sie zu Hause rum, die Waffen – und? – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das soll ja auch nicht sein, Herr Ströbele! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es ist die Realität! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wir sorgen ja auch dafür, dass das nicht mehr geschieht!)


– Wenn das Gespräch beendet ist, würde ich meine Rede
gerne fortsetzen.






(A) (C)



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Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723212400

Zurzeit hat überwiegend der Kollege Lach das Wort.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber man muss sich doch wohl wehren dürfen, wenn der da drüben so undiszipliniert ist! Rüpelhaft!)



Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1723212500

Wer eine neue Waffenbesitzkarte beantragt, muss

schon bei der Antragstellung nachweisen, dass er die
Waffe sicher aufbewahren wird. Sie wissen, dass die
Aufbewahrung in den dafür vorgeschriebenen Waffen-
schränken erfolgen muss.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es funktioniert ja nicht! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ CSU)

Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann liegen die Waffen unter dem
Bett! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder der
Schrank ist offen! – Gegenruf des Abg. Jörn
Wunderlich [DIE LINKE]: Oder sie sind im-
mer am Mann bzw. an der Frau!)

Kontrollen durch die Ordnungsämter finden in regelmä-
ßigen Abständen statt; sie werden unangemeldet und un-
abhängig von der Tageszeit durchgeführt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie häufig? – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist Theorie!)


Gestatten Sie mir zum Schluss das Fazit: Die Anhö-
rung der Sachverständigen am 21. Mai 2012 hat deutlich
gezeigt, dass mit einer Umsetzung der vorliegenden For-
derungen des Bündnisses 90/Die Grünen kein Sicher-
heitsgewinn für die Gesellschaft erzielt bzw. die Sicher-
heit in Deutschland dadurch nicht erhöht würde. Von den
Sachverständigen wurde besonders hervorgehoben, dass
der legale Waffenbesitz nicht das Problem in Deutsch-
land ist.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch ein Problem!)


Denn im Bereich des legalen Waffenbesitzes beträgt die
Missbrauchsquote – auch wenn sie immer noch hoch ge-
nug ist – nur 4 Prozent.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das den Toten!)


Es ist der illegale Waffenbesitz, der ein Problem für
die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger darstellt.
Auf dieses Problem müssen wir unser Augenmerk mehr
als bisher lenken. Mit den Regelungen des deutschen
Waffenrechts tun wir bereits jetzt alles dafür, um den un-
berechtigten Zugang zu Waffen möglichst zu verhindern.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht gut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723212600

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1723212700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Vorschläge, die Sie vom Bündnis 90/Die Grü-
nen in Ihren Vorlagen machen, sind weder neu, noch
schaffen sie mehr Sicherheit. Deshalb sind sie für die
SPD nicht zustimmungsfähig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja auch kaum noch jemand von euch da! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir sollten uns mal fragen, ob wir überhaupt noch beschlussfähig sind!)


Zu den einzelnen Forderungen. Die Streichung des
Verbots von kriegswaffenähnlichen halbautomatischen
Schusswaffen war kein Versehen der damaligen rot-grü-
nen Bundesregierung. Wir haben das bewusst gemacht;
denn es gab große Abgrenzungsprobleme, was nun eine
kriegswaffenähnliche Schusswaffe ist und was nicht.
Dazu erklärte der Sachverständige Rainer Hofius, Ober-
staatsanwalt in Mainz – kein Lobbyist –, in seiner Stel-
lungnahme zu der Anhörung zu den Vorlagen von Bünd-
nis 90/Die Grünen am 21. Mai 2012:

Das Ziel des Gesetzentwurfes ist faktisch die Wie-
dereinführung von Teilen des im Zuge des Waffen-
rechtsneuregelungsgesetzes 2002 abgeschafften
§ 37 WaffG … Die damalige rot-grüne Bundesre-
gierung hat seinerzeit zweifellos bewusst eine nicht
praktikable und für die öffentliche Sicherheit be-
deutungslose Norm abgeschafft.

Der objektive Eindruck von einer Waffe ist für de-
ren tatsächliche Gefährlichkeit ohne jeden Belang.

Dieser Aussage schließe ich mich an.

Den Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, Waffen
außerhalb von Privatwohnungen zu lagern, haben wir
hier schon mehrfach diskutiert. Ich halte diesen Vor-
schlag nicht für zielführend. Ich zitiere nochmals den
Sachverständigen Hofius:

Die Ansammlung einer großen Zahl von Schuss-
waffen an einem Ort ist trotz aller denkbaren Mög-
lichkeiten der Sicherung ein großer Anreiz für
Straftäter, hier eine lukrative Tat zu begehen.

Der schreckliche Vorfall 2009 in Eislingen hat das trauri-
gerweise belegt.

Neben den Änderungen des Waffengesetzes von 2009
sind weitere Änderungen unterhalb der gesetzlichen Re-
gelungen wichtig für die öffentliche Sicherheit. Nach
jahrelangen Diskussionen zwischen den Bundesländern
und dem Bund ist 2011 die Allgemeine Verwaltungsvor-
schrift zum Waffengesetz erlassen worden. Damit gibt es
einheitliche Vorschriften für den Vollzug, der bei den
Bundesländern liegt.





Gabriele Fograscher


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben das Nationale Waffenregister früher auf
den Weg gebracht, als die EU es gefordert hat.


(Beifall des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/ CSU])


Damit kann der gesamte Lebenszyklus einer Waffe
nachvollzogen werden, und für Polizeibeamte wird mehr
Sicherheit geschaffen; denn sie können vorher informiert
werden, ob sie am Tatort mit Waffen zu rechnen haben.
Wenn alle Daten an das Nationale Waffenregister über-
mittelt sind, wissen wir auch endlich, wie viele legale
Waffen es überhaupt in Deutschland gibt. Die Amnestie-
regelung – 2009 miteingeführt – hat dafür gesorgt, dass
mehrere Hunderttausend Waffen abgegeben und damit
aus dem Verkehr gezogen wurden. Wir sollten über eine
erneute Amnestieregelung nachdenken und diese dann
entsprechend publik machen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Und warum kommt die nicht? Nicht einmal dieser Vorschlag wurde aufgegriffen!)


Durch die Einführung verdachtsunabhängiger Kon-
trollen wird die Aufbewahrung der Schusswaffen und
der Munition durch die Waffenbehörden überprüft. Das
wird von den Betroffenen immer wieder kritisiert. Wir
hatten in die Begründung des Entwurfes zur Änderung
des Waffengesetzes 2009 geschrieben:

Die verdachtsunabhängigen Kontrollen liegen im
öffentlichen Interesse und deswegen werden keine
Gebühren erhoben.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!)


Dies wird in der anstehenden Kostenverordnung
klargestellt.

Leider sieht die Praxis anders aus: In der Kostenver-
ordnung ist nichts klargestellt, und die Landkreise erhe-
ben Gebühren in unterschiedlicher Höhe.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist nicht in Ordnung! – Iris Gleicke [SPD]: Das ist nicht in Ordnung!)


Auch werden die Kontrollen – auch wegen Personal-
mangels der zuständigen Behörden – unterschiedlich ge-
handhabt.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist auch nicht in Ordnung!)


Hier sind die Länder in der Pflicht, die Kontrollen, wie
vom Bundesgesetzgeber vorgegeben, durchzuführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir schon über das Waffenrecht reden, dann
muss ich auch über die Vorgänge der letzten Tage spre-
chen. Da hat das Bundesinnenministerium im wahrsten
Sinne des Wortes den Vogel abgeschossen. Im Herbst
letzten Jahres erließ das BMI eine neue Schießstand-
richtlinie, die beinhaltet, dass hölzerne Vögel, auf die die
Schützinnen und Schützen in einer jahrhundertelangen
Tradition – beim Königsadlerschießen – zielen, nicht

mehr 15 Zentimeter, sondern nur noch 8 Zentimeter dick
sein dürfen. Die Begründung für diese Änderung war,
dass die Geschosse von dickem Holz zurückprallen und
Menschen verletzen könnten. Passiert ist so etwas auf
den Schützenfesten der Republik bisher noch nie.

Diese Änderung fiel erst auf, als die ersten Adler für
die anstehenden Schützenfeste in Auftrag gegeben wur-
den. Berechtigterweise gab es in den Schützenvereinen
viel Empörung; denn ein dünnerer Adler würde nur we-
nige Schuss vertragen, ein dicker Adler aber mindestens
500 bis 600 Schuss.

Nachdem dieses Thema sogar die Kanzlerin erreicht
hatte und diese um Wählerstimmen bei den Schützinnen
und Schützen bangen musste, ruderte der Bundesinnen-
minister zurück: Am 13. März 2013 veröffentlichte das
BMI eine Pressemitteilung mit dem Titel „Tradition und
Sicherheit in Einklang bringen“ und erklärte darin, dass
die Änderung mit sofortiger Wirkung zurückgenommen
ist. Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus.


(Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Nein, aus dem Vogelhaus!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem missbräuchli-
chen Umgang mit Waffen, der Missachtung von Vor-
schriften und der kriminellen Energie wird kein Waffen-
gesetz der Welt Herr werden können,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja!)


und der viel zu hohen Zahl illegaler Waffen in Deutsch-
land kann man nicht mit Verschärfungen des Waffen-
rechts begegnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Gesetzliche Regelungen können nie hundertprozentige
Sicherheit erreichen. Die Maßnahmen, die Bündnis 90/
Die Grünen hier vorschlagen, leisten keinen Beitrag zu
mehr öffentlicher Sicherheit. Wir werden die Vorlagen
ablehnen.

Danke schön.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Republikanerin! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: US-Republikanerin, nicht deutsche Republikanerin!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723212800

Das Wort hat der Kollege Serkan Tören für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1723212900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Frau Fograscher, ganz kurz zu dem
Vogel: Das, was da passiert ist, war sicherlich nicht rich-
tig. Darauf hat die FDP-Bundestagsfraktion in einem
Brief auch sofort hingewiesen.





Serkan Tören


(A) (C)



(D)(B)



(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Da hat die Kanzlerin dann gezittert!)


Auch Kollegen der CDU/CSU haben sich aus dem Parla-
ment heraus sofort an das Innenministerium gewandt.

Ich weise aber auch darauf hin, dass die Sportschüt-
zen an dieser Richtlinie mitgearbeitet und uns hier nicht
informiert haben – das muss man auch einmal sagen –,
sondern das ist so durchgegangen. Ich hätte mir hier eine
rechtzeitige Information gewünscht. Wir haben das wie-
der rückgängig gemacht. Von Ihnen habe ich dabei aber
leider nur wenig gehört und gesehen. Das muss man
auch einmal sagen, wenn Sie uns hier schon so kritisie-
ren.

Ich komme jetzt kurz zum Antrag der Grünen und
möchte hier zwei Dinge hervorheben – das haben auch
die Vorredner schon gemacht –:

Erstens: Verbot von halbautomatischen Waffen, die
wie Kriegswaffen ausschauen. Natürlich gibt es ein Ab-
grenzungskriterium, und es ist fraglich, wie man das in
der Umsetzung handhaben soll. Im Übrigen haben das
Ihre Vorgänger von Rot-Grün besser gemacht. Sie haben
das Verbot nämlich aufgehoben. Jetzt stellt sich für mich
die Frage, warum Sie das wieder umkehren wollen. Das
erschließt sich mir nicht ganz.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil niemand diese Waffen braucht!)


Ich begründe das damit, dass Sie jetzt irgendwelche
Ansätze suchen, um gegen jegliche Art von Waffen vor-
zugehen. Das sagen Sie nur nicht offen. Einmal greifen
Sie sich die Großkaliber heraus, und jetzt sind es die
halbautomatischen Waffen. Schritt für Schritt gehen Sie
an die verschiedenen Waffenarten heran. Ihr eigentliches
Interesse, nämlich Waffen generell zu verbieten, beken-
nen Sie nicht. Stattdessen suchen Sie irgendwelche ande-
ren Wege und Instrumentarien. Aber seien Sie doch of-
fen und ehrlich, und sagen Sie, was Ihr eigentliches
Interesse ist, statt mit solchen Verboten herumzuhantie-
ren!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zweitens: zentrale Lagerung. Auch dazu ist von den
Vorrednern schon vieles gesagt worden. Die Anhörung
war eigentlich eindeutig, Herr Wieland. Sie waren ja da-
bei. Alle Experten, die dort waren, haben gesagt, dass es
sogar zu mehr Gefahr führt, wenn zentral gelagert wird.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie alle Waffenträger waren! – Gegenruf der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]: Nein, auch ein Staatsanwalt!)


Herr Wieland, es gab eine Kleine Anfrage der Grünen
zum Waffenbestand und zum Fehlbestand bei der Bun-
deswehr. Da wird ja zentral gelagert. Es ergab sich, dass
der Fehlbestand ganz schön hoch ist. Auch das ist für
mich ein Beweis dafür, dass es eben nicht zu mehr Si-
cherheit führt, wenn man zentral lagert, sondern im Ge-
genteil: Wenn sich die Schützenheime usw. in den Au-
ßenbereichen und nicht zentral in den Städten befinden,

dann ist gerade bei zentraler Lagerung die Gefahr des
Abhandenkommens und des Diebstahls von Waffen ge-
geben.

Sie haben aus der Anhörung nichts gelernt. Für mich
stellt sich hier die Frage: Warum nicht? Es geht hier ein-
fach nur um eine Ideologie von Ihnen. Sie wollen näm-
lich generell keine Waffen im privaten Besitz.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie jetzt zum wiederholten Male!)


Sie wollen einfach nicht, dass Sportschützen, Jäger und
Sammler an ihre Geräte herankommen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mal ins Gesetz geguckt?)


Das wollen Sie verbieten. Das, was Sie hier machen wol-
len, ist völlig ideologisch und nichts anderes.

Ich bin in einer kleinen Gemeinde mit 900 Einwoh-
nern aufgewachsen. Gerade die soziale und integrative
Arbeit, die die Sportschützen dort geleistet haben, war
vorbildlich. Ich nenne das Stichwort ehrenamtliches
Engagement und alles, was dazu zählt. Wenn man Ju-
gendliche an die Waffe heranführt, dann ist das auch mit
Disziplin verbunden, und es geht hier auch um Traditio-
nen. All das wollen Sie vernichten. Das sagen Sie hier
aber nicht offen, sondern Sie ergehen sich in irgendwel-
chen technischen Dingen, was überhaupt nichts mit
Sachlichkeit zu tun hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als selbsternannte Umweltpartei wollen Sie die Ar-
beit von Jägern kaputtmachen, die sich ja gerade für die
Umwelt einsetzen. Begleiten Sie doch einmal einen Jä-
ger, und schauen Sie sich an, welche Umweltarbeit sie
leisten! Auch das tun Sie nicht. Auch hier führen Sie
eine rein ideologische Debatte, sonst nichts.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Bleiben wir bei der Ideologie, und sprechen wir über
die Waffensteuer in Bremen. Bei diesem Thema ist jetzt
die SPD gefragt. – Sie schauen weg; das passt beim
Thema Waffensteuer, denn auch hier geht es um Ideolo-
gie. – In Bremen hat die SPD versucht, Waffen über die
Kosten aus dem privaten Besitz zu verdrängen, nämlich
mit der Einführung einer Waffensteuer. Was hat man
dann gemacht? Man hat aufgrund des Druckes – Sie ha-
ben vorhin von Druck geredet – die Waffensteuer in eine
Gebühr umbenannt. Diese wird jedes Jahr anlasslos er-
hoben. Auch das ist nicht im Sinne dessen, was wir ei-
gentlich wollten. Das, was Sie in Bremen gemacht ha-
ben, ist die Einführung einer Quasi-Steuer, was
überhaupt nicht in Ordnung ist.

Diese Waffensteuer halte ich für verfassungswidrig,
weil sie nur eingeführt wurde, um Waffen aus dem priva-
ten Besitz zu verdrängen. Wir auf der Bundesebene ha-
ben aber das Bedürfnis nach Waffen im privaten Besitz
gesehen. Deswegen haben wir das Waffengesetz. Wenn





Serkan Tören


(A) (C)



(D)(B)


auf Landesebene oder kommunaler Ebene eine Waffen-
steuer eingeführt wird, ist das nichts anderes als ein Ver-
stoß gegen die gesetzliche Intention im Waffenrecht.
Deswegen halte ich die Waffensteuer für verfassungs-
widrig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Was hat sich aus der Anhörung im Innenausschuss er-
geben? Die Vorredner haben es schon angesprochen.
Eine Verschärfung des Waffenrechts bringt überhaupt
nichts. Durchweg alle, die als Experten an der Anhörung
teilgenommen haben, haben uns das gesagt.

Hilfreich war auch eine BKA-Analyse, die aufgezeigt
hat, wie viele Straftaten mit legalen Waffen begangen
werden. Dieser Anteil liegt unter 1 Prozent. Wenn man
davon noch die Zahl der Waffenbesitzer abzieht, die im
öffentlichen Dienst sind – Beamte usw. –, dann tendiert
diese Zahl gegen null. Sie haben sich einfach Sport-
schützen, Jäger und Sammler,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jäger und Sammler! Fallensteller!)


ehrenhafte Bürger in unserem Lande, ausgesucht, um
diese als Feindbild mit unsachlichen Angriffen zu über-
ziehen. Das ist nicht richtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Als FDP-Fraktion werden wir uns auch weiterhin da-
für einsetzen, dass es keine Verschärfung im Waffen-
recht geben wird. Aber wir brauchen eine Systematisie-
rung und eine Vereinfachung im Waffenrecht – daran
müssen wir arbeiten –, weil auch die Beamten in den
Waffenbehörden, die damit beschäftigt sind, das Waffen-
recht nicht verstehen. Das muss eines der Ziele sein, die
wir weiterverfolgen werden.

Dann werden wir auch eine vernünftige Evaluierung
durchführen. Die Evaluierung, die im Innenministerium
stattgefunden hat, war nicht gut.


(Gabriele Fograscher [SPD]: Ja, das stimmt wohl!)


Wir brauchen hier eine objektive Evaluierung, auch un-
ter Einbeziehung von Sportschützen und Jägern. Sollte
diese Evaluierung ergeben, beispielsweise bei den Kon-
trollen, dass die Regelungen kein Mehr an Sicherheit
bringen, dann muss man einmal darüber nachdenken, ob
es nicht einen Weg zurück gibt. Dann muss man auch
abwägen, wie groß der Eingriff in die Freiheit der Bürger
ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Verhältnisse wie in den USA?)


Das muss man einmal bedenken. Es muss also eine
Evaluierung geben; das ist die zweite Forderung. Dann
muss es auch einen Kampf gegen illegale Waffen geben.
Es ist selbstverständlich, dass wir hier die Behörden stär-
ken und den Kampf gegen illegale Waffen führen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723213000

Herr Tören, ich muss jetzt in die Freiheit Ihrer Rede

eingreifen. Sie müssen zum Schluss kommen.


Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1723213100

Abschließender Satz: Die christlich-liberale Koalition

wird sich weiterhin dafür einsetzen und ihr Versprechen
aus dem Koalitionsvertrag einhalten, dass es keine Ver-
schärfungen im Waffenrecht gibt.


(Wolfgang Wieland NEN)


Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Zwei Lügen in einem Satz: „christlich-liberal“ und „Versprechen“!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723213200

Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723213300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! „Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger
private Waffen“ – das klingt doch zumindest erst einmal
ganz logisch. Die Bundesregierungen der letzten Jahre
haben das Thema Waffenrecht in der Regel nur ange-
fasst, wenn schreckliche Ereignisse die öffentliche Dis-
kussion beherrschten. Amoktaten lösten bisher regelmä-
ßig politischen Aktionismus aus. Da wurde hier ein
bisschen verboten, da ein bisschen geändert; aber grund-
legend hat sich an der Sicherheitslage nichts verändert,
weder bei legalen Waffen noch bei illegalen Waffen. Es
kam immer nur darauf an, zu zeigen, dass man auf das
tragische Ereignis reagiert hat. Nutzen und Umsetzbar-
keit der Änderungen spielten keine Rolle. Das ist genau
der Grund, warum eine Evaluierung dieser Änderungen
bis heute nicht vorliegt.

Die Grünen haben nun einen sehr radikalen Antrag
auf den Tisch gelegt. Aber angesichts von über 10 Mil-
lionen legaler Waffen in der Bundesrepublik muss das
Thema eben auch einmal radikaler diskutiert werden.
Das ist vollkommen richtig.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt erst recht, wenn es um Großkaliber, halbauto-
matische Waffen und Munition mit besonderer Durch-
schlagskraft geht. Bei allen Fragen, die die Linke zur
Umsetzung dieser Vorschläge hat, stelle ich fest, dass
wir das Anliegen der Grünen sehr deutlich teilen. Wir se-
hen bei diesen Vorschlägen einen Sicherheitsgewinn.

Es gibt aber auch einen guten Grund, warum die
Linke einen entsprechenden Antrag noch nicht selber
eingebracht hat. Wir beschäftigen uns sehr genau mit der
Frage: Welcher Einschnitt bringt wirklich mehr Sicher-
heit, und welche Idee kann wie umgesetzt werden? Eine





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)


Lösung suchen wir im Dialog gerade auch mit Sport-
schützen, Jägern und Büchsenherstellern; mit Sammlern
hatte ich noch nicht so viel zu tun. Dabei stellt sich he-
raus, dass eine Reihe von Problemen organisatorischer,
finanzieller und rechtlicher Art noch nicht zu Ende ge-
dacht sind, was sich mit meinen Erfahrungen aus dem
Polizeidienst durchaus deckt.

Nehmen wir als Beispiel die Lagerung von Waffen in
Schützenhäusern. Es ist richtig: Gerade in abgelegenen
Gegenden, gerade im ländlichen Raum stellt das ein Pro-
blem dar, das gelöst werden muss. Wenn wir das so um-
setzen, wird eine Vielzahl von Waffen zentral gelagert,
was natürlich Begehrlichkeiten illegaler Waffenhändler
wecken wird, und diese finden dann auch Wege. Ich
kenne Tatorte, wo ganze Geldautomaten herausgerissen
und Wände weggesprengt wurden. Für eine solch zen-
trale Waffenunterbringung müssten sehr hohe Sicher-
heitsstandards gelten. Das heißt, dass es sehr teuer wird.

Ich muss auch das einseitige Verbot großkalibriger
Waffen kritisieren, da auch kleinkalibrige Waffen je nach
Bauart eine sehr hohe Durchschlagsleistung erzielen
können. Nehmen wir doch statt des Kalibers die maxi-
male Geschossenergie zum Maßstab; das macht mehr
Sinn. Das ist übrigens ein Vorschlag, der vom Bayeri-
schen Sportschützenbund kommt. Auch mit dem kann
man zusammenarbeiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Verbot halbautomatischer Waffen dürfte den gro-
ßen Teil des legalen Waffenbestandes in der Bundesre-
publik betreffen. Beim Einsammeln gegen Entschädi-
gung kämen auf die Länder Kosten von mehreren
Hundert Millionen Euro zu. Das können manche Bun-
desländer gar nicht leisten. Da muss der Bund mit in die
Verantwortung. Wir können nicht immer hier im Bun-
destag beschließen, und Länder und Kommunen zahlen
dann die Rechnung. Ob so eine massive Enteignung ge-
gen Entschädigung von den Gerichten als rechtmäßig
anerkannt wird, wissen wir auch nicht. Ich erinnere nur
an den Bestandsschutz.

Gut ist übrigens, dass Sie die Probleme der geringen
personellen und finanziellen Ausstattung der kommuna-
len Waffenbehörden in Ihrem Antrag benennen. Aber
dann schreiben Sie bitte auch hinein, dass den Kommu-
nen dafür ein finanzieller Ausgleich gewährt werden
muss, erst recht wenn die Bearbeitung des Einsammelns
von Waffen gegen Entschädigung und die sichere Zwi-
schenlagerung der eingesammelten Waffen durchgeführt
werden sollen. Die Kommunen können das sonst gar
nicht leisten, was wir hier beschließen.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dürfen wir nicht!)


Mit der Zustimmung zum Antrag der Grünen wird
sich die Linke heute zur Forderung nach mehr Sicherheit
im Umgang mit legalen Waffen deutlich bekennen. Aber
auch wer das Richtige will, darf nicht in Aktionismus
verfallen. Das Waffenrecht in Deutschland wird uns wei-

ter beschäftigen. Die Linke wird dabei die Diskussion
mit allen Beteiligten mit dem Fokus auf mehr Sicherheit
fortführen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723213400

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723213500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als letz-

ter Redner vor der Osterpause


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Alles richtigstellen und eine huldvolle Haltung!)


– in vier Minuten werde ich wohl nicht alles richtigstel-
len können – möchte ich Sie fragen, lieber Kollege
Tempel, wie Sie hier von Aktionismus reden können.
Diese Vorlagen sind fast drei Jahre alt.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Damit meine ich nicht Ihren Antrag! Der ist ausgenommen!)


– Gut, wir sind ausgenommen. Dann bin ich beruhigt.

Von Aktionismus kann überhaupt keine Rede sein,
genauso wenig wie von Ideologie, lieber Herr Tören. Es
waren Eltern sowie die Angehörigen der Lehrerinnen
und Lehrer aus Winnenden und Erfurt, die Präsident und
Vizepräsidenten sowie auch uns Unterschriftenlisten
übergeben haben. Wir haben aus den Forderungen der
Betroffenen Anträge entwickelt, die wir dann zur Dis-
kussion gestellt haben. Es gab eine Anhörung, an der
ausschließlich Waffenträger – Frau Fograscher, hören
Sie zu; auch der Staatsanwalt war bewaffnet, nicht auf
dem Podium, wohl aber in seiner Funktion als Sicher-
heitsbeauftragter – teilnahmen. Die von uns als Expertin
benannte Mutter aus Winnenden war an diesem Tag lei-
der erkrankt.


(Serkan Tören [FDP]: Das sind keine Waffenträger, sondern Sachverständige!)


– Alle hatten einen Waffenschein und haben in eigener
Sache geredet. Dabei kam das bekannte Ergebnis heraus.
Wenn Sie meine Worte auf die Goldwaage legen, dann
tun Sie mir leid, Herr Tören.


(Zuruf des Abg. Serkan Tören [FDP])


– Ich habe es Ihnen gerade erklärt, dass die von uns be-
nannte Expertin an diesem Tag kurzfristig erkrankt war.

Ihre Bewertung, dass alle diese Anhörung toll fanden,
ist höchst einseitig. Das wollte ich hier festhalten.

Am 14. Dezember hatten wir den Amoklauf in Con-
necticut. Insgesamt 27 Menschen wurden kaltblütig er-
mordet, darunter 20 Erstklässler und 6 Angestellte der
Schule. Der Täter hatte sich für diese abscheuliche Tat
mit drei Schusswaffen bewaffnet, die sich alle legal im
Besitz seiner von ihm ebenfalls ermordeten Mutter – das
28. Opfer – befanden.





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)



(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie wollen doch die Situation dort nicht mit Deutschland vergleichen! Was ist das für eine Argumentation?)


Die Waffen waren ein halbautomatisches Sturmge-
wehr vom Typ Bushmaster sowie zwei Großkaliberpis-
tolen der Marken Glock und Sig Sauer. Alle diese Waf-
fen sind auch bei uns für Sportschützen erhältlich.
Präsident Obama will sie verbieten. Ich stelle fest, Frau
Fograscher – es tut mir leid –: Er überholt hier die SPD-
Fraktion, die diese Waffen im Handel halten will. Da-
rüber sollten Sie einmal nachdenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben zu jedem unserer Vorschläge – wir haben
einen Strauß von Vorschlägen gemacht – gesagt: So
nicht. – Man sollte anders reagieren, sollte nur ein biss-
chen eingreifen usw. Selbst den Vorschlag einer nochma-
ligen Amnestie, dem alle zustimmten, haben Sie nicht
aufgegriffen. Ihr Credo ist: Wir machen gar nichts. –
Oder, wie Herr Tören gesagt hat: Schwarz-Gelb wird
jede Verschärfung beim Waffenrecht verhindern. – Freie
Bürger fordern freies Ballern. Das ist Ihr pseudoliberales
Credo. Das ist zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Holger Krestel [FDP])


– Polemisch wäre noch ganz anders.


(Holger Krestel [FDP]: Sie machen Wahlkampf auf Kosten von 2,5 Millionen Schützen in Deutschland!)


– Die sind ähnlich aggressiv wie Sie, Herr Krestel. Die
schreiben uns schon die entsprechenden Mails jeden
Tag.

Damit komme ich zu den kriegsähnlichen Waffen. Er-
klären Sie mir doch einmal, warum ein Jäger oder wer
auch immer mit einer Rambo-artigen Waffe durch den
Wald laufen muss. Warum muss er mit einer Jagdwaffe,
die wie eine Kriegswaffe aussieht, herumlaufen, wenn er
noch alle Tassen im Schrank hat? Erklären Sie mir bitte
einmal, warum wir solche Waffen überhaupt brauchen
und für wen wir sie brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nun wird immer gesagt – das ist auch richtig, und das
erkennen auch wir an –, dass die Lagerung in den Schüt-
zenhäusern aufwendig und nicht für alle Schützenver-
eine möglich sei. Deswegen sagen wir: Dann muss eben
die Munition dort gelagert werden. Das wäre die Alter-
native. Was immer zu den Amokläufen geführt hat, war,
dass die Munition und Großkaliberwaffen zu Hause ge-
lagert wurden, der Schrank nicht abgeschlossen war oder
die Munition und die Waffen im Schreibtisch oder sonst
wo lagen. Oder der Täter, wie der junge Mann in Erfurt,
war selber Sportschütze und zog los. Das müssen wir ab-
stellen.

Sie erklären immer nur, was nicht geht. Das wird zu
der Situation führen, dass der nächste Amoklauf in die-
sem Land dann zwar mit einer registrierten Waffe durch-
geführt wird, aber er wird stattfinden. Dann ist die Be-
troffenheit wieder groß. Diese nehme ich Ihnen ab. Ihre
Betroffenheit war echt, auch als die Eltern aus Winnen-
den da waren. Aber Sie sind nicht bereit, auch nur eine
Forderung des Forderungskatalogs zu erfüllen. Das ist
traurig. Ich prophezeie Ihnen: Das wird nicht das letzte
Wort hier in diesem Hause sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723213600

Ich denke, von der Richtigkeit des letzten Satzes kön-

nen wir alle ausgehen. Dieses Thema wird uns auch über
die heutigen Abstimmungen hinaus weiter beschäftigen.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
„Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes – Schutz vor
Gefahren für Leib und Leben durch kriegswaffenähnliche
halbautomatische Schusswaffen“. Der Innenausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12872, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7732 ab-
zulehnen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 35 b. Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12872 emp-
fiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/2130 mit dem Titel „Mehr öffentliche Sicherheit
durch weniger private Waffen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 17. April 2013, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen für
die folgende Zeit alles Gute.