Rede von
Manuel
Sarrazin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Eine bekannte Fernsehwerbung kann man auf-
grund der Debattenbeiträge abgewandelt so zitieren:
„Wer hat denn eigentlich die Parlamentsrechte vor Ge-
richt eingeklagt? – Die Grünen waren es.“
Auch wenn wir im Parlament eine lange gemeinsame
Geschichte seit der BBV haben – man kann eigentlich
sagen, dass die Urkompetenz für neue Rechte des Bun-
destages, die durch diese Gerichtsentscheidung und die-
ses neue Gesetz in einer ganz neuen Qualität ausgelegt
werden, die Einführung von Art. 23 im Rahmen der
Maastricht-Ratifikation ist –, muss man doch sagen, dass
es an der Stelle sehr wichtig war, dass wir Grüne – in
Stellvertretung des Parlaments, aber als einzige Frak-
tion – nach Karlsruhe gegangen sind und diese Rechte
eingefordert haben; die FAZ sprach in diesem Zusam-
menhang ja so treffend von der „Anatomie einer Hinter-
gehung“.
Die gemeinsamen Positionen des Parlaments haben
wir auch im Gesetzgebungsprozess gegen die Regierung
durchsetzen müssen. Insoweit möchte ich mich dem
Dank in alle Richtungen anschließen. Wir haben kon-
struktiv gearbeitet. Sie wissen auch, dass wir noch wei-
tergehende Vorstellungen hatten, zum Beispiel die Idee,
ein Comprehensive Law, ein Europagesetzbuch zu schaf-
fen, in dem alle Beteiligungsrechte zusammengeführt
sind. Dennoch war das ein gutes Geschäft für alle Seiten,
auch wenn man sich vor Augen hält, dass die Bundesre-
gierung in den Verhandlungen in Karlsruhe noch argu-
mentiert hat, dass die Bereiche wie der ESM, die EFSF
oder andere völkerrechtliche Verträge, die in einem
Nähe-Verhältnis zur Europäischen Union stehen, einfach
nur Völkerrecht seien und dem Bundestag nur per Letzt-
entscheidungsrecht zugänglich wären. Dass wir diese
Baustelle schließen konnten, ist sehr wichtig für die Par-
lamentsrechte, gerade auch in Zeiten einer Krise, wie wir
sie momentan haben.
Dass wir in dieser Krise die Legitimation stärken, um
auch die Legitimität der Europäischen Union und der eu-
ropäischen Einigung gerade in so schwierigen Zeiten zu
erhalten, ist sehr wichtig. Vor dem Hintergrund ist es na-
türlich auch richtig, dass wir als Parlament uns bewusst
sind, dass mit dieser ganz neuen Qualität an parlamenta-
rischen Rechten auch Pflichten für uns einhergehen.
Dazu gehört die Möglichkeit, dass wir uns dadurch, dass
wir viel früher, viel besser und auch über ganz andere
Sitzungsformate und Inhalte als bisher unterrichtet wer-
den, auch früher, proaktiver und eigentlich auch kon-
struktiver als bisher in europäischen Verhandlungen zu
Wort melden und so der Bundesregierung unsere Vor-
stellungen als Parlament zu einem Zeitpunkt mitgeben,
zu dem diese noch die Möglichkeit hat, sie in ihre Ver-
handlungsführung auf europäischer Ebene einzubringen.
Dazu gehört auch, dass beispielsweise die Sitzung,
die letzten Freitag zu der sehr misslichen Situation ge-
führt hat, die wir zurzeit haben, erst durch die Gesetzes-
änderung beim Fiskalvertrag und vollumfänglich erst
durch die Gesetzesänderung, die wir heute in Umsetzung
der grünen Verfassungsgerichtsklage beschließen, in den
gleichen Informationsraum wie die normalen europäi-
schen Verfahren gerät. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass
wir jetzt diese Beschlüsse fassen.
Mit diesen Rechten geht natürlich auch eine Verant-
wortung für die Abgeordneten einher, ihre Europapolitik
darauf auszurichten. Dazu gehört auch, dass wir, wenn
wir sensible Informationen erhalten, die vielleicht in an-
deren Staaten ganz besondere Befindlichkeiten auslösen
können, nicht gleich zum Beispiel per E-Mail an die
Presse weiterleiten, wie wir es im Fall Irland beispiels-
weise noch auf einer anderen Rechtsgrundlage erlebt ha-
ben.
Dazu gehört auch, dass wir in den europapolitischen
Debatten, die wir führen, unsere Aufgabe als Abgeord-
nete, gerade wenn wir Zugriff auf Dokumente und In-
halte haben oder sogar auf die Verhandlungsführung mit
anderen Staaten, beispielsweise in der Euro-Krise, Ein-
fluss nehmen können, in einem Ton und mit einer Empa-
thie gegenüber dem Verhandlungspartner wahrnehmen,
dass niemand das Gefühl hat, beim Deutschen Bundes-
tag zum Bittsteller zu werden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Das ist
ein guter Tag für die Parlamentsrechte und ein guter Tag
für die Grünen und alle anderen hier im Haus. Ich denke,
dass wir das in den nächsten Jahren gemeinsam noch
sehr gut nutzen werden.
Danke.