Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 114. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte zunächst um Aufmerksamkeit. für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Neumann, Lampl, Brandt, Wirths, Fröhlich, Niebergall, Rische und Vesper. Wegen Krankheit fehlt die Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Schmidt war am 13. 12. 1950 bei einem Autounfall verunglückt und hatte eine Gehirnerschütterung erlitten. Er ist wiederhergestellt und heute anwesend. Ich begrüße ihn und beglückwünsche ihn zu seiner Genesung.
Ich bitte, folgende Änderungen der Tagesordnung freundlichst zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Erstens ist im Einverständnis mit den Interpellanten auf Beschluß des Ältestenrates abzusetzen Punkt 3 der Tagesordnung: Interpellation betreffend Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung. Diese Interpellation soll auf Wunsch der Interpellanten eine Woche zurückgestellt werden.
Weiter ist abzusetzen Punkt 8 der Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, WAV und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Freistellung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages von Haftpflichtansprüchen, da dieser Gesetzentwurf noch durch weitere Verhandlungen vorbereitet werden soll.
Ferner ist die Tagesordnung um eine Reihe von Punkten ergänzt worden, was ich ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen bitte: die Beratung eines Antrags der Bayernpartei betreffend Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft bei Ausfall tschechoslowakischer Kohlen — Drucksache Nr. 1793 — und eines Antrags der Fraktion der KPD betreffend Kohlenlieferungen für Bayern aus der Tschechoslowakei, der damit in einem sachlichen Zusammenhang steht — Drucksache Nr. 1825. Soweit die Drucksachen den Damen und Herren noch nicht zugegangen sind, werden sie im Laufe der Sitzung, spätestens bis 15 Uhr, verteilt.
Dann sollen auf die heutige Tagesordnung übernommen werden der Mündliche Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag des Zentrums betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache Nr. 1834 — sowie die Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Rückgabe der Insel Helgoland an ihre Bewohner — Drucksache Nr. 1758 — und schließlich die an sich für Donnerstag nächster Woche vorgesehenen Immunitätsfragen, einmal Beratung des Antrags betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Goetzendorff und ferner des Abgeordneten Dr. Dorls, des Abgeordneten Renner, des Abgeordneten Dr. Schmidt und des Abgeordneten Mayer (Stuttgart).
Ich bitte, von diesen Änderungen der Tagesordnung Kenntnis zu nehmen.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat mir mitgeteilt, daß er im Augenblick noch durch Verhandlungen mit den Alliierten verhindert ist, und mich gebeten, den Punkt 1 der Tagesordnung, betreffend Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft bis nach 14 Uhr 30 zurückzustellen. Diese Bitte begegnet sich mit den mir vorgetragenen Wünschen, den Punkt 4 der Tagesordnung, erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden, und Punkt 6, Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, vorzuziehen.
Ich schlage Ihnen also vor, daß wir beginnen mit Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden .
Für diesen Punkt der Tagesordnung schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Aussprachezeit von 120 Minuten vor. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Darf ich fragen, ob die Regierung den Entwurf zu begründen wünscht? — Herr Staatssekretär Ritter von Lex?
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Minister! Zur Begründung des Gesetzentwurfs hat das Wort Herr Bundesminister Dr. Lehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage, die Ihnen im Namen meines Hauses zu unterbreiten ich die Ehre habe, verdient Ihre volle Aufmerksamkeit. Sie ist von entscheidender Bedeutung für die Ausgestaltung unserer inneren Sicherheit.
Nach reiflicher Prüfung hat sich die Bundesregierung entschlossen, in Anwendung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes die Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden durch Bundesgesetz in Angriff zu nehmen. Zwei Gesichtspunkte haben uns bei dieser Vorlage geleitet. Es ist Ihnen sicher durch Presse, Rundfunk und vielleicht auch aus eigener Beobachtung nicht unbekannt geblieben, daß in den letzten Monaten eine immer größere Zahl von Personen illegal über unsere Grenzen eingedrungen ist, und zwar Personen, von denen wir wissen oder von denen wir annehmen können, daß sie der Bundesrepublik nicht wohlgesinnt sind, daß sie entschlossen und zum Teil auch sogar ausdrücklich beauftragt sind, Unruhen anzustiften oder entstandene Unruhen zu schüren und für ihre dunklen Pläne auszunutzen. Ich möchte mit vollem Vorbedacht vor Ihnen keine Einzelheiten nennen. Ich darf aber auf mein ausführliches Referat Bezug nehmen, das ich den Damen und Herren des Ausschusses für innere Verwaltung gestern erstattet habe. Sie dürfen versichert sein, daß der Umfang der Grenzverletzungen nach den uns im gesamten zugegangenen Angaben die allerhöchste Aufmerksamkeit verdient. Vielleicht erinnern Sie sich auch daran, daß einzelne Länderpolizeien bereits zu besonderen Maßnahmen greifen mußten, so vor acht Tagen in Hannover zur Großaktion der dortigen Polizei. Aber auch weiter im Inlande, nicht nur in den Ländern, die an der Ostgrenze liegen, ist die Auswirkung dieser vermehrten Infiltration und Agitation weithin zu verspüren. Das gilt ganz
besonders vom Lande Nordrhein-Westfalen. — Das war der eine Grund für die Vorlage.
Der andere Grund ist der, daß die Versuche, die allgemeinen Polizeikräfte zu stärken, bisher nicht zu nennenswerten Ergebnissen geführt haben. Wir haben angesichts der Tatsache, daß die Polizei Sache der Länder ist, den Ausweg von Verwaltungsabkommen über die Errichtung von Bereitschaftspolizeien in den Ländern gewählt. Ich habe Ihnen darüber schon am 9. November vorigen Jahres Bericht erstattet und hatte damals die Zuversicht, daß angesichts des gleichlaufenden Interesses der Länder und des Bundes an innerer Sicherheit
diese Verwaltungsabkommen im ganzen Umfange getätigt werden und auch bei den Ländern die genügende Auswirkung schaffen würden. Das ist leider nicht der Fall gewesen. Bisher hat auch nur ein Teil unserer Länderregierungen das Abkommen unterzeichnet, und selbst unter den Unterzeichnern gehen die Meinungen weithin auseinander, namentlich in der Frage der finanziellen Belastung. Hier haben, um nur mal ein einzelnes Beispiel zu nennen, die Länderfinanzminister auch in den Ländern, welche das Abkommen unterzeichnet hatten, nachträglich noch Bedenken erhoben und über den Wortlaut des unterzeichneten Abkommens hinaus noch erhebliche Beträge in bezug auf laufende Personal- und Unterkunftskosten angefordert, und schließlich haben sich die Länderinnenminister mit den Länderfinanzministern trotz angestrengtester Bemühungen des Bundes noch nicht über die Besoldung der BereitschaftspolizeiBeamten einigen können, so daß eine Rekrutierung schon aus diesem Grunde bisher unterblieben ist. Ja, von einzelnen Unterzeichnern sind nachträglich einschränkende Einwendungen oder Bedingungen erhoben worden; und dabei geht es doch um die innere Sicherheit des Staatsganzen, an dem die Länder doch genau so interessiert sind wie der Bund selbst.
Was nun den zweiten Weg einer Polizeiverstärkung angeht, nämlich die Errichtung einer Bundesbereitschaftspolizei im Wege der Änderung unseres Grundgesetzes, so ist anzuerkennen, daß in dem dafür zuständigen Ausschuß für die innere Verwaltung auf allen Seiten des Hauses ein ehrliches und angestrengtes Bemühen festzustellen war, um zu einem Ergebnis und zur Anpassung der Meinungen zu kommen. Aber immerhin erscheint es mir heute rückblickend zweifelhaft, ob diese Vorlage, selbst wenn es gelingt, jetzt im Ausschuß für die innere Verwaltung zu einer Übereinstimmung der Auffassungen zu kommen, dann im Bundesrat die erforderliche Zweidrittelmehrheit finden wird. Solange hierüber keine Gewißheit besteht, werden Sie es verstehen können, daß ich die Bundesbereitschaftspolizei bei den schweren Sorgen, die wir im Hinblick auf den Schutz der inneren Sicherheit zur Zeit haben, vorerst nicht in Rechnung stellen kann.
Die Regierungsvorlage über die Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden jedoch bedarf keiner zeitraubenden Verhandlungen. Sie bedarf nur eines einfachen, mit Mehrheit dieses Hauses zu schaffenden Gesetzes. Es ist festzustellen, daß die Länder in den Beratungen im Bundesrat, wenn auch mit einer schwachen Mehrheit von nur einigen Stimmen, doch bereits zugestimmt haben.
Meine Damen und Herren, darf ich um etwas größere Aufmerksamkeit für den Herrn Bundesminister bitten!
Es ist verschiedentlich eingewandt worden, daß Art. 87 unseres Grundgesetzes nur von Grenzschutzbehörden spricht, aber nicht von Grenzschutzeinheiten. In der Verwaltungspraxis, meine Damen und Herren, ist es nichts Ungewöhnliches, daß Behörden über eigene Exekutivkräfte verfügen, ohne daß sie damit die Behördeneigenschaft verlieren. Ich darf nur an die Polizeibehörden erinnern, an die Polizeipräsidien, die schon vor 1933 weitgehend Vollzugsbeamte hatten, weit mehr Vollzugsbeamte, als uns heute selbst für die Grenzschutzbehörden vorschwebt. Welchen Sinn sollte überhaupt eine Grenzschutzbehörde oder gar eine Mehrzahl von Grenzschutzbehörden haben, wie sie der Art. 87 ausdrücklich vorsieht, wenn sie lediglich aus Bürobeamten und Schreibkräften bestehen sollten und nicht über eigene Exekutivkräfte verfügen dürften! Deshalb können diese Außenbeamten durchaus — sie müssen sogar — Polizeibeamte sein, die zweifellos nicht Aufgaben in irgendeinem geheimen oder getarnten militärischen Auftrag erfüllen, die aber eben polizeiliche Befugnisse haben sollen.
An der Doppeldeutigkeit, die in dem Worte Grenzschutzbehörden liegt, trägt nicht die Bundesregierung die Schuld. Im Grundgesetz ist der Ausdruck Bundesgrenzschutzbehörden damals bewußt geprägt worden. Man war sich bei der Verabschiedung des Grundgesetzes durchaus im klaren, daß es sich hierbei um reine Polizeibehörden und um nichts anderes handeln sollte. Auch die Militärgouverneure selbst haben in einem Schreiben vom 14. April 1949 daran erinnert, daß im Zusammenhang mit der Überwachung des Personenverkehrs an den Bundesgrenzen ausdrücklich von „Bundespolizeibehörden" gesprochen worden ist.
Nun verfolgt unsere Regierung nicht die Absicht, die gesamte Polizeiverstärkung in der Form von Bundesgrenzschutzbehörden durchzuführen. Grenzschutzbehörden müssen ihrem Begriff nach an der Grenze stationiert sein; sie müssen also ihre Funktionen auf ein bestimmtes Gebiet im Grenzbereich beschränken. Schon aus diesem Grunde können sie eine kasernierte Bereitschaftspolizei im Innern des Bundesgebiets, wie wir sie dringend nötig haben, wirksam nicht ersetzen, seien es nun Länderbereitschaftspolizeien, sei es Bundesbereitschaftspolizei.
Es kommt hinzu, daß der Bundesgrenzschutz von uns in einem möglichst kleinen Rahmen gehalten werden soll. Ich muß nur dem Hohen Hause einem Versuch widerraten, die Stärke des Grenzschutzes gesetzlich oder gar verfassungsgesetzlich festzulegen. Sie, meine Damen und Herren, haben ja jederzeit die Möglichkeit, durch Ihre Entscheidung die Zahl dieser Bundesgrenzschutzbehörden zu bestimmen. Wir verfolgen das Bestreben, den Personalbestand der Bundesgrenzschutzbehörden im engen Einvernehmen mit dem Hohen Hause festzusetzen. Deshalb ist von uns aus gar kein Bedenken gegen den in der letzten Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung von der Fraktion der CDU/CSU bereits vorgelegten Antrag zu erheben, wonach dieser Personalbestand durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder dieses Hohen Hauses festgesetzt werden soll.
Als Aufgabe obliegt den Bundesgrenzschutzbehörden der polizeiliche Schutz der Grenzen. Was darunter zu verstehen ist, ist in § 3 der Regierungsvorlage näher dargelegt. Um Reibungen mit den Landesbehörden und den Polizeieinheiten der Länder möglichst auszuschließen, hat sich die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesrates angeschlossen, daß die Bundesgrenzschutzbehörden im Benehmen mit den Polizeibehörden der Länder zu handeln haben, wenn deren Polizeiaufgaben durch die Tätigkeit des Bundesgrenzschutzes berührt werden.
Aber eins müssen wir im Gegensatz zu den Beschlüssen des Bundesrats feststellen: zum polizeilichen Schutz der Grenzen gehört auch die Paßkontrolle. Der Bundesrat hat dem Bundesgrenzschutz das Recht zur Paßnachschau nicht geben wollen. Indessen kann der Bund auf diese Kompetenz nicht verzichten.
Paßrechtliche Sicherung der Grenzen gegenüber dem Ausland ist nach dem Art. 87 des Grundgesetzes geboten und nicht mehr Aufgabe der Länder, sobald der Bund von diesem Art. 87 Gebrauch macht.
Meine Damen und Herren! Aus diesen Überlegungen kann der einzig mögliche Schluß, der unserer angespannten Lage allein gerecht wird, nur dieser sein: Schlagen Sie der Bundesregierung dieses bescheidene Instrument, das die Gesetzesvorlage ihr verschaffen soll, nicht aus der Hand! Versagen Sie dem Bund nicht die in der Verfassung vorgesehene Möglichkeit, seine Grenzen aus eigener Kraft polizeilich zu schützen. Die Ermöglichung dieses Schutzes darf die Bevölkerung nach den langen, schleppenden Verhandlungen der vergangenen Monate von uns und von Ihnen mit Recht erwarten.
Gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort! Die drei Monate, in denen ich an der Vervollständigung unserer inneren Sicherheit arbeite, sind tief enttäuschend gewesen. Hemmnisse und Schwierigkeiten von allen Seiten, unzureichendes Verständnis bei den hohen alliierten Behörden, unzureichendes Verständnis bei den Ländern selbst, obwohl es sich um ihre eigene Sicherheit handelt; Schwierigkeiten aber auch in dem unendlich langsamen Fortgang der Verhandlungen, die wir untereinander pflegen. Meine Herren, die Gegenseite, der der Kampf seitens unseres Hauses gilt, ist weitaus aktiver und entschlossener und geschlossener. Der Einsatz von der andern Seite geht planmäßig und methodisch mit gesteigerter Kraft vor sich, besonders von dem Zeitpunkt ab, an dem der GrotewohlBrief seine verdiente Erledigung gefunden hat.
— Ja, „nach Ihrer Meinung". Wenn Sie die Vorlage angreifen, ist das die beste Empfehlung für meine Worte!
Meine Damen und Herren, es ist nicht unsere Aufgabe, vor solchen Gefahren die Augen zu verschließen, sondern jetzt mit Entschlossenheit und Tatkraft zu handeln. Deshalb bitte ich um die Zustimmung aller Seiten des Hauses zu der Vorlage.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die allgemeine Aussprache der ersten Beratung. Darf ich um Wortmeldungen bitten. — Herr Abgeordneter Dr. Menzel, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz tritt zwar in einem sehr bescheidenen Gewand auf — es hat nur vier Paragraphen —, aber noch kärglicher ist seine Begründung, in der fast alles Wichtige verschwiegen wird; denn es handelt sich in Wirklichkeit um ein Gesetz mit einem entscheidenden politischen Hintergrund. Natürlich braucht der Bund einen Grenzschutz, nicht nur weil es im Art. 87 des Grundgesetzes so vorgeschrieben ist, und selbstverständlich sind auch wir der Meinung, daß es richtiger ist, wenn dieser Grenzschutz in der einheitlichen Hand der Bundesrepublik liegt und nicht in den Ländern zersplittert bleibt. Aber Art. 87, auf den sich dieses Gesetz stützt, hat schon einmal vor geraumer Zeit bei den Erwägungen des Kanzlers und seines Bundesinnenministers bei der Debatte über einen etwaigen deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas eine merkwürdige Rolle gespielt. Als Deutschland sich seinerzeit das Grundgesetz schuf, kannten wir ja gar nicht das Problem einer deutschen Wehrmacht. Daher konnte das Grundgesetz auch darüber keinerlei Bestimmungen enthalten. Als deshalb gelegentlich der Debatte über eines etwaigen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung Westeuropas meine politischen Freunde auf die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung für den Fall einer Bejahung eines solchen Beitrages hinwiesen, verwies der Herr Bundeskanzler bei seinen Versuchen, die Opposition bei dieser Entscheidung auszuschalten, auf den Art. 4 Abs. 3 und auf den Art. 87 des Grundgesetzes. Man erklärte, daß, wenn die Verfassung eine Vorschrift enthalte, wonach jeder Deutsche das Recht habe, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, und wenn nach Art. 87 des Grundgesetzes der Bund die Verpflichtung habe, die Grenzen durch Grenzschutzbehörden zu schützen, dann daraus doch ohne weiteres zu folgern sei, daß dieser Bundestag das Recht habe, durch ein einfaches Gesetz über einen etwaigen Beitrag zum Schutze der Grenzen zu entscheiden — ohne ein verfassungsänderndes Gesetz —, da es sich ja eben bei der Verteidigung Europas natürlich nicht um einen Aggressionskrieg handeln würde, sondern um den Schutz dieser Grenzen, und dafür reiche eben der Art. 87 aus.
Hieran fühlte man sich erinnert, als bei den Verhandlungen im Bundesrat der Vertreter des Herrn Bundesinnenministers, der Herr Staatssekretär Ritter von Lex, erklärte, die Länder mögen ruhig den jetzt bei ihnen befindlichen Grenzeinzeldienst behalten, entscheidend sei für die Bundesregierung, daß sie durch dieses Gesetz das Recht bekomme, in einer Tiefe von 30 bis 50 km hinter den Grenzen einen Schleier von kasernierten Formationen zu schaffen.
Daher, meine Damen und Herren, werden Sie verstehen, daß wir mißtrauisch sind. Denn wer schützt uns dann davor, wenn das Gesetz so durchgeht, wie es jetzt lautet, daß wir nicht eines Tages vor 60 000 oder noch mehr Grenzschutzbeamten stehen?
Der Herr Bundesinnenminister hat vorhin auf einen angeblichen Vorschlag der CDU-Fraktion hingewiesen, der gestern Gegenstand der Beratungen im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung gewesen ist, wo wir übereingekommen waren, dem Bundestag bereits für diese Sitzung vorzuschlagen, daß der Bundestag, um eben diese Gefahr einer Remilitarisierung auf dem Umweg über den Grenzschutz zu vermeiden, beschließen möge, daß die Ist- und Sollstärke des künftigen Grenzschutzes durch einen Beschluß des Bundestages mit
absoluter Mehrheit festgelegt werden soll. Meine Damen und Herren, wir vermissen diesen Antrag. Wir haben gehört, daß die CDU-Fraktion geglaubt hat, diesen Antrag nicht vorlegen zu können. Was kann denn anderes dahinter stecken als die Furcht oder, sagen wir, der Versuch Ihrerseits, sich völlig freie Hand zu lassen, allein mit den Stimmen der Regierungsparteien frischfröhlich darüber endgültig zu bestimmen, ob Sie 10 000, 20 000 oder eines Tages 100 000 Grenzschutzbeamte einstellen wollen?
Es erhöht unser Mißtrauen gegen diese Vorlage, weil der gestern verabredete Antrag von Ihnen nicht eingebracht worden ist. Wir dürfen bei dieser Debatte den inneren Zusammenhang mit der Aussprache des Bundestags im Herbst vorigen Jahres in Verbindung mit den damals beantragten Verfassungsänderungen über die Einrichtung einer Bundesbereitschaftspolizei nicht übersehen. Wir können dieses Gesetz auch nicht aus der Debatte über die New Yorker Beschlüsse und über das, was den New Yorker Beschlüssen seinerzeit vorausgegangen war, herauslassen, denen — und das ergeben die New Yorker Beschlüsse ganz einwandfrei — die Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers bei den Alliierten vorausgegangen waren, auf irgendeinem Wege, sei es mit Hilfe einer Bundesbereitschaftspolizei, sei es über den Grenzschutz, mit einem Soll-Mannschaftsbestand von 30 000 anzufangen, ihn alsbald auf 60 000 zu erhöhen, mit der Maßgabe, daß, sobald diese 60 000 Exekutivbeamten eingestellt seien, über weitere Einstellungen gesprochen werden müßte.
Vielleicht waren einige Mitglieder des Bundesrats und auch dieses Hauses überrascht, daß diese Vorlage so schnell kam. Aber, meine Damen und Herren, in Wirklichkeit handelt es sich um eine alte Lieblingsidee des Herrn Bundeskanzlers, die er schon im Frühjahr des vorigen Jahres durch den damaligen Bundesinnenminister Herrn Dr. Dr. Heinemann hat vertreten lassen, nämlich den Schutz des Bundes durch die Einrichtung eines Grenzschutzes von 25 000 Grenzschutzbeamten mit der Maßgabe zu übernehmen — und nun- mögen vor allem die Föderalisten sehr aufpassen —, in jedes der größeren Lander je 5 000 Grenzschutzbeamte zum Schutze dieser Länder zu legen.
Meine Damen und Herren! Unverständlich ist uns auch, warum man jetzt, ohne daß der Bundestag noch einmal eingeschaltet werden soll, vom Bundestag die Ermächtigung verlangt, so viel und so umfangreiche Behörden einer Zentral-, einer Mittel-Instanz und unterer Behörden zu errichten, wie die Bundesregierung glaubt haben zu müssen. Das geschieht in dem gleichen Augenblick, in dem gerade die Mitglieder der Regierungsparteien draußen im Lande und vor allem in den Ländern immer wieder, zum Teil mit sehr großem Stimmaufwand, einen Abbau der Behörden und eine Verwaltungsreform fordern.
Hier aber verschweigt man schamhaft — wir haben dies nicht nur in der schriftlichen, sondern auch in der heutigen mündlichen Begründung des Herrn Bundesinnenministers vermißt —, welche Behörden man einrichten will, wie groß sie sein sollen und was uns das Ganze überhaupt kosten wird.
Welchem Zwecke soll nun dieser Grenzschutz überhaupt dienen? Wir vermissen auch hier in der mündlichen Begründung — ebenso in der schriftlichen — eine Begriffsbestimmung, was Grenzschutz sein soll. Das Gesetz — ich sagte es schon — beruht auf dem Art. 87 des Grundgesetzes. Das Wort Grenzschutz erscheint im Grundgesetz erstmalig im Art. 73, in dem die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes geregelt wird. Aber dort wird es in einem völlig andern Zusammenhang gebraucht; denn dort ist es in die Probleme des Waren- und Wirtschaftsverkehrs eingebettet. Sehen Sie, in Art. 73 Ziffer 5 heißt es, daß der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes hat. Sie sehen also, daß das fernab von allen Fragen des Polizeilichen liegt.
Worauf geht diese Fassung des Art. 87, auf den sich das Gesetz stützt, zurück? Es geht auf ein Schreiben der Alliierten vom 14. April 1949 zurück, in dem es hieß, daß der Bund ermächtigt werden könnte, Grenzschutz polizei behörden einzurichten. Das Wort „Polizei" ist im Parlamentarischen Rat gestrichen worden, und zwar ist es von den damaligen Vertretern der heutigen Regierungsparteien mit Ausnahme der FDP gestrichen worden
mit der Begründung, daß das Wort „Polizei" auf jeden Fall heraus müsse; denn alle polizeilichen Funktionen dürften in dem föderativen Deutschland einzig und allein und ausschließlich nur bei den Ländern liegen. Dieses Anliegen der damaligen Rechtsparteien ging so weit, daß uns in den Verhandlungen erklärt wurde: wenn uns auf diesem Wege oder auf einem sonstigen die Mehrheit des Parlamentarischen Rates polizeiliche Funktionen des Bundes aufzwingen würde, ist die Gesamtannahme des Grundgesetzes gefährdet. Damals also glaubte man, das Zusammenwachsen der elf westdeutschen Länder unter Umständen davon abhängig machen zu sollen, daß man den Bund einer jeglichen polizeilichen Macht beraubte, auch auf dem Gebiete des Grenzschutzes.
Aber, meine Damen und Herren, es hat ja keinen Sinn, und es wäre mißlich, in der Politik nur dann Föderalist sein zu wollen, wenn es einem in den politischen Kram paßt, um vielleicht die Opposition im Bundestag lahmzulegen, aber dann immer Unitarist und Zentralist sein zu wollen, wenn man hofft, sich damit eine eigene Hausmacht zu schaffen.
Wie sieht denn nun eigentlich der Zoll- und Grenzschutz aus? Da haben wir zunächst den Zollbeamten, dann haben wir im Augenblick den Landesgrenzbeamten im Einzeldienst und dann an den Grenzen außerdem noch den üblichen Landespolizeibeamten im Einzeldienst. Der Bundesrat hat erstaunlicherweise die Paßnachschau gestrichen. Ich glaube, daß das gar nicht so unlogisch war; denn was soll denn eine Paßnachschau 30 oder 50 Kilometer hinter der Grenze? Die unerwünschten politischen Elemente haben doch, wenn die Grenzschutzbereitschaften erst 30 bis 50 Kilometer hinter der Grenze liegen, auf dieser Entfernung längst irgendwo Zuflucht gefunden.
Wo hat übrigens bisher je einmal der Grenzschutz der Länder versagt? Der Herr Staatssekretär für Inneres hat im Bundesrat auf diese Frage mit Recht geantwortet, daß der Grenzschutz bisher ausgezeichnet funktioniert habe und daß man vom
Bund aus an sich gar keine Bedenken hätte, ihn bei den Ländern zu lassen, daß es aber notwendig sei — und hier wiederhole ich seine Feststellung—, kasernierte Einheiten aufzustellen. Damit will man doch praktisch erreichen, was man durch die Länderverträge und durch die Opposition der CDU im Ausschuß für Inneres nicht erreicht hat, nämlich man will das erreichen, was man über die Bundesbereitschaftspolizei nicht bekommt. Man setzt hier Grenzschutz gleich Polizei.
Gegen einen solchen Mißbrauch und gegen eine solche illegale Auslegung der Bundesverfassung wehren wir uns. Wir meinen, daß wir endlich von der Unehrlichkeit der Verwaltung und der Gesetzgebung abkommen sollten. Man könnte Sie vielleicht dann verstehen, daß Sie diesen illegalen Umweg über die Grenzschutzpolizei versuchen, wenn die Opposition nicht bereit wäre, dem Bund eigene Polizeibefugnisse zu geben. Aber bitte erinnern Sie sich an die damalige Polizeidebatte. Wir von der Opposition waren es doch, die die Verfassungsänderung zugunsten dieser Regierung vorgeschlagen haben, und der Herr Bundesinnenminister war es, der damals noch von diesem Pult aus — inzwischen ist er von einem Saulus zum Paulus geworden —
— ich komme gleich darauf zurück; Sie werden dabei gerecht wegkommen — von sich aus den Antrag stellte, dem Bund und der Bundesregierung einen Zugriff auf die Länderpolizei ohne die Voraussetzungen des Artikel 91 des Grundgesetzes zu gestatten. Dann stellte die FDP einen verfassungändernden Antrag und forderte eine eigene Bundespolizei, ein Antrag, dem wir uns, wie Sie wissen, sofort anschlossen. Daher lehnen wir Grenzschutzbereitschaften auf alle Fälle ab, weil sie eine Verfassungsverletzung bedeuten würden. Es hat keinen Sinn, den Rechtsstaat zu fordern und davon zu reden, daß wir wieder zu einem rechtsstaatlichen Denken zurückkehren müssen, wenn wir dann in der Praxis der Gesetzgebung davon abgehen. Da hierzu keine Notwendigkeit besteht und Sie das gleiche Ziel, das Sie erreichen wollen, über eine saubere Verfassungsänderung erreichen können, lehnen wir die Schaffung von Grenzschutzbereitschaften ab.
Nach § 3 dieses Gesetzes soll der Grenzschutz nicht nur zum Schutz der Grenzen von außen dienen, sondern auch dazu, wenn diese Grenze von innen heraus gefährdet wird; denn es heißt im Gesetzentwurf, daß die Grenzschutzbehörden das Bundesgebiet auch gegen sonstige, die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der Ruhe und Ordnung sichern sollen. Ein Beispiel, das von einem Vertreter des Herrn Innenministers im Ausschuß gegeben wurde, macht die Situation deutlich. Er erklärte: wenn in Aachen z. B. die Ruhe, Ordnung und Sicherheit von innen heraus gestört sei — er hat vorsorglich und wohlweislich nicht davon gesprochen, daß es sich vielleicht auch um einen Streik handeln könne —, dann müßte wahrscheinlich nicht nur die Landespolizei, sondern auch der Grenzschutz eingesetzt werden. Hier wird also Grenzschutz gleichgesetzt mit den Aufgaben einer innerdeutschen Polizei.
Hinzu kommt, wenn man den Text genauer liest, noch folgendes Erstaunliche. Wir sind zwar bei den Gesetzesvorlagen der Bundesregierung manches gewohnt; daß man aber in diesem Gesetz vom Bundestag verlangt, auf das erste Recht eines jeden
Parlaments zu verzichten, nämlich die Organisation einer so wichtigen Verwaltung zu bestimmen und auf das Recht der Etatsbewilligung und der Planstellenbewilligung, das ist bisher in keiner der Gesetzesvorlagen der Fall gewesen. Nach § 2 soll künftig allein die Bundesregierung den Aufbau, die Zahl der Behörden und der Planstellen bestimmen. Wenn man das im Zusammenhang sieht mit dem nun doch nicht eingebrachten Antrag der CDU, daß die Planstellen durch einen Beschluß des Bundestags festgelegt werden sollen, dann ist das immerhin mehr als auffallend.
Wenn das Gesetz so durchgeführt würde. wie es jetzt vor uns liegt, dann würde sich die Buntscheckigkeit unserer Formationen auf dem Gebiet der Exekutive noch vergrößern, weil wir sie um zwei neue Arten vermehren. Wir hätten dann — ich bitte einmal hier um Ihre besondere Aufmerksamkeit — in Deutschland folgende Formationen. Zunächst hätten wir — vor allem in Süddeutschland — die Gemeinde- und Ortspolizei; dann hätten wir die staatliche Polizei des Einzeldienstes; wir hätten die Bereitschaftspolizei der Länder, die Bereitschaftspolizei des Bundes, den Grenzschutzeinzeldienst der Länder, den Grenzschutzeinzeldienst des Bundes und nun noch den Grenzschutzbereitschaftsdienst des Bundes. Das sind nicht weniger als sieben Formationen!
Das ist eine glatte Polizeiinflation.
Damit diese Polizeieinheiten sich nicht gegenseitig auf die Füße treten und damit sich die an sich erforderliche Konzentration der politischen und polizeilichen Kräfte nicht in ihr Gegenteil verkehrt, würden wir vorschlagen, daß von diesen sieben Formationen in Deutschland an jedem- Tag nur eine Formation Dienst tut und die anderen so lange Feiertag haben.
— Doch! Wir schlagen Ihnen einen Weg vor, auf dem Sie eine ganze Menge Geld sparen können, nämlich die 350 Millionen, die der Finanzminister dafür ausgeben will.
Es ist in der Tat erstaunlich, daß sich der gerade in sozialen Fragen so recht geizige Herr Finanzminister
auf den ersten Anhieb bereit erklärt hat, 350 Millionen zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, nun noch ein Wort zur Bewaffnung; auch hier vermissen wir einen Hinweis in der schriftlichen und mündlichen Begründung. Wir fragen: Wenn es heute in Deutschland noch nicht einmal möglich ist, jedem Polizeibeamten eine vernünftige Waffe in die Hand zu drücken, was hat es dann für einen Sinn, 35 000
neue Beamte einzustellen, denen Sie ebenfalls keine Waffen liefern können?
In den Ländern hat jeder Polizeibeamte nur einen meist sehr antiquierten Revolver und nur fünf Schuß. Wenn er die abgegeben hat, dann muß er nach Hause gehen, in der Hoffnung, daß der Verbrecher so lange wartet..
Das Groteske ist doch, daß die Bemühung der deutschen Innenminister, zu einer besseren Bewaffnung der Polizei zu kommen, an den Erklärungen der Besatzungsmächte gescheitert ist; eine stärkere Bewaffnung widerspräche den Grundsätzen der Alliierten über die Entmilitarisierung Deutschlands.
Aber diese Einengung der polizeilichen Entfaltungsmöglichkeiten hat auch tragische Folgen. Wir haben gestern in Gelsenkirchen den Polizeiwachtmeister Michalczek begraben. Nachdem er in der vorigen Woche bei Stellung eines Verbrechers seine fünf Schuß aus seinem Revolver abgegeben hatte, war er am Ende seiner Möglichkeiten. Der Verbrecher aber, der sich an die alliierten Bestimmungen, nur fünf Schuß im Revolver zu haben, natürlich nicht gehalten hat, hatte sieben Schuß im Revolver, und mit den beiden letzten hat er den deutschen Polizeibeamten erschossen.
Die Frage der Bewaffnung ist also ein sehr ernstes Problem, und ich glaube, es wäre sehr leichtfertig, wenn wir heute die 350 Millionen DM des Herrn Bundesfinanzministers dazu benutzen würden, Tausende und aber Tausende von neuen Beamten einzustellen, aber diese Beamten nicht in die Lage versetzen würden, durch eine ausreichende Bewaffnung nicht nur ihr eigenes Leben zu schützen, sondern auch wirksam polizeilich tätig zu werden.
Vor kurzem hatte ein Land die Möglichkeit, im Ausland Waffen zu bestellen. Woran ist das aber gescheitert? Es ist daran gescheitert, daß, obwohl dieser Antrag beim Herrn Bundeswirtschaftsminister vor drei Monaten gestellt wurde, der Herr Bundeswirtschaftsminister bis heute noch nicht einmal eine Antwort erteilt, geschweige denn Devisen zugeteilt hat.
Es wäre vielleicht ganz nützlich, wenn der Herr Bundesinnenminister sich einmal mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in Verbindung setzen und ihm klarmachen würde, daß das Problem der Polizei nicht nur eine Frage der Zahl der Mannschaften ist, sondern auch eine Frage der notwendigen Devisen zur Beschaffung der Waffen.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Bezahlung der Polizeibeamten. Wenn man in den Ministerien erwägt, diesen Bereitschaftsbeamten des Grenzschutzes und der Polizei nur monatlich 45 DM Gehalt neben freier Beköstigung und Unterbringung zu zahlen, dann schaffen Sie sich doch nichts weiter als ein neues Beamtenproletariat. Zehn Beamte, gut besoldet, die mit Liebe an ihrem Beruf hängen, sind mir viel wichtiger als hundert Polizeibeamte, die mürrisch mitlaufen. Sie sollten daher dieses Geld eher dazu verwenden. die einzelnen Beamten sozial und wirtschaftlich besserzustellen.
Gerade weil wir auch hier wieder feststellen müssen, wie gebefreudig die Bundesregierung auf dem Gebiet der „inneren Sicherheit" und der polizeilichen Aufrüstung ist, möchten wir zum Schluß noch einmal und auch bei diesem Gesetz davor warnen, alles auf eine Karte zu setzen: soziale Zugeständnisse zu verweigern, aber neue Polizeien der verschiedensten Art für Hunderte von Millionen einzurichten. Die Welt ist noch nie glücklicher durch eine Politik geworden, die auf Bajonetten beruhte; und sie kann nur unglücklicher werden durch eine Politik der sozialen Unterdrückung, die sich auf Polizeiknüppel stützt. Die Sozialdemokratie wird wachsam sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul. 10 Minuten.
Meine Damen und Herren! Die heutige Vorlage ist eine teilweise Erfüllung der von den westlichen Außenministern in New York niedergelegten Grundsätze. Auf dieser Konferenz wurde bekanntlich festgelegt, daß in Westdeutschland in schnellem Tempo eine bewegliche Polizeitruppe mit ordentlicher Bewaffnung aufgestellt werden soll. Die heutige Vorlage hat einen falschen Titel. Von dem Herrn Innenminister wurde ja auch zugegeben, daß es sich gar nicht um Grenzschutzbehörden handelt, sondern um eine militärähnliche Polizeiformation.
Damit wird ganz deutlich, was man mit dieser militärähnlichen Polizeiformation will. Die Aufstellung dieser Einheiten liegt in der Linie der Remilitarisierung Westdeutschlands und in der Vorbereitung eines amerikanischen Krieges gegen die Völker des Ostens und gegen die deutschen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik.
Der Eingeber für solche Gedankengänge ist kein anderer als der Nazigeneral Halder.
Im „Hamburger Echo" wird am 19. September 1950 darüber einiges geschrieben. Dieser Nazigeneral empfiehlt, nicht sofort an die Aufstellung einer Armee heranzugehen, sondern er betrachtet als nächste Aufgabe die Schaffung einer militärähnlichen Polizeitruppe, und zwar mit der Aufgabe, sogenannte Störungen der Unordnung des westdeutschen Kolonialstaates zu verhindern.
Über die Bewaffnung dieser Polizei macht sich mein Vorredner, Herr Dr. Menzel, große Sorge. Ich glaube, darüber sind sich die Auftraggeber auf dem Petersberg schon völlig klar. Schon werden Waffen nach Westdeutschland transportiert, um diese neuen militärischen Verbände gemäß den Absichten des amerikanischen Finanzkapitals zu bewaffnen. Aus Meldungen bürgerlicher Zeitungen ergibt sich, daß diese sogenannten Überfallkommandos mit automatischen Waffen, mit leichten und schweren Maschinengewehren, mit vollmotorisierten Fahrzeugen und mit Panzern ausgerüstet werden sollen. Auch daraus ist ersichtlich, daß es sich nicht um eine Ordnungspolizei im wirklichen Sinne handelt, sondern um eine Angriffsarmee, die hier aufgestellt werden soll. Man will sie einmal gegen die Massen verwenden, die nicht bereit sind, diesen Zustand in Westdeutschland länger hinzunehmen, und zum andern, um die amerikanischen Kriegsvorbereitungen vorwärtszutreiben.
Die Polizeigewerkschaft hat sich gegen die Aufstellung solcher Überfallkommandos gewandt und mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß es sich nicht um eine sogenannte Ordnungspolizei handelt. Der Herr Innenminister hat in seiner sehr lahmen, aber immerhin klug abgewogenen Begründung auf die Notwendigkeit der Aufstellung solcher Verbände hingewiesen, weil es sonst möglich sei, daß die Gespräche zwischen den deutschen Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland zunähmen. Er fürchtet genau wie Dr. Adenauer die Fortsetzung solcher Gespräche, weil er genau weiß, daß bei der Fortführung solcher Gespräche die Menschen in Ost und West sich im Kampf für die Wiederherstellung unserer nationalen Einheit doch zusammenfinden werden.
Er verwies auf die sogenannte Aktion Hannover. Was ist das für eine Aktion gewesen? Man hat umfangreiche Polizeikräfte gegen die Tagung des gesamtdeutschen Arbeitskreises für die deutsche Landwirtschaft und die deutschen Forsten eingesetzt.
Man hat Dutzende von Menschen an die Zonengrenze transportiert, die mit einem ordnungsgemäßen Interzonenpaß nach Hannover gekommen waren. Man will eben verhindern, daß deutsche Menschen sich zusammenfinden, den nationalen Notstand unseres Volkes besprechen und Maßnahmen beschließen, um aus diesem Notstand herauszukommen.
Deshalb auch die Kasernierung dieser Polizeiformationen an ganz bestimmten Schwerpunkten. Diese Einheiten sollen nicht nur zur sogenannten Grenzschutzbewachung eingesetzt werden. Die „Hannoversche Presse" schreibt am 24. Oktober 1950:
„Dr. Lehr braucht eine starke Polizei sowohl gegen die Umtriebe der Kommunisten als auch gegen die unberechtigten Forderungen der Gewerkschaften im Fall von sogenannten Streikunruhen."
Also nicht nur gegen die sogenannten Grenzgänger soll diese Polizei eingesetzt werden. Nein, diese Überfallkommandos sollen auch gegen Berg- und Stahlarbeiter zum Einsatz gelangen, die jetzt für ihr Mitbestimmungsrecht zu kämpfen bereit sind, die Polizei soll gegen die Arbeiter und die Gewerkschaften, die den Unternehmerterror nicht mehr hinnehmen wollen, eingesetzt werden.
Die jetzige Vorlage zeigt mit aller Deutlichkeit, daß man bereit ist, den Kurs, der vom Petersberg angegeben ist, weiterzugehen. Ich möchte sagen: die Vorlage ist eine Visitenkarte für den westdeutschen Polizeistaat.
Man will umfangreiche Militär- und Polizeiformationen aufstellen. Das ist der wirkliche Charakter dieses sogenannten Staates. Dieses Gesetz
ist ein Ermächtigungsgesetz für den Innenminister.
Keinerlei Kontrolle über den Umfang der Polizeikräfte, keinerlei Kontrolle über die Einstellung
der Mannschaften und der Offiziere! Man will hier in eigener Zuständigkeit, unter Ausschaltung der parlamentarischen Vertretungen vorgehen.
Wir müssen uns mit aller Entschiedenheit aus politischen und sozialen Gründen gegen diese Vorlage wehren. Diese Vorlage bedeutet eine ungeheure neue Massenbelastung. 30 000 Mann solcher Polizeibereitschaften werden die westdeutsche Bevölkerung rund 1 1/2 Milliarden DM kosten. Diese Kosten kommen zu den ungeheuren Kosten, die sich aus der Verstärkung der Besatzungstruppen ergeben. Im Interesse der sozialen Lage unserer Bevölkerung, im Interesse des Friedens und des Kampfes für die Einheit Deutschlands wehren wir uns dagegen, daß auf diesem Umwege versucht wird, nun die Remilitarisierung gegen den Willen der übergroßen Mehrheit unserer Bevölkerung durchzusetzen. Wir möchten Sie ersuchen, diese Vorlage abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eigentlich bei der Rede des Herrn Abgeordneten Paul nur bedauert, daß er sie nicht gleich am Anfang und namentlich vor der Rede des Herrn Kollegen Menzel gehalten hat, weil sie unter Umständen doch vielleicht etwas anders ausgefallen wäre.
— Ja, wir kennen uns zur Genüge. Deshalb können Sie mir nichts weismachen.
— Ich bin auch bereit, es ein zweites Mal zu tua.
Es kommt nicht darauf an, Herr Paul, unter welchem Deckmantel Ihre Versammlungen stattfinden. Daß die Namen und Titel sehr zahm sind, das kann ich Ihnen bestätigen. Aber es kommt darauf an, was in Wirklichkeit gesagt und getan wird. Die Aktion Hannover war dringend nötig, und sie ist ein Alarmzeichen. Denn solche Aktionen finden hier in allernächster Nähe statt. Sie müssen verhindert werden.
Auch die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Menzel zeigten das Symptom, das mich in den drei vergangenen Monaten bei der Behandlung unserer Sicherheitsfragen so lebhaft beunruhigt hat, nämlich die Tatsache, daß die Dinge so stark unter parteipolitischen Gesichtspunkten gesehen werden. Und es sind doch letzten Endes Sicherheitsfragen, die mit Ausnahme der Kommunisten alle Parteiei hier im Hause gleich angehen.
Denn ob sie auf den Regierungsbänken sitzen oder
auf denen der Opposition, die Freude, auf diesen
Bänken zu sitzen, haben sie nur, solange eine ge-
nügende innerstaatliche Sicherheit hinter ihnen steht.
Meine Damen und Herren, noch eins! Die Frage, die Sie beunruhigen. könnte, wäre, weil ich Sie nur um Ihre grundsätzliche Zustimmung gebeten habe, ob Ihr Etatrecht dadurch irgendwie beeinflußt wird. Das ist doch nicht der Fall. Sie haben jederzeit durch Ihre Beratungen über den Haushalt das Heft in der Hand. Sie haben es aber auch darüber hinaus jederzeit in der Hand, hier durch einen einfachen Mehrheitsbeschluß zu bestimmen, wie stark die Polizei sein oder nicht sein soll. Und ich möchte doch eigentlich, meine Damen und Herren, nach unseren gestrigen Verhandlungen im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung mit Recht annehmen können, daß wir in weitgehendem Umfange — Regierungsparteien und Opposition — einig gewesen sind. Es ist allerdings offenbar etwas anderes, ob man im Plenum oder ob man in der Sicherheit des Ausschusses ist.
Meine Damen und Herren! Illegalität weise ich als der zum Verfassungsschutz berufene Minister weit von mir, als der Minister, der vor Ihnen hier den Eid auf die Verfassung geleistet hat.
Ich will von Ihnen nichts anderes als die Durchführung des Art. 87 unserer Verfassung, in dem dem Bund das Recht gegeben wird, Bundesgrenzschutzbehörden einzurichten, und zwar durch einfaches Bundesgesetz.
Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon ausgeführt, daß eine Bundesgrenzschutzbehörde nicht aus einzelnen Kanzleibeamten und einzelnen Schreibmaschinenkräften bestehen kann und daß es eine Selbstverständlichkeit ist, daß sich in diesem Bundesgrenzschutz auch eine Exekutive entwickelt, die das durchführt, was die Behördenstellen in ihren einzelnen Amtszimmern anordnen.
Im übrigen bekenne ich mich noch einmal zu dem Programm, das wir vorhaben, zunächst die Bereitschaftspolizei in den Ländern zu entwickeln, und ich möchte von dieser Stelle aus noch einmal die herzliche Bitte an die Länderinnenminister richten, sich doch etwas entschlossener hinter den Staat zu stellen, dem sie ja im einzelnen auch alle angehören.
Das zweite ist, daß wir eine Bundesbereitschaftspolizei erstreben, und zwar genau mit denselben von Ihnen, meine Herren von der Opposition, gewünschten Formulierungen, mit denen ich durchaus übereinstimme. Ich habe von Anfang an dem zugestimmt, was aus den Artikeln 73, 74, 78 und 87 — oder wie sie alle heißen — folgt. Das kann durchaus so geschehen, und ich würde mich herzlich freuen, wenn eine große Mehrheit dieses Hauses diese Änderungen der Verfassung annehmen wollte.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie rückblickend die Ereignisse der letzten Monate sehen, dann werden Sie mit mir darin übereinstimmen müssen: ein Staat, der nach außen keine Macht hat und sie sich auch nicht im Innern schafft, ist kein Staat.
— Meine Damen und Herren, im Parlamentarischen
Rat waren die Bestrebungen unserer Gegner aus
dem Osten noch nicht so weit entwickelt wie heute.
Ich stimme dem Herrn Kollegen Dr. Menzel durchaus zu, wenn er die Waffenfrage in den Vordergrund gestellt hat, und er weiß auch, daß wir unter dem Vorsitz seines Freundes, Herrn Maier, des Vorsitzenden des Ausschuses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, eine kleine Abordnung nach Italien geschickt haben, um das Land zu studieren, das im Augenblick gegen kommunistische Umtriebe und Angriffe
die weitaus beste und beweglichste Polizei entwickelt hat, und daß es nicht unser Wunsch ist, mit den alten Trommelrevolvern oder einigen Karabinern die Abwehr zu führen, sondern daß wir an die Besatzungsbehörden mit denselben Wünschen herangehen, die zu realisieren sie in Italien für richtig befunden haben. Die Gefahr ist bei uns keineswegs geringer als in Italien. Im Gegenteil, wir wissen sehr genau, meine Herren von der äußersten Linken, warum Sie gerade die Waffenlosigkeit und Neutralisierung Deutschlands wollen.
Meine Damen und Herren, ich stimme dem Herrn Kollegen Menzel auch darin zu, daß die Besoldung ausreichend sein muß, und ich halte einen Satz von 45 Mark zuzüglich von Bekleidung, Unterkunft und Verpflegung für unzureichend, und es ist in der Beziehung auch noch keinerlei Vorlage von uns ergangen. Heute kommt es für mich lediglich darauf an — und darum bitte ich alle Teile des Hauses noch einmal aufrichtig —: Geben Sie zunächst einmal die Möglichkeit auf dem Wege über die Grenzschutzbehörden, den ersten Ansatz für ein Machtinstrument der Bundesrepublik nach innen zu schaffen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
— In diesem Hause werden a 11 e Bemerkungen festgehalten, auch Ihre, Herr Kollege Renner.
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erörterungen über die Sicherheit der Bundesrepublik, über die Polizeifrage werden dereinst einmal in die deutsche Ge-
schichte als ein besonderes Beispiel der Verständnislosigkeit für die Bedürfnisse des Staates, der Ordnung und des Friedens eingehen.
Es wird in die deutsche Geschichte eingehen, daß man — —
— Ich hatte leider nicht die Ehre, dem Parlamentarischen Rat anzugehören.
Wir sprechen hier über eine der vitalsten Fragen. Ich gestehe zu, die Opposition hat das Recht, gegen eine Vorlage der Regierung Stellung zu nehmen. Sie hat auch das Recht, mißtrauisch zu sein; dafür ist sie im Parlament da. Aber dieses Mißtrauen und diese Opposition sollten sich nicht auf Fragen wie die der inneren Sicherheit erstrecken, die für alle eine und dieselbe ist.
Es ist hier die Frage aufgeworfen worden, welche Funktion ein solcher Grenzschutz habe, ob das eine polizeiliche Aufgabe sei oder etwas anderes. Der Grenzschutz hat eine polizeiliche Aufgabe besonderer Art,
d. h. mit einigen Besonderheiten, die sich aus dem Grenzdienst ergeben. Ich bin der Auffassung, daß auch der Bund in seiner Gesamtheit eine Polizeihoheit hat; denn die Polizeihoheit ist etwas für einen Staat Wesensnotwendiges.
Daher glaube ich, daß aus föderalistischer Dogmatik heraus für diese Frage gar nichts gewonnen werden kann.
— Man hat im Parlamentarischen Rat manche dieser Fragen nicht bis zu ihrer letzten Wurzel durchdacht; aber weder aus den Motiven noch aus dem Wortlaut des Grundgesetzes läßt sich ein Einwand gegen die nicht nur formale, sondern auch inhaltlich absolute Legitimität und Legalität dieser Gesetzesvorlage gewinnen. Dem Bund ist nun einmal durch Art. 87 des Grundgesetzes gegeben, Grenzschutzbehörden durch einfaches Gesetz zu schaffen. Daß diese Behörden eine Exekutive haben müssen, liegt auf der Hand. Das anders darstellen zu wollen, würde die Dinge närrisch verkehren.
Ich gebe zu, daß durch die modernen Sicherheitsaufgaben in gewisser Hinsicht eine Art Polizeiinflation entsteht. In der Praxis wird es in einer späteren Zukunft vielleicht möglich sein, auch hier Vereinfachungen vorzunehmen. Aber wie schon bei der Frage der Bereitschaftspolizei erörtert worden ist: wir brauchen in einem modernen Staat, insbesondere in der Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, neben dem Polizeibeamten im Einzeldienst stärkere Bereitschaftsverbände. Dasselbe trifft auch auf die Aufgaben des Grenzschutzes zu. Infolgedessen wird eine Grenzschutzbereitschaft ebenso notwendig werden, wie eine Polizeibereitschaft im allgemeinen Polizeidienst notwendig ist. Ferner liegt es auch in der Natur der Sache, daß die Paßnachschau bei dieser Grenzschutzbehörde zu liegen hat. Das ist ein individueller Dienst. Aber wer sich mit den Dingen beschäftigt hat, wird sehen, daß zwischen der
Grenze und dem inneren Gebiet gerade in der jetzigen Situation der Bundesrepublik stets eine starke Wechselbeziehung besteht und daß man diese Aufgaben hier zusammenzufassen haben wird.
Ich stimme Herrn Kollegen Menzel bei seiner Kritik in der Frage der Bewaffnung restlos zu. Es ist unerträglich, was manchem bravem Polizeibeamten in der gegenwärtigen Situation zugemutet wird, unerträglich, daß Verbrecher stärker bewaffnet sind als die staatliche Exekutive. Diesem Zustand muß sobald wie möglich ein Ende bereitet werden.
Es ist an den §§ 2 und 3 der Gesetzesvorlage Kritik geübt worden. Sie bedeuten gar nichts Ungewöhnliches. Wenn man zu einem schnellen Aufbau dieser dringend notwendigen Grenzschutzformationen kommen will, wird man nach der in § 2 vorgesehenen Methode verfahren müssen.
Ferner ist Kritik daran geübt worden, daß dieser Grenzschutz möglicherweise zu polizeilichen Aufgaben herangezogen wird, die nicht unmittelbar an der Grenze anfallen. Auch das liegt in der Natur der Sache. Gewisse innere Vorgänge haben ihre Auswirkungen auf die Grenze und umgekehrt. Wir brauchen hier jene Elastizität, wie sie das Gesetz bietet. Dabei wird, wenn dieser Grenzschutz überhaupt funktionieren soll, der Mißbrauch eines solchen Instruments ausgeschlossen sein. Allerdings ist der Bund in der Lage, im Falle des Art. 91 des Grundgesetzes — und das soll man offen sagen — auch über diese Kräfte zu verfügen, wenn eine Zusammenfassung aller Polizeikräfte notwendig werden sollte. Ich glaube, es wäre nützlich, in Zukunft alle mit der inneren Sicherheit zusammenhängenden Fragen weniger aus dem Gefühl des Mißtrauens und aus der Furcht vor einem Mißbrauch zu betrachten. Es wäre besser, man einigte sich hier auf gesunde Gesichtspunkte, die sich unmittelbar aus der uns gestellten Aufgabe ergeben, die Sicherheit im Innern zu bewahren. Man sollte bei dieser Frage keiner unzweckmäßigen Dogmatik Raum geben.
Meine politischen Freunde und ich unterstreichen den Wunsch des Herrn Bundesinnenministers, diese Vorlage in ihrer jetzigen Fassung mit Entschlossenheit und Festigkeit zu verabschieden.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumayer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hätte annehmen dürfen, daß eine Gesetzesvorlage, die die innere Sicherheit der jungen demokratischen Republik Deutschland betrifft, die einmütige Zustimmung dieses Hohen Hauses finden würde. Leider ist dies nach den heutigen Ausführungen nicht der Fall. Ich hatte das um so mehr .angenommen, als gestern noch im Ausschuß für innere Verwaltung doch wohl kein Zweifel darüber bestand, daß die Bestrebungen des Herrn Innenministers, auf dem Wege über die Grenzschutzpolizei die Sicherheit im Innern zu gewährleisten, Zustimmung gefunden haben.
Um so überraschter war ich und waren sicher auch alle diejenigen Freunde, die gestern der Sitzung des Auschusses für innere Verwaltung beigewohnt haben, daß heute gerade Herr Kollege Menzel eine andere Haltung eingenommen hat, als
nach seinen gestrigen Ausführungen zu erwarten war.
Meine Damen und Herren, auch wir von der Freien Demokratischen Partei hätten lieber den Weg über die Verfassungsänderung beschritten, um dem Bund eine Bereitschaftspolizei zu geben.
Daran haben wir keinen Zweifel gelassen. Die Schwierigkeiten haben sich im Ausschuß für innere Verwaltung ergeben. Man konnte sich dort nicht einigen. Ich hoffe, daß eine Einigung in den nächsten Tagen oder Wochen doch noch möglich sein wird. Aber hier tut Eile not. Aus diesem Grunde hat man den Umweg gewählt, auf Grund von Art. 87 des Grundgesetzes eine Grenzschutzpolizei zu errichten. Darüber bestand gestern im Ausschuß volles Einverständnis.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst habe der Delegation angehört, die vor 14 Tagen in Italien auf Einladung des italienischen Innenministeriums die dortigen Polizeiformationen besichtigt hat. Ich habe mich überzeugt — und ich glaube, wir alle, die wir dieser Delegation angehört haben, haben uns davon überzeugt —, wie einsatzfähig diese junge Polizeitruppe und wie ausgezeichnet ihr Geist ist. Wir haben die Einrichtungen kennengelernt, die zur Schulung dieser Polizeitruppen dienen. Wir haben die Schulen besucht. Wir haben auch verschiedenen Übungen beigewohnt und dabei die Schnelligkeit des Einsatzes mit eigenen Augen beobachten dürfen. Wenn ich daran zurückdenke, welch schlagkräftiges Instrument sich die italienische Regierung für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Innern geschaffen hat, so kann ich ein Gefühl der tiefen Beschämung nicht unterdrücken, wenn ich die heutige Debatte im Bundestag beobachte und feststelle, welchen Schwierigkeiten die junge Bundesrepublik Deutschland hier gegenübersteht, Schwierigkeiten, die sowohl von seiten der Länder wie auch von anderer Seite immer wieder gemacht werden. Gewiß, wir haben einen föderativen Staat. Man kann aber auch den Föderalismus überspannen und auf die Spitze treiben, so daß schließlich das Ganze darunter leiden muß. Es ist überraschend, festzustellen, daß nicht nur von seiten der historisch gewachsenen Länder eine gewisse Opposition gegen zu zentralistische Bestrebungen geltend gemacht wird, sondern daß gerade auch andere Länder, die mehr oder weniger durch Zufall entstanden sind, immer wieder ängstlich darüber wachen, ob nicht das eine oder andere ihrer Rechte verletzt wird.
Ich muß gestehen: meine Freunde und ich haben kein Verständnis für eine solche Überspitzung des Föderalismus, wie sie gerade in dieser für unser ganzes deutsches Volk lebenswichtigen Frage immer wieder in Erscheinung tritt. Ich glaube, es ist Zeit, auch einmal wieder an das Wort zu erinnern, das der Reichsfreiherr vom Stein vor nahezu 150 Jahren gesprochen hat, derselbe Stein, der in seinem Leben immer nassauischer Standesherr geblieben ist, der aber doch damals gesagt hat: Ich kenne nur ein Vaterland, und das heißt Deutschland! Darauf sollte man sich immer wieder besinnen und hier, wo es sich um die Sicherung dieses deutschen Vaterlandes, um die Sicherung der Weiterentwicklung der jungen Bundesrepublik und um die Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern handelt, nicht solche Schwierigkeiten machen.
Auf der anderen Seite besteht nun die Furcht, daß die Regierung oder die Regierungsparteien sich hier ein Machtinstrument schaffen könnten. Diese Furcht ist, wie schon wiederholt im Ausschuß erklärt worden ist, völlig unbegründet. Die Demokratie lebt durch das Wechselspiel der Kräfte, und was heute Opposition ist, kann morgen Regierung sein — und umgekehrt. Infolgedessen haben wir nicht das Interesse, durch dieses Instrument nur die Regierungsparteien oder die Regierung zu stützen, sondern die Demokratie als solche soll geschützt und gegen Angriffe im Innern gefeit werden.
Darum allein handelt es sich bei diesem Gesetz, und ich bitte doch, auf der Oppositionsseite dafür Verständnis aufzubringen. Das sollte auch bei der Zusammensetzung bzw. bei der Auswahl der Leute, die für die Polizei — —
— Darüber ist schon so viel gesprochen worden, Herr Kollege Schoettle, daß ich mich darauf beschränken kann, hier einige allgemeine Ausführungen zu machen. — Bei der Auswahl der Leute wird auch von uns Wert darauf gelegt, daß man nicht nach dem Parteibuch verfährt, sondern nur die Befähigung und die Integrität der Leute prüft. Gerade auf den letzten Begriff legen wir besonderen Wert, weil wir den Eindruck haben, daß bei den Landespolizeien gerade der Begriff der Integrität nicht überall entsprechend gewahrt worden ist.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir sind bereit, dem Herrn Innenminister jegliche Vollmacht zu gewähren, die er benötigt, um hier ein Instrument aufzurichten, das in der Lage ist, den Schutz unserer demokratischen Republik im Innern zu gewährleisten. Aus diesem Grunde stimmen wir dem Gesetz in der Fassung der Regierungsvorlage mit den Änderungen zu, die der Bundesrat vorgenommen hat und die die Regierung gebilligt hat.
Die Paßkontrolle — der Auffassung sind auch wir — muß in den Händen des Bundes bleiben. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wenn das Haus brennt, muß der Schlüssel zum Spritzenhaus in den Händen eines einzelnen liegen, und das kann nur der Innenminister der deutschen Bundesrepublik sein.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Meine Damen und Herren! Darf ich von der Feuerlöschpolizei Gebrauch machen und einiges zur Beruhigung und Abdämpfung sagen? Meinem Herrn
Vorredner ist eben ein Irrtum passiert, als er von einem Umwege sprach.
Bei dieser Vorlage sind zwei streng getrennte rechtliche Wege und Verfahren zu unterscheiden. Das eine ist der Weg, der von Ihnen vorgeschlagen ist, nämlich der der Verfassungsänderung und der Schaffung von Bundesbereitschaftspolizeien durch Verfassungsänderung. Das zweite ist der Weg von Bundesgrenzschutzbehörden, den wir deshalb vorgeschlagen haben, weil der erste Weg sich durch die mit der Verfassungsänderung zusammenhängenden technischen Schwierigkeiten noch etwas verzögert. Wir haben Ihnen auch den zweiten Weg als den schnelleren vorgeschlagen, weil die gegenwärtigen Verhältnisse zu einer schnelleren Verstärkung unserer Sicherheit an den Grenzen zwingen.
Es sind also bewußt zwei Wege nebeneinander und kumulativ beschritten worden.
Ich darf noch etwas zu der Kostenfrage sagen. Die Summe, die in der letzten Zeit in der Zeitung genannt wurde, ist eine Schätzung, die auf unseren und auf den eigenen Untersuchungen des Finanzministers beruht. In dieser Summe sind die Ersteinrichtung und die laufende Unterhaltung sämtlicher Polizeien in den Ländern und im Bunde einbegriffen, also einschließlich der Festbauten und sonstiger kostspieliger Einrichtungen im Anfang.
Ich möchte noch ein Wort sagen, weil mir das wiederum in meiner Eigenschaft als „Feuerwehrmann" wichtig ist. Es handelt sich um eine Äußerung, die Herr Paul gemacht hat, als er meinte, es sei die Absicht der Bundesregierung, ihre Bundespolizeikräfte — namentlich in den jetzt bevorstehenden Auseinandersetzungen — gegen die Gewerkschaften einzusetzen.
Meine Damen und Herren, man soll niemand hinter dem Busch suchen, hinter dem man selber sitzt!
Wir wissen sehr genau, wer im Augenblick ein
Interesse daran hat, an einem eventuellen Feuerchen ein besonderes Süppchen zu kochen. Ich kann
Ihnen versichern, daß es mir selbstverständlich
aufgefallen ist, wenn in der letzten Zeit in gewissen Presseartikeln immer wieder angeblich von
mir gemachte Äußerungen zitiert worden sind, die
sich auf das Eingreifen in einen etwa kommenden
Streik beziehen. Ich habe darüber Herrn Böckler
selbst unterrichtet, weil im Eifer des Gefechts
seitens der Gegenseite Orte und Reden angegeben
wurden — Orte, an denen ich nicht gewesen bin,
und Reden, die ich überhaupt nicht gehalten habe.
Ich weiß aber sehr gut, wer ein Interesse daran hat, daß ein solcher Verdacht in den Gewerkschaften in dem Augenblick erweckt wird, in dem es gerade darauf ankommt, bei eventuell eintretenden Schwierigkeiten aufs engste mit der Gewerkschaft zusammenzuwirken, damit das, was nötig ist, geschehen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Verhandlungen des
Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung herrschte von vornherein Einmütigkeit darüber, daß das Vorliegen eines Sicherheitsbedürfnisses zu bejahen sei, auch eines Bedürfnisses nach verstärkter Organisation auf dem Gebiet der Polizei zu bejahen sei. Ich darf hier feststellen, daß die Anträge der Opposition auf Verfassungsänderung diesem Sicherheitsbedürfnis entsprechen.
Ich könnte mir sogar vorstellen, daß, wenn es im April oder März schon brennt, die Opposition sagen würde: „An uns liegt es nicht; wir haben früh genug Anträge gestellt", nämlich Anträge auf Verfassungsänderung.
— Meine Herren, ich sage das nicht, um mich bei Ihnen anzuschmeicheln, aber ich möchte doch verhindern, daß Herr Renner allzuviel Honig aus der Blüte — der Rede des Herrn Menzel zu saugen unternimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben uns im Ausschuß in sehr netter Art um eine Regelung bemüht; — Ausschußarbeit ist ja etwas anderes als Plenum, und ich wundere mich eigentlich darüber, Herr Minister, daß Sie diesen Unterschied nicht anerkennen wollen. Ich habe hier von dem Plenum manchmal den Eindruck, daß es so ein Ersatz für eine Bestimmungsmensur sei, bei der man sich nachher doch wieder die Hände gibt.
Wir haben jedoch feststellen müssen, daß im Ausschuß keine Mehrheit für diese verfassungsändernden Anträge zu bekommen war. Herr Kollege Menzel, Sie wissen ganz genau, an meiner Person hat es nicht gelegen.
Wiederum: ich will mich damit nicht bei Ihnen anschmeicheln!
Nun hat der Herr Bundesinnenminister das Fazit gezogen. Es brennt, wie er sagt. Ich nehme nicht an, daß er uns mit Schauermärchen füttert. Er hat einen Ausweg gesucht und den gewählt, den ihm die Verfassung gibt, und so kam er zu den Grenzschutzbehörden.
Meine Damen und Herren! Wir sind auch von unserer Seite aus sehr genau darauf bedacht, daß hier keine Vermischung mit Militär stattfindet.
Ich bin auch mit auf dieser „italienischen Reise" gewesen. Es ist dort allerhand geleistet worden. Aber ich für meine Person kann nur sagen: so etwas wie Kasernenluft war doch dabei, und die mag ich nicht mehr.
Wir werden darauf bedacht sein, daß diese Vermischung mit Militär nicht stattfindet; wir werden auch auf gute Relationen der Stärke zu anderen Polizeiformationen und -sparten bedacht sein.
Nun haben Sie, Herr Kollege Menzel, ein so besonderes Mißtrauen gezeigt, weil der gestern von mir im Hause angekündigte Antrag hier nicht vorlag. Schön! Die maßgebenden Herren meiner Fraktion waren der Meinung — der ich dann auch beitreten mußte —, daß es nicht üblich sei, schon bei der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs mit einem Resolutionsantrag hervorzutreten.
Herr Abgeordneter Dr. Dresbach, es ist nicht einmal zulässig, in der ersten Lesung Anträge zu stellen!
Ich danke Ihnen sehr für die Unterstützung, Herr Präsident. Jetzt bin ich salviert.
Aber ich darf dann doch schon ankündigen, daß der Antrag, den ich im Ausschuß stellen werde, folgenden Inhalt haben wird.
Die Stärke des Personals der Bundesgrenzschutzbehörden ist durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages festzusetzen. Dieser Beschluß kann nur mit der gleichen Mehrheit geändert werden.
Von uns geht also der Antrag aus, sozusagen eine Erschwerung für das Zustandekommen einer Mehrheit, die eine Änderung herbeiführen will, einzubauen.
Ich hoffe, daß wir in den Sitzungen und Beratungen des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung diese Bestimmungsmensur nach den Allüren von heute sehr bald wieder beenden und unter dem Vorsitz des vortrefflichen Kollegen Herrn Maier wieder zu der netten Zusammenarbeit wie bisher kommen werden.
Für uns handelt es sich bei den Grenzschutzbehörden nicht um ein Ende, auch nicht etwa um einen Verzicht auf anderes, sondern um einen ersten Anfang zur Sicherung dort, wo es hauptsächlich brennt, und das scheinen uns doch die Grenzen zu sein.
Ich stelle hiermit den Antrag, daß der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überwiesen wird. Ich bin sicher, daß wir ihn dort im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Innern ernsthaft bearbeiten werden und daß unsere Arbeit zu einem guten Ergebnis führen wird.
Für meine Person kann ich noch erklären: Wenn ich mich gestern im Ausschuß bei dem Antrag der Frau Nadig von der Sozialdemokratischen Partei, diesen Gesetzentwurf, den wir vor unserem Ausschuß erwarteten, mit den Verfassungsänderungsvorschlägen zu koppeln, der Stimme enthalten habe, so darf ich heute vielleicht sagen: Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an?
Ich werde bei dieser Arbeit mittun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Argumente gegen dieses Gesetz, die vorhin von seiten der Sozialdemokratie vorgebracht wurden, nur unterstützen.
— Meine Damen und Herren, unsere Freundschaft mit der SPD ist so intim, daß wir durchaus in manchen sachlichen Fragen übereinstimmen können, ohne daß es hier wundernehmen sollte. Ich kann das Argument, daß für diese Polizei keine Aufgabenstellung vorhanden sei, nur unterstreichen. Es wurde hier erklärt, daß diese Polizei keinen militärischen Charakter haben solle. Ich möchte fragen: Was soll sie tun? — „Sicherung vor
verbotenen Grenzübertritten?" Was versteht die Regierung darunter? Meint sie etwa einen verbotenen Grenzübertritt en masse der Volkspolizei, oder meint sie den Grenzübertritt einiger junger Schmuggler im Westen? Für die Abwehr der Schmuggler sollte meines Erachtens die vorhandene Polizei, die allerdings etwas besser bewaffnet werden sollte, ausreichen. Der Zollgrenzschutz ist ebenfalls noch da, und er ist auch bewaffnet und hoch besoldet. Bei der Volkspolizei müßte man wohl zu anderen Maßnahmen greifen, als es die in diesem Gesetz vorgesehenen Kräfteeinsätze sind.
Es wurde hier gesagt: „Es brennt!" Meine Damen und Herren, es brennt gar nicht. Der Vergleich mit Italien zieht ebenfalls nicht. Vergessen Sie doch bitte nicht, daß es der Innenminister von Italien mit einer Kommunistischen Partei zu tun hat, die zu den stärksten Parteien jenes Landes gehört. Hier sind die Dinge doch weiß Gott etwas anders.
- Was heißt „der eine spürt's, der andere spurt's nicht"? Sie können ja das Wahlergebnis genau so gut lesen wie ich, und Sie können auch die kommunistischen Kräfte Deutschlands mit den kommunistischen Kräften Italiens vergleichen. Tut man es, dann kann man nur sagen, sie sind hier s o klein im Vergleich zu Italien.
Wenn man nun sagt, diese ganze Polizeifrage könne an sich zweckdienlich nur durch eine Verfassungsänderung gelöst werden, dann frage ich: Warum hat man diese Änderung der Verfassungsbestimmung, die sich noch auf vielen anderen Gebieten hemmend auswirkt, nicht hierbei durchgesetzt? Es bleibt also auch in Zukunft bei der Pruckelei, die bisher auf diesem staatsrechtlichen Gebiet üblich war.
Außerdem sind auch wir mit den genannten Personalzahlen keineswegs einverstanden. Wozu braucht der Bund, dessen Zentralgewalt auch wir stärken möchten, 25 000 Polizisten zu einem Zeitpunkt, zu dem er — es klingt banal — kein Geld für soziale Zwecke. zur Verfügung hat?
Meine Damen und Herren, sorgen Sie bitte dafür, daß die Herren
auf dem Petersberg ihre albernen Argumente in bezug auf die derzeitige Bewaffnung der Polizei zurückstellen. Sorgen Sie dafür, daß unsere jetzt vorhandenen Polizisten mit dem entsprechenden Handwerkszeug ausgerüstet werden. Dann können sie alle die Aufgaben, die Sie hier von der Grenzschutzpolizei erledigt sehen wollen, auch mit der vorhandenen Polizei bestens ausführen.
Das Wort hat noch einmal der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für die Angelegenheiten der inneren Verwaltung, sondern auch dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung zu überweisen; denn der Herr Innenminister hat — und darin trete ich ihm bei — seine Vorlage vor allem damit begründet, daß dieses Gesetz entscheidend die Probleme der inneren und der Grenzsicherheit berühre. Wir glauben daher, daß dieses Gesetz
das typische Arbeitsgebiet des Ausschusses für Verfassungsschutz darstellt.
Die Auslassungen des Herrn Innenministers geben mir zu einer kurzen Replik Veranlassung. Zunächst möchte ich allerdings auf etwas eingehen, was der Herr Abgeordnete von Merkatz geäußert hat. Die Ausführungen des Herrn Kollegen von Merkatz können in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als wenn der Parlamentarische Rat bei der Verfassungsgebung auf diesem Gebiete sehr oberflächlich und leichtfertig gearbeitet und gehandelt hätte. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, daß gerade auch aus den Kreisen des Herrn von Merkatz, der Deutschen Partei, die Drohung kam: Wenn der Bund polizeiliche Befugnisse bekommt, werden wir unter Umständen in die Zwangslage versetzt sein, dieses Grundgesetz abzulehnen!
Wer war denn im Hauptausschuß und im Plenum des Parlamentarischen Rates der Sprecher der Deutschen Partei? Das war Herr Seebohm. Und wer war denn der Mentor, wer war denn derjenige, der Herrn Seebohm instruiert hat, so daß sich Herr Seebohm in den Ausschüssen damit begnügen konnte, das abzulesen, was ihm mit Schreibmaschine vorgeschrieben war? Das war Herr von Merkatz.
— Herr Kollege von Merkatz, wir haben nicht umsonst neun Monate hier in diesem Gebäude zusammengesessen und an diesem Gesetz gearbeitet. Herr von Merkatz, Sie sagten als Entschuldigung, Sie seien nicht Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen.
In dem selbstgeschriebenen Lebenslauf für das Handbuch des Bundestages steht: Herr von Merkatz war Mitglied des Parlamentarischen Rates.
Es dürfte also ganz gut sein, aufzuklären, woher das nun so kommt.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es hieße, die Tatsachen und die Entwicklung der Dinge doch leicht verwirren und auf den Kopf stellen, wenn man — und das hat der Herr Bundesinnenminister eben zu erkennen gegeben — sagen wollte: die heutige Stellungnahme der Sozialdemokratie sei nur aus einer parteipolitischen Einstellung zu erklären. Wer hat denn überhaupt die Initiative ergriffen, damit die Verfassung auf polizeilichem Gebiet geändert wird? Das war doch die Sozialdemokratie. Und wer hat hier denn Schwierigkeiten über Schwierigkeiten gemacht? Das waren doch die Regierungsparteien mit Ausnahme der FDP, und zwar nicht nur im Parlamentarischen Rat, sondern noch in der Oktober-Sitzung des Bundestages.
Wenn hier von einem der Redner erklärt wird, ich glaube, dem Herrn Kollegen Neumayer, er sei erstaunt, daß ich heute gegen die Grenzschutzbereitschaften spräche — ich habe gar nicht dagegen gesprochen, daß der Bund den Grenzschutz bekommt, sondern nur dagegen, daß er die Bereitschaften aufstellen darf —, dann möchte ich darauf erwidern: Wir haben gestern im Ausschuß für innere Verwaltung beschlossen, daß — um die Bedenken der Opposition zu zerstreuen, es handle sich hier um den Versuch der Aufstellung von quasi
militärischen Kaders von 60- oder 70 000 Beamten, wie es der Bundeskanzler bereits im vorigen Sommer erhofft hat — die CDU den Antrag einbringen wird, die Stärke des Grenzschutzes mit absuluter Mehrheit zu beschließen. Jetzt heißt es plötzlich, das sei nach der Geschäftsordnung nicht zulässig. Es handelt sich ja gar nicht um den Abänderungsantrag zu einem Gesetzentwurf — es mag sein, daß das nach der Geschäftsordnung unzulässig ist —, es handelt sich hier lediglich um einen zusätzlichen Punkt der Tagesordnung, den wir auf Grund dieser Debatte hätten beschließen können. Daß Sie das ablehnen — das müssen Sie doch verstehen —, muß uns stutzig machen.
Herr Bundesinnenminister, daß Sie den Kommunisten antworteten, verstehen wir; denn ich möchte Herrn Kollegen Paul eins sagen. Ich glaube, es steht Ihrer Partei schlecht an, über das Problem Polizei und Streik zu sprechen, wenn Sie sich bitte an das erinnern, was die Ostzonenpolizei bei dem Eisenbahnerstreik im Jahre 1949 getan hat,
als sie auf die streikenden Eisenbahner in Berlin, die man um 4/5 ihres Lohnes betrügen wollte, geschossen hat!
Aber, Herr Bundesinnenminister, ich glaube, es war kein glücklicher Zungenschlag, daß Sie sich durch Zwischenrufe von links aufs Glatteis führen ließen, als der Hinweis geschah — es mag dahingestellt bleiben, ob er objektiv richtig ist oder nicht —, Sie hätten einmal Herrn Hitler die Tür geöffnet, und daß Sie der Situation, glaube ich, nicht gerecht wurden, indem Sie sagten: Sie seien bereit, das ein zweites Mal zu tun. Wir würden uns freuen, wenn das ein Mißverständnis wäre.
Zum Schluß mag gesagt sein, der Herr Bundesinnenminister hat diese Opposition völlig falsch verstanden. Der Herr Bundesinnenminister ist nämlich nicht nur Polizeiminister, sondern er ist in erster Linie d e r Minister, der die Verfassung zu schützen hat. Er hat sie nicht nur durch Polizei und ihre Bewaffnung zu schützen, sondern, Herr Bundesinnenminister, Ihre Verpflichtung geht in erster Linie dahin — ich muß leider etwas wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe —, die Verfassung auch dann zu achten, wenn sie Ihnen bei ihrer praktischen Anwendung manchmal vielleicht Schwierigkeiten bereiten sollte. Grundsatz Ihrer Arbeit für die Gesetzgebung muß nicht nur rechtsstaatliches Denken, sondern in erster Linie rechtsstaatliches Handeln sein!
Meine Damen und Herren! Wir sind als Opposition ja bereit, dem Bund bestimmte polizeiliche Möglichkeiten zu geben. Wir sind doch diejenigen, die mit der Stellung verfassungsändernder Anträge begonnen haben. Aber Sie von der CDU haben es auch gestern dem Ausschuß unmöglich gemacht, darüber zu beraten. Sie waren es doch, die gestern im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung beantragt haben, die weitere Beratung der Verfassungsänderung zurückzustellen.
Sie können sich doch heute nicht hierhinstellen und erklären, es liege nur an der unfreundlichen Haltung der Opposition, daß Sie auf diesem Gebiet nicht weiterkämen. Wir sind bereit, dem Bund zu geben, was des Bundes ist; aber wir fordern, daß
das entsprechend der Verfassung und nicht gegen die Verfassung geschieht!
Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Dr. Dresbach hat diese Debatte in liebenswürdiger Weise mit der Bestimmungsmensur verglichen. Es liegen noch weitere vier oder fünf Wortmeldungen vor. Ich würde Ihnen vorschlagen, die Debatte doch im Rahmen der Bestimmungsmensur zu belassen und sie nicht bis zur Kampfunfähigkeit einer Partei durchzuführen.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle den Antrag, diesen Gesetzentwurf nur dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu überweisen. Ich glaube, Herr Kollege Menzel, wir sind ebenso mächtig und stark, diesen Gesetzentwurf auch nach seiner Verfassungsgefahr hin zu überprüfen, wie wir ja auch die Anträge auf Verfassungsänderung bisher ausschließlich allein behandelt haben.
Der Herr Bundesinnenminister zu einer Klarstellung.
Meine Damen und Herren! Nur eine persönliche Bemerkung. Mir wird eben das Stenogramm der letzten Debatte vorgelegt, in der Herr Renner hier gesagt hat: „Ja sicher, Sie haben schon einmal Herrn Hitler die Tür aufgemacht. Wir wissen das". Ich habe Herrn Hitler nie die Tür aufgemacht.
— Nein, nein! — Das beabsichtige ich auch nicht. Mit dieser Legendenbildung können Sie wirklich keinen Hund hinter dem Ofen vorlocken. Ich habe Ihren Zuruf falsch verstanden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hamacher.
Nach dem Antrag des Kollegen Dr. Dresbach fasse ich mich kurz. Im Namen meiner politischen Freunde, der Fraktion des Zentrums, stimme ich dem Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Dresbach zu.
Ich nehme an, daß das Haus verstanden hat: die Fraktion des Zentrums stimmt dem Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Dresbach zu.
Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Bestimmungsmensur fortzusetzen, aber ich bedaure, daß der Herr Kollege Menzel hier einige an das Persönliche rührende Dinge gesagt hat, die eigentlich nicht zur Sache gehören. Ich habe hier nicht zu rechtfertigen, in welchen Formen eine Fraktion eng zusammenarbeitet. Ich möchte bloß daran erinnern: nach denselben Methoden arbeiten Sie in sehr intensiver Weise! Größere gesetzgeberische Arbeiten müssen von wissenschaftlichen Hilfskräften vorbereitet werden. Ein Mann wie mein Parteifreund Dr. Seebohm hatte es nicht nötig, irgendwelche Dinge, die ihm vorbereitet waren, unüberprüft zu übernehmen.
Er hatte seinen eigenen Willen dabei, und wir haben das genau so gemacht, wie das in einer anständigen Parlamentsarbeit üblich ist und wie man überhaupt zusammenarbeitet. Daß man diese Methode hier von der Tribüne aus verteidigen muß oder sie persönlich vorgehalten bekommt, halte ich für absolut abwegig."
Ich habe leider den Korrekturbogen zu diesem Parlamentsbuch niemals in die Hände bekommen, sonst wäre der darin enthaltene Fehler selbstverständlich berichtigt worden.
Aber nun zur Sache. Ich erinnere mich sehr wohl an die Rede des Herrn Kollegen Menzel — es war eine der Abschlußreden —, in der er auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, dem Bundesstaat Gewalt zu geben. Es war die Linie der sozialdemokratischen Fraktion im Parlamentarischen Rat, eine zentralistische Lösung durchzusetzen, und es war der Wunsch meiner politischen Freunde, einen echten Föderalismus zu verwirklichen. Wir sehen in diesem Grundgesetz nicht jenes gute Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen des Bundes und den Bedürfnissen der Länder. Gerade diejenigen Länder — ich sage hier etwas, das vielleicht Widerspruch erregen mag —, die zentral gesteuert sind und in denen nicht Länderpolitik, sondern Parteipolitik getrieben wird, haben ja die Schwierigkeiten bei dieser Frage gemacht!
Wenn wir mit der Opposition in dem Grundsatz einig gehen: Gebt dem Bund, was des Bundes ist, so ist dies der wichtigste föderalistische Standpunkt, den es überhaupt gibt. Ein föderativ aufgebauter Staat, dessen Glieder vom ehrlichen Willen zur Zusammenarbeit erfüllt sind, ist stärker als ein zentralistisch regierter Staat. Dazu ist es erforderlich, daß man dem Bunde die erforderlichen Mittel gibt, um Aufgaben zu erfüllen, die einem Gesamtbedürfnis entspringen und über die Möglichkeiten der Glieder hinausgehen. Wir haben im Parlamentarischen Rat als Deutsche Partei einen Föderalismus vertreten, der eine Stärkung der Gesamtheit zum Ziel hatte. Was aber dann in das Grundgesetz hineingeschrieben worden ist — merkwürdig, wie die Standpunkte gewechselt haben! —, hat unseren Vorstellungen nicht entsprochen. Wir wenden uns dagegen, daß man den eigentlichen Grundgedanken: Stärkung durch eine Einigung in der Freiheit nicht begreifen will.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der ersten Beratung.
Es ist zunächst beantragt worden, diesen Gesetzentwurf an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu überweisen.
— Darüber besteht Einmütigkeit.
Es ist weiter beantragt worden, den Gesetzentwurf dem Ausschuß zum Schutze der Ver-
fassung zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt worden. Der Gesetzentwurf ist allein dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überwiesen.
Ich rufe jetzt auf Punkt 6 der Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht .
Der Mündliche Bericht des Ausschusses für
Rechtswesen und Verfassungsrecht ist erstattet.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir so verfahren, wie es geschäftsordnungsmäßig vorgesehen ist, daß wir also jetzt zunächst die Einzelbesprechung vornehmen und die allgemeine Aussprache über das Gesetz zu Beginn der dritten Beratung stattfindet.
Damit ein Überblick darüber besteht, welche Vorlagen und Abänderungsanträge vorliegen, darf ich einmal zusammenstellen—ich bitte einen Augenblick dafür um Aufmerksamkeit und wäre dankbar, wenn dazu eine gewisse Ruhe hergestellt werden könnte —: Neben der Vorlage des Ausschusses in Drucksache Nr. 1724 ist in Ihren Händen der Umdruck Nr. 56, Änderungsantrag der Fraktion der KPD, ferner der Umdruck Nr. 54, Änderungsantrag der Abgeordneten Brookmann, Dr. Oellers, Wittenburg und Genossen bezüglich § 1 Abs. 2.
Weiter liegt vor ein Antrag der Abgeordneten Dr. von Brentano und Fraktion, Dr. von Merkatz und Fraktion, Ollenhauer und Fraktion, Euler und Fraktion zum § 1 Abs. 2:
Der Sitz des Bundesverfassungsgerichts wird durch Gesetz bestimmt.
Ferner: Umdruck Nr. 58, Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu § 90 Abs. 2. Weiterhin der Umdruck Nr. 59, Änderungsantrag der Fraktion des Zentrums.
Soeben ist mir ein Antrag der Abgeordneten Dr. Mommer und einiger weiterer Abgeordneten zu § 34 Abs. 4 eingereicht worden.
Dann liegt vor ein Antrag der Abgeordneten Schoettle, Dr. Wuermeling und Genossen betreffend Streichung des § 97 und gleichzeitig Vorlage eines besonderen Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts.
Damit, meine Damen und Herren, habe ich Ihnen
alle bisher vorliegenden Abänderungsanträge bekanntgegeben. Ich nehme an, daß Sie sich jetzt
völlig darüber klar sind, was beantragt ist.
Ich rufe zunächst § 1 des Gesetzes auf.
Zunächst hat sich der Abgeordnete Herr Dr. Laforet zum Wort gemeldet.
- Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß ich im Interesse der Vereinfachung der Aussprache die Teile einzeln aufrufe? Zunächst Teil I §§ 1 bis 16. Es besteht dann die Möglichkeit, zu den einzelnen vorliegenden Abänderungsanträgen Stellung zu nehmen. - Sie sind damit einverstanden.
Ich rufe also nicht nur auf § 1, sondern den I. Teil, Überschrift des Teils I, §§ 1 bis 16 des Gesetzes.
Bitte, Herr Abgeordneter Laforet)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Beginn der Einzelberatung möchte ich die Berichte der Herren Referenten kurz ergänzen.
Der Entwurf des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes gibt Ihnen den Entwurf des wichtigsten verfassungsrechtlichen Gesetzes, das im Vollzug des Grundgesetzes erlassen ist. Es zeigt Ihnen die Bedeutung der Sache, daß der Herr Bundespräsident selbst ein besonderes Interesse am Fortgang unserer Arbeiten gezeigt hat und daß die beiden Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Herr Kollege Dr. Arndt und ich, dem Herrn Bundespräsidenten am 2. Dezember 1950 über den erfolgreichen Fortgang der Arbeiten zu berichten hatten. Wir haben dabei die volle Billigung des Herrn Bundespräsidenten gefunden, als wir dargelegt haben, daß das Bundesverfassungsgerichtsgesetz so tief in unser ganzes Verfassungsleben eingreift, daß die Erlassung des Gesetzes von der Zusammenarbeit und dem Einverständnis des allergrößten Teils der Mitglieder des Bundestags getragen sein muß.
Das letzte Jahr hat den Bundestag zu einmütigen grundsätzlichen Beschlüssen in der Frage des Wohnungsbaus sowie der Versorgung der Kriegsopfer geführt. Auch die Juristen der verschiedenen Parteien, soweit sie an den Verhandlungen im Rechtsausschuß beteiligt waren, haben bei ihrer Arbeit für das Bundesverfassungsgericht gezeigt, daß sie sich in großen Aufgaben einigen können. Da mußten auch die festgegründeten Meinungen einzelner zurücktreten. Die Meinungsverschiedenheiten bestanden, wie naturgemäß bei einem solchen Gesetzgebungswerk, bei allen Fraktionen nicht nur gegenüber Angehörigen anderer Parteien, sondern auch gegenüber Freunden in der eigenen Partei. Deshalb haben sicherlich die Mitglieder des interfraktionellen Unterausschusses, die die Einigung in allen wesentlichen Fragen herbeigeführt haben, ein besonderes Verdienst. Ich darf — ich möchte um die Erlaubnis bitten — den besonderen Dank des Vorsitzenden des Rechtsausschusses an diese Mitglieder auch hier vor dem Plenum des Bundestags aussprechen.
Der Rechtsausschuß hat diesem Gegenstand 32 Sitzungen zuwenden müssen, davon eine größere Zahl von ganztägigen Sitzungen. Dazu treten die vielen Sitzungen des interfraktionellen Einigungsausschusses.
Der Bundesrat hat sich in außerordentlich bedeutsamen Darlegungen zum Sachgegenstand geäußert. Der Rechtsausschuß des Bundestags hat mit der Vertretung des Bundesrats auch in der Fortentwicklung der Verhandlungen stets Fühlung gehalten.
Über den Gang der Entwicklung und das Ergebnis haben Ihnen die Herren Referenten des Rechtsausschusses berichtet. Für die Auslegung des Gesetzes sind auch die Meinungsverschiedenheiten von Bedeutung, die heute von den einzelnen Vertretern der Parteien — auch meine Fraktion nimmt das für sich in Anspruch, und es werden andere Fraktionen folgen — hier vorgetragen werden. So möge es verstanden werden, wenn Ihnen kurz die entscheidenden Gesichtspunkte vorgetragen werden, die für die persönliche Stellungnahme Einzelner oder einer Gruppe zu den entscheidenden Fragen wesentlich waren.
Das Bundesverfassungsgericht ist kein oberes Bundesgericht, sondern nach § 1 ein Verfassungsorgan in der Reihe der durch das Grundgesetz geschaffenen Verfassungsorgane: Bundestag, Bundes-
rat, Bundespräsident, Bundesregierung. Aber es ist ein Gerichtshof des Bundes, der gegenüber den übrigen Verfassungsorganen selbständig und unabhängig ist. Das Bundesverfassungsgericht ist ein echtes Gericht, dessen Mitglieder nach Artikel 97 Absatz 1 unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Es ist nach meiner Ansicht unrichtig, davon zu sprechen, daß seine Entscheidungen politische Entscheidungen im Gewande eines Richterspruches seien. Unter einem politischen Akt sind Akte zu verstehen, die das öffentliche Leben nach Ermessen gestalten. Auch die Gesetzgebungsakte sind insoweit politische Akte, weil sie vom gesetzgeberischen Ermessen bestimmt werden. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben gewisse Wirkungen besonderer Art für das öffentliche Leben und für die obersten Staatsorgane, ja sie haben sogar in bestimmten Fällen aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtssicherheit Gesetzeskraft. Aber das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, das Recht zu gestalten. Es hat keine Willensentscheidung nach gesetzgeberischem Ermessen zu treffen, sondern eine Auslegung und Anwendung des gegebenen Rechts vorzunehmen wie jedes Gericht. Es hat als Grundlage zu nehmen, was bereits rechtlich gestaltet ist. Es hat nur dieses gestaltete Recht auszulegen und für das Verfassungsleben anzuwenden.
Es ist auch eine Rechtsentscheidung, wenn zum Beispiel festgestellt wird, ob die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigt oder ob die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse eine Regelung über das Gebiet eines Landes hinaus erfordert und ob deshalb nach Artikel 72 Absatz 2 Ziffer 3 des Grundgesetzes ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht und ein danach erlassenes Gesetz verfassungsmäßig ist. Auch die Gerichte haben darüber zu entscheiden, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen ein von der Gesetzgebung gestellter Rahmen eingehalten oder überschritten ist. Auch hier liegt nichts anderes vor als das, was man im ganzen Rechtsleben in der Anwendung der sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriffe" kennt, wie wir sie beispielsweise bei den Begriffen „Treu und Glauben", „Anforderungen des Gemeinwohls" und „angemessene Entschädigung" kennen.
Meine Damen und Herren! Es ist heute nicht mehr darüber zu entscheiden, ob der Parlamentarische Rat nicht die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts zu umfangreich gestaltet hat. Der Blick auf den ganz außerordentlichen Umfang der Geschäftslast des Bundesverfassungsgerichts hat für einen Teil der Mitglieder des Rechtsausschusses eine Rolle gespielt, als zu entscheiden war, ob eine Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht eingeführt werden soll. Die Aufgaben mußten die Gestaltung des Gerichts, wie die Zahl und die Anforderungen entscheiden, die an die Richter zu stellen sind. Aus diesen Erwägungen ist die Einigung erfolgt, wie sie Ihnen jetzt im Gesetzentwurf vorliegt. Sie will ebenso die Einheitlichkeit des Gerichtshofs klarstellen wie das Ziel erreichen, daß nicht dieses höchste Gericht unter der Zahl und der Wucht seiner Aufgaben zusammenbricht.
Es ist nicht unrichtig, wenn man gesagt hat, daß es zwei Gerichte sind, die zu einem einheitlichen Organismus vereinigt sind; denn die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts sind auf zwei Senate verteilt. Es war nur zu regeln, welcher Senat für ein anhängiges Verfahren zuständig ist, wenn nach den gestellten Anträgen sowohl der erste wie der zweite Senat zuständig sind oder wenn die Zuständigkeit sonst zweifelhaft ist. Darüber entscheidet nach § 16 Abs. 3 das Plenum. Die Mitglieder des Ausschusses waren sich darüber klar, daß dadurch namentlich in der ersten Zeit eine besondere Geschäftslast für das Plenum entsteht.
Außer Zweifel stand, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, soweit dies überhaupt möglich ist, nur einheitlich sein kann. Der § 16 Abs. 1 gibt deshalb die klare Regelung, daß das Plenum entscheidet, wenn einer der beiden Senate von der Rechtsauffassung abweichen will, die in einer Entscheidung des anderen Senats enthalten ist. Es ist selbstverständlich, daß dies auch für jede Abweichung gilt, die gegenüber der Rechtsauffassung des Plenums eingetreten ist.
Der Umfang der Geschäftsaufgaben des Bundesverfassungsgerichts hat die Mitglieder des Rechtsausschusses überzeugt, daß gleiche Anforderungen an alle Richter des Bundesverfassungsgerichts gestellt werden müssen. Der Gedanke nebenamtlicher Tätigkeit im Bundesverfassungsgericht, wie wir sie im Staatsgerichtshof der Länder sehen und wie sie auch im Parlamentarischen Rat als Möglichkeit erörtert worden ist, mußte aufgegeben werden.
Für die Bildung des Bundesverfassungsgerichts waren die Bestimmungen des Art. 94 Abs. 1 des Grundgesetzes zugrunde zu legen. Die Schwierigkeiten, wie sie sich daraus ergeben, daß die eine Hälfte der Richter vom Bundestag und die andere Hälfte vom Bundesrat zu wählen ist, hat der Entwurf wohl überwunden. Bei der Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters ist im § 9 eine Lösung vorgeschlagen, die allerdings die Zufälligkeiten des Lebens nicht ausschließen kann, daß für die gleiche Zeit sowohl der Präsident wie sein Stellvertreter aus einer Wahl des gleichen Wahlkörpers hervorgegangen sind.
Über die allgemeinen Verfahrensvorschriften ist Ihnen berichtet worden, vor allem auch darüber, daß für die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts die Offizialmaxime - der Grundsatz des Amtsbetriebs — entscheiden muß, der im Gegensatz zum Zivilprozeß den öffentlichen Prozeß bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht erhebt nach § 26 Abs. 1 den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis von Amts wegen.
Zu bedeutsamen Erörterungen hat, wie der Herr Referent betonte, die Frage geführt, ob es ermöglicht werden soll, daß überstimmte Richter nicht nur im inneren Geschäftsbetrieb eine Sonderäußerung abgeben, sondern diese Sonderäußerung auch nach außen mitgeteilt wird, — mitgeteilt werden kann oder auf Forderung mitgeteilt werden muß. — Es ist nicht zu verkennen, daß die Gründe der Weiterbildung des Rechts für eine solche Regelung sprechen und daß Vorbilder in fremdem Recht gegeben sind. Dagegen sprechen die Gründe der Wahrung der Rechtsautorität des Gerichtshofs als solchem und die Gefahren, die namentlich in politisch erregter Zeit aus einem solchen Sondergutachten für die Überzeugung von der unbedingten Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts im Volke entstehen können. Zu den Gegenständen der Einigung gehört auch der Verzicht auf solche Sonderäußerungen. Dazu gehört auch der Verzicht auf die Aufstellung des Vertreters des öffentlichen
Interesses, so bedeutsam dieser im verwaltungsgerichtlichen Verfahren — im Gegensatz zu dem von den Beteiligten begonnenen und von ihnen geführten verfassungsgerichtlichen Verfahren — sein kann.
In den besonderen Verfahrensvorschriften ergeben sich naturgemäß dort besondere Schwierigkeiten, wo der Parlamentarische Rat als Gesetzgeber völliges Neuland betreten hat. Er hat die Auslegung des Art. 18 über die Verwirkung von Grundrechten wie des Art. 21 Abs. 2 über die Verfassungswidrigkeit von Parteien dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen. Hier wird, erst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grundlagen für die Staatspraxis geben können.
Die entscheidende Abweichung des Entwurfs gegenüber der Stellungnahme des Bundesrats ergibt sich in der grundsätzlichen Einführung der Verfassungsbeschwerde. Die Zulässigkeit der Bestimmung ist im Hinblick auf Art. 93 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu bestreiten. Ich gehöre zu denjenigen, für die es ein großes Opfer ist, sich der Einigung zu unterwerfen und die Verfassungsbeschwerde uneingeschränkt einzuführen, insbesondere hinzunehmen, daß nach der Wahl des Berechtigten gleichzeitig die Verfassungsbeschwerde zum Länderverfassungsgericht wie zum Bundesverfassungsgericht zulässig ist, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen für jeden Weg gegeben sind. Die Verfassungsbeschwerde ist ein Kind des alten bayrischen Verfassungsrechts. Sie hatte eine große Bedeutung in einer Zeit, als die Rechtsgrundsätze über die Rechtmäßigkeit der Verwaltung noch nicht unbeschränkt anerkannt waren. Heute ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aller Länder uneingeschränkt die Anfechtungsklage gegeben. Die Verwaltungsgerichte, zuletzt die Verwaltungsgerichtshöfe, haben zu befinden, ob ein Eingriff in die Freiheit und das Eigentum vom Recht getragen ist oder nicht, und haben den Verwaltungsakt aufzuheben, wenn er diese Anforderung eines Rechtsstaates nicht erfüllt.
Dazu tritt, daß nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes der Rechtsschutz durch die ordentlichen bürgerlichen Gerichte gegeben ist, soweit nicht eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit bestehen sollte. Der Rechtsschutz der Grundrechte ist gegenüber Akten der richterlichen Gewalt durch die ordentliche und sonstige Gerichtsbarkeit gegeben. Er ist heute im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Verwaltungsakte in vollem Umfang erreicht.
Die Verfassungsbeschwerde schafft eine ganz außerordentliche Mehrung der Geschäftsaufgaben des Bundesverfassungsgerichts. Diese Last ist, wie der Bundesrat mit Recht dargelegt hat, ohne jede Minderung des Rechtsschutzes vermeidbar. Ich möchte das nur zur Feststellung der geschichtlichen Wahrheit hervorheben. Wir unterwerfen uns den Beschlüssen der Mehrheit des Rechtsausschusses. Ich bin mit dem Bundesrat einverstanden, in der Grundrechtsklage den besonderen Rechtsschutz des Bundesverfassungsgerichts gegen Akte der gesetzgebenden Gewalt einzuführen. Der Entwurf führt jedoch die Verfassungsbeschwerde auch gegenüber jedem Urteil, auch gegenüber dem Urteil eines öberen Bundesgerichtes ein. Nach meiner Überzeugung wird die Praxis zeigen, daß diese Überordnung des Bundesverfassungsgerichts über jedes Gerichtsurteil trotz seiner Rechtskraft, die Überordnung des Gedankens des Rechtsschutzes über den Gedanken der Rechtssicherheit, einen Weg führt, von dem ich nur wünsche, daß die Anwendung des Gesetzes die Gefahr mildert.
In dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist für die Ausgestaltung des Verfahrens nur ein allgemeiner Rahmen gegeben. Das geschieht, wie der Herr Referent ausgeführt hat und wie ich als Vorsitzender ergänzend bestätigen darf, in dem Vertrauen, daß das Bundesverfassungsgericht in den einzelnen Gruppen von Gegenständen den richtigen Weg findet.
Zu den Fragen über die besonderen Verfahrensvorschriften möchte ich von meinem Fachgebiet des Verwaltungsrechts aus nur noch einen kleinen Ergänzungsbeitrag zu den Ausführungen des verehrten Herrn Referenten, Kollegen Neumayer, im Interesse der Auslegung des Gesetzes geben. Es handelt sich um die Auswirkung der Vorschriften über die Normenkontrolle in § 79 für den Fall, daß ein Gesetz für nichtig erklärt ist, der Verwaltungsakt aber auf dem für nichtig erklärten Gesetz beruht. Stützt sich ein Verwaltungsakt, der einen Eingriff in Freiheit und Eigentum vornimmt, auf ein Gesetz, das für nichtig erklärt wird, so ist der Verwaltungsakt fehlerhaft und muß aufgehoben oder geändert werden, wenn er noch änderbar Er ist nur dann nicht mehr änderbar, wenn der Beteiligte oder ein Dritter gutgläubig aus dem Verwaltungsakt einen Rechtsanspruch oder eine rechtlich begründete Eigenschaft erlangt hat.
Meine Damen und Herren! Die Verhandlungen über das Bundesverfassungsgericht waren sehr schwierig. Es gibt kaum eine grundsätzliche Frage des Verfassungsrechts oder Verwaltungsrechts, die nicht in den Bereich der Erörterungen einbezogen werden mußte. Ein Gesetz wie das vorliegende kann nicht fehlerlos abgeschlossen werden. Wir werden manche Lücke gelassen haben, aber es kann hier vor dem Plenum des Bundestags nur betont werden, daß die Mitglieder des Ausschusses aller Parteien einig waren in den demokratischen Grundanschauungen, in den Grundgedanken des Rechtsstaates und in dem Willen, diesen Rechtsstaat weiter zu bauen und zu sichern. Möge dieser Erfolg dem Gesetz beschieden sein!
Wir fahren in der Einzelberatung der zweiten Lesung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich an die von dem Herrn Präsidenten vorgeschlagene Regelung halten, die grundsätzliche Debatte während der dritten Lesung und nicht während der zweiten Lesung abzuhalten. Ich möchte daher -lediglich zu den Abänderungsanträgen meiner Fraktion, die zum ersten Teil des vorliegenden Entwurfs eingebracht worden sind, Stellung nehmen und diese Anträge begründen.
Meine Fraktion hat zunächst den Antrag gestellt, den § 1 Abs. 1 zu streichen. In dem § 1 ist der ganze Sinn des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht verkörpert. In ihm kommt zum Ausdruck, welche Rolle dieses Sondergericht über — nicht neben, sondern über — allen anderen sogenannten verfassungsmäßigen Organen des Bundes spielen soll.
Es wird einige kluge Leute geben, die sagen, dieser § 1 sei die Verwirklichung des alten Grundsatzes einer jeden demokratischen Ordnung, nämlich des Grundsatzes der Dreiteilung der Gewalten.
Es ist ein Aberglaube, anzunehmen, daß dieser Grundsatz gewisser bürgerlicher Staatsrechtler eine ewige Wahrheit darstellt. Der Grundsatz der Dreiteilung der Gewalten ist genau so zeitbedingt wie alle anderen Theorien von Juristen, die in ihrer Zeit jeweils die Theorie fabriziert haben, die das herrschende Regime von ihnen verlangt und erwartet hat. Die Forderung der Dreiteilung der Gewalten kam zu einer Zeit auf, als es galt, gegen den Absolutismus des französischen Königtums Front zu machen. Montesquieu, sozusagen der Erfinder der Theorie der Dreiteilung der Gewalten, war der Repräsentant einer Gruppe der damaligen Revolutionäre gegen den herrschenden Absolutismus. Nur insofern konnte damals diesem Prinzip ein gewisser fortschrittlicher Charakter beigemessen werden, als damals eine Dreiteilung der Gewalten zumindest einen kleinen gesellschaftlichen Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung der ungeteilten Gewalt darstellte, die durch das herrschende Königtum ausgeübt wurde. Schon nach 1789 zeigte sich sehr bald, daß die Losung der Dreiteilung der Gewalten zu der Privattheorie eines Teils der ursprünglichen Revolutionäre wurde, nämlich des Teils, der auf eine möglichst starke Erhaltung der Elemente der alten Kräfte hinstrebte. Die Forderung der Dreiteilung der Gewalten wurde die Forderung derjenigen, die die revolutionäre Entwicklung bremsen, die gewisse konservative Elemente garantieren wollten und die darum dem alleinigen Willen des Volkes, dargestellt durch die Volksvertretung, einen entscheidenden Riegel vorsetzen wollten.
Wenn damals schon die Theorie der Dreiteilung der Gewalten umstritten war und schließlich zu einem Reservat der reaktionären Kräfte wurde, so gilt dies erst recht für die heutige Zeit. Wir haben es in der Weimarer Zeit erlebt. Auch damals wurde die Theorie der Dreiteilung der Gewalten zur Grundlage des Staatsrechts genommen. Ich möchte die sozialdemokratischen Sprecher fragen, wo sie in der Zeit von 1918 bis 1933 aus der Anwendung der Theorie der Dreiteilung der Gewalten auch nur die geringste Sicherung der fortschrittlichen Kräfte in der politischen Entwicklung hergenommen haben. Die Entwicklung verlief vielmehr umgekehrt. In der Weimarer Republik wurde diese Theorie und die daraus abgeleitete Praxis zu einem gewaltigen Kräftezuwachs für die Elemente der Reaktion und schließlich zu einem entscheidenden Hilfsmittel für die Vorbereitung der Machterschleichung Adolf Hitlers.
Ich möchte aus der Weimarer Zeit nur an die unselige Wirksamkeit des Art. 48 erinnern, an die unglückselige Wirksamkeit der Straf- und Verwaltungsjustiz, verkörpert in der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Ich möchte insbesondere an die Tragikomödie erinnern, die sich in den Verhandlungssälen des Reichsgerichts in Leipzig an den 20. Juli 1932 angeschlossen hat. Als damals die preußische Regierung Braun-Severing von einem Leutnant und zwei Soldaten davongejagt wurde, war bekanntlich die einzige Antwort der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und der Parteiführung der Appell an das Reichsgericht. Wir sollten heute an die damaligen Vorgänge erinnern, als die Herren Reichsrichter für die sozialdemokratische Beschwerde nichts anderes übrig hatten als ein höhnisches Achselzucken und im übrigen die Sprache der Tatsachen als entscheidend gelten ließen.
Schließlich muß man auch an die sogenannten Notverordnungen zum Schutz von Volk und Staat erinnern, die Adolf Hitler zur Niederschlagung einer jeden Opposition, zur Auflösung der Parteien, zur Errichtung des Konzentrationslagerregimes usw. benutzt hat, ohne der Form nach auch nur einen einzigen Artikel der Weimarer Verfassung zu brechen, indem er sich im Gegenteil ausdrücklich auf die entscheidenden Grundlagen der Weimarer Verfassung und nicht zuletzt auf das Prinzip der Dreiteilung der Gewalten sowie auf die Wirksamkeit der Justiz als sogenannten unabhängigen Faktor stützen konnte.
Wenn damals weitreichende Lehren für unser Volk aufgestellt wurden, so sollte man heute diese Lehren nicht einfach beiseite schieben. Was sich damals in der Form der Justiz des Reichsgerichts und der von ihm beeinflußten sonstigen Rechtsprechung abgespielt hat, das soll heute durch die Vorlage des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und insbesondere durch den in § 1 niedergelegten Grundsatz nachgeahmt werden. Heute soll der § 1 die Garantie dafür geben, daß eine Sonderjustiz jederzeit Mittel anwenden kann, um die Grundrechte des Grundgesetzes außer Kraft zu setzen, um Parteien zu verbieten, um bestimmte fortschrittliche Bestimmungen einzelner Länderverfassungen und Ländergesetze unwirksam zu machen, um auf jeden Fall und überall zu jeder Zeit die autoritären Absichten der Bundesregierung und der ihr willfährigen höheren Justiz durchzusetzen.
Meine Damen und Herren! Es handelt sich nicht um irgendwelche Rechtsfindungen nach absoluten Grundsätzen. Es handelt sich, wenn der Grundsatz des § 1 zur Anwendung gelangt, um ein eindeutiges System politischer Entscheidungen, die von den herrschenden Schichten, von den ihr hörigen Regierungsbeamten der obersten Stufe gefällt werden.
Herr Abgeordneter Fisch! Ich darf Sie bitten, etwas vorsichtiger zu formulieren. Ihre Vorstellungen von Hörigkeit scheinen mir nicht ganz den Verhältnissen der Bundesrepublik zu entsprechen.
Ich glaube, Herr Präsident, daß ich meine Vorstellungen der Praxis entnehme.
Meine Damen und Herren! Es wird sich also um politische Entscheidungen handeln, die von Angehörigen der reaktionärsten Oberschicht des westdeutschen Bundesstaates gefällt werden, die von solchen Richtern gefällt werden, die zu neun Zehnteln ihre juristischen Funktionen bereits unter dem Naziregime und durchaus im Sinne des Naziregimes ausgeübt haben.
Es handelt sich um politische Entscheidungen, gefällt von den Vertretern der Junker und der Bourgeoisie. Es handelt sich um politische Entscheidungen einer bestimmten herrschenden politischen Auffassung, die gegenwärtig in Westdeutschland die Geschicke lenkt, mit der amerikanischen Zielsetzung, aus Westdeutschland ein amerikanisches Kolonialgebiet zu machen, dessen Menschen und Material den amerikanischen Machtbestrebungen zu dienen haben. Das ist die Grundlage, auf die sich auch die Justiz des kommenden Bundesverfassungsgerichtes stützen wird.
Meine Damen und Herren! Weil .von einer unabhängigen Rechtsprechung nicht die Rede sein kann, weil es sich in Wirklichkeit um die Rechtsprechung des verläßlichsten Instrumentes der herrschenden
Klasse handeln wird, weil sich diese „dritte Gewalt" über den Volkswillen und über die Volksmeinung, über Gesetze und Abstimmungen der Parlamente hinwegsetzen soll im Dienste und im Sinne der wirklichen Herren des westdeutschen Staates, darum haben wir den Antrag gestellt, den § 1 dieses Entwurfs zu streichen.
Zu § 3, meine Damen und Herren, haben wir den Antrag gestellt, die Qualifikation der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts auf die Erfahrung im öffentlichen Dienst zu beschränken. Ich möchte unterstreichen, daß die vorliegende Fassung des § 3 dem Grundgesetz widerspricht, also verfassungswidrig ist. In Art. 94 des Grundgesetzes heißt es:
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern,
wobei unter „anderen Mitgliedern" zweifellos Laienrichter gemeint sind. In der vorliegenden Fassung ist jedoch das Laienrichterelement vollkommen ausgeschaltet. In Ziffer 2 des § 3 heißt es:
Die Richter müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen oder auf Grund der vorgeschriebenen Staatsprüfung die Befähigung zum
höheren Verwaltungsdienst erworben haben. Nicht nur dem Grundgesetz widerspricht diese Fassung, sondern sie widerspricht auch Auffassungen, die im Gremium des Bundesrates und teilweise auch von der sozialdemokratischen Fraktion geltend gemacht worden sind. Wir sind darum der Meinung, daß, wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wenigstens in der Nähe der Volksmeinung und des Volkswillens zu halten, die Mitglieder dieses Bundesverfassungsgerichtes ausschließlich aus Laienrichtern zu bestehen haben, denen keine andere Qualifikation vorgeschrieben sein darf als die Erfahrung im öffentlichen Leben.
Zu § 4, meine Damen und Herren, hat meine Fraktion gleichfalls einen Abänderungsantrag gestellt. Er lautet:
Die Richter werden für die Dauer einer Legislaturperiode des Bundestages gewählt.
Es bedarf wohl keiner besonderen Erklärung, warum meine Fraktion die Wahl von Bundesrichtern durch das Organ des Bundesrates für falsch und ablehnungswürdig hält. In § 4 wird vorgeschrieben, daß ein Teil der Richter auf Lebenszeit und ein anderer Teil auf die Dauer von 8 Jahren gewählt wird. Ich möchte hier an alte Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei erinnern, die sich gegen die Unabsetzbarkeit der Richter wendeten und sich insbesondere gegen die Beauftragung mit Richterämtern auf Lebenszeit gewandt haben. Ich möchte an das Heidelberger Programm der Sozialdemokratischen Partei von 1925 erinnern, in dem zu dieser Frage ausführlich und klar Stellung genommen wurde. Es würde mich keineswegs wundern, wenn die sozialdemokratische Fraktion anläßlich dieser Debatte auch auf diesen alten Grundsatz der sozialistischen Arbeiterbewegung verzichten würde. Wir sind nicht nur dagegen, daß die Richter auf Lebenszeit gewählt werden, sondern auch dagegen, daß sie auf eine so lange Zeit, wie sie hier mit 8 Jahren vorgesehen ist, gewählt werden. Das muß noch keineswegs eine „bolschewistische" Staatsauffassung sein, meine Damen und Herren, bekommen Sie nur keine Angst! In einem Lande wie der Schweiz, die nach Ihrer Auffassung doch gewiß genügend zuverlässig demokratisch legitimiert ist, besteht die Regelung, daß die. Mitglieder des Bundesgerichts vom Nationalrat jeweils nach
der Neuwahl und dessen erstem Zusammentritt
auf die Dauer einer Legislaturperiode dieses Parlamentes gewählt werden, und zwar ausschließlich von
eben diesem Parlament. Sie sehen also, daß unsere
Abänderungsvorschläge nichts anderes, nichts Revolutionäreres wollen als die Verwirklichung eines
Grundsatzes, der in der Verfassung der bürgerlichdemokratischen Republik der Schweiz bereits niedergelegt und seit vielen Jahrzehnten in Übung ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Teil I ist aufgerufen. Die Aussprache dazu ist offenbar abgeschlossen.
Ich rufe nunmehr die einzelnen Paragraphen auf. Zunächst § 1. Hier ist ein Abänderungsantrag der KPD vorgelegt worden, der dahin geht, den Abs. 1 zu streichen. Er befindet sich auf Umdruck Nr. 56 in Ziffer 1. Dann liegt zu Abs. 2 ein Antrag der CDU, DP, SPD und FDP dahingehend vor:
Der Sitz des Bundesverfassungsgerichts wird
durch Gesetz bestimmt.
Schließlich ein Änderungsantrag Brookmann, Dr. Oellers, Wittenburg und Genossen — Umdruck Nr. 54 — zu § 1 Abs. 2:
Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Kiel.
Ich lasse über die Abänderungsanträge abstimmen, und zwar zuerst über den am weitesten gehenden Antrag der KPD, § 1 Abs. 1 zu streichen. Wer für den Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Nun lasse ich über den nächsten Abänderungsantrag zu Abs. 2 abstimmen. Am weitesten geht hier der Antrag, wonach der Sitz des Bundesverfassungsgerichts durch Gesetz zu bestimmen sei. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Damit entfällt wohl der Antrag Brookmann, Dr. Oellers, Wittenburg und Genossen, wonach das Bundesverfassungsgericht seinen Sitz in Kiel haben soll.
-- Der Antrag ist gegenstandslos geworden.
Nun lasse ich über § 1 in der eben beschlossenen Fassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 2 liegen keine Abänderungsanträge vor. Wer für die Annahme von § 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 3. Hier liegen zwei Abänderungsanträge vor. Zunächst ein Antrag der KPD, dem Abs. 2 folgende Fassung zu geben:
Sie müssen im öffentlichen Leben erfahren sein. Das bezieht sich auf die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Ferner liegt ein Antrag der Bayernpartei auf Umdruck Nr. 57, Ziffer 1 vor, der da lautet:
Im § 3 Abs. 3 ist
a) in Satz 1 hinter dem Wort „noch" das Wort „den" zu streichen,
b) der Satz 2 zu streichen.
Ich glaube, daß eine Beziehung zwischen diesen beiden Abänderungsanträgen nicht besteht. Man kann also hier nicht von einem weitergehenden Antrag sprechen. Ich lasse daher der Reihenfolge nach abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der KPD, Umdruck Nr. 56 Ziffer 2. Wer dafür
ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Nun lasse ich über den Antrag der Bayernpartei, Umdruck Nr. 57, abstimmen, in Satz 1 das Wort „den" und Satz 2 ganz zu streichen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.—Offenbar nur eine oder zwei Stimmen. — Gegenprobe! —
— Es tut mir leid, wir sind in der Abstimmung. — Ich bedaure es auch, aber ich kann nichts daran ändern.
Ich lasse dann getrennt abstimmen, zunächst über Ziffer la des Antrags der Bayernpartei, in Satz 1 von Abs. 3 des § 3 hinter dem Wort „noch" das Wort „den" zu streichen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über Ziffer lb des Antrags der Bayernpartei, § 3 Abs. 3 Satz 2 zu streichen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Schließlich lasse ich abstimmen über den § 3 im ganzen. Wer für die Annahme von § 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 4. Auch hier ist ein Abänderungsantrag von der KPD gestellt, und zwar in Ziffer 3 des Umdrucks Nr. 56. Er lautet:
§ 4 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
Die Richter werden für die Dauer einer Legislatur-Periode des Bundestages gewählt.
Abs. 2 ist zu streichen. Abs. 3 wird Abs. 2.
Ich lasse getrennt abstimmen, zunächst über den ersten Teil des Abänderungsantrages, der den Abs. 1 des § 4 betrifft. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den zweiten Teil des Abänderungsantrages, wonach Abs. 3 zu streichen sei. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Damit entfällt der dritte Teil des Antrages.
Ich lasse nunmehr abstimmen — —
— Entschuldigen Sie; ich habe das eben gemerkt. Es ist ein Antrag der Zentrumsfraktion:
Im § 4 Abs. 1 werden die Worte „Je vier Richter eines Senats" geändert in die Worte „Vier Richter jedes Senates".
Wer für diese Abänderung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über den § 4. Wer für die Annahme der Ausschußvorlage ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 5 ist kein Antrag angekündigt. — § 6, —§ 7. Wer für die Annahme dieser drei Paragraphen nach der Ausschußvorlage ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 8 liegt ein Abänderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 56 unter Ziffer 4 vor, Abs. 1 zu streichen und dem Abs. 2 folgende Fassung zu geben:
Der Bundesminister der Justiz führt eine Liste, in der alle Personen enthalten sind, die von den Fraktionen des Bundestages für das Amt eines Richters am Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen werden.
Ich lasse auch hier getrennt abstimmen. Wer für die Streichung des Abs. 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Wer für die Änderung des Abs. 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über § 8. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Nun kommt eine Reihe von Paragraphen, bei denen keine Abänderungsanträge angekündigt sind: §§ 9, — 10, — 11, — 12, — 13. Wer für die Annahme dieser Paragraphen in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 14. Hier ist ein Abänderungsantrag der Bayernpartei vorgelegt worden, der dahin geht, in § 14 einmal in Abs. 1 die Nr. 4 zu streichen und weiter als Abs. 2 die Bestimmung einzufügen:
Im Falle des § 13 Nr. 4 entscheidet das Plenum des Bundesverfassungsgerichts.
Ich lasse auch hier getrennt abstimmen. Wer für die Streichung der Nr. 4 des Abs. 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Wer für die Änderung des Abs. 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den § 14. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 15 liegt ein Abänderungsantrag des Zentrums auf Umdruck Nr. 59 vor. Danach soll § 15 einen Abs. 3 mit folgendem Wortlaut erhalten:
Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
Dasselbe soll in § 16 erfolgen; dieser soll einen Abs. 4 gleichen Wortlauts erhalten. Die beiden Paragraphen hängen insoweit zusammen. Ich glaube, ich kann in einer Abstimmung über den Abänderungsantrag zu beiden Paragraphen abstimmen lassen. Sind Sie einverstanden, Herr Reismann?
Wer für die Ergänzung der §§ 15 und 16 in dem beantragten Sinne ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die §§ 15 und 16. Wer für die Annahme der Paragraphen in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Nunmehr rufe ich auf Teil II. Ich nehme an, daß wir wie bei Teil I verfahren können, indem wir die Einzelaussprache zu dem Teil II als ganzem führen.
Ich bitte um Wortmeldungen. — Das Wort hat der Abgeordnete Reismann.
Wenn es ebenso klar gesagt worden wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie es der jetzige Präsident getan hat, daß nicht über die einzelnen Paragraphen, sondern nur über die Teile gesprochen werden sollte, dann
hätte das vielleicht dazu geführt, daß ich die Paragraphen erörtert hätte, über die eben abgestimmt worden ist, und dann wäre es vielleicht nicht dazu gekommen, daß man z. B. in § 4 eine grammatische und logische Unrichtigkeit hätte stehen lassen, bloß weil die Mehrheit des Hauses nicht die Absicht hatte, in Gedankenarbeit einzutreten.
Nachdem nun aber einmal so verfahren ist, weise ich nur auf § 22 hin. Man ist zwar so freundlich gewesen, den Behörden zu gestatten, sich durch Beamte vertreten zu lassen, wenn sie die Fähigkeit zum Richteramt haben; die Beamten aber, die die durch Examen erworbene Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst haben, haben nicht das Recht aufzutreten. Sie können dann zwar Richter an diesem Gericht sein, aber nicht vor diesem Gericht als Vertreter auftreten. Da ist also ein Lapsus unterlaufen. Es ist bei der Abstimmung vergessen worden, in § 16 zu regeln, nach welcher Seite sich denn die Entscheidung neigen soll; ebenso ist es bei § 22 ganz offensichtlich vergessen worden, den für den höheren Verwaltungsdienst Befähigten dieselbe Vertretungsbefugnis zuzuerkennen wie den zum Richteramt Befähigten. Aber da man doch nicht die Absicht hat — sei es auch nur in Kleinigkeiten, die sich als Irrtum herausstellen —, von dem Votum des Ausschusses abzugehen, mag es dabei bleiben. Ich glaube, hier im Interesse der Anwaltkollegen zu handeln, denen die Konkurrenz der demnach wohl weniger befähigten Verwaltungsbeamten dabei erspart bleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier zu dem Antrag, der von den Mitgliedern des Wahlprüfungsausschusses eingereicht ist. Er wird hier von mir vertreten, weil ich sozusagen noch die Eierschalen des Berichterstatters dieses Ausschusses zum Wahlprüfungsgesetz an mir trage
und sie erst allmählich abstreife. Ich werde die Namen dieser Damen und Herren verlesen; Sie werden dann sehen, es ist kein interfraktioneller, sondern ein Sachantrag von Abgeordneten aus allen Fraktionen. Es sind: der Vorsitzende unseres Ausschusses, Herr Dr. Schneider von der FDP, der allerdings noch nicht unterschrieben hat, weil er noch nicht erreichbar war, dann Herr Dr. Mommer von der SPD, mein Mitberichterstatter aus dem Ausschuß; dann die beiden Herren Funk und Mühlenberg von der CDU; Frau Strobel und Herr Hoecker von der SPD, der zwar nicht unterschrieben hat, aber zustimmt; dann Herr Kollege Dr. Arndt von der SPD, der die Rechtslage geprüft hat, und endlich meine Wenigkeit als Antragsteller.
Der Wahlprüfungsausschuß hat zu der Sachlage folgendes zu bemerken: Wir haben mit Bedauern festgestellt, daß die das Wahlprüfungsrecht berührenden Bestimmungen dieses Verfassungs-Gerichtsgesetzes im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sachlich verabschiedet waren, ehe man über die Einzelbestimmungen des Wahlprüfungsrechts selbst informiert war, insbesondere ehe man wußte, welche Tendenzen in dem damit beauftragten Wahlprüfungsausschuß eigentlich obwalteten. So sind zwei Dinge passiert: einmal ist über die Kosten eine Regelung getroffen, die wir anders gewünscht hätten; das andere ist das in § 48 geregelte Beschwerderecht. Den § 48 der Vorlage möchten wir nicht mehr ändern. Wenn er sich als nicht zweckmäßig herausstellen sollte, kann späterhin eine kurze gesetzliche Änderung erfolgen. Aber zu der Regelung der Kosten, die in § 34 behandelt wird, möchte ich ganz kurz etwas sagen.
Der Verfassungsgerichtshof hat grundsätzlich kostenfrei zu entscheiden. Das ist ein Grundsatz, der in allen Verfassungsrechten zugestanden wird, weil nur so ein wirksamer Schutz für jeden gewährleistet ist, der sich durch eine Verletzung der Verfassung benachteiligt glaubt. In Abs. 4 des § 34 ist aber eine Ausnahme von diesem Grundsatz vorgesehen. Es heißt dort:
Wird eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen, so kann das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer eine Gebühr von zwanzig Deutsche Mark bis zu eintausend Deutsche Mark auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Mißbrauch darstellt.
Es soll also dort, wo der Verfassungsgerichtshof als Beschwerdeinstanz, nachdem vorher Entscheidungen anderer Instanzen gefallen sind, von jedermann angerufen werden kann, eine kostenrechtliche Bremse für Querulanten eingeschoben werden. Jedermann soll sich prüfen, ob er seine Auffassung auch sorgfältig genug begründen kann und Chancen hat zu gewinnen, also keinen Mißbrauch mit Rechtseinrichtungen treibt.
Genau der gleiche Gesichtspunkt ist nun aber nach Auffassung des Wahlprüfungsausschusses bei der zweiten Beschwerdemöglichkeit gegeben, der einzigen Beschwerde außer der allgemeinen Verfassungsbeschwerde, mit der man den Verfassungsgerichtshof anrufen kann, nämlich beim Wahlprüfungsrecht. Wir haben gestern das Wahlprüfungsgesetz bei einigen wenigen Stimmenthaltungen fast einstimmig verabschiedet. In meinem Bericht dazu habe ich ausgeführt, daß die so gegebene Ordnung vorsieht, eine quasi-richterliche Tätigkeit des Bundestages durch entsprechende Gestaltung der Vorbereitung der bundestäglichen Arbeit zu gewährleisten. Wir vertrauen darauf, daß danach der Bundestag nur rechtlich begründete Entschetdungen fällen wird, die selbstverständlich in einzelnen Fällen sehr wohl in der zweiten Instanz nicht Bestand haben mögen. Wir wollen aber nicht jedermann die Möglichkeit geben, risikofrei, da ohne Kosten, aus reinem Eigennutz eine von vornherein völlig aussichtslose Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundestages einzulegen; einmal weil das das Ansehen des Bundestages schädigen könnte, zum anderen weil wir natürlich diesen ohnehin überlasteten Gerichtshof vor unsinnigen Anträgen möglichst schützen müssen. Daher wird folgende dem System durchaus angepaßte kleine Änderung vorgeschlagen. Der Antrag lautet:
Der § 34 Abs. 4 wird wie folgt geändert:
1. In der ersten Zeile sind zwischen die Worte „Verfassungsbeschwerde" und „ als" die Worte einzuschieben: „oder eine Beschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 des Grundgesetzes ."
Daraus ergibt sich notwendig folgendes:
2. In der sechsten Zeile wird das Wort „Verfassungsbeschwerde" durch das Wort „Beschwerde" ersetzt.
Damit würde systemrichtig in jedem Fall der Beschwerde, die das einzige Rechtsmittel ist, auf Grund dessen das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann, die Möglichkeit eröffnet sein, willkürliche und mißbräuchliche Rechtsmittelakte
zu vermeiden oder jedenfalls mit einem Kostenrisiko zu versehen, und zwar in beiden Fällen nicht etwa schon dann, wenn der Beschwerdeführer unterliegt, sondern erst dann, wenn er nach der Meinung des Gerichts von seinem Rechtsmittel mißbräuchlich, also frivol Gebrauch gemacht hat.
Ich glaube, daß man das im Rechtsausschuß auch schon so formuliert hätte, wenn man die Bestimmungen des jetzt verabschiedeten Wahlprüfungsgesetzes damals gekannt hätte, als diese Fassung des § 34 im Rechtsausschuß festgelegt wurde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Teil II des Gesetzentwurfes haben wir nur eine Änderung zu beantragen, nämlich in § 35 das Wort „vollstreckt" durch das Wort „vollzieht" zu ersetzen. Die Mehrzahl der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind so geartet, daß ihre Ausführung, nicht ihre Vollstreckung in Frage kommt. Der Begriff „Vollzug" deckt die Unterbegriffe „Ausführung" und „Vollstreckung". Zudem ist zu beachten, daß in § 42 ausdrücklich zwischen der Entscheidung selbst und dem Vollzug unterschieden ist. Um eine Übereinstimmung der Gesetzessprache herzustellen, haben wir uns erlaubt, den Änderungsantrag zu stellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat auch zum Teil II des Gesetzentwurfs
eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt. Ich glaube sicher zu sein, daß die Einheitsfront, die sich vorhin bei der Ablehnung unserer Anträge als so solide erwiesen hat, auch jetzt wieder in Aktion treten wird, und möchte mir darum ersparen, alle Abänderungsanträge zu begründen. Ich möchte nur einige herausgreifen.
Zu § 26 schlägt meine Fraktion die Streichung des Abs. 2 vor. Es handelt sich hier um eine Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens, insbesondere um eine Einschränkung des Rechts des Beklagten auf Akteneinsicht. Im ursprünglichen Entwurf der Regierung war der Text, der jetzt an § 26 angehängt ist, auch im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die allgemeine Akteneinsicht gebracht. Wir können irgendwelche Erwägungen über Notwendigkeiten der Staatssicherheit, wie sie hier angeführt worden sind, nicht anerkennen. Wenn es Ihnen so ernst um die Wahrung demokratischer Rechte, auch für den Beschuldigten ist, so müssen Sie ihm zugestehen, daß ihm keine Einschränkungen bei der Verteidigung und bei der Heranziehung aller ihm erreichbaren Beweismittel auferlegt werden.
Eine ähnliche Feststellung ist hinsichtlich des § 28 zu machen, nach dem bestimmte Äußerungen vor dem Gericht von Amts wegen abgedrosselt werden können, und zwar darum, weil Überlegungen über die „Staatssicherheit" in die Sache hineinspielen. Bei dem Antrag auf Streichung dieses Absatzes läßt sich meine Fraktion von den gleichen Erwägungen leiten wie beim § 26.
Zu § 30 stellt meine Fraktion den Antrag, die ursprünglich in § 26 Abs. 3 enthaltene Fassung wiederherzustellen. Worum handelt es sich hier? In der ursprünglichen Fassung war der Minderheit des urteilfällenden Senats die Möglichkeit gegeben, ihre abweichende Auffassung schriftlich niederzulegen und damit auch der Öffentlichkeit zur Einsicht vorzubehalten. Es gibt keinerlei Gründe, warum diese Möglichkeit beseitigt werden soll. Bei der Berichterstattung aus dem Ausschuß wurde als Begründung für die Streichung dieser ursprünglich vorhandenen Bestimmung gesagt, eine Veröffentlichung der Minderheitsmeinung würde die Autorität des Urteilsspruchs gefährden. Etwas einfacher ausgedrückt: Der Berichterstatter meinte, wenn das Volk draußen erfahre, daß das Gericht in einer politischen Angelegenheit nicht einstimmig geurteilt habe, so könnte es sich vielleicht gefährliche Gedanken machen und zu anderen Auffassungen gelangen, als sie die Mehrheit des Gerichts vertreten habe. Wir sind der Auffassung, daß es nicht bloß interessierten Kreisen, sondern der ganzen Öffentlichkeit ermöglicht werden muß, von der Meinung der beim Urteilsspruch unterlegenen Minderheit Kenntnis zu erhalten. Ja, wir sind der Meinung, daß man nicht nur eine Möglichkeit hierzu schaffen soll, sondern eine Verpflichtung. Darum beantragt meine Fraktion Aufnahme der Bestimmung, daß die überstimmte Minderheit ihre abweichende Meinung in einem Sondergutachten niederlegen muß und daß diese Darstellung der abweichenden Minderheitsmeinung zusammen mit der Urteilsbegründung zu veröffentlichen ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht seiner Sache so sicher ist, dann braucht es keine Angst zu haben, der Begründung des Mehrheitsstandpunktes auch die Begründung des Minderheitsstandpunktes gegenüberzustellen und ihn der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Das Ungeheuerlichste, was in dem ganzen Entwurf geboten wird, ist zweifellos in 6 32 der vorliegenden Fassung niedergelegt. Ich habe im Namen meiner Fraktion den Antrag auf Streichung des ganzen Paragraphen zu stellen. Die Ungeheuerlichkeit der Vorschriften des § 32 besteht darin, daß durch einstweilige Anordnung faktisch das Ergebnis der Gerichtsverhandlung vorweggenommen werden kann. Es heißt im Abs. 2 ausdrücklich: die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Das heißt also, das Richtergremium kann auf dem Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung, einfach nur durch bürokratischen Erlaß einen Zustand herbeiführen, der normalerweise erst nach Beendigung der Gerichtsverhandlung und nach Eintreten der Rechtskraft des Urteils erreicht werden könnte. Damit wird das ganze Gerichtsverfahren zur Farce, es wird zum Anhängsel der Handlung, die faktisch durch die einstweilige Anordnung vorweggenommen worden ist. Ich bin glücklicherweise kein Jurist,
eher ich glaube, daß es in der bisherigen deutschen Rechtsprechung keinerlei Vorläufer dieses Verfahrens gibt.
— Ja, Herr Kiesinger, ich weiß, Sie sind der Klügste, und ich hoffe darum, daß Sie diese abscheuliche Sache, die in § 32 mit Ihrer Hilfe ausgearbeitet wurde, auch hier begründen werden und auch draußen vor Ihren Wählern, am besten im Namen der Demokratie!
Meine Damen und Herren! Soviel mir bekannt ist, gibt es noch nicht einmal im Verwaltungsrecht
eine solche Bestimmung, auf Grund deren man die materielle Entscheidung eines Urteils eben durch eine solche bürokratische Anordnung vorwegnimmt. Meines Wissens gibt es ähnliche Bestimmungen bisher nur auf dem Gebiete des Verfahrens, auf dem Gebiete der Prozeßtechnik, aber nicht in der Art, daß der Inhalt — und hier handelt es sich ja immer um einen politischen Inhalt — des Verfahrens behandelt wird und die Entscheidung in einer so bürokratischen Weise präjudiziert wird. Aus diesem Grunde sollten auch solche bürgerlichen Juristen, denen an der Tradition des Rechts etwas gelegen ist und die so sehr auf die Autorität eines Urteilsspruches Wert legen, mit unserer Auffassung übereinstimmen, daß man nämlich dem Urteil nicht vorgreifen kann, erst recht nicht durch Anordnungen, die ohne mündliche Verhandlungen ergehen und die darum auch ohne Mitwirkung, ohne Einflußnahme des Beschuldigten erfolgen.
Die Rednerliste ist erschöpft. Ich komme nunmehr zum Aufruf der einzelnen Paragraphen.
17. — Es liegt ein Abänderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 56 Ziffer 5 vor. Der § 17 soll die darin geforderte Fassung erhalten. — Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Abänderungsantrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 17. Wer für Annahme der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Nunmehr §§ 18, — 19, — 20, — 21, — 22, — 23. Wer für Annahme dieser Paragraphen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 24 liegt ein Antrag der KPD vor, Ziffer 6 des Umdrucks Nr. 56:
In § 24 sind die Worte ,.offensichtlich unbegründete" und „von offensichtlich Nichtberechtigten" zu streichen.
Wer für die Annahme dieses Streichungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt gegen die Stimmen der Antragsteller.
Nun lasse ich über § 24 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 25. Hier liegt ebenfalls ein Abänderungsantrag der KPD vor, Ziffer 7 des Umdrucks Nr. 56:
§ 25 Abs. 4 ist zu streichen.
Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Gegen einige Stimmen abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über § 25 abstimmen. Wer für die Annahme in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Paragraph ist angenommen.
Zu § 26 liegt ebenfalls ein Abänderungsantrag der KPD vor:
§ 26 Abs. 2 ist zu streichen.
Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die Annahme des § 26 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 27. - Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Zu § 28 liegt ein Abänderungsantrag der KPD vor, Ziffer 9 des Umdrucks Nr. 56; danach soll § 28 Abs. 2 eine andere Fassung erhalten. — Wer für die Annahme des Abänderungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den § 28 und § 29, bei dem kein Abänderungsantrag angekündigt ist, abstimmen. Wer für die Annahme dieser beiden Paragraphen in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 30. — Hier ist wiederum ein Abänderungsantrag der KPD eingereicht, Ziffer 10 des Umdrucks Nr. 56, dem § 30 soll ein Abs. 3 angefügt werden. Wer für die Ergänzung des § 30 in der beantragten Form ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 30 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Paragraph ist angenommen.
Die §§ 31 und 32 sollen gestrichen werden, Ziffer 11 und 12 des Umdrucks Nr. 56. Wer für die Streichung dieser beiden Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Zu § 33 ist kein Abänderungsantrag gestellt.
§ 34 soll ebenfalls gestrichen werden, Ziffer 13 des Umdrucks Nr. 56. Wer für die Streichung von § 34 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Nun liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Ewers und Genossen — interfraktioneller Antrag Umdruck Nr. 61 — vor. Wer für Abänderung des § 34, also die hierin beantragte Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Zu § 35. Nach Ziffer 3 des Änderungsantrags der Fraktion der BP, Umdruck Nr. 57, soll das Wort „vollstreckt" durch das Wort „vollzieht" ersetzt werden. Wer für diese Abänderung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über die Annahme der §§ 31, — 32, — 33, — 34, — 35 in der durch die erfolgten Abstimmungen festgestellten Fassung. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Nunmehr rufe ich auf Teil III. Ich schlage Ihnen vor, ebenso wie bei der Diskussion zu Teil II zu verfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Umdruck Nr. 58 ist Ihnen ein Antrag der SPD-Fraktion unterbreitet worden, der den Wortlaut hat:
§ 90 erhält folgenden neuen Absatz 2:
Gemeinden und Gemeindeverbände können die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung einer Verletzung des Artikels 28 des Grundgesetzes einlegen.
Dieser Abänderungsantrag, den ich im Namen der
sozialdemokratischen Fraktion zu begründen habe,
bezweckt mehr als den Einbau einer Verfahrensvorschrift in das Gesetz über den Bundesverfassungsgerichtshof. Er spricht vielmehr eine Grundsatzfrage der Demokratie an, indem er die Stellung der Gemeinden und Gemeindeverbände im Aufbau des Bundes an einem wesentlichen Punkt berührt.
Der gemeindlichen Selbstverwaltung sind besonders seit dem Jahre 1945 immer wieder zahlreiche Elogen zuteil geworden. Kaum eine Regierung in den Ländern hat darauf verzichtet, zu betonen, wie ernst es ihr mit einer Politik der Aktivierung der gemeindlichen Selbstverwaltung sei. Ein warmer Regen freundlicher Zitate ergoß sich über die jeweilige Zuhörerschaft; und sehr oft ist der ehrenwerte Reichsfreiherr vom Stein verdienstvoll, aber ein wenig billig erwähnt worden. Man hat ihn reichlich strapaziert. Die Taten nach solchen Bemerkungen sind aber durchweg ausgeblieben. Die Praxis hat anders ausgesehen, als diese Beteuerungen lauteten. Es ist ein offenes Geheimnis, daß heute zwischen manchem Land und den Gemeinden nicht besonders herzliche Beziehungen bestehen. Die Gründe für die mannigfachen Spannungen, die hier auftreten, sind Legion. Es kann nicht meine Aufgabe sein, sie hier eingehend anzuführen, zumal wir es in dieser Stunde mit einer bundesgesetzlichen Regelung zu tun haben.
Aber auch vom Bunde her, von Bonn her, weht seit der Existenz des Bundes nicht immer ein gemeindefreundlicher Wind. Das Grundgesetz hat den Gemeinden nicht die Anerkennung gezollt, die ihnen gerade im System einer föderalen Staatsordnung sichtbar gebührt. Die oft gehörte Erklärung, die Gemeinden seien die dritte Säule im Aufbau des neuen demokratischen Gemeinwesens, ist eine wirkungsvolle rhetorische Floskel, die sich ansprechend anhört und wie eine Binsenwahrheit klingt, aber praktisch bisher nur geringe Konsequenzen ausgelöst hat. Dabei weiß jeder Klippschüler im Laufstall der Demokratie — und wir müssen das Laufen ja erst noch lernen— —
Herr Abgeordneter Jacobi, Klippschüler pflegen nicht mehr im Laufstall zu lernen, sondern schon in der Schule.
Dann ist es vielleicht noch schlimmer, wenn wir uns nicht einmal als Klippschüler bezeichnen können, also noch unter ihnen rangieren. Aber ich wollte damit andeuten, daß uns immer noch weitgehend die Möglichkeiten verbaut sind, d i e demokratische Ordnung zu praktizieren, die notwendig ist. Wir sollten deshalb jede Gelegenheit beim Schopfe greifen, um von uns aus in der Praxis Unzulänglichkeiten auszugleichen.
Von den Gemeinden darf gesagt werden, daß sie die Nahtstelle zwischen Staat und Volk darstellen und daß sie den Bürger in eine lebendige, einsehbare, mit Augen und Händen greifbare Beziehung zu den öffentlichen Aufgaben bringen. Wenn gelegentlich je nach dem Standort der Betrachtung von der unwürdigen Rolle des Bundes oder der Länder als Kostgänger gesprochen wird, so ist dazu zu sagen: den Gemeinden fällt trotz der wesentlichen Steigerung ihrer Aufgaben, die sich aus Kriegs- und Nachkriegszeit ergeben, nur eine streng gesiebte Dosis von Brosamen zu. Sie sind auf die Stufe von Bettlern herabgesunken und müssen darauf achten — und wir alle sollten ihnen dabei helfen —, daß die geringen Rechte, die ihnen zugestanden sind, nicht nur gewahrt, sondern auch verteidigt werden können. Gerade bei der Gründung eines föderalistisch aufgebauten Staatssystems hätte es einen Anlaß gegeben, eine stärkere Fundierung und auch eine stärkere Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz vorzunehmen. Man hat jedoch bei der Stufung der Ebenen den Ländern die Kompetenz im Sachlichen und Finanziellen gegeben; immerhin hat man wenigstens im Art. 28 des Grundgesetzes eine klare und unmißverständliche Verpflichtung statuiert, die implizite eine institutionelle Garantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände darstellt.
Um diese Bestimmung des Art. 28 geht es bei dem Antrag meiner Freunde, den ich hier zu vertreten habe. Es mag zugegeben werden, daß es sich bei der Verfassungsbestimmung des Art. 28 um kein direkt ausgesprochenes Grundrecht handelt; dennoch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Art. 28 in der Wirkung eine Garantieerklärung enthält, insoweit also das Recht der Selbstverwaltung wie ein Grundrecht wirkt. Wie soll denn im übrigen, praktisch gesprochen, der Abs. 3, der den Bund zur Wahrung dieser Garantie auffordert und ermächtigt, ja mehr als das: verpflichtet, überhaupt anders verstanden werden können als in der Weise, daß neben anderen Möglichkeiten auch die Möglichkeit eröffnet wird, beim Verfassungsgerichtshof die Verletzung dieser Bestimmungen geltend zu machen? Ich brauche Ihnen den Wortlaut des Art. 28 nicht im einzelnen zu verlesen, weil ich der Auffassung bin, daß das Grundgesetz mindestens den Abgeordneten diese Hauses inzwischen in Fleisch und Blut eingegangen ist.
Es ist so, daß der Abs. 3 des Art. 28 — ich sagte es schon — dem Bunde die Verpflichtung auferlegt, dafür Sorge zu tragen, daß die Selbstverwaltung in den Gemeinden und Gemeindeverbänden tätig werden kann. Wenn man sich fragt, wie der Bund diese Dinge praktizieren könne, so ist zu antworten, daß dem B u n d natürlich die Möglichkeit bleibt, etwa beim Verfassungsgerichtshof eine Klage anzustrengen, mit der er die Aufhebung von Ländergesetzen, ihre Erklärung als verfassungswidrig verlangt. Es bleibt dem Bund auch im Ernstfall die Möglichkeit der Bundesexekution. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden aber ist ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung keinerlei Möglichkeit an die Hand gegeben, sich gegen Willkür, etwa von Landesgesetzgebern, beim Bundesverfassungsgericht zur Wehr zu setzen. Ich sagte, der Bund kann mit den Mitteln der Bundesexekution vorgehen. Aber nicht auf diesen nie vorkommenden klaren, sondern auf den oft vorkommenden unklaren Fall kommt es an. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtshofes ist ein echter Akt der Gewährleistung — die der Bund im Grundgesetz übernommen hat —, der in irgendeiner Weise auch durch die Gemeinden und Gemeindeverbände praktiziert werden muß. Im Art. 28 ist — ich sagte es schon — eine Art Grundrecht statuiert, eine institutionelle Garantie, und wenn dem so ist, dann muß es für Gemeinden und Gemeindeverbände den Weg geben, sich auf diese Garantie zu berufen, die in ihrem innern Kern Grundrechtscharakter hat.
Ich bitte also, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion die Beachtung zu zollen, die ihm gebührt, und sich dabei darüber klar zu sein, daß
es keinerlei andere als allgemeinpolitische, als Erwägungen der Sorge gibt, die uns zu diesem Antrag bewogen haben.
Lassen Sie mich abschließend an einigen wenigen Beispielen praktisch sichtbar machen, wie notwendig die von uns begehrte Regelung ist. Sagen Sie nicht, es seien keine Fälle denkbar, in denen die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht den Anspruch darauf erheben müßten, sich zur Wehr zu setzen. Sagen Sie auf der andern Seite nicht, die Eröffnung der Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde einzulegen, führe zu einer unübersehbaren Kette von Rechtsstreitigkeiten.
Zum letzteren nur dies. Wir haben diese Möglichkeit für die Gemeinden und Gemeindeverbände in der Zeit der Geltung der Weimarer Verfassung gehabt. Wir hatten den Art. 127. Wir hatten den Art. 19. Auf Grund dieser Bestimmungen, die es den Gemeinden und Gemeindeverbänden ermöglichten, ihr Recht beim Staatsgerichtshof des Reiches zu suchen, hat es nur etwa zwölf Fälle gegeben. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß hier eine Fülle von Prozessen zu erwarten wäre, zumal die Gemeinden und Gemeindeverbände sich fraglos auch der kommunalen Spitzenverbände bedienen und lediglich Wert darauf legen würden, Musterprozesse durchzuführen. Aber ich muß Ihnen auch gestehen, meine Damen und Herren, daß dieses Argument im Grunde genommen vom rechtsstaatlichen Denken her ohne weiteres abgelehnt werden müßte. Denn wenn jemand Recht sucht, dann muß er es in einem Rechtsstaat finden. Eine Überlegung, daß ein Gerichtshof mit zuviel Klagen überzogen würde, ist keine Überlegung, die dem Charakter rechtsstaatlichen Denkens Rechnung trägt und eine entsprechende sachliche Stellungnahme zu einem Grundsatzproblem widerspiegelt. Praktisch wird es also nicht viel Fälle geben. Es kann aber solche Fälle geben.
Ich könnte mir z. B. denken, daß ein Land die gesamte kommunale Personalwirtschaft aufhebt und beschließt, die Einstellung, Versetzung, Beförderung, Zur-Ruhesetzung, kurz alle Fragen, die mit den Personalien zusammenhängen, nicht mehr in den Händen der Gemeinden oder deren Parlamente oder Ausschüsse zu belassen, sondern diese Aufgaben durch einen staatlichen Apparat, etwa durch staatliche Personalämter, wahrnehmen zu lassen. Hier würde ein Wesenskern echter gemeindlicher Selbstverwaltung berührt, angebröckelt und zerstört sein; hier wäre ein Fall gegeben, bei dem die Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet und berechtigt sein müßten, sich beim Bundesverfassungsgerichtshof gegen die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts zu wenden, das insoweit garantiert ist, auch wenn es nur eine institutionelle Garantie ist. Denn — ich sagte es schon - die personelle Seite ist ein wesentliches Kernstück der gemeindlichen Selbstverwaltung.
Oder denken Sie an den Fall, daß ein Land auf die Idee kommt, unbeschadet der Eigenart unseres heutigen Steuersystems die Gemeinden von jeder einigermaßen ausreichenden finanziellen Zuweisung abzuschneiden und sie auf die eindeutig unzureichenden eigenen Steuerquellen zu verweisen. Auch hier wäre ein solcher Streitfall gegeben. Ein dritter Fall, der möglich erscheint: Ein Land hat die Idee, die kommunale Selbstverwaltung in jedem Einzelfall dazu zu zwingen, Entscheidungen, die sie trifft, an die staatliche Genehmigung zu binden. Hier läge ein außerordentlich wichtiger und möglicher, teilweise schon versuchter Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vor,
und es besteht begründeter Anlaß, zu fordern, daß
sich hier die Gemeinden zur Wehr setzen können.
Schließlich ein letzter Fall! In einem Lande wird durch Gesetz beschlossen, die Kreise schlechthin aufzuheben, ein Petitum, das gelegentlich von kreisangehörigen Städten gegen die Landkreise, die man für überflüssig und als lästige Aufsichtsinstanz ansieht, vorgebracht wird. Hier wäre ein Fall gegeben, bei dem man es begrüßen müßte, wenn ein Verfassungsgericht feststellen würde und könnte, ob hier ein elementarer Verstoß gegen das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung vorliegt.
Abschließend bitte ich Sie, meine Damen und Herren, sich unseren Antrag wohlwollend zu überlegen und daran zu denken, daß es in der Tat wesentlich von Art und Umfang der gemeindlichen Arbeit abhängt, ob es uns gelingt, eine Demokratie von unten her, eine bürgerschaftsnahe Demokratie aufzubauen. Lassen Sie hier keine formalen Erwägungen gelten, sondern denken Sie an die politische Notwendigkeit — auch an die Verdrossenheit, die unten vielfach besteht, mindestens in bezug auf die Gemeinde und Gemeindeverbände —, ihren Aufgabenbereich und ihre Funktionen zu ändern. Machen Sie hier sichtbar, daß Sie begriffen haben: die kommunale Selbstverwaltung ist eine wesentliche Stütze einer lebendigen Demokratie. Stimmen Sie unserem Antrage zu!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Laforet.
Meine Damen und Herren! Ich bin mit den grundsätzlichen Darlegungen des Herrn Kollegen Jacobi über die Bedeutung der Selbstverwaltung, über die Bedeutung der Gemeinden im Staat und für die Gestaltung unserer Demokratie völlig einverstanden.
Aber
ich habe gegen die Fassung 'dieser Bestimmung erhebliche rechtliche Bedenken, und ich weiß, daß diese Bedenken auch von Kollegen aus Ihren Reihen geteilt werden.
Das Gemeinderecht ist Recht der Länder. Art. 28 des Grundgesetzes legt den Ländern die Pflicht auf, die Grundsätze der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände nach Maßgabe des Artikels 28 zur Geltung zu bringen. Die Aufsicht über die Gemeinden und Gemeindeverbände führen die Länderbehörden. Es ist Sache der Verwaltungsgerichte der Länder und im höchsten Rechtszug der Verwaltungsgerichtshöfe der Länder, die Gewähr zu geben, daß die Gemeindeaufsicht die Gesetze, vor allem die in den Ländern festgelegten Grundsätze der Selbstverwaltung, einhält. Das ist ganz außer Betracht geblieben.
Wir haben jetzt in allen Ländern Verwaltungsgerichtsgesetze, nicht nur wir im Süden. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren hat gerade für die Gemeinden die Bedeutung, daß die Gemeindeaufsicht unter diese Rechtskontrolle gestellt ist. Gerade hier ist der Rechtsschutz in vollem Umfange gegeben. Ein erneuter, weiterer Schutz ist. so wie unsere Rechtsentwicklung jetzt nach völliger Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgt ist, nicht mehr nötig. Das war früher an-
ders. Jetzt haben wir auch dort, wo der Rechtsschutz nicht bestand, das Ergebnis, daß staatsaufsichtliche Akte, die in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde eingegriffen haben, aufgehoben werden und daß das Ziel, mit dem ich durchaus einverstanden bin, bereits erreicht ist, ohne daß wir den bedenklichen Weg gehen, hier die Grundsätze der Gestaltung der Länderbehörden zu verletzen.
Aber, Herr Kollege Jacobi, noch ein anderes! Der Antrag gibt nicht nur die Möglichkeit eines Eingriffs gegen fehlerhafte Verwaltungsakte, sondern gegen jeden Gesetzgebungsakt, gegen jeden Rechtsprechungsakt. Das, was hier geschaffen werden soll, ist unabsehbar. So verstehen Sie bitte, daß auch überzeugte Kommunalpolitiker und Anhänger der Selbstverwaltung in der Eröffnung dieses Weges hier einen Fehler sehen. Ich kann nur raten, diesen Fehler nicht zu begehen, und ich bedauere, daß ich mich gegen diesen Antrag aussprechen muß.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zu Teil III des Gesetzentwurfs drei Anträge gestellt, die sich auf die §§ 39, 42 und 46 beziehen.
Der § 39 Absatz 2 widerspricht dem klaren Wortlaut des Art. 18 des Grundgesetzes. Nach ihm sollen bestimmte Grundrechte, die enumerativ und erschöpfend aufgeführt sind, verwirkt werden, wenn sie einer zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht. Die Verwirkung selbst soll durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden. Es heißt ausdrücklich in Art. 18 „verwirkt diese Grundrechte". Weiterhin ist die Möglichkeit gegeben, daß das Ausmaß und die Zeit, innerhalb dessen bzw. innerhalb deren die Verwirkung bestehen oder Platz greifen soll, in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst festgelegt werden. Es ist undenkbar, daß außer der Zulassung einer solchen Verwirkung auf dem Wege über das Bundesverfassungsgerichtsgesetz noch weitere selbständige Grundrechte als verwirkungsfähig erklärt werden können. Das aber geschieht im Absatz 2 des § 39. Dort ist davon die Rede, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Antragsgegner auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen und bei juristischen Personen ihre Auflösung anordnen kann. Sowohl das Vereinsrecht wie das Wahlrecht, die Wählbarkeit, die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sind innerhalb der Bundesrepublik und des Grundgesetzes selbständige Grundrechte. Der Inhalt der Grundrechte. die verwirkt werden und deren Verwirkung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden kann, ist in den in Art. 18 des Grundgesetzes aufgeführten Artikeln genau umgrenzt und festgelegt.
Nun besteht im Gesetzentwurf selbst ein seltsamer Widerspruch. In Absatz 1 des § 39 Satz 3 ist ausdrücklich gesagt:
Es kann dem Antragsgegner auch nach Art
und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen auferlegen, soweit sie nicht andere als
die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen.
Also auch hier, wo es sich darum handeln kann,
dem Antragsgegner gewisse beschränkende Auflagen zu machen, darf über den Rahmen und den
Inhalt der in Art. 18 als verwirkungsfähig erklärten Grundrechte nicht hinausgegangen werden. Ich halte den Art. 39 Absatz 2 für grundgesetzwidrig. Daher haben wir uns erlaubt, die Streichung vorzuschlagen. Überdies ist in diesem Absatz 2 nicht nur der Rahmen der verwirkbaren Grundrechte überschritten, sondern auch ein Eingriff in die Länderzuständigkeiten vorgenommen, da es sich hier darum handeln soll, daß bei juristischen Personen auch ihre Auflösung angeordnet werden kann.
Die Streichung des § 42 haben wir uns deswegen vorzuschlagen erlaubt, weil wir eine solche Strafbestimmung innerhalb des Bundesverfassungsgesetzes gesetzessystematisch nicht für richtig halten. Art. 94 Absatz 2 des Grundgesetzes sagt:
Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung
und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben.
Weiter soll der Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht gezogen werden. Es soll also nichts anderes sein als ein Gerichtsverfassungsgesetz und eine Prozeßordnung. Was aber hier in die Kompetenz des Gerichts gelegt werden will, ist nichts anderes, als daß es den Charakter eines Strafgerichts annehmen würde. Wir haben uns also gestattet, die Streichung des § 42 vorzuschlagen.
In § 46 wollen wir den Absatz 3 gestrichen wissen. In § 46 Absatz 3 ist bestimmt, daß mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei auch die Auflösung der Partei oder des selbständigen Teils der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden ist ; also eine Mußbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht kann in diesem Falle aber auch die Einziehung des Vermögens der Partei oder des selbständigen Teils derselben zugunsten des Bundes oder des Landes zu gemeinnützigen Zwecken aussprechen. Auch hier gilt unser Bedenken wegen der Gesetzessystematik. Der vorliegende Gesetzentwurf soll nichts anderes sein als ein Gerichtsverfassungsgesetz, wie ich schon sagte, und eine Prozeßordnung. Was hier vorgesehen ist, sind die Folgerungen, die aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen sind. Diese Folgerungen der Auflösung und Vermögenseinziehung aber müssen in dem doch zu Art. 21 anstehenden Parteiengesetz festgelegt und bestimmt werden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal auf die Frage des Vollzugs zurückkommen. Es ist notwendig, die Einheitlichkeit der Gesetzessprache herzustellen. Wenn in § 42 — falls er bleiben sollte — das Wort „Vollzug" gewählt ist, dann können in einer früheren Bestimmung nicht die Begriffe „Vollstreckung" und „vollstrecken" stehenbleiben.
Was die Angelegenheit der Einbeziehung der Gemeinden und Gemeindeverbände in die Verfassungsbeschwerde angeht, so darf ich dazu nur kurz folgendes sagen. Es ist nicht unbestritten, ob nach dem Grundgesetz das Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Verfassungsbeschwerde überhaupt zubilligen kann. Das Recht, in bestimmten Fällen vor oder nach Erschöpfung des Rechtsweges eine Verfassungsbeschwerde mit den weittragenden Folgen einer solchen einzulegen, ist nach unserer Auffassung ein selbständiges Grundrecht. In der bayerischen Verfassung ist dieses selbständige Grundrecht im Art. 120 auch ausdrücklich ausgesprochen und verliehen. Es ist also sehr die
Frage, ob der Abschnitt Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz überhaupt eine verfassungsrechtliche Grundlage hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Ich weiß, Sie sind der klügste Mensch, Sie kann an Klugheit niemand übertreffen. Ich habe leider keinen Doktortitel.
Meine Herren, wir wollen doch nicht dauernd lobhudeln!
Herr Kollege Bausch, ich bin kein Jurist; aber ich habe im März 1933 nicht für die Vollmachten an die Hitler-Regierung gestimmt wie Sie.
In den §§ 36 und 43 wird als Voraussetzung für die Einleitung eines Verfahrens der Antrag einer einfachen Mehrheit des Bundestags festgelegt. Vergleichen Sie diese Regelung mit den Bestimmungen des § 49 Abs. 3, wo es sich um das Verfahren bei der Erhebung der Anklage gegen den Bundespräsidenten handelt. In diesem zweiten Fall waren sich die Verfasser der Gesetzesvorlage darin einig, daß man so viele Sicherungen wie nur möglich schaffen müsse, um den Bundespräsidenten vor einer auch noch so sehr begründeten Anklage zu schützen, die doch seine Autorität in der Öffentlichkeit mindern könnte. Im Falle der Anklageerhebung gegen den Bundespräsidenten wird eine Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags verlangt. Unbeschadet der grundsätzlichen Ablehnung der ganzen Absichten, die mit den §§ 36 und 43 verfolgt werden, unbeschadet der grundsätzlichen Ablehnung des gesamten Verfahrens ist meine Fraktion der Auffassung, daß, wenn schon mit der Mehrheit dieses Hauses eine Verfahrensart beschlossen wird, diese für beide Fälle nur einheitlicher Natur sein kann. Darum lautet unser Antrag, auch in den Fällen des Verfahrens gemäß Art. 18 des Grundgesetze und des Verfahrens gemäß Art. 21 des Grundgesetzes eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags für erforderlich zu erklären.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rufe nunmehr die einzelnen Paragraphen des III. Teiles auf.
§ 36. Hierzu liegt der soeben gestellte Abänderungsantrag der KPD Umdruck Nr. 56 Ziffer 14 vor. Wer für die Abänderung des § 36 im Sinne dieses Abänderungsantrages ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wer für den § 36 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 37 und § 38 sind ohne Abänderungsanträge. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Angenommen.
Zu § 39 liegen zwei Abänderungsanträge vor, einer der kommunistischen Fraktion, wonach der Paragraph gestrichen werden soll, und einer der Bayernpartei, wonach im § 39 der Abs. 2 zu streichen sei.
Ich lasse zunächst über den Antrag der kommunistischen Fraktion abstimmen. Wer für die Streichung des ganzen § 39 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über den Abänderungsantrag der Bayernpartei abstimmen. Wer für die Streichung des Abs. 2 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über die §§ 39, 40 und 41 abstimmen. Wer für die Annahme dieser drei Paragraphen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 42. Hier liegt ein Antrag der Bayernpartei vor, wonach dieser § 42 zu streichen ist. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über § 42 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer für die Annahme des § 42 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 43. Hier liegt ein Antrag der kommunistischen Fraktion in Ziffer 16 des Umdruckes Nr. 56 vor, wonach der Abs. 1 dieses Paragraphen eine andere Fassung bekommen soll und Abs. 2 zu streichen sei. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die Annahme der §§ 43, 44 und 45 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Die drei Paragraphen sind angenommen.
Zu § 46 liegen zwei Abänderungsanträge vor, einer der kommunistischen Fraktion, Ziffer 17 des Umdruckes Nr. 56, und einer der Bayernpartei, Ziffer 6 des Umdruckes Nr. 57. Nach dem kom-
munistischen Antrag soll der § 46 gestrichen werden. Nach dem Antrag der Bayernpartei soll nur der Abs. 3 gestrichen werden.
Wer für die Streichung des ganzen § 46 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Abgelehnt. Wer für die Streichung des Abs. 3 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Abgelehnt.
Wer für die Annahme der §§ 46, - 47, - 48, -49,-50,-51,-52,-53,-54,-55,-56,57 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 58 liegt ein Abänderungsantrag der kommunistischen Fraktion vor: Abs. 2 soll gestrichen werden. Wer für die Streichung des Abs. 2 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die Annahme der §§ 58, 59, - 60, -
61, - 62, - 63, - 64, - 65, - 66, - 67, -68, - 69, - 70, - 71, - 72, - 73, - 74, -75, - 76, - 77 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Zu § 78 liegt ein Antrag der Fraktion des Zentrums vor. Hier soll das Wort „Nichtigkeit" durch das Wort „Ungültigkeit" ersetzt werden. Wer für diese Abänderung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wer für die Annahme des § 78 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. -Gegenprobe! - Angenommen.
§ 79. Hier liegt ebenfalls ein Abänderungsantrag der Fraktion des Zentrums vor. Danach soll der Abs. 2 gestrichen werden. Wer für die Streichung des Abs. 2 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wer für die Annahme der §§ 79, - 80, - 81, -82, - 83, - 84, - 85, - 86, - 87, - 88, - 89 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Zu § 90 liegt ein Abänderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 58 vor. Es soll ein neuer Abs. 2 eingefügt werden:
Gemeinden und Gemeindeverbände können die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung einer Verletzung des Art. 28 des Grundgesetzes einlegen.
Die bisherigen Absätze 2 und 3 werden Absätze 3 und 4.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Abänderungsantrag ist angenommen.
Wer für die Annahme des § 90 in der nunmehr beschlossenen Fassung ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Zu den §§ 91, 92 und 93 liegen keine Abänderungsanträge vor. Wer für die Annahme der drei Paragraphen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Zu § 94 liegt ein Abänderungsantrag der Fraktion des Zentrums vor: der letzte Satz des Abs. 3 soll gestrichen werden. Wer für die Annahme dieses Abänderungsantrages ist, den bitte ich, eine
Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wer für die Annahme der §§ 94, 95 und 96 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr Teil IV auf und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich befinde mich in einer etwas merkwürdigen Lage. Ich spreche nicht für eine Fraktion, nicht für eine Gruppe, nicht für ein Interesse, sondern für eine Schicht, die quer durch alle Fraktionen dieses Hauses geht, nämlich für die Schicht derjenigen Abgeordneten, die - ich sage ,das nicht im Tone eines Vorwurfs gegen die anderen. die ich jetzt anzugreifen habe - daran interessiert sind, daß das Budgetrecht des Parlaments und die sich aus ihm ergebenden gesetzlichen Normen in vollem Umfang auch bei unserer eigenen Gesetzgebung gewahrt werden.
Wir sind der Meinung - das gilt, wie gesagt, für Angehörige der meisten Fraktionen, vor allem die Unterschreibenden; ich gehöre nicht zufällig dem Haushaltsausschuß an -: Es geht nicht an, daß in ein Organisationsgesetz, und betreffe es auch dieses außerordentlich wichtige Institut: das Bundesverfassungsgericht, Vorschriften über die Besoldung der Mitglieder dieses Instituts aufgenommen werden. Wir glauben, daß dies ein außergewöhnliches Verfahren wäre, das der Bundestag nicht zulassen sollte.
Ich habe zu zwei Anträgen zu sprechen, einmal zu dem Streichungsantrag, der von denselben Mitgliedern dieses Hauses unterschrieben worden ist, und sodann zu dem Antrag, der diesen Streichungsantrag ergänzt und wünscht, daß die Vorschriften, die in § 97 über die Besoldung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts enthalten sind. in einem besonderen Besoldungsgesetz festgelegt werden. Unser Streichungsantrag will also, daß § 97 aus dem Gesetz gestrichen wird und daß eine Reihe von Änderungen, die in diesem Zusammenhang notwendig werden, vorgenommen werden.
Ich möchte hierzu - ich. habe mich mit einigen der Herren, die den Antrag auf Streichung des § 97 unterschrieben haben, darüber verständigt - noch folgendes sagen: Bei nachträglichem nochmaligem Überdenken der Situation kamen wir zu der Überzeugung, daß die Formulierung, die unser Streichungsantrag auf Umdruck Nr. 60 vorschlägt, nicht zweckentsprechend ist. Ich würde daher empfehlen, daß wir die Ziffer 2 dieses Änderungsantrages so fassen:
In den §§ 98 und 100 Absatz 1 werden die Worte „nach § 97" ersetzt durch die Worte „nach Maßgabe des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts".
Ich glaube, daß ein so klarer Hinweis auf das Sondergesetz über die Besoldung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts im Organisationsgesetz notwendig wäre.
Meine Damen und Herren, ich möchte dazu im Namen derjenigen, die sich über diesen § 97 andere Gedanken gemacht haben als unsere juristischen Kollegen - hier steht ja sozusagen die Front der Juristen einer Front von Nichtjuristen gegenüber -
4302 Deutscher Bundestag - 114, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1951
- ich will nicht behaupten, daß das der Rest des Hauses sei —, folgendes erklären: Wir glauben, die Bedenken, die unsere juristischen Kollegen im Hause gegen die Herausnahme dieses Besoldungsparagraphen aus dem Gesetz haben. können dadurch entkräftet werden, daß das Haus sich entschließt, das Sondergesetz über die Besoldung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts zwischen der zweiten und dritten Lesung des Organisationsgesetzes in allen drei Lesungen anzunehmen. Dann ist der Sache durchaus der Dienst erwiesen, den wir alle ihr erweisen wollen. Denn unabhängig von der Frage, ob nun dieser Paragraph in das Organisationsgesetz gehört oder nicht, waren wir alle der Meinung, daß das Bundesverfassungsgericht sowohl dem Status seiner Mitglieder wie deren Besoldung nach ein solches Gewicht im Gesamtaufbau unseres öffentlichen Lebens erhalten soll, daß wir hier nicht über Einzelheiten der Besoldungsordnung feilschen wollen. Aber wir sind auf der anderen Seite der Meinung, daß wir für die Mitglieder dieses obersten Verfassungsgerichts auch nicht eine völlige Ausnahmestellung gegenüber der für alle öffentlichen Bediensteten geltenden Besoldungsordnung schaffen sollten. Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich Sie im Namen der Antragsteller ersuchen, unseren Anträgen zuzustimmen, die dahin gehen, den § 97 zu streichen und an seiner Stelle ein Sondergesetz zu beschließen.
Aber ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Sollte sich während der Beratungen im Ausschuß - und die werden ja wohl durch die Vorlage dieses Sondergesetzes noch notwendig werden — erweisen, daß in dieses Sondergesetz aus Zweckmäßigkeitsgründen auch die Vorschriften über die Versorgung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen werden sollten, dann, glaube ich, wird niemand dagegen Widerstand leisten. Wir sind also durchaus der Meinung, daß man dieses Gesetz eventuell noch um die Paragraphen erweitern kann, die jetzt in Teil IV enthalten sind und die Versorgung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts regeln sollen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, möchte ich Sie bitten, meine Ausführungen aufzufassen, die sich gegen niemanden richten, sondern nur zeigen sollen, daß man in diesem Parlament in sachlichen Fragen durchaus verschiedener Meinung sein kann, obwohl man derselben Fraktion angehört; denn den Standpunkt der Gegner unserer Anträge wird nunmehr mein Parteifreund Dr. Arndt vertreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat mich heute morgen beauftragt, Ihnen zusätzlich über die Grunde, die uns zum § 97 bestimmt haben, Bericht zu erstatten. Aber diese Gründe entsprechen auch meiner eigenen Überzeugung, so daß ich gegen meinen Parteifreund Schoettle durchaus auch in meinem eigenen Namen hier zu sprechen habe. Ich freue mich über diese Möglichkeit einer wirklichen Debatte, die hier im Hause selten vorkommt.
Ich kann den Ausführungen meines Kollegen Schoettle nicht zustimmen. Zunächst kann ich nicht verstehen, was es mit dem Budgetrecht des Parlaments zu tun hat, ob das Amtsgehalt der Verfassungsrichter im Gesetz selbst oder in einem besonderen Gesetz geregelt ist; denn dieses Budgetrecht steht doch dem Bundestag zu, aber nicht seinem Haushaltsausschuß!
Der Haushaltsausschuß ist wie jeder andere Ausschuß lediglich dazu da, Beschlüsse des Hauses vorzubereiten.
Er hat nicht weniger, aber auch nicht mehr Recht als alle übrigen Ausschüsse, und ich darf daran erinnern, daß wir Gesetze von einer ungeheuren finanziellen Auswirkung wie etwa das Bundesversorgungsgesetz beschlossen haben, dessen Auswirkungen in die Milliarden gehen, ohne daß der Haushaltsausschuß dabei federführend oder, ich glaube, sogar nur beteiligt gewesen ist. Also das Budgetrecht kann durch diese Art der Regelung in keiner Weise verletzt werden.
Was durch das Sondergesetz angestrebt wird, ist offenbar keinerlei sachliche Änderung, sondern in dem zweiten Gesetz soll genau das gleiche stehen, was bei uns in §§ 97 ff. enthalten ist. Ich weiß also nicht recht, welches das wirkliche Motiv ist. Es klingt so etwas an, man solle keinen Präzedenzfall schaffen, man solle nicht in einem Organisationsgesetz zugleich die, sagen wir einmal. finanzielle Regelung, insbesondere eine Gehaltsregelung mit vornehmen; denn man fürchtet wohl, daß bei der Einsetzung anderer Institutionen dieses Vorbild nachgeahmt werden könnte.
Davon kann absolut keine Rede sein; denn es gibt kein dem Bundesverfassungsgericht sonst irgendwie gleichrangiges oder vergleichbares Organ, da das Bundesverfassungsgericht neben der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat steht. Also die Gefahr, daß hier ein Weg beschritten wird, auf den sich später der eine oder andere bei der Organisation einer weiteren Bundesbehörde berufen könnte, ist nicht gegeben. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts sind ja auch keine Beamten in dem hergebrachten Sinne, sondern sie bilden unmittelbar ein Organ der verfassungsrechtsprechenden Gewalt.
Die Konsequenz, die Sie mit dem Sondergesetz erreichen, ist aber nicht ohne Bedenken. und gerade auf diese Bedenken muß ich Sie eindringlich hinweisen. Was geschieht hier? Hier wird das Schicksal des § 97 und der folgenden Paragraphen vom Schicksal des Hauptgesetzes losgelöst, und für die Beachtung dieses Gesetzes und seine etwaige Veränderung ist künftig nicht mehr das Bundesjustizministerium, sondern das Bundesfinanzministerium zuständig. Das ist sachlich verfehlt; denn es handelt sich bei dieser Regelung nicht um finanzpolitische, sondern um verfassungspolitische Fragen. Die Art, wie die Richter gestellt werden, Richter besonderer Art, wie wir sie sonst gar nicht kennen, die ja nur auf acht, teilweise nur auf vier Jahre gewählt sind, ist ein immanenter Teil der Organisation dieses Gerichtshofes, der ohne Strukturänderung nicht herauslösbar ist, so daß die Frage, wie die Richter gestellt sind, zugleich eine Frage ihrer materiellen Unabhängigkeit ist.
Meine Damen und Herren! Es wird immer so viel von der richterlichen Unabhängigkeit gesprochen; es wird aber manchmal nicht genug für sie getan. Die Frage, vor der Sie jetzt stehen, ist
die, ob Sie glauben, daß der Herr Bundesfinanzminister der geeignete Hüter der richterlichen Unabhängigkeit ist.
Wenn Sie die Frage bejahen, dann stimmen Sie
dem Antrag Schoettle zu; sonst lehnen Sie ihn ab!
Keine weiteren Wortmeldungen zu dieser ungewöhnlich interessanten Streitfrage.
Dann rufe ich auf den § 97. Der Abänderungsantrag ist Ihnen bekanntgegeben worden; er geht dahin, den § 97 zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit.
In § 98 sollen nunmehr die Worte „nach § 97" in der drittletzten Zeile ersetzt werden durch die Worte: „nach Maßgabe des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes". Wer für diese Abänderung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Angenommen.
Wer für die Annahme der §§ 98 und 99 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Bei § 100 soll dieselbe Abänderung erfolgen wie bei § 98. Das ergibt sich zwingend aus der Streichung von § 97. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Wer für die Annahme der §§ 100, — 101, — 102,
— 103, — 104, — 105, — 106, — 107 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Die Einleitung und die Überschrift des Gesetzes, die Überschriften der Teile und die Überschriften der Abschnitte. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet.
— Natürlich!
Nunmehr soll in die
dritte Beratung
eingetreten werden.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Arndt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Mehrheit in diesem Hause einen Sieg über § 97 erzielt hat, wird es jetzt notwendig sein, die Tagesordnung zu ändern und das von Herrn Kollegen Schoettle bereits angekündigte und an alle Mitglieder verteilte Sondergesetz auf die Tagesordnung zu setzen und in allen drei Lesungen zu verabschieden.
Wir haben damit die Tagesordung um einen Punkt zu ergänzen. —Widerspruch erhebt sich nicht.
Dann wird aufgerufen die
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Schoettle, Dr. Wuermeling und Genossen, betreffend Entwurf eines Gesetzes über das
Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes .
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister bittet mich, die Beratung dieses eben aufgerufenen Gesetzes kurz zu unterbrechen. Er muß um 18 Uhr zu einer Kabinettsitzung und möchte gern die Vorlage zu Punkt 5 der Tagesordnung betreffend Abänderung des niedersächsischen Arbeitsschutzgesetzes für Jugendliche einbringen. Es ist ja nicht damit zu rechnen, daß es darüber zu einer Aussprache kommt.
— Wird es zu einer Aussprache kommen?
— Dann können wir nicht gut aufrufen.
Dann bleiben wir bei dem aufgerufenen Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes. Wir treten ein in die
erste Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Wir treten ein in die
zweite Beratung.
Ich rufe auf § 1. — Keine Wortmeldungen. § 2.
— Keine Wortmeldungen. Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
— Damit keine Verwechselungen entstehen: es ist die dritte Beratung des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes, nicht die dritte Beratung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. — Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
§ 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf die
dritte Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laforet.
Wir widersprechen der dritten Beratung.
Sie widersprechen der dritten Beratung. Die Geschäftsordnung gibt Ihnen das Recht dazu.
— Weil die dritte Beratung nach der Geschäftsordnung nur stattfinden kann, wenn niemand widerspricht.
— Es genügt ja die Erklärung; es ist keine Begründung erforderlich.
Dann, meine Damen und Herren, können wir die in der Tagesordnung vorgesehene dritte Beratung nicht vornehmen. Die dritte Beratung wird dann, nehme ich an, auf die Tagesordnung einer der Sitzungen in der nächsten Woche genommen werden müssen.
Dann rufe ich auf Punkt 5 der Tagesordnung betreffend Abänderung des niedersächsischen Arbeitsschutzgesetzes für Jugendliche.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihr geneigtes Gehör. Die Herren Bundesminister sind weggegangen, da um 18 Uhr eine wichtige Kabinettsitzung ist.
Ich habe den Herrn Bundesarbeitsminister, der als letzter ging, gebeten, er möchte doch den Herren Ministern sagen, sie möchten sich, wenn die Sitzung rasch zu Ende ist — und das scheint in Aussicht zu stehen —, doch wieder hierher begeben.
Ich schlage Ihnen daher vor, wir rufen zuerst die Punkte auf, die die Anwesenheit der Herren Minister nicht notwendig machen. Ist das Haus damit einverstanden?
Ist es unter diesem Gesichtspunkt schon möglich, Punkt 1 der Tagesordnung aufzurufen? Erhebt sich dagegen Widerspruch, daß ich Punkt 1 aufrufe? —
— Dann rufe ich auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1764 der Drucksachen); Änderungsanträge Umdruck Nrn. 38, 51, 55.
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Naegel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß wurde die Vorlage der Bundesregierung, Drucksache Nr. 1510, der Entwurf eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft, nach der ersten Lesung in der 101. Sitzung des Plenums überwiesen. Im Ausschuß erfolgte eine sehr eingehende Verhandlung dieses Themas. Dabei kamen verständlicherweise entsprechend den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Auffassungen auch unterschiedliche Meinungen der Regierungsparteien und der Opposition zum Ausdruck. Es ist verständlich, daß der vorliegende Entwurf zu einer vielseitigen Betrachtung Anlaß gab.
Diese Möglichkeit ist ja auch in der Presse reichlich ausgeschöpft worden. Die vielen Pressestimmen, die sich in den letzten Wochen mit diesem Thema befaßt haben, lassen erkennen, daß man auch in der breiten Öffentlichkeit der Vorlage eine große Bedeutung beimißt. Die unterschiedlichen Darstellungen von der rein sachlich-realistischen Betrachtung der zeitbedingten Lage an den Rohstoffweltmärkten und der daraus resultierenden notwendigen Maßnahmen im Bereich der deutschen Wirtschaft bis' hin zu der Zeichnung des grauen Gespenstes der Bewirtschaftung haben die Presseorgane erfüllt. Die eine Gruppe ist der Meinung, die Vorlage gehe zu weit, die andere ist dagegen der Meinung, sie sei in den entscheidenden Paragraphen ungenügend.
Auch in den Ausschußberatungen zeigten sich diese Differenzierungen, und die Regierungsparteien versuchten überall, wo es ihnen notwendig erschien, Bremsen gegen einen Mißbrauch der nunmehr der Regierung zu erteilenden Ermächtigung einzubauen. Dagegen waren andere Meinungen laut geworden, die eine viel weitergehende Berechtigung der Regierung erreichen wollten, da mit Rücksicht auf die veränderte Wirtschaftslage der gesamten Welt auch innerhalb Deutschlands sehr schnell Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden müßten.
Wir haben uns bei der eingehenden Behandlung des Themas und der genauen Beratung der Gesetzesmaterie aber doch weitgehend geeinigt, so daß in der letzten Abstimmung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses Einstimmigkeit erzielt werden konnte. Die Mehrheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses vertrat dabei die Auffassung, daß das Ordnungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft durch dieses Gesetz nicht gefährdet werde und daß es eine Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft sei, die Wirtschaft regulativen Prinzipien zu unterziehen, d. h. gegebenenfalls in die Wirtschaft einzugreifen, wenn die Lebensinteressen des Volkes gefährdet sind.
Das vorliegende Gesetz ist kein Nachfolger des Bewirtschaftungsnotgesetzes, das noch aus der Zeit der Zwangswirtschaft stammt und für den gewerblichen Sektor am 30. Juni 1950 außer Kraft getreten ist. Dieses neue Gesetz will nur auf einigen Gebieten genau bestimmte Regelungen ermöglichen, die bei den im Gesetz aufgeführten knappen Rohstoffen und Gütern Störungen im Wirtschaftsablauf beheben oder besatzungsrechtlichen oder internationalen Verpflichtungen Rechnung tragen sollen. Das Gesetz gibt der Bundesregierung eine Ermächtigung, mit Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zu erlassen, damit die Vorschriften den wechselnden Wirtschaftsverhältnissen schnell angepaßt werden können und damit eine unerwünschte Erstarrung der Materie und unerträgliche Verzögerungen der schnell durchzuführenden Maßnahmen verhindert werden, was bei der Aufnahme der Einzelbestimmungen in dieses Gesetz nicht erreichbar gewesen wäre.
In Übereinstimmung mit Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes sind die Ermächtigungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß so begrenzt, daß nur in den im Gesetz einzeln aufgeführten Fällen Vorschriften erlassen werden können. Außerdem ist vom Wirtschaftspolitischen Ausschuß der Abs. 2 des § 3 neu eingefügt worden, der in Übereinstimmung mit dem Entwurf des Preisgesetzes die Bekanntgabe der Rechtsverordnungen an den Bundestag vorsieht, damit dieser in die Lage versetzt wird, durch eine Interpellation an die Bundesregierung um Aufklärung oder Abänderung zu bitten.
Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat sich für die Annahme des Gesetzes ausgesprochen, weil die Vorschriften unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen nicht entbehrt werden können. Es liegen aber textlich und inhaltlich nicht unwesentliche Änderungen der Regierungsvorlage vor und diese Änderungen finden Sie im einzelnen in der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 1764.
Dazu darf ich im einzelnen folgendes sagen. Zunächst haben wir die Überschrift geändert und das Wort „Überleitungsmaßnahmen" gestrichen. Der
Ausgangspunkt für das Gesetz war seinerzeit in der ersten Vorlage das alliierte Gesetz Nr. 24, das gewisse Sicherungsmaßnahmen auf dem Gebiete der von den Alliierten besonders verbotenen oder kontrollierten Industrien vorsah. Mit dem Gesetz Nr. 24 sollte die Befugnis, auf diesem Gebiete Anordnungen zu treffen, auf deutsche Stellen übergeleitet werden. Somit war der erste Titel nach dem ersten Entwurf berechtigt. Inzwischen ist aber eine wesentliche Erweiterung der in der Vorlage vorgesehenen Vollmachten gegeben, so daß es sich jetzt in erster Linie darum handelt, Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft zu treffen.
Der § 1 ist textlich neu gefaßt und ergänzt worden. In § 1 Abs. 1 sind vier Punkte getrennt aufgeführt, die den Inhalt des Gesetzes wiedergeben. Es handelt sich dabei zunächst darum, die Erzeugung, die Verarbeitung, die Lagerung und Lieferung sowie den Bezug der gewerblichen Unternehmen und die statistische Erfassung der festen Brennstoffe, Mineralöle und Edelmetalle dem Gesetz zu unterwerfen.
In Ziffer 2 des § 1 Abs. 1 ist die Verwendung und Vorratshaltung für Waren der gewerblichen Wirtschaft schlechthin, soweit es sich um Rohstoffe, Halbwaren und Vorerzeugnisse handelt, den Bestimmungen des Gesetzes unterworfen. Hiermit ist aber ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß es sich nur um Maßnahmen auf der Produktionsebene handelt und daß Fertigwaren nicht mit einbezogen sind.
In Ziffer 3 des § 1 Abs. 1 ist dann der früher in § 1 Abs. 1 aufgeführte Komplex behandelt, der sich aus den Auswirkungen der Überleitung des Gesetzes Nr. 24 auf deutsche Befugnisse ergibt. Somit sind hier die Maßnahmen für die von den Besatzungsmächten für die gewerbliche Wirtschaft angeordneten Beschränkungen und die Erfüllung zwischenstaatlicher Verpflichtungen vorgesehen.
Im Punkt 4 ist die Lieferung, der Bezug und die Ausführung der in Erfüllung von Besatzungsanforderungen erforderlichen Sach- und Werkleistungen behandelt. Zu diesem Punkt haben wir dann besonders in der als Präambel zu dem Gesetz festgelegten Entschließung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses noch einmal genau Stellung genommen und dabei gefordert, daß die Vergebung von Aufträgen der Besatzungsmächte nur über deutsche Stellen erfolgt oder daß deutsche Stellen hierbei zumindest mitwirken.
Dann fordern wir zweitens unter b) des Abs. 3 dieser Entschließung, daß die Aufträge der Besatzungsmächte auf Lieferauflagen im Rahmen zwischenstaatlicher Verpflichtungen in vollem Umfange Deutschland angerechnet werden, und unter c), daß möglichst ein Naturalersatz für die Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigwaren erfolgt, die auf Grund der Anordnungen der Besatzungsmächte als Lieferung an die Besatzungsmächte vorgesehen sind. Dieser Forderung ist nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen zwischen deutschen und alliierten Stellen besondere Beachtung zu widmen.
Wir haben in der Nr. 2 des § 1 deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Rechtsverordnungen dem Grunde nach beschränkt sein sollen, nämlich in der Deckung des volkswirtschaftlichen oder lebensnotwendigen Bedarfs, und dem Inhalte nach, nämlich durch nur allgemeine Verwendungsvorschriften sowie Bestimmungen und Beschränkungen über die Vorratshaltung, wie diese auch im Auslande vorgeschrieben sind.
Der § 2 enthält die Rechtsgrundlage für die Weiterführung der fachstatistischen Berichterstattung. Diese Notwendigkeit ergab sich daraus, daß für die verantwortliche Leitung der Wirtschaftspolitik die Notwendigkeit besteht, die erforderlichen statistischen Daten von der Wirtschaft zu erhalten. Besonders ist dies nötig für die Handelsvertragsverhandlungen und die Einfuhr-Ausschreibungen. — Der § 2 entspricht mit wenigen Ergänzungen der Regierungsvorlage. Jedoch schlägt der Ausschuß die Einschränkung des Abs. 2 vor, wonach von Kleinbetrieben und von dem Einzelhandel keine statistischen Berichte angefordert werden dürfen, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß es sich hier nicht um eine Bewirtschaftung der Konsumgüter-Sphäre handelt.
Einen neuen § 2a hat der Wirtschaftspolitische Ausschuß beschlossen. Damit wird der Bundesminister für Wirtschaft ermächtigt, Ausführungsverfügungen zu erlassen, wenn eine zu regelnde Angelegenheit mehr als ein Land betrifft. — Diese gleiche Vorschrift ist noch einmal in dem § 4 enthalten.
Der § 3 enthält die Anordnung, vor dem Erlaß der entsprechenden Vorschriften die Länder- und Wirtschaftsvertreter anzuhören.
Ein neuer § 3a sieht die Befristung der Rechtsverordnungen vor, damit ihre Gültigkeit über die Geltungsdauer des Gesetzes hinaus nicht angeordnet werden kann.
In den §§ 5 und 6 sind die Strafbestimmungen enthalten, die jedoch scharf zwischen einem Mischtatbestand der Wirtschaftsstraftat und der Ordnungswidrigkeit im Sinne des Wirtschaftsstrafgesetzes für Zuwiderhandlungen nach § 1 und reinen Ordnungswidrigkeiten bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die fachstatistische Berichterstattung unterscheiden. Es war notwendig, hier eine Ergänzung gegenüber der Regierungsvorlage einzubauen, daß nämlich die Geldstrafe entsprechend früheren Gesetzen auf diesem Gebiet auf 100 000 Mark beschränkt wird.
In § 7 wird die Geltungsdauer dieser Vorlage als typisches Zeitgesetz bis zum Ablauf des Marshallplans, bis zum 30. Juni 1952, vorgesehen.
Damit wäre im wesentlichen der materielle Inhalt des Gesetzes charakterisiert. Die Behandlung im Ausschuß richtete sich auch weniger in ihrer Kritik gegen diesen materiellen Inhalt, von dessen Notwendigkeit die Ausschußmitglieder überzeugt waren, sondern sie richtete sich hauptsächlich gegen den Begriff der Ermächtigung an die Bundesregierung. Es ist vielfach das Thema erörtert worden, daß es undemokratisch sei, eine Ermächtigung an die Regierung zu geben. Wir glauben aber, daß nicht die undemokratische Handlungsweise in der Ermächtigungserteilung liegt, sondern daß die Gefahr des Undemokratischen eher im Mißbrauch dieser Ermächtigung zu suchen sein wird. Dem wollten wir aber vorbeugen, indem wir in der Gesetzgebung überall dort Änderungsvorschläge eingebaut haben, wo ein Mißbrauch zu befürchten wäre. Das Gesetz vermeidet, was anerkannt wurde, jede allgemeine Ermächtigung und beschränkt sich auf unbedingt erforderliche Regelungen weniger Tatbestände und vermeidet damit eine unerträgliche Erstarrung der Materie.
Mit diesen in der Drucksache Nr. 1764 niedergelegten Ergänzungen, mit der zeitlichen Beschränkung des § 7 hält der Wirtschaftspolitische Ausschuß das Gesetz für zweckmäßig und schlägt dem Hohen Hause seine Annahme vor.
Bei der Behandlung im Wirtschaftspolitischen Ausschuß ist es der Wunsch unserer Freunde gewesen, zu dem Gesetz eine Entschließung zu fassen, die Sie, wie ich vorhin schon andeutete, in der Präambel des Gesetzes finden. Danach ist neben dem Vorschlag, das Gesetz anzunehmen, auch hinsichtlich der weiteren Einbeziehung des Zentralbüros für Mineralöl in die Sicherungsmaßnahmen folgendes vorzuschlagen. Wir waren auf Grund der Erfahrungen, die wir sowohl im Wirtschaftspolitischen Ausschuß als auch win dem von ihm gebildeten Unterausschuß zur Überprüfung der Verhältnisse in der Kraftstoffwirtschaft gemacht haben, der Ansicht, daß die Zeit des Zentralbüros vorüber ist und daß man weder das Zentralbüro noch andere private Organisationen in die Mineralölbewirtschaftung weiter einbeziehen solle.
Die Behandlung der Aufträge der Besatzungsmächte unter Berücksichtigung des Gesetzes 24 habe ich bereits erläutert.
Ich bin beauftragt worden, das Hohe Haus zu bitten, auch dieser Entschließung seine Zustimmung zu geben.
Weiter muß ich Ihnen darüber berichten, daß die von der SPD vorgelegte Entschließung im Umdruck Nr. 38, die sie als Ergänzung zu diesem Gesetz in Vorlage brachte, im Wirtschaftspolitischen Ausschuß behandelt worden ist. Die Vertreter der SPD .legten Wert darauf, diese Entschließung mit dem Gesetz zu verquicken. Es handelt sich dabei um die Forderung an die Bundesregierung, unverzüglich Maßnahmen zu treffen, um die bevorzugte Versorgung der volkswirtschaftlich besonders wichtigen Wirtschaftszweige, insbesondere des sozialen Wohnungsbaues und der Exportwirtschaft, mit Energie und den notwendigen Gütern zu angemessenen Preisen sicherzustellen. Wir waren nach Anhören der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums mit Mehrheit der Meinung, daß es sich hier in erster Linie um eine Ergänzung des Preisgesetzes, nicht aber des vorliegenden Gesetzentwurfs handelt. Der Ausschuß hat diese Entschließung mit 13 zu 9 Stimmen abgelehnt und empfiehlt Ihnen, sie nicht anzunehmen.
Ein weiterer Antrag eines Vertreters der SPD, die Regierung möge in Zukunft die Empfänger von importierten Mangelrohstoffen mit Angaben über Menge, Preis und den Zeitpunkt der Einführung bekanntgeben, wurde auf Beschluß des Ausschusses der Regierung mit der Bitte zur Kenntnis gebracht, diese Anregung auf ihre Durchführungsmöglichkeit hin zu prüfen.
Damit wäre die Berichterstattung über das Gesetz an sich im wesentlichen erschöpft. Ich bin dann weiter beauftragt worden, hier gleichzeitig zwei Änderungsanträge mit zu vertreten. Ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun. In Umdruck Nr. 51 liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, in § 1 Abs. 1 Nr. 2 eine Ergänzung hinsichtlich der Erfassung des Schrotts, des für die Eisen- und Stahlerzeugung als Rohstoff bezeichneten Materials anzuordnen. Es wird vorgeschlagen, den Text dieser Ziffer 2 zu ergänzen, indem man zwischen die Worte „handelt" und „zur Verhinderung oder Behebung von Störungen" einfügt:
. . . . sowie über die Anbietungspflicht für Schrott durch Schrottentfallstellen und Schrotthändler.
Die Notwendigkeit dieser Änderung ergibt sich
aus der gegenwärtigen Marktlage, nach der gerade
bei Schrott eine sehr starke Verknappung auf dem
Markte eingetreten ist. Die Behebung dieser Mangellage soll mit der Änderung, die ich Ihnen vorzutragen die Ehre hatte, erreicht werden. Ich darf das Hohe Haus bitten, dieser Änderung zuzustimmen.
Ein weiterer Abänderungsantrag liegt in Umdruck Nr. 55 vor. Es handelt sich dabei darum, in § 1 Abs. 1 Zeile 1 und in § 2 Abs. 1 Zeile 6 das Wort „Bundesregierung" — als Bezeichnung derjenigen Stelle, die ermächtigt wird, die Rechtsverordnungen zu erlassen — durch Beifügung der Worte „oder der Bundesminister für Wirtschaft" zu ergänzen. Wir glauben, diese Anordnung vertreten zu können oder gar vertreten zu müssen, weil es bei besonders eiligen Entscheidungen nicht immer möglich sein wird, das gesamte Kabinett vorher zu den Rechtsverordnungen zu hören. Wir sind deshalb der Meinung, daß auch der Bundesminister für Wirtschaft die Möglichkeit haben sollte, hier allein mit Zustimmung des Bundesrats zu handeln. Ich darf das Hohe Haus bitten, auch diesem Änderungsvorschlag seine Zustimmung zu geben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir aber zum Schluß noch eine kurze Klarstellung. In der letzten Zeit sind in Deutschland vielfach Gerüchte verbreitet worden, daß eine erneute Bewirtschaftung der Konsumgüter bevorstände. Auch in Zusammenhang mit diesem Gesetz ist davon in der Presse die Rede gewesen. Ich darf klarstellen, daß dieses Gesetz für eine solche Maßnahme keine Rechtsgrundlage bietet und auch nicht die Vorbereitung einer solchen Maßnahme darstellt. Im Gegenteil, ich bin berechtigt, zu sagen, daß nach den Aufklärungen, die uns vom Bundeswirtschaftsministerium gegeben wurden, diese Gerüchte über eine bevorstehende Bewirtschaftung oder über die Herausgabe von Kleiderkarten und Bezugsscheinen jeder Grundlage entbehren.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Gesetze und den von mir vertretenen Änderungen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, wenn dem Herrn Berichterstatter ein weiterer Ergänzungsantrag bekannt gewesen wäre, hätte er ihn zweifellos auch vertreten. Ich darf ihn bekanntgeben. Es wird vorgeschlagen, in § 1 Abs. 1 des Gesetzes in Ziffer 1. hinter dem Wort „Mineralöl", wo es jetzt heißt: „Mineralöl und Edelmetalle", zu formulieren: „Mineralöl, Edelmetalle und Nichteisenmetalle", und zwar zweimal, einmal in der fünften Zeile und einmal in der letzten Zeile der Ziffer 1 des Abs. 1 des § 1. Ich bitte, auch diesen Antrag als Abänderungsantrag zur Kenntnis nehmen zu wollen.
— Der Antrag ist ebenfalls von der Fraktion der CDU/CSU und von der FDP gestellt.
— Die SPD unterstützt den Antrag. Ich glaube also, ich kann so verfahren, daß ich gleich die Einzelberatung der zweiten Lesung eröffne.
§ 1. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns, daß. dieser eben skizzierte Antrag betreffend Nichteisenmetalle nunmehr von den Regierungsparteien eingebracht worden ist und erklären, daß wir selbstverständlich diesem Zusatzantrag zustimmen werden.
Ich möchte aber gerade im Hinblick auf das, was der Herr Berichterstatter hier gesagt hat, nochmals auf unseren Umdruck Nr. 38 hinweisen. In diesem Umdruck haben wir bekanntlich darum gebeten, daß die Bundesregierung aufgefordert wird, unverzüglich Maßnahmen zu treffen, daß die bevorzugte Versorgung volkswirtschaftlich besonders wichtiger Wirtschaftszweige, insbesondere des sozialen Wohnungsbaues und der Exportwirtschaft, mit Energie und den notwendigen Gütern zu angemessenen Preisen sichergestellt wird. Weiter haben wir verlangt, dem Bundestag unverzüglich eine zur Durchführung solcher Maßnahmen etwa notwendige Ergänzungsvorlage zu obigem Gesetz vorzulegen. Ich bin nun nicht der Meinung, daß es sich hierbei in erster Linie um preispolitische Maßnahmen handelt, auch wenn wir zum Ausdruck gebracht haben, daß die Rohstoffversorgung zu angemessenen Preisen erfolgen soll. Aber das Gewicht liegt selbstverständlich auf der Rohstoffversorgung der volkswirtschaftlich wichtigen Zweige schlechthin, das heißt, wir wollen zum Ausdruck bringen, daß damit gewisse Lenkungsmaßnahmen verbunden sein müssen. Insofern betrifft daher der Umdruck Nr. 38 gerade das heute zur Debatte stehende Gesetz über Sicherungsmaßnahmen. Es freut mich, daß, obwohl unser Antrag Umdruck Nr. 38 noch vor 14 Tagen im Ausschuß für Wirtschaftspolitik gegen unsere Stimmen mit den Stimmen der Regierungsparteien abgelehnt worden ist — und zwar möchte ich darauf hinweisen, daß wir ausdrücklich auf das Beispiel der Nichteisenmetalle hingewiesen haben. um unseren Antrag zu begründen —, nun 14 Tage später in letzter Minute von den Regierungsparteien doch noch die Nichteisenmetalle in dieses Gesetz mit hereingenommen werden.
— Wir begrüßen das. Aber wir wollen doch darauf hinweisen, daß wir schon frühzeitig immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben, wie notwendig es ist, ein Gesetz zu schaffen, das nun wirklich auf lange Sicht den Notwendigkeiten unserer jetzigen wirtschaftspolitischen Lage Rechnung trägt. Wir hoffen, daß das Tempo, mit dem sich die Regierungsparteien unseren Vorschlägen anschließen, auch in Zukunft das gleiche sein wird — zum Segen der deutschen Wirtschaft.
Weitere Wortmeldungen zu § 1 liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung.
Ich komme zur Abstimmung. Es liegt vor der Antrag Umdruck Nr. 55, nach dem in § 1 Abs. 1 Zeile 1 und in § 2 Abs. 1 Zeile 6 nach dem Wort „Bundesregierung" die Worte „oder der Bundesminister für Wirtschaft" eingefügt werden. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Es ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Weiterhin der Antrag, den ich eben verlesen habe — Sie wissen es bereits —, an Stelle des Wortes „Edelmetalle" die Worte „Edelmetalle und Nichteisenmetalle" einzufügen, und zwar in § 1 Abs. 1 Ziffer 1 zweimal. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Auch das ist angenommen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Als dritter Abänderungsantrag liegt vor der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, Umdruck Nr. 51: Neufassung der Ziffer 2 des Abs. 1 im § 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Abänderungsantrag bezüglich der Ziffer 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Soweit ich sehen kann, bei einigen Enthaltungen angenommen.
Nachdem diese Abänderungen erledigt sind, komme ich zur Abstimmung über § 1 insgesamt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe weiter auf — unter Berücksichtigung der für § 2 bereits angenommenen Abänderung — zur Einzelberatung: § 2, — § 2a, — § 3, — 3a, —
4, — § 5, — § 6, — § 7,— Einleitung und Überschrift. Es liegen keine Wortmeldungen vor. Ich schließe die Einzelberatung der zweiten Lesung.
Ich komme zur Abstimmung über die soeben aufgerufenen §§ 2 bis 7, Einleitung und Überschrift, unter Berücksichtigung der Abänderung in Abs. 1 des § 2. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung angenommen worden.
Das Wort hat nochmals der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß im § 5 Ziffer 1 der Ordnung halber auch noch eingefügt werden müßte „Nichteisenmetalle". Ich glaube, es bedarf nur einer redaktionellen Änderung.
Meine Damen und Herren! Ich darf dann vorschlagen, daß der Ergänzungsantrag, der von Herrn Abgeordneten Dr. Schröder gestellt worden ist und dem der Herr Abgeordnete Kurlbaum zugestimmt hat, sich nicht nur auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 bezieht, sondern auch auf § 5 Abs. 1 Ziffer 1. — Dann ist das in gleicher Weise abgeändert.
Meine Damen und Herren, es ist bei mir soeben angeregt worden, die dritte Beratung etwas zurückzustellen, um die Chance zu geben, daß der Herr Bundesminister für Wirtschaft anwesend sein könnte, der beabsichtigt, zur dritten Beratung grundsätzliche Ausführungen zu machen.
— Herr Abgeordneter Ollenhauer, darf ich, bevor Sie das Wort ergreifen, noch einen Augenblick unterbrechen. E's wird mir gerade eine Mitteilung von dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft hergegeben, daß er bis spätestens 19 Uhr im Bundestag sein wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, der Anregung, die von uns gekommen ist, zuzustimmen. Falls die Vertagung auf diese Weise nicht zustande kommt, würden wir gegen die dritte Lesung heute Einspruch erheben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir ohne formellen Widerspruch gegen die dritte Lesung durchkommen. Wenn der Herr Bundesminister für Wirtschaft zusagt, daß er in einer halben Stunde hier ist, glaube ich, gibt es keine Schwierigkeiten, die dritte Lesung so lange zurückzustellen, um dann um 19 Uhr dazu zu kommen. — Ich darf annehmen, daß das Haus einverstanden ist, da es sich um eine nicht ins Gewicht fallende Verzögerung handelt.
Der Herr Vertreter des Bundeskanzlers, Herr Bundesminister Blücher, ist nicht anwesend; er wollte die Interpellation zu Ziffer 2 a betreffend landwirtschaftlichen Grundbesitz und Traktatrecht im deutsch-holländischen Grenzgebiet beantworten. Ich darf vorschlagen, daß wir das noch etwas zurückstellen, in der Hoffnung, daß die Kabinettssitzung bald beendet ist und der Herr Minister zur Verfügung steht.
Ich darf dann aufrufen Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des niedersächsischen Arbeitsschutzgesetzes für Jugendliche vom 9. Dezember 1948/ 16. Mai 1949 .
Zur Begründung des Gesetzentwurfes hat als Vertreter des Bundesrats Herr Staatssekretär Lauffer das Wort.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Beauftragter des Bundesrats habe ich die Ehre, Ihnen folgendes vorzutragen: Das Land Niedersachsen hat im Jahre 1948 ein Gesetz über den Arbeitsschutz für Jugendliche beschlossen, das eine wesentlich günstigere Regelung vorsah als das allgemein geltende Jugendgesetz aus dem Jahre 1938.
Die Durchführung des Gesetzes hat in der Folgezeit zu gewissen Schwierigkeiten geführt; insbesondere sind aus Kreisen des Handwerks und der Kleinbetriebe Bedenken erhoben worden. Aus diesem Grunde ist das Gesetz im Jahre 1949 geändert worden. Insbesondere ist in dem § 34 eine Bestimmung eingefügt worden, durch welche die Gewerbeaufsichtsämter die Befugnis erhalten, Ausnahmen von den Bestimmungen dieses Gesetzes in einem gesetzlich festgelegten Rahmen zu bewilligen. Die Abgrenzung dieser Ausnahmen hält sich in dem Rahmen, der bei den mit den Gewerkschaften gepflogenen Erörterungen für das endgültige Jugendschutzgesetz in Aussicht genommen worden ist. Die Befugnis, diese Ausnahmebewilligungen zu erteilen, ist zeitlich begrenzt gewesen. Die zeitliche Begrenzung erklärt sich daraus, daß damals die Hoffnung bestand, in absehbarer Zeit zu einem wenigstens bizonal geltenden allgemeinen Jugendschutzgesetz zu kommen. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die gesetzliche Ermächtigung ist abgelaufen. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten aber, die zu dieser Bestimmung geführt haben, bestehen fort.
Aus diesem Grunde ergibt sich die Notwendigkeit, die Befugnis, Ausnahmebewilligungen zu erteilen, zu verlängern. Diese Befugnis steht aber dem Gesetzgeber, der seinerzeit das Arbeitsschutzgesetz für Niedersachsen erlassen hat, nämlich dem Niedersächsischen Landtag, mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Art. 125 des Grundgesetzes nicht mehr zu. Es bedarf einer bundesgesetzlichen Regelung. Diese bundesgesetzliche Regelung wird durch einen Initiativantrag, den das Land Niedersachsen beim Bundesrat gestellt und dem sich der
Bundesrat angeschlossen hat, angestrebt, wie aus der vorliegenden Drucksache ersichtlich ist. Die Bundesregierung hat der Vorlage ihre Zustimmung erteilt, sie hat nur eine etwas andere Formulierung vorgeschlagen. Das ist aber keine Frage des sachlichen Inhalts des Gesetzes, sondern eine Frage — ich möchte sagen — der juristischen Eleganz. Der Bundesrat wird sich nicht gekränkt fühlen, wenn das Hohe Haus der Auffassung sein sollte, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene Formulierung die bessere ist.
Ich darf das Hohe Haus also bitten, nach Maßgabe der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 1783 zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Vertreter des Bundesrats für die Begründung des Gesetzentwurfs. Ich eröffne die Besprechung der ersten Lesung.
Ich darf dazu bekanntgeben, daß inzwischen ein Antrag der Abgeordneten Mensing, Strauß und Genossen eingegangen ist, der folgenden Wortlaut hat:
Der Bundestag wolle anläßlich der Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des niedersächsischen Arbeitsschutzgesetzes für Jugendliche vom 9. Dezember 1948/16. Mai 1949 — Drucksache Nr.1783 — folgender Entschließung seine Zustimmung geben:
Die Bundesregierung wird ersucht, zum Zwecke der einheitlichen Regelung des Jugendarbeitsschutzrechts im Bundesgebiet den Entwurf eines Gesetzes alsbald dem Bundestag vorzulegen, das den sozialen Notwendigkeiten und den wirtschaftlichen Erfordernissen der Gegenwart Rechnung trägt.
Sie haben von diesem Antrag Kenntnis genommen.
Zunächst hat sich Herr Abgeordneter Keuning zum Wort gemeldet. — Der Ältestenrat hat eine Aussprachezeit von 40 Minuten vorgeschlagen. Ich bitte, sich in diesem Rahmen zu halten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am 18. Dezember vorigen Jahres in diesem Hohen Hause das Jugendprogramm der Bundesregierung verkündet wurde, ist das in einem großen Teil der Bundesrepublik mit Freuden aufgenommen worden, und zwar wurde daraus geschlossen, daß nun die Regierung endlich initiativ und in dem Sinne, wie die vorliegende Entschließung das auch fordert, weiterwirken wird, nicht nur die Not zu erkennen und zu beheben, sondern auch Maßnahmen zu ergreifen, die der Jugend den Weg zur demokratischen Lebensform ebnen.
Wir müssen aber sagen, daß uns die vorliegende Drucksache tief enttäuscht; denn es taucht die Frage auf, ob mit diesem heutigen Stückwerk das notwendige Schutzgesetz für die arbeitende Jugend in der Bundesrepublik noch weiter hinausgeschoben werden soll oder ob es ganz aufgegeben worden ist, ein Jugendschutzgesetz zu verabschieden. Die Frage, die heute mit dieser Drucksache behandelt wird, steht bereits seit dem 30. September 1949 an; denn seit dieser Zeit ist in Niedersachsen ein gesetzlicher Zustand vorhanden, der der Willkür Tür und Tor öffnet. Wenn ich in der Begründung lese: zur Behebung der Schwierigkeiten, auf die die Durchführung des Gesetzes stößt, muß die Frist in § 34 beseitigt werden, und zwar rückwirkend, damit die zahlreichen Verstöße der Betriebe gegen das Gesetz nachträglich durch rückwirkende Bewilligung von Ausnahmen geheilt
werden können und damit auch die trotz Ablauf der Frist von den Gewerbeaufsichtsämtern weiterhin bewilligten Ausnahmen eine gesetzliche Grundlage erhalten, — dann muß es uns sehr, sehr bedenklich stimmen, daß der wertvollste Teil der Bevölkerung solchen Willkürmaßnahmen ausgesetzt ist.
Wir wissen, daß man sich in Gewerkschaftskreisen seit langem bemüht, ein neues Gesetz zu schaffen, nicht ein Gesetz neu zu formulieren, sondern ein grundsätzlich neues Gesetz zu schaffen. Bereits 1946 wurden die ersten Beratungen in dieser Beziehung gepflogen, und es ist der Verwaltung für Arbeit ein Entwurf für ein solches Gesetz auf größtmöglicher Ebene zugeleitet worden. Einzig Niedersachsen ist abgewichen und hat für sein Gebiet das heute besprochene Gesetz geschaffen.
Im Mai 1949 bestand zwischen den Sozialpartnern weitgehende Übereinstimmung über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes, und die strittigen Punkte — Arbeitszeit und Urlaub — standen im Vordergrund der Betrachtungen. Wir wissen, daß es hierbei sehr heiß zuging. Aber durch das Zögern wird die gestellte Aufgabe nicht gelöst. Wir können feststellen, daß in der Zwischenzeit die Urlaubsfrage im Sinne des Gesetzes, das von den Gewerkschaften vorgeschlagen wurde, in sieben Ländern geregelt wurde. In Bayern ist vor kurzem eine andere, abweichende Regelung getroffen worden.
Am 10. November 1949 hat der Landtag des größten Landes im Bundesgebiet, der Landtag von Nordrhein-Westfalen, dem Bundesarbeitsministerium einen interfraktionellen Antrag der Parteien SPD, CDU, Zentrum und KPD zugeleitet. Dieser Antrag hatte wieder den Gesetzentwurf der Gewerkschaften zur Grundlage. Er wurde dem Arbeitsministerium zugeleitet, weil die Notwendigkeit auftrat, dieses Gesetz auf Bundesebene zu schaffen. Wir stellen dann fest, daß das Bundesarbeitsministerium den Zeitraum von Anfang Oktober 1949 bis 28. August 1950 benötigte, um ein Rundschreiben an verschiedene Jugendämter, Jugendverbände, Arbeitgeberverbände usw. zu erlassen. In diesem Rundschreiben bittet das Bundesarbeitsministerium, zu dem vorgelegten Entwurf Stellung zu nehmen und eventuell auch Vorschläge zu machen. Fast ein Jahr brauchte die Bundesregierung dazu.
Merkwürdig ist, daß dieselbe Regierung dann den Verbänden, denen sie das Gesetz zuschickte, nur eine Frist von einem Monat zuerkannte, innerhalb deren die entsprechenden Vorschläge beim Bundesarbeitsministerium vorgelegt werden sollten.
Eine Denkschrift des Kreisjugendausschusses von Backnang beweist, daß dieses Gesetz dringend notwendig ist. Ich bitte, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen kurzen Auszug vorlesen zu dürfen. In dieser Denkschrift, die sich mit den Arbeitszeiten, Lehrlingsvergütungen und Pausen beschäftigt, ist zu lesen, daß von 297 Handwerkslehrlingen 173 eine mehr als 48stündige Arbeitszeit hatten. Von diesen 173 Lehrlingen wiederum hatten 74 eine Arbeitszeit bis zu 60 Stunden, 20 eine solche bis zu 70 Stunden. 18 eine bis zu 80 Stunden
und 3 eine Arbeitszeit bis zu 90 Stunden in der Woche. Das ist eine amtliche Feststellung.
— Bitte, es gibt noch viel mehr. Wenden Sie sich an den Kreisausschuß; der wird Ihnen die entsprechende Mitteilung machen.
Im Handel hatten von 171 Lehrlingen 67 eine normale Arbeitszeit, während der Rest bis zu 80 Stunden wöchentliche Arbeitszeit hatte. 208 Lehrlinge im Handwerk hatten Urlaub nach dem Gesetz. Die restlichen Lehrlinge hatten weniger Urlaub, als nach den gesetzlichen Vorschriften vorgesehen ist, und 35 bekamen überhaupt keinen Urlaub.
Im Handel bekamen von 171 Lehrlingen 13 weniger als den gesetzlichen Urlaub und 8 keinen Urlaub.
Soweit die Lehrlingsvergütung in Frage kam, wurde im Handwerk an 196 von 297 Lehrlingen weniger Lehrlingsvergütung gezahlt, als nach der Verordnung 1056 der württembergischen Landesregierung hätte gezahlt werden müssen. Im Handel wurde an 107 von 171 Lehrlingen weniger Vergütung gezahlt, als nach der Verordnung vorgeschrieben, die ich eben zitierte. Das ist in einer Denkschrift des Kreisjugendausschusses festgestellt.
- Ich bitte, noch einige Sätze sprechen zu dürfen, Herr Präsident. - Es ist ganz klar, daß solch eine Behandlung der Jugend schwerste körperliche Schäden für die davon Betroffenen nach sich ziehen wird. Aber nicht nur das ist es, was uns bedenklich stimmt; denn neben dem Umstand, daß diese Zustände fast einer Schändung des Ansehens der davon betroffenen Kreise des Handwerks, des Handels usw. gleichkommen, ist dieser Tatbestand auch eine wesentliche Schädigung der jungen Demokratie. Man nimmt den jungen Menschen das Gefühl, in einem Rechtsstaat zu leben.
Diese brutale Willkür läßt sie mit Erbitterung abseits, ja vielfach gegen den Aufbau des demokratischen Staates stehen. Wir sind durchaus der Ansicht, daß die Regelung dieser Probleme nicht leicht sein wird; wir anerkennen die Schwierigkeiten. Aber wir erwarten, daß sie entschlossener angepackt werden.
Am 21. September vorigen Jahres, in der 87. Sitzung, hatten wir in diesem Hohen Hause eine Debatte über die Versicherungsfreiheit der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer und der Lehrlinge. In dieser Debatte erklärte der Bundesarbeitsminister zu dem Thema der Versicherungsfreiheit für Lehrlinge laut Protokoll wörtlich: — —
Herr Abgeordneter, Sie hatten gesagt: einige Sätze!
Ich bin jetzt am Ende; das war ja erst die Ankündigung, Herr Präsident. — Der Herr Bundesarbeitsminister erklärte: „Der Antrag enthält einen Teil, den ich jeden Tag mitmache", und er sagte schnellste Erledigung der Angelegenheit zu. Seit dieser denkwürdigen Erklärung sind 126 Tage ins Land gegangen, und bis heute liegt in dieser Angelegenheit nichts vor. Das stimmt uns mehr als bedenklich. Ich weiß, daß die Frage der Jugend keine Frage irgendeiner Partei ist, sondern durch alle Parteien geht. Sie alle haben Ihre Bedenken geäußert in Anträgen und auch in den Debatten, die hier schon des öfteren stattgefunden haben. Ich möchte auch wieder an alle appellieren, die heutige Debatte dazu zu benutzen, der Regie-
rung den Willen zum Ausdruck zu bringen, uns kein Stückwerk vorzulegen, sondern möglichst bald ein Gesetz für die arbeitende Jugend in der Bundesrepublik zu schaffen; kein Gesetz mit neuen Formulierungen, die dem alten Gesetz angefügt werden, sondern ein neues, ja ein in die Zukunft weisendes Gesetz. Der Jugend muß bewiesen werden, daß sie mit ihrer Arbeit ein geschütztes und geachtetes Glied unserer demokratischen Gemeinschaft ist. In diesem Hohen Hause ist heute viel von Sicherheit gesprochen worden. Ich bin der Ansicht, eine gute Regelung in dem hier angesprochenen Sinne würde die innere Sicherheit der Bundesrepublik in beachtlichem Grad erhöhen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl. Drei Minuten, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren! Es wäre zweckmäßiger gewesen, wenn die an uns herangetragene Vorlage Drucksache Nr. 1783 eine kleine Gegenüberstellung mit dem wirklichen Inhalt des damals im niedersächsischen Landtag verabschiedeten Gesetzes gebracht hätte. Nach dieser Vorlage handelt es sich nur um § 34, und zwar darum, die Durchführungsverordnung, die bereits im September 1949 abgelaufen war, zu verlängern. Das würde praktisch bedeuten, einen Zustand zu legalisieren, der einmal als Übergangslösung gedacht war, um die Einführung dieses Jugendschutzgesetzes in Industrie und Handwerk etwas zu erleichtern und seine Durchführung für diese Berufsgruppen etwas bequemer zu gestalten. Wir wissen, daß der gegenwärtig herrschende Dualismus in der Gesetzgebung gerade auf diesem Sektor unter allen Umständen beseitigt werden muß. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Tempo des Bundesarbeitsministeriums in der Vorlage von Gesetzen an dieses Hohe Haus wesentlich schneller sein könnte. Sie können versichert sein, ich habe eine Ahnung von dem Zustandekommen von Gesetzen! Ich weiß auch, wie man die notwendigen Fachkräfte heranzieht. Es darf nicht sein, daß man sie, so wie es heute durch das Arbeitsministerium geschieht, draußen läßt, sondern zur Ausarbeitung von Gesetzen müssen die Männer der Praxis herangezogen werden.
Hier handelt es sich darum, daß beispielsweise in den Übergangsbestimmungen die Arbeitszeit wöchentlich im Durchschnitt 45 Stunden und täglich 7 1/2 Stunden beträgt, während das Gesetz in seinem Urtext 7 Stunden als tägliche Arbeitszeit und 40 Stunden als wöchentliche Arbeitszeit vorsieht. Nach § 11 Abs. 2 des Gesetzes soll ein Berufsschultag von 4 Stunden als voller Arbeitstag gelten, nach Ziffer 2 der Übergangsbestimmungen erst ein Berufsschultag von 6 Stunden. In dem Abs. 3 der Übergangsbestimmungen gestattet man eine 8 1/2stündige Arbeitszeit, während im eigentlichen Jugendschutzgesetz eine Arbeitszeit von 8 Stunden vorgesehen ist. Und so geht es weiter.
Wir sind der Auffassung, daß das Bundesarbeitsministerium mit möglichster Eile den unhaltbaren Zustand auf diesem Gebiet beseitigen und endlich einmal dazu übergehen sollte, nicht nur platonische Liebeserklärungen für die Jugend an allen möglichen Stellen abzugeben, sondern statt der deklamatorischen Erklärungen wirklich ernste Erwägungen anzustellen, die zu Maßnahmen führen, die der Jugend helfen.
Wir fordern daher das Hohe Haus auf, die Gesetzesvorlage abzulehnen.
— Das können Sie machen, wie Sie wollen. Das ist Ihre Angelegenheit.
Darüber besteht in diesem Hause Einmütigkeit, Herr Abgeordneter Kohl.
Es haben sich die Herren Abgeordneten Mensing und Kuntscher gemeldet. Die beiden Herren müssen sich in 8 Minuten Redezeit teilen. Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Mensing.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bedaure zunächst sehr, daß der Vertreter der SPD so scharfe Angriffe gegen das Handwerk gestartet hat.
— Sie haben dem Handwerk den nicht mißzuverstehenden Vorwurf gemacht, daß das Handwerk die Lehrlinge ausnutze.
— Mein verehrter Herr Kollege, ich möchte, damit völlige Klarheit hinsichtlich der Lehrlingserziehung zwischen Ihnen und mir herrscht, Ihnen gegenüber gleich sehr deutlich zum Ausdruck bringen, daß ich eine harte Lehre durchgemacht habe. Ich war der einzige Stift bei acht Gesellen und einem Werkmeister. Ich habe jeden Morgen um fünf Uhr die Kessel heizen müssen, damit, wenn um sechs Uhr die Gesellen kamen, die Kessel heiß waren. Ich habe jeden Abend nach acht Uhr noch zwanzig bis dreißig Kunden abfragen müssen, und wenn ich dann nach Hause kam, habe ich noch zehn Paar Stiefel für die Gesellen gewienert. Manchen Sonntag habe ich in Göttingen auf dem Rohns oder auf dem Bahnhof gestanden und habe für meinen Chef Würstchen verkauft. Ich muß Ihnen sagen: ich schäme mich dieser Vergangenheit nicht; denn Arbeit adelt.
Ich muß feststellen, daß diese Mehrarbeit, zu der ich mich keineswegs bekennen will, unter Umständen auch in der heutigen Zeit in dieser Form noch durchgeführt wird. Eines möchte ich Ihnen aber sagen: diese Mehrarbeit hat mir und meinen Kollegen nicht geschadet. Wenn das Handwerk in den letzten Jahren seinen Verpflichtungen der Allgemeinheit gegenüber in so ausgezeichneter Form nachgekommen ist, dann ist das in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Handwerksmeister und Gesellen eine harte Lehre durchgemacht haben. Das, was Sie verlangen und wünschen, ist doch nichts weiter als eine Verweichlichung unserer Jugend.
— Lachen Sie ruhig, meine Herren! Bitte, wie liegen die Dinge in Wirklichkeit? Unsere Jugend ist in den Kriegsjahren im allgemeinen elternlos groß geworden. Vor allem hat die väterliche Hand gefehlt,
und es ist die höchste Zeit, daß ein großer Teil
unserer Jugend wieder zur Ordnung und zur Diszi-
plin und zur Anerkennung der Autorität zurückgeführt wird.
Wie ist dieses niedersächsische Jugendarbeitsschutzgesetz zustande gekommen? Auf Grund eines Antrages der KPD! Es sieht eine Arbeitszeit — nun hören Sie genau zu! — von 7 Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich vor. Außerdem ist ein Berufsschultag, an dem mindestens vier Unterrichtsstunden gegeben werden, als voller Arbeitstag anzurechnen. Gleichzeitig ist im Urlaubsgesetz der Mindesturlaub für Jugendliche auf 24 Tage festgelegt worden. Auf diese Weise wird gegenüber früher die für die Ausbildung von Lehrlingen zur Verfügung stehende Arbeitszeit auf die Hälfte herabgesetzt. Auf Grund einer Protestwelle wurde zu diesem Gesetz eine Übergangsbestimmung erlassen, die vorsieht, daß auf Antrag die Arbeitszeit auf 42 Stunden für Jugendliche unter 16 Jahren und auf 45 Stunden für Jugendliche über 16 Jahre festgesetzt werden kann.
Herr Abgeordneter Mensing, darf ich mich zum Sachwalter Ihres Kollegen Kuntscher machen!
Ich glaube, mein Kollege Kuntscher wird nichts dagegen haben, wenn ich seine Zeit in Anspruch nehme.
— Dann bedaure ich außerordentlich, daß ich Ihnen dieses Jugendschutzgesetz nicht so auseinandersetzen kann, wie ich es möchte.
Wenn ich mir vor Augen führe, daß ein Jugendlicher nach diesem Gesetz praktisch in Zukunft nur noch die halbe Woche zu arbeiten braucht, dann werden Sie mir recht geben müssen, daß diesen Jugendlichen nicht die Erziehung zuteil werden kann, die erforderlich ist, um einen tüchtigen Nachwuchs heranzubilden. Bitte, bedenken Sie einmal, daß von 716 000 Lehrlingen im Handwerk und in der Industrie über 503 000 allein im Handwerk ausgebildet werden.
Dann mögen Sie die große erzieherische Bedeutung des Handwerks für das deutsche Volk erkennen. Wenn Sie sagen: „leider!", verehrter Herr Kollege, so möchte ich Ihnen nur das eine sagen: danken Sie Ihrem Schöpfer, daß diese großen mittelständischen Schichten da sind. Ich habe schon einmal ausgeführt: sie geben ihren Söhnen erst die Möglichkeit zu einem höheren Aufstieg.
Ich möchte weiter zum Ausdruck bringen, daß der Lehrling, wenn das Gesetz in Niedersachsen am. Leben bleibt und der Lehrling zwei Tage in der Woche die Berufsschule besuchen muß, im Durchschnitt nur 4 1/2 Stunden täglich zu arbeiten braucht. Glauben Sie denn im Ernst, meine Herren, daß das Handwerk unter solchen Umständen noch bereit ist, Lehrlinge auszubilden?
Ihre führenden Männer selbst sind es gerade gewesen, die im Lande Niedersachsen Angst bekommen haben, weil dieses Gesetz im niedersächsischen Landtag über die Bühne ging. Denn sie waren es,
die in Hameln waren, um mit den Führern des Handwerks zu sprechen. Dort wurde zwischen Ihren führenden Männern und den Wirtschaftsorganisationen jenes Abkommen getroffen, das die besonders ungünstigen Auswirkungen mildern sollte.
Das ist eine Tatsache, die feststeht. Daher sollten Sie sich sehr in acht nehmen, gegen einen Berufsstand Angriffe zu starten, die so unhaltbar sind wie diejenigen, die Ihr Redner soeben gestartet hat.
Meine Damen und Herren! Es ist etwas Außergewöhnliches geschehen. Herr Abgeordneter Bahlburg hat auf das Wort verzichtet und seine Redezeit von drei Minuten dem Herrn Abgeordneten Mensing zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise hat Herr Kollege Kuntscher noch vier Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht auf die Ausführungen meiner Herren Vorredner eingehen, sondern mich mit der Vorlage auf Drucksache Nr. 1783 beschäftigen. Ich möchte hierzu nur folgendes sagen. Als dieses Jugendschutzgesetz am 21. Oktober 1948 im Landtag von Niedersachsen beschlossen wurde — das dann am 9. Dezember 1948 verkündet wurde —, lag hierzu kein Regierungsentwurf vor. Vielmehr hat ein Antrag der KPD zu diesem Gesetz geführt. Der Antrag der KPD ist in einer Zeit behandelt worden, als in Niedersachsen die Wogen des Wahlkampfes für die Kreis- und Gemeindewahlen sehr hoch gingen. So kam dieses Gesetz zustande. Von diesem Gesetz hat Herr Minister Kubel, bevor es noch verkündet war und als er in seinem Ministerium bereits an einer Novelle arbeitete, in der Landtagssitzung vom 7. April 1949 folgendes erklärt:
Ich habe starke Hemmungen gehabt, das vom Landtag beschlossene ursprüngliche Gesetz durchzuführen, und ich habe allen Anfeindungen zum Trotz es in der Tat auch nicht durchgeführt, im Wissen, daß ein Tag kommt wie der heutige, nämlich der Tag, wo eine Novellierung dieses Gesetzes eintreten mußte.
Es wäre jetzt vielleicht sehr verlockend, auf Einzelheiten dieses Gesetzes einzugehen. Das will ich mir ersparen. Einzelnes wurde bereits angeschnitten. Ich möchte nur sagen, daß in die Novelle der § 34 eingebaut wurde. Der § 34 sollte den Gewerbeaufsichtsbehörden die Möglichkeit geben, durch Bewilligungen im Einzelfall die Fassung des Gesetzes abzuschwächen. Sie könnten das in den Drucksachen des niedersächsischen Landtags nachlesen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Ihnen hier Teile vorlesen. Man war dort der Auffassung, mit der Schaffung dieses Gesetzes doch der Jugend nicht genützt, sondern ihr nur geschadet zu haben. Als die Novelle geschaffen wurde, war man der festen Überzeugung, daß sie nur einige Monate in Kraft sein werde, weil die feste Zusicherung gegeben war, daß ein von der Verwaltung für Arbeit vorzulegendes einheitliches Jugendschutzgesetz für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet in allernächster Zeit vom Wirtschaftsrat verabschiedet werde.
Wir werden für die Vorlage Drucksache Nr. 1783 stimmen, weil sie diese Übergangsbestimmungen, die bereits in der Novelle zum niedersächsischen Abänderungsgesetz zum Jugendschutzgesetz enthalten waren, nur bis zu der Zeit verlängert, zu der wir ein bundeseinheitliches Jugendschutzgesetz haben.
Es ist sehr bedauerlich, daß sich der Bundestag jetzt mit dieser niedersächsischen Angelegenheit befassen muß. Aber die Dinge liegen eben so, daß inzwischen das Grundgesetz gekommen ist und daß nach Art. 125 des Grundgesetzes diese Angelegenheit nicht mehr auf der Landesebene von Niedersachsen erledigt werden kann, sondern daß wir hier dieses Übergangsgesetz als solches schaffen müssen. Wir als CDU haben auch ein großes Interesse daran, so bald wie möglich eine Vorlage für ein Jugendschutzgesetz zu bekommen, das für den ganzen Bundesbereich Geltung hat. Deshalb haben wir unseren Antrag gestellt.
Das wäre das Wesentliche, was vielleicht zu der Geschichte dieses Gesetzes zu sagen ist. Es kann sich hier in der Aussprache auch nicht um dieses oder jenes Jugendschutzgesetz handeln, sondern lediglich darum, eine bereits bestehende Norm in Niedersachsen, deren Gültigkeit heute auf Bundesebene verlängert werden muß, durch dieses Gesetz Drucksache Nr. 1783 zu verlängern.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wundere mich eigentlich, daß diese kurze Gesetzesvorlage eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Zweckmäßigkeit eines Jugendschutzgesetzes hier ausgelöst hat. Im Grunde genommen müssen wir sehr dankbar sein dafür, daß uns in einem Lande einmal eine derartige Gesetzgebung vordemonstriert worden ist.
In Niedersachsen hat man am 9. Dezember 1948 das Jugendschutzgesetz erlassen. Es ist, wenn ich mich nicht ganz gewaltig irre, sogar einstimmig in diesem Landtage über die Bühne gegangen.
— Na ja, es waren aber mindestens nur sehr wenige, die dagegen gestimmt haben.
— Wie stark ist die?
- Also, wenn die Herren von der Deutschen Partei sagen, sie hätten dagegen gestimmt, dann bin ich über die damaligen Vorgänge falsch informiert. Mir haben Leute aller Richtungen gesagt: Jawohl, wir haben ja damals gar nicht damit gerechnet, daß die Militärregierung das Gesetz genehmigen würde, und haben deshalb dafür gestimmt.
— Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, wenn Sie so freudig lachen, dann muß ich Ihnen sagen, daß es Ihren Parteifreunden in Niedersachsen auch so gegangen ist.
Selbst der Herr niedersächsische Arbeitsminister hat mir in aller Offenheit gesagt, daß er sich mit allem Nachdruck gegen das Gesetz ausgesprochen hat, weil er vorher wußte, daß eine weitgehende Beschäftigung Jugendlicher nach den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht möglich ist. Dann aber hat ein derartiges soziales Gesetz keinen sozialen Charakter mehr. Sie sehen ja auch, daß derselbe Landtag, der dieses Gesetz erlassen hat, schon ein halbes Jahr darauf eine Novelle — und das auch, soviel ich weiß, fast einstimmig — über die Bühne hat gehen lassen, durch die die wesentlichsten Punkte des Gesetzes außer Kraft gesetzt wurden. Man hat sich auf den Standpunkt gestellt: Nun ja, der Bund soll ein neues Gesetz machen, und vielleicht hat der eine oder andere dabei auch daran gedacht, daß man dann sagen könnte: Seht euch diese reaktionären Burschen in Bonn an, die haben ein viel schlechteres Gesetz gemacht, als wir es gewollt haben.
Auf Grund des Grundgesetzes ist dann der Niedersächsische Landtag nicht mehr in der Lage gewesen, die Frist im § 34 des Gesetzes zu verlängern, der es den Gewerbeaufsichtsämtern ermöglichte, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Es kam dann die Anfrage an uns, ob wir nicht vom Bund aus ein entsprechendes Gesetz erlassen würden.
Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten und dem Herrn Arbeitsminister von Niedersachsen gesagt: Den Gefallen tue ich Ihnen nicht! Sie haben die Möglichkeit, über den Bundesrat einen derartigen Antrag an das Parlament zu bringen! Diesen Antrag haben Sie heute vor sich liegen. Sie haben meines Erachtens heute darüber zu entscheiden, ob Sie dem Wunsche der niedersächsischen Landesregierung entsprechen und ihr durch die Verlängerung der Fristen die Möglichkeit geben wollen, in ihrem Lande in einem größeren Umfange jugendliche Menschen in Arbeit zu bringen. Nur um diese Frage handelt es sich.
Der Zustand, den wir heute in Niedersachsen bezüglich dieses Gesetzes haben, ist so katastrophal, daß man eigentlich den Kopf schütteln muß. Seit dem 1. September 1949 ist das Gesetz voll in Kraft, aber es wird nirgends durchgeführt. Die Landesregierung hat darüber hinaus sogar einen Beschluß gefaßt, wonach Anzeigen wegen Übertretung des Gesetzes nach diesem Paragraphen als Bagatellfälle niedergeschlagen werden sollen. Ich glaube, ein derartiger Zustand ist einfach eine Unmöglichkeit, wenn die Gesetzgebung des Bundes und der Länder draußen überhaupt noch respektiert werden soll.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den hier vorliegenden Gesetzentwurf dem zuständigen Ausschuß überweisen würden, damit man sich darüber aussprechen kann, ob die vom Bundesrat vorgelegte Formulierung, die nach Auffassung der Juristen meines Ministeriums nicht richtig ist, nicht durch den Vorschlag abgelöst werden sollte, der von meinem Ministerium ausgearbeitet worden ist und Ihnen in der Drucksache vorliegt.
Zu einer kurzen Bemerkung hat Herr Abgeordneter Keuning noch einmal ums Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden dem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit zustimmen. Ich möchte nur noch eines sagen: Es ist mir unverständlich, daß Herr Kollege Mensing aus meiner Ausführungen einen massierten Angriff gegen das Handwerk entnimmt. Die hier genannten Zahlen, Herr Kollege Mensing, habe ich einer Denkschrift entnommen, die vom Kreisjugendausschuß Backnang dem Arbeitsministerium zugeleitet wurde. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin Handwerker wie Sie auch, allerdings aus einem anderen Zweig, der nicht so nahrhaft ist wie der Ihre,
und es liegt mir völlig fern, dem Handwerk etwa eins auswischen zu wollen. Ich bitte Sie auch, das Protokoll nachzulesen. Ich habe erklärt, daß diese Außenseiter, die in so brutaler Weise junge Menschen ausnutzen, das Ansehen ihres Berufsstandes schänden, und ich glaube, daß ich darin mit Ihnen einig bin.
Meine Damen und Herren! weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der ersten Beratung.
Es ist die Überweisung des Antrags Drucksache Nr. 1783 an den zuständigen Ausschuß beantragt. Zuständig werden sein der Ausschuß für Jugendfürsorge — federführend — und der Ausschuß für Arbeit. Sind Sie damit einverstanden?
— Der Ausschuß für Jugendfürsorge — federführend — und weiterhin der Ausschuß für Arbeit!
- Meine Damen und Herren, es schafft zwar mehr, wenn mehrere hier gleichzeitig reden, aber es hindert die Verständigung. Also ich darf feststellen: es liegt einmal der Antrag vor, die Drucksache dem Ausschuß für Jugendfürsorge zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Offenbar ist dieser Ausschuß dann der federführende.
Es ist weiterhin der Antrag gestellt, die Drucksache dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Darf ich die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, bitten, die Hand zu erheben? — Auch das ist offenbar eine Mehrheit. Die Überweisungen sind erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß die vorgelegte Entschließung der Abgeordneten Mensing, Strauß und Genossen gleichzeitig dem Ausschuß überwiesen wird.
— Federführend — das habe ich mir soeben gestattet festzustellen, Sie waren anscheinend gerade so beschäftigt —
ist nicht der Ausschuß für Arbeit, sondern der Ausschuß für Jugendfürsorge.
Meine Damen und Herren, wir kehren jetzt zur
dritten Beratung
des Punktes 1 der Tagesordnung zurück:
Entwurf eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nr. 1764 der Drucksachen);
Änderungsanträge: Umdruck Nrn. 38, 51, 55.
Ich eröffne die Beratung der dritten Lesung. Es hatte sich zum Wort gemeldet der Abgeordnete Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von der Bundesregierung vorgelegte Sicherungs- und Überleitungsgesetz steht nach unserer Auffassung im Zeichen eines doppelten inneren Widerspruches.
Der Widerspruch ergibt sich einmal aus dem Vergleich des Gesetzestextes mit der Begründung der Regierungsvorlage, zum andern aber daraus, daß nach unserer Auffassung das Sicherungs- und Überleitungsgesetz eine Abkehr von der freien Marktwirtschaft und eine Abkehr von der Proklamation der sogenannten marktkonformen Mittel bedeutet.
Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, die Paragraphen der Drucksache Nr. 1764 aufmerksam studiert hat, wird mir bestätigen müssen, daß es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um ein Ermächtigungsgesetz handelt, um ein Gesetz also, das den Bundeswirtschaftsminister ermächtigt, in der vereinfachten Form der Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über die Verwendung und Vorratshaltung von Rohstoffen, über die Verwendung und Vorratshaltung von halbfertigen Waren und Vorerzeugnissen, darüber hinaus über die Verarbeitung, über die Lagerung, über die Lieferung und über den Bezug einer ganzen Reihe von wichtigen Rohstoffen. Das, meine Damen und Herren, sind Maßnahmen, die nach unserer Vorstellung eine echte, wenn auch noch ziemlich lückenhafte Bewirtschaftung bedeuten. Bestärkt werden wir in unserer Auffassung durch den § 5 des Gesetzes, der im Falle einer Zuwiderhandlung schwere Gefängnis- und Geldstrafen androht.
Wenn man anschließend an das Studium des Gesetzestextes sich die Begründung der Regierungsvorlage durchliest, muß man mit einigem Erstaunen feststellen, daß hier gesagt wird, daß das neue Bewirtschaftungsgesetz dazu dienen solle, die Bewirtschaftung aufzuheben. Ich zitiere — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — wörtlich aus der Begründung:
Im Bereich der gewerblichen Wirtschaft werden in Kürze alle Bewirtschaftungsvorschriften mit Ausnahme der unbedeutenden Reste auf dem Gebiete der Kohle sowie der Regelungen für Mineralöl und Edelmetalle beseitigt sein.
Sie werden mir zugeben müssen, daß hierin ein merkwürdiger Widerspruch liegt, ein Widerspruch, der nach unserer Meinung nur damit erklärt werden kann, daß Herr Minister Erhard mit dieser etwas unglücklichen Begründung versucht, über seinen eigenen Schatten zu springen, über den Schatten einer Wirtschaftsform, die er zunächst eine freie, später eine sozial verpflichtete Marktwirtschaft nannte, die aber in Wirklichkeit eine anorganische Marktwirtschaft mit der Zielsetzung einer weitgehenden Restaurierung früherer Besitz- und Eigentumsverhältnisse war.
Aber weder die vorsichtige Formulierung der Überschrift: „Überleitungsgesetz" noch die Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 24 der Alliierten Hohen Kommission werden uns darüber hinwegtäuschen, daß mit dieser Vorlage ein innerer Bruch in der Konzeption des Herrn Bundeswirtschaftsministers eingetreten ist.
Wir können uns denken, daß Herrn Professor Erhard die Einbringung einer solchen Vorlage nicht ganz leicht gefallen ist; aber wir sind der festen Überzeugung, daß viele Versorgungsschwierigkeiten hätten vermieden werden können, wenn
man sich im Bundeswirtschaftsministerium
rechtzeitg zu der Erkenntnis durchgerungen hätte, daß es bei der herrschenden Mangellage ohne Steuerung und ohne Lenkung nicht möglich ist, eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu treiben.
Heute haben wir die Zeche dieser Versäumnis zu bezahlen. Sie schlägt sich in der lapidaren Feststellung nieder, daß im vergangenen Jahr die Fertigwarenindustrie der Grund- und Rohstoffversorgung einfach davongelaufen ist. Hierfür einige Zahlen. Im Laufe des Jahres 1950 stieg der Gesamtindex der gewerblichen Wirtschaft um 45 %, die Stahlproduktion um 35 %, der Stromverbrauch um 18 %, die Kohleförderung aber nur um etwa 9 bis 10 %.
Wir begrüßen jede Ausdehnung des Wirtschaftsvolumens; wir sind aber der Meinung, daß ein Wirtschaftsvolumen sich organisch entwickeln muß, d. h. daß es kohlemäßig, energiemäßig und rohstoffmäßig gedeckt sein muß. Wir sind der Meinung, daß eine Ausdehnung des Wirtschaftsvolumens auch eine vorsichtige und disziplinierte Handhabung des Exports an Rohstoffen und Vorprodukten notwendig macht, selbst wenn die Weltmarktpreise für solche Waren noch so verlockend sind. Das abgelaufene Jahr hat uns deutlich bewiesen, daß derartige Voraussetzungen in der sogenannten freien Wirtschaft nicht vorhanden waren, daß man sich lieber nach der besseren Gewinnchance und weniger nach den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten orientierte.
Kommen wir zu realen Tatsachen! Unser größter Engpaß ist nach wie vor die Kohle. Wir spüren diesen Engpaß täglich mit zunehmender Schärfe. Gerade die Kohle hätte einer besonders aufmerksamen Kontrolle und einer besonders vorsichtigen Lenkung bedurft; denn wenn wir uns die gesamte Kohlensituation des vergangenen Jahres vor Augen führen, kommen wir zu der Feststellung, daß nach Berücksichtigung des Zechenselbstverbrauchs und der uns auferlegten — nicht etwa der freiwilligen — Exporte der westdeutschen Wirtschaft etwa 6 bis 7 Millionen t Steinkohle mehr zur Verfügung gestanden haben als im vergangenen Jahr.
Im gleichen Zeitraum hat sich die Stahlproduktion um mehr als 3 Millionen t erhöht. Nehmen wir wieder die alte Faustregel: 1 t Stahl gleich 3 t Kohle, dann ergibt sich allein für die Stahlindustrie ein Mehrbedarf von 9 Millionen t Kohle, d. h. daß der Mehrverbrauch allein in der Stahlindustrie größer war als die gesamte zusätzliche Kohlenmenge, die uns zur Verfügung stand. Sie sehen, daß die erhöhte Förderung nicht einmal ausgereicht hat, um die erhöhte Stahlproduktion brennstoffmäßig zu decken, daß wir also genötigt waren, auf anderen Gebieten, auf dem Rücken des Hausbrandes, Anleihen aufzunehmen.
Deshalb ging die Kohlenversorgung unserer Wirtschaft auch nur solange glatt vonstatten, solange der Bedarf des Hausbrandes nicht in Erscheinung trat. Vorn Oktober an haben wir nun die Verschärfung in unserer Versorgungslage, und ich verrate Ihnen, meine Damen und Herren, gewiß kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß bei der Hausbrandversorgung wieder derjenige am ärgsten betroffen und der Krise am schonungslosesten ausgesetzt ist, der nicht in der Lage ist, die hohen Schwarzmarktpreise zu bezahlen.
Nach den mir vorliegenden Zahlen meines Wahlkreises sind die Hausbrandkontingente sehr drastisch herabgesetzt worden. Zunächst wurden 70%. der Vorjahrsmenge verplant; dann erfolgte eine erneute Herabsetzung, und die abermals reduzierten Zuteilungen sind nun im Oktober zu 85, im November zu 70 und im Dezember zu 74% ausgeliefert worden. Es stand also praktisch dem Hausbrand nur die halbe Kohlenmenge zur Verfügung. Aber selbst diese beschränkten Mengen kommen nicht regulär zu dem Verbraucher. Erhebliche Mengen zweigen sich nach dem Schwarzen Markt ab. Die Kohlendiebstähle nehmen in verheerender Weise zu. Wir müssen Sie schon bitten, Herr Bundeswirtschaftsminister, der Öffentlichkeit klipp und klar zu sagen, wie Sie mit marktkonformen Mitteln dieser Kohlenkrise Herr werden wollen. Etwa in der Weise, daß Sie über den Bedarf des Hausbrandes mit Stillschweigen zur Tagesordnung übergehen? Sie werden uns auch sagen müssen, wie groß die eingeplanten Mengen sind, die im Durchschnitt eine Haushaltung verbrauchen darf, damit wenigstens vom Verbraucher her eine Kontrolle der Kohlenbelieferung erfolgen kann.
Nächst der Kohle ist der Stahl unser wichtigster Rohstoff. Die Stahlmehrproduktion belief sich auf etwas mehr als 3 Millionen t. Mehr als die Hälfte dieser Mehrproduktion ging ins Ausland — wahrscheinlich infolge der Anziehungskraft der Weltmarktpreise! Niemand wird begreifen können, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum in einer Zeit der inneren Ausweitung des Wirtschaftsvolumens die Exporte an Roheisen und an Eisenhalbzeug auf mehr als das Fünffache gesteigert wurden und warum die Exporte von Stahlvorprodukten mehr als verdreifacht worden sind.
Heute haben wir erhebliche Versorgungsschwierigkeiten auf den verschiedensten Gebieten der Stahlverarbeitung zu beklagen. Die steigenden Auftragseingänge haben zu Lieferzeiten geführt, die sich bis zu zwei Jahren ausdehnen. Wenn ein Betrieb mit Lieferaufträgen in allen Sparten übersetzt ist, dann sucht er sich — nach dem Prinzip der freien Wirtschaft — gewöhnlich die rentabelsten Aufträge heraus und vernachlässigt das übrige Fabrikationsprogramm. Heute schon ist eine Reihe von Betrieben, die auf die Verarbeitung minderer Qualitäten angewiesen sind, in größte Materialschwierigkeiten geraten, die zu erheblichen Betriebseinschränkungen und zu vermehrter Arbeitslosigkeit führen werden. Ich möchte jetzt schon darauf aufmerksam machen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Stahlsituation sich weiter verschärfen wird, wenn eines Tages der bisher so stiefmütterlich behandelte Investitionsbedarf der Bundesbahn und des Bergbaues eine angemessene .Berücksichtigung finden sollte.
Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz scheint uns der beste Beweis dafür zu sein, daß sich die Bundesregierung davon überzeugen müßte, daß wir in eine gefährliche Grundstoffklemme hineingerutscht sind, in der mit marktkonformen Mitteln nicht mehr viel anzufangen ist. Wir begrüßen den Entschluß der Bundesregierung, nun endlich Sicherheitsmaßnahmen auf den einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft zu treffen. Wir stellen auch gern fest, daß sich das Tempo und der Wirkungsbereich der Bewirtschaftungsmaßnahmen mit zunehmender Intensität vergrößern. Wenn man die Drucksachen Nrn. 1510 und 1754 miteinander vergleicht, so zeigt sich, daß in der Drucksache Nr. 1510 eigentlich nur von Edelmetallen und Brennstoffen die Rede war, wenn man die Kontrolle der Lagerbuchführung bei
einigen anderen Waren außer acht läßt, daß aber die Drucksache Nr. 1754 schon wesentlich schärfere Maßnahmen für einen ganzen Katalog von Waren vorschreibt, ganz abgesehen von der heute beantragten Anbietungspflicht für Schrott. Trotzdem, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß auch die letzte Fassung dieses Gesetzentwurfes ungenügend ist, weil sie teilweise halbe Maßnahmen enthält, die sich schon in absehbarer Zeit als wirkungslos erweisen werden. Wenn z. B. im § 1 Abs. 1 nur von der Bewirtschaftung von Rohstoffen, von Halbwaren, von Vorerzeugnissen die Rede ist, so fragen wir: wie gedenkt die Regierung sich zu verhalten, wenn eines Tages Engpässe in Fertigwaren auftreten? Ich glaube, wir haben doch einige Erfahrungen darüber, daß gerade Fertigwaren gehortet werden.
Weiterhin haben wir zu beanstanden, daß in dem Gesetzentwurf die Lenkungsvorschriften im allgemeinen nur auf die Verwendung und auf die Vorratshaltung, nicht aber auf die Lieferung Anwendung finden sollen. Können nicht auch Lieferanweisungen notwendig werden, damit unsere exportintensiven Industrien ihre Exportkontrakte ohne Schwierigkeiten zu erfüllen vermögen?
Schließlich sind wir der Meinung, daß eine Steuerung und Lenkung vernünftigerweise auch eine Preisüberwachung notwendig machen könnte. Ohne eine Preisüberwachung ist der Preiswucher auf dem Schwarzen Markt nicht zu bekämpfen.
— Herr Kollege Naegel, ich will Ihnen dafür gern ein Beispiel anführen, ein zeitgemäßes Beispiel vom Kupfermarkt. Wir haben in den Westzonen monatlich einen Bedarf von 25 000 t Kupfer. Das sind 300 000 t Kupfer im Jahr. Dieses Kupfer läuft zu 60% über den Schwarzmarkt. Nur 40% werden zur Zeit regulär gehandelt.
Der offizielle Preis für Kupfer, ein Durchschnittspreis, liegt bei 3 DM je kg, der Schwarzmarktpreis, der gezahlt werden muß, bewegt sich zwischen 5 und 8 DM. Multiplizieren Sie bitte diese Preisdifferenz nur mit 100 Mill. kg, dann erhalten Sie einen Konjunkturgewinn in der Größenordnung einer neunstelligen Ziffer, einer Millionenziffer, der diesen unlauteren Elementen zufließt. Deshalb sind wir der Meinung, daß eine Preisüberwachung notwendig ist.
Meine Damen und Herren, schuld an den geschilderten trüben Verhältnissen sind nicht allein die Schwarzhändler; schuld daran sind auch die Firmen, die, ohne Gegenmaßnahmen zu treffen, derartige Preise zahlen. Darum müssen wir der Bundesregierung sagen, daß die Wirksamkeit ihres Bewirtschaftungsgesetzes davon abhängt, mit welchem Grad von sozialer Verpflichtung Industrie und Handel in ihrer Gesamtheit eine solches Gesetz respektieren werden. Frühere Bewirtschaftungsmaßnahmen sind unserer Auffassung nach nicht etwa daran gescheitert, daß der Verbraucher keine Disziplin übte, sondern sie mußten scheitern, weil von den interessierten Kreisen eine unverantwortliche Hortungspolitik getrieben wurde und dadurch das Warenangebot auf ein Minimum zusammenschrumpfen mußte. Sollen ähnliche Wirkungen in der Zukunft vermieden werden, dann wird man die Hortung nicht mehr als eine nationale Tat bezeichnen dürfen,
sondern dann wird man die Hortung zu dem stempeln müssen, was sie in Wirklichkeit ist: ein Verbrechen am Verbraucher.
Wir glauben, daß Herr Professor Erhard dem von ihm eingebrachten Gesetz keinen guten Dienst erweisen würde, wenn er neuerdings im Lande herumreisen und die Bewirtschaftung lächerlich machen sollte. Damit untergräbt man die Autorität derjenigen Dienststellen, die mit der Durchführung der Gesetze und Verordnungen beauftragt sind.
Herr Professor Erhard wird vielmehr vor der Öffentlichkeit erklären müssen, daß die marktkonformen Mittel der sogenannten sozial verpflichteten Marktwirtschaft — das merken wir besonders bei der Kohle — nicht ausgereicht haben, um eine allgemeine Rohstoffklemme zu verhüten, und daß er eine etwas peinliche Veränderung seiner Wirtschaftskonzeption vornehmen mußte.
Meine Freunde und ich werden diesem Gesetz zustimmen. Wir sind aber der Meinung, daß die bisher getroffenen Maßnahmen zur Überwindung der Versorgungskrise nicht ausreichen werden. Meine Fraktion hat sich deshalb erlaubt, dem Hohen Hause die in dem Umdruck Nr. 38 formulierte Entschließung vorzulegen, die von meinem Parteifreund Kurlbaum in der zweiten Lesung schon kurz begründet wurde. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, angesichts der angespannten Versorgungslage unserer Entschließung Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner ist von der Sorge um mein Gewissen geplagt, wenn ich jetzt von der Marktwirtschaft abkehren muß, und er glaubt, das sei ein innerer Bruch der Konzeption. Nein, die Erklärung ist sehr einfach. Wir sind nicht allein auf der Welt, sondern wir sind mit ihr aufs engste verbunden. Wir müssen uns selbstverständlich, da sich weltpolitische Ereignisse abspielen, die wirtschaftliche Konsequenzen auch in anderen Ländern haben, deren Regelungen anschließen, und wir tun das, ohne damit unserer Konzeption untreu zu werden, ohne einen inneren Bruch unserer Wirtschaftspolitik zu vollziehen,
sondern das ist einfach realistische Politik,
und Sie sollten sich freuen, daß wir so viel gesunden Menschenverstand aufbringen, uns dem anzuschließen.
Man hört heute so oft, all die Schwierigkeiten, die Spannungen, die selbstverständlich auch in der deutschen Wirtschaft aufgetreten sind, stellten eine Folge der Marktwirtschaft aus der ihr immanenten Entwicklung heraus dar. Demgegenüber ist mit aller Deutlichkeit festzustellen, daß die gleichen Erscheinungen auch in allen anderen Ländern aufgetreten sind, auch in den planwirtschaftlich geleiteten Ländern.
Ich darf Ihnen einen AP-Bericht vom 19. Januar 1951 vorlesen. Ich möchte ausdrücklich sagen: ich polemisiere hier nicht etwa gegen England, aber nachdem doch unbestreitbar ist, daß dort eine Planwirtschaft herrscht, die offenbar alles voraussieht,
ist es immerhin ganz lehrreich.
Großbritanniens Wiederaufrüstung ist seit Wochen durch eine ständig zunehmende Verknappung der Rohstoffe auf das schwerste gefährdet.
Der britische Bedarf an Kohle und Stahl kann zur Zeit nur mit Mühe gedeckt werden. Verschiedene Industriezweige mußten sich schon zu Entlassungen und Produktionskürzungen entschließen.
Die Liste der schwindenden Rohstoffvorräte ist nicht nur auf Kohle und Stahl beschränkt. Auch die Bestände an Roheisen und Schrott, Baumwolle, Wolle, Kupfer, Zinn, Zink, Schwefel, Industriealkohol, Papier und zahlreichen anderen Materialien sind stark zurückgegangen. Um der ständig steigenden Kohlennot abzuhelfen, ist der Nahverkehrsplan der staatlichen Eisenbahnen erheblich eingeschränkt worden. Die Regierung hat zur Einsparung von Gas und Elektrizität aufgerufen, und Ministerpräsident Attlee verhandelt mit den Kohlengewerkschaften, um die Sonderförderung von 3 Millionen Tonnen innerhalb von 4 Monaten zu erreichen.
Diese Spannungen im Weltmarkt scheinen also nicht eine spezifisch deutsche Angelegenheit zu sein.
Wenn ich aber höre, man müßte in einer solchen Lage rechtzeitig Vorsorge treffen, dann möchte ich Sie alle einladen, an dieser Vorsorge mitzuarbeiten.
Ich möchte nur einmal so einige Probleme andeuten, mit denen wir uns auseinandersetzen, die wir exakt formulieren und festlegen müßten, um dieses Programm von Ihnen zu erfüllen.
Sie wissen, welche Bedeutung im Augenblick die mandatorischen Aufträge haben, die stark zunehmen, wenn auch zunächst noch dezentralisiert erteilt werden. Wir wissen nicht, in bezug auf welches Material, in welchen Mengen und in welchen Zeiträumen diese Lieferungen anfallen werden. Wir wissen nicht, ob und in welchem Umfange uns dafür eine Devisensicherung gegeben wird, unter Umständen besondere Rohstoff-Unterbauungen vorgenommen werden. Wir kennen noch nicht unsere eigenen Leistungen, den deutschen Beitrag zur europäischen Verteidigung. Wir wissen nicht, welche Rohstoffmengen — sei es nun im Pfundraum oder im Dollarraum — zur Verteilung -gelangen und nach welchen Grundsätzen das der Fall sein wird. Wir können nicht voraussehen, wie sich die Rohstoffpreise entwickeln werden, in welchem Umfange wir also auch im Rahmen unserer Devisenverfügungen werden einkaufen können. Wir wissen nicht, inwieweit wir auch an Auslandslieferungen, die indirekt auch zur fremden Verteidigung beitragen, teilzunehmen haben. Wir können noch nicht die Höhe der Investitionsmittel beurteilen, die uns in diesem Jahre zur Verfügung stehen, welche Möglichkeiten der Kreditschöpfung sich im Rahmen der Konjunkturentwicklung ergeben werden. Wir wissen noch nicht, welchen Erfolg unser Bemühen um Aufhebung der Beschränkungen der Industrieproduktion oder gar der Verbote hat, und schließlich sind wir auch über unsere Exportverpflichtungen in bezug auf die Kohle noch ohne letzte Entscheidung.
Sie werden nicht leugnen können, daß jede Planwirtschaft, jede behördliche Planwirtschaft aus innerer Entwicklung heraus die Tendenz verfolgen muß, zu Richtlinien zu gelangen, zu Festlegungen, wie sie eben von einer Behörde, von ihrer Bürokratie notwendig gefordert werden. Was uns nottut, ist eine bewegliche und rasche Anpassung an die Gegebenheiten, wie sie sich aus der noch unklaren politischen und damit auch wirtschaftlichen Entwicklung heraus abzeichnen. Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen. Wenn Herr Wönner hier ist, wird er die Richtigkeit bestätigen. Ich war am 29. Dezember in München. Am gleichen Tage wurde ich ins dortige Wirtschaftsministerium gerufen, und es wurde mir mitgeteilt: ab heute früh kommt keine Tonne Kohle mehr aus dem tschechischen Raum, und die ganze oberfränkische Porzellanindustrie und Glasindustrie drohen zum Erliegen zu kommen, wenn nicht das Wunder geschieht, daß diese Lieferungen von 110- bis 120 000 Tonnen im Monat ersetzt werden, und zwar so, daß am 2. Januar die rheinische Braunkohle in Oberfranken steht. — Mit zwei Telefongesprächen habe ich erreicht, daß die Kohle am 2. Januar in Oberfranken gestanden hat und auch weiterhin geliefert wird.
Hätten wir schon eine Bürokratie mit ihrem Verteilungsapparat gehabt, dann hätte diese Maßnahme ganz bestimmt nicht geklappt.
Im übrigen hat mein Herr Vorredner von Mangelerscheinungen gesprochen und von ähnlichen Erscheinungen, von Klemmen und dergleichen mehr. Ich spreche hier für die gewerbliche Wirtschaft in meiner Zuständigkeit, und für die gilt ja auch das Gesetz. Mit Ausnahme von gewissen Nichteisenmetallen ist in Deutschland ein Mangel an Rohstoffen noch nicht in Erscheinung getreten.
Wenn Sie heute den Run auf die Läden anschauen und wenn Sie wissen, daß wir Ende dieses Monats sogar noch Saisonausverkäufe veranstalten, dann können Sie sich denken, daß es mit der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft nicht schlecht bestellt sein kann. Ich sage Ihnen: die deutsche Wirtschaft wird auch weiterhin in ausreichendem Umfange mit Rohstoffen versorgt werden. Das sage ich nicht Ihnen, das sage ich von dieser Stelle aus dem ganzen deutschen Volk, das endlich aus dieser Neurasthenie einmal erlöst werden muß.
— Fertigwaren gibt es, soviel Sie wollen.
Mir ist bisher kein Fall bekanntgeworden — und Ihnen sicher auch nicht —, daß etwa ein Käufer von industriellen Fertigwaren seinen Bedarf nicht hat decken können.
Dann ist gesagt worden, auch die Exporte müßten gesteuert werden. Meine Damen und Herren, wir haben die Exporte gesteuert, nur vielleicht nicht so, wie Sie das für richtig halten. Aber immerhin haben wir .so gesteuert, daß die deutsche Ausfuhr vom Januar von 350 Millionen DM auf eine Milliarde und zehn Millionen DM im Dezember angewachsen ist. Das scheint mir die beste Steuerung zu sein, die es überhaupt gibt.
Dann ist von Stahl gesprochen worden. Hier habe ich etwas zu berichtigen, weil es objektiv nicht stimmt. Ich habe hier bereits im vorigen Herbst — August und September — eingegriffen, um den übermäßigen Export an Rohstahl und Walzwerkerzeugnissen zu verhindern, und zwar mit Erfolg. Während wir bis dahin monatlich 220 000 Tonnen exportiert haben, haben wir zunächst auf 170 000 Tonnen gekürzt, und die Menge ist heute auf 120 000 Tonnen zurückgesetzt worden.
Also diese Zahlen, die hier genannt worden sind, stimmen nicht.
Was die Kohle anbelangt, so könnten wir darüber auch noch einmal sprechen. Aber ich muß hier mit aller Deutlichkeit sagen: Seit einem Jahr bemühe ich mich jetzt mit allen Mitteln, bei der Deutschen Kohlenbergbauleitung, die bekanntlich eine alliierte Dienststelle ist, eine Erhöhung der Kohlenförderung zu erreichen, sei es nun, daß der Lohn in höherem Maße an die Leistung gebunden wird, sei es mit anderen Maßnahmen. Ich habe lange darum gekämpft — bis jetzt vergebens —, daß die DKBL deutscher Zuständigkeit unterstellt wird. Ich hoffe, daß das jetzt endlich gelingt. Ich habe lange darum gekämpft, daß die Exportkohle nicht einseitig "von der Ruhrbehörde verteilt wird, sondern daß dieser kostbare Grundstoff uns auch als Handelsobjekt bei der Aushandlung unserer Handelsverträge zur Verfügung steht.
Das habe ich mit Wirkung vom 1. September erreicht, und ich erkläre Ihnen hier: von diesem Augenblick an ist nicht mehr ein Gramm Kohle abgeflossen, außer wenn wir dazu gezwungen worden sind.
Wie sieht es übrigens heute aus? Ende Januar soll die entscheidende Sitzung der Ruhrbehörde stattfinden; aber bis zu diesem Augenblick müssen wir sogar nach dem Moskauer Verteilungsschlüssel im Quartal 6,83 Millionen Tonnen Kohle exportieren.
England mit einer wesentlich größeren Förderung, mit einem größeren normalen Export, hat seinen Export jetzt auf 30 °/o der normalen Leistung eingeschränkt und tritt heute noch als Käufer von 3 Millionen Tonnen Kohle auf dem amerikanischen Markt auf.
Es ist also auch hier ganz offenkundig, daß es sich bei der Kohlenkrise nicht um eine deutsche, sondern um eine europäische Angelegenheit handelt. Das ist bekannt genug; und wenn die Kohlenkrise in Deutschland vielleicht noch schärfer in Erscheinung tritt als anderwärts, dann deshalb, weil wir in bezug auf die Kohlenexporte einem auf die Dauer unerträglichen Druck ausgesetzt sind.
Dann wünscht mein Herr Vorredner, die Bewirtschaftungsmaßnahmen möchten noch stärker ausgebaut werden, und es ist in diesem Zusammenhang auch auf Fertigwaren hingewiesen worden. Es ist nicht zu leugnen, daß in den letzten Wochen mancherseits auch Fertigwaren gehortet worden sind. Dagegen gibt es nur ein Mittel: den Bedarf unter allen Umständen zu befriedigen, und es gibt ganz bestimmt ein falsches Mittel: diese Waren zu bewirtschaften.
Ich kenne den Grund aus meiner Verbindung zu Groß- und Einzelhandel genau, denn die Kunden sind ja so frei und sagen es in den Läden. Warum horten sie denn? Weil sie Angst haben, daß die Prinzipien zur Anwendung kommen könnten, die Sie uns hier empfehlen möchten.
Trotzdem bin ich der Meinung, daß wir den Preisen sorgfältige Beachtung schenken müssen, und ich bin bereits in Verhandlungen sowohl mit der Industrie als auch mit den verschiedenen Stufen des Handels, um in gegenseitiger Abstimmung in einer Art Selbstkontrolle und in einer Selbstverantwortung hier die Stabilität des deutschen Preisniveaus soweit irgend möglich zu wahren. Obwohl ich damit manche Sünden auf diesem Gebiet ganz bestimmt nicht tolerieren möchte, kann ich Ihnen auf Grund der amtlichen Statistik sagen: Seit Mai vorigen Jahres bis einschließlich Dezember sind die Grundstoffpreise in Deutschland um 16,2 % gestiegen, in Frankreich um 32,2 % und in England um 61,5 %;
also nachzulesen in den amtlichen Statistiken.
Nun wird gar zum Schluß noch gesagt, es käme jetzt darauf an, die Autorität dieser Bewirtschaftungsstellen zu verstärken.
- Jawohl, die Absicht habe ich, wenn die Art von Bewirtschaftung oder die Art von Lenkung und von Ordnung in dem Umfang Platz greift, in dem mir dieses Gesetz dazu die Handhabe bietet. Das geht aber nicht, wenn ich an eine Bewirtschaftung im Sinne einer starren Preisbindung denke, eine Bewirtschaftung im Sinne von Lieferkontrollen und dergleichen mehr; denn diese Maßnahmen müßten, weil dadurch aufgestaute überschüssige Kaufkraft in Erscheinung tritt, zwangsläufig wieder zum Schwarzmarkt, zum Schleichhandel und, weil die Behörde da nicht zuschauen darf, dann auch zum Bezugsscheinwesen und zur Rationierung führen. Dann allerdings muß ich sagen: die Autorität dieser Bewirtschaftungsstellen kann kein Gott mehr retten!
Da haben die Bewirtschaftungsstellen selbst dafür gesorgt, daß ihr Renommee so ist, wie es im deutschen Volk tatsächlich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Agatz.
Meine Damen und Herren! Der Herr Wirtschaftsminister hat uns darauf aufmerksam gemacht, daß wir nicht allein auf der Welt sind.
Er hätte hinzufügen müssen, daß wir nicht einmal in Deutschland allein sind, sondern daß es auf dem Petersberg Hohe Kommissare gibt, die die Regierung angewiesen haben, dieses Gesetz hier vorzulegen.
Das Gesetz geht zurück auf die Beschlüsse der New Yorker Außenministerkonferenz
und auf die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz des Atlantikrates. Dort wurde ein Amt für Rüstungsproduktion geschaffen, und dort wurde der deutsche Beitrag zur Wiederaufrüstung, zur amerikanischen Kriegsvorbereitung festgelegt.
Diesen Beitrag sicherzustellen, das ist der Sinn dieses Gesetzes. Das läßt sich an Hand der ursprünglichen Fassung des § 1 sehr klar beweisen. Da heißt es ganz klar:
Um den von den Besatzungsmächten für die gewerbliche Wirtschaft angeordneten Beschränkungen und Verpflichtungen nachzukommen, kann die Bundesregierung usw.
Darum also geht es: um den Verpflichtungen nachzukommen, die deutsche Wirtschaft in die amerikanische Kriegsrüstung einzuspannen. Darum die Vorlage dieses Gesetzes.
Auf den von mir genannten Konferenzen setzten die USA ihre Pläne für die Einbeziehung Westdeutschlands in die Kriegsrüstung durch. Wir sollen also nicht nur Soldaten stellen — durch die Remilitarisierung, die da im Schwange ist —, sondern wir sollen auch wirtschaftliche Beiträge leisten: wir sollen unsere Rohstoffe, unsere Halbwaren, unsere Vorerzeugnisse zur Verfügung stellen, damit die amerikanische Kriegsvorbereitungspolitik um so größere Erfolge aufzuweisen hat. Das ist der Grund, der uns veranlaßt, diese Gesetzesvorlage abzulehnen, weil wir der Meinung sind, daß der Weg, auf den diese Gesetzesvorlage weist, in Widerspruch zu den nationalen Interessen unseres Volkes steht.
Es heißt in der Begründung, daß wir die Verpflichtungen anerkennen, die die Besatzungsmächte von uns fordern, und daß demnach eine deutsche Rechtsgrundlage zu schaffen wäre. Wir anerkennen keine Verpflichtung zum nationalen Selbstmord — und dahin führt der Weg, auf den auch diese Gesetzesvorlage weist. Das ist der Grund, warum jetzt aus der Erhardschen freien Marktwirtschaft eine Kriegszwangswirtschaft gemacht werden soll. Das ist doch klar.
Wenn man hier 100 000 DM Strafe für diejenigen ansetzt, die gegen dieses Gesetz verstoßen, so offenbart sich darin der Zwang, den man dahinter zu setzen gewillt ist.
Der Herr Berichterstatter hat es für nötig befunden zu erklären, damit sei keinerlei Rationierung, damit seien keine Bezugscheine und so weiter gemeint. Ich kann aber nur sagen, daß der Weg, konsequenterweise weitergegangen, auch zu diesen Maßnahmen und zuletzt auch noch zu Lebensmittelkarten führen muß und führen wird.
Sehen wir uns doch die Tatsachen des schwarzen Marktes an, auf dem allein man heute noch Kohlen haben kann. Die Kohlennot, die 2 Millionen Arbeitslosen — sie sind doch bereits das ganz offenkundige Ergebnis dieser Politik der Kriegsvorbereitung, die von der Regierun„ Adenauer und vom Herrn Wirtschaftsminister Erhard mit diesem Gesetz weiter betrieben werden soll.
Wir haben hier ein Ermächtigungsgesetz vorgelegt bekommen. Wir sollen also die Regierung ermächtigen, ohne Befragung des Bundestages die ihr notwendig erscheinenden Anordnungen zu treffen. Mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 hat doch das deutsche Volk genügend Erfahrungen gemacht. 1933 fing es an, 1945 endete es in der Katastrophe. Auf denselben Weg weist auch diese Vorlage. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir alle Ursache haben, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir aus dieser verhängnisvollen Entwicklung herauskommen können. Deswegen bedauern wir es so außerordentlich, daß die Möglichkeit zu gesamtdeutschen Gesprächen ausgeschlagen worden ist und daß damit die Möglichkeit zur Wiederherstellung einer deutschen Wirtschaft ohne jede Beschränkung, so wie sie die Prager Beschlüsse vorsahen, ausgeschlagen worden ist.
Wir werden uns auf diesem Wege jedenfalls weiter bemühen. Wir wissen auch, daß das Volk diese Möglichkeit als seinen Ausweg begreifen und dieser Weg auch zur Rettung unseres Volkes führen wird.
Aus den von mir dargelegten Gründen lehnt die Fraktion der Kommunisten diese Gesetzesvorlage ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren, darf ich diese Gelegenheit benutzen, um folgendes zu sagen. Nach dem Protokoll vom 17. Januar 1951 hat der Abgeordnete Stücklen dem Herrn Abgeordneten Bertram damals zugerufen: „Das ist Demagogie!" Offenbar ist dieser Zwischenruf in dem protokollierten lebhaften Beifall beim Zentrum und bei der SPD mir verborgen geblieben. Ich stelle fest, daß in diesem Hause der Ausdruck „Demagogie" nicht üblich ist, und bitte Herrn Abgeordneten Stücklen, ihn künftig zu vermeiden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die betont optimistischen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers entsprechen wohl dem, was er schon oft zu uns gesagt hat. Schon oft hat er in betontem Optimismus gemacht. Ich will auch nicht sagen, daß unsere Lage irgendwie kritisch oder verzweifelt sei oder daß uns bald eine Vollbewirtschaftung bevorstehe. Ich möchte nur — das ist entscheidend, und ich glaube, es ist auch notwendig — mit dem notwendig gebotenen Realismus die Tatsachen etwas ins rechte Licht rükken.
Da ist zunächst einmal die Frage, ob wir tatsächlich keine Engpässe außer auf dem Nicht-Eisenmetallgebiet haben. Es ist doch bekannt, daß die deutsche eisenverarbeitende Industrie durch die eisenschaffende Industrie Kontingente, und zwar auf
privater Kartellbasis, zugewiesen erhalten hat, die nur 60% der Zuteilung von 1949 umfassen. Man kann doch nicht sagen, wenn die eisenverarbeitende Industrie auf 60% des Standes von 1949 kontingentiert wird, daß es dort keine Rohstoffnöte gebe. Man erkundige sich einmal in der eisenverarbeitenden Industrie, wie ernst dort die Rohstoffnöte tatsächlich sind. Bei der Nicht-Eisenmetallversorgung ist die Situation noch viel übler. Es wurde schon das Beispiel des Kupfers erwähnt. Beim, Zink ist der offizielle Preis 171 DM, tatsächlich werden 330 DM je 100 kg gezahlt, also 3 300 DM je Tonne, ein geradezu irrsinniger Preis, der nur durch die auf diesem Gebiet inzwischen eingetretene völlige Marktleere zu erklären ist. Es ist also einfach nicht wahr, daß hier keine ernsten Versorgungsschwierigkeiten vorliegen. Sicherlich liegen sie vor. Das ist ja auch der Grund, warum das Bundeswirtschaftsministerium diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Glauben Sie im Ernst, der Herr Bundeswirtschaftsminister würde uns bei seiner bekannten Einstellung hier einen solchen Gesetzentwurf vorlegen, wenn er nicht selber diese von ihm hier abgegebene optimistische Erklärung im Innern seines Herzens tatsächlich gar nicht so ernst nähme?
Diese Verhältnisse wirken sich natürlich auch auf weitere Bewirtschaftungsmaßnahmen aus. Keiner von uns denkt an Bezugscheine. Wollen wir hoffen, wirklich, wollen wir hoffen, daß uns die allgemeine Weltlage diese Bezugscheinwirtschaft auf die Dauer erspart und daß wir nie wieder in dieses Bezugscheinunwesen hineingeraten. Aber die Fragen, die hier zur Erörterung stehen, sind doch ganz andere. Die Frage der Exportsteuerung beispielsweise. Unsere verarbeitende Industrie kann infolge des Rohstoffmangels Exportaufträge in Fertigwaren tatsächlich nicht ausführen. Unsere schlechte Handelsbilanzsituation ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß das Verhältnis zwischen Rohstoffexporten und Fertigwarenexporten nach wie vor 1 : 1 ist, während es vor dem Kriege 1 : 2 1/2 gewesen ist. Wir müssen wesentlich mehr Fertigwaren ausführen. Die eisenschaffende Industrie hat noch im Laufe des Monats November 250 000 Tonnen Eisen- und Stahlmaterial und Halbwaren unverarbeitet exportiert. Bei einem Durchschnittserlös von schätzungsweise 400 DM die Tonne ergibt das einen Gesamterlös von 100 Millionen DM. Wären diese selben Dinge in unserer verarbeitenden Industrie fertiggestellt worden, hätten sie bei einem Durchschnittserlös von zur Zeit vielleicht 1 200 DM je Tonne zur Zeit einen Gesamterlös von 300 Millionen DM erbracht. Damit wäre das Defizit; das unsere Handelsbilanz in diesem Monat aufgewiesen hat, völlig gedeckt worden, und wir wären in der Lage gewesen, das, was jetzt nicht gekauft werden kann, für den deutschen Käufer ohne weiteres zu bekommen. Wir hätten damit die Bedarfsspannung verhindern können.
Sie sehen an diesem Beispiel, daß es tatsächlich unumgänglich ist, gewisse Maßnahmen zur Wirtschaftslenkung zu treffen, wenn wir unsere gesamte deutsche Wirtschaft vor entscheidenden und dauerhaften Schäden bewahren wollen.
Nun ist sicher richtig, daß die Weltmarktspannungen außerordentliche Schwierigkeiten nicht nur auf dem gewerblichen Sektor mit sich bringen, sondern ebenso auf dem Sektor der Agrarpolitik. Wir vermissen jede Koordinierung zwischen Agrarpolitik und gewerblichem Sektor. Wir sind doch auf dem gewerblichen Sektor relativ stark und könnten die Kräfte, die wir auf dem gewerblichen Sektor haben, ganz anders einsetzen, um auf dem agrarpolitischen Sektor eine entsprechende Position für uns herauszuholen. Wenn man sich natürlich stur in das Motto „Liberalisierung" verbeißt und geradezu eine Theorie, ein Dogma daraus macht, dann sieht man die Möglichkeiten nicht, die sich bei realistischer Betrachtung in unserer Handelspolitik bieten.
Nicht nur ich allein sehe das, sondern es sind auch auf Ihrer Seite Abgeordnete zu finden, die diese realistischen Möglichkeiten wohl erkannt haben.
Jedenfalls haben wir heute insofern einen erfreulichen Tag erlebt, als uns der Herr Bundeswirtschaftsminister erklärt hat, er wolle eine realistische Wirtschaftspolitik treiben, und als uns der Herr Bundeswirtschaftsminister ein Gesetz vorgelegt hat, das den ersten Schritt fort vom Dogmatismus und hin zu einer realistischen Wirtschaftspolitik bedeutet.
In diesem Sinne hoffen wir, daß dieses Gesetz eine bessere und für unser Volk nützlichere Wirtschaftspolitik einleitet.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Bleiß wünscht seine restlichen drei Minuten Redezeit auszunützen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich noch drei Minuten Redezeit zur Verfügung habe, urn zu einigen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers Stellung zu nehmen.
Dem Herrn Bundeswirtschaftminister scheint es zu belieben, Zahlenangaben der Opposition als objektiv unwahr zu bezeichnen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich greife zurück auf Statistiken, die von Ihrem Hause herausgegeben werden. Im Jahre 1949 wurden an Roheisen und Eisenhalbzeug 108 000 t und in den ersten elf Monaten des Jahres 1950 511 000 t exportiert. Das ist ungefähr das Fünffache. Ich darf also gestützt auf diese Zahlen Ihre Behauptung der objektiven Unrichtigkeit zurückweisen. An Stahlprodukten wurden nach Ihren Statistiken im Jahre 1949 511 000 t und in den ersten elf Monaten des Jahres 1950 1 507 000 t ausgeführt. Auch hier ist der Export um das Dreifache gestiegen und entspricht dem, was ich behauptet habe. Wenn Sie eine andere Behauptung aufstellen sollten, dann muß ich diese als objektiv unwahr zurückweisen.
Ich wäre Ihnen aber dankbar, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie uns einmal objektiv richtige Zahlen über den Hausbrand bekanntgeben würden. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß die Verbraucher von Ihnen Erklärungen darüber verlangen, wie Sie sich den Ausweg aus der Krise denken, den Sie ja schon seit November vorigen Jahres gefunden haben wollen.
Dann noch eines! Bitte, seien Sie auch vorsichtig mit der Behauptung, daß es unter Ihrer Wirtschaftsführung keine Rationierung geben wird. Hier ist die erste Kohlenkarte unter Ihrer Wirtschaftsführung!
Das ist doch schon eine Rationierung! Allerdings noch nicht mit aufgedruckten Zentnern, weil Sie scheinbar noch nicht wissen, wieviel Zentner auf den Abschnitt entfallen.
Das überlassen Sie dem Verbraucher. Der möge sich umtun und sehen, wie er zu seiner Kohle kommt.
Ich würde Ihnen auch empfehlen, in Ihrer Politik etwas realistischer zu sein. Was soll man davon halten, wenn Sie erst den Stromverbrauch einschränken, dann diese Maßnahme wieder aufheben usw.? Und bitte, wenn Sie England zitieren, denken Sie auch daran, daß darüber berichtet wird, daß England auch die Lichtreklame einschränkt, um etwas zu sparen. Vielleicht kann man aus derlei Beschränkungen auch Kohlen für den Hausbrand gewinnen.
Ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sollten uns etwas realistischer an die vorliegenden Zahlen halten, Seien Sie in Ihrer Marktwirtschaft besonders bei der Hausbrandversorgung etwas sozialer eingestellt und tragen Sie endlich dazu bei, daß die Versorgungsschwierigkeiten ihr Ende finden!
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine sachliche Aufklärung geben. Ich habe bei meinen Ausführungen über den Export von Stahl und Walzwerkerzeugnissen nicht von dem Vergleich von 1949 mit 1950 gesprochen, sondern nur von der Entwicklung seit August—September 1950, als sich mit dem Anheben der Korea-Krise die Entwicklung deutlich abzeichnete.
Die relativ hohen Exportziffern, die im ganzen Jahre 1950 vielleicht zustande kommen, resultieren aus dem ersten Halbjahr 1950,
als die deutsche Stahlerzeugung keinen hinreichenden Absatz auf dem Inlandsmarkt finden konnte.
Ich werde im übrigen dem Hohen Hause eine genaue Aufstellung über den Export von Rohstahl und Walzwerkerzeugnissen aushändigen.
Was nun die andere Frage betrifft — auch Sie haben in dem Zusammenhang von realistischer Politik gesprochen nämlich die Einsparungen bei der Beleuchtung dem Hausbrand zugute kommen zu lassen, so darf ich sagen: wir schätzen die Kohlenersparnis durch Einschränkung der Beleuchtung auf ungefähr 8- bis 10 000 t.
Wenn ich jedem Haushalt in Deutschland einen Zentner Kohle für den Hausbrand gebe, dann erfordert das eine Kohlenmenge von 700 000 t. Ich bitte nun, aus dem Vergleich die Nutzanwendung zu ziehen!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die allgemeine Aussprache der dritten Lesung geschlossen.
Ich rufe auf: § 1, — § 2 ,— 2a, — 3, — 3a, — 4, — 5, — 6, — 7, — Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wer für das Gesetz im ganzen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist damit angenommen.
Es liegt noch eine Entschließung vor, Umdruck Nr. 38, über die nunmehr abzustimmen ist. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme der Entschließung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer für die Annahme der Entschließung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist doch die Mehrheit. Die Entschließung ist abgelehnt.
— Schön. Es ist nun über die Entschließung Drucksache Nr. 1764 abzustimmen, und zwar Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrags.
— Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Bleiß das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich beantrage im Namen meiner Freunde, über die Ziffern 1, 2 und 3 getrennt abzustimmen.
Dann stimmen wir ab.
— Zu Ziffer 2 der Drucksache Nr. 1764 hat der Abgeordnete Dr. Bleiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage meiner Freunde möchte ich Sie bitten, den Punkt 2 von der Abstimmung zurückzustellen. Bei Ziffer 2 handelt es sich um das Zentralbüro für Mineralöl.
Der Bundestag hat vor einiger Zeit beschlossen, die Verhältnisse beim Zentralbüro einer besonderen Untersuchung zu unterziehen. Die Untersuchungen laufen zur Zeit noch. Ich möchte deshalb bitten, erst das Ergebnis dieser Untersuchungen abzuwarten und dann zu entscheiden, ob und welche Lenkungsorganisation an die Stelle des bisherigen Zentralbüros für Mineralöl treten soll. Wir sind uns alle darüber einig, daß das Zentralbüro für Mineralöl in seiner jetzigen Form abgelöst werden muß. Wir möchten aber vorher die Bundesregierung bitten, uns zu erklären, in welcher Weise künftig dessen Funktionen ausgeübt werden sollen. Meine Fraktion bittet Sie deshalb, die Abstimmung über den Punkt 2 zu verschieben und den Fragenkomplex an den Ausschuß zurückzuverweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich darüber gefreut, daß auch Herr Kollege Bleiß der Meinung ist, daß das Zentralbüro für Mineralöl auf alle Fälle abgelöst und ausgeschaltet werden soll. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vor kurzem für die Bundesregierung bereits erklärt, daß das Zentralbüro für Mineralöl mit der Annahme des Mineralölsteuergesetzes und dessen Wirksamwerden in Liquidation tritt und daß diese Liquidation, soweit sie die wirtschaftlichen Funktionen anlangt, am 1. April abgeschlossen sein wird. Ich stelle deshalb für unsere Fraktion den Antrag, den Punkt 2 nicht zurückzustellen,
sondern darüber abzustimmen. Wir bestätigen damit noch einmal Dinge, die bereits im Laufen sind.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann stimmen wir ab. Ich muß logischerweise über den Antrag auf Aussetzung abstimmen lassen. Wer für die Aussetzung der Abstimmung zu Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer für Annahme der Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; also angenommen.
Wer für Annahme der Ziffer 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ziffer 3 ist angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Punkt 2 der Tagesordnung kann wohl noch nicht aufgerufen werden, weil der Bundesminister Blücher fehlt.
Ich schlage Ihnen vor, mit Punkt 7 fortzufahren. h rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Grenzgänger vom 10. Juli 1950 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (Nr. 1757 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Wönner als Berichterstatter.
— Ist er gar nicht im Hause?
Könnte nicht Abgeordneter Ludwig die Berichterstattung übernehmen; der kennt die Sache doch auch? —
Er ist auch nicht da.
— Ich will sehr gern rasch abschließen; aber ich möchte vor allen Dingen die Tagesordnung erledigen.
— Herr Abgeordneter Schoettle, ich glaube, es lag nicht am bösen Willen des jeweiligen Präsidenten.
— Dann stellen wir Punkt 7 zurück.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des Zentrum eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Reichsautobahngesetzes vom 29. Mai 1941 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen (Nr. 1781 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Meyer als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Zentrum hat mit Drucksache Nr. 1571 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsautobahngesetzes vom 29. Mai 1941 eingebracht und beantragt, den § 6 des Reichsautobahngesetzes in der Neufassung vom 29. Mai 1941 zu streichen. Der Verkehrsausschuß hat sich mit der Sachlage eingehend beschäftigt. § 6 des Reichsautobahngesetzes beinhaltet, daß die Reichsautobahn eine Benutzungsgebühr erheben kann. Die Benutzungsgebührenordnung bedarf der Zustimmung des Generalinspekteurs. Nachdem der Generalinspekteur durch Maßnahmen der alliierten Militärregierungen nach 1945 demjenigen, der ihn ernannt hat, gefolgt ist, hat der Verkehrsausschuß seine Meinung einmütig dahin bekundet und in seinem Ihnen vorgelegten Bericht dementsprechend beantragt, das Haus möge dem Antrag des Zentrums stattgeben und den § 6 des Reichsautobahngesetzes streichen. Damit wird auch der Auffassung Ausdruck gegeben, daß für die Benutzung der Reichsautobahnen keine Möglichkeit zur Gebührenerhebung auf Grund dieses Gesetzes besteht. Im übrigen ist bei den Beratungen von den Vertretern der Regierung zum Ausdruck gebracht worden, daß im Verkehrsministerium an der Überholung des Reichsautobahngesetzes gearbeitet wird, so daß das Haus sich demnächst mit der Materie beschäftigen wird.
Der Verkehrsausschuß beantragt also mit seinem Bericht, dem Antrag des Zentrums stattzugeben, § 6 des Reichsautobahngesetzes in seiner jetzigen Fassung zu streichen und damit die Möglichkeit, für die Benutzung der Reichsautobahn Gebühren zu erheben, zu beseitigen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in der zweiten Beratung auf § 1. — Keine Wortmeldungen. § 2. — Keine Wortmeldungen. Wer für die Annahme dieser beiden Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Zweifellos die Mehrheit. Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen. Die zweite Beratung ist geschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf § 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. Wer für .die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen
Der Ältestenrat schlägt Ihnen, meine Damen und Herren, vor, die Aussprachezeit auf insgesamt 40 Minuten zu begrenzen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rümmele als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der KPD hat laut Drucksache Nr. 1533 den Antrag gestellt, daß der Bundestag fünf Beschlüsse, die die Durchführung des Gutachtens der Firma Coverdale & Colpitt bei der Deutschen Bundesbahn betreffen, fassen möge. Die Drucksache wurde dem Verkehrsausschuß überwiesen, der sich damit befaßt hat. Das Ergebnis der Ausschußberatung liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 1776 vor.
Ich darf zu den einzelnen fünf Punkten kurz folgendes sagen. Der Antrag zu Punkt 1 der KPD lautet:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, dem Bundestag umgehend die von der ECA-Mission überreichten Forderungen in bezug auf die Bundesbahnen, die sich auf das Gutachten der Firma Coverdale und Colpitt, New York, stützen, zur Stellungnahme vorzulegen.
Nach der Begründung des Antrags der KPD in der 104. Sitzung des Bundestags durch den Abgeordneten Kohl wird gewünscht, den Bundestag über das Ergebnis der Verhandlungen, die zwischen den Vertretern des Bundesministers für Verkehr, der Deutschen Bundesbahn und des Transport-SubCommittees der Alliierten Hohen Kommission über die Empfehlungen des Gutachtens stattgefunden haben, zu unterrichten. Die Besprechungen haben zu der übereinstimmenden Auffassung geführt, daß von 91 Empfehlungen 52 voll anzuerkennen, 25 dieser Empfehlungen des Gutachtens der amerikanischen Prüfungsfirma mit Einschränkungen anzunehmen und 14 abzulehnen sind. Bei der Mehrzahl der angenommenen Empfehlungen, also der 52, handelt es sich um Rationalisierungsmaßnahmen der Bundesbahn, die innerbetrieblicher Art sind und im großen und ganzen nicht interessieren. Was übriggeblieben ist, ist in einem sogenannten Siebenpunkteprogramm enthalten, in dem die wesentlichsten Empfehlungen zusammengefaßt sind. Zur Verwirklichung dieses Siebenpunkteprogramms ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich. Das Siebenpunkteprogramm befindet sich zur Zeit im Schoße der Regierung; es wurde darüber beraten; die Beratungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Nach dem Willen des Verkehrsausschusses soll aber der Bundestag das Ergebnis der Beratungen über das Siebenpunkteprogramm, also über die strittigen Punkte dieses Gutachtens, zugeleitet erhalten.
Der Ausschuß für Verkehrswesen hat deswegen zu Punkt 1 beschlossen:
die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag die sieben Punkte des C & C-Programms, die dem Kabinett zur Beschlußfassung vorgelegt wurden, mit der Stellungnahme des Kabinetts bekanntzugeben und damit Ziffer 1 für erledigt zu erklären.
Ich glaube, das Hohe Haus kann sich dieser Stellungnahme anschließen.
Der Punkt 2 des KPD-Antrages lautet:
Die am 21. Oktober 1949 beschlossene Entlassungssperre für die Bundesbahn wird nicht aufgehoben.
Ich darf das Hohe Haus daran erinnern. daß auf seinen Beschluß, nachdem Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen der zuständigen Gewerkschaft einerseits und der Bundesbahn andererseits stattgefunden haben, die Entlassungssperre bis Erde Dezember 1950 bestand. Die Bundesbahn hat
entsprechende Untersuchungen angestellt. Nach ihrer Auffassung sind zur Zeit etwa 20 000 Leute mehr beschäftigt, als es nach dem Betrieb, der zur Zeit anfällt, unbedingt notwendig wäre. Ich betone, das ist die Stellung der Bundesbahn. Die Firma Coverdale & Colpitt hat dagegen in ihrem Programm vorgeschlagen, bei der Bundesbahn erst einmal 50 000 Bedienstete und später noch einmal 30 000, also insgesamt 80 000 Beschäftigte, zu entlassen. Ich darf dazu erklären: Weder das Bundesverkehrsministerium, noch das alliierte Sub-Committee hat diesem Vorschlag des Gutachtens die Zustimmung gegeben. Dieser Vorschlag wird als weit über das Ziel hinausgeschossen betrachtet und sachlich als nicht gerechtfertigt angesehen. Dagegen ist also die Bundesbahn der Meinung, daß noch etwa 20 000 Menschen eingespart werden können.
Ich stelle aber fest: es ist die übereinstimmende Auffassung, die auch vor allem vom Verkehrsausschuß restlos geteilt wird — ich nehme an, das Hohe Haus stimmt dem zu —, daß Entlassungen trotz Durchführung dieses Programms im Jahre 1951 möglichst zu vermeiden sind. Das läßt erreichen, wenn folgende in Aussicht genommen, Maßnahmen durchgeführt werden: wenn erstens der natürliche Abgang des Personals im allgemeinen im Jahre 1951 nicht ersetzt wird, wenn zweitens die Möglichkeit geschaffen wird, Beamte vorzeitig in den Ruhestand oder Wartestand zu versetzen, und wenn drittens etwa 4200 Mann der Bahnpolizei in die Polizei der Länder oder des Bundes übernommen werden. Man hofft, daß man dann ohne größere Entlassungen auskommt und die Möglichkeit besteht, den Betrieb so zu führen, daß die Betriebssicherheit in keiner Weise gefährdet ist. Der Ausschuß schlägt also vor, diese Maßnahmen durchzuführen, um so eine allgemeine Entlassung zu vermeiden. Der Ausschuß glaubt auch, daß diese tatsächlich zu vermeiden ist.
Der Punkt 3 .des Antrags der KPD lautet:
Die Gewährung der Ruhegehälter und sozialen Leistungen an die umgesiedelten Eisenbahner bzw. deren Hinterbliebene wird in keiner Weise angetastet.
Ich darf zunächst der Auffassung des Verkehrs ausschusses Ausdruck geben, daß es sich nicht un sogenannte umgesiedelte Eisenbahner bzw. deren Hinterbliebene, sondern um Eisenbahner handelt, die aus politischen Gründen geflüchtet sind, die Ostzone verlassen mußten und jetzt von der Bundesbahnverwaltung in der Bundesrepublik sozial betreut werden. Ich bin vom Ausschuß für Verkehrswesen beauftragt, in diesem Zusammenhang auch auf die Entlassung, also die Maßregelung der Westberliner Eisenbahner durch die Eisenbahnverwaltung der Ostzone hinzuweisen, die entgegen der von der Eisenbahnverwaltung der Sowjetzone bei Beendigung des Berliner Eisenbahnerstreiks ausdrücklich abgegebenen Versicherung rechtswidrig durchgeführt wurde — sie ist daher aufs schärfste zu mißbilligen — und die beklagenswerte soziale Zustände bei den Westberliner Eisenbahnern geschaffen hat.
Sachlich ist zu dem Antrag der KPD noch zu sagen, daß die Bundesbahn und das Bundesverkehrsministerium entschieden bestreiten. die Absicht gehabt zu haben, die soziale Versorgung der geflüchteten Eisenbahner irgendwie abzubauen und die sozialen Leistungen nicht mehr weiter zu leisten. Es handelt sich lediglich um Erwägungen, die vom Verkehrsministerium aber auch bei der
Bundesbahn und im Verkehrsausschuß dahingehend gepflogen werden, ob diese soziale Last nicht als Kriegsfolgelast auf das Finanzministerium verlagert werden sollte. Denn es sind Lasten, die einseitig auf der Bundesbahn ruhen. Sie machen in jedem Monat allein etwa 7 Millionen DM aus. Es steht also keine Gefährdung dieser Leistungen in Frage, sondern es ist lediglich eine eventuelle Übertragung auf eine andere Stelle vorgesehen. Darüber wird unter Umständen auch das Bundesbahngesetz irgendeine Regelung treffen müssen.
Da die Deutsche Bundesbahn die in dem Antrag unterstellten Maßnahmen niemals beabsichtigt hat, beantragt der Ausschuß für Verkehr. die Ziffer 3 des KPD-Antrages für erledigt zu erklären.
Der Punkt 4 des Antrags der Fraktion der KPD lautet:
Die in dem Gutachten verlangte Belegschaftsminderung von 20%, die Verminderung der Zahl der Bahnhofsbediensteten bei großen Personenbahnhöfen um 15%, bei den Güterabfertigungen um 10 bis 12% und bei kleineren Bahnhöfen um 20 bis 30% wird nicht durchgeführt.
Die in dem Gutachten der Firma Coverdale & Colpitts empfohlenen Entlassungen nach festen Prozentsätzen werden sowohl vom Bundesminister für Verkehr als auch der Bundesbahnverwaltung abgelehnt. Personalverminderungen, die auf Grund von örtlichen Prüfungen stattfinden, sollen nur im Rahmen der allgemeinen Personalpolitik und möglichst unter Vermeidung von Entlassungen durchgeführt werden, also unter Berücksichtigung des normalen Abgangs.
Der Ausschuß für Verkehrswesen beantragt daher, die Ziffer 4 des KPD-Antrages für erledigt zu erklären, da sowohl die Deutsche Bundesbahn als auch das Bundesverkehrsministerium dem Vorschlag des Gutachtens der Firma Coverdale & Colpitts nicht gefolgt sind bzw. diesen Vorschlag von sich aus abgelehnt haben.
Der Punkt 5 des Antrages der Fraktion der KPD lautet:
Jede Tarifänderung, vor allem im Berufsverkehr, bedarf der Zustimmung des Bundestages. Nach dem jetzt geltenden Preisrecht — Preisgesetz des früheren Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 10. April 1948, das als Bundesrecht fortgilt — ist eine Mitwirkung des Bundestages nur bei solchen Tarifmaßnahmen erforderlich, die eine „grundlegende Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung" haben. Zurzeit ist ein neues Preisgesetz in Vorbereitung, in dem der Bundesgesetzgeber die Rechtsgrundlage schaffen wird, auf Grund deren künftig u. a. auch die Verkehrstarife erlassen werden können. Der Ausschuß für Verkehrswesen steht grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß die alten bzw. neuen Preisvorschriften die Frage der Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften hinsichtlich des Erlasses von Verkehrstarifen abschließend regeln. Deshalb beantragt der Ausschuß für Verkehrswesen, Ziffer 5 des KPD-Antrages durch die zwingenden Vorschriften des alten und neuen Preisrechts für erledigt zu erklären.
Ich bitte das Hohe Haus, diesen Anträgen des Verkehrsausschusses die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Paul.
Meine Damen und Herren! Seit langen Wochen geht durch die Presse die Meldung über Verhandlungen der Bundesbahn. Amerikanische Finanzkreise interessieren sich sehr stark für unsere Bahn.
Es ist sehr bedauerlich, daß erst ein Antrag einer Fraktion aus dem Bundestag die Regierung veranlassen muß, nunmehr Farbe zu bekennen über die Verhandlungen, die vom Bundesverkehrsministerium mit einer amerikanischen Firma geführt wurden.
— Nein, diese Meldung stammt .aus Ihren Zeitungen. Aber Sie scheinen alle Ursache zu haben, diese Verhandlungen zu verschleiern und dem deutschen Volke zu verschweigen. Wir wehren uns auf jeden Fall dagegen, daß hinter den Kulissen bereits über die Verschacherung unserer Bundesbahn an amerikanische Finanzkreise verhandelt wird.
Wir sind der Meinung, daß es sich hier um das Los von Hunderttausenden von Arbeitern handelt, und die sind sehr stark daran interessiert, inwieweit jene Gutachten amerikanischer Finanzkreise in ihren Betrieben durchgeführt werden sollen.
Es wird hier durch das Bundesverkehrsministerium mitgeteilt, daß nun eine ganze Reihe von Empfehlungen bei der Bundesbahn durchgeführt werden sollen. Wir sind der Meinung, daß die Rationalisierungsmaßnahmen bei der Bundesbahn den Bundestag sehr wohl interessieren und nicht nur eine Angelegenheit der Verwaltung der Bundesbahn darstellen. Von diesen Rationalisierungsmaßnahmen werden nämlich in sehr starkem Maße die Arbeiter und auch ihre Arbeitsbedingungen und ihre Löhne betroffen.
Wir sind von der Stellungnahme des Verkehrsausschusses in der Richtung keineswegs befriedigt, mit der er billigt, daß man bestimmte bei der Bundesbahn notwendige Entlassungen überprüfen soll. Wir sind gegen jegliche Entlassungen bei der Bundesbahn. Es gibt Arbeit genug. Man muß die Bahnen wieder in Ordnung bringen. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Regierung hier sehr schnell über die Verhandlungen, die sie geführt hat, und über die Punkte in dem Bericht dieser amerikanischen Finanzgruppe, die sie für richtig hält, Bericht erstatten sollte. Wir stimmen deshalb dem Ausschußbericht zu, obwohl wir nicht ganz von ihm befriedigt sind.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu. Aber in Ergänzung des Berichtes möchte ich sagen, daß zwischen den Sozialpartnern, d. h. in diesem Falle der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, die ich zu repräsentieren die Ehre habe, und der Hauptverwaltung der Bundesbahn, das Abkommen vom 14. Februar des vergangenen Jahres über die Regelung der Arbeitszeit und damit die Hintanhaltung von Entlassungen am vergangenen Mon-
tag um zwei Monate verlängert wurde, d. h. daß die Gefahr von Entlassungen für diese Zeit zumindest gebannt ist. Wir hoffen aber, daß in diesen zwei Monaten, in denen die Verhandlungen weitergeführt werden sollen, endlich das Problem der Arbeitszeit geregelt werden wird. Denn bis heute arbeiten noch 80 000 Eisenbahner kurz, während, wie ich über den Rundfunk hörte, in der mit Aufträgen der Bundesbahn versehenen Privatindustrie, in der Waggonbauindustrie allein im Monat Dezember des vergangenen Jahres pro Kopf 70 Überstunden geleistet worden sind.
Das geht nicht.
Ich hoffe, daß es auch den Beifall des Hohen Hauses findet, wenn ich der Erwartung Ausdruck gebe, es müsse angesichts der steigenden Preise in kürzester Frist möglich sein, den Lohnausfall von drei Stunden pro Woche auch für Eisenbahner durch Wiedereinführung der 48-Stunden-Woche wieder auszugleichen. Das ist das eine.
Aber in diesem Zusamenhange fühle ich mich veranlaßt, auch auf die Frage des West-Berliner Eisenbahnerstreiks noch einmal zurückzukommen.
Es war am 16. Juni 1948, als sich die Eisenbahner von West-Berlin der unabhängigen Gewerkschaftsopposition anschlossen, d. h. das Joch des kommunistischen Diktators abschüttelten. Aber allein die Mitgliedschaft in dieser Organisation war schon Ursache für Massenentlassungen bei den Eisenbahnern.
Darum traten am 20. Mai 1949 die West-Berliner Eisenbahner in den Streik. Sie streikten dafür, daß die Löhne und Gehälter, die bis dahin nur zu 60 % von Ost- in Westgeld umgewechselt wurden, zu 100 % umgewechselt werden sollten. Sie streikten für Koalitionsfreiheit, und sie streikten dafür, daß keine Maßregelungen nach Abschluß des Streiks stattfinden dürften. Der Streik hat 38 Tage gedauert, und die 13 000 West-Berliner Eisenbahner haben die SMA, die sowjetische Militäradministration, auf die Knie gezwungen.
Diese hat einen Vertrag unterschrieben, aber sie hat diesen am anderen Tag bereits wieder gebrochen,
und so wurden 1400 West-Berliner Eisenbahner im „Lande der Freiheit" gemaßregelt.
Jetzt haben rund 500 Eisenbahner in Prozessen vor dem Arbeitsgericht in West-Berlin gestanden, und es sind von den West-Berliner Eisenbahnern obsiegende Urteile — es handelte sich um Lohnforderungen in Höhe von 583 000 Mark — errungen worden. Die Reichsbahndirektion Berlin weigert sich, diese Urteile anzuerkennen und das Geld auszuzahlen.
Es ist deshalb nach meinem Dafürhalten an der Zeit, daß den West-Berliner Eisenbahnern, da von dieser Seite Gerechtigkeit nicht erwartet werden kann,
von einer anderen Stelle, d. h. von einer Stelle der Bundesregierung geholfen wird.
Ich habe mich an die zuständige Stelle gewendet, und ich darf — mit Zustimmung des Herrn Präsidenten — den Brief des Herrn Bundeskanzlers Adenauer verlesen. Er lautet:
Sehr geehrter Herr Jahn!
Die Notlage der West-Berliner Eisenbahner habe ich seit längerer Zeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Um wirksame Abhilfe zu erreichen, habe ich zunächst den Herrn Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gebeten, die Federführung zu übernehmen, da bisher mehrere Bundesminister mit der Sache befaßt waren. Weiter habe ich den Herrn Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin beauftragt, auf den Magistrat von Groß-Berlin dahin einzuwirken, daß er im Rahmen des Verwaltungsabkommens mit der Bundesrepublik die notwendigen Hilfsmaßnahmen durchführt. Wie mir mitgeteilt wird, hat daraufhin der Magistrat von GroßBerlin am 27. 9. 1950 Hilfsmaßnahmen beschlossen. Danach erhalten die ehemaligen Beamten, Angestellten und Arbeiter der frühe ren Deutschen Reichsbahn und ihre Witwer und Waisen, soweit sie Renten aus der Sozialversicherungskasse des Landes Brandenburg erhalten, eine Soforthilfe. Damit ist für die wohl am meisten notleidenden Kreise eine fühlbare Hilfe geschaffen.
Ich bin mir bewußt. daß hiermit noch nicht alle berechtigten Wünsche der betroffenen West-Berliner Eisenbahner erfüllt sind. Es wird daher das Bestreben der Bundesregierung bleiben, nach Möglichkeit weitere Hilfsmaßnahmen zu erreichen.
Mit vorzüglicher Hochachtung.
Die Hilfsmaßnahmen für die Rentner waren auf drei Monate befristet, sie sind ausgelaufen. Für die Erfüllung der anderen berechtigten Forderungen der West-Berliner Eisenbahner ist bis heute noch nichts geschehen. Ich stelle das ausdrücklich, und zwar mit tiefem Bedauern, fest. Diese Leute haben für die Freiheit gekämpft. Wenn sie im Stich gelassen werden, dann hat das schlimmste Auswirkungen auf die Moral derjenigen, die noch einmal für die Freiheit kämpfen sollen.
— Vielleicht ist Karlshorst ein besserer Ausdruck für das, was unter Unfreiheit zu verstehen ist.
Jakob, wo bist du?
Daher erwarte ich, daß endlich mit allem Ernst durchgreifende Maßnahmen zur Linderung der Not und zur Erfüllung der berechtigten Forderungen der West-Berliner Eisenbahner eingeleitet werden. Ich möchte nicht, daß ich gezwungen werde, andere Maßnahmen von mir aus zu ergreifen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für Annahme des Ausschußberichtes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion des Zentrums hat mich gebeten, den
Antrag betreffend Rückgabe der Insel Helgoland an ihre Bewohner
von der Tagesordnung abzusetzen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.
Wir können nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung verhandeln:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Grenzgänger vom 10. Juli 1950 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (Nr. 1757 der Drucksachen).
Herr Kollege Ritzel hat sich bereit erklärt, die Berichterstattung zu übernehmen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Ritzel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit der Drucksache Nr. 1483 dem Hohen Hause eine Vorlage unterbreitet, die die gesetzliche Grundlage für eine Vereinbarung schaffen soll, die am 10. Juli 1950 zur Regelung des Grenzgängerverkehrs zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossen worden ist. Es handelt sich um 800 deutsche und um 20 französische Grenzgänger, die ihre Arbeitsplätze, die Deutschen in Frankreich, die Franzosen in Deutschland haben.
Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat sich gemeinschaftlich mit dem Ausschuß für Arbeit der Mühe unterzogen, den Inhalt dieser Vereinbarung und den Gesetzestext zu überprüfen. Die beiden Ausschüsse sind zu dem Ergebnis gekommen, daß deutscherseits die Rechte der deutschen Arbeitnehmer, was unter dem sozialpolitischen Gesichtspunkt noch besonders festgestellt werden soll, gewahrt sind, und daß eine zufriedenstellende gegenseitige Vereinbarung zustandegekommen ist, die die bisherige Regelung ablöst. Beide Ausschüsse beantragen daher, das Hohe Haus möge die Vorlage Drucksache Nr. 1483 im Sinne des Ausschußbeschlusses annehmen, was bedeutet, dem Entwurf eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Grenzgänger vom 10. Juli 1950 die Zustimmung zu erteilen.
Ich bitte Sie, dementsprechend beschließen zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf in der zweiten Beratung Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung geschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldung. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf die Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als ganzes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Damit ist Punkt 7 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Grenzübergang Emmerich (Nrn. 1782, 1631 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Günther als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hatte auf Drucksache Nr. 1631 beantragt, daß die Bundesregierung ersucht werden soll, Schritte zu unternehmen, damit der Grenzübergang in Emmerich wieder eröffnet wird. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß sechs Jahre nach Kriegsende die normalen Grenzübergänge noch nicht wieder vorhanden sind, und der Verkehrsminister hat eingesehen, daß hier ein Bedürfnis vorliegt und unbedingt Schritte unternommen werden müssen.
Die Ausschaltung des früheren Grenzüberganges bei Emmerich bedeutet für den deutschen Import und Export eine außerordentlich große Schädigung, und der jetzige Umweg über Kranenburg verursacht den betreffenden Kreisen außerordentliche Kosten. Wie erheblich diese Umwege sind, will ich Ihnen an Hand einiger Zahlen veranschaulichen. Von Wesel nach Emmerich sind es 40 km, dagegen nach Kranenburg 118, mithin ein Umweg von 78 km. Von Dinslaken beträgt der Umweg ebenfalls 78 km, von Dortmund-Süd 34, von Dorsten 51 km, von Bochum-Nord 24 km usw. Was diese Umwege bedeuten, erkennt man erst aus dem Umfang des Güterumschlags vom Jahre 1938. Damals wurden 190 000 Sendungen im Versand und etwa 105 000 Sendungen im Empfang abgefertigt. Der Warenladungsverkehr betrug im gleichen Zeitraum im Versand etwa 8000 und im Empfang etwa 13 000 Wagen.
Wenn auch die Bahnhofsanlagen in Emmerich durch die Kriegseinwirkungen weitgehend zerstört sind, so hat doch die Eisenbahndirektion Essen das Notwendige getan, um den Wiederaufbau zu beschleunigen. Die Bahnhofsverwaltung ist der Auffassung, daß die Anlagen schon in Kürze in Betrieb genommen werden könnten. Die Güterfahrplankonferenz in Locarno im November 1950 hat beschlossen, daß der Obst- und Gemüseverkehr bereits ab März dieses Jahres wieder über Emmerich geleitet werden soll; auch hat der Herr Direktor Boot von der Niederländischen Staatsbahn bereits die bindende Zusage gegeben, daß entsprechende Vorbereitungen getroffen werden, damit der Obst- und Gemüseverkehr etwa ab Mitte März möglich ist.
Die Eröffnung des Grenzübergangs EmmerichZevenaar für den Obst- und Gemüseverkehr betrifft zwar nur einen Teil des gesamten Verkehrs.
Es muß aber durch Verhandlungen erreicht werden, daß dieser wichtige Grenzübergang wieder für den gesamten Verkehr zugelassen wird. Die Voraussetzungen hierfür sind von deutscher Seite bereits gegeben. Der Ausschuß würde es daher begrüßen, wenn Sie seinem Antrag auf Drucksache Nr. 1782 Ihre Zustimmung geben würden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wortmeldungen scheinen keine zu kommen. — Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Der Bundesminister Blücher ist gekommen; wir können nunmehr Punkt 2 aufrufen. Wir kommen so im Rösselsprung ganz nett durch unser Programm hindurch!
Punkt 2 sieht vor:
a) Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. Dr. Müller , Frau Dr. Weber (Essen), Hoogen und Genossen betreffend landwirtschaftlichen Grundbesitz und Traktatrecht im deutsch - holländischen
Grenzgebiet ;
b) Beratung des . Antrags der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. Dr. Müller , Frau Dr. Weber (Essen), Hoogen und Genossen betreffend landwirtschaftlichen Grundbesitz und Traktatrecht im deutschholländischen Grenzgebiet (Nr. 1665 der Drucksachen).
Wer begründet die Interpellation? — Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Frey.
Dr. Frey , Interpellant: Meine Damen und Herren! In den deutschen Landkreisen entlang der holländischen Grenze des Landes Nordrhein-Westfalen und auch des Landes Niedersachsen ist vielen deutschen Bauern, die Land in Holland besitzen, seit 1945 die Möglichkeit genommen, dieses weiter zu bewirtschaften. In den meisten Fällen ist das Land seit über hundert Jahren im Besitz dieser Familien. Nun bestand zwischen Preußen und den Niederlanden auf Grund einer Grenzregulierung vom Jahre 1815 über diese Ländereien eine Vereinbarung, wodurch sie holländisches Territorium wurden. Vorher aber lagen alle diese Ländereien fast ausnahmslos innerhalb der deutschen Gemeindegrenzen. Die Abmachungen über zollfreie Einfuhr und Ausfuhr von Wirtschafts- und Ertragsgütern dieser Flächen — die sogenannten Traktatrechte — sind gemäß einem Vertrag zwischen beiden Ländern vom Jahre 1816 nur durch ausdrücklichen Widerruf aufkündbar. Dieser Widerruf ist nie erfolgt. Den deutschen Grenzbauern ist aber durch den einseitigen Akt Hollands die Bewirtschaftung ihrer in Holland liegenden Ländereien seit dem Jahre 1945 unmöglich gemacht worden, während — und das bitte ich zu beachten — die holländischen Bauern ihr Land, das auf deutschem Gebiet liegt, nach wie vor bearbeiten können.
Die geschilderten Verhältnisse haben einen recht großen Umfang. Aus Unterlagen, die wir seit 1945 bis in die Neuzeit hinein sehr korrekt haben anlegen lassen, geht hervor, wie groß die betroffenen Flächen sind. Sie umfassen z. B. im Kreise Kleve über 864 ha, im Kreise Geldern über 600 ha und - wie aus meiner Interpellation ersichtlich — darüber hinaus einige 100 ha in den anderen Gemeinden Nordwest-Niedersachsens, Westfalens und der rheinischen Grenzkreise. In den Gemeinden Walbeck, Straelen und Twisteden haben 145 Bauern insgesamt 400 ha verloren. In der Gemeinde Walbeck allein hat die Hälfte der Geschädigten mehr als 50 % ihrer Flächen eingebüßt.
Um das Problem richtig zu beleuchten, gestatten Sie mir, aus der Fülle der ausgesprochenen Härtefälle einige aufzuzeigen. Der Bauer Hamacher in Brüggelchen verliert z. B. von seiner Fläche von 4,2 ha 3,1 ha; der Bauer Königs in Waldfeucht von 12 ha 10 ha, der Bauer Ketelaers in Hülm von 14.5 ha 13,5 ha, der Bauer Reiners von 7 ha 5 ha. Der Bauer Geurtz in Hommersum bewirtschaftete früher 9,8 ha; davon verliert er 9 ha, so daß eine große Familie hier nunmehr auf 0,8 ha existieren soll. Das sind nur wenige Fälle, und wir haben Listen von derartigen Härtefällen. Es ist klar — und Sie müssen das zugeben —, daß es sich hier um eine echte Existenzbedrohung handelt.
Nun kommt ein weiteres hinzu. Wie das Sprichwort sagt, kommt ein Unglück meist nicht allein. Das trifft hier zu; denn diese Grenzbauern haben meist noch kolossale Kriegsschäden an ihren Gehöften. Weil die Besitzverhältnisse an der Grenze entlang mittelbäuerlich, kleinbäuerlich und kleinstbäuerlich sind, ist die Möglichkeit eines Austausches überhaupt nicht vorhanden. Verschiedene Bauern müssen dort 6 km weit mit ihrer Kuh auf eine Weide ziehen, um sie überhaupt erhalten zu können.
Ich bin der Meinung, daß auch im Interesse der Befriedung der Grenzbevölkerung auf beiden Seiten die Rückgabe gut und notwendig wäre. Aus diesem Grunde habe ich mich mit holländischen Freunden und auch mit Mitgliedern der holländischen Kammer in Verbindung gesetzt, um auf dem Wege der persönlichen Beziehungen die Traktatrechtsfrage von der menschlichen Seite her einer Lösung entgegenzuführen. Mehrere Mitglieder dieses Hauses haben das auch versucht. Leider konnten wir die Nutzung für die Bauern noch nicht wieder erreichen. Jedoch wurde zumindest erreicht, daß die Ländereien bisher nicht verkauft worden sind.
Mit der Anfrage Nr. 63, Drucksache Nr. 771, hatte ich die Regierung schon einmal gebeten, uns über diese Zustände Aufklärung zu geben. Leider ist bei der Beantwortung dieser Anfrage anscheinend der Wunsch vorhanden gewesen, diese Dinge noch etwas zurückhaltend zu behandeln. Allerdings war einmal irgendwo in Holland der Beschluß bekanntgeworden, daß innerhalb von 5 km von der Grenze kein deutsches Land verkauft werden sollte. Wir haben aber festgestellt, daß in letzter Zeit doch Land verkauft wird. Wir haben auch die Adressen und die genauen Angaben.
Nun geht es darum, daß wir auf unsere Interpellation von der Regierung doch einmal gesagt bekommen, was sie für die Zukunft zu tun gedenkt. Viele holländische Freunde, und zwar maßgebliche Persönlichkeiten, haben sich für eine gerechte Regelung dieser Frage eingesetzt und sind der Meinung, daß das deutsche Land in diesem Gebiet dem deutschen Bauer nicht verlorengehen soll. Diese Persönlichkeiten haben sich so weitgehend eingesetzt. daß man ihnen wegen ihrer Einstellung wirklich Dank sagen muß. Wie die Erörterung der mit meiner Interpellation zusammenhängenden Frage auch im holländischen Parlament beweist, das sich im Dezember 1950 damit befaßt hat, ist der niederländische Justizminister zu der Auffassung gekommen, daß die Art, wie die deutschen Grenzbauern behandelt werden, eben doch bedenklich ist.
Nun hat man in Holland ein sogenanntes Entfeindungssystem erfunden. Dieses Entfeindungssystem ist allerdings so gehalten, daß, wer erfolgreich „entfeindet" werden will, die Bedingungen nur erfüllen kann, wenn er von deutscher Seite als Landesverräter oder Hochverräter bezeichnet worden ist. Bei dieser Sachlage ist es klar, daß die durch eine erfolgreiche Entfeindung bedingte Rückgabe der Ländereien bisher noch nicht durchgeführt werden konnte. Es wird daher notwendig sein, daß die Bundesregierung ihren ganzen Einfluß und ihren ganzen guten Willen geltend macht, um mit der holländischen Regierung in der Lösung dieser Frage zu einem beide Seiten voll befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Wenn der Herr Präsident gestattet, möchte ich gleichzeitig auch den Antrag Drucksache Nr. 1665, den wir gleichzeitig mit der Interpellation vorgegelegt haben, mit wenigen Worten begründen. Wir haben diesen Antrag gestellt, um der Regierung eine etwas breitere Basis für ihre Verhandlung mit der niederländischen Regierung, die sie hoffentlich aufnehmen wird, zu geben. Ich bin der Meinung, daß dieses berechtigte Verlangen von Ihnen allen gewürdigt werden sollte, gerade weil wir im Zeitalter des europäischen Solidaritätsgedankens hier wirklich einmal voranschreiten müssen.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern ihn sofort in einer einmütigen Abstimmung zum Beschluß zu erheben.
Finden sich 50 Mitglieder des Hauses? — Verzeihung, der Herr Minister will die Interpellation beantworten.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem, das durch die Interpellation Drucksache Nr. 1666 und die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Frey aufgerollt worden ist, beschäftigt die Bundesregierung beinahe seit ihrem Bestehen. Bereits am 14. November 1949 haben wir es der Alliierten Hohen Kommisision gegenüber zur Sprache gebracht. Wir haben gebeten, die Alliierte Hohe Kommission möge sich der niederländischen Regierung gegenüber in dieser Sache für den deutschen Standpunkt einsetzen und zunächst einmal einen Aufschub der Liquidation der deutschen Bauerngrundstücke erwirken.
Wie wir bereits in unserer Beantwortung der Anfrage Nr. 63 dem Hohen Hause am 12. April 1950 mitgeteilt haben, ist diese Bitte von der Alliierten Hohen Kommission mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß die von der niederländischen Regierung ergriffenen Maßnahmen durch die Potsdamer Beschlüsse und das Pariser Reparationsabkommen gedeckt seien und ihre Rechtmäßigkeit daher nicht in Zweifel gezogen werden könne.
Mit dieser Antwort stehen wir aber bereits im Mittelpunkt der Frage. Die niederländische Regierung betrachtet diese Grenzgrundstücke in der Tat als einen Teil des auf ihrem Boden gelegenen deutschen Vermögens und fühlt sich daher berechtigt, es nach den Bestimmungen zu verwerten, die auf der Konferenz von Potsdam und durch die am 14. Januar 1946 in Kraft getretenen Beschlüsse der Pariser Reparationskonferenz festgelegt worden sind. Den deutschen Bauern ist aus diesem Grunde seit Kriegsende das Betreten und die Bewirtschaftung ihrer jenseits der Grenze gelegenen Grundstücke verwehrt. Die Liegenschaften sind der Verwaltung der holländischen Beheers-Institute unterstellt mit dem Ziel, die Liquidation zugunsten niederländischer Erwerber durchzuführen. Mit diesen Liquidationen ist auch bereits begonnen worden. Nach den neuesten Informationen scheint bereits ein Drittel verkauft zu sein. Bezüglich des Restes sollen in vielen Fällen die Vorverhandlungen über Verkäufe weit fortgeschritten sein.
Ich darf an dieser Stelle ganz offen zum Ausdruck bringen: Der Bundesregierung scheint die Heranziehung des privaten deutschen Auslandsvermögens zur Deckung der Reparationsverpflichtungen allgemein eine Maßnahme zu sein, die, mag sie auch in ähnlicher Form bereits im Versailler Vertrag ergriffen worden sein, mit dem überkommenen Völkerrecht nicht in Einklang steht
und zu schwerwiegenden Bedenken Veranlassung gibt. Ganz besonders deutlich aber wird es bei den genannten Grenzgrundstücken, wie verhängnisvoll die Folgen einer solchen Mißachtung des Privateigentums sein müssen; denn bei diesen Grundstücken handelt es sich fast ausschließlich um erst zu Anfang des letzten Jahrhunderts als Folge von Grenzverschiebungen in das holländische Staatsgebiet gelangten bäuerlichen Besitz. Seine ungestörte Bewirtschaftung seitens der deutschen Eigentümer wurde durch feierliche, bis 1945 unangetastete Staatsverträge aus den Jahren 1815/16 und 1824 gewährleistet. In genau derselben Weise erlaubten und sicherten diese Verträge auch die Bewirtschaftung der Grundstücke, die, an der Grenze auf deutschem Boden gelegen, Niederländern gehören und durch sie von den Niederlanden aus bewirtschaftet werden.
Es ist deshalb durchaus verständlich, daß es zu schwerer Erbitterung unter den betroffenen deutschen Bauern im ganzen Grenzgebiet führt, wenn einseitig durch die Enteignung ihrer Grundstücke in altüberkommene, vertraglich gesicherte Verhältnisse eingegriffen wird.
Ich bedauere diese Entwicklung deshalb ganz besonders, weil es sich um ein Grenzgebiet handelt, in dem seit jeher die engsten freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen beiderseits der Grenze bestanden haben. Für die Bevölkerung dort war die Grenze keine Scheidelinie. Die Beziehungen gingen hinüber und herüber, und diese Sachlage fand in dem Übergreifen des Grundbesitzes über die Grenze hinaus einen durchaus angemessenen Ausdruck.
Noch aus einem anderen Grund ist die Entwicklung sehr zu bedauern; hierauf hat der Herr Abgeordnete Dr. Frey mit Recht nachdrücklich hingewiesen. In einem sehr großen Prozentsatz der Fälle trifft die Beschlagnahme und der Verkauf der auf niederländischem Boden gelegenen Grundstücke kleine Bauern und diese oft so, daß der überwiegende Teil ihres Grundbesitzes verlorengeht. Vielfach reicht die ihnen verbleibende Fläche nicht mehr zur Ernährung der Familie aus. Die auf deutschem Boden gelegenen Wirtschaftsgebäude werden wertlos. Es droht Verelendung. Ich brauche es nicht im einzelnen auszuführen, wie verhängnisvoll eine solche Entwicklung gerade im Grenzgebiet sein muß.
Auf die Frage, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um den betroffenen Bauern ihre jenseits der Grenze gelegenen Grundstücke zu erhalten, darf ich folgendes antworten.
Weite, namentlich kirchliche Kreise diesseits und jenseits der Grenze sind, wie der Abgeordnete Dr. Frey als einer der Hauptbeteiligten in dankenswerter Weise hervorgehoben hat, seit langer Zeit darum bemüht, den Boden für eine befriedigende Lösung zu lockern. Dank dieser verständnisvollen Vorarbeit besteht nach unserem Eindruck doch die Möglichkeit, diese Frage unter Beiseitelassung von Erörterungen über die Rechtmäßigkeit der niederländischen Maßnahmen mit der niederländischen Regierung zu besprechen. Ich habe deshalb der niederländischen Regierung unseren Standpunkt zunächst in einem Memorandum schriftlich dargelegt. Auf die Einzelheiten dieser Fühlungnahme möchte ich heute nicht eingehen. Wir hoffen aber mit guten Gründen, daß wir bald der Öffentlichkeit konkrete Mitteilungen werden machen können. Die Frage ist am 14. Dezember 1950 und am 17. Januar 1951 in der niederländischen Kammer behandelt worden, und ich darf mit Befriedigung feststellen, daß sowohl der niederländische Justizminister als auch der niederländische Außenminister sich in einer Weise geäußert haben, die ich nur mit Dank zur Kenntnis nehmen kann.
Ich darf aus den Ausführungen des niederländischen Außenministers die folgenden Sätze herausgreifen:
Ich habe die Frage schon mehrere Male mit meinen Amtskollegen, die mit der Durchführung des Beschlusses über das Feindvermögen beauftragt sind, besprochen. Hierbei ist wiederholt der besondere Charakter dieses Besitzes, der durch die Eigenart seiner Entstehung nicht ganz mit den übrigen in den Niederlanden beschlagnahmten Vermögen gleichgestellt werden kann, behandelt worden. Es erwies sich jedoch nicht als möglich, diesen Besitz ohne weiteres aus der Beschlagnahme auszunehmen, da dies im Gegensatz zu den Verpflichtungen stünde, die die Niederlande in den Reparationsabkommen eingegangen sind. Ich habe aber mit Befriedigung den Beschluß der fünf beteiligten Minister begrüßt, der besagt, daß bezüglich der Entfeindung in diesen Fällen eine mildere Regelung angewandt werden wird. Ich bin der Meinung, daß damit in nicht geringem Grade den Wünschen der deutschen Bauern entgegengekommen wurde, die zweifellos ernstlich durch die in Frage kommenden Maßnahmen betroffen werden. Das gilt für die Fälle, in denen der beschlagnahmte Besitz einen Hauptbestandteil des ganzen, oft kleinen Bauernhofes bildet.
Soweit der niederländische Außenminister.
Der niederländische Justizminister hat in der Kammer am 14. Dezember 1950 angedeutet, daß die Niederlande in einer anderen Weise schadlos gehalten werden könnten. Diese Möglichkeit wird von uns geprüft werden. Der einfachste Weg wäre, daß die niederländische Regierung den Grenzbauern gestattet, ihre Grundstücke zurückzukaufen. Wie sich das in der Praxis durchführen ließe, würde, die niederländische Bereitschaft vorausgesetzt, Gegenstand unserer eingehenden Überlegungen sein müssen.
Diese Ausführungen werden Ihnen zeigen, daß der Weg zu einer befriedigenden Regelung der Frage nicht länger verschlossen ist. Ich stelle das mit um so größerer Befriedigung fest, als der Einzelfall zeigt, daß wir da, wo wir unsere eigenen Angelegenheiten mit anderen Regierungen unmittelbar besprechen können — und seit der Errichtung unseres Generalkonsulats in Amsterdam ist das der Fall —, auch zu der so erwünschten Zusammenarbeit mit unseren Nachbarvölkern einen positiven Beitrag leisten können.
Es wird nun von großer Wichtigkeit sein, daß die Grenzbauern von der Möglichkeit, Entfeindungsanträge zu stellen, in weitem Umfange Gebrauch machen, wobei es den beteiligten Länderregierungen wohl unschwer möglich sein wird, im Rahmen von Notstands- und Stützungsmaßnahmen den Bauern, die hierzu selber nicht imstande sind und deren Prozesse nicht von vornherein aussichtslos erscheinen, die Kosten für die Durchführung des Verfahrens vorzustrecken. Dies ist mit den Ländern bereits besprochen.
Alles in allem bin ich überzeugt, daß sich bei gutem Willen auf beiden Seiten und unter Ausschaltung aller polemischen Gesichtspunkte auch in der Öffentlichkeit ein Weg zu einer einigermaßen befriedigenden Regelung dieser Angelegenheit wird finden lassen. Jedenfalls sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, von sich aus Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, daß die niederländische Regierung die alten Grenzvereinbarungen aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts offensichtlich nicht mehr angewendet wissen will. Weil wir auf eine befriedigende Lösung hoffen dürfen, wird die Bundesregierung den holländischen Grenzbauern, die Grundstücke auf deutschem Boden bewirtschaften, die Rechte und Privilegien aus den Traktatverträgen weiterhin gewähren.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat empfiehlt Ihnen: keine Aussprache, weder über die Interpellation noch über den Antrag. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Dann hätten wir, nachdem wir die Antwort der Regierung zur Kenntnis genommen haben, über die Drucksache Nr. 1665 Beschluß zu fassen, also über den Antrag, den Herr Abgeordneter Dr. Frey uns begründet hat. Er hat ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen, diesen Antrag nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern ihn hier sofort zu verbescheiden. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der KPD und die Fraktion der BP bitten, die beiden Anträge zu Punkt 12 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renner und Fraktion betreffend Kohlenlieferungen für Bayern aus der Tschechoslowakei und
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Etzel und Genossen betreffend Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft bei Ausfall tschechoslowakischer Kohle (Nr. 1793 der Drucksachen),
die heute noch auf der Tagesordnung stehen, von der Tagesordnung abzusetzen. Ist das Haus einverstanden? — Ja! Kein Widerspruch. Dann ist Punkt 12 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerwesen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Bertram und Genossen betreffend Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes .
Berichterstatter ist Kollege Dr. Höpker-Aschoff. Ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen und Herren! Die Einkommensteuerfreigrenze für Weihnachtsgratifikationen ist in der Lohnsteuerdurchführungsverordnung auf 100 DM festgesetzt. Auf Grund eines Beschlusses dieses Hauses hat seinerzeit der Herr Bundesfinanzminister dem Bundesrat vorgeschlagen, die Freigrenze auf 200 DM zu erhöhen. Dieser Vorschlag des Herrn Bundesfinanzministers ist vom Bundesrat einmütig abgelehnt worden. Daraufhin hat dieses Haus als Gesetzgeber die Frage aufgenommen und beschlossen, eine Änderung des Einkommensteuergesetzes durch Heraufsetzung der Freigrenze auf 200 DM durchzuführen. Dieser Gesetzesbeschluß des Bundestages ist wiederum einmütig vom Bundesrat abgelehnt worden. Es erhebt sich die Frage, ob wir den Vermittlungsausschuß anrufen sollen, wie es bei Zustimmungsgesetzen möglich wäre. Der Herr Präsident hat dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen die Frage vorgelegt, ob der Vermittlungsausschuß angerufen werden solle. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen schlägt Ihnen vor den Vermittlungsausschuß nicht anzurufen, weil im Hinblick auf den einmütigen Beschluß des Bundesrats die Anrufung keinen Erfolg verspricht. Da die Sache für dieses Jahr nicht mehr praktisch ist und höchstens für das nächste Jahr Bedeutung haben könnte, glauben wir, daß es richtig sein würde, wenn wir bei der kommenden Einkommensteuernovelle die Frage wieder aufnehmen und dann eine entsprechende Änderung des Einkommensteuergesetzes beschließen würden. Dahin geht der Vorschlag des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen. Ich bitte Sie, diesem Vorschlage beizutreten und zu beschließen, in diesem Fall von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Die Aussprache ist eröffnet. — Keine Wortmeldungen. Dann schließe ich die Aussprache.
Wer für die Annahme des Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Goetzendorff gemäß Schreiben des H. Boettcher, Judenhof, vom 14. Dezember 1950 (Nr. 1818 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Kollege Muckermann. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 14. Dezember 1950 richtete ein Privatkläger an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags den Antrag, die Immunität des Abgeordneten Goetzendorff aufzuheben. Als Grund wurde Beleidigung und Verleumdung angegeben. Der 3. Ausschuß hat sich am 13. Januar 1951 mit diesem Antrag beschäftigt.
Entsprechend den am 16. Oktober 1950 im Ausschuß beschlossenen Richtlinien, daß sich Privatkläger direkt an den Bundestag wenden können, hat der 3. Ausschuß einstimmig beschlossen, dem Antrag stattzugeben, da es sich nach den vorliegenden Unterlagen um eine schwere ehrenrührige Beleidigung handle, die zwar im Rahmen einer politischen Versammlung gefallen sei, aber inhaltlich keinerlei politischen Charakter trage. Ohne Aufhebung der Immunität seien die berechtigten Interessen des Beleidigten nicht zu wahren. Ich bitte deswegen das Hohe Haus, sich dem Antrag des Ausschusses anzuschließen und der Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Goetzendorff zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Berichterstattung gehört. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
— Das muß ich Ihnen überlassen, ob das lohnt oder nicht lohnt!
Wir werden jedenfalls darüber abstimmen.
Es ist der Antrag gestellt, die Immunität aufzuheben. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit.
— Die Immunität ist bei einer Gegenstimme aufgehoben.
Ich rufe auf Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dorls gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 12. Dezember 1950 (Nr. 1819 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kahn. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in seiner vorletzten Sitzung einstimmig den Beschluß gefaßt, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Immunität des Abgeordneten Dr. Doris aufzuheben.
Der Immunitätsausschuß hat sich in der fraglichen Angelegenheit — es handelt sich hier um die Übertretung der Straßenverkehrsordnung — vor einem halben Jahr für einen anderen Entscheid festgelegt. Damals lehnte der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität die Aufhebung der Immunität des Kollegen Dr. Dorls ab. Nun hat der Herr Bundesminister der Justiz mit Schreiben vom 12. Dezember 1950 dem Herrn Bundestagspräsidenten die Anzeige der zuständigen Polizeibehörde und den Gerichtsakt des Amtsgerichts Königswinter nochmals mit den einschlägigen Akten vorgelegt und gebeten, daß der hierfür zuständige Ausschuß sich nochmals mit der Angelegenheit der Übertretung der Straßenverkehrsordnung seitens des Kollegen Dr. Dorls beschäftigen möge. In der Zwischenzeit hat der Immunitätsausschuß seine Auffassung hinsichtlich der Immunitätsaufhebung bei Verkehrsübertretungen durch Mitglieder dieses Hauses geändert. Der Ausschuß kam nach eingehenden Beratungen vor einigen Monaten zu der einmütigen Auffassung, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages bei Verkehrsübertretungen keine Sonderrechte oder Sondervorschriften genießen und erhalten können.
Der Abgeordnete Dr. Dorls hat laut dem vorliegenden Gerichtsakt am 19. Januar 1950 in Honnef auf der Hauptstraße nachts unbeleuchtet geparkt. so daß der Tatbestand einer vorsätzlichen Gefährdung vorlag. Der Kriminalpolizeibehörde in Bonn gegenüber hat der Abgeordnete Dr. Doris erklärt, daß er die Angabe seiner Personalien verweigere und daß er für derartige Kleinigkeiten keine Zeit habe. Dem Ausschuß übergab der Abgeordnete Dr. Doris kürzlich eine Aktennotiz, aus der hervorgeht, daß ihm nicht bekannt sei, daß von seiten der Polizei ein Antrag wegen Verkehrsübertretung gestellt wäre, und daß er unverzüglich nach Kenntnisnahme der Angelegenheit mit der Polizei in Verbindung treten wolle, um die strittige Angelegenheit zu regeln.
Dem Ausschuß ist bis heute nicht bekannt, daß der Abgeordnete Dr. Dorls die strittige Angelegenheit geregelt hat. Deshalb bittet der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität laut einstimmig gefaßtem Beschluß, das Hohe Haus wolle beschließen: die Immunität des Abgeordneten Dr. Dorls ist aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Sie haben den Antrag gehört. Ich eröffne die Aussprache. — Herr Abgeordneter Goetzendorff wünscht das Wort.
— Sie können mir ja nachfolgen, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur kurz auf etwas hinweisen. Wenn wir der jetzt eingeschlagenen Übung folgen und die Immunität in allen Fällen aufheben, wo ein Abgeordneter mit dem Wagen falsch geparkt hat, dann, glaube ich, belasten wir die Arbeit des Bundestages in einer unnötigen Weise.
— Warum ereifern Sie sich denn? Es ist doch so: wenn wir jetzt 10 oder 15 Minuten debattieren und den Ausschuß damit befassen, weil einer an seinem Wagen kein Rücklicht hat, dann, glaube ich, kostet das soviel Geld, wie wir es gar nicht verantworten können. Es ist geradezu lächerlich, die Immunität aufzuheben, wenn es sich um leichte Verkehrsübertretungen handelt. Man soll nicht danach gehen, w e r hier zur Debatte steht, sondern sich diese Dinge grundsätzlich überlegen, ehe man diese Übung einreißen läßt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Ausschußantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen zwei Stimmen angenommen. Die Immunität ist aufgehoben.
Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Renner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 13. Dezember 1950 (Nr. 1820 der Drucksachen).
Zur Berichterstattung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Abgeordnete Renner soll am 28. Januar 1950 auf der Kraftwagenstraße Bonn-Köln über den weißen Strich zwischen den Kilometersteinen 11,1 und 10,9 bei Urfeld gefahren sein.
Herr Abgeordneter Richter, Sie können sich der Beschäftigung dadurch entziehen, daß Sie den Raum verlassen. Das steht Ihnen völlig frei. Ich bitte, die Arbeit des Bundestages nicht zu unterbrechen.
Die Anzeige des Polizeibeamten ist über das Amtsgericht in Königswinter zunächst unmittelbar an den Bundestag gelangt. Sie wurde damals vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität wegen Nichtbeachtung des Dienstweges zurückgegeben. Nunmehr ist der Antrag ordnungsgemäß über den Bundesjustizminister dem Ausschuß vorgelegt worden.
Der Ausschuß hat in Anwendung seiner Praxis, daß die Immunität eines Abgeordneten im Falle der Beschuldigung einer Ordnungswidrigkeit im Verkehr nicht in Anspruch genommen werden soll, beschlossen, dem Hause die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Renner zu empfehlen.
Hieran ist allerdings die Bemerkung zu knüpfen, daß damit der Stand des Verfahrens bis auf den Zeitpunkt der Anzeige durch den Polizeibeamten zurückzuversetzen ist. Denn eine Verfolgung — also Abgabe an das Amtsgericht Königswinter — war ja ohne Aufhebung der Immunität gemäß Art. 46 des Grundgesetzes nicht zulässig. Es muß nunmehr festgestellt werden, ob und an welcher Stelle der Abgeordnete Renner über den Strich gefahren ist.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses in Drucksache Nr. 1820 zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen. Die Immunität ist aufgehoben.
Punkt 18 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Schmidt (Niedersachsen) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 21. Dezember 1950 (Nr. 1821 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Dr. Mende
Dr. Mende , Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität lag ein Schreiben des Herrn Bundesministers der Justiz vom 21. Dezember 1950 vor, des Inhalts, eine Entscheidung über die Immunität des Abgeordneten Dr. Schmidt (Niedersachsen) herbeizuführen.
Dem Bericht des Oberstaatsanwalts des Landgerichts Hannover lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach dem Bericht des Motorisierten Verkehrs-Überwachungskommandos Hameln beim Polizeiabschnitt Süd im Polizeibezirk Hannover-Land vom 10. August 1950 ist der landwirtschaftliche Gehilfe Hermann Zeller am 5. August 1950 als Fahrer der Zugmaschine BN 32 — 2582, Höchstgeschwindigkeit 19,6 km/h, auf der Landstraße zwischen Amelgatzen und Hämelschenburg angetroffen worden, ohne daß er einen Führerschein besitzt. Zeller gibt an, daß er die Zugmaschine auf ausdrückliche Anordnung seines Arbeitgebers, des Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Schmidt in Gellersen, geführt habe, obwohl diesem bekannt sei, daß er, Zeller, keinen Führerschein besitze.
Nach Meinung des Herrn Oberstaatsanwalts kommt ein strafbares Verhalten des Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Schmidt auf Grund der §§ 2, 24 des Kraftfahrzeuggesetzes vom 3. Mai 1909 und der §§ 4, 5, 71 der Straßenverkehrszulassungsordnung vom 13. November 1937 in Frage. Ich darf Ihnen vielleicht, da es sich ja um nicht gerade sehr bekannte Paragraphen handelt, kurz die Strafbestimmungen bekanntgeben.
Herr Abgeordneter, die Damen und Herren des Hauses scheinen die Bestimmungen zu kennen.
Es ist aber vielleicht doch wichtig, diese Bestimmungen zur Kenntnis des Hauses zu bringen; denn zur Beurteilung ist es notwendig. Es handelt sich um den § 24 des Gesetzes, in dem es heißt:
Mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft wird der Halter eines Kraftfahrzeugs, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig eine Person zur Führung des Fahrzeugs bestellt oder ermächtigt, die sich nicht durch einen Führerschein ausweisen kann oder der die Fahrerlaubnis entzogen ist.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hatte vor längerer Zeit die Regel aufgestellt, und das Plenum hatte vollinhaltlich zugestimmt, daß bei Verkehrsdelikten die Immunität grundsätzlich aufgehoben werden sollte.
Dementsprechend beschloß der Ausschuß, Ihnen die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Schmid zu empfehlen.
Der vorliegende Fall hat bereits in der sich vor wenigen Wochen spontan entwickelnden Grundsatzdebatte durch den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität, Abg. Ritzel, Erwähnung gefunden. Ich glaube, erneut wiederholen zu müssen — weil hier doch auch über das Problem des Art. 46 des Grundgesetzes einige verschiedene Meinungen geherrscht haben —, daß die landläufig vertretene Auffassung, der Abgeordnete sei durch die Immunität faktisch besser gestellt als jeder übrige Staatsbürger, falsch
ist. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Ich glaube, dieser Fall des Abgeordneten Dr. Schmidt gibt Anlaß, darüber zu sprechen. Während nämlich jede Bagatellsache bei jedem anderen Staatsbürger auch nicht den geringsten Anlaß zu irgendwelchen öffentlichen Diskussionen gibt, führt auf Grund des Art. 46 des Grundgesetzes auch eine solche Bagatellsache zwangsläufig zu einer Erörterung des Falles in der Öffentlichkeit dieses Hauses. Dabei ist es nicht ganz zu vermeiden, daß der falsche Eindruck einer möglichen Schuld hervorgerufen wird, obwohl es nicht Sache dieses Hauses ist, in eine materielle Würdigung des Sachverhalts einzutreten.
Ich wage daher auf Grund des vorliegenden Falles Dr. Schmidt die Frage aufzuwerfen, ob nicht durch diese Regelung der Abgeordnete in Wirklichkeit schlechter gestellt ist, indem er bei jedem Deliktvorwurf auch der geringfügigsten Art hier in der breitesten Öffentlichkeit zitiert wird und so die Gefahr einer Mißdeutung entsteht.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Dr. Reismann hat sich zum Wort gemeldet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Übertretungen und ähnlichen Vergehen, wie sie hier vorliegen, beschäftigt man nicht einmal Amtsrichter, sondern meist erledigt das der Polizist auf der Straße durch eine gebührenpflichtige Verwarnung von einer, zwei oder drei Mark.
Daß wir uns hier schon seit längerer Zeit mit solchen Angelegenheiten von Abgeordneten befassen, ist ein ganz grober Mißbrauch, und ich frage: Wie kommt eigentlich die Staatsanwaltschaft XYZ auf den Gedanken, der Bundestag sei dazu da, sich mit solchen Bagatellen zu befassen?
Ich bitte, hier zum Ausdruck bringen zu dürfen, daß der Herr Bundesjustizminister ersucht werden soll, auf die Länderjustizminister einzuwirken, daß dieser grobe Unfug aufhört.
Dazu sind wir nicht da, und dafür haben wir auch keine Zeit!
Herr Abgeordneter Dr. von Brentano!
Meine Damen und Herren! Ich bedauere, Herrn Kollegen Dr. Reismann widersprechen zu müssen. Wenn der Abgeordnete auf der falschen Straßenseite geparkt hat — das ist mir auch schon passiert —, dann sollte er seine 7 DM bezahlen, und die Sache wäre ausgestanden.
Es liegt an uns, daß wir das Parlament nicht wegen einer solchen Bagatelle mißbrauchen
und einige Stunden darüber diskutieren.
Diskutieren wir doch nicht über derartige Dinge,
sondern sagen wir Wenn ein Mann auf der fal-
schen Straßenseite gefahren ist, soll er in Gottes Namen seine 7 DM bezahlen, ohne Rücksicht darauf, ob er Abgeordneter ist oder nicht. Dann ersparen wir uns die Entscheidungen und Diskussionen dieser Art.
Herr Abgeordneter Dr. Schmid!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich für meinen Teil bedauere, meinem verehrten Kollegen von Brentano widersprechen zu müssen.
Der Abgeordnete kann die 7 DM nicht bezahlen; denn wenn er sie bezahlt, verzichtet er ja auf seine Immunität, was er nicht darf!
Die gebührenpflichtige Verwarnung ist ja schon Teil eines Verfahrens; und ein Verfahren kann nur stattfinden, wenn dieses Hohe Haus die Immunität aufgehoben hat. Es ist natürlich klar, daß es ein vollkommener Unfug ist.
daß man über solche Dinge diskutieren muß. Aber, meine Damen und Herren, die Ehrfurcht vor unserem Grundgesetz zwingt uns dazu.
Im Grundgesetz steht es nun einmal so, und das gebietet, daß wir in jedem dieser lächerlichen Fälle die Immunität aufheben müssen.
— Das ist eine andere Sache. Auch der Staatsanwalt kann nicht wegen Geringfügigkeit einstellen! Das setzt auch ein Verfahren voraus, und das kann er erst einleiten, wenn wir zugestimmt haben.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten uns nicht über die Auslegung der Verfassung streiten. Die Sache ist so, wie sie ist. Wir sollten künftig solche Fälle in zehn Sekunden über die Bühne gehen lassen.
Aber offenbar nur künftig; denn jetzt hat Herr Abgeordneter Ritzel noch ums Wort gebeten.
Meine Damen und Herren! Ich bedauere sehr, meinem verehrten Fraktionskollegen Herrn Professor Schmid widersprechen zu müssen,
und zwar aus folgendem Grunde. Wenn das ersehnte vereinfachte Verfahren wegen Verkehrsdelikten in der Ausstellung eines polizeilichen Strafzettels bestünde, dann wäre diese Ausstellung eines Strafzettels noch keine Verletzung von Art. 46 des Grundgesetzes.
Erst dann, wenn der Abgeordnete Schwierigkeiten macht,
wenn er sich weigert, tritt der Fall der Inanspruchnahme der Immunität ein. Ich gestehe Ihnen, daß ich einer Reihe von Mitgliedern dieses Hohen Hauses aus Vernunft empfohlen habe: Zahlen Sie Ihren Strafzettel!
Aber ich möchte ein bekanntes Wort abwandeln und es an die Adresse des Herrn Bundesjustizministers mit der Bitte um Weitergabe an alle Polizeiminister der Länder richten: Ihr Herren, laßt's genug sein des grausamen Spiels, beendet die Dinge damit; wenn ein Abgeordneter dieses Hohen Hauses ein Verkehrsdelikt auf sich geladen hat, .dann gebt ihm einen Strafzettel! Dann ist die Möglichkeit gegeben, daß er zahlt, wenn er sich im Unrecht fühlt; wir hören dann nichts davon. Erst dann, wenn er sich im Recht fühlt, haben wir uns damit zu befassen.
Ich schließe diese zweifellos gehaltvolle Aussprache und komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, die Immunität des Abgeordneten Dr. Schmidt aufzuheben. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Wiederholung der Abstimmung. Wer ist für Aufhebung der Immunität? — Das ist die Mehrheit.
Ich rufe auf Punkt 19 der Tagesordnung: Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Mayer (Stuttgart) gemäß Schreiben des Justizministers Württemberg-Baden vom 20. Dezember 1950 (Nr. 1822 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Ritzel.
Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich ausnahmsweise um kein Verkehrsdelikt, sondern um eine Sache, die das Hohe Haus bereits in der Sitzung vom 18. Oktober vorigen Jahres beschäftigt hat. Es ist der Antrag eines Mannes, der sich beleidigt fühlt, und zwar ist es eine Beleidigung politischen Charakters. Der Bundestag hat am 18. Oktober 1950 die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Mayer abgelehnt.
Nun ging beim Herrn Bundestagspräsidenten ein Brief der Herren Rechtsanwälte Buschert, Pichler, Aichler und Fuchs aus Stuttgart ein, worin gesagt wird, daß die Immunität des Herrn Abgeordneten Mayer doch aufgehoben werden solle, weil erneut eine Privatklage wegen Beleidigung, aber in der alten Sache, erfolgt sei. Ich zitiere:
Herr Dr. Konstantin Beck
— das ist der Beleidigte —
war bereits gezwungen, am 24. März 1950 eine Privatklage wegen Beleidigung beim Friedensgericht in Stuttgart gegen den Bundestagsabgeordneten Mayer anhängig zu machen. Die Immunität des Herrn Mayer wurde jedoch in der 92. Sitzung nicht aufgehoben. Es geht aber nicht an, daß ein Bundestagsabgeordneter unter dem Schutz der Immunität weiter eine schwerste ehrenkränkende Beleidigung gegen Herrn Dr. Beck schriftlich vorbringt.
Der Ausschuß hat sich mit der Angelegenheit befaßt. Nach Kenntnisnahme der Akten hat er einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause zu empfehlen, mit Rücksicht darauf, daß es sich um eine Beleidigung politischen Charakters handelt, die Aufhebung der Immunität nicht Platz greifen zu lassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung.
Es ist beantragt, die Immunität des Abgeordneten Mayer nicht aufzuheben. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der erweiterten heutigen Tagesordnung.
Ich habe folgendes bekanntzugeben: erstens daß die Sitzung des Ausschusses für Heimatvertriebene im Sitzungszimmer der CDU-Fraktion und nicht im Bürgerverein stattfindet, zweitens daß die für heute vorgesehene Besprechung der unfallgeschädigten Abgeordneten zum Thema Versicherungsschutz ausfällt. Neuer Termin wird bekanntgegeben. Drittens: Die Jahreshauptversammlung der Europäischen Parlamentarischen Union fällt heute aus und wird auf nächste Woche verschoben.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 31. Januar, 13 Uhr 30 und schließe die 114. Sitzung des Deutschen Bundestags.