Finden sich 50 Mitglieder des Hauses? — Verzeihung, der Herr Minister will die Interpellation beantworten.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem, das durch die Interpellation Drucksache Nr. 1666 und die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Frey aufgerollt worden ist, beschäftigt die Bundesregierung beinahe seit ihrem Bestehen. Bereits am 14. November 1949 haben wir es der Alliierten Hohen Kommisision gegenüber zur Sprache gebracht. Wir haben gebeten, die Alliierte Hohe Kommission möge sich der niederländischen Regierung gegenüber in dieser Sache für den deutschen Standpunkt einsetzen und zunächst einmal einen Aufschub der Liquidation der deutschen Bauerngrundstücke erwirken.
Wie wir bereits in unserer Beantwortung der Anfrage Nr. 63 dem Hohen Hause am 12. April 1950 mitgeteilt haben, ist diese Bitte von der Alliierten Hohen Kommission mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß die von der niederländischen Regierung ergriffenen Maßnahmen durch die Potsdamer Beschlüsse und das Pariser Reparationsabkommen gedeckt seien und ihre Rechtmäßigkeit daher nicht in Zweifel gezogen werden könne.
Mit dieser Antwort stehen wir aber bereits im Mittelpunkt der Frage. Die niederländische Regierung betrachtet diese Grenzgrundstücke in der Tat als einen Teil des auf ihrem Boden gelegenen deutschen Vermögens und fühlt sich daher berechtigt, es nach den Bestimmungen zu verwerten, die auf der Konferenz von Potsdam und durch die am 14. Januar 1946 in Kraft getretenen Beschlüsse der Pariser Reparationskonferenz festgelegt worden sind. Den deutschen Bauern ist aus diesem Grunde seit Kriegsende das Betreten und die Bewirtschaftung ihrer jenseits der Grenze gelegenen Grundstücke verwehrt. Die Liegenschaften sind der Verwaltung der holländischen Beheers-Institute unterstellt mit dem Ziel, die Liquidation zugunsten niederländischer Erwerber durchzuführen. Mit diesen Liquidationen ist auch bereits begonnen worden. Nach den neuesten Informationen scheint bereits ein Drittel verkauft zu sein. Bezüglich des Restes sollen in vielen Fällen die Vorverhandlungen über Verkäufe weit fortgeschritten sein.
Ich darf an dieser Stelle ganz offen zum Ausdruck bringen: Der Bundesregierung scheint die Heranziehung des privaten deutschen Auslandsvermögens zur Deckung der Reparationsverpflichtungen allgemein eine Maßnahme zu sein, die, mag sie auch in ähnlicher Form bereits im Versailler Vertrag ergriffen worden sein, mit dem überkommenen Völkerrecht nicht in Einklang steht
und zu schwerwiegenden Bedenken Veranlassung gibt. Ganz besonders deutlich aber wird es bei den genannten Grenzgrundstücken, wie verhängnisvoll die Folgen einer solchen Mißachtung des Privateigentums sein müssen; denn bei diesen Grundstücken handelt es sich fast ausschließlich um erst zu Anfang des letzten Jahrhunderts als Folge von Grenzverschiebungen in das holländische Staatsgebiet gelangten bäuerlichen Besitz. Seine ungestörte Bewirtschaftung seitens der deutschen Eigentümer wurde durch feierliche, bis 1945 unangetastete Staatsverträge aus den Jahren 1815/16 und 1824 gewährleistet. In genau derselben Weise erlaubten und sicherten diese Verträge auch die Bewirtschaftung der Grundstücke, die, an der Grenze auf deutschem Boden gelegen, Niederländern gehören und durch sie von den Niederlanden aus bewirtschaftet werden.
Es ist deshalb durchaus verständlich, daß es zu schwerer Erbitterung unter den betroffenen deutschen Bauern im ganzen Grenzgebiet führt, wenn einseitig durch die Enteignung ihrer Grundstücke in altüberkommene, vertraglich gesicherte Verhältnisse eingegriffen wird.
Ich bedauere diese Entwicklung deshalb ganz besonders, weil es sich um ein Grenzgebiet handelt, in dem seit jeher die engsten freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen beiderseits der Grenze bestanden haben. Für die Bevölkerung dort war die Grenze keine Scheidelinie. Die Beziehungen gingen hinüber und herüber, und diese Sachlage fand in dem Übergreifen des Grundbesitzes über die Grenze hinaus einen durchaus angemessenen Ausdruck.
Noch aus einem anderen Grund ist die Entwicklung sehr zu bedauern; hierauf hat der Herr Abgeordnete Dr. Frey mit Recht nachdrücklich hingewiesen. In einem sehr großen Prozentsatz der Fälle trifft die Beschlagnahme und der Verkauf der auf niederländischem Boden gelegenen Grundstücke kleine Bauern und diese oft so, daß der überwiegende Teil ihres Grundbesitzes verlorengeht. Vielfach reicht die ihnen verbleibende Fläche nicht mehr zur Ernährung der Familie aus. Die auf deutschem Boden gelegenen Wirtschaftsgebäude werden wertlos. Es droht Verelendung. Ich brauche es nicht im einzelnen auszuführen, wie verhängnisvoll eine solche Entwicklung gerade im Grenzgebiet sein muß.
Auf die Frage, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um den betroffenen Bauern ihre jenseits der Grenze gelegenen Grundstücke zu erhalten, darf ich folgendes antworten.
Weite, namentlich kirchliche Kreise diesseits und jenseits der Grenze sind, wie der Abgeordnete Dr. Frey als einer der Hauptbeteiligten in dankenswerter Weise hervorgehoben hat, seit langer Zeit darum bemüht, den Boden für eine befriedigende Lösung zu lockern. Dank dieser verständnisvollen Vorarbeit besteht nach unserem Eindruck doch die Möglichkeit, diese Frage unter Beiseitelassung von Erörterungen über die Rechtmäßigkeit der niederländischen Maßnahmen mit der niederländischen Regierung zu besprechen. Ich habe deshalb der niederländischen Regierung unseren Standpunkt zunächst in einem Memorandum schriftlich dargelegt. Auf die Einzelheiten dieser Fühlungnahme möchte ich heute nicht eingehen. Wir hoffen aber mit guten Gründen, daß wir bald der Öffentlichkeit konkrete Mitteilungen werden machen können. Die Frage ist am 14. Dezember 1950 und am 17. Januar 1951 in der niederländischen Kammer behandelt worden, und ich darf mit Befriedigung feststellen, daß sowohl der niederländische Justizminister als auch der niederländische Außenminister sich in einer Weise geäußert haben, die ich nur mit Dank zur Kenntnis nehmen kann.
Ich darf aus den Ausführungen des niederländischen Außenministers die folgenden Sätze herausgreifen:
Ich habe die Frage schon mehrere Male mit meinen Amtskollegen, die mit der Durchführung des Beschlusses über das Feindvermögen beauftragt sind, besprochen. Hierbei ist wiederholt der besondere Charakter dieses Besitzes, der durch die Eigenart seiner Entstehung nicht ganz mit den übrigen in den Niederlanden beschlagnahmten Vermögen gleichgestellt werden kann, behandelt worden. Es erwies sich jedoch nicht als möglich, diesen Besitz ohne weiteres aus der Beschlagnahme auszunehmen, da dies im Gegensatz zu den Verpflichtungen stünde, die die Niederlande in den Reparationsabkommen eingegangen sind. Ich habe aber mit Befriedigung den Beschluß der fünf beteiligten Minister begrüßt, der besagt, daß bezüglich der Entfeindung in diesen Fällen eine mildere Regelung angewandt werden wird. Ich bin der Meinung, daß damit in nicht geringem Grade den Wünschen der deutschen Bauern entgegengekommen wurde, die zweifellos ernstlich durch die in Frage kommenden Maßnahmen betroffen werden. Das gilt für die Fälle, in denen der beschlagnahmte Besitz einen Hauptbestandteil des ganzen, oft kleinen Bauernhofes bildet.
Soweit der niederländische Außenminister.
Der niederländische Justizminister hat in der Kammer am 14. Dezember 1950 angedeutet, daß die Niederlande in einer anderen Weise schadlos gehalten werden könnten. Diese Möglichkeit wird von uns geprüft werden. Der einfachste Weg wäre, daß die niederländische Regierung den Grenzbauern gestattet, ihre Grundstücke zurückzukaufen. Wie sich das in der Praxis durchführen ließe, würde, die niederländische Bereitschaft vorausgesetzt, Gegenstand unserer eingehenden Überlegungen sein müssen.
Diese Ausführungen werden Ihnen zeigen, daß der Weg zu einer befriedigenden Regelung der Frage nicht länger verschlossen ist. Ich stelle das mit um so größerer Befriedigung fest, als der Einzelfall zeigt, daß wir da, wo wir unsere eigenen Angelegenheiten mit anderen Regierungen unmittelbar besprechen können — und seit der Errichtung unseres Generalkonsulats in Amsterdam ist das der Fall —, auch zu der so erwünschten Zusammenarbeit mit unseren Nachbarvölkern einen positiven Beitrag leisten können.
Es wird nun von großer Wichtigkeit sein, daß die Grenzbauern von der Möglichkeit, Entfeindungsanträge zu stellen, in weitem Umfange Gebrauch machen, wobei es den beteiligten Länderregierungen wohl unschwer möglich sein wird, im Rahmen von Notstands- und Stützungsmaßnahmen den Bauern, die hierzu selber nicht imstande sind und deren Prozesse nicht von vornherein aussichtslos erscheinen, die Kosten für die Durchführung des Verfahrens vorzustrecken. Dies ist mit den Ländern bereits besprochen.
Alles in allem bin ich überzeugt, daß sich bei gutem Willen auf beiden Seiten und unter Ausschaltung aller polemischen Gesichtspunkte auch in der Öffentlichkeit ein Weg zu einer einigermaßen befriedigenden Regelung dieser Angelegenheit wird finden lassen. Jedenfalls sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, von sich aus Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, daß die niederländische Regierung die alten Grenzvereinbarungen aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts offensichtlich nicht mehr angewendet wissen will. Weil wir auf eine befriedigende Lösung hoffen dürfen, wird die Bundesregierung den holländischen Grenzbauern, die Grundstücke auf deutschem Boden bewirtschaften, die Rechte und Privilegien aus den Traktatverträgen weiterhin gewähren.