Rede von
Hans
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu. Aber in Ergänzung des Berichtes möchte ich sagen, daß zwischen den Sozialpartnern, d. h. in diesem Falle der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, die ich zu repräsentieren die Ehre habe, und der Hauptverwaltung der Bundesbahn, das Abkommen vom 14. Februar des vergangenen Jahres über die Regelung der Arbeitszeit und damit die Hintanhaltung von Entlassungen am vergangenen Mon-
tag um zwei Monate verlängert wurde, d. h. daß die Gefahr von Entlassungen für diese Zeit zumindest gebannt ist. Wir hoffen aber, daß in diesen zwei Monaten, in denen die Verhandlungen weitergeführt werden sollen, endlich das Problem der Arbeitszeit geregelt werden wird. Denn bis heute arbeiten noch 80 000 Eisenbahner kurz, während, wie ich über den Rundfunk hörte, in der mit Aufträgen der Bundesbahn versehenen Privatindustrie, in der Waggonbauindustrie allein im Monat Dezember des vergangenen Jahres pro Kopf 70 Überstunden geleistet worden sind.
Das geht nicht.
Ich hoffe, daß es auch den Beifall des Hohen Hauses findet, wenn ich der Erwartung Ausdruck gebe, es müsse angesichts der steigenden Preise in kürzester Frist möglich sein, den Lohnausfall von drei Stunden pro Woche auch für Eisenbahner durch Wiedereinführung der 48-Stunden-Woche wieder auszugleichen. Das ist das eine.
Aber in diesem Zusamenhange fühle ich mich veranlaßt, auch auf die Frage des West-Berliner Eisenbahnerstreiks noch einmal zurückzukommen.
Es war am 16. Juni 1948, als sich die Eisenbahner von West-Berlin der unabhängigen Gewerkschaftsopposition anschlossen, d. h. das Joch des kommunistischen Diktators abschüttelten. Aber allein die Mitgliedschaft in dieser Organisation war schon Ursache für Massenentlassungen bei den Eisenbahnern.
Darum traten am 20. Mai 1949 die West-Berliner Eisenbahner in den Streik. Sie streikten dafür, daß die Löhne und Gehälter, die bis dahin nur zu 60 % von Ost- in Westgeld umgewechselt wurden, zu 100 % umgewechselt werden sollten. Sie streikten für Koalitionsfreiheit, und sie streikten dafür, daß keine Maßregelungen nach Abschluß des Streiks stattfinden dürften. Der Streik hat 38 Tage gedauert, und die 13 000 West-Berliner Eisenbahner haben die SMA, die sowjetische Militäradministration, auf die Knie gezwungen.
Diese hat einen Vertrag unterschrieben, aber sie hat diesen am anderen Tag bereits wieder gebrochen,
und so wurden 1400 West-Berliner Eisenbahner im „Lande der Freiheit" gemaßregelt.
Jetzt haben rund 500 Eisenbahner in Prozessen vor dem Arbeitsgericht in West-Berlin gestanden, und es sind von den West-Berliner Eisenbahnern obsiegende Urteile — es handelte sich um Lohnforderungen in Höhe von 583 000 Mark — errungen worden. Die Reichsbahndirektion Berlin weigert sich, diese Urteile anzuerkennen und das Geld auszuzahlen.
Es ist deshalb nach meinem Dafürhalten an der Zeit, daß den West-Berliner Eisenbahnern, da von dieser Seite Gerechtigkeit nicht erwartet werden kann,
von einer anderen Stelle, d. h. von einer Stelle der Bundesregierung geholfen wird.
Ich habe mich an die zuständige Stelle gewendet, und ich darf — mit Zustimmung des Herrn Präsidenten — den Brief des Herrn Bundeskanzlers Adenauer verlesen. Er lautet:
Sehr geehrter Herr Jahn!
Die Notlage der West-Berliner Eisenbahner habe ich seit längerer Zeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Um wirksame Abhilfe zu erreichen, habe ich zunächst den Herrn Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gebeten, die Federführung zu übernehmen, da bisher mehrere Bundesminister mit der Sache befaßt waren. Weiter habe ich den Herrn Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin beauftragt, auf den Magistrat von Groß-Berlin dahin einzuwirken, daß er im Rahmen des Verwaltungsabkommens mit der Bundesrepublik die notwendigen Hilfsmaßnahmen durchführt. Wie mir mitgeteilt wird, hat daraufhin der Magistrat von GroßBerlin am 27. 9. 1950 Hilfsmaßnahmen beschlossen. Danach erhalten die ehemaligen Beamten, Angestellten und Arbeiter der frühe ren Deutschen Reichsbahn und ihre Witwer und Waisen, soweit sie Renten aus der Sozialversicherungskasse des Landes Brandenburg erhalten, eine Soforthilfe. Damit ist für die wohl am meisten notleidenden Kreise eine fühlbare Hilfe geschaffen.
Ich bin mir bewußt. daß hiermit noch nicht alle berechtigten Wünsche der betroffenen West-Berliner Eisenbahner erfüllt sind. Es wird daher das Bestreben der Bundesregierung bleiben, nach Möglichkeit weitere Hilfsmaßnahmen zu erreichen.
Mit vorzüglicher Hochachtung.
Die Hilfsmaßnahmen für die Rentner waren auf drei Monate befristet, sie sind ausgelaufen. Für die Erfüllung der anderen berechtigten Forderungen der West-Berliner Eisenbahner ist bis heute noch nichts geschehen. Ich stelle das ausdrücklich, und zwar mit tiefem Bedauern, fest. Diese Leute haben für die Freiheit gekämpft. Wenn sie im Stich gelassen werden, dann hat das schlimmste Auswirkungen auf die Moral derjenigen, die noch einmal für die Freiheit kämpfen sollen.
— Vielleicht ist Karlshorst ein besserer Ausdruck für das, was unter Unfreiheit zu verstehen ist.