Dann ist es vielleicht noch schlimmer, wenn wir uns nicht einmal als Klippschüler bezeichnen können, also noch unter ihnen rangieren. Aber ich wollte damit andeuten, daß uns immer noch weitgehend die Möglichkeiten verbaut sind, d i e demokratische Ordnung zu praktizieren, die notwendig ist. Wir sollten deshalb jede Gelegenheit beim Schopfe greifen, um von uns aus in der Praxis Unzulänglichkeiten auszugleichen.
Von den Gemeinden darf gesagt werden, daß sie die Nahtstelle zwischen Staat und Volk darstellen und daß sie den Bürger in eine lebendige, einsehbare, mit Augen und Händen greifbare Beziehung zu den öffentlichen Aufgaben bringen. Wenn gelegentlich je nach dem Standort der Betrachtung von der unwürdigen Rolle des Bundes oder der Länder als Kostgänger gesprochen wird, so ist dazu zu sagen: den Gemeinden fällt trotz der wesentlichen Steigerung ihrer Aufgaben, die sich aus Kriegs- und Nachkriegszeit ergeben, nur eine streng gesiebte Dosis von Brosamen zu. Sie sind auf die Stufe von Bettlern herabgesunken und müssen darauf achten — und wir alle sollten ihnen dabei helfen —, daß die geringen Rechte, die ihnen zugestanden sind, nicht nur gewahrt, sondern auch verteidigt werden können. Gerade bei der Gründung eines föderalistisch aufgebauten Staatssystems hätte es einen Anlaß gegeben, eine stärkere Fundierung und auch eine stärkere Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz vorzunehmen. Man hat jedoch bei der Stufung der Ebenen den Ländern die Kompetenz im Sachlichen und Finanziellen gegeben; immerhin hat man wenigstens im Art. 28 des Grundgesetzes eine klare und unmißverständliche Verpflichtung statuiert, die implizite eine institutionelle Garantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände darstellt.
Um diese Bestimmung des Art. 28 geht es bei dem Antrag meiner Freunde, den ich hier zu vertreten habe. Es mag zugegeben werden, daß es sich bei der Verfassungsbestimmung des Art. 28 um kein direkt ausgesprochenes Grundrecht handelt; dennoch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Art. 28 in der Wirkung eine Garantieerklärung enthält, insoweit also das Recht der Selbstverwaltung wie ein Grundrecht wirkt. Wie soll denn im übrigen, praktisch gesprochen, der Abs. 3, der den Bund zur Wahrung dieser Garantie auffordert und ermächtigt, ja mehr als das: verpflichtet, überhaupt anders verstanden werden können als in der Weise, daß neben anderen Möglichkeiten auch die Möglichkeit eröffnet wird, beim Verfassungsgerichtshof die Verletzung dieser Bestimmungen geltend zu machen? Ich brauche Ihnen den Wortlaut des Art. 28 nicht im einzelnen zu verlesen, weil ich der Auffassung bin, daß das Grundgesetz mindestens den Abgeordneten diese Hauses inzwischen in Fleisch und Blut eingegangen ist.
Es ist so, daß der Abs. 3 des Art. 28 — ich sagte es schon — dem Bunde die Verpflichtung auferlegt, dafür Sorge zu tragen, daß die Selbstverwaltung in den Gemeinden und Gemeindeverbänden tätig werden kann. Wenn man sich fragt, wie der Bund diese Dinge praktizieren könne, so ist zu antworten, daß dem B u n d natürlich die Möglichkeit bleibt, etwa beim Verfassungsgerichtshof eine Klage anzustrengen, mit der er die Aufhebung von Ländergesetzen, ihre Erklärung als verfassungswidrig verlangt. Es bleibt dem Bund auch im Ernstfall die Möglichkeit der Bundesexekution. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden aber ist ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung keinerlei Möglichkeit an die Hand gegeben, sich gegen Willkür, etwa von Landesgesetzgebern, beim Bundesverfassungsgericht zur Wehr zu setzen. Ich sagte, der Bund kann mit den Mitteln der Bundesexekution vorgehen. Aber nicht auf diesen nie vorkommenden klaren, sondern auf den oft vorkommenden unklaren Fall kommt es an. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtshofes ist ein echter Akt der Gewährleistung — die der Bund im Grundgesetz übernommen hat —, der in irgendeiner Weise auch durch die Gemeinden und Gemeindeverbände praktiziert werden muß. Im Art. 28 ist — ich sagte es schon — eine Art Grundrecht statuiert, eine institutionelle Garantie, und wenn dem so ist, dann muß es für Gemeinden und Gemeindeverbände den Weg geben, sich auf diese Garantie zu berufen, die in ihrem innern Kern Grundrechtscharakter hat.
Ich bitte also, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion die Beachtung zu zollen, die ihm gebührt, und sich dabei darüber klar zu sein, daß
es keinerlei andere als allgemeinpolitische, als Erwägungen der Sorge gibt, die uns zu diesem Antrag bewogen haben.
Lassen Sie mich abschließend an einigen wenigen Beispielen praktisch sichtbar machen, wie notwendig die von uns begehrte Regelung ist. Sagen Sie nicht, es seien keine Fälle denkbar, in denen die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht den Anspruch darauf erheben müßten, sich zur Wehr zu setzen. Sagen Sie auf der andern Seite nicht, die Eröffnung der Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde einzulegen, führe zu einer unübersehbaren Kette von Rechtsstreitigkeiten.
Zum letzteren nur dies. Wir haben diese Möglichkeit für die Gemeinden und Gemeindeverbände in der Zeit der Geltung der Weimarer Verfassung gehabt. Wir hatten den Art. 127. Wir hatten den Art. 19. Auf Grund dieser Bestimmungen, die es den Gemeinden und Gemeindeverbänden ermöglichten, ihr Recht beim Staatsgerichtshof des Reiches zu suchen, hat es nur etwa zwölf Fälle gegeben. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß hier eine Fülle von Prozessen zu erwarten wäre, zumal die Gemeinden und Gemeindeverbände sich fraglos auch der kommunalen Spitzenverbände bedienen und lediglich Wert darauf legen würden, Musterprozesse durchzuführen. Aber ich muß Ihnen auch gestehen, meine Damen und Herren, daß dieses Argument im Grunde genommen vom rechtsstaatlichen Denken her ohne weiteres abgelehnt werden müßte. Denn wenn jemand Recht sucht, dann muß er es in einem Rechtsstaat finden. Eine Überlegung, daß ein Gerichtshof mit zuviel Klagen überzogen würde, ist keine Überlegung, die dem Charakter rechtsstaatlichen Denkens Rechnung trägt und eine entsprechende sachliche Stellungnahme zu einem Grundsatzproblem widerspiegelt. Praktisch wird es also nicht viel Fälle geben. Es kann aber solche Fälle geben.
Ich könnte mir z. B. denken, daß ein Land die gesamte kommunale Personalwirtschaft aufhebt und beschließt, die Einstellung, Versetzung, Beförderung, Zur-Ruhesetzung, kurz alle Fragen, die mit den Personalien zusammenhängen, nicht mehr in den Händen der Gemeinden oder deren Parlamente oder Ausschüsse zu belassen, sondern diese Aufgaben durch einen staatlichen Apparat, etwa durch staatliche Personalämter, wahrnehmen zu lassen. Hier würde ein Wesenskern echter gemeindlicher Selbstverwaltung berührt, angebröckelt und zerstört sein; hier wäre ein Fall gegeben, bei dem die Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet und berechtigt sein müßten, sich beim Bundesverfassungsgerichtshof gegen die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts zu wenden, das insoweit garantiert ist, auch wenn es nur eine institutionelle Garantie ist. Denn — ich sagte es schon - die personelle Seite ist ein wesentliches Kernstück der gemeindlichen Selbstverwaltung.
Oder denken Sie an den Fall, daß ein Land auf die Idee kommt, unbeschadet der Eigenart unseres heutigen Steuersystems die Gemeinden von jeder einigermaßen ausreichenden finanziellen Zuweisung abzuschneiden und sie auf die eindeutig unzureichenden eigenen Steuerquellen zu verweisen. Auch hier wäre ein solcher Streitfall gegeben. Ein dritter Fall, der möglich erscheint: Ein Land hat die Idee, die kommunale Selbstverwaltung in jedem Einzelfall dazu zu zwingen, Entscheidungen, die sie trifft, an die staatliche Genehmigung zu binden. Hier läge ein außerordentlich wichtiger und möglicher, teilweise schon versuchter Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vor,
und es besteht begründeter Anlaß, zu fordern, daß
sich hier die Gemeinden zur Wehr setzen können.
Schließlich ein letzter Fall! In einem Lande wird durch Gesetz beschlossen, die Kreise schlechthin aufzuheben, ein Petitum, das gelegentlich von kreisangehörigen Städten gegen die Landkreise, die man für überflüssig und als lästige Aufsichtsinstanz ansieht, vorgebracht wird. Hier wäre ein Fall gegeben, bei dem man es begrüßen müßte, wenn ein Verfassungsgericht feststellen würde und könnte, ob hier ein elementarer Verstoß gegen das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung vorliegt.
Abschließend bitte ich Sie, meine Damen und Herren, sich unseren Antrag wohlwollend zu überlegen und daran zu denken, daß es in der Tat wesentlich von Art und Umfang der gemeindlichen Arbeit abhängt, ob es uns gelingt, eine Demokratie von unten her, eine bürgerschaftsnahe Demokratie aufzubauen. Lassen Sie hier keine formalen Erwägungen gelten, sondern denken Sie an die politische Notwendigkeit — auch an die Verdrossenheit, die unten vielfach besteht, mindestens in bezug auf die Gemeinde und Gemeindeverbände —, ihren Aufgabenbereich und ihre Funktionen zu ändern. Machen Sie hier sichtbar, daß Sie begriffen haben: die kommunale Selbstverwaltung ist eine wesentliche Stütze einer lebendigen Demokratie. Stimmen Sie unserem Antrage zu!