Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am 18. Dezember vorigen Jahres in diesem Hohen Hause das Jugendprogramm der Bundesregierung verkündet wurde, ist das in einem großen Teil der Bundesrepublik mit Freuden aufgenommen worden, und zwar wurde daraus geschlossen, daß nun die Regierung endlich initiativ und in dem Sinne, wie die vorliegende Entschließung das auch fordert, weiterwirken wird, nicht nur die Not zu erkennen und zu beheben, sondern auch Maßnahmen zu ergreifen, die der Jugend den Weg zur demokratischen Lebensform ebnen.
Wir müssen aber sagen, daß uns die vorliegende Drucksache tief enttäuscht; denn es taucht die Frage auf, ob mit diesem heutigen Stückwerk das notwendige Schutzgesetz für die arbeitende Jugend in der Bundesrepublik noch weiter hinausgeschoben werden soll oder ob es ganz aufgegeben worden ist, ein Jugendschutzgesetz zu verabschieden. Die Frage, die heute mit dieser Drucksache behandelt wird, steht bereits seit dem 30. September 1949 an; denn seit dieser Zeit ist in Niedersachsen ein gesetzlicher Zustand vorhanden, der der Willkür Tür und Tor öffnet. Wenn ich in der Begründung lese: zur Behebung der Schwierigkeiten, auf die die Durchführung des Gesetzes stößt, muß die Frist in § 34 beseitigt werden, und zwar rückwirkend, damit die zahlreichen Verstöße der Betriebe gegen das Gesetz nachträglich durch rückwirkende Bewilligung von Ausnahmen geheilt
werden können und damit auch die trotz Ablauf der Frist von den Gewerbeaufsichtsämtern weiterhin bewilligten Ausnahmen eine gesetzliche Grundlage erhalten, — dann muß es uns sehr, sehr bedenklich stimmen, daß der wertvollste Teil der Bevölkerung solchen Willkürmaßnahmen ausgesetzt ist.
Wir wissen, daß man sich in Gewerkschaftskreisen seit langem bemüht, ein neues Gesetz zu schaffen, nicht ein Gesetz neu zu formulieren, sondern ein grundsätzlich neues Gesetz zu schaffen. Bereits 1946 wurden die ersten Beratungen in dieser Beziehung gepflogen, und es ist der Verwaltung für Arbeit ein Entwurf für ein solches Gesetz auf größtmöglicher Ebene zugeleitet worden. Einzig Niedersachsen ist abgewichen und hat für sein Gebiet das heute besprochene Gesetz geschaffen.
Im Mai 1949 bestand zwischen den Sozialpartnern weitgehende Übereinstimmung über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes, und die strittigen Punkte — Arbeitszeit und Urlaub — standen im Vordergrund der Betrachtungen. Wir wissen, daß es hierbei sehr heiß zuging. Aber durch das Zögern wird die gestellte Aufgabe nicht gelöst. Wir können feststellen, daß in der Zwischenzeit die Urlaubsfrage im Sinne des Gesetzes, das von den Gewerkschaften vorgeschlagen wurde, in sieben Ländern geregelt wurde. In Bayern ist vor kurzem eine andere, abweichende Regelung getroffen worden.
Am 10. November 1949 hat der Landtag des größten Landes im Bundesgebiet, der Landtag von Nordrhein-Westfalen, dem Bundesarbeitsministerium einen interfraktionellen Antrag der Parteien SPD, CDU, Zentrum und KPD zugeleitet. Dieser Antrag hatte wieder den Gesetzentwurf der Gewerkschaften zur Grundlage. Er wurde dem Arbeitsministerium zugeleitet, weil die Notwendigkeit auftrat, dieses Gesetz auf Bundesebene zu schaffen. Wir stellen dann fest, daß das Bundesarbeitsministerium den Zeitraum von Anfang Oktober 1949 bis 28. August 1950 benötigte, um ein Rundschreiben an verschiedene Jugendämter, Jugendverbände, Arbeitgeberverbände usw. zu erlassen. In diesem Rundschreiben bittet das Bundesarbeitsministerium, zu dem vorgelegten Entwurf Stellung zu nehmen und eventuell auch Vorschläge zu machen. Fast ein Jahr brauchte die Bundesregierung dazu.
Merkwürdig ist, daß dieselbe Regierung dann den Verbänden, denen sie das Gesetz zuschickte, nur eine Frist von einem Monat zuerkannte, innerhalb deren die entsprechenden Vorschläge beim Bundesarbeitsministerium vorgelegt werden sollten.
Eine Denkschrift des Kreisjugendausschusses von Backnang beweist, daß dieses Gesetz dringend notwendig ist. Ich bitte, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen kurzen Auszug vorlesen zu dürfen. In dieser Denkschrift, die sich mit den Arbeitszeiten, Lehrlingsvergütungen und Pausen beschäftigt, ist zu lesen, daß von 297 Handwerkslehrlingen 173 eine mehr als 48stündige Arbeitszeit hatten. Von diesen 173 Lehrlingen wiederum hatten 74 eine Arbeitszeit bis zu 60 Stunden, 20 eine solche bis zu 70 Stunden. 18 eine bis zu 80 Stunden
und 3 eine Arbeitszeit bis zu 90 Stunden in der Woche. Das ist eine amtliche Feststellung.
— Bitte, es gibt noch viel mehr. Wenden Sie sich an den Kreisausschuß; der wird Ihnen die entsprechende Mitteilung machen.
Im Handel hatten von 171 Lehrlingen 67 eine normale Arbeitszeit, während der Rest bis zu 80 Stunden wöchentliche Arbeitszeit hatte. 208 Lehrlinge im Handwerk hatten Urlaub nach dem Gesetz. Die restlichen Lehrlinge hatten weniger Urlaub, als nach den gesetzlichen Vorschriften vorgesehen ist, und 35 bekamen überhaupt keinen Urlaub.
Im Handel bekamen von 171 Lehrlingen 13 weniger als den gesetzlichen Urlaub und 8 keinen Urlaub.
Soweit die Lehrlingsvergütung in Frage kam, wurde im Handwerk an 196 von 297 Lehrlingen weniger Lehrlingsvergütung gezahlt, als nach der Verordnung 1056 der württembergischen Landesregierung hätte gezahlt werden müssen. Im Handel wurde an 107 von 171 Lehrlingen weniger Vergütung gezahlt, als nach der Verordnung vorgeschrieben, die ich eben zitierte. Das ist in einer Denkschrift des Kreisjugendausschusses festgestellt.
- Ich bitte, noch einige Sätze sprechen zu dürfen, Herr Präsident. - Es ist ganz klar, daß solch eine Behandlung der Jugend schwerste körperliche Schäden für die davon Betroffenen nach sich ziehen wird. Aber nicht nur das ist es, was uns bedenklich stimmt; denn neben dem Umstand, daß diese Zustände fast einer Schändung des Ansehens der davon betroffenen Kreise des Handwerks, des Handels usw. gleichkommen, ist dieser Tatbestand auch eine wesentliche Schädigung der jungen Demokratie. Man nimmt den jungen Menschen das Gefühl, in einem Rechtsstaat zu leben.
Diese brutale Willkür läßt sie mit Erbitterung abseits, ja vielfach gegen den Aufbau des demokratischen Staates stehen. Wir sind durchaus der Ansicht, daß die Regelung dieser Probleme nicht leicht sein wird; wir anerkennen die Schwierigkeiten. Aber wir erwarten, daß sie entschlossener angepackt werden.
Am 21. September vorigen Jahres, in der 87. Sitzung, hatten wir in diesem Hohen Hause eine Debatte über die Versicherungsfreiheit der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer und der Lehrlinge. In dieser Debatte erklärte der Bundesarbeitsminister zu dem Thema der Versicherungsfreiheit für Lehrlinge laut Protokoll wörtlich: — —