Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von der Bundesregierung vorgelegte Sicherungs- und Überleitungsgesetz steht nach unserer Auffassung im Zeichen eines doppelten inneren Widerspruches.
Der Widerspruch ergibt sich einmal aus dem Vergleich des Gesetzestextes mit der Begründung der Regierungsvorlage, zum andern aber daraus, daß nach unserer Auffassung das Sicherungs- und Überleitungsgesetz eine Abkehr von der freien Marktwirtschaft und eine Abkehr von der Proklamation der sogenannten marktkonformen Mittel bedeutet.
Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, die Paragraphen der Drucksache Nr. 1764 aufmerksam studiert hat, wird mir bestätigen müssen, daß es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um ein Ermächtigungsgesetz handelt, um ein Gesetz also, das den Bundeswirtschaftsminister ermächtigt, in der vereinfachten Form der Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über die Verwendung und Vorratshaltung von Rohstoffen, über die Verwendung und Vorratshaltung von halbfertigen Waren und Vorerzeugnissen, darüber hinaus über die Verarbeitung, über die Lagerung, über die Lieferung und über den Bezug einer ganzen Reihe von wichtigen Rohstoffen. Das, meine Damen und Herren, sind Maßnahmen, die nach unserer Vorstellung eine echte, wenn auch noch ziemlich lückenhafte Bewirtschaftung bedeuten. Bestärkt werden wir in unserer Auffassung durch den § 5 des Gesetzes, der im Falle einer Zuwiderhandlung schwere Gefängnis- und Geldstrafen androht.
Wenn man anschließend an das Studium des Gesetzestextes sich die Begründung der Regierungsvorlage durchliest, muß man mit einigem Erstaunen feststellen, daß hier gesagt wird, daß das neue Bewirtschaftungsgesetz dazu dienen solle, die Bewirtschaftung aufzuheben. Ich zitiere — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — wörtlich aus der Begründung:
Im Bereich der gewerblichen Wirtschaft werden in Kürze alle Bewirtschaftungsvorschriften mit Ausnahme der unbedeutenden Reste auf dem Gebiete der Kohle sowie der Regelungen für Mineralöl und Edelmetalle beseitigt sein.
Sie werden mir zugeben müssen, daß hierin ein merkwürdiger Widerspruch liegt, ein Widerspruch, der nach unserer Meinung nur damit erklärt werden kann, daß Herr Minister Erhard mit dieser etwas unglücklichen Begründung versucht, über seinen eigenen Schatten zu springen, über den Schatten einer Wirtschaftsform, die er zunächst eine freie, später eine sozial verpflichtete Marktwirtschaft nannte, die aber in Wirklichkeit eine anorganische Marktwirtschaft mit der Zielsetzung einer weitgehenden Restaurierung früherer Besitz- und Eigentumsverhältnisse war.
Aber weder die vorsichtige Formulierung der Überschrift: „Überleitungsgesetz" noch die Bezugnahme auf das Gesetz Nr. 24 der Alliierten Hohen Kommission werden uns darüber hinwegtäuschen, daß mit dieser Vorlage ein innerer Bruch in der Konzeption des Herrn Bundeswirtschaftsministers eingetreten ist.
Wir können uns denken, daß Herrn Professor Erhard die Einbringung einer solchen Vorlage nicht ganz leicht gefallen ist; aber wir sind der festen Überzeugung, daß viele Versorgungsschwierigkeiten hätten vermieden werden können, wenn
man sich im Bundeswirtschaftsministerium
rechtzeitg zu der Erkenntnis durchgerungen hätte, daß es bei der herrschenden Mangellage ohne Steuerung und ohne Lenkung nicht möglich ist, eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu treiben.
Heute haben wir die Zeche dieser Versäumnis zu bezahlen. Sie schlägt sich in der lapidaren Feststellung nieder, daß im vergangenen Jahr die Fertigwarenindustrie der Grund- und Rohstoffversorgung einfach davongelaufen ist. Hierfür einige Zahlen. Im Laufe des Jahres 1950 stieg der Gesamtindex der gewerblichen Wirtschaft um 45 %, die Stahlproduktion um 35 %, der Stromverbrauch um 18 %, die Kohleförderung aber nur um etwa 9 bis 10 %.
Wir begrüßen jede Ausdehnung des Wirtschaftsvolumens; wir sind aber der Meinung, daß ein Wirtschaftsvolumen sich organisch entwickeln muß, d. h. daß es kohlemäßig, energiemäßig und rohstoffmäßig gedeckt sein muß. Wir sind der Meinung, daß eine Ausdehnung des Wirtschaftsvolumens auch eine vorsichtige und disziplinierte Handhabung des Exports an Rohstoffen und Vorprodukten notwendig macht, selbst wenn die Weltmarktpreise für solche Waren noch so verlockend sind. Das abgelaufene Jahr hat uns deutlich bewiesen, daß derartige Voraussetzungen in der sogenannten freien Wirtschaft nicht vorhanden waren, daß man sich lieber nach der besseren Gewinnchance und weniger nach den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten orientierte.
Kommen wir zu realen Tatsachen! Unser größter Engpaß ist nach wie vor die Kohle. Wir spüren diesen Engpaß täglich mit zunehmender Schärfe. Gerade die Kohle hätte einer besonders aufmerksamen Kontrolle und einer besonders vorsichtigen Lenkung bedurft; denn wenn wir uns die gesamte Kohlensituation des vergangenen Jahres vor Augen führen, kommen wir zu der Feststellung, daß nach Berücksichtigung des Zechenselbstverbrauchs und der uns auferlegten — nicht etwa der freiwilligen — Exporte der westdeutschen Wirtschaft etwa 6 bis 7 Millionen t Steinkohle mehr zur Verfügung gestanden haben als im vergangenen Jahr.
Im gleichen Zeitraum hat sich die Stahlproduktion um mehr als 3 Millionen t erhöht. Nehmen wir wieder die alte Faustregel: 1 t Stahl gleich 3 t Kohle, dann ergibt sich allein für die Stahlindustrie ein Mehrbedarf von 9 Millionen t Kohle, d. h. daß der Mehrverbrauch allein in der Stahlindustrie größer war als die gesamte zusätzliche Kohlenmenge, die uns zur Verfügung stand. Sie sehen, daß die erhöhte Förderung nicht einmal ausgereicht hat, um die erhöhte Stahlproduktion brennstoffmäßig zu decken, daß wir also genötigt waren, auf anderen Gebieten, auf dem Rücken des Hausbrandes, Anleihen aufzunehmen.
Deshalb ging die Kohlenversorgung unserer Wirtschaft auch nur solange glatt vonstatten, solange der Bedarf des Hausbrandes nicht in Erscheinung trat. Vorn Oktober an haben wir nun die Verschärfung in unserer Versorgungslage, und ich verrate Ihnen, meine Damen und Herren, gewiß kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß bei der Hausbrandversorgung wieder derjenige am ärgsten betroffen und der Krise am schonungslosesten ausgesetzt ist, der nicht in der Lage ist, die hohen Schwarzmarktpreise zu bezahlen.
Nach den mir vorliegenden Zahlen meines Wahlkreises sind die Hausbrandkontingente sehr drastisch herabgesetzt worden. Zunächst wurden 70%. der Vorjahrsmenge verplant; dann erfolgte eine erneute Herabsetzung, und die abermals reduzierten Zuteilungen sind nun im Oktober zu 85, im November zu 70 und im Dezember zu 74% ausgeliefert worden. Es stand also praktisch dem Hausbrand nur die halbe Kohlenmenge zur Verfügung. Aber selbst diese beschränkten Mengen kommen nicht regulär zu dem Verbraucher. Erhebliche Mengen zweigen sich nach dem Schwarzen Markt ab. Die Kohlendiebstähle nehmen in verheerender Weise zu. Wir müssen Sie schon bitten, Herr Bundeswirtschaftsminister, der Öffentlichkeit klipp und klar zu sagen, wie Sie mit marktkonformen Mitteln dieser Kohlenkrise Herr werden wollen. Etwa in der Weise, daß Sie über den Bedarf des Hausbrandes mit Stillschweigen zur Tagesordnung übergehen? Sie werden uns auch sagen müssen, wie groß die eingeplanten Mengen sind, die im Durchschnitt eine Haushaltung verbrauchen darf, damit wenigstens vom Verbraucher her eine Kontrolle der Kohlenbelieferung erfolgen kann.
Nächst der Kohle ist der Stahl unser wichtigster Rohstoff. Die Stahlmehrproduktion belief sich auf etwas mehr als 3 Millionen t. Mehr als die Hälfte dieser Mehrproduktion ging ins Ausland — wahrscheinlich infolge der Anziehungskraft der Weltmarktpreise! Niemand wird begreifen können, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum in einer Zeit der inneren Ausweitung des Wirtschaftsvolumens die Exporte an Roheisen und an Eisenhalbzeug auf mehr als das Fünffache gesteigert wurden und warum die Exporte von Stahlvorprodukten mehr als verdreifacht worden sind.
Heute haben wir erhebliche Versorgungsschwierigkeiten auf den verschiedensten Gebieten der Stahlverarbeitung zu beklagen. Die steigenden Auftragseingänge haben zu Lieferzeiten geführt, die sich bis zu zwei Jahren ausdehnen. Wenn ein Betrieb mit Lieferaufträgen in allen Sparten übersetzt ist, dann sucht er sich — nach dem Prinzip der freien Wirtschaft — gewöhnlich die rentabelsten Aufträge heraus und vernachlässigt das übrige Fabrikationsprogramm. Heute schon ist eine Reihe von Betrieben, die auf die Verarbeitung minderer Qualitäten angewiesen sind, in größte Materialschwierigkeiten geraten, die zu erheblichen Betriebseinschränkungen und zu vermehrter Arbeitslosigkeit führen werden. Ich möchte jetzt schon darauf aufmerksam machen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Stahlsituation sich weiter verschärfen wird, wenn eines Tages der bisher so stiefmütterlich behandelte Investitionsbedarf der Bundesbahn und des Bergbaues eine angemessene .Berücksichtigung finden sollte.
Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz scheint uns der beste Beweis dafür zu sein, daß sich die Bundesregierung davon überzeugen müßte, daß wir in eine gefährliche Grundstoffklemme hineingerutscht sind, in der mit marktkonformen Mitteln nicht mehr viel anzufangen ist. Wir begrüßen den Entschluß der Bundesregierung, nun endlich Sicherheitsmaßnahmen auf den einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft zu treffen. Wir stellen auch gern fest, daß sich das Tempo und der Wirkungsbereich der Bewirtschaftungsmaßnahmen mit zunehmender Intensität vergrößern. Wenn man die Drucksachen Nrn. 1510 und 1754 miteinander vergleicht, so zeigt sich, daß in der Drucksache Nr. 1510 eigentlich nur von Edelmetallen und Brennstoffen die Rede war, wenn man die Kontrolle der Lagerbuchführung bei
einigen anderen Waren außer acht läßt, daß aber die Drucksache Nr. 1754 schon wesentlich schärfere Maßnahmen für einen ganzen Katalog von Waren vorschreibt, ganz abgesehen von der heute beantragten Anbietungspflicht für Schrott. Trotzdem, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß auch die letzte Fassung dieses Gesetzentwurfes ungenügend ist, weil sie teilweise halbe Maßnahmen enthält, die sich schon in absehbarer Zeit als wirkungslos erweisen werden. Wenn z. B. im § 1 Abs. 1 nur von der Bewirtschaftung von Rohstoffen, von Halbwaren, von Vorerzeugnissen die Rede ist, so fragen wir: wie gedenkt die Regierung sich zu verhalten, wenn eines Tages Engpässe in Fertigwaren auftreten? Ich glaube, wir haben doch einige Erfahrungen darüber, daß gerade Fertigwaren gehortet werden.
Weiterhin haben wir zu beanstanden, daß in dem Gesetzentwurf die Lenkungsvorschriften im allgemeinen nur auf die Verwendung und auf die Vorratshaltung, nicht aber auf die Lieferung Anwendung finden sollen. Können nicht auch Lieferanweisungen notwendig werden, damit unsere exportintensiven Industrien ihre Exportkontrakte ohne Schwierigkeiten zu erfüllen vermögen?
Schließlich sind wir der Meinung, daß eine Steuerung und Lenkung vernünftigerweise auch eine Preisüberwachung notwendig machen könnte. Ohne eine Preisüberwachung ist der Preiswucher auf dem Schwarzen Markt nicht zu bekämpfen.
— Herr Kollege Naegel, ich will Ihnen dafür gern ein Beispiel anführen, ein zeitgemäßes Beispiel vom Kupfermarkt. Wir haben in den Westzonen monatlich einen Bedarf von 25 000 t Kupfer. Das sind 300 000 t Kupfer im Jahr. Dieses Kupfer läuft zu 60% über den Schwarzmarkt. Nur 40% werden zur Zeit regulär gehandelt.
Der offizielle Preis für Kupfer, ein Durchschnittspreis, liegt bei 3 DM je kg, der Schwarzmarktpreis, der gezahlt werden muß, bewegt sich zwischen 5 und 8 DM. Multiplizieren Sie bitte diese Preisdifferenz nur mit 100 Mill. kg, dann erhalten Sie einen Konjunkturgewinn in der Größenordnung einer neunstelligen Ziffer, einer Millionenziffer, der diesen unlauteren Elementen zufließt. Deshalb sind wir der Meinung, daß eine Preisüberwachung notwendig ist.
Meine Damen und Herren, schuld an den geschilderten trüben Verhältnissen sind nicht allein die Schwarzhändler; schuld daran sind auch die Firmen, die, ohne Gegenmaßnahmen zu treffen, derartige Preise zahlen. Darum müssen wir der Bundesregierung sagen, daß die Wirksamkeit ihres Bewirtschaftungsgesetzes davon abhängt, mit welchem Grad von sozialer Verpflichtung Industrie und Handel in ihrer Gesamtheit eine solches Gesetz respektieren werden. Frühere Bewirtschaftungsmaßnahmen sind unserer Auffassung nach nicht etwa daran gescheitert, daß der Verbraucher keine Disziplin übte, sondern sie mußten scheitern, weil von den interessierten Kreisen eine unverantwortliche Hortungspolitik getrieben wurde und dadurch das Warenangebot auf ein Minimum zusammenschrumpfen mußte. Sollen ähnliche Wirkungen in der Zukunft vermieden werden, dann wird man die Hortung nicht mehr als eine nationale Tat bezeichnen dürfen,
sondern dann wird man die Hortung zu dem stempeln müssen, was sie in Wirklichkeit ist: ein Verbrechen am Verbraucher.
Wir glauben, daß Herr Professor Erhard dem von ihm eingebrachten Gesetz keinen guten Dienst erweisen würde, wenn er neuerdings im Lande herumreisen und die Bewirtschaftung lächerlich machen sollte. Damit untergräbt man die Autorität derjenigen Dienststellen, die mit der Durchführung der Gesetze und Verordnungen beauftragt sind.
Herr Professor Erhard wird vielmehr vor der Öffentlichkeit erklären müssen, daß die marktkonformen Mittel der sogenannten sozial verpflichteten Marktwirtschaft — das merken wir besonders bei der Kohle — nicht ausgereicht haben, um eine allgemeine Rohstoffklemme zu verhüten, und daß er eine etwas peinliche Veränderung seiner Wirtschaftskonzeption vornehmen mußte.
Meine Freunde und ich werden diesem Gesetz zustimmen. Wir sind aber der Meinung, daß die bisher getroffenen Maßnahmen zur Überwindung der Versorgungskrise nicht ausreichen werden. Meine Fraktion hat sich deshalb erlaubt, dem Hohen Hause die in dem Umdruck Nr. 38 formulierte Entschließung vorzulegen, die von meinem Parteifreund Kurlbaum in der zweiten Lesung schon kurz begründet wurde. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, angesichts der angespannten Versorgungslage unserer Entschließung Ihre Zustimmung zu geben.