Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wortmeldungen scheinen keine zu kommen. — Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Der Bundesminister Blücher ist gekommen; wir können nunmehr Punkt 2 aufrufen. Wir kommen so im Rösselsprung ganz nett durch unser Programm hindurch!
Punkt 2 sieht vor:
a) Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. Dr. Müller , Frau Dr. Weber (Essen), Hoogen und Genossen betreffend landwirtschaftlichen Grundbesitz und Traktatrecht im deutsch - holländischen
Grenzgebiet ;
b) Beratung des . Antrags der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. Dr. Müller , Frau Dr. Weber (Essen), Hoogen und Genossen betreffend landwirtschaftlichen Grundbesitz und Traktatrecht im deutschholländischen Grenzgebiet (Nr. 1665 der Drucksachen).
Wer begründet die Interpellation? — Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Frey.
Dr. Frey , Interpellant: Meine Damen und Herren! In den deutschen Landkreisen entlang der holländischen Grenze des Landes Nordrhein-Westfalen und auch des Landes Niedersachsen ist vielen deutschen Bauern, die Land in Holland besitzen, seit 1945 die Möglichkeit genommen, dieses weiter zu bewirtschaften. In den meisten Fällen ist das Land seit über hundert Jahren im Besitz dieser Familien. Nun bestand zwischen Preußen und den Niederlanden auf Grund einer Grenzregulierung vom Jahre 1815 über diese Ländereien eine Vereinbarung, wodurch sie holländisches Territorium wurden. Vorher aber lagen alle diese Ländereien fast ausnahmslos innerhalb der deutschen Gemeindegrenzen. Die Abmachungen über zollfreie Einfuhr und Ausfuhr von Wirtschafts- und Ertragsgütern dieser Flächen — die sogenannten Traktatrechte — sind gemäß einem Vertrag zwischen beiden Ländern vom Jahre 1816 nur durch ausdrücklichen Widerruf aufkündbar. Dieser Widerruf ist nie erfolgt. Den deutschen Grenzbauern ist aber durch den einseitigen Akt Hollands die Bewirtschaftung ihrer in Holland liegenden Ländereien seit dem Jahre 1945 unmöglich gemacht worden, während — und das bitte ich zu beachten — die holländischen Bauern ihr Land, das auf deutschem Gebiet liegt, nach wie vor bearbeiten können.
Die geschilderten Verhältnisse haben einen recht großen Umfang. Aus Unterlagen, die wir seit 1945 bis in die Neuzeit hinein sehr korrekt haben anlegen lassen, geht hervor, wie groß die betroffenen Flächen sind. Sie umfassen z. B. im Kreise Kleve über 864 ha, im Kreise Geldern über 600 ha und - wie aus meiner Interpellation ersichtlich — darüber hinaus einige 100 ha in den anderen Gemeinden Nordwest-Niedersachsens, Westfalens und der rheinischen Grenzkreise. In den Gemeinden Walbeck, Straelen und Twisteden haben 145 Bauern insgesamt 400 ha verloren. In der Gemeinde Walbeck allein hat die Hälfte der Geschädigten mehr als 50 % ihrer Flächen eingebüßt.
Um das Problem richtig zu beleuchten, gestatten Sie mir, aus der Fülle der ausgesprochenen Härtefälle einige aufzuzeigen. Der Bauer Hamacher in Brüggelchen verliert z. B. von seiner Fläche von 4,2 ha 3,1 ha; der Bauer Königs in Waldfeucht von 12 ha 10 ha, der Bauer Ketelaers in Hülm von 14.5 ha 13,5 ha, der Bauer Reiners von 7 ha 5 ha. Der Bauer Geurtz in Hommersum bewirtschaftete früher 9,8 ha; davon verliert er 9 ha, so daß eine große Familie hier nunmehr auf 0,8 ha existieren soll. Das sind nur wenige Fälle, und wir haben Listen von derartigen Härtefällen. Es ist klar — und Sie müssen das zugeben —, daß es sich hier um eine echte Existenzbedrohung handelt.
Nun kommt ein weiteres hinzu. Wie das Sprichwort sagt, kommt ein Unglück meist nicht allein. Das trifft hier zu; denn diese Grenzbauern haben meist noch kolossale Kriegsschäden an ihren Gehöften. Weil die Besitzverhältnisse an der Grenze entlang mittelbäuerlich, kleinbäuerlich und kleinstbäuerlich sind, ist die Möglichkeit eines Austausches überhaupt nicht vorhanden. Verschiedene Bauern müssen dort 6 km weit mit ihrer Kuh auf eine Weide ziehen, um sie überhaupt erhalten zu können.
Ich bin der Meinung, daß auch im Interesse der Befriedung der Grenzbevölkerung auf beiden Seiten die Rückgabe gut und notwendig wäre. Aus diesem Grunde habe ich mich mit holländischen Freunden und auch mit Mitgliedern der holländischen Kammer in Verbindung gesetzt, um auf dem Wege der persönlichen Beziehungen die Traktatrechtsfrage von der menschlichen Seite her einer Lösung entgegenzuführen. Mehrere Mitglieder dieses Hauses haben das auch versucht. Leider konnten wir die Nutzung für die Bauern noch nicht wieder erreichen. Jedoch wurde zumindest erreicht, daß die Ländereien bisher nicht verkauft worden sind.
Mit der Anfrage Nr. 63, Drucksache Nr. 771, hatte ich die Regierung schon einmal gebeten, uns über diese Zustände Aufklärung zu geben. Leider ist bei der Beantwortung dieser Anfrage anscheinend der Wunsch vorhanden gewesen, diese Dinge noch etwas zurückhaltend zu behandeln. Allerdings war einmal irgendwo in Holland der Beschluß bekanntgeworden, daß innerhalb von 5 km von der Grenze kein deutsches Land verkauft werden sollte. Wir haben aber festgestellt, daß in letzter Zeit doch Land verkauft wird. Wir haben auch die Adressen und die genauen Angaben.
Nun geht es darum, daß wir auf unsere Interpellation von der Regierung doch einmal gesagt bekommen, was sie für die Zukunft zu tun gedenkt. Viele holländische Freunde, und zwar maßgebliche Persönlichkeiten, haben sich für eine gerechte Regelung dieser Frage eingesetzt und sind der Meinung, daß das deutsche Land in diesem Gebiet dem deutschen Bauer nicht verlorengehen soll. Diese Persönlichkeiten haben sich so weitgehend eingesetzt. daß man ihnen wegen ihrer Einstellung wirklich Dank sagen muß. Wie die Erörterung der mit meiner Interpellation zusammenhängenden Frage auch im holländischen Parlament beweist, das sich im Dezember 1950 damit befaßt hat, ist der niederländische Justizminister zu der Auffassung gekommen, daß die Art, wie die deutschen Grenzbauern behandelt werden, eben doch bedenklich ist.
Nun hat man in Holland ein sogenanntes Entfeindungssystem erfunden. Dieses Entfeindungssystem ist allerdings so gehalten, daß, wer erfolgreich „entfeindet" werden will, die Bedingungen nur erfüllen kann, wenn er von deutscher Seite als Landesverräter oder Hochverräter bezeichnet worden ist. Bei dieser Sachlage ist es klar, daß die durch eine erfolgreiche Entfeindung bedingte Rückgabe der Ländereien bisher noch nicht durchgeführt werden konnte. Es wird daher notwendig sein, daß die Bundesregierung ihren ganzen Einfluß und ihren ganzen guten Willen geltend macht, um mit der holländischen Regierung in der Lösung dieser Frage zu einem beide Seiten voll befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Wenn der Herr Präsident gestattet, möchte ich gleichzeitig auch den Antrag Drucksache Nr. 1665, den wir gleichzeitig mit der Interpellation vorgegelegt haben, mit wenigen Worten begründen. Wir haben diesen Antrag gestellt, um der Regierung eine etwas breitere Basis für ihre Verhandlung mit der niederländischen Regierung, die sie hoffentlich aufnehmen wird, zu geben. Ich bin der Meinung, daß dieses berechtigte Verlangen von Ihnen allen gewürdigt werden sollte, gerade weil wir im Zeitalter des europäischen Solidaritätsgedankens hier wirklich einmal voranschreiten müssen.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern ihn sofort in einer einmütigen Abstimmung zum Beschluß zu erheben.