Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich an die von dem Herrn Präsidenten vorgeschlagene Regelung halten, die grundsätzliche Debatte während der dritten Lesung und nicht während der zweiten Lesung abzuhalten. Ich möchte daher -lediglich zu den Abänderungsanträgen meiner Fraktion, die zum ersten Teil des vorliegenden Entwurfs eingebracht worden sind, Stellung nehmen und diese Anträge begründen.
Meine Fraktion hat zunächst den Antrag gestellt, den § 1 Abs. 1 zu streichen. In dem § 1 ist der ganze Sinn des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht verkörpert. In ihm kommt zum Ausdruck, welche Rolle dieses Sondergericht über — nicht neben, sondern über — allen anderen sogenannten verfassungsmäßigen Organen des Bundes spielen soll.
Es wird einige kluge Leute geben, die sagen, dieser § 1 sei die Verwirklichung des alten Grundsatzes einer jeden demokratischen Ordnung, nämlich des Grundsatzes der Dreiteilung der Gewalten.
Es ist ein Aberglaube, anzunehmen, daß dieser Grundsatz gewisser bürgerlicher Staatsrechtler eine ewige Wahrheit darstellt. Der Grundsatz der Dreiteilung der Gewalten ist genau so zeitbedingt wie alle anderen Theorien von Juristen, die in ihrer Zeit jeweils die Theorie fabriziert haben, die das herrschende Regime von ihnen verlangt und erwartet hat. Die Forderung der Dreiteilung der Gewalten kam zu einer Zeit auf, als es galt, gegen den Absolutismus des französischen Königtums Front zu machen. Montesquieu, sozusagen der Erfinder der Theorie der Dreiteilung der Gewalten, war der Repräsentant einer Gruppe der damaligen Revolutionäre gegen den herrschenden Absolutismus. Nur insofern konnte damals diesem Prinzip ein gewisser fortschrittlicher Charakter beigemessen werden, als damals eine Dreiteilung der Gewalten zumindest einen kleinen gesellschaftlichen Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung der ungeteilten Gewalt darstellte, die durch das herrschende Königtum ausgeübt wurde. Schon nach 1789 zeigte sich sehr bald, daß die Losung der Dreiteilung der Gewalten zu der Privattheorie eines Teils der ursprünglichen Revolutionäre wurde, nämlich des Teils, der auf eine möglichst starke Erhaltung der Elemente der alten Kräfte hinstrebte. Die Forderung der Dreiteilung der Gewalten wurde die Forderung derjenigen, die die revolutionäre Entwicklung bremsen, die gewisse konservative Elemente garantieren wollten und die darum dem alleinigen Willen des Volkes, dargestellt durch die Volksvertretung, einen entscheidenden Riegel vorsetzen wollten.
Wenn damals schon die Theorie der Dreiteilung der Gewalten umstritten war und schließlich zu einem Reservat der reaktionären Kräfte wurde, so gilt dies erst recht für die heutige Zeit. Wir haben es in der Weimarer Zeit erlebt. Auch damals wurde die Theorie der Dreiteilung der Gewalten zur Grundlage des Staatsrechts genommen. Ich möchte die sozialdemokratischen Sprecher fragen, wo sie in der Zeit von 1918 bis 1933 aus der Anwendung der Theorie der Dreiteilung der Gewalten auch nur die geringste Sicherung der fortschrittlichen Kräfte in der politischen Entwicklung hergenommen haben. Die Entwicklung verlief vielmehr umgekehrt. In der Weimarer Republik wurde diese Theorie und die daraus abgeleitete Praxis zu einem gewaltigen Kräftezuwachs für die Elemente der Reaktion und schließlich zu einem entscheidenden Hilfsmittel für die Vorbereitung der Machterschleichung Adolf Hitlers.
Ich möchte aus der Weimarer Zeit nur an die unselige Wirksamkeit des Art. 48 erinnern, an die unglückselige Wirksamkeit der Straf- und Verwaltungsjustiz, verkörpert in der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Ich möchte insbesondere an die Tragikomödie erinnern, die sich in den Verhandlungssälen des Reichsgerichts in Leipzig an den 20. Juli 1932 angeschlossen hat. Als damals die preußische Regierung Braun-Severing von einem Leutnant und zwei Soldaten davongejagt wurde, war bekanntlich die einzige Antwort der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und der Parteiführung der Appell an das Reichsgericht. Wir sollten heute an die damaligen Vorgänge erinnern, als die Herren Reichsrichter für die sozialdemokratische Beschwerde nichts anderes übrig hatten als ein höhnisches Achselzucken und im übrigen die Sprache der Tatsachen als entscheidend gelten ließen.
Schließlich muß man auch an die sogenannten Notverordnungen zum Schutz von Volk und Staat erinnern, die Adolf Hitler zur Niederschlagung einer jeden Opposition, zur Auflösung der Parteien, zur Errichtung des Konzentrationslagerregimes usw. benutzt hat, ohne der Form nach auch nur einen einzigen Artikel der Weimarer Verfassung zu brechen, indem er sich im Gegenteil ausdrücklich auf die entscheidenden Grundlagen der Weimarer Verfassung und nicht zuletzt auf das Prinzip der Dreiteilung der Gewalten sowie auf die Wirksamkeit der Justiz als sogenannten unabhängigen Faktor stützen konnte.
Wenn damals weitreichende Lehren für unser Volk aufgestellt wurden, so sollte man heute diese Lehren nicht einfach beiseite schieben. Was sich damals in der Form der Justiz des Reichsgerichts und der von ihm beeinflußten sonstigen Rechtsprechung abgespielt hat, das soll heute durch die Vorlage des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und insbesondere durch den in § 1 niedergelegten Grundsatz nachgeahmt werden. Heute soll der § 1 die Garantie dafür geben, daß eine Sonderjustiz jederzeit Mittel anwenden kann, um die Grundrechte des Grundgesetzes außer Kraft zu setzen, um Parteien zu verbieten, um bestimmte fortschrittliche Bestimmungen einzelner Länderverfassungen und Ländergesetze unwirksam zu machen, um auf jeden Fall und überall zu jeder Zeit die autoritären Absichten der Bundesregierung und der ihr willfährigen höheren Justiz durchzusetzen.
Meine Damen und Herren! Es handelt sich nicht um irgendwelche Rechtsfindungen nach absoluten Grundsätzen. Es handelt sich, wenn der Grundsatz des § 1 zur Anwendung gelangt, um ein eindeutiges System politischer Entscheidungen, die von den herrschenden Schichten, von den ihr hörigen Regierungsbeamten der obersten Stufe gefällt werden.