Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat auch zum Teil II des Gesetzentwurfs
eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt. Ich glaube sicher zu sein, daß die Einheitsfront, die sich vorhin bei der Ablehnung unserer Anträge als so solide erwiesen hat, auch jetzt wieder in Aktion treten wird, und möchte mir darum ersparen, alle Abänderungsanträge zu begründen. Ich möchte nur einige herausgreifen.
Zu § 26 schlägt meine Fraktion die Streichung des Abs. 2 vor. Es handelt sich hier um eine Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens, insbesondere um eine Einschränkung des Rechts des Beklagten auf Akteneinsicht. Im ursprünglichen Entwurf der Regierung war der Text, der jetzt an § 26 angehängt ist, auch im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die allgemeine Akteneinsicht gebracht. Wir können irgendwelche Erwägungen über Notwendigkeiten der Staatssicherheit, wie sie hier angeführt worden sind, nicht anerkennen. Wenn es Ihnen so ernst um die Wahrung demokratischer Rechte, auch für den Beschuldigten ist, so müssen Sie ihm zugestehen, daß ihm keine Einschränkungen bei der Verteidigung und bei der Heranziehung aller ihm erreichbaren Beweismittel auferlegt werden.
Eine ähnliche Feststellung ist hinsichtlich des § 28 zu machen, nach dem bestimmte Äußerungen vor dem Gericht von Amts wegen abgedrosselt werden können, und zwar darum, weil Überlegungen über die „Staatssicherheit" in die Sache hineinspielen. Bei dem Antrag auf Streichung dieses Absatzes läßt sich meine Fraktion von den gleichen Erwägungen leiten wie beim § 26.
Zu § 30 stellt meine Fraktion den Antrag, die ursprünglich in § 26 Abs. 3 enthaltene Fassung wiederherzustellen. Worum handelt es sich hier? In der ursprünglichen Fassung war der Minderheit des urteilfällenden Senats die Möglichkeit gegeben, ihre abweichende Auffassung schriftlich niederzulegen und damit auch der Öffentlichkeit zur Einsicht vorzubehalten. Es gibt keinerlei Gründe, warum diese Möglichkeit beseitigt werden soll. Bei der Berichterstattung aus dem Ausschuß wurde als Begründung für die Streichung dieser ursprünglich vorhandenen Bestimmung gesagt, eine Veröffentlichung der Minderheitsmeinung würde die Autorität des Urteilsspruchs gefährden. Etwas einfacher ausgedrückt: Der Berichterstatter meinte, wenn das Volk draußen erfahre, daß das Gericht in einer politischen Angelegenheit nicht einstimmig geurteilt habe, so könnte es sich vielleicht gefährliche Gedanken machen und zu anderen Auffassungen gelangen, als sie die Mehrheit des Gerichts vertreten habe. Wir sind der Auffassung, daß es nicht bloß interessierten Kreisen, sondern der ganzen Öffentlichkeit ermöglicht werden muß, von der Meinung der beim Urteilsspruch unterlegenen Minderheit Kenntnis zu erhalten. Ja, wir sind der Meinung, daß man nicht nur eine Möglichkeit hierzu schaffen soll, sondern eine Verpflichtung. Darum beantragt meine Fraktion Aufnahme der Bestimmung, daß die überstimmte Minderheit ihre abweichende Meinung in einem Sondergutachten niederlegen muß und daß diese Darstellung der abweichenden Minderheitsmeinung zusammen mit der Urteilsbegründung zu veröffentlichen ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht seiner Sache so sicher ist, dann braucht es keine Angst zu haben, der Begründung des Mehrheitsstandpunktes auch die Begründung des Minderheitsstandpunktes gegenüberzustellen und ihn der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Das Ungeheuerlichste, was in dem ganzen Entwurf geboten wird, ist zweifellos in 6 32 der vorliegenden Fassung niedergelegt. Ich habe im Namen meiner Fraktion den Antrag auf Streichung des ganzen Paragraphen zu stellen. Die Ungeheuerlichkeit der Vorschriften des § 32 besteht darin, daß durch einstweilige Anordnung faktisch das Ergebnis der Gerichtsverhandlung vorweggenommen werden kann. Es heißt im Abs. 2 ausdrücklich: die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Das heißt also, das Richtergremium kann auf dem Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung, einfach nur durch bürokratischen Erlaß einen Zustand herbeiführen, der normalerweise erst nach Beendigung der Gerichtsverhandlung und nach Eintreten der Rechtskraft des Urteils erreicht werden könnte. Damit wird das ganze Gerichtsverfahren zur Farce, es wird zum Anhängsel der Handlung, die faktisch durch die einstweilige Anordnung vorweggenommen worden ist. Ich bin glücklicherweise kein Jurist,
eher ich glaube, daß es in der bisherigen deutschen Rechtsprechung keinerlei Vorläufer dieses Verfahrens gibt.
— Ja, Herr Kiesinger, ich weiß, Sie sind der Klügste, und ich hoffe darum, daß Sie diese abscheuliche Sache, die in § 32 mit Ihrer Hilfe ausgearbeitet wurde, auch hier begründen werden und auch draußen vor Ihren Wählern, am besten im Namen der Demokratie!
Meine Damen und Herren! Soviel mir bekannt ist, gibt es noch nicht einmal im Verwaltungsrecht
eine solche Bestimmung, auf Grund deren man die materielle Entscheidung eines Urteils eben durch eine solche bürokratische Anordnung vorwegnimmt. Meines Wissens gibt es ähnliche Bestimmungen bisher nur auf dem Gebiete des Verfahrens, auf dem Gebiete der Prozeßtechnik, aber nicht in der Art, daß der Inhalt — und hier handelt es sich ja immer um einen politischen Inhalt — des Verfahrens behandelt wird und die Entscheidung in einer so bürokratischen Weise präjudiziert wird. Aus diesem Grunde sollten auch solche bürgerlichen Juristen, denen an der Tradition des Rechts etwas gelegen ist und die so sehr auf die Autorität eines Urteilsspruches Wert legen, mit unserer Auffassung übereinstimmen, daß man nämlich dem Urteil nicht vorgreifen kann, erst recht nicht durch Anordnungen, die ohne mündliche Verhandlungen ergehen und die darum auch ohne Mitwirkung, ohne Einflußnahme des Beschuldigten erfolgen.