Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die betont optimistischen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers entsprechen wohl dem, was er schon oft zu uns gesagt hat. Schon oft hat er in betontem Optimismus gemacht. Ich will auch nicht sagen, daß unsere Lage irgendwie kritisch oder verzweifelt sei oder daß uns bald eine Vollbewirtschaftung bevorstehe. Ich möchte nur — das ist entscheidend, und ich glaube, es ist auch notwendig — mit dem notwendig gebotenen Realismus die Tatsachen etwas ins rechte Licht rükken.
Da ist zunächst einmal die Frage, ob wir tatsächlich keine Engpässe außer auf dem Nicht-Eisenmetallgebiet haben. Es ist doch bekannt, daß die deutsche eisenverarbeitende Industrie durch die eisenschaffende Industrie Kontingente, und zwar auf
privater Kartellbasis, zugewiesen erhalten hat, die nur 60% der Zuteilung von 1949 umfassen. Man kann doch nicht sagen, wenn die eisenverarbeitende Industrie auf 60% des Standes von 1949 kontingentiert wird, daß es dort keine Rohstoffnöte gebe. Man erkundige sich einmal in der eisenverarbeitenden Industrie, wie ernst dort die Rohstoffnöte tatsächlich sind. Bei der Nicht-Eisenmetallversorgung ist die Situation noch viel übler. Es wurde schon das Beispiel des Kupfers erwähnt. Beim, Zink ist der offizielle Preis 171 DM, tatsächlich werden 330 DM je 100 kg gezahlt, also 3 300 DM je Tonne, ein geradezu irrsinniger Preis, der nur durch die auf diesem Gebiet inzwischen eingetretene völlige Marktleere zu erklären ist. Es ist also einfach nicht wahr, daß hier keine ernsten Versorgungsschwierigkeiten vorliegen. Sicherlich liegen sie vor. Das ist ja auch der Grund, warum das Bundeswirtschaftsministerium diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Glauben Sie im Ernst, der Herr Bundeswirtschaftsminister würde uns bei seiner bekannten Einstellung hier einen solchen Gesetzentwurf vorlegen, wenn er nicht selber diese von ihm hier abgegebene optimistische Erklärung im Innern seines Herzens tatsächlich gar nicht so ernst nähme?
Diese Verhältnisse wirken sich natürlich auch auf weitere Bewirtschaftungsmaßnahmen aus. Keiner von uns denkt an Bezugscheine. Wollen wir hoffen, wirklich, wollen wir hoffen, daß uns die allgemeine Weltlage diese Bezugscheinwirtschaft auf die Dauer erspart und daß wir nie wieder in dieses Bezugscheinunwesen hineingeraten. Aber die Fragen, die hier zur Erörterung stehen, sind doch ganz andere. Die Frage der Exportsteuerung beispielsweise. Unsere verarbeitende Industrie kann infolge des Rohstoffmangels Exportaufträge in Fertigwaren tatsächlich nicht ausführen. Unsere schlechte Handelsbilanzsituation ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß das Verhältnis zwischen Rohstoffexporten und Fertigwarenexporten nach wie vor 1 : 1 ist, während es vor dem Kriege 1 : 2 1/2 gewesen ist. Wir müssen wesentlich mehr Fertigwaren ausführen. Die eisenschaffende Industrie hat noch im Laufe des Monats November 250 000 Tonnen Eisen- und Stahlmaterial und Halbwaren unverarbeitet exportiert. Bei einem Durchschnittserlös von schätzungsweise 400 DM die Tonne ergibt das einen Gesamterlös von 100 Millionen DM. Wären diese selben Dinge in unserer verarbeitenden Industrie fertiggestellt worden, hätten sie bei einem Durchschnittserlös von zur Zeit vielleicht 1 200 DM je Tonne zur Zeit einen Gesamterlös von 300 Millionen DM erbracht. Damit wäre das Defizit; das unsere Handelsbilanz in diesem Monat aufgewiesen hat, völlig gedeckt worden, und wir wären in der Lage gewesen, das, was jetzt nicht gekauft werden kann, für den deutschen Käufer ohne weiteres zu bekommen. Wir hätten damit die Bedarfsspannung verhindern können.
Sie sehen an diesem Beispiel, daß es tatsächlich unumgänglich ist, gewisse Maßnahmen zur Wirtschaftslenkung zu treffen, wenn wir unsere gesamte deutsche Wirtschaft vor entscheidenden und dauerhaften Schäden bewahren wollen.
Nun ist sicher richtig, daß die Weltmarktspannungen außerordentliche Schwierigkeiten nicht nur auf dem gewerblichen Sektor mit sich bringen, sondern ebenso auf dem Sektor der Agrarpolitik. Wir vermissen jede Koordinierung zwischen Agrarpolitik und gewerblichem Sektor. Wir sind doch auf dem gewerblichen Sektor relativ stark und könnten die Kräfte, die wir auf dem gewerblichen Sektor haben, ganz anders einsetzen, um auf dem agrarpolitischen Sektor eine entsprechende Position für uns herauszuholen. Wenn man sich natürlich stur in das Motto „Liberalisierung" verbeißt und geradezu eine Theorie, ein Dogma daraus macht, dann sieht man die Möglichkeiten nicht, die sich bei realistischer Betrachtung in unserer Handelspolitik bieten.
Nicht nur ich allein sehe das, sondern es sind auch auf Ihrer Seite Abgeordnete zu finden, die diese realistischen Möglichkeiten wohl erkannt haben.
Jedenfalls haben wir heute insofern einen erfreulichen Tag erlebt, als uns der Herr Bundeswirtschaftsminister erklärt hat, er wolle eine realistische Wirtschaftspolitik treiben, und als uns der Herr Bundeswirtschaftsminister ein Gesetz vorgelegt hat, das den ersten Schritt fort vom Dogmatismus und hin zu einer realistischen Wirtschaftspolitik bedeutet.
In diesem Sinne hoffen wir, daß dieses Gesetz eine bessere und für unser Volk nützlichere Wirtschaftspolitik einleitet.