Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 83. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der krank oder entschuldigt fehlenden Abgeordneten zu verlesen.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Dr. Köhler, Bazille, Dr. Gülich, Schütz, Morgenthaler, Mensing, Dr. Baur , Dr. Weiß, Dr. Jaeger, Lohmüller, Graf, Müller (Worms), Nuding. Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Strauß, Graf von Spreti, Dr. Kopf, Frau Dr. Weber (Essen), Struve, Dr. Samler, Dr. Holzapfel, Dr. Henle, Bauknecht, Dr. Reif, Dr. Frey, Heix, Glüsing, Schüttler, Höfler, Dr. Horlacher, Lausen, Jahn, Bielig, Stopperich, Albertz, Eichler, Dr. Suhr, Dr. Hasemann, Revenstorff, Dannemann, Freudenberg, Dr. Middelhauve, Faßbender, Margulies, Rademacher, Wirths, Wittenburg, Dr. Baumgartner, Dr. Falkner, Eichner, Parzinger, Niebergall, Loritz, Wallner, Frau Thiele. Außerdem fehlen die Abgeordneten Reimann, Rische, Renner, Müller (Offenbach), Vesper, Fisch.
Meine Damen und Herren, ich habe dann folgende amtliche Mitteilungen zu machen.
Der Bundesrat hat mit Schreiben vom 8. September 1950 mitgeteilt, daß er in seiner Sitzung vom gleichen Tage beschlossen habe, hinsichtlich des Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes und des Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Bewirtschaftungsnotgesetzes einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Weiter hat der Bundesrat in seiner 34. Sitzung am 8. September 1950 gemäß Art. 52 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung seinen Präsidenten und vier Vizepräsidenten wie folgt gewählt:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ministerpräsident des Freistaates Bayern Dr. Hans Ehard,
Erster Vizepräsident: Ministerpräsident des
Landes Nordrhein-Westfalen Karl Arnold,
Zweiter Vizepräsident: Oberbürgermeister von
Groß-Berlin Professor Dr. h. c. Ernst Reuter, Dritter Vizepräsident: Präsident des Senats
der Freien Hansestadt Bremen Bürger-
meister Wilhelm Kaisen,
Vierter Vizepräsident: Staatspräsident des Landes Baden Leo Wohleb.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 6. September 1950 die Anfrage Nr. 108 der Abgeordneten Dr. Jaeger, Frau Dietz, Dr. Wuermeling und Genossen betreffend Betreuung überlebender Opfer von „Menschenversuchen" — Drucksache Nr. 1260 — beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 1332.
Der Herr Bundeskanzler hat am 8. September 1950 die Anfrage Nr. 102 der Fraktion der FDP betreffend Einebnung deutscher Friedhöfe in Polen — Drucksache Nr. 1166 — beantwortet. Die Antwort wird als Drucksachennummer 1335 vervielfältigt.
Wir treten damit in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes vom 25. August 1950 .
Meine Damen und Herren! Als Drucksachennummer 1334 liegt Ihnen der gemeinschaftliche Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und DP vor. Inzwischen ist noch ein Schreiben von der Bundestagsfraktion der Bayernpartei eingegangen. Darin schlägt diese Fraktion die Herren Dr. Hermann Etzel als Mitglied und Dr. Besold als Stellvertreter vor. Soviel ich weiß, ist der Vorschlag in Drucksache Nr. 1334 auf Grund einer Verteilung nach dem d'Hondtschen System zustande gekommen. Es scheint mir daher nicht möglich, daß der Antrag der Bayernpartei in diesem Zusammenhang noch zur Abstimmung gestellt wird. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Ich nehme also das Einverständnis des Hauses damit an.
Ich lasse nunmehr über den Antrag Drucksache Nr. 1334 abstimmen und bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (Nr. 1307 der Drucksachen).
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Kohl.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist ein unmöglicher Zustand, ein Gesetz, das den einzelnen Fraktionen gestern im Laufe des Tages zugegangen ist, ein Gesetz von einer derartigen politischen Bedeutung bereits heute im Bundestag in erster Lesung zu behandeln. Ich beantrage deshalb, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und in der nächsten Woche auf die Tagesordnung zu bringen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Laforet.
Meine Damen und Herren! Der Deutsche Juristentag wird sich in den nächsten Tagen auf seiner Versammlung in Frankfurt mit dem Gegenstand „Änderung des Strafgesetzbuches" befassen. Im Auftrage von Mitgliedern des Rechtsausschusses, und zwar aller Parteien, bitte ich, diesen Punkt heute von der Tagesordnung abzusetzen, um schon bei der ersten Beratung in grundsätzlichen Fragen die Verhandlungen des Deutschen Juristentages in Frankfurt verwerten zu können.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu meinem Bedauern bin ich genötigt, der Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung zu widersprechen.
Die Erklärungen und Verhandlungen des Deutschen Juristentages stehen uns dann nach Abschluß der ersten Lesung bei der Ausschußarbeit als Material zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können uns eine weitere Geschäftsordnungsdebatte ersparen, indem wir abstimmen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Ich habe die Bitte, daß die erste Lesung der Vorlage erfolgt.
- Ja, ich habe es sehr eilig, das gestehe ich Ihnen zu.
Aber ich halte das auch für notwendig. Die Sozialdemokratische Partei hat durch ihre Fraktion schon im Februar ein Gesetz gegen die Feinde der Demokratie eingebracht. Die Vorlage der Bundesregierung stützt sich weitgehend auf diesen Entwurf. Ich habe das bittere Gefühl, daß wir schon ein halbes Jahr verloren haben.
In diesem halben Jahr sind die Gefahren, die die sozialdemokratische Fraktion zu ihrem Antrag veranlaßt haben, nicht geringer, sondern größer geworden. Die Änderung des Strafgesetzbuches soll die strafrechtlichen Waffen schaffen, um den Feinden der Demokratie entgegentreten zu können. Ich halte es für nicht zu verantworten, diese schon verzögerte Materie in der Gesetzgebung weiter zurückzustellen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können nunmehr die Geschäftsordnungsdebatte endgültig schließen.
Ich lasse abstimmen. Wer für die Absetzung des Punktes 2 von der Tagesordnung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag auf Absetzung ist damit abgelehnt.
Wir treten somit in die Beratung des Gegenstandes ein. Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Die von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzesvorlage trägt den Namen „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches". Sie befaßt sich also mit Änderungsvorschriften für das Deutsche Strafgesetzbuch, das, meine Damen und Herren, seit dem Mai 1871 in Kraft ist und das in seinen Wurzeln auf das Jahr 1851 zurückgeht. Die Welt, in der dieses Strafgesetzbuch entstanden ist, besteht nicht mehr. Seitdem haben sich grundsätzliche Änderungen vollzogen, und ich glaube, Alfred Weber hat nicht unrecht, wenn er von einem Strukturwandel des Menschen seit dieser Zeit spricht. Diese Wandlungen des Lebens verlangen auch eine Anpassung der Rechtsordnung an die veränderten Verhältnisse.
Auf dem Gebiete des Strafrechts ist der Ruf nach einer Reform schon etwa 50 Jahre alt. Sie vorzubereiten wird eine meiner schwierigsten, aber auch eine meiner vornehmsten Aufgaben sein. Auf bestimmten Teilgebieten ist nach meiner Überzeugung auf jeden Fall eine sofortige Gesetzesreform dringendes Gebot der Stunde. Dabei steht an der Spitze der Erfordernisse das Gebiet des Staatsschutzes. Wir müssen mit aller Tatkraft daran arbeiten, daß das deutsche Staatsschiff, dem wir, ich möchte sagen, wie einer modernen Arche Noah in der Sturmflut dieser Zeit alles anvertraut haben, was wir noch an Hoffnungen haben und was uns heilig ist, ein seetüchtiges Schiff wird, stark genug, den Gefahren zu begegnen, die in so reichem Maße von innen und von außen drohen. Wir
müssen auf strafrechtlichem Gebiete alle Vorkehrungen treffen, um die Freiheit, die wir gewählt haben und der wir uns verpflichtet fühlen, zu erhalten.
Zu den Mitteln dieser Staatserhaltung gehört auch das Strafrecht. Ich habe es schon im Frühjahr dieses Jahres begrüßt — ich sage das nochmals —, daß die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei den Entwurf ihres Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie eingebracht hat. Sie können feststellen, daß mein Entwurf diese wertvollen Anregungen weitgehend übernommen hat. Ich habe mich damals nur gegen die Form des Gesetzes gewandt, weil ich es nicht für glücklich halte, mit einem Sondergesetz zu arbeiten. Wir haben mit dem Republikschutzgesetz, mit den Notverordnungen keine guten Erfahrungen gemacht. Sondergesetze tragen immer das Zeichen des Zeitbedingten und damit des Fragwürdigen an sich. Ich halte es für notwendig, daß wir die erforderlichen Änderungen in das Strafgesetzbuch einarbeiten. Unsere Lage ist anders als in der Zeit der Weimarer Republik. Damals lag ein komplettes Strafgesetzbuch vor. Jetzt haben wir infolge der Eingriffe der Kontrollratsgesetzgebung nur einen Torso. Es sind Lücken entstanden, die wir sofort schließen müssen; und ich glaube, wir dürfen dabei nicht nur neuen Wein in alte Schläuche gießen, sondern müssen gleichzeitig den Bedürfnissen der geänderten Zeiten Rechnung tragen und wenigstens auf diesem Teilgebiet das Wagnis einer Strafrechtsreform unternehmen.
Man hat in der öffentlichen Kritik Bedenken geltend gemacht und hat Sorge, daß der Entwurf, der Ihnen vorliegt, die Rechte des Bürgers in untragbarer Weise einschränke. Vielleicht darf ich dazu ein paar Worte sagen. Unser Grundgesetz steht unter den Leitsätzen der Gerechtigkeit und der Freiheit. Beide Begriffe erheben den Anspruch auf absolute Verwirklichung und treten deswegen notwendig in der Praxis in einen Widerstreit, der in der Formulierung von der „freiheitlichen Grundordnung" deutlich wird. Aber, meine Damen und Herren, ich meine, es gibt keine Ordnung ohne Freiheitsbeschränkung. Die Betonung der Freiheit im Grundgesetz kann nur den Sinn haben, daß dem Staatsbürger das höchste Maß von Freiheit gewährt werden soll, das sich mit einer staatlichen Ordnung unter den jeweiligen geschichtlichen Verhältnissen vereinbaren läßt; und für solche Freiheitsbeschränkungen gibt es kein für alle Zeiten gültiges Maß. Ihr Umfang schwankt nach den politischen, nach den wirtschaftlichen und nach den gesellschaftlichen Verhältnissen, und ein von außen bedrohtes Volk wie das unsere und ein in sich noch nicht gefestigtes Volk wie die Bundesrepublik Deutschland kann keine schrankenlose Freiheit zugestehen. Wir würden sonst Gefahr laufen, von den Gegnern der Demokratie unter Mißbrauch der ihnen zufallenden Freiheiten in den Abgrund der Unfreiheit und des Terrors wieder einmal gestürzt zu werden. Das Schicksal der Weimarer Republik ist ein warnendes Beispiel dafür, daß eine Überdosierung der Freiheit, besonders eine zu weit getriebene Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie, zum Freitod der Freiheit führen kann. Wir müssen ein Freiheitsopfer bringen, um die Freiheit zu bewahren. Ich glaube also deswegen nicht, daß der Ihnen vorliegende Entwurf zu weitgehende Strafvorschriften enthält. Für mich war bei allen Vorschriften oberste Richtschnur, im Rahmen einer freiheitlichen Ordnung und im Rahmen rechtsstaatlicher Vorstellungen zu bleiben. Der
Bundesrat hat meinen Entwurf mit Ausnahme von zwei Bestimmungen, über die ich gesondert sprechen will, gebilligt.
Wenn ich Ihnen einen kurzen Überblick über die einzelnen Vorschriften zu geben versuche, darf ich Ihr Einverständnis voraussetzen, daß ich mich bei der großen Fülle des Stoffes auf die politisch bedeutsamen Punkte beschränke und von juristischen Einzelheiten absehe.
Ich habe schon gesagt, das Kontrollratsgesetz hat Lücken in unser Strafgesetzbuch gerissen, hat insbesondere die Bestimmungen über Hochverrat und Landesverrat gestrichen. Der deutsche Staat ist nun wieder entstanden, wenn auch verstümmelt und wenn auch leider noch nicht voll handlungsfähig. Aber auch dieser Staat bedarf des Schutzes gegen Hochverrat und gegen Landesverrat. Das Grundgesetz enthält bereits Hochverratsbestimmungen, die wir jetzt weiterführen. Insoweit stützen wir uns im wesentlichen auf die alten Rechtsvorschriften.
Bei der Wiedereinführung von Vorschriften gegen den Landesverrat waren wir bestrebt, uns auf das unter den heutigen Verhältnissen unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Insbesondere haben wir davon abgesehen, Vorschriften über Feindbegünstigung einzuführen. Die Landesverratsbestimmungen, die sich gegen landesverräterische Untreue und gegen diplomatischen Ungehorsam wenden, lehnen sich an die bisherigen Rechtsvorschriften an.
Bedeutsamer ist die Vorschrift über den Verrat von Staatsgeheimnissen. Wir mußten hierbei einerseits auf die gegenüber den Besatzungsmächten noch bestehenden Souveränitätsbeschränkungen Rücksicht nehmen, andererseits aber auch diese Vorschriften auf die von Deutschland angestrebte zukünftige übernationale Völkerrechtsordnung zuschneiden. Während früher Staatsgeheimnisse absolut geschützt waren, indem sie grundsätzlich vor jeder ausländischen Regierung geheimgehalten werden mußten, geht die jetzige Fassung davon aus, daß es Personen oder Regierungen gibt, denen gegenüber keine Geheimhaltungspflicht besteht. Aber nicht nur dieser unfreiwilligen Souveränitätsbeschränkung wird Rechnung getragen, sondern auch dem Fall der freiwilligen Einordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Art. 24 des Grundgesetzes, mit der Folge, daß auch Geheimnisse solcher Staatengemeinschaften unter die Vorschriften gegen den Landesverrat fallen.
Eine wichtige Neuerung ist die Vorschrift über staatsfeindliche Zusammenarbeit mit dem Ausland. Sie bedroht den mit Strafe, der mit umstürzlerischen Organisationen, die ihren Sitz außerhalb des Bundesgebietes haben, oder mit ihren Agenten in Verbindung tritt und sich dabei von der Absicht leiten läßt, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik gerichtete Bestrebungen zu unterstützen. Ich darf bemerken, daß diese Vorschrift im wesentlichen einem Schweizer Entwurf nachgebildet ist. Sie soll und wird eine brauchbare Waffe gegen die nur zu bekannte Wühlarbeit aus dem Osten sein.
Die Vorschriften gegen die Herabwürdigung des Staates und der Staatsorgane entsprechen in ihren Grundzügen auch früheren Rechtsvorschriften. Die Erfahrungen sowohl der Weimarer Republik als auch die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß der allgemeine Ehrenschutz unzureichend ist, um den Staat und die wichtigsten Staatsorgane vor schmutzigen Beschimpfungen und Verdächtigungen zu schützen. Was wir in der letzten Zeit wieder erleben — es ist einfach ungeheuerlich!
Wenn ich daran denke, was sich die an dem Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes interessierten Personen und Organisationen an Verunglimpfungen der Bundesregierung gestatten, so ist das der Beweis einer Würdelosigkeit, der man wirksam nur mit dem Strafrecht begegnen kann.
Meine Damen und Herren, Angriffe gegen die nach dem Grundgesetz geschaffenen Organe sind Angriffe gegen den Staat selbst, und ich glaube, sie dürfen im Interesse des Staates nicht hingenommen werden. Dabei ist in keiner Weise an eine Vorzugsstellung der Minister gedacht. Die Minister genießen für ihre Person keinen Sonderschutz, sondern sie werden nur dann geschützt, wenn die Regierung in ihrer Gesamtheit getroffen ist.
Ich darf mir vielleicht eine Einzelerörterung der vielen in unserem Entwurf angeschnittenen Probleme ersparen. Als bemerkenswert darf ich auf die Vorschrift über den Schutz der Bundesfarben und anderer Bundessymbole hinweisen. In engem Zusammenhang mit dieser Bestimmung steht die Vorschrift des Art. 2 § 1, die das öffentliche Verwenden der Kennzeichen der ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei mit Strafe bedroht.
Der Bundesrat hat, wie Sie aus seinen Vorschlägen unter Nr. 26a ersehen, vorgeschlagen, auch das öffentliche Verwenden der schwarz-weiß-roten Farben zur Bekundung einer politischen Gesinnung unter Strafe zu stellen. Dieser Gedanke entspricht einem Entwurf, der von mir ausging. Das Kabinett hat sich — meines Erachtens mit Recht — auf den Standpunkt gestellt, daß im Augenblick eine solche Vorschrift weder erforderlich noch zweckmäßig ist, weil man wohl feststellen kann, daß der unheilvolle Flaggenstreit in unserem Volke nicht mehr — ich will einmal sagen — aktuell ist.
Wir haben dann eine Vorschrift eingefügt, die dem Schutz der Parlamente dient; es ist für die Parlamente eine Bannmeile vorgesehen, deren Verletzung strafrechtliche Folgen hat.
Eine ähnliche Vorschrift dient dem Schutz der Gerichte, weil wir meinen, daß auch die Gerichte nicht dem Druck der Straße ausgesetzt werden dürfen.
Der Anschauungsunterricht in Wahlbeeinflussung und Wahlfälschung, den uns die autoritären Systeme geboten haben und bieten — ich bin überzeugt, daß wir am 15. Oktober wieder reichlich Stoff dafür bekommen werden —, war uns Veranlassung, die bisherigen Bestimmungen über den Schutz der Wahlfreiheit und über den Schutz des Wahlgeheimnisses weiter auszubauen und so sicherzustellen, daß der Wille des Volkes, soweit er mit dem Stimmzettel bekundet wird, seinen unverfälschten Ausdruck findet.
Von politischer Bedeutung ist auch die Vorschrift, durch die die Träger politischer Uniformen aus dem Straßenbild verbannt werden sollen. Ich meine, Politik soll nach Möglichkeit mit dem Kopf gemacht werden; wer nur die Fähigkeit des Marschierens besitzt, soll sich außerhalb der politischen Szenerie halten.
Zwei wichtige Vorschriften, die zur Demokratie, zur Achtung der Mitmenschen, zur Fairneß im Verhalten im politischen Kampf erziehen, sind die §§ 130 und 131. Der § 130 bestraft unter dem Gesichtspunkt der Volksverhetzung insbesondere die Hetze gegen Bevölkerungsgruppen, die durch Abstammung, Herkunft, Religion oder Weltanschauung bestimmt sind, z. B. Hetze gegen eine Konfession, gegen Juden, gegen die Vertriebenen. Dem Hetzen ist das Beschimpfen und Verächtlichmachen durch Tatsachenbehauptungen gleichgestellt. Es ist leider so, daß unter der Asche des Dritten Reiches da und dort noch Restbestände des nationalsozialistischen Rassenwahns schwelen; ich meine, sie müssen unerbittlich ausgetreten werden. Die Vorschrift des § 130 schützt auch die Vertriebenen. Die Eingliederung dieser Millionen von Menschen, die unter Mißachtung allen Menschenrechtes Haus und Hof, Hab und Gut und ihre Heimat verloren haben, ist mit Reibungen verbunden. Ich bin der Meinung, notfalls müssen diese Reibungen auch durch den Strafrichter beseitigt werden.
Die Bestimmung des § 131 über die politische Lüge dient der Befriedung des öffentlichen Lebens; sie stellt die Verleumdung des politischen Gegners unter Strafe, sofern sich der Täter dabei der modernen Massenbeeinflussungsmittel bedient. Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn das Volk in die Lage versetzt wird, sich selbst ein objektives Urteil zu bilden. Dazu ist unerläßlich, daß es ein wahrheitsgemäßes Bild von den politischen Tatbeständen vermittelt bekommt. Es gehört zu den gefährlichsten Entartungen des politischen Lebens, wenn zur Bekämpfung des politischen Gegners bewußt unwahre Behauptungen in die Öffentlichkeit getragen werden. Diesen Methoden der politischen Brunnenvergiftung will diese Bestimmung des § 131 begegnen.
Der Entwurf bringt eine größere Zahl von Verbesserungen des allgemeinen Ehrenschutzes, die für die gerichtliche Praxis erheblich sein werden, so die Möglichkeit für den Richter, bei ehrlicher Abbitte des Beleidigers das Mindestmaß der Strafe zu unterschreiten oder sogar von einer Strafe abzusehen; dann die Möglichkeit, die ich auch für bedeutungsvoll halte, daß der Strafrichter unter bestimmten Voraussetzungen, besonders wenn aus irgendwelchen rechtlichen Gründen eine Bestrafung nicht möglich ist, die Unwahrheit einer Behauptung oder die Nicht-Erweislichkeit einer Behauptung feststellt.
Von politischer Bedeutung ist die Vorschrift eines besonderen Ehrenschutzes für solche politischen Märtyrer, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus oder für eine freiheitliche demokratische Ordnung ihr Leben gelassen haben. Sie wissen, auf Grund welcher Vorgänge wir diese Bestimmung für wichtig halten.
Entsprechend dieser Bestimmung wird dann in Art. 2 § 2 ein aus Überzeugung geleisteter Widerstand gegen den Nationalsozialismus vor der Verächtlichmachung geschützt. Wir wollen auf keinen Fall hinnehmen, daß diejenigen, die den Mut besessen haben, der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entgegenzutreten, von unbelehrbaren Elementen als Landesverräter hingestellt werden. Ich glaube, auch das Strafgesetzbuch darf keinen Zweifel daran lassen, daß das wahre Deutschland, das die Tradition einer großen Vergangenheit und, wie wir glauben, auch die Keimzelle einer wirklich deutschen Zukunft in sich trug, dort stand, wo die Gegner Hitlers standen.
Die bisher von mir erörterten Vorschriften sind im Bundesrat auf keine Schwierigkeiten gestoßen. Uneins waren wir nur über zwei bedeutsame Bestimmungen. Das ist einmal die Frage der Verfassungsstörung oder der Staatsgefährdung. Das andere Problem betrifft die Störung der Rechtspflege.
Wir haben in unseren Entwurf einen § 90 eingefügt, der auf dem Gedanken beruht, daß die überkommenen Hochverratsbestimmungen angesichts der veränderten technischen und soziologischen Verhältnisse nicht ausreichen. Der klassische Hochverratstatbestand hat zur Voraussetzung, daß sich der Täter des Mittels der Gewalt bedient oder des Mittels der Drohung mit Gewalt. Diese Bestimmung wird den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Ähnlich wie in modernen Machtkämpfen zwischen den Nationen die Niederringung des Gegners häufig nicht durch die Anwendung der Gewalt, durch Krieg, versucht wird, sondern mit den Methoden — wir kennen sie — der Zermürbung der Widerstandskraft des Volkes, also mit den Methoden, die man als kalten Krieg zu bezeichnen pflegt, ist es auch im Kampf um die Macht im Staat üblich geworden, das plump gewordene Mittel einer mit Gewalt arbeitenden Revolution durch die raffinierten Methoden des kalten Hochverrats zu ersetzen, durch die Methoden, die erst durch die technische Entwicklung möglich geworden sind. Sie wissen, an die Stelle des Hochverrats — wir haben das schauerlich erlebt — ist die „Machtergreifung" durch die Mittel der Organisation und durch das Mittel der Desorganisation, des Massenterrors, der planmäßigen Irreführung der Massen, getreten. Ähnlich zeigt uns die Kriminalstatistik, daß der moderne Verbrecher viel weniger das Mittel des Diebstahls anwendet, um ein fremdes Rechtsgut in seine Verfügung zu bekommen, sondern viel häufiger das Mittel des Betruges. Ähnlich zeigt auch die Vergangenheit, und ich glaube, die Zukunft wird es noch stärker in Erscheinung treten lassen, daß der moderne Hochverrat gerade durch das Fehlen der Gewalt oder durch die Tarnung der Gewalt charakterisiert ist. In dem Augenblick, in dem die Gewalt schließlich in Erscheinung tritt, ist die Macht schon ergriffen. Sie enthüllt dann ihr wahres Gesicht erst bei der Abrechnung mit den Trägern der ausmanövrierten staatlichen Ordnung.
Solchen Methoden kann man nach meiner Überzeugung mit den antiquierten Mitteln des klassischen Hochverrats, mit den klassischen Bestimmungen gegen ihn, nicht beikommen. Den Planern solcher kalten Revolutionen läßt sich die Absicht der Gewaltanwendung im Sinne einer Hochverratsbestimmung so gut wie niemals nachweisen. Wir wissen, daß dieser Umstand schon zu großen rechtlichen Schwierigkeiten in der sogenannten „Kampfzeit" geführt hat, und gerade die Kenntnis dieses Umstandes hat diesen klassischen Hochverräter Hitler immer davon sprechen lassen, daß er „legal" zur Macht komme. Wir haben die Vorgänge in der Tschechoslowakei im Frühjahr 1948 vor Augen. Sie sind uns ein warnendes Beispiel. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind uns über die akuten Gefahren, in denen wir leben, nicht im unklaren. Es sind nicht nur Gefahren von der Linken, sondern auch Gefahren, die uns von der Rechten drohen. Was uns vor einiger Zeit Herr Kollege Dresbach über seine Erfahrungen hinsichtlich des Lebendigwerdens der nationalsozialistischen Überreste mitgeteilt hat — ich erinnere an das, was sich im Bergischen Land und in Niedersachsen tut —, all
das sind Warnungszeichen vor gefährlichen Vorgängen, auf jeden Fall Keimzellen sehr bedrohlicher Entwicklungen. Es ist unsere Pflicht, aus unseren Erfahrungen zu lernen und das Hochverratsrecht zu modernisieren.
Das Problem liegt darin, eine Bestimmung zu formulieren, die nicht auf das Mittel der Gewalt als Tatbestandsmerkmal abgestellt ist, sondern ein anderes Mittel der Tatbestandsverwirklichung festlegt, das den Unrechtsgehalt dieser Tat kennzeichnet. Auch hier haben wir uns an die Strafrechtsvorschläge der Schweiz angelehnt. Die Schweiz ist durch die Vorgänge in der Tschechoslowakei im Frühjahr 1948 hellhörig geworden. Wir haben uns zunächst für eine Fassung entschieden, die jeden, der eine Verfassungsänderung betreibt, dann mit Gefängnisstrafe bedroht, wenn er zur Erreichung seiner Ziele nicht den in der Verfassung vorgesehenen Weg beschreitet, also wenn er auf verfassungswidrige Weise handelt. So ist die Bestimmung auch in der Schweiz im wesentlichen — über die Vorgänge in den letzten Wochen bin ich allerdings nicht unterrichtet —, ich glaube, schon positives Recht geworden.
Man hat gegen diese Fassung, weil sie zu abstrakt sei und die Tatbestände nicht genügend konkretisiere, Bedenken erhoben, die im Bundesrat zu einer Ablehnung geführt haben. Ich bin der Meinung, daß wir auf jeden Fall den Versuch machen müssen, dieses Handeln, das „vor" dem Hochverrat liegt, strafrechtlich zu erfassen. Wenn der Bundesrat meint, man müsse dieses Problem erst in der Wissenschaft weiterhin klären —, na, so war vielleicht am Tage der Beschlußfassung des Bundesrats — das war der 23. Juni — noch darüber zu reden. Aber zwei Tage später, meine Damen und Herren, war Korea! Ich meine, das müßte jedem Zauderer die Augen geöffnet haben. Wir brauchen ja nicht in koreanische Fernen zu schweifen, denn das Böse liegt so nah! Für uns genügt das, was in der Ostzone vorgeht. Von dort aus wird mit allen Mitteln der Propaganda, der Wühlarbeit, der Zersetzung der Bundesrepublik gearbeitet, um sie zu Fall zu bringen. Ich glaube, wir können da nicht tatenlos zusehen. Der Kampfruf ist ja nicht: Hannibal ante portas!, sondern das Trojanische Pferd ist in unserer Mitte, und wir müssen uns dagegen zur Wehr setzen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß diese strafrechtliche Bestimmung das Kernstück des Entwurfes ist.
Wir haben versucht, den Bedenken des Bundesrats Rechnung zu tragen, und haben unter der Bezeichnung „Staatsgefährdung" eine neue Fassung vorgelegt, die wir Ihrer Beratung zugrunde zu legen bitten. Dabei treten an die Stelle des Merkmals verfassungswidrigen Handelns eine Reihe besonders verwerflicher undemokratischer Methoden, die als Mittel der kalten Revolution mit Strafe bedroht werden, wenn ihre Anwendung eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung herbeiführt. Diese Methoden bestehen darin, daß die Täter durch Anwendung von Massenterror, durch planmäßige Irreführung der Massen, mit sonstigen verwerflichen Mitteln die Einführung von Maßnahmen oder Einrichtungen betreiben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, oder daß sie mit diesen Mitteln auf die Ausschaltung oder Lahmlegung verfassungsmäßiger Einrichtungen hinarbeiten.
Es wird auch die Vornahme von Handlungen, die lebenswichtige Betriebe außer Tätigkeit setzen können, als eine Begehungsform dieses Tatbestandes angeführt. Auch hier ist Voraussetzung, daß der Täter mit der Absicht, einè Änderung oder Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung herbeizuführen, handelt und in dieser Richtung eine Gefährdung herbeiführt. Ich glaube, daß hier eine brauchbare Lösung gefunden ist.
In der Erkenntnis, daß eine kalte Revolution regelmäßig nicht von Einzelpersonen, sondern von Personenmehrheiten, von staatsfeindlichen Gruppen betrieben wird, haben wir weiter in unserem Entwurf eine Vorschrift mit Strafrechtsnormen gegen die von staatsfeindlichen Vereinigungen drohenden Gefahren vorgeschlagen. Teilweise ist dies in Ausführung des Art. 21 des Grundgesetzes, der sich mit den staatsfeindlichen Parteien befaßt, schon in den Bestimmungen der §§ 41 und 38 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, das jetzt bei Ihnen zur Verabschiedung liegt, geschehen. Für die verwandte Bestimmung des Art. 9 des Grundgesetzes, der Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, für verboten erklärt, ist eine Strafvorschrift notwendig. Sie ist im § 129 Abs. 1 des Entwurfs enthalten. Durch sie wird es möglich sein, den organisierten Staatsfeind schon um dieser Organisation wegen zu treffen und ihn unschädlich zu machen, bevor er in Aktion treten kann.
Das war der eine Streitpunkt oder Differenzpunkt mit dem Bundesrat.
Der andere hat in der Öffentlichkeit stärkeren Niederschlag gefunden. Es ist die Bestimmung über die Störung der Rechtspflege, die in unserem Entwurf in § 137b enthalten ist. Auch hier handelt es sich nach meiner Überzeugung um ein Problem des Staatsschutzes. Eine Demokratie verdient diesen Namen nicht, wenn sie nicht eine rechtsstaatliche ist. Die Gerichte sind die Träger des rechtsstaatlichen Gedankens. Sie müssen in die Lage versetzt sein, unabhängig ihre hohe Aufgabe zu erfüllen. Die Unabhängigkeit muß mit allen Mitteln, nach meiner Meinung notfalls auch mit den Mitteln des Strafrechts, gehütet werden. Aus diesem Geist ist diese Strafvorschrift geboren, die nicht, meine Damen und Herren, das Ziel hat, den Richter der Kritik der Öffentlichkeit zu entziehen.
— An dieses Ziel ist nicht gedacht!
— Herr Dr. Greve, an dieses Ziel ist nicht gedacht. Sie müssen mir ja zugestehen, festzustellen, aus welchen Motiven heraus ich Ihnen diese Vorschrift vorschlage.
Es geht uns nicht um den Schutz des Gerichts, es geht uns um den Schutz der Rechtspflege
und die Wahrung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Man kann über die Zweckmäßigkeit des Vorschlags streiten; aber auf jeden Fall müssen Sie mir zugestehen, daß das meine Intention ist. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist eins der wichtigsten Kriterien, durch die sich eine Demokratie von den autoritären Systemen unterscheidet. Wir haben schauerliche Erfahrungen mit der „gelenkten" Rechtspflege gemacht, und wir erleben jetzt, daß sich Gleiches im Osten vollzieht. Die Waldheimer Prozesse rechtfertigen die schärfste Anklage gegen den Geist, der dort drüben herrscht, gegen dieses Sich-Hinwegsetzen über die primitivsten Garantien
einer ordentlichen Rechtspflege. Wir wissen, meine Damen und Herren, auch in einem demokratischen Staat gibt es Kräfte, die ihren Einfluß auf Verfahren nehmen wollen, die einschüchtern wollen, die die an den Gerichtsverfahren Beteiligten in irgendeiner Richtung lenken wollen. Dem soll ein Ende gesetzt werden.
Wie wenig es sich, Herr Kollege Greve, bei dieser Vorschrift um einen Schutz der Gerichte handelt, mögen Sie daraus ersehen, daß auch die am Verfahren Beteiligten sowie ihre Vertreter und Verteidiger des strafrechtlichen Schutzes teilhaftig werden, wenn man versucht, sie mit unlauteren Mitteln zu beeinflussen. Es soll eine Freiheit von Furcht geschaffen werden, die allen Prozeßbeteiligten zugute kommt.
- Wir brauchen s! Wer Zeuge war, mit welchen Druckmitteln gerade in politischen Prozessen Einfluß genommen wurde, der kann keinen Augenblick im Zweifel sein, daß es notwendig ist, hier für Abwehr zu sorgen.
Neben diesem Ehrenschutz der einwandfreien Rechtspflege steht das Verbot einer vorsätzlichen oder leichtfertigen falschen Berichterstattung in der Öffentlichkeit über gerichtliche Verfahren. Der eigentliche neuralgische Punkt dieser Vorschrift, Nr. 3 des § 137b, bestimmt, daß die Berichterstattung über gerichtliche Verfahren zeitlich beschränkt werden soll. Sie wissen vielleicht, daß diese Bestimmung in der Öffentlichkeit starker Kritik unterzogen worden ist. Man hat liebenswürdigerweise von einer zweiten Bambergensis, von einer neuen Bamberger Peinlichen Halsgerichtsordnung, gesprochen. Es ist nicht an dem!
Es geht nicht um eine Beschränkung der Pressefreiheit. Es geht nicht darum, der Presse einen Maulkorb anzulegen. Man kann über die Formulierung durchaus debattieren. Der Bundesrat hat Bedenken geäußert. Ich habe es deshalb für richtig gehalten, die Vorschrift noch stärker zu profilieren. Eine Strafbarkeit soll nach meinem jetzigen Vorschlag nur dann Platz greifen, wenn vor der Entscheidung erster Instanz, bevor ein Gericht in erster Instanz entscheidet, das noch ausstehende Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens öffentlich in einer Weise erörtert wird, die geeignet ist, die Unbefangenheit der Mitglieder des Gerichts, der Zeugen und der Sachverständigen oder sonstwie die Findung der Wahrheit einer gerichtlichen Entscheidung ernsthaft zu gefährden.
— Warten Sie nur ab! Ich werde Ihre Frage beantworten. — Die Strafbarkeit wird in doppelter Weise beschränkt, um alle Garantien dafür zu schaffen, daß ein Mißbrauch dieser Bestimmung nicht eintritt.
Die Vorschrift ist auf jeden Fall auf den Kern dessen zurückgeführt, was von Anfang an mein Anliegen war: Schutz der Prozeßparteien und der Angeklagten vor irgendeiner Stimmungsmache, die sich im Gerichtssaal in Form der Beeinflussung der Gerichtsmitglieder, der Zeugen, der Sachverständigen und eben damit als Störung der Wahrheitsfindung geltend machen kann. Wir wollen alles vermieden wissen, was eine gerechte Entscheidung hindern kann. Wer in der Praxis stand, weiß, wie verhängnisvoll tendenziöse Berichterstattung ist, wie sie sich auch auf das Erinnerungsbild der Zeugen und oft auch auf den Willen der Sachverständigen in ihrem Streben nach Objektivität auswirkt, wie besonders auch auf die Schöffen und Geschworenen. Schließlich sind die Richter ja auch nur Menschen. Solchen psychologischen Einwirkungen sind die Gerichtsbeteiligten immer ausgesetzt. Diesen Gefahren wollen wir begegnen.
Man hält mir entgegen, es sei falsch, auf das Vorbild des contempt of court in England zu verweisen; dort seien die Verhältnisse vollkommen anders. Übrigens gibt es diese Bestimmung nicht nur dort in den angelsächsischen Staaten, sondern es gibt sie seit langem — und sie haben sich auch bewährt — z. B. auch in Osterreich; seine Gerichtsstruktur ist durchaus der unseren ähnlich. Wenn gerade in einem Lande mit so hohem Ansehen der Gerichte wie in England diese Strafrechtsbestimmung notwendig ist, dann ist doch der Schluß zwingend, daß bei uns eine gesteigerte Notwendigkeit zu bejahen ist.
Um aber Ihre Frage zu beantworten, sage ich folgendes. Wir haben, um Mißbräuche zu vermeiden, vorgesehen, daß ein Verfahren nur mit Ermächtigung der obersten Dienstbehörde eingeleitet werden soll. Damit ist es ausgeschlossen, daß irgendwo aus Ressentiment ein Strafverfahren eingeleitet wird, so daß also in Wirklichkeit nur der Oberlandesgerichtspräsident darüber entscheidet, ob ein schwerwiegender Fall vorliegt. Vor allem, meine Damen und Herren, ist bei dem gegebenen Tatbestand zu bedenken, daß eine Verurteilung nur bei vorsätzlichem Verhalten des Täters möglich ist, also nur, wenn dem Täter nachgewiesen werden kann, daß alle Tatbestandsmerkmale, also auch das Wissen um die ernstliche Gefährdung einer gerichtlichen Entscheidung vorhanden sind, daß dieser Zweck von dem Wissen und dem Wollen des Täters umfaßt wird. Ich glaube, daß ich Ihnen — trotz aller Kritik meines Herrn Kollegen Dr. Greve — diesen Vorschlag zur ernsten Erwägung unterbreiten darf.
Das sind die beiden kritischen Punkte der Vorlage.
Was ich bis jetzt besprochen habe, befaßt sich vor allem mit dem Schutz des Staates und seiner Verfassung, mit den Normen zur Gestaltung des öffentlichen Lebens. Aber, meine Damen und Herren, es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob immer noch der Staat an der Spitze aller strafrechtlich geschützten Rechtsgüter stünde. Bisher hat das Strafgesetzbuch mit den Bestimmungen zum Schutz des Staates begonnen, mit den Vorschriften über Hochverrat und Landesverrat. Ich meine: diese Vorstellung hat ihre innere Berechtigung verloren. Der souveräne Staat ist nicht mehr der unbeschränkte Herrscher unserer Rechtsordnung. Auch hier hat sich eine große Umwälzung vollzogen. Die Staaten sind im Begriffe, von dem Thron ihrer Souveränität herabzusteigen, einen Teil ihrer Souveränität auf internationale Staatengemeinschaften zu übertragen. Schon das Grundgesetz der Bundesrepublik hat ausdrücklich diese Möglichkeit vorgesehen, hat vorgesehen, daß die Bundesrepublik zur Wahrung des Friedens sich in Staatengemeinschaften einordnen und hierbei Hoheitsrechte auf diese Staatengemeinschaften übertragen kann. Damit wird die staatliche Souveränität als höchstes und unantastbares Rechtsgut aufgegeben. Es wird eine neue Wertordnung aufgerichtet, und an der Spitze dieser Wertordnung steht der Friede.
Deswegen schlage ich Ihnen vor, auch an die Spitze unseres Strafgesetzbuches den Schutz des Friedens zu stellen. Wir haben Ihnen einen Tatbestand mit der Überschrift des „Friedensverrats" vorgelegt. Es soll vor allem die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt werden. Es soll unter schwerste Strafe gestellt werden, wer in der Absicht, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, öffentlich gegen ein fremdes Volk hetzt. Jeden, der die Gefahr des Krieges heraufbeschwört, jeden, der die Gefahr eines Angriffskrieges heraufbeschwört, soll nach diesem Entwurf schwerste Strafe treffen. Das deutsche Volk hat im Rückblick auf die Verheerungen und das Unglück des letzten Krieges keinen sehnlicheren Wunsch als den nach dauerndem Frieden.
In diesen Zusammenhang sind gestellt die Vorschriften gegen die friedengefährdende Beweismittelfälschung und gegen Neutralitätsbruch. Es soll verhindert werden, daß Deutschland durch das friedengefährdende Verhalten Einzelner in einen Krieg zwischen anderen Staaten hineinverwickelt wird.
Von besonderer Aktualität ist das Verbot der Anwerbung für den Wehr- und Rüstungsdienst einer anderen Macht, auch für die Volkspolizei des Ostens.
Es ist ein ernstes Anliegen, daß Deutsche zukünftig nicht mehr für machtpolitische Ziele anderer Staaten mißbraucht werden. Insbesondere muß verhütet werden, daß Bürger unseres Staates für den Militär- und Rüstungsdienst der Ostzone geworben werden, um eines Tages vielleicht zum Bruderkrieg gegen die Bundesrepublik antreten zu müssen. Von diesem Verbot der Anwerbung ist aber eine Ausnahme gemacht für den Fall, daß die Anwerbung für zwischenstaatliche Einrichtungen erfolgt, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist.
Wenn das Abendland in Gefahr ist, soll es — das ist wenigstens meine Überzeugung — den Söhnen unseres Landes nicht verboten sein, zur Verteidigung ihrer Heimat beizutragen.
Eine Demokratie — —
Ich bitte Sie, den Redner nicht zu unterbrechen. Sie können Ihre Redezeit nachher voll ausnutzen.
Eine Demokratie, die nicht gewillt ist, sich zu verteidigen, kann nicht bestehen.
Mit den Vorschriften über den Friedensverrat verläßt der Entwurf die Ebene des Staatsschutzes und ragt hinein in die große Schicksalsfrage unserer Zeit, in die bange Sorge um den Frieden der Welt.
Meine Damen und Herren, ich bin der letzte, der die Bedeutung eines Strafgesetzes überschätzt. Ich glaube aber, Sie nützen unserer Demokratie und Sie nützen unserem jungen Staate, wenn Sie diese meine Vorlage rasch verabschieden.
Ich eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprache auf 120 Minuten zu begrenzen. Es erhebt sich kein Widerspruch.
— Wollen Sie zur Geschäftsordnung sprechen, Herr Abgeordneter?
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was denkt man eigentlich von diesem Hohen Hause, daß man am Freitag abend eine Gesetzgebungsvorlage von dieser Bedeutung in die Hand bekommt, und dann soll am Dienstag die erste Lesung und die Generaldebatte stattfinden, und zwar in der Weise, daß große Fraktionen auf 20 Minuten beschränkt werden und kleinere auf entsprechend weniger Zeit? Stellen Sie sich einmal vor, was für eine Sorgfalt und Mühe der alte deutsche Reichstag bei der Beratung eines derartigen Gesetzes aufgewandt und welche Zeit er sich genommen hätte, um solche grundlegenden Fragen zu erörtern. Es ist einfach dieses Hauses unwürdig, so zu verfahren, wie das hier geschieht..
Und wenn diese Lesung stattfinden soll, dann bestehen wir darauf, daß sie nach der Geschäftsordnung stattfindet. d. h. daß jeder Abgeordnete dieses Hauses eine Redezeit von einer Stunde hat.
Meine Damen und Herren, das Haus kann die Redezeit nach der Geschäftsordnung beschränken. Der Antrag des Ältestenrats ist Ihnen hier bekanntgegeben worden. Wir haben darüber abzustimmen.
— Wollen Sie zur Geschäftsordnung sprechen?
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe nicht das Pathos des Herrn Kollegen Arndt, denn es waren ja die Vertreter der Sozialdemokratie, die im Ältestenrat der Begrenzung der Redezeit durchaus beipflichteten, wobei wir uns darüber im klaren waren, daß die juristische und politische Problematik auch nur der wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes innerhalb dieser Redezeit natürlich nicht irgendwie erschöpfend beleuchtet werden konnte, sondern daß nur eine allgemeine Stellungnahme zu den Hauptgedanken erfolgen sollte.
— Das leugne ich nicht.
Wie meinen Sie, Herr Abgeordneter Hilbert? — Ich bin nicht so empfindlich. Ich gestatte gern, daß jemand einen Scherz macht.
§ 87 der Geschäftsordnung lautet:
Die Rededauer darf eine Stunde nicht überschreiten. Für bestimmte Beratungen kann sie der Bundestag durch Beschluß ohne Besprechung verlängern.
Spricht ein Mitglied über die Redezeit hinaus, so entzieht ihm der Präsident nach einmaliger Mahnung das Wort.
Der § 88 lautet:
Die Zeitdauer für die Besprechung eines Gegenstandes kann auf Vorschlag des Ältestenrats begrenzt werden.
Der Vorschlag des Ältestenrats ist bekanntgegeben: 120 Minuten. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Darf ich noch einmal bitten? — Das ist ohne Frage die Mehrheit. Damit ist die Begrenzung auf 120 Minuten beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch. 20 Minuten!
— Ich bitte um Gehör!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung hat dem Bundestag mit der vorliegenden Drucksache Nr. 1307 einen Gesetzentwurf übergeben, der den Schutz der Verfassung und ihrer Institutionen und den Schutz der Demokratie und ihrer Willensträger bezweckt. Dieser Schutz wird dadurch zu schaffen versucht, daß die Bestimmungen des Strafgesetzbuches einen umfassenden Ausbau erfahren sollen.
Meine Damen und Herren! In diesem Hause ist schon wiederholt über die Frage des Verfassungsschutzes gesprochen worden. Ich glaube, nicht im Unrecht zu sein, wenn ich feststelle, daß in diesem Hause weithin Einmütigkeit darüber besteht, daß der beste Schutz für die Demokratie in dem guten Funktionieren der Demokratie liegt.
Wenn wir in diesem Hohen Hause miteinander mustergültige, vorbildliche Lösungen der brennendsten Gemeinschaftsprobleme, der großen Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens schaffen — ich nenne nur etwa das Problem der Versorgung der Kriegsopfer, den Lastenausgleich, das Gesetz zur Durchführung des Art. 131 des Grundgesetzes oder das Gesetz über die Mitverantwortung der Arbeiter in der industriellen Wirtschaft —, wenn von dieser Demokratie eine Leuchtkraft, eine werbende Kraft, eine Anziehungskraft auf das Volk und insbesondere auf die Jugend ausgeht, wenn die Willensträger dieser Demokratie nicht nur wissen, was sie trennt, sondern vor allem auch, was sie verbindet, wenn die Träger dieser Demokratie gemeinsame Vorstellungen von einer künftigen Welt haben, um die es sich zu kämpfen lohnt, und wenn sie sich auch darüber einig werden, wie man diese Vorstellungen in die Wirklichkeit des Lebens übertragen kann, kurzum, wenn diese Demokratie sich eine solide geistige Grundlage schafft und wenn sie sich ein ausreichendes Minimum von einer ihrem Wesen entsprechenden Ideologie erwirbt, dann ist das Wichtigste und das Entscheidende zum Schutze der Demokratie getan.
Kommen wir zu diesem Zustande nicht, dann sind alle Strafbestimmungen zum Schutze des Staates wertlos und zwecklos.
Meine Damen und Herren! Es ist nicht nur hierin, sondern auch in anderer Hinsicht nötig, aus der Vergangenheit und aus ihren bitteren Erfahrungen zu lernen. Wir stehen leider wiederum in einer Zeit, wie es die Zeit zwischen den Jahren 1928 und 1933 war, in einer Zeit, in der
die Demokratie, ihre Einrichtungen, ihre
Träger, ihre Arbeit in der öffentlichen Meinung herabgesetz und verächtlich gemacht werden. Heute wird im politischen Kampf vielfach dieselbe Methode angewandt, die von den Nationalsozialisten angewandt wurde, nämlich die Willensträger der Demokratie auf das schlimmste herunterzureißen und die ehrlich demokratischen Parteien, gleich welcher Richtung, durch unwahre Behauptungen vor dem Volke unmöglich zu machen. Urheber dieser Kampfmethode sind überwiegend Leute, die die Freiheiten der Demokratie mißbrauchen, um ein totalitäres Staatssystem an ihre Stelle zu setzen. Es sind vielfach Todfeinde der Demokratie, ja, ich möchte sogar sagen, Todfeinde der menschlichen Gesellschaft, die planmäßig darauf ausgehen, im freiheitlichen Raum Hoffnungslosigkeit, Resignation, Panik und schließlich Furcht und Schrecken zu erzeugen, um die Gesellschaftsordnung in ihrem Bestand zu erschüttern und zur Einführung eines totalitären Gewaltsystems sturmreif zu machen.
Meine Damen und Herren! Diesen Bösewichtern - ich nenne sie bewußt Bösewichter —, mögen sie nun diese oder jene Couleur haben, muß ohne Furcht begegnet werden. Es war ein Grundfehler der Weimarer Demokratie, daß sie sich ihrer Haut nicht gewehrt hat. Man darf die Freiheiten der Demokratie nicht denjenigen gewähren, die sie mißbrauchen, um die Freiheiten der Demokratie zu beseitigen. Man darf solchen Leuten auch die Pressefreiheit nicht in dem Maße überlassen, wie wir das leider in der Weimarer Demokratie getan haben und wie wir es weithin auch heute noch tun. Hier ist unnachsichtliche Härte am Platze. Ein Staat, der sich seiner Haut nicht wehrt, verdient nicht den Namen des Staates. Innerhalb unseres Staates, innerhalb der Demokratie unseres Landes muß eine Atmosphäre geschaffen werden, die frei von Furcht ist. Deshalb muß denen, die planmäßig Furcht erzeugen, das Handwerk gelegt werden. „Es ist" — ich zitiere einen Satz aus der Begründung zum Regierungsentwurf — „Aufgabe des Staates, die Resignierenden zur Freiheit und die Zügellosen zur Gesetzlichkeit zurückzuführen." Aus diesen Gründen ist es dringend notwendig, daß in aller Bälde Einrichtungen und Gesetze geschaffen werden, die eine wirksame Durchführung des Art. 18 und auch des Art. 21 des Grundgesetzes möglich machen. Hier ist keine Zeit zu verlieren. Man sagt mitunter, die Demokratie sei die Staatsform der Geduld. Ich glaube, wir haben lange genug Geduld gehabt. Es ist jetzt nötig, daß gehandelt wird.
Es ist aber auch durchaus nötig, daß Strafbestimmungen geschaffen werden, die unseren Richtern eine rechtliche Handhabe geben, um den Feinden der freiheitlichen Ordnung in angemessener Weise zu begegnen.
Wir begrüßen daher den Regierungsentwurf. Es wäre besser gewesen — ich habe das schon bemerkt —, wenn er schon früher gekommen wäre. Fast möchte ich sagen: „Spät kommt ihr, doch ihr kommt!" Man sieht es aber dem Entwurf an, daß er auf einer sehr sorgfältigen, tiefschürfenden und gewissenhaften Arbeit beruht, bei der auch die Erfahrungen anderer Länder ausgewertet wurden. Dafür möchte ich der Regierung den Dank und die Anerkennung meiner Fraktion aussprechen.
Zu Einzelheiten des Gesetzentwurfs möchte ich jetzt nicht Stellung nehmen, sondern nur ganz allgemein feststellen, daß die Strafbestimmungen gegen die Verfassungsstörung, gegen die Herab-
würdigung des Staates und der Staatsorgane, gegen die Verächtlichmachung der Staatssymbole, gegen die Volksverhetzung und insbesondere auch gegen die politische Lüge Bestimmungen sind, die der einfache Mann im Volk längst gefordert hat und die in aller Bälde Gesetzeskraft erlangen sollten.
Über die Bestimmungen im einzelnen, über die man — ich möchte das hier aussprechen — zum Teil verschiedener Meinung sein kann, wird in den Ausschüssen zu reden sein. Wahrscheinlich werden der Ausschuß zum Schutze der Verfassung und der Rechtsausschuß Vereinbarungen darüber treffen müssen, wie sie ihre Arbeitsaufgaben gegeneinander abzugrenzen haben.
Ich möchte heute im Namen meiner Fraktion nur aussprechen, daß dieser Gesetzentwurf unsere grundsätzliche Zustimmung findet. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß es in der weiteren parlamentarischen Bearbeitung dieses Entwurfs zu einer guten Zusammenarbeit zwischen Regierungsparteien und Opposition kommt und daß durch diese Zusammenarbeit mit dem neuen Gesetz eine scharfe und wirksame Waffe zur Verteidigung der Demokratie geschmiedet werden kann. Ich möchte weiter hoffen, daß dieses Gesetz dann eine Justiz findet, die entschlossen ist. diese Waffe zu gebrauchen und daß diese Waffe dann unnachsichtlich jeden trifft, der Freiheit und Lebensrecht unserer unter unsäglichen Mühen und Opfern neu aufgebauten Gemeinschaftsordnung bedroht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde begrüßen die Bemühung der Regierung und werden sie mit allen Kräften darin unterstützen, der rechtsstaatlichen Demokratie mit modernisierten, verbesserten Mitteln einen Schutz gegen hoch- und landesverräterische Umtriebe zu geben, der wirklich wirksam ist, darüber hinaus die Demokratie gegen alle Versuche zu schützen, den Umsturz auf terroristische Weise vorzubereiten, zugleich der Demokratie den Schutz gegen eine Verwilderung und unfaire Ausartung der politischen Sitten zu geben. Wir haben schon seinerzeit, als die Sozialdemokratie die begrüßenswerte Initiative entwickelte, zum Ausdruck gebracht, daß wir diesen Schutz formell nicht in einem selbständigen Sondergesetz ausgestaltet sehen möchten, das immer den Charakter des nur Zeitweiligen trägt, sondern daß wir diese Schutzvorschriften als normalen Bestandteil des Strafgesetzbuches sehen möchten, weil die Verhältnisse so sind, daß die Demokratie auf die Dauer dieses Schutzes nicht entraten kann.
Zum Inhalt des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfes möchte ich mich nur auf einige Bemerkungen zu den wesentlichsten Problemen beschränken. Die Wiederherstellung der klassischen Hochverrats- und Landesverratsbestimmungen enthält keine Problematik. Hingegen werden die Neuerungen dieses Gesetzes in der Ausschußarbeit sowie in der Diskussion der Öffentlichkeit wie der Wissenschaft noch einer eingehenden Klärung bedürfen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Bestimmungen des ersten Abschnitts über den Friedensverrat. Der Gedanke ist an und für sich bestechend: den tiefen Friedenswillen unserer Nation dadurch auszudrücken, daß man an die Spitze der entsprechenden Schutzbestimmungen eine Vorschrift stellt,
nach der alle Vorbereitungsmaßnahmen für einen Angriffskrieg bestraft werden sollen. Wir sind gegen unser innerstes Widerstreben genötigt, Defensivhandlungen vorzubereiten. Wir bedauern das. Der Friedenswille des deutschen Volkes würde für lange Generationen die absolute Gewähr dafür geben, daß von Deutschland aus kein irgendwie gearteter Angriff in die Welt hineingetragen wird. In Anbetracht dieser Sachlage wird es einer sehr ernsten Arbeit bedürfen, um den Tatbestand so zu fassen, daß die uns durch die Verhältnisse im Osten aufgenötigten Defensivmaßnahmen keinen Schaden leiden.
In diesem Zusammenhang bedarf die Vorschrift einer besonderen Aufmerksamkeit, die eine Strafandrohung gegen die Verächtlichmachung der Kriegsdienstverweigerung ausspricht. Die Verhältnisse sind heute so, daß es naheliegender ist, eine Strafe gegen diejenigen auszusprechen, die die Verteidigungsbereitschaft verächtlich machen.
Entgegen dem, was Bundespräsident Theodor Heuss als der damalige Vorsitzende unserer Fraktion im Parlamentarischen Rat in einer großangelegten Rede ausführte, hat die entsprechende Verfassungsbestimmung, die Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes, eine Fassung gefunden, die so weit greift, daß sie das Recht der Kriegsdienstverweigerung auch auf den Fall bezieht, daß ein Angriff von fremder Seite gegen unser Land entwickelt wird. Es wird noch sehr zu prüfen sein, ob es richtig war, über die durch Theodor Heuss damals vorgetragenen Bedenken hinwegzugehen. Die Kriegsdienstverweigerung, die dazu dienen soll, einen Angriff des eigenen Landes zu verhindern, ist moralisch legitimiert; aber es sind durchgreifende Bedenken gegenüber einem Kriegsdienstverweigerungsrecht für den Fall eines fremden Angriffs gegen das eigene Land geboten. Wenn man dies ins Auge faßt, dann ist zumal unter den heutigen weltpolitischen Verhältnissen eine Vorschrift schwer erträglich, die die Verächtlichmachung der Kriegsdienstverweigerung auch dann unter Strafe stellt, wenn sich der Widerstand gegen die Kriegsdienstverweigerung auf den Fall beschränkt, daß dem eigenen Lande ein Angriff von anderer Seite droht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dem Abschnitt über Hochverrat bedarf die Vorschrift des § 90 über die Verfassungsstörung oder Staatsgefährdung sehr ausführlicher Betrachtungen und Diskussionen. An und für sich muß man dem gesetzgeberischen Versuch, die mit Mitteln des kollektiven Terrors und der planmäßigen Irreführung betriebene Verfassungsstörung, die auf Furchterregung abgestellte Unterwühlung des rechtsstaatlichen Lebens strafrechtlich zu bekämpfen, aufgeschlossen gegenüberstehen. Unsere Einstellung zu diesem Versuch ist grundsätzlich positiv; wir leugnen aber nicht, daß die tatbestandsmäßige Abgrenzung noch verbessert werden muß, um der Gefahr der Rechtsunsicherheit zu begegnen, die daraus erwachsen könnte, daß eine klare Abgrenzung der Tatbestände nicht allen Ansprüchen genügt.
Wir begrüßen die Vorschriften des vierten Abschnitts über die Herabwürdigung des Staates und der Staatsorgane; denn es ist nötig, daß der Rechtsstaat gegen die Verächtlichmachung seiner Repräsentanten geschützt wird. Es ist erforderlich, daß er gegen Staatsverleumdung geschützt wird. Es ist erforderlich, daß die Symbole der Demokratie vor
Verunglimpfung bewahrt werden, und es ist erforderlich, daß der Wahlvorgang und das Wahlgeheimnis geschützt werden. Aber es sind zu diesen einzelnen Fragen Anmerkungen zu machen, die zeigen, daß auch dort noch Probleme der rechtstechnischen Bearbeitung liegen, die in dem Entwurf noch nicht so gelöst sind, wie wir es uns vorstellen. Wenn beispielsweise eine Vorschrift den Schutz nicht nur des eigenen Staatsoberhauptes und der eigenen Regierung, sondern auch des Staatsoberhauptes und der Regierung anderer Staaten vorsieht, dann ist dies nur unter der Voraussetzung richtig, daß die Gegenseitigkeit zur Zeit der Tat bereits verbürgt war, wie der Bundesrat bereits zur Ergänzung der jetzigen Vorschrift angeregt hat.
Was die Verunglimpfung der Symbole der rechtsstaatlichen Demokratie anlangt, so gebührt der Würde der Farben Schwarz-Rot-Gold strafrechtlicher Schutz. Wenn aber der Bundesrat darüber hinaus vorschlägt. das öffentliche Zeigen der Farben Schwarz-Weiß-Rot zu bestrafen, dann müssen wir dem entgegenhalten, daß es wohl politisch nicht klug wäre, dem zu entsprechen.
Die Erfahrungen, die wir in den letzten Monaten gemacht haben, und die Wahlergebnisse in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bewiesen schlagend, daß mit dem demonstrativen Zeigen der Farben Schwarz-Weiß-Rot politische Geschäfte nicht zu machen sind.
Alle Gefahren, die man von daher glaubte sehen zu müssen, haben sich als viel geringer erwiesen, und es wäre verkehrt, nun die gemüthafte Anhänglichkeit an die früheren Farben, die in weiten Bevölkerunaskreisen noch besteht, dadurch zu verletzen. daß man das bloße Zeigen dieser Farben unter Strafe stellt. Es würde damit leicht der entgegengesetzte Effekt erzielt werden als der, den zu erstreben man bemüht ist.
Was den Ehrenschutz der Personen im öffentlichen Leben angeht, so sind wir der Auffassung, daß hier ein durchgreifender Schutz gewährt werden muß; aber wir suchen ihn in einer anderen Richtung als auf dem Wege, den der Entwurf zeigt. Wenn der Schutz dadurch geschaffen werden soll, daß besondere Tatbestände zugunsten bestimmter Personenkreise vorgesehen werden, dann läuft das auf eine Privilegierung hinaus, die im Prinzip recht fragwürdiger Art ist und um so fragwürdiger wird, weil es ja nicht ganz leicht ist, den Personenkreis abzugrenzen. Was heißt das: „Personen, die im öffentlichen Leben stehen?" Wir suchen die Lösung des Problems in einer anderen Richtung. Wir sind prinzipiell der Meinung, daß der Ehrenschutz für jeden einzelnen in der rechtsstaatlichen Demokratie wirksamer gestaltet werden müßte, und es wäre daran zu denken, daß die einzelnen Tatbestände, die an und für sich im Strafgesetzbuch geregelt sind, dann, wenn sie sich gegen Handlungen richten, welche im politischen Leben allzuleicht unterlaufen, durch eine Strafschärfung ausgezeichnet werden. Beleidigung und Körperverletzung beispielsweise wären mit einer Strafschärfung zu versehen, wenn diese Tatbestände durch Handlungen im öffentlichen Leben erfüllt werden. Wir glauben, daß auf diese Art und Weise mehr erreicht werden würde.
Wenn man an einen Schutz bestimmter Personenkreise denkt und damit eine Privilegierung schafft, dann steht dem auf der anderen Seite die Notwendigkeit gegenüber, eine Privilegierung auch dadurch vorzunehmen, daß man die erhöhte Verantwortlichkeit dieser Personen durch besondere Strafschärfungen sichtbar macht. Vor nicht allzu langer Zeit ging durch die Zeitungen eine Nachricht, daß der Bund der Steuerzahler bei der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen, wie es hieß, Abgeordnete dieses Hohen Hauses anhängig gemacht habe, weil zur Beeinflussung der seinerzeitigen Abstimmung Bonn—Frankfurt irgendwelche Gelder gegeben und angenommen worden seien. Damit ist das Problem angerührt. Sollten wir nicht die Verantwortung fühlen, qualifizierte Straftatbestände zu schaffen, beispielsweise hinsichtlich der passiven Bestechung von Abgeordneten, um damit dem Volke deutlich zu machen, daß wir uns unserer gesteigerten Verantwortung sehr wohl bewußt sind?
Lassen Sie mich zu dem besonderen Tatbestand der Störung der Rechtspflege, §§ 137 b ff, sagen, daß wir dem grundsätzlich zustimmen, Einschüchterungsversuche, die von der Presse gegen die Gerichte ausgehen, abzuwehren, auch eine gröblich entstellende Berichterstattung zu ahnden; aber wir können uns nicht dazu verstehen, jede sachliche Kritik, jede objektiv ausgerichtete Bewertung auszuschließen, bis ein Verfahren beendet ist. Wir glauben sehr wohl, daß es möglich sein wird, die Unterschiede tatbestandsmäßig zu erfassen, die darin liegen, daß es gilt, einerseits Eingriffe über die Organe der öffentlichen Meinungsäußerung in schwebende Verfahren abzuwehren, aber andererseits die sachliche Kritik und die objektive Bewertung unmöglich zu machen.
Mit besonderer Befriedigung erfüllt uns, daß der Tatbestand des § 130 vorgesehen ist; denn wenn es in diesen Zeiten nötig ist, einer Gefahr entgegenzutreten, dann ist es die der Volksverhetzung. Allzuleicht mißbrauchen Demagogen das Recht der Meinungsäußerung dazu, die verschiedensten Bevölkerungsschichten gegeneinander aufzuhetzen.
Das ist die Brutstätte des Hasses, eines Hasses, den
wir in einer Zeit äußerster Gefahr nicht nur aus
unserem Volk, sondern aus der gesamten europäischen Völkerfamilie überhaupt bannen müssen. In
dieser Zeit — lassen Sie mich das zum Abschluß
sagen - wird nur ein Rechtsstaat bestehen, der
zur entschlossenen Abwehr seiner Feinde bereit ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist an sich ein bedauerliches Zeichen, daß, was viele Abschnitte anlangt, eine derartige Gesetzesvorlage überhaupt für notwendig erachtet wird. Da meine Redezeit außerordentlich beschränkt ist, kann ich mich nur auf einige Abschnitte konzentrieren.
Der Abgeordnete Euler sprach soeben in meines Erachtens nicht ganz klaren Ausführungen von dem Kriegsdienstverweigerungsparagraphen. Ich glaube, daß dieser Paragraph auch noch in anderer Hinsicht einer Abänderung bedürftig ist. Auch wir begrüßen, daß die Kriegsdienstverweigerung, solange sie gesetzlich zulässig ist, vor Verächtlichmachung geschützt wird. Auf der anderen Seite
soll aber auch derjenige herangekriegt werden, der die Erfüllung der Wehrpflicht, solange diese gesetzlich zulässig war, und das ihr entsprechende pflichtgemäße Verhalten deutscher Soldaten in Krieg und Frieden verächtlich macht. Im übrigen wird ja die Frage des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung wahrscheinlich in der nächsten Woche in der außenpolitischen Debatte auch eine Rolle spielen.
Ein anderer Paragraph, der hier bereits behandelt wurde, ist § 90. Von Herrn Euler wurde gesagt, dieser Paragraph sei nicht präzise genug formuliert. Ich habe mir erlaubt, das zu tun, und zwar einige Ergänzungen hinzuzufügen, wonach z. B. derjenige, der zu Aussperrungen oder zu Streiks oder zu Lieferungssperren aufruft, um andere als rein wirtschaftliche Ziele der betreffenden Berufsgruppe zu erreichen, nach dem Erfolg seiner Bestrebungen und dem Umfang des entstandenen Schadens mit Gefängnis von 1 bis zu 5 Jahren oder in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft werden soll.
Unter diese Strafbestimmung fällt insbesondere jeder Aufruf zu Aussperrungen oder Streiks für parteipolitische oder persönliche Zwecke. An das Beispiel Kummernuss in Hamburg darf ich nur am Rande erinnern.
In Art. 1, Dritter Abschnitt, ist § 95, der die Sicherheit der Bundesrepublik behandelt, unseres Erachtens ergänzungsbedürftig, und zwar dahingehend, daß derjenige, der sich im Dienste oder in Abhängigkeit ausländischer Stellen an Bestrebungen beteiligt, die das wehrlose deutsche Volk dem bewaffneten Angriff einer ausländischen militärischen Macht preisgeben sollen, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren bestraft werden soll.
Nun kurz zur Flaggenfrage. Herr Abgeordneter Euler sprach davon, daß mit Schwarz-Weiß-Rot keine politischen Geschäfte zu machen seien. Da muß ich ihn widerlegen; denn der Wahlblock CDU-DP-FDP hat ja doch in Schleswig-Holstein eifrig Geschäfte, und zwar gute Geschäfte damit gemacht.
Eine Majorität in der Farbenfrage ist nach dieser Sache so gut wie sicher.
Das war aber nicht sehr freundlich, Herr Abgeordneter!
Ich brauche nicht zu betonen, daß die Zahl derer, die diesen Farben in „gemüthafter Anhänglichkeit" anhängen, doch recht groß ist.
Nun ein anderes: Mißbrauch eines beruflichen Abhängigkeitsverhältnisses. Hier wollen wir haben —ich muß mich bei meiner kurzen Redezeit sehr beeilen —, daß z. B. Gewerkschaftsfunktionäre in Zukunft nicht mehr einen unerlaubten Druck auf Betriebsangehörige ausüben dürfen, wenn es ihnen gerade in den Kram paßt.
Lassen Sie mich noch auf den Paragraphen eingehen, der den Widerstand betrifft. Diesen Widerstandsparagraphen habe ich etwas intensiver formuliert, und zwar: Mit Gefängnis soll der bestraft werden, der durch herabsetzende Äußerungen die
Achtung verletzt vor den Gefallenen und Bombenopfern des Krieges oder vor den Menschen, die infolge ihres Widerstandes, die wegen der Rasse, des Glaubens, der Weltanschauung unter einer terroristischen Gewaltherrschaft vor oder nach 1945 den Tod erlitten. Widerstand im Sinne dieses Gesetzes gilt nicht als vorliegend, wenn es sich nur um Bestrebungen handelt, eine bestehende terroristische Gewaltherrschaft durch eine terroristische Gewaltherrschaft anderer Parteistruktur zu ersetzen oder — auch das ist wichtig — wenn einer gegen Deutschland im Kriege stehenden Macht von Deutschen Agentendienste geleistet wurden, was heute mitunter auch als Widerstand bezeichnet wird. Ebenso soll der bestraft werden - auch das ist eine Ergänzung dieser Vorschläge —, der zum Völkermord und anderen Dingen auffordert.
Das Schild zeigt „Schluß"; ich muß leider meine Ausführungen beenden. Ich bedaure, daß dem Antrage von Herrn Dr. Arndt, eine grundlegende Aussprache durchzuführen, nicht stattgegeben worden ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorlage, die uns heute beschäftigt, ist in der Tat bedeutsam genug, um erstens die Auffassung des Deutschen Juristentages in Frankfurt am Main abzuwarten und um zweitens hier im Saale auch in der Generaldebatte schon die grundlegenden Auffassungen eingehend durchzusprechen. Leider aber steht die Bedeutsamkeit dieser Vorlage in einer gewissen Konkurrenz zu der politischen Gesamtlage Europas, und was vielleicht im Februar 1950 oder zu der Zeit. als das Justizministerium die Vorlage in Worte faßte, noch mit einer gewissen Langmut und Ruhe anzusehen war, brennt uns heute unter den Nägeln.
Das darf uns aber nicht daran hindern, mit aller Gründlichkeit zu prüfen, was für Recht wir hier eigentlich schaffen wollen. Denn das große Bedenken, das hier zu beachten ist, besteht darin: Wir sprechen hier bei Schaffung neuen Strafrechts in. Wahrheit von Politik, und wir als Anhänger des Rechtsstaates — ich hoffe also: das ganze Haus mit Ausnahme der Kommunistischen Partei — wollen, daß die Rechtspflege unabhängig von politischen Meinungen sei. Wenn nun aber gerade die deutschen Gerichte aus dem Streit der politischen Meinungen herausgehoben bleiben sollen — oder werden sollen, wie man gewiß auch sagen könnte —, dann braucht der Richter einen absolut klaren Tatbestand — Tatbestand, nicht Gesinnungsbestand! —, um urteilen zu können. Die Frage einer politischen Gesinnung kann überhaupt immer nur als Motiv für eine Tat rechtlich in Frage kommen, niemals Gegenstand einer richterlichen Beurteilung als solcher sein. Wenn wir insofern nicht sehr klare Tatbestände schaffen, werden wir es immer und immer wieder erleben, daß den Gerichten unbegründete und die ungerechtesten Vorwürfe gemacht werden, weil sie den Tatbestand, wie ihn die eine oder andere Partei auffaßte, nicht erschöpfend gewürdigt hätten.
Das setzt gleich ein bei einem Grundbegriff, der meines Erachtens so unter keinen Umständen im Gesetz stehen bleiben kann, nämlich bei der Fassung des geschützten Rechtsgutes bei dem Hochverratsartikel, der von der verfassungsmäßigen
Ordnung des Bundes oder eines Landes spricht. Diese Worte stehen im Grundgesetz. Dort stehen sie richtig; dort im Grundgesetz kann man sich darunter etwas vorstellen. Was aber der Strafrichter für eine verfassungsmäßig geschützte Grundbestimmung halten soll, das muß der Gesetzgeber ihm schon sagen. Ich hätte für meine Fraktion dazu zu sagen: Das ist erstens die auf dem Parlamentarismus beruhende demokratische Staatsform, zweitens die Idee des Rechtsstaates und das sind drittens die persönlichen Freiheitsrechte. Mehr braucht es unseres Erachtens nicht. Aber man kann darüber verschiedener Meinung sein, zum Beispiel: Ist der föderative Charakter unserer Republik einer der Grundtatbestände? Ist die Befugnis, die dem Herrn Bundespräsidenten verliehen ist, ein Grundrecht, über das man nicht debattieren kann? Sie sehen, es gibt eine Fülle von Grenzfragen. Wenn Sie den Strafrichtern nicht genau sagen, welche Bestimmungen Sie im Auge haben, so werden Urteile ergehen, die je nach der politischen Richtung die eine oder die andere Seite zur Empörung hinreißen können. Dem muß im höheren Interesse der Rechtsprechung, aber auch der Dauer der Demokratie unter allen Umständen vorgebeugt werden.
Man beachte, wieviel neue Begriffe hier eingeführt werden. Ich begrüße es, daß man nicht umfängliche Tatbestandsformulierungen allein jeweils anwenden muß, um dem Volke nahezubringen, welches Delikt begangen ist, sondern daß man Straftatsbezeichnungen wählt wie z. B. „Friedensverrat", „Neutralitätsbruch", „Verfassungsstörung", „Rechtsstaatsgefährdung", „Volksverhetzung", „Störung der Rechtspflege" und ähnliche, lauter Straftatbestände, die bisher in der deutschen Justiz und Judikatur und in der deutschen Rechtswissenschaft völlig unbekannt waren. Diese nun so zu fassen, daß sie tatbestandsmäßig zweifelsfrei festliegen, ist eine außerordentlich schwierige Angelegenheit, die sehr reiflicher Überlegungen bedarf, wie ich schon an dem einen Beispiel des Begriffs der „verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik" dargelegt habe.
Ich bin nicht in der Lage, innerhalb der uns zur Verfügung stehenden Redezeit alle einzelnen Bestimmungen hier auch nur mit einem Stichwort anzusprechen. Ich möchte daher, mich ganz kurz fassend, nur eines sagen: Es ist schön, aber es kommt einem ein bißchen wie aus der Zeit gefallen vor, in der in diesem Herbst zu leben wir leider verurteilt sind, daß vorangestellt sind „Friedensverrat" und „Neutralitätsbruch". Bedenken Sie doch bitte, meine Damen und Herren: den Frieden sollen nach der Sprechregel im Osten ja wir „verraten", und wie soll angesichts dieser wortgewaltigen Propaganda, die da im Osten getrommelt wird, der Mann auf der Straße noch zwischen Recht und Wahrheit entscheiden? Diese Dinge, Friedensverrat und Neutralitätsbruch, sind aber meines Erachtens so geartet, daß sie nicht ein europäischer Staat allein einführen sollte. Das müßte auf Grund internationaler Konventionen, zu denen das Parlament in Straßburg vielleicht die Anregung geben könnte, in allen westlichen Kulturstaaten eingeführt werden. Erst dann hätte es seinen nachdrücklichen Sinn. Daß Glas halb ohnmächtige Deutschland so etwas allein einführt, scheint mir einer europäischen Gesamtheit gegenüber irgendwie nicht gerade sehr glücklich.
Was den § 84, die Kritik an Kriegsgegnern, anlangt, so ist diese Bestimmung in ihrer gegenwärtigen Fassung für meine Fraktion völlig unannehmbar.
Bezüglich der Hochverratsparagraphen begrüßen wir es, daß die Bundesratsvorlage den Begriff des „Unternehmens" wieder eingeführt hat, womit die Dinge wesentlich gebessert werden.
Die neuralgischen Punkte sind allerdings die Paragraphen über „Verfassungsstörung" und „Rechtsstaatgefährdung", da auch die neue Formulierung des Regierungsentwurfs dem Richter die Tatbestandsmerkmale noch nicht so an die Hand gibt, daß er ohne eigene politische Auffassung überhaupt zu einer Entscheidung kommen kann. Die Notwendigkeit entsprechender Bestimmungen hat der Herr Bundesjustizminister darzulegen versucht und meines Erachtens auch überzeugend dargelegt. Aber die tatbestandsmäßige Erfassung, ins-. besondere das Verhältnis zum Streikrecht — das betone ich ausdrücklich —, ist überaus schwierig und noch nicht gelungen.
Hinsichtlich der weiteren Rechtsstaats-Schutzbestimmungen sind wir der Meinung, daß im Sinne des englischen contempt of court eine Bestimmung über die Störung der Rechtspflege nötig ist, daß aber die Regierungsvorlage zunächst zweifellos mißglückt war. Ob durch die neue Formulierung schon eine hinreichende Besserung eingetreten ist, lasse ich dahingestellt. Auch insoweit ist nicht ohne sehr eingehende und gründliche Beratungen etwas zu finden, was auf längere Zeit standhalten kann; wir wollen doch aber kein Notgesetz für den heutigen Tag machen, sondern eine Veränderung des Strafgesetzbuches vornehmen, die bis zur endgültigen Novelle, die Gott weiß wann geschaffen wird, Bestand haben soll.
Sehr bedenklich ist die Bestimmung des § 130 über die Verhetzung von angeblich „weltanschaulich gebundenen Bevölkerungsgruppen". Danach dürfte man also zum Beispiel die verehrten Herren Kommunisten dieses Hauses nicht in Bausch und Bogen für schlechte Leute halten und als solche ansprechen. Das ist doch gewiß nicht gemeint. Auch nach dieser Richtung bedarf es noch einer sehr gründlichen Prüfung dessen, was in Wirklichkeit eigentlich gewollt ist, ehe man die endgültige Formulierung finden kann.
Alles das, was ich sagte, läßt sich in seiner Tendenz — und die Tendenz ist bei der Generalberatung das Wichtigste — unter einem höheren Gesichtspunkt zusammenfassen: Diese Vorlage ist nur dann eine brauchbare Strafrechtsgrundlage, wenn sie in jeder Bestimmung völlig klar zu erkennen gibt, daß nicht eine Gesinnung, sondern nur eine Tat bestraft werden soll, daß wir nicht Schnüffler sind und fragen: wie denkt der Mann letzten Endes und darf man denn so denken?, sondern: was für Handlungen hat er auf Grund seines Denkens begangen, Handlungen, die der Richter bestrafen muß? Schiller sagt: „Die Tat und nicht die Meinung ehrt den Mann." Lassen Sie uns dieses Wort bei Behandlung der Vorlage dahin abwandeln. Die Tat und nicht die Meinung straft der Staat!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Bezeichnend für diese Gesetzesvorlage waren die einführenden Worte des Ministers. Er
sagte, es solle hiermit eine Waffe gegen bestimmte Umtriebe geschmiedet werden. Er sprach sich sehr lebend über die Vorschläge der sozialdemokratischen Fraktion aus. Er konnte bezeichnenderweise zugleich darauf hinweisen, daß im wesentlichen der sozialdemokratische Vorschlag als Grundlage seiner Arbeit gedient habe. Nach Verabschiedung des Gesetzes zur Bildung einer Bundesbehörde für den Verfassungsschutz legt man heute dem Hause einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches vor. Die Vorlage hat folgenden Sinn: Sie soll den kolonialen Zustand Westdeutschlands sichern,
und sie ist ein Ausdruck des ansteigenden Faschisierungsprozesses hier in Westdeutschland.
Den Bemühungen der Friedenskräfte gegenüber den imperialistischen Kriegsvorbereitungen,
den Kämpfern für die nationale Unabhängigkeit und Einheit Deutschlands will man mit verstärkten Unterdrückungsmaßnahmen unter Anwendung dieser Zuchthausnovelle begegnen.
Im Interesse der ausländischen Auftraggeber will man die nationale Willensbildung unseres Volkes verhindern und den Ruf aller nationalen Kräfte nach Abschluß eines Friedensvertrages, nach Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und Abzug aller Besatzungstruppen. ersticken. Das ist der wirkliche Sinn dieser Vorlage. Jegliche nationale Forderung, sei es die der Arbeiter und der Unternehmer nach einem verstärkten Interzonen- und freien Handel, sei es die der Bauern gegen den Marshallplan für eine wirklich deutsche Landwirtschaftspolitik, sei es die Meinung der Arbeiter gegen die Demontage, der Kulturschaffenden gegen Überfremdung unseres Kulturlebens durch Schundliteratur und amerikanische Filme,
alle diese Maßnahmen will man im Interesse der
ausländischen Auftraggeber unter Strafe stellen.
Während die bürgerlichen und sozialdemokratischen Politiker dieses Hauses und auch dieser Regierung versuchen, die Menschen in Westdeutschland gegenüber der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik und den Völkern des Ostens in kriegerische Angriffsstellung zu bringen, spricht man in einem Artikel dieser Vorlage von dem sogenannten Friedensverrat. Wenn diese Paragraphen angenommen werden und wenn sie Anwendung finden sollten, dann müßte der Minister Dehler wegen Verletzung des Friedens unter Anklage gestellt werden.
Auf Grund seiner Stuttgarter Rede und anderer Redensarten gehörte er wegen Verletzung dieser Paragraphen ins Zuchthaus!
Aber das ist ja gar nicht die Absicht dieser Kriegsschreier, sondern man will die wirklichen Verteidiger des Friedens unter Benutzung dieses Artikels hinter die Zuchthausmauern bringen.
Nach der Vorlage soll die Werbung für den Wehr- und Rüstungsdienst bei einer zwischenstaatlichen Einrichtung, zum Beispiel der Atlantikpakt-Armee, gestattet sein. Sehen Sie sich einmal deutlich den Art. 83 Abs. 2 an. Wir wehren uns im
Interesse unserer Jugend gegen eine neue Remilitarisierung
und gegen die Aufstellung einer amerikanischen Angriffsarmee gegen die Völker des Ostens.
Im zweiten Abschnitt des Gesetzentwurfs befaßt man sich mit dem Hochverrat und der Verfassungsstörung. Hier in den Strafbestimmungen geht man weiter als in der Weimarer Zeit.
Diese Vorlage grenzt an jene Strafmaße der Hitlerzeit. Das ist für den Zustand in Westdeutschland sehr deutlich. Der westdeutsche Staat verfügt über keine für die deutsche Bevölkerung rechtsverbindliche Grundlage. Er wurde aus dem Diktat, den Londoner Empfehlungen, geschaffen. Dieser Zustand und Tatbestand kann von keinem bezweifelt werden. Selbst im Art. 146 des Grundgesetzes wird von dem provisorischen Zustand dieses Staatsgebildes gesprochen. Wenn dieser Staat provisorisch ist, dann steht mir das Recht zu, gegen diesen Zustand anzukämpfen und für die Wiedervereinigung Deutschlands einzutreten.
Dann darf der Kampf um die Einheit Deutschlands
nicht unter Strafe gestellt werden. Sonst müssen
Sie Ihr Grundgesetz ändern! Dann müssen Sie
sagen, daß Sie damals das Volk irregeführt haben
und daß Sie es unter falschen Voraussetzungen für Ihre Parteien und Kandidaten an die Wahlurnen brachten! Der Kampf um die Beseitigung dieses provisorischen Staatsgebildes stellt nach unserer Meinung keine strafbare Handlung dar. Jeder Deutsche muß seine ganze Kraft für die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlands und für die Erreichung eines Friedensvertrages für ganz Deutschland einsetzen. Durch dieses Gesetz will man den heutigen Zustand der Spaltung, wie ich schon sagte, verewigen.
In einem anderen Paragraphen, im § 89, will man alle Druckschriften, alle Schallplatten, alle Tonbänder, alle bildlichen Darstellungen und alle Zeitungen unter verschärfte justizliche Zensur stellen. Man überläßt es den faschistischen Rich, tern, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob dann ein solcher Tatbestand gegeben ist. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, solche Paragraphen einzuführen, weil man damit eine wirkliche Aufklärung der Bevölkerung über den kolonialen Zustand Westdeutschlands und die Unterdrückungspolitik, die hier angewandt wird, verhindern will.
Was versteht man unter Verfassungsstörung? Lesen Sie sich einmal die Begründung durch! Der Minister hat auf das Schweizer Strafgesetzbuch hingewiesen. In diesem Gesetz und auch in der Begründung wird gesagt, daß man unter Verfassungsstörung zum Beispiel die Schaffung von betrieblichen Arbeitsausschüssen verstehen kann, weiter die Schaffung von Komitees gegen die Demontagen, die Schaffung von Streikausschüssen. Man spricht davon, daß die Streiks der Arbeiter als Verfassungsstörung angesehen werden können. Wir sagen mit aller Deutlichkeit: das sind Maßnahmen, die selbst die Bestimmungen Ihres angenommenen Grundgesetzes einschränken.
Wir werden nicht versäumen, die Arbeiterschaft und alle Werktätigen auf die Gefahren, die sich aus einem solchen Gesetz ergeben, aufmerksam zu machen.
Alle Maßnahmen für die nationalen Interessen unseres Volkes sollen eben mit Zuchthaus geahndet werden. Die Leute, die solche Gesetze heute verteidigen, sollen sich darüber klar sein, daß sie sich eines Tages vor dem deutschen Volk für ihre Handlangerdienste im Interesse des amerikanischen Imperialismus zu verantworten haben werden.
— Ich sage keine Drohung, ich spreche eine Warnung aus.
— Ich spreche eine Warnung aus, dazu habe ich ein volles Recht.
Das sagen dieselben Leute, die sich in Straßburg
mit dem Kriegshetzer Churchill an einen Tisch
setzen und Verschwörungen gegen den Weltfrieden organisieren.
Aber den Kämpfern um den Frieden, den Kämpfern um die nationale Einheit will man verbieten,
mit einem anderen Teil Deutschlands Kontakt zu
halten. Bilden Sie sich doch nicht ein, daß Sie das
jemals verhindern könnten. Niemals wird ein
Deutscher von einem anderen Deutschen lassen.
Lesen Sie aufmerksam ausländische Zeitungen, dann sehen Sie, — —
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
— daß diese Zeitungen sagen: Niemals wird die Spaltung Deutschlands vom deutschen Volke hingenommen werden.
Wir werden das Volk aufrufen, gegen dieses Gesetz Sturm zu laufen.
Wir wenden uns auch gegen die Heimtücke-Paragraphen, die hier — seligen Angedenkens — Auferstehung gefunden haben.
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich bin gleich am Ende. Ich bedauere, daß die Redezeit beschnitten wurde. Aber wir werden unsere Meinung auch bei den Einzelberatungen sagen.
Diese Regierung mag ein Heimtückegesetz notwendig haben: sie hat nämlich keinen moralischen
Kredit und kein Vertrauen in den werktätigen Massen.
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Diese werktätigen Massen
werden für die Einheit Deutschlands, für die Beseitigung dieser Regierung und dieses separaten Weststaates, für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes kämpfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die überlegene Ruhe und auch Heiterkeit, mit der das Hohe Haus die Redekünste meines Herrn Vorredners aufgenommen hat, sind doch ein ganz hoffnungsvolles Anzeichen dafür, daß man bei uns anfängt, die Freiheit der Rede für ein höheres Gut zu halten und für wesentlicher als die Gefahr, die von solchen Entgleisungen herkommen möge. Aber dessenungeachtet sind wir uns ja alle im klaren darüber, daß der junge demokratische Gedanke in Deutschland nach 1945 von außen und auch von innen durchaus von Gefahren umwittert ist. Nichts sollte daher näherliegen, als daß alle wirklich demokratischen Kräfte und alle wirklich Gutgesinnten sich zusammenfinden, um gemeinsam das, was mit der Demokratie auf dem Spiele steht — und was auf dem Spiele steht, wissen wir aus den vergangenen 12 Jahren —, nun zu verteidigen und zu ordnen.
Aber zu meinem Bedauern muß ich mit aller Klarheit keinen Zweifel daran lassen, daß die Art der Behandlung dieser Vorlage nicht dazu dient, hier im Hause zu einer solchen gemeinsamen breiten Basis zu kommen, wie sie gerade bei einem solchen Gesetz notwendig ist. Ich kann auch dem Herrn Bundesjustizminister nicht darin zustimmen, daß der sozialdemokratische Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie gewissermaßen eine Art von Pate oder Vorfahr dieses eigentümlichen Gesetzes gewesen sei. Es geht nicht an, über die Fragen, die heute zur Erörterung stehen — selbst wenn die Zeit so kurz ist —, lediglich kasuistisch zu sprechen, sie lediglich in der Weise zu erörtern, daß man die einzelnen Paragraphen vornimmt — ich werde es allerdings teilweise auch tun müssen — und nun sagt: das erkläre ich so oder das erkläre ich anders, sondern gerade die erste Lesung eines solchen Gesetzes dient der Erörterung des Grundsätzlichen. Über das Grundsätzliche ist hier zu wenig, viel zu wenig, gesprochen werden, aber manches, was uns in den Äußerungen des Herrn Bundesjustizministers absolut zu denken gibt.
Der Herr Bundesjustizminister hat von einer Überdosierung der Freiheit und davon gesprochen, wir müßten ein Freiheitsopfer bringen, um die Freiheit zu wahren. Herr Minister, solche Klänge haben wir auch früher schon gehört,
sie sind sehr gefährlich. Ich möchte sogar umgekehrt davor warnen, daß wir die Freiheit zum Opfer bringen, worauf dieses Gesetz in Einzelheiten sehr hinzuzielen scheint. Uns kommt es vielmehr umgekehrt darauf an, die Freiheit gegen die Feinde der Demokratie und gegen die zu wahren, die intolerant die demokratischen Einrichtungen anzugreifen suchen. Aber die ganze Tendenz Ihres Gesetzes, das immer auf einen Staatsschutz, auf einen Obrigkeitsschutz, auf die Privilegierung bestimmter Personen gegen Anschläge, gegen alles mögliche geht, scheint uns doch sehr gefährlich zu sein und weckt bedenkliche Erinnerungen an die verfehlten Versuche, die man seinerzeit mit Republikschutzgesetzen gemacht hat.
Ich habe immer den Eindruck, als ob man unser sehr sparsam abgefaßtes sozialdemokratisches Gesetz niemals mit der hinreichenden Aufmerksamkeit gelesen hat. Denn es hatte eine doppelte Tendenz und Arbeitstechnik, nämlich einmal sehr sparsam in den Mitteln des Strafrechts zu sein und zum anderen aber die Freiheit des Einzelnen gerade und der Gemeinschaft gegen Übergriffe zu schützen, während diese Regierungsvorlage sehr weitgehend den umgekehrten Weg geht, nämlich die Obrigkeiten und die Institutionen vor dem Einzelnen zu schützen und vor der Gemeinschaft. Das ist ein Weg, den wir nicht mitgehen können, jedenfalls nicht in dieser Art und in diesem Umfange, wie es hier in der Regierungsvorlage geschehen ist.
Wir halten vor allen Dingen auch sehr viel größere Vorsicht in der Wahl der strafrechtlichen Mittel für geboten, als sie hier in diesem Entwurf angewandt ist. Das alte deutsche Strafrecht hat sich stets dadurch ausgezeichnet, daß in den sogenannten Tatbeständen das Wertmäßige, das bloß Bewertungs-Beurteilungsmäßige weitgehend ausgeschaltet wurde, um zu einem objektiven Begriff zu kommen, der dem Richter keine Willkür mehr ließ. Dieser Entwurf dagegen geht den umgekehrten Weg, einen Weg, wie er besonders auch von den Nationalsozialisten geschätzt wurde, nämlich uferlose Bewertungen zum strafrechtlichen Tatbestand zu machen und damit dem einzelnen Bürger überhaupt nicht mehr die Beurteilung zu ermöglichen, ob er sich nun strafbar gemacht hat oder nicht. Es sind sogar Begriffe verwandt, die im einzelnen die Bestimmungen überhaupt unbrauchbar machen, sei es, daß sie zu eng sind, sei es, daß sie zu weit gehen.
Um einige Beispiele dafür zu nennen: In § 80 taucht der Begriff des Angriffskrieges auf. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich einmal, ein deutsches Gericht vor 1933 hätte sich vor die Entscheidung gestellt gesehen, ob die Schwarze Reichswehr, oder nach 1933, ob Hitlers geheime Rüstung einem Angriffskrieg gedient hätte oder nicht. Ein etwas zynisch gewordener alter Politiker hat mir einmal gesagt: Angreifer ist immer der, der den Krieg verloren hat; vorher kann man ihn nicht feststellen. Mit solchen Begriffen kann man ein Strafgesetz unmöglich aufbauen. Damit macht man alles, was hier über Friedensverrat steht und was uns an sich durchaus wichtig wäre, von vornherein wirkungslos.
Oder nehmen Sie in § 84 die auf Gewissensgründen beruhende Verweigerung des Kriegsdienstes, die nicht verächtlich gemacht werden darf. Auch ein vollkommen wirkungsloser Tatbestand! Denn wenn zum Beispiel einer in der Öffentlichkeit behauptet, die Verweigerung des Kriegsdienstes einer Gruppe von Menschen beruhe nicht auf Gewissengründen, sondern auf Korruption oder Feigheit, dann wird bereits nicht mehr hiernach gestraft, weil der Betreffende die auf Gewissensgründen beruhende Verweigerung nicht angegriffen hat. So dilettantisch kann man Strafvorschriften wirklich nicht machen.
Nach § 87 wird bestraft, wer mit Gewalt oder unter Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder ändert. Nun, wenn er sie geändert hat, dann muß man an die Äußerung von Talleyrand denken, der, als er einmal gefragt wurde, was Hochverrat sei, antwortete: Sire, das ist eine Frage des Datums!
Und auch hier sieht es so aus. Denn wer den bestehenden Zustand geändert hat, den wird man kaum noch bestrafen können.
Selbstverständlich haben wir die allerschwersten Bedenken gegen § 90. Sie sind ja auch bereits vom Bundesrat ausgesprochen worden. Durch diese Bestimmung wird nämlich eine uferlose Bestimmung der Strafbarkeit wegen Verfassungsstörung in unser Rechtsleben hineingebracht. Denn wir dürfen, wie ich eingangs schon sagte, bei allen diesen Bestimmungen nie vergessen, daß wir die Freiheit schützen wollen, und dürfen nicht durch Strafbestimmungen die Freiheit zu eskamotieren suchen, so daß zum Schluß gar nichts mehr da ist, was geschützt werden sollte. Mit einer solchen Bestimmung können wir uns daher keineswegs abfinden.
Auf der anderen Seite sind manche Bestimmungen viel zu eng. Dabei handelt es sich um § 101, Beschimpfung oder böswillige Verächtlichmachung der Farben, Flaggen, Wappen usw., oder um § 130, um das Hetzen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Hier sehen Sie typische Bewertungsbegriffe auftauchen, die keinen strafrechtlich brauchbaren, objektivierten Sachverhalt enthalten.
Denen, die bereits etwas vom Rechtsleben wissen, will ich das an einem Beispiel klarmachen. Stellen Sie sich einen Betrugstatbestand vor, in dem etwa gesagt wird, wegen Betrugs werde bestraft, wer durch Vorspiegelung falscher Tatsachen usw. das Vermögen eines anderen „erheblich" schädigt. Das wäre auch so ein Bewertungssachverhalt. Woran will der Richter abmessen, ob die Schädigung des Vermögens erheblich war oder nicht? Wir kommen hier auf eine absolute Grundfrage des Strafrechts. Das Strafrecht kann erst und nur dort einsetzen, wo durch die allgemeine Rechtsordnung das Unrechtmäßige des Tuns schon vorausgesetzt wird. Der Mord ist nicht Unrecht, weil er strafbar ist, sondern weil er Unrecht ist, wird er bestraft! Und so ist es bei allen Bestimmungen. Hier aber soll eine Äußerung, ein Beschimpfen zum Beispiel der Farben, einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder einer Rasse erst graduell strafbar gemacht werden. Man darf sie zwar beschimpfen, man darf sie nur nicht böswillig beschimpfen. Man kann also etwas tun, es darf nur nicht einen besonderen Grad erreichen. Das läßt erkennen, daß von der Bundesregierung nicht die positive Achtung vor den Farben, vor den Wappen und gegenüber einzelnen Bevölkerungsgruppen wie Rassen, Religionsgemeinschaften und dergleichen vorausgesetzt wird. Das ist aber das Wesentliche. Das ist auch in unserem Entwurf enthalten. Wenn man bestrafen will, kann man nur die Verletzung dieser positiven Achtung bestrafen. Entweder - oder! Dagegen ist eine derartig gleitende Skala, nach der ein Richter
erst abzuwerten hat, ob es sich um ein bloßes Verächtlichmachen oder um ein böswilliges Verächtlichmachen, oder ob es sich nur um ein Beleidigen oder schon um eine wirkliche Beschimpfung handelt, für die Rechtspflege und das Rechtsleben im Strafrecht überhaupt untragbar und unerträglich.
Nun noch etwas anderes! Wir dürfen hier - und darauf zielten meine einleitenden Bemerkungen ab — nicht die Freiheit zum Opfer bringen. Im. Wege dieses Gesetzes wird versucht — ich muß schon sagen: durch eine Hintertür —, manches Obrigkeitliche und Freiheitsfeindliche wieder hineinzulassen, was dem Grundgesetz durchaus widerspricht.
Wir haben nach dem Grundgesetz die Koalitionsfreiheit. Wir wissen heute, daß im realen Verfassungsleben und politischen Leben und Rechtsleben die Gewerkschaften ein sehr wesentliches Element des Staatslebens sind. Ich weiß nicht, wo wir wären, wenn wir die Gewerkschaften in Deutschland nicht hätten. Aber der § 109 a - und hier will ich gleich der Katze die Schelle umhängen — hat in mancher Hinsicht eine durchaus gewerkschaftsfeindliche Tendenz.
Wir haben im Grundgesetz auch die Pressefreiheit, aber der § 137 b hat eine durchaus pressefeindliche und der Freiheit der Meinung gegnerische Tendenz. Der Herr Bundesjustizminister hat uns zwar erklärt, es handle sich darum, hier eine Atmosphäre der Freiheit von Furcht zu schaffen. Ich habe sehr viel eher den Eindruck, daß diese Bestimmungen aus einer Atmosphäre der Furcht vor der Freiheit gekommen sind.
Denn es ist unseres Erachtens ausgeschlossen, hier die öffentliche Meinung den Gerichten und der Rechtspflege gegenüber in einer solchen Weise zu knebeln, wie das hier versucht wird. Wir müssen uns darüber klar sein: es handelt sich bei der in der Offentlichkeit geübten Kritik an gerichtlichen Urteilen um einen echten Konflikt zweier Grundrechte, der Unabhängigkeit der Rechtspflege auf der einen Seite und der Freiheit der Meinungsäußerung auf der anderen Seite. Diesen Konflikt zugunsten der einen oder anderen Seite mit Hilfe strafrechtlicher Mittel zu lösen, ist eine unechte und verderbliche Lösung. Man versucht sie überdies mit Mitteln, die ganz indiskutabel sind, nämlich insbesondere mit dem Mittel, daß nur dann eingegriffen wird, wenn die oberste Dienstbehörde des Gerichts, dessen Verfahren betroffen ist, dazu ermächtigt. Nun, wir haben im alten Strafrecht bis 1933 solche Antragsrechte, wie man es damals nannte, nur dann gekannt, wenn es sich um einen Angriff auf höchstpersönliche Rechtsgüter gehandelt hat, etwa auf die Ehre eines Beleidigten, der selbst durch seinen Antrag entscheiden sollte, ob er den gerichtlichen Schutz wünschte und suchte oder nicht. Erst im Kriegswirtschaftsstrafrecht ist dann so manches wie das „Verlangen" der Behörden usw. hineingekommen, was schon ganz das alte Prinzip der Legalität verließ und auf den sogenannten Verwaltungsmachtstaat hinstrebte und seine traurige Krönung in der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr, in der nach Möglichkeit überhaupt alles nur dann strafbar war, wenn die Verwaltung oder die Gauleitung es verlangte. Mit einer derartigen Bestimmung gibt man die Beurteilung und Entscheidung darüber, ob sich einer strafbar gemacht hat oder nicht, in das Ermessen und Belieben einer Verwaltungsbehörde.
Der eine, der mißliebig ist, wird verfolgt, und der andere, bei dem die Ermächtigung versagt wird, wird nicht verfolgt.
Das verletzt den elementarsten Grundsatz unserer Strafrechtspflege, den der Legalität, und es verletzt außerdem auch den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.
Vollends unerträglich ist die jetzt vorgelegte Neufassung der sogenannten Staatsgefährdung, die mit völlig uferlosen Begriffen operiert, nämlich daß bestraft wird die Anwendung von Massenterror, die planmäßige Irreführung der Massen oder sonst verwerfliche Mittel, wenn noch andere Tatbestandsmerkmale hinzukommen. Ja, meine Damen und Herren, was ist denn eine „planmäßige Irreführung der Massen"? Sehen Sie, eine katholische Jugendzeitschrift, die einzige Zeitschrift, die ich regelmäßig lese, — —
— Seien Sie ruhig! — Der „Michael" hat nach den
letzten Bundestagswahlen geschrieben: „Vor den
Wahlen hieß es: Ihr kämpft um das Elternrecht!
Und nach den Wahlen hieß es: Jetzt habt Ihr also
für die Erhardsche Wirtschaftspolitik gestimmt!"
War das nun eine planmäßige Irreführung der Massen im Sinne dieser Vorschriften?
ich glaube, ich habe damit — ich will die Zeit nicht ausschöpfen, denn sie ist sowieso zu kurz -genugend wesentliche Bedenken gegen diesen Entwurf angemeldet, der in solcher Art auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen muß. Daß wir andererseits überzeugt sind, nicht erneut eine Selbstmorddemokratie werden zu dürfen, ist klar und ist auch durch unseren eigenen Initiativantrag zum Ausdruck gebracht worden.
Aber lassen Sie mich darüber hinaus noch zwei grundsätzliche Bemerkungen machen, und das sind die: Meine Damen und Herren, es genügt nicht, mit den Mitteln des Strafrechts zu arbeiten, sondern ehe man dazu übergeht, hier alles mögliche in einem recht bunten Sammelsurium unter Strafe zu stellen, soll man selbst das Vorbild geben.
Ich muß leider sagen, daß der Herr Bundesminister
der Justiz, der dieses Gesetz vorlegt,
in seinen Reden draußen nicht das Vorbild gibt!
Ich bitte um Ruhe! —
Es widerspricht nicht der parlamentarischen Ordnung, wenn bei der Beratung eines Gesetzes ein
Abgeordneter ein Mitglied der Regierung kritisiert.
Herr Präsident, ich bitte doch, mir Ruhe zu verschaffen, insbesondere gegen den Herrn Bundesjustizminister.
Ich bitte Sie, die eigenen Äußerungen des Herrn Bundesjustizministers heute nachzulesen,
in denen er bewegte Klage über die Angriffe geführt hat, denen er und die Bundesregierung ausgesetzt seien. Damit hat der Herr Bundesjustizminister herausgefordert, daß man auch über die Art spricht, wie er anzugreifen pflegt und beliebt. Wir werden in diesem Hause und außerhalb dieses Hauses darüber noch sehr viel mehr zu sprechen haben.
Aber ich hielt es für grundsätzlich wichtig, zu betonen, daß die Demokratie nur lebensfähig ist und daß man Strafbestimmungen nur machen kann, wenn man durch sein eigenes Verhalten ein ganz besonderes Beispiel gibt.
Das zweite, was bei diesem Gesetz auch als wesentlich zu betonen ist, ist folgendes. Das Strafrecht kann immer nur ein Herumkurieren an den Symptomen, ein Mittel am Rande sein. Worauf es sehr viel mehr ankommt — und dann werden wir das Gesetz kaum noch brauchen —, ist, daß man Deutschland nicht koreanisiert, sondern daß man in Deutschland zu einer Politik übergeht, die es erreicht, daß jedermann an dieser Demokratie mit seinem Herzen hängt und sie verteidigt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine Damen und Herren! Es ist ungefähr ein Jahr her, daß die Zentrumsfraktion dem Hohen Hause den Antrag Nr. 25 unterbreitete, den Antrag zum Schutze der Bundesfarben und der Bundesflagge. Dieser Antrag zusammen mit dem Antrag der SPD zum Schutze der Republik gegen die Feinde der Demokratie haben wohl dem Justizministerium Veranlassung gegeben, dem Hohen Hause den vorliegenden Entwurf zu unterbreiten. Aus dem Umstande, daß meine Fraktion als erste Fraktion dieses Hauses einen dahingehenden Antrag gestellt hat, können Sie und kann die Öffentlichkeit ersehen, daß wir mit den Grundgedanken, die die Regierung zu dieser Vorlage veranlaßt haben, durchaus übereinstimmen. Es kommt jetzt darauf an, diese Gedanken so zu formulieren, daß sie den Absichten, Zwecken und Wünschen aller die Demokratie stützenden Parteien und Abgeordneten dieses Hauses entsprechen.
Mit manchem wird man durchaus einverstanden sein können, wenngleich ich dabei sagen muß, daß der Umfang dieser Vorlage es unverständlich erscheinen läßt, daß sie den Abgeordneten erst heute im Laufe des Vormittags unterbreitet wurde. Denn es entspricht nicht, wie schon mit Recht von einem der Herrn Vorredner betont wurde, der Bedeutung und der Wichtigkeit dieser Vorlage, daß man nur Stunden zur Verfügung hat, um sie durchzuarbeiten und sich vorzubereiten. Es wäre notwendig, sich mit den Einzelheiten dieses Entwurfs schon jetzt zu befassen, um die Grundgedanken beurteilen, um feststellen zu können, wie weit die vorliegenden Anregungen überhaupt geeignet sind, die Wünsche, die hinter ihnen stehen, zu realisieren. Das kann nun einmal nicht anders sein. Ich bedaure, daß die Regierung, die ja ein Jahr Zeit gehabt hat, sich nicht die Zeit genommen hat, diesen Entwurf früher auszuarbeiten, daß sie ihn erst in allerletzter Minute in unsere Hände gebracht hat.
Aber während ich diese Kritik anlege, fällt mir folgendes ein. Wenn man sie an § 99 mißt, dann habe ich eigentlich Glück, daß ich diese Kritik vor diesem Hohen Haus und an diesem Pult äußere; denn anderenfalls hätte ich mich ja unter Umständen schon einer böswilligen Verächtlichmachung dadurch schuldig gemacht. Was eine böswillige Verächtlichmachung bedeutet, das zu entscheiden, liegt letzten Endes in den Händen der Richter, die die Sache zu beurteilen haben, und dann kommt es darauf an, ob ich bei ihnen Gnade finde oder nicht. Es gibt da in der Vergangenheit Beispiele, die uns bedenklich stimmen.
Man wird also hinsichtlich des Umfanges der Strafbestimmungen una ihrer allgemein zu weit gehaltenen Fassung ganz generell erhebliche Beerenken bei dieser Vorlage erheben müssen. Die Verfassung sowohl wie diese Vorschritten, die ihrem Schutze dienen sollen, bedeuten letzten Endes nichts anderes als den Schutz der Freiheit, und sie sollen nicht eine Einschränkung, eine Beschränkung der Freiheit herbeifuhren. Ich bin mit dem Herrn Justizminister keineswegs einverstanden, wenn er meinte, daß man die echte politische Freiheit hier opfern musse, um eine formale andere Freiheit zu retten, die letzten Endes nichts anderes ist als die Freiheit derjenigen Regierung, die jeweils am Ruder ist.
Damit kann ich mich nicht einverstanden erklären, und ich spreche dabei für unsere Fraktion.
Die vorliegenden Formulierungen werden der Aufgabe nicht gerecht, die diesem Gesetz gestellt ist, nämlich die rechte Mitte zwischen dem Schutz des Staates und dem Schutz der freien Persönlichkeit zu halten. Es kommt jetzt gerade darauf an, das politische Leben davor zu bewahren, daß es infolge von staatsschützenden Bestimmungen verödet, uns davor zu bewahren, daß wir in einer formalen Demokratie leben, in der es den Bürgern nicht mehr möglich sein wird, ihre Meinung zu äußern, ohne daß sie dabei Gefahr laufen, nach dem mehr oder weniger weit gespannten Ermessen von Behörden abgeurteilt zu werden; daß die Grenzen der Erlaubtheit oder Nichterlaubtheit des Handelns nicht mehr vorher bestimmt werden können.
Insbesondere geht es uns zu weit, wenn die Freiheit hinsichtlich der Meinungsäußerung eingeschränkt wird, solange gerichtliche Verfahren noch anhängig sind. Es ist eine Frage des Geschmacks, ob man Verfahren kritisiert, die noch nicht abgeschlossen sind, d. h. gerichtliche Verfahren. Es ist insbesondere eine Frage des Taktes, ob man eine Kritik darüber in gesetzgeberischen Körperschaften laut werden läßt. Das ist beinahe eine Frage, die unter § 137 b Abs. 1 Ziffer 1 der Vorlage fällt, wenn gerade in einer öffentlichen Körperschaft, die Macht über ein Gericht hat, oder wenn von irgendeiner Behörde, die Macht über ein Gericht hat, Kritik an einem noch anhängigen Verfahren geäußert wird. Das könnte dann jedenfalls von den Richtern so empfunden werden, als wenn sie damit unter Druck gesetzt werden sollten. Aber es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß es bedeutend zu weit geht, ein Urteil, weil es noch nicht rechtskräftig ist, der öffentlichen Kritik zu entziehen. Erinnern wir uns doch an die Fälle, in denen es vorgekommen ist, daß man ein Urteil vor seiner Rechtskraft kritisiert oder gescholten hat!
Das war das Urteil im Falle Hedler, und das war das Urteil, das in der Entnazifizierungssache des Baron Schröder in Bielefeld von der Spruchkammer gesprochen worden ist, und da will mir auch bei der Beurteilung mit erheblichem Abstand erscheinen, daß diese Kritik durchaus angebracht war. Es ergibt sich also, daß wir, gemessen an den Ereignissen, die in der Vergangenheit Anlaß zu einer solchen voreiligen Kritik gegeben haben, eine Veranlassung haben, Gesetzesbestimmungen einzuführen, die die Meinungsfreiheit in dieser Hinsicht beschränken.
Man beruft sich hier auf das angelsächsische Recht. Ich muß sagen: ausgerechnet die einzige Bestimmung, die ich in unserem Recht nicht wiederfinden möchte, soll jetzt in unser Recht eingeführt werden, während die Bestimmungen zum Schutze der Freiheit, namentlich die formalen Bestimmungen, die zum Schutze der Freiheit außerordentlich wichtig und nach meiner Meinung zum Teil notwendig wären, bisher leider nicht eingeführt worden sind.
Wir können uns also nicht damit einverstanden erklären, daß die Meinungsfreiheit in diesem überflüssigen Punkt eingeschränkt wird, zumal das, was unter Strafe gestellt werden soll, nach normalem Empfinden des Volkes gar nicht strafwürdig ist. Es ist lediglich eine Meinungsäußerung, und nur deswegen soll sie bestraft werden, weil sie einer Behörde nicht gefällt. Auch die Gerichte und gerade die Gerichte müssen sich daran gewöhnen, der öffentlichen Kritik standzuhalten.
Die Gerichte müssen sich daran gewöhnen, daß nicht alle Leute gut finden, was sie urteilen. Es wäre völlig falsch, eine überflüssige Hybris herbeizuführen oder, wenn sie schon bestehen sollte, noch zu fördern. Es soll keineswegs einer übertriebenen oder einer voreiligen Kritik das Wort geredet werden. Aber, wenn eine solche Bestimmung eingeführt wird, so bedeutet es, daß wir Gefahr laufen, in überkommener Weise die Persönlichkeit und ihr Recht dem Staat und seinem Recht unterzuordnen. Mit dem notwendigen Schutz des Staates, mit dem notwendigen Schutze der Freiheit und mit dem notwendigen Schutz des Friedens hat dies gar nichts zu tun.
Mit manchen Vorschlägen kann man sich im Kern und im Grunde einverstanden erklären. Es ist eine Frage des Geschmacks, ob man die Uniform für so wichtig hält, daß man sie verbieten will. Nach der Vergangenheit haben wir allen Anlaß, sie für ernst zu nehmen. Der Schutz der Bannmeile scheint notwendig gerade mit Rücksicht auf Dinge, die sich am Horizont abzeichnen; und vor allem der Schutz des Wahlgeheimnisses; denn man kann nicht wissen, wieweit sich unter die bei den Wahlen mitwirkenden Personen einzelne der Demokratie feindliche Elemente einschmuggeln und die Gelegenheit wahrnehmen, Terror auf diese Art und Weise zu üben.
Die Hochverrats- und Landesverratsbestimmungen und auch die Bestimmungen über die Verhetzung erscheinen uns bei weitem zu allgemein gehalten und bedürfen der Präzisierung.
Alles in allem, meine verehrten Damen und Herren, bringe ich im Namen meiner Fraktion zum Ausdruck, daß wir mit den Grundgedanken dieses Gesetzes übereinstimmen und diese Vorlage für eine brauchbare Diskussionsgrundlage erachten, daß sie uns aber in vielen Einzelheiten bedeutend zu weit geht, und daß wir nicht wünschen, zum Schutze des Staates ein derartig umfangreiches Strafgesetz kodifiziert vorgelegt zu bekommen, das weniger dem Schutz denn der Einschränkung der Freiheit zu dienen geeignet ist. Vor allen Dingen wünschen wir auch, daß das Leben der Demokratie nicht eine Verödung, sondern eine Belebung, Sicherung und eine Gewährleistung durch dieses Gesetz erfährt.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist damit geschlossen.
Es ist vorgeschlagen, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist also so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Schmid , Frau MeyerLaule, Frau Schanzenbach, Dr. Veit, Maier (Freiburg), Herbig, Matzner und Fraktion der SPD betreffend Ausführungen des Wirtschaftsminister des Landes Baden. (Drucksache Nr. 1204).
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, diese Interpellation heute von der Tagesordnung abzusetzen und ihre Besprechung auf morgen zu verlegen. Mir ist mitgeteilt worden, daß die Regierung von Baden von der Tatsache, daß diese Interpellation heute auf der Tagesordnung steht, erst heute morgen Kenntnis erhalten hat, und ich glaube, daß es doch ein Gebot der Loyalität ist, der Regierung von Baden die Möglichkeit zu geben, an der Besprechung der Interpellation teilzunehmen. Es wird eine Verzögerung von einem Tage eintreten, und ich glaube nicht, daß die Frage so dringlich ist, daß es auf diesen einen Tag ankommt.
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Dr. von Brentano hat beantragt, Punkt 3 der Tagesordnung abzusetzen und auf die Tagesordnung von morgen zu setzen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; damit wäre also die Vertagung beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 4:
Beratung der Interpellation der SPD betreffend Öffentliche Äußerungen von Bundesministern zu außenpolitischen Fragen .
Das Wort hat Herr Bundesminister Kaiser.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler ist zur Beantwortung der Interpellation bereit, doch war und ist ihm daran gelegen, für diese Beantwortung dem Bundestag erst zu einem
späteren Zeitpunkt zur Verfügung zu stehen. Ich hatte diesem seinem Wunsch auch im Ältestenrat Ausdruck gegeben. Unter Hinweis auf § 56 der Geschäftsordnung bitte ich nunmehr namens der Bundesregierung um Rückstellung der Beantwortung der Interpellation auf eine der Sitzungen in der nächsten Woche.
Meine Damen und Herren! Nach § 56 der Geschäftsordnung besteht allerdings die Möglichkeit und eine gewisse Verpflichtung, auf Wunsch der Regierung von der Behandlung der Interpellation abzusehen. Ich bitte Sie, dieser Behandlung der Interpellation zuzustimmen. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
— Abgeordneter Mellies!
Meine Damen und Herren! Es ist zwar richtig, daß der § 56 der Geschäftsordnung eine entsprechende Bestimmung enthält. Aber ich darf in diesem Zusammenhang doch auf zwei Tatsachen hinweisen. Zunächst einmal ist unsere interpellation vom 22. Juli. Es wäre also genügend Zeit gewesen, die notwendigen Vorbereitungen zu treuen, um diese Interpellation bei Wiederbeginn der Parlamentstagung zu beantworten. Zweitens aber glaube ich, die Befürchtungen der Bundesregierung brauchen auch nach der Aussprache im Ältestenrat keineswegs zu bestehen. Wir haben von uns aus ausdrücklich erklärt, daß unser Redner sich bei der Begründung der Interpellation strikt an das Thema halten wird. Es würde also keineswegs die Gefahr bestehen, daß durch diese Interpellation eine außenpolitische Debatte, die auch wir im Augenblick nicht wünschen, im Hause hervorgerufen wird. Wir halten es aber — gerade auch aus außenpolitischen Gründen — für sehr zweckmäßig, daß vor der großen außenpolitischen Debatte diese Interpellation erledigt wird.
Wir bitten deshalb das Haus dringend, noch heute in die Verhandlung einzutreten und dafür zu sorgen, daß diese Frage jetzt erledigt wird.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion möchte sich nachdrücklich dem Antrag der Regierung anschließen. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages besteht angesichts des Wunsches der Regierung gar nicht die Möglichkeit, diesen Punkt der Tagesordnung heute zu behandeln. Es ist nicht allein § 56, der hier zum Zuge kommt, sondern § 58 der Geschäftsordnung, nach dem eine solche Interpellation nur dann auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, wenn die Regierung die Beantwortung der Interpellation überhaupt oder nach Ablauf von 14 Tagen verweigert. Diese Bestimmung ist mit guten Gründen in die Geschäftsordnung eingebaut, weil der Regierung für die Beantwortung einer Interpellation aus außen- und innenpolitischen Gründen die Verfügungsgewalt gegeben werden muß, den richtigen — nach ihrem Ermessen als richtig empfundenen — Zeitpunkt zu bestimmen.
Nach § 58 der Geschäftsordnung muß dem Verlangen der Regierung Rechnung getragen werden, diesen Punkt vorerst abzusetzen.
Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und
Herren, § 58 der Geschäftsordnung lautet:
Lehnt es die Bundesregierung überhaupt oder für die nächsten zwei Wochen ab, die Interpellation zu beantworten, so kann sie der Bundestag zur Besprechung auf die Tagesordnung setzen. Vor der Besprechung erhält einer der Interpellanten das Wort zur Begründung.
Das heißt: wenn die Regierung die Beantwortung einer Interpellation überhaupt ablehnt oder die Frist über zwei Wochen hinausschiebt, so ist die Möglichkeit gegeben, die Sache auch ohne Zustimmung der Regierung oder ohne eine Vereinbarung mit der Regierung auf die Tagesordnung zu setzen.
— Diese beiden Voraussetzungen scheinen mir nicht gegeben zu sein; denn Herr Bundesminister Kaiser hat weder gesagt — so habe ich ihn wenigstens verstanden — daß er eine längere Frist als zwei Wochen wünscht, noch hat er eine Beantwortung überhaupt abgelehnt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren, wenn Bestimmungen der Geschäftsordnung einen Sinn haben sollen, kann es sich bei § 58 doch nur darum handeln, daß der Bundestag die Behandlung der Interpellation dann erzwingen kann, wenn die Regierung die Interpellation 14 Tage nach ihrer Einreichung nicht beantwortet hat. Wenn Sie zu einer solchen Auslegung kommen wollen, wie Sie sie soeben angedeutet haben, hat die Regierung jede Möglichkeit, die Sache zu verschieben. Das kann auch nicht im Interesse des Bundestages liegen. Ich bitte Sie dringend, bei der Entscheidung, die Sie jetzt zu treffen haben, an die Arbeit und an das Interesse des Bundestages und nicht an das Interesse der Bundesregierung zu denken.
Ich glaube, eine Geschäftsordnungsdebatte wird uns nicht weiterführen. Ich halte es für richtig, darüber abzustimmen, ob dem Antrag auf Absetzung der Interpellation von der Tagesordnung entsprochen werden soll. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag auf Absetzung des Punktes 4 von der Tagesordnung zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Das Ergebnis der Abstimmung ist zweifelhaft. Wir kommen also an einer Auszählung durch Hammelsprung nicht vorbei.
Wer für die Absetzung des Punktes 4 von der Tagesordnung ist, den bitte ich, durch die Ja-Tür, wer gegen die Absetzung ist, durch die Nein-Tür den Saal zu betreten.
Während des Hammelsprungs dürfen sich in der Wandelhalle nur Mitglieder des Hauses aufhalten. Alle anderen Personen werden ersucht, die Wandelhalle sofort zu verlassen. Niemand darf während des Hammelsprungs die Logen rechts und links vom Haupteingang zum Plenarsaal verlassen.
Die Abgeordneten werden gebeten, den Plenarsaal zu verlassen. Ich lasse nach drei Minuten die Türen schließen. Die Damen und Herren, die bis
dahin den Saal nicht verlassen haben, können an der Abstimmung nicht teilnehmen. Je zwei der Schriftführer werden gebeten, sich an die drei Eingänge zum Plenarsaal zu begeben.
Die Abstimmung beginnt. Ich bitte, die Abstimmungstüren zu öffnen. Die Abgeordneten werden im Interesse der Fortführung der Verhandlungen gebeten, umgehend ihrer Abstimmungspflicht zu genügen, den Plenarsaal durch die entsprechende Tür möglichst schnell zu betreten und sich sogleich an ihre Plätze zu begeben.
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte die Schriftführer, die Eingangstüren zu schließen und mir das Ergebnis ihrer Zählung mitzuteilen.
Meine Damen und Herren! Die Auszählung hat folgendes Ergebnis: Für den Antrag, also für Absetzung, haben 149, dagegen 132 gestimmt bei 2 Enthaltungen. Damit ist der Antrag auf Absetzung des Punktes 4 der Tagesordnung angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Nr. 1102 der Drucksachen).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag vielleicht ein sehr müßiges Beginnen sein, eine Versammlungsordnung vor einem Kreis von so exzellenten Experten des öffentlichen Versammlungslebens zu vertreten, wie Sie es sind. Wenn die Mitglieder des Bundestages insgesamt und ein jeder einzelne von Ihnen auf irgendeinem Gebiete sachverständig sind, so ist es sicherlich auf diesem Gebiete der Fall. Es ist das Element des demokratischen Politikers, in öffentlicher Versammlung zu werben, Rede und Antwort zu stehen und sich zu verteidigen. Sein Leben ist, ob freudvoll oder leidvoll, zu einem guten Teil ein Leben in öffentlichen Versammlungen. Deshalb glaube ich, daß es sich erübrigen wird, zu dieser Vorlage sehr viel zu sagen. Wir sind aber der allgemeinen Öffentlichkeit über diese Vorlage auch einige Aufklärung schuldig, und deshalb möchte ich folgendes hier vortragen.
Diese Vorlage beinhaltet — und das möchte ich mit Nachdruck an die Spitze stellen — keine Beeinträchtigung des öffentlichen Versammlungslebens. Die öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen werden keinerlei Genehmigung unterstellt. Für Versammlungen unter freiem Himmel wird lediglich eine Anzeigepflicht vorgeschlagen. Versammlungen unter freiem Himmel können verboten oder mit Auflagen bedacht werden nur bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Derartige Verbote oder Auflagen werden jeweils der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegen.
Im übrigen sieht die Vorlage vor, daß um Parlamente und Gerichte ein Bannkreis festgesetzt werden kann, d. h. ein Ausschluß gewisser Räume von der Benutzung für Versammlungen oder Umzüge. Da Deutschland groß genug ist, Versammlungen und Umzüge zu veranstalten, mag es wohl
tragbar erscheinen, daß man für derartige Veranstaltungen die Räume sperrt, in denen immer
wieder besondere Kollisionsgefahren gegeben sind.
Der Schwerpunkt der Vorlage liegt in der Ordnung des Versammlungsablaufs. Es gibt viele ungute Versammlungen, weil es bei uns keine fairen, gefestigten Spielregeln für Versammlungen gibt. Völker mit einer generationenlangen Festigung eines freiheitlich-demokratischen Lebens haben solche Spielregeln hinlänglich entwickelt, und sie werden von ihren Bürgern respektiert. Wir aber haben solche gefestigte Spielregeln nicht, und deshalb will die Vorlage eine Hilfsstellung dafür bieten, daß sich auch bei uns solche Spielregeln einbürgern und festigen. Die Vorlage tut das dadurch, daß sie von Rechten und Pflichten der Versammelten spricht, d. h. sowohl von Rechten und Pflichten des Veranstalters einer öffentlichen Versammlung als auch des Leiters als auch der Redner und schließlich der sonstigen Teilnehmer, also der Zuhörer.
Das zur Zeit noch geltende Vereinsgesetz von 1908 sagt über Versammlungen lediglich, daß der Leiter für die Ordnung verantwortlich ist und daß er eine Versammlung auflösen kann. Das ist nach all den Erfahrungen, die wir seit 1908 und sonderlich in den letzten Jahren gemacht haben, nicht nur zu wenig, sondern auch falsch akzentuiert; denn wir haben doch gerade die Erfahrung gemacht, daß viele Teilnehmer an einer Versammlung es darauf anlegen, sie zu sprengen. Es genügt also nicht, dem Versammlungsleiter lediglich die Befugnis an die Hand zu geben, die Versammlung aufzulösen; denn damit wird ja gerade das ausgelöst, was gewisse Teilnehmer an einer Versammlung herbeiführen wollen. Es kommt darauf an, daß Versammlungen durchgeführt und daß Störungen und Sprengungen unterdrückt werden können. Zu diesem Zweck spricht die Vorlage zunächst davon, daß jeder Staatsbürger grundsätzlich nicht nur das Recht hat, öffentliche Versammlungen zu besuchen, sondern auch die Pflicht, sich darin so zu verhalten, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigt werden. Diese Pflicht zum angemessenen Verhalten aller Teilnehmer an einer Versammlung ist der Leitsatz für das Ganze. Für die Teilnehmer wird diese Pflicht speziell dahin entwickelt, daß niemand mit Waffen kommen darf, auch dahin, daß niemand in einer Uniform kommen darf, die eine politische Gesinnung bekunden soll, und letztlich dahin, daß die Anordnungen des Versammlungsleiters zu befolgen sind.
Damit stehen wir bei der besonders wichtigen Figur des Versammlungsleiters. Seine Befugnisse werden gegenüber der unzulänglichen Entfaltung und falschen Akzentuierung im Vereinsgesetz von 1908 in dieser Vorlage näher spezialisiert. Die Rechtsgrundlage der Befugnisse des Versammlungsleiters aber bleibt unverändert, d. h. dem Versammlungsleiter wird keine Polizeigewalt zugemessen, sondern die Quelle seiner Rechte bleibt nach wie vor das Recht des Hausherrn. Er hat also, wenn Sie wollen, nach wie vor nur zivilrechtliche Grundlagen für sein Tun in der Versammlung. Für den Versammlungsleiter bleibt an der Spitze die Verpflichtung bestehen, für die Ordnung in der Versammlung zu sorgen. An Befugnissen sollen ihm aber nun in näherer Entfaltung gegenüber dem Gesetz von 1908 folgende Befugnisse zugesprochen werden: E r bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er kann einen Ordnungsruf erteilen. Er kann das Wort entziehen. Er kann Störenfriede
aus der Versammlung ausschließen, und endlich als eine ultima ratio: er kann die Versammlung auflösen. Die Teilnehmer an der Versammlung sind verpflichtet, sich den Anordnungen des Versammlungsleiters zu fügen und sie zu befolgen.
Damit nun der Versammlungsleiter nicht als ein hilfsloser Mann im Gelände steht, schlägt die Vorlage vor, daß er Ordner bestellen kann. Damit würde gesetzlich etwas sanktioniert werden, was bisher faktisch schon geübt wird. Darin mag vielleicht ein grundsätzliches Problem stecken, das der Erörterung besonders zugänglich sein wird. Aber daß solche Versammlungsordner, wenn sie in rechter Weise ausgewählt sind — und da trete ich für meine Person den Vorschlägen des Bundesrats durchaus bei - einen guten Dienst zu tun vermögen, hat ja doch auch die Erfahrung schon wiederholt erwiesen.
Das also, meine Damen und Herren, sind die Ziele und der wesentliche Inhalt dieser Vorlage. Ich hoffe, daß diese Vorlage in der Gestalt, die Sie ihr letzten Endes zu geben haben werden, unserem öffentlichen Versammlungsleben als einem Grundelement freiheitlich-demokratischen Lebens zu einer guten Ordnung verhilft und dazu beiträgt, daß demokratische Institutionen Ansehen gewinnen und sich in unserem Volksbewußtsein festigen.
Meine Damen und Herren! Für die Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 120 Minuten vorgesehen. Es soll dabei allerdings, falls ein größeres Redebedürfnis vorhanden ist, mit einer gewissen Toleranz verfahren werden. Ich nehme an, daß Sie dieser Regelung zustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist höchst bedauerlich, daß ein so gutes Gesetz wie das Vereinsgesetz von 1908 wiederum durch die Zeitläufte revisionsbedürftig geworden ist, obwohl hierzu an sich keinerlei Veranlassung vorliegen sollte.
Wir können dem vorliegenden Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht versagen. Wir wollen hoffen, daß dieses Gesetz in vielen, vielen Exemplaren, vor allem bei der Linken, für den täglichen Hausgebrauch verteilt wird.
Wir begrüßen außerordentlich den § 16, der den befriedeten Bannkreis verlangt, und erinnern uns dabei des VVN-Einmarsches in den Wiesbadener Landtag. Solche Dinge können in Zukunft verhindert werden.
— Nein, Angst haben wir nicht; wir haben ja zwei Hände!
Die Strafvorschriften in Abschnitt IV sind jedoch auf Grund der mannigfaltigen Erfahrungen, die wir in der letzten Zeit machen konnten, unseres Erachtens nicht ausreichend; vor allen Dingen müßten sie etwas mehr spezifiziert werden. Ich möchte dazu einen Vorschlag machen, den ich in der zweiten Lesung auch noch als Antrag einbringen werde, den ich aber jetzt schon bekanntgeben will, weil er meines Erachtens schon in die erste Beratung gehört, nämlich: Derjenige, der
durch Gewaltanwendung oder fortgesetzten Lärm Versammlungen sprengt, wird mit Gefängnis bestraft. Bei Jugendlichen erfolgt Einweisung in Fürsorgeerziehung. Die Rädelsführer und die Auftraggeber sollen für solche Dinge besonders herangezogen werden. Wenn als Rädelsführer oder Auftraggeber — auch das gibt es — in solchen Gewaltaktionen Mitglieder kommunaler Körperschaften, Verwaltungs- oder Polizeibeamte, Vorsitzende von Partei- oder Berufsorganisationen oder hauptamtliche Funktionäre von solchen festgestellt werden, dann soll auf Zuchthaus nicht unter 1 Jahr, bei Bundestags- und Landtagsabgeordneten — auch das kommt vor — auf Zuchthaus nicht unter 3 Jahren erkannt werden.
Wer in Verfolg politischer Auseinandersetzungen Andersdenkende tätlich mißhandelt, wird je nach der Schwere des Falles mit Gefängnis von 6 Monaten bis zu 3 Jahren bestraft. Und handelt es sich um gemeinschaftliche Überfälle — auch das haben wir erlebt —, dann soll die Strafe entsprechend verschärft werden. Wenn ein Gewaltverbrechen, also Prügelei, von den vorhin aufgeführten Leuten inspiriert oder durchgeführt wird, soll ebenfalls auf Zuchthausstrafe erkannt werden.
Wenn Bundestags- oder Landtagsabgeordnete sich als Prügelanten betätigen — auch das haben wir erlebt —, dann soll besonders scharf vorgegangen werden.
— Ja, ich glaube, es ist peinlich für Sie, das zu hören.
— Sie brauchen nicht für uns zu sorgen. Wir sorgen in unseren Versammlungen schon allein für uns.
Es muß in Zukunft einfach unmöglich gemacht werden, daß sich Dinge wiederholen. die wir vor allem im letzten Jahr dauernd erlebt haben, daß z. B., wie es in Hildesheim passiert ist, der stellvertretende Leiter vom Arbeitsamt als Haupträdelsführer auftritt, wenn es darum geht, einen großen, mit 800 Menschen besetzten Saal zu demolieren, oder daß auf Grund irgendwelcher Proteste von Gewerkschaftsorganisationen irgendein Polizeipräsident sich bemüßigt fühlt, irgendwelche Versammlungen von politisch Andersdenkenden aufzulösen, oder daß VVN, SPD und KPD im friedlichen Verein miteinander in Düsseldorf eine Versammlung der FDP zusammenschlagen, weil der Herr von Manteuffel dort spricht. Alle diese Dinge müssen in Zukunft unmöglich gemacht werden.
Wir freuen uns ganz außerordentlich, daß diese Gesetzesbestimmungen nun da sind. Wir werden auf die Vorschriften dieses Gesetzes, das uns sehr gelegen kommt
für die ordnungsmäßige Durchführung unserer oft durch Sie gestörten Versammlungen, in Zukunft in unseren Versammlungen hinweisen und darauf aufmerksam machen, in welche Gefahren sich Ihre
Leute begeben, wenn sie die Praktiken fortsetzen,
die sie bisher in so reichem Maße exerziert haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist während der Beratung des Strafrechtsänderungsgesetzes schon einiges von allgemeiner Bedeutung gesagt worden, was auch für die Materie gilt, die durch den vorliegenden Gesetzentwurf geregelt wird. Der Herr Bundesinnenminister hat die Vorlage mit der Berner-kung eingebracht, mit diesem Gesetz würden gewisse Spielregeln für Versammlungen und Umzüge festgelegt. Eine Prüfung der Vorlage zeigt jedoch, daß hier weit mehr als eine Reihe von Spielregeln festgelegt wird. Zum Teil werden neue Straftatbestände geschaffen. Vor allen Dingen finden sich in der Vorlage bei strafbaren Handlungen oder Verfahren, die auf Grund dieses Gesetzes vor die Gerichte gebracht werden, Bestimmungen, deren Anwendung weitgehend in das Ermessen der Gerichte gestellt wird.
Das Gesetz ist im Grunde genommen zu begrüßen, und die sozialdemokratische Fraktion ist bereit, an der endgültigen Gestaltung durchaus positiv mitzuwirken. Wir möchten jedoch gewisse Sorgen nicht verhehlen, die uns gekommen sind, als wir die Vorlage im einzelnen geprüft haben. Wir sind der Meinung, daß ein derartiges Gesetz knapp und klar sein müßte und daß es notwendig ist, auf eine lange und zum Teil problematische Kasuistik zu verzichten. Uns scheint, daß in diesem Gesetz zu viele Dinge geregelt werden. Es ist notwendig, auf einige Punkte einzugehen, zu denen auch bereits im Bundesrat gewisse Bedenken geäußert worden sind.
Der Bundesrat hat allein in 30 Punkten Änderungswünsche geäußert. Neun davon glaubt die Regierung nicht akzeptieren zu können. Ich darf mir erlauben, auf eine Reihe von Fragen einzugehen, die durch diesen Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt worden sind.
Wir sind der Meinung, daß die Grundtendenz dieses Gesetzes, Sauberkeit und Ordnung miteinander für das Versammlungsleben zu paaren, zu bejahen ist. Wir sind weiter der Meinung, daß niemandem von diesem Gesetz her Schaden und Gefahren drohen, der sich in eine politisch saubere Praxis einordnet und der Versammlungen und Umzüge in der Form durchführt, wie dies unter anständigen politischen Menschen üblich ist.
- Warum Sie „Sehr richtig!" rufen, weiß ich nicht. Das ist allerdings eine Feststellung, die ganz allgemein gelten sollte, die aber nicht gilt, wenn wir an Vorkommnisse nicht nur der letzten Wochen denken, sondern auch an Vorfälle und Vorgänge, die sich bei Wahlen in der letzten Zeit ereignet haben. Hier bedarf es in der Tat gewisser Spielregeln.
Wir sind der Meinung, daß auch durch dieses Gesetz die Tatsache praktiziert werden muß, daß Freiheit nicht Zügellosigkeit bedeutet und Meinungsfreiheit nicht der Schimpffreiheit gleichzusetzen ist und daß sich im übrigen jeder nach allgemein anerkannten Prinzipien richten muß.
Wenn der Herr Kollege von Thadden vorhin allerdings meinte — er hat das Gesetz in Bausch
und Bogen bejaht und hier nur einige Abänderungswünsche vorgetragen —, daß es vor allen Dingen auch notwendig wäre, eine Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen, nach der unter Umständen Jugendliche in die Fürsorgeerziehung gebracht werden müßten, dann haben wir gegenüber einem solchen Begehren doch erhebliche Bedenken. Wir sind der Meinung, daß die Jugend dann nicht in die Gefahr gerät, sich in Tumulte hineinzubegeben, an ihnen teilzunehmen oder sie auszulösen, wenn die Eltern und die Älteren ihnen ein besseres Beispiel geben, als dies gelegentlich der Fall ist,
wenn sie von sich aus das Rowdytum ablehnen und im Rowdytum kein politisches Prinzip sehen, das man bejahen kann.
Überhaupt ist es viel weniger wichtig, Strafbestimmungen in ein solches Gesetz aufzunehmen, als an der Aktivierung einer sauberen politischen Moral mitzuwirken. Es ist besser, die Politik zu aktivieren denn die Polizei. Wenn gelegentlich polizeiliche Maßnahmen notwendig sind, dann müssen sie auf Ausnahmefälle beschränkt werden.
Meine Damen und Herren! Ich komme zu Einzelbemerkungen, die sich hier aus dem Gesetzentwurf notwendigerweise ergeben. Der Bundesrat hat eine Streichung der Waffenermächtigungsklausel des § 2 gewünscht. Wir haben zur Frage der Waffen, zur Frage vor allen Dingen des Begriffes der Waffe eine lange Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen und auch zwei Gesetze der Vergangenheit, die mindestens für die Auslegung wichtig sind. Wir haben einen sehr weit gefaßten Begriff der Waffe, der sich aus der Anwendung der §§ 11 und 19 des Reichsvereinsgesetzes entwickelt hat, und einen engeren Begriff, der sich auf die Rechtsprechung zur Verordnung des Reichspräsidenten gegen Waffenmißbrauch gründet. Wir vermissen in der Vorlage, die wir heute beraten. eine klare Legaldefinition des Begriffs der Waffe. Wir möchten, ohne hier im Plenum auf Einzelheiten einzugehen. diese Dinge im Ausschuß eingehend erörtern. Wir vermissen in diesem Gesetz eine entsprechende Klarstellung. Wir können nur vermuten, daß der Begriff der Waffe, der hier im § 2 erwähnt wird, im engen Sinne gemeint ist.
Wir finden auch. daß die Bestimmungen über das Trauen von Uniformen nicht besonders glücklich sind. Hier ist davon die Rede, daß das Tragen von Uniformen, von Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken in Verbindung mit Kundgebungen und Aufmärschen dann verboten sein soll, wenn diese Dinge den Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung darstellen. Wir wissen nicht recht, ob Polizeiaugen immer das richtige Maß dafür haben, ob eine Uniform, ein Uniformteil oder gleichartige Kleidungsstücke auch Ausdruck einer politischen Gesinnung sind. Wir können uns vorstellen, daß Fahrtenkittel oder Pfadfindertrachten auch in Zukunft durchaus keine Bedrohung des Staates darzustellen brauchen, und wir sind der Meinung, daß man der Anregung des Bundesrats folgen sollte, mindestens für Jugendorganisationen Ausnahmeregelungen durch die oberste Landesbehörde zuzulassen. Über diesen Punkt wird im Ausschuß im einzelnen zu reden sein. Im übrigen dürfen wir bemerken, daß es ja eigentlich auch nicht sehr logisch und konsequent ist, das Tragen von Uniformen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken zu verbieten, wenn man nicht gleichzeitig etwa das Tragen von Transparenten, von Wimpeln oder Fahnen ver-
bietet, die ja auch, und zwar in noch stärkerem Ausmaß, Ausdruck einer politischen Gesinnung sein könnten. Daß das aber nicht geht, daß man das nicht tun sollte, bedarf wohl keiner besonderen Hervorhebung.
Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in einem anderen Punkte Abänderungswünsche geäußert. Er hat begehrt, daß § 3 ergänzt wird, daß ein § 3 a und ein § 3 b eingeführt werden, nach denen Naziembleme und das Zeigen früherer Reichsfarben oder Symbole verboten bleiben bzw. verboten werden sollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß man diese Abänderungswünsche sorgfältig erwägen sollte, bevor man ihnen Rechnung trägt, wenn man überhaupt glaubt, daß es derartiger Festlegungen bedarf. Naziembleme dürften sich abgelebt haben, und ob es besonders klug wäre, sie jetzt noch besonders zu verbieten, steht dahin. Wir könnten allzuleicht künstlich ein Märtyrertum schaffen. Wir sollten uns viel eher ,überlegen, ob es nicht möglich ist, von Gesetzes wegen Ansätze dafür zu schaffen, daß die Symbole der Bundesrepublik in stärkerem Maße in das Bewußtsein der Bevölkerung dringen und daß diesen Symbolen die schuldige Reverenz erwiesen wird. Das Ausland kann uns hier vielleicht ein Beispiel sein. Diese Art von positivem Verfassungsschutz erscheint uns jedenfalls fruchtbarer als ein Katalog von Verbotsbestimmungen. Immerhin wollen wir die guten Absichten, die dem Bundesrat bei seinen Abänderungswünschen sicherlich vorgeschwebt haben, nicht ohne weiteres übersehen. Wir sind in dieser Frage zu einer entsprechenden Ausschußberatung bereit.
Meine Damen und Herren, es gibt noch eine ganze Reihe von Punkten, die der Erwähnung bedürfen. Ich will mich auf wenige beschränken und darauf hinweisen, daß die Änderungswünsche des Bundesrats zu § 7 a als Wünsche zur Ergänzung des § 7 ebenfalls einer kurzen Betrachtung bedürfen. Der Bundesrat begehrt, einen § 7 a einzufügen, der die Verpflichtung des Leiters vorsieht, unter bestimmten Umständen einzugreifen, dann nämlich, wenn Ansichten oder Vorschläge vertreten werden, die sich offensichtlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand der Bundesrepublik oder den Gedanken der Völkerverständigung richten oder den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Wenn die Bundesregierung lapidar dazu gesagt hat, hier würden zu hohe Anforderungen an die Versammlungsleiter gestellt, so ist dazu zu sagen, daß das, jedenfalls in dieser allgemeinen Form, nicht ohne weiteres festgestellt werden sollte. Es ist durchaus eine Frage der politischen Erziehung des Funktionärkörpers der politischen Parteien, ob der Funktionär nicht in der Lage ist, den Versammlungsleiter dazu zu bringen, sich soviel Wissen zu eigen zu machen, daß er in der Lage ist, zu beurteilen, ob in einer von ihm geleiteten Versammlung die Strafgesetze verletzt werden oder sonstige Vorgänge Grund zum Einschreiten bieten. Wenn das geschieht, wenn diese politische Erziehungsaufgabe in richtiger Weise wahrgenommen wird, scheint uns der Vorschlag des Bundesrats vielleicht sogar ein positiver Beitrag zu einer politischen Erziehung unserer Bevölkerung zu sein. Es dürfte sich empfehlen, über die damit angeschnittenen Fragen im Ausschuß im einzelnen zu sprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine letzte Bemerkung zu den Strafbestimmungen dieser Vorlage! In § 22 wird mit Strafe bedroht, und zwar mit Gefängnisstrafe, wer in der Absicht, Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht. Das ist eine der Bestimmungen, die, glaube ich, zu Bedenken Anlaß geben, weil der Ermessensspielraum, der sich hier unter Umständen ergibt, sehr bedenklich sein kann. In § 23 aber wird mit Strafe bedroht, und zwar mit Gefängnis bis zu einem Jahre, wer bei öffentlichen Versammlungen in geschlossenem Raum dem Leiter oder einem Ordner tätlichen Widerstand entgegensetzt, sofern nicht die genannten Personen ihre Stellung mißbraucht haben. Meine Damen und Herren, hier wird ein völlig neuer Straftatbestand geschaffen, und ich habe — ich darf das zugleich im Namen meiner Freunde erklären — deshalb Bedenken gegen diese Fassung, weil sie eine Umkehrung der Beweislast bringt. Während in den üblichen Verfahren bei Anklagen, die wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt erhoben werden, die Anklagebehörde nachweisen muß, daß der betreffende Beamte sich in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes befunden hat, wird hier dem Angeklagten zur Pflicht gemacht, nachzuweisen, daß der Versammlungsleiter oder der Ordner keinen Mißbrauch getrieben hat. Es ist so, daß hier doch erhebliche Schwierigkeiten in der Praxis zu befürchten sind.
Die Ansicht des Bundesrats, daß die ganze Vorschrift überflüssig sei, weil die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über Hausfriedensbruch oder Körperverletzung ausreichten, scheint mir nicht richtig zu sein. Ein Bedenken, das gegen diese Auffassung spricht, ergibt sich schon allein daraus, daß wegen bestimmter Vergehen, die hier vom Bundesrat erwähnt werden, durchweg auf den Weg der Privatklage verwiesen wird, und das bedeutet immerhin eine Schwierigkeit.
Insgesamt gesehen halten wir den Gesetzentwurf durchaus für erwägenswert und billigen ihn im Grundprinzip. Wir sind jedoch der Meinung, daß er eingehend beraten werden muß. Das gilt vor allen Dingen für die Abänderungswünsche, die der Bundesrat gegenüber der Bundesregierung und ihrer Vorlage gemacht hat. Wir sind damit einverstanden, daß die Vorlage an die zuständigen Ausschüsse verwiesen wird und daß die Beratungen wegen der Dringlichkeit der Materie mit Beschleunigung durchgeführt werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Solleder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf über öffentliche Versammlungen und Aufzüge ist sowohl eine rechtliche als auch eine staatspolitische Notwendigkeit. Die rechtliche Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß das Vereinsgesetz von 1908 überholt und veraltet ist und die einschlägigen Bestimmungen unübersichtlich und nicht mehr zeitgemäß sind. Die staatspolitische Notwendigkeit beruht darauf, daß ein Bedürfnis besteht, im neuen Staate eine Ordnung zu schaffen, die die politische Versammlungstätigkeit reguliert. Unsere Erfahrungen in der Vergangenheit haben uns ja zur Genüge gelehrt, daß dort, wo sich in den Versammlungen die politischen Meinungen in einer die staatliche Ordnung gefährdenden Weise hemmungslos austoben können, der Staat selbst ge-
fährdet ist. Und es besteht kein Zweifel darüber, daß dieser junge Staat, der neue Staat, der erst sozusagen im Werden begriffen ist, gegen derartige Übergriffe gefeit sein muß.
Die Frage ist nur, ob und inwieweit diese Versammlungsordnung nach dem Grundgesetz gerechtfertigt ist. Es steht nämlich in Art. 8 des Grundgesetzes:
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln,
so daß in dieser Bestimmung des Grundgesetzes scheinbar ein Widerspruch zu diesem Gesetzentwurf zu erblicken wäre. Demgegenüber besagt Art. 2 des Grundgesetzes, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit ihre Grenzen hat erstens in der Wahrung der staatlichen verfassungsmäßigen Ordnung und im Sittengesetz, und Abs. 2 des Art. 8 bezieht sich ja nur auf den zweiten Teil der Materie, nämlich auf die Versammlung unter freiem Himmel.
Ich habe schon gesagt, der Staat hat absolut dafür zu sorgen, daß er nicht durch eine wilde, unkontrollierbare Agitationstätigkeit von vornherein in seinem Bestand gefährdet wird. Das darf nicht dazu führen, daß die menschliche Freiheit eingeschränkt wird. Aber der Grundbegriff unserer Freiheit, die Voraussetzung unserer freiheitlichen Betätigung ist doch der demokratische Staat, die Demokratie selbst. Die Vergangenheit hat es uns gelehrt, und die Zukunft droht es uns zu lehren, daß jede Freiheit nur ein leerer Wahn ist, wenn nicht die Fundamente in einer freien Demokratie gewährleistet sind. In diesem Zusammenhang komme ich zu der Auffassung, daß dieses Gesetz
ein wertvolles Mittel zur Sicherung und Begründung der Demokratie und der demokratischen Freiheit und damit der freien Entfaltung des Menschen innerhalb dieses Staates ist. Ich glaubte, diese Grundbegriffe herausstellen zu müssen, weil ich die Bestimmung in Einklang mit dem Grundgesetz sehen möchte.
Das Gesetz selbst hat außerordentlich interessante Merkmale, die eine Neuheit darstellen. Es legt jedem Teilnehmer einer Versammlung eine Verpflichtung auf, die nämlich, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu wahren und dieselbe nicht zu beeinträchtigen. Immerhin ein Gedanke, der außerordentlich erzieherisch auf den einzelnen einwirken kann, aber auch ein Gedanke, der geeignet ist, die politische Atmosphäre zu reinigen und eine sachliche Arbeitsweise in der Zukunft zu ermöglichen.
Dem Versammlungsleiter werden ebenfalls Pflichten und Rechte auferlegt. Er hat ein gewisses Ordnungs- und Leitungsrecht und hat das Recht, bei Übergriffen Ordnungsrufe zu erteilen, hat allenfalls das Recht, auszuschließen; ,während das frühere Gesetz bekanntlich nur das Recht des Leiters kannte, die Versammlung zu schließen, und damit eigentlich praktisch der Zweck einer öffentlichen Versammlung vereitelt werden konnte. Ich glaube wohl, daß diese Gesichtspunkte — im großen und ganzen gesehen — positiv zu bewerten sind und daß wir insoweit diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht versagen können.
Das Gesetz ist in Bestimmungen geteilt, die einerseits eine Versammlung im geschlossenen Raum, anderseits eine Versammlung oder einen Aufzug im Freien betreffen. Bei dem zweiten Teil der Gesetzesbestimmungen sind gewisse polizeiliche Maßnahmen nötig. So sind 48 Stunden vorher die Versammlungen polizeilich zu melden, und die Polizei hat eine gewisse Überwachungs- und Aufsichtspflicht. Die Polizei übt im Freien auch im wesentlichen die Befugnisse aus, die sonst bei geschlossenen Versammlungen zu den Aufgaben des Versammlungsleiters gehören, nämlich Schließung und Feststellung von groben Störungen, gegen die dann den Polizeifunktionen entsprechend vorgegangen werden kann. Man mag in der Richtung Bedenken haben, ob nicht darin eine Gefahr zu erblicken ist, wenn die Polizei bei Versammlungen im Freien allzu selbständig in die Geschehnisse eingreift. Ich glaube aber doch, daß diese Gefahr nicht allzu groß ist, weil wir in unserem Staat ja das Rechtsmittel haben, wir haben das Verwaltungsrechtsverfahren gegen Übergriffe der Polizei. Im übrigen wird es eben Sache des Einspielens der Beteiligten sowie der Polizei sein, daß diese Dinge so funktionieren, wie es im Sinne einer demokratischen Gesetzgebung gedacht ist. Dabei verhehle ich nicht, daß diese oder jene Bestimmung noch ausgeschliffen und in den Ausschüssen entsprechend durchgearbeitet werden muß. Aber - alles in allem genommen — glaube ich, daß dieses Gesetz im Zusammenhang mit dem heute schon besprochenen Gesetz der Strafgesetzänderung geeignet ist, unserem demokratischen Staat den Schutz zu geben, den er für die Fortentwicklung benötigt. Ich beantrage daher, das Gesetz dem zuständigen Ausschuß zu überweisen,
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist hier in der prinzipiellen Einstellung zu diesem Gesetz eine erfreuliche Übereinstimmung festzustellen, die durch alle Parteien hindurchgeht und von der sich wahrscheinlich oder sicher nur die KPD ausschließt. Wenn die Einmütigkeit in der Auffassung zu diesem Gesetz von diesem Hause nach unten in die breiteren Schichten der politisch Tätigen ausstrahlt, dann sollte zu erreichen sein, daß demnächst von keiner Seite mehr Versammlungsstörungen und Versammlungssprengungen unternommen werden. Vielleicht hat die bloße Existenz dieses Gesetzes schon zur Folge, daß manche Vorkommnisse aufhören, die in den vergangenen Monaten das politische Bild der Auseinandersetzung der Parteien getrübt haben, so daß dann allenfalls nur noch eine Störungsquelle bleiben mag, nämlich der organisierte Kampf gegen die Demokratie, wie er von der äußersten Linken kommt. Aber es darf wohl gesagt werden: wir werden Mittel und Wege finden, um auch den Störungen, den terroristischen Versuchen von dieser Seite entgegenzutreten.
Hinsichtlich der Grundlinien dieses Gesetzes begrüßen wir, daß durch das Gesetz in seiner jetzigen Gestalt — darin liegt der entscheidende Vorzug gegenüber dem früheren Entwurf — dem Leiter der Versammlung eine einwandfreie, eindeutig starke Stellung gegeben wird; er hat Ordnungsmittel in der Hand, um den Versuchen entgegenzuwirken, die auf Sprengung der Versammlung abzielen, Versuchen, die durch die Fassung des Gesetzes von 1908 geradezu provoziert wurden, insofern damals das einzige Ordnungsmittel, das dem Leiter von Rechts wegen zustand, die Schließung der Versammlung war, womit ge-
rade der Zweck erreicht war, den die Terroristen anstrebten.
Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen die Auffassung des Bundesrats. es müsse die Stellung des Leiters nun noch dahin ergänzt werden daß der Leiter auch verpflichtet sei, mißbräuchlichen Ausführungen des Redners entgegenzutreten, daß er verpflichtet sei einzugreifen, wenn etwa der Redner Ausführungen gegen die demokratische Ordnung, gegen den Bestand der Bundesrepublik oder aber Ausführungen, die den Gesetzen der Völkerverständigung zuwiderlaufen, macht. Meine Damen und Herren. denken wir erst einmal daran: wie sind die Versammlungsleiter in kleinen Orten beschaffen? Man wird nicht von ihnen erwarten können. Unterschiede zu treffen. die von terroristischen Versammlungsteilnehmern nur herausgespielt würden, um einen Streit zu entfesseln, mit dem Ziel, die Versammlung zu sprengen; dabei wäre von vornherein unklar, wer recht und wer unrecht hat. Die Befugnis des Leiters, einzugreifen, darf nicht davon abhängig gemacht werden, was für Ausführungen der Redner macht. Es ist meines Erachtens vielmehr die Aufgabe der Polizei. dafür zu sorgen, daß der Redner unterbrochen wird, wenn er Ausführungen macht. die sich gegen den Bestand der demokratischen Grundordnung oder gegen den Bestand der Bundesrepublik richten.
Im übrigen haben meine politischen Freunde soeben mit Genugtuung festgestellt, daß der Sprecher der Sozialdemokratie, Herr Kollege Jacobi. hinsichtlich des Verbots der Farben Schwarz-WeißRot eine Haltung zu erkennen gab, die sehr wohltuend von dem absticht. was früher aus den Reihen der Sozialdemokratie geäußert wurde.
Zum Schluß möchte ich sagen, daß die Strafvorschriften, wie sie der Abschnitt IV in den SS 22 ff. vorsieht, wohl ausreichend sind. Uns scheint es keineswegs nötig zu sein, den Zuchthausträumen des Herrn von Thadden zu folgen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Freiherr von Aretin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, einleitend zum Ausdruck zu bringen, daß dieses Gesetz zumindest in dem hier heute vorgeschlagenen Wortlaut des ersten Teils ein schmerzliches Armutszeugnis für unsere heutige Zeit geworden ist. Ich gebe gern zu, daß eine gesetzliche Regelung für Versammlungen unter freiem Himmel nötig ist, und ich gebe auch gern zu, daß Ereignisse der letzten Zeit in einem Teil unseres Heimatlandes den Grund dafür abgeben können, daß wir uns darüber unterhalten. Ich stelle aber mit schmerzlichem Bedauern fest, daß die Frage der Zuständigkeit bei diesem Gesetz weder von dem Herrn Bundesinnenminister noch von den bisherigen Rednern angeschnitten wurde. Unbestritten fällt das Recht der Versammlung unter die konkurrierende Gesetzgebung, und zwar nach Art. 74 Ziffer 3. Dabei taucht die Frage auf, ob es überhaupt ein zwingendes Bedürfnis ist, daß dieses Recht der Versammlung in ganz Westdeutschland einheitlich geregelt wird, nachdem es sich zumindest denken läßt, daß zwischen Nord und Süd nicht nur im Temperament, sondern auch in der
Tat erhebliche Unterschiede in der Methode bestehen. Ich werde im Ausschuß darauf hinwirken, daß mit dieser gesetzlichen Bestimmung nicht etwa präventive Polizeimaßnahmen eingeführt werden.
Noch eine andere Bestimmung in diesem Gesetz erscheint mir etwas bedenklich. § 15 droht zu einem Kautschukparagraphen zu werden, der leicht dazu führen kann, daß das Gegenteil von dem geschieht, was der Gesetzgeber davon erwartet. Die Situation ist etwa folgende. Die Partei A hält eine Versammlung ab; die Partei B erklärt, daß sie diese Versammlung sprengen wird. Nach dem Kautschukparagraphen 15 hat dann die Polizei die Möglichkeit, ja vielleicht sogar die Pflicht, diese Versammlung zu unterbinden. Wir kommen also hier zu einer außerordentlich starken Berücksichtigung und zu einer sehr erheblichen Machtanhäufung bei der Polizei, wobei bekanntlich das Beschwerderecht wegen der Weitläufigkeit oft nicht zum Ziele führen wird.
Die Auseinandersetzung mit den einzelnen Bestimmungen überlasse ich der zweiten Lesung. Abschließend möchte ich aber doch feststellen: Mancher Gedanke des Gesetzes erscheint mir auf Grund der Praxis weltfremd. Man wird weit laufen müssen, um den Versammlungsleiter zu finden, der mit den Problemen dieses Gesetzentwurfs in souveräner Sicherheit fertigzuwerden vermag. Die schönsten gesetzlichen Bestimmungen allein schützen nicht davor, daß ein Versammlungsleiter dieses Gesetz nicht richtig durchführt.
In Übereinstimmung mit meinen Freunden trete ich also dafür ein, daß zunächst einmal im Wege der Zuständigkeitsprüfung geklärt wird, welche Rechte man den einzelnen Teilen unserer Heimat geben kann. Zum anderen würde ich begrüßen, wenn wir den Teil herausließen, durch den die Versammlungen in geschlossenen Räumen besonders geregelt werden sollen. Ich würde darin mehr als einen zufälligen Akt, ich würde darin einen Beweis für ein Vertrauen in das demokratische Verhalten unserer Bevölkerung erblicken, und Vertrauensbeweise, meine Damen und Herren, lohnen sich!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Euler habe ich für die Fraktion der Deutschen Partei nur wenig Grundsätzliches hinzuzufügen. Das vorliegende Gesetz steht in einem inneren Zusammenhang mit der Strafrechtsnovelle, die vorhin begründet worden ist. Die Problematik des Versammlungsschutzgesetzes ist nicht so groß wie bei der vorher debattierten Vorlage. Hier handelt es sich um sehr viel konkretere Tatbestände, die der gesetzlichen Normierung zugänglicher sind. Immerhin bleibt auch hier noch ein weiter Problemkreis offener Fragen, und es ergibt sich eine Reihe von Gefahren, die der rechtsstaatlichen Handhabung unserer Gesetzgebung daraus erwachsen können.
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird gesagt, daß der Staat, solange sich die Spielregeln der öffentlichen Diskussion nicht aus gesundem demokratischem Geist entwickeln, entsprechende Rechtsnormen zu setzen und unter strafrechtlichen Schutz zu stellen hat. Die Praxis hat ergeben, daß
Schutzbestimmungen geschaffen werden müssen. Im Unterschied zur Strafrechtsnovelle handelt es sich hier um ein Gesetz wesentlich polizeilichen Charakters. Aber dieses Polizeigesetz enthält auch Strafbestimmungen. Besonders wenn man den Vorschlägen des Bundesrats folgen wollte, vor allem zu § 7a, geht es weit über das Notwendige hinaus. Um ein solches Versammlungsschutzgesetz im rechtsstaatlichen Sinn nach dem Legalitätsprinzip wirksam zu gestalten, käme es darauf an, möglichst nur technische und praktisch durchführbare Bestimmungen darin aufzunehmen.
Die Grenze dieses politischen Schutzrechtes liegt haargenau da, wo aus einem äußerlichen konkreten Begehungstatbestand ein Gesinnungs- und Meinungsdelikt wird. Wenn man das Hausrecht des Versammlungsleiters, das nach dem Vereinsgesetz einen sehr unwirksamen und nur negativen Inhalt gehabt hat, erweitert zu einer Pflicht, für Ordnung zu sorgen, so ist das richtig. Aber man überspannt die Möglichkeiten eines Leiters einer solchen Versammlung ganz erheblich, wenn man ihm, wie es auch in der Begründung des Regierungsentwurfs heißt, die Verantwortung für die Duldung von Äußerungen auferlegt, die der demokratischen Ordnung — oder wie man sonst diesen Tatbestand der Verfassungsmäßigkeit normieren mag, zuwiderlaufen. Das ist eine erhebliche Überspannung der Möglichkeiten des Leiters einer solchen Versammlung. Dazu kommt das Bedenken, daß hier die Polizei nach Ermessen einen Tatbestand der Gesinnung und der Meinung beurteilen soll. Unter Umständen handelt es sich manchmal nur darum, daß der Ton die Musik macht. Damit geraten wir in die Uferlosigkeit der willkürlichen Beurteilung hinein, und ich glaube nicht, daß eine solche Bestimmung — der Ausschuß wird sich damit ja noch erheblich zu beschäftigen haben — der Beruhigung dienen kann. Ich fürchte vielmehr, daß durch eine solche Überspannung des politischen Schutzrechtes die Leidenschaften nur noch mehr angestachelt werden und so das Gegenteil von dem erreicht wird, was man erreichen will.
Das gleiche gilt vom Uniformverbot, vom Verbot von Uniformteilen oder etwa vom Verbot gleichartiger Kleidungsstücke und von der Frage der Symbole. Es ist immer ein Zeichen der politischen Erkrankung und eines Verlustes der Spielregeln, wenn man sich zur Dokumentation seiner Gesinnung solcher Symbole in einem Übermaß bedient. Das ist ein deutliches Zeichen, daß das politische Leben in einem Volk krank geworden ist. Ob man aber auf polizeistaatlichem Wege durch ein politisches Schutzrecht die Substanz schaffen kann, die wir benötigen, das bleibt fraglich; und es wird von der Weisheit und Tüchtigkeit der ausführenden Organe abhängen, daß man die Kirche im Dorf läßt. Das gilt insbesondere von sehr vielen Abänderungsvorschlägen, die der Bundesrat gemacht hat. Ich möchte dem Gedanken, daß man hier eine Substanz ersetzen will, die fehlt oder von der man glaubt, daß sie fehlt, nur mit sehr großem Vorbehalt beitreten. Notwendig ist manches. Aber das Maßhalten dürfte das Wichtigste dabei sein.
Ich kann es mir nicht versagen, zu einem gewissen Vorfall, der bei der Strafrechtsnovelle vorgekommen ist, Stellung zu nehmen. Es handelt sich um den persönlichen Angriff gegen den Minister, der die mit der Vorlage zusammenhängende Strafrechtsnovelle eingebracht hat. Hier
wie dort geht es um die Spielregeln der Demokratie und damit auch um die Spielregeln des Parlaments. Nur mit sehr großem Unmut haben wir diesen persönlichen Angriff anhören müssen. Es kommt doch gerade bei diesen Gesetzen auf die Zusammenarbeit aller Parteien an, die dieser Demokratie verpflichtet sind. Es kommt auf die Zusammenarbeit an zwischen Opposition und Regierungsparteien. Das sind Positionen, die wechseln können. Das sind vorübergehende Sachen. Aber die Substanz, die Spielregeln der Demokratie, die haben wir gemeinsam zu erarbeiten; und da vergiftet ein persönlicher Angriff ungemein, zumal gegen einen Minister, der die schwierige Strafrechtsnovelle geschaffen hat. Wir würden es sehr wünschen, daß solche persönlichen Angriffe, die nur vergiften und die Sache nicht fördern können, nach Möglichkeit unterbleiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Agatz.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion kann nicht in den allgemeinen Chorus der Zustimmung zu diesem Gesetz einstimmen. Der Herr Bundesinnenminister hat diesen Gesetzentwurf mit sehr löblichen Absichten begründet. Er hatte allerdings das Pech, daß nach ihm Herr von Thadden den Kommentar zu diesem Gesetz gegeben hat, und dieser Kommentar besagte doch wohl eindeutig. daß das Gesetz eine Hilfe für die Reaktion bedeutet.
Wir sehen in dieser Vorlage eine wesentliche Einschränkung des Grundgesetzes, dessen Art. 5 besagt, daß jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Es ist nach der Praxis, die wir gerade in der letzten Zeit zu erleben Gelegenheit hatten, ganz ohne Zweifel ein Gesetzentwurf, der sich gegen die fortschrittlichen Kräfte in unserem Lande richtet.
Wir haben bereits jetzt die Tatsache zu verzeichnen, daß im Lande Hessen und im Lande Nordrhein-Westfalen alle öffentlichen Kundgebungen und öffentlichen Versammlungen solcher Organisationen verboten sind, die eine Politik befürworten, die gegen die Politik der Hohen Kommissare geht,
die eine Politik des Kampfes um den Frieden befürworten,
des Kampfes gegen die Remilitarisierung, des Kampfes um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Gegen sie ist jetzt schon mit drakonischen Maßnahmen vorgegangen worden, indem man Versammlungen rücksichtslos und rigoros unterdrückt hat. Nach diesem Gesetzentwurf braucht in Zukunft nur irgendeine terroristische Gruppe zu drohen, dann ist es der Polizei anheimgegeben, die Versammlung zu verbieten.
Wir haben das mit dem Treffen der FDJ, der Hunderttausend in Dortmund erlebt.
Ist es nicht eine löbliche Absicht, wenn die deutsche Jugend ehrlichen Herzens für den Frieden eintreten will?
Denn daß die Kriegsgefahr groß ist, dürfte auch Ihnen nicht unbekannt sein, und daß es jetzt die erste Aufgabe eines jeden ist, für den Frieden einzutreten, ist ebenso selbstverständlich. Trotzdem wurde dieses Treffen mit dem Vorwand verboten, andere Organisationen hätten gedroht, das Treffen zu sprengen.
Wir können nicht darüber hinwegsehen, daß das vorliegende Gesetz die Grundrechte einschränkt und daß nach diesem Gesetz die Polizei bestimmt, was eine ordentliche freiheitliche, demokratische Versammlung ist.
Nun, wie zuverlässig die Polizei ist, das wissen wir sehr gut aus Erfahrung. Wir kennen auch die eherne Gesetzmäßigkeit solcher Entwicklungen, wie wir sie heute in Deutschland haben, da wir sie in der Zeit von 1918 bis 1933 erleben konnten.
Dieser Gesetzentwurf wird den Beifall der Hohen Kommissare finden; dessen bin ich gewiß. Aber dieser Gesetzentwurf, der der Polizei aufgibt, über die Demokratie zu wachen, kann niemals den Beifall der deutschen Arbeiterschaft, niemals den Beifall der fortschrittlichen Menschen in Deutschland finden;
sie werden sich gegen diesen Gesetzentwurf wenden, werden sich nicht die Stimme verbieten lassen, werden dem Volk ihre Meinung zu sagen wissen. Das Volk wird in seinem Willen, sich zu behaupten, stärker sein, und es wird deshalb auch Wege zu finden wissen, die seine Meinungsfreiheit garantieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorlage der Bundesregierung über ein Versammlungsordnungsgesetz findet meine Fraktion im großen und ganzen akzeptabel. Manches, was durchaus wert ist, in ein Gesetz Eingang zu finden, ist in der Vorlage niedergelegt worden. Die Dinge müssen nun einmal geordnet werden, da wir in einer Zeit leben, die noch ohne Tradition und unter den aufeinanderprallenden Meinungen hin und her schwankend und kämpfend aus sich selbst noch nicht die allgemein gültige Form gefunden hat.
Jedoch scheint mir, daß das vorliegende Gesetz, das in so engem zeitlichen Zusammenhang mit dem eben erörterten Gesetz über die Abänderung des Strafgesetzbuches behandelt wird, mit diesem abgestimmt werden muß. Denn wenn ich z. B. in § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs das Tragen von Uniformstücken und Uniformteilen verboten sehe, so muß ich daran erinnern, daß in dem Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, den wir eben diskutiert haben, das Tragen von Uniformen und Uniformteilen überhaupt verboten werden soll. Das erinnert mich etwas an den Erlaß des Herrn Bundesfinanzministers über das Nichtrauchen von geschmuggelten Zigaretten durch Beamte in den Diensträumen der Behörden. Also wenn es überhaupt verboten ist, Uniformen zum Ausdruck einer politischen Gesinnung zu tragen, dann ist das natürlich auch in Versammlungen verboten. Es wird also die Aufgabe des Ausschusses sein, diese Dinge aufeinander abzustimmen.
Unter den beachtlichen Abänderungsvorschlägen des Bundesrates sind insbesondere diejenigen bedeutsam, die sich auf § 7 des Gesetzes erstrecken. Es scheint mir, daß es überhaupt eine etwas unbequeme und schiefe Sache ist, heutzutage noch von einem Ordnungsdienst in Versammlungen zu sprechen, da wir noch die bösesten Erinnerungen an den Saalschutz der NSDAP haben. Wenn man überhaupt einen Ordnungsdienst zulassen will, so bedarf dieser Ordnungsdienst allerdings einer Kontrolle der Polizei, die man im allgemeinen doch möglichst ausschalten sollte.
Etwas auffällig ist mir bei diesem Versammlungsordnungsgesetz, daß sich von 29 Paragraphen, abgesehen von den beiden Schlußbestimmungen, 7 Paragraphen mit Strafbestimmungen abgeben. Das ist ein kleines Strafgesetzbuch für sich, und es ist etwas merkwürdig, daß wir heute so außerordentlich viele Strafbestimmungen zum Schutze der Demokratie, der demokratischen Funktionen und der demokratischen Einrichtungen nötig zu haben glauben. Ich bin der Meinung, daß das gerade in diesem Zusammenhang des Guten zu viel ist. Wir sollten uns nicht überlegen, was wir noch alles unter Strafe stellen können, sondern wir sollten lieber überlegen, ob unbedingt das alles bestraft werden muß, ob nicht manches als reine Ordnungswidrigkeit einfach sich selbst überlassen bleiben kann. Kann man nicht darauf vertrauen, daß ein einigermaßen geschickter Versammlungsleiter damit fertig wird? Wenn es z. Zt. noch nicht genügend geschickte Versammlungsleiter gibt, trägt eine etwas unvollkommene Strafbestimmung vielleicht dazu bei, daß sich die höhere Vollkommenheit der Versammlungsleitung doch langsam herausbildet, um zwar um so mehr, je weniger formelle, äußere Krücken und Hilfen der Polizei zur Verfügung stehen. In § 28 heißt es z. B.: „Wer eine öffentliche Versammlung oder einen Umzug gröblich stört . . .". Da kann also ein böser Witz oder ein unangemessener Lärm oder sonst etwas schon als gröbliche Störung aufgefaßt werden, wenn nicht vom Richter, so mindestens von der Polizei, so daß es für eine Anklage reicht. Was „gröblich" ist, bleibt hinterher dem Ermessen des Gerichts, zunächst einmal der Staatsanwaltschaft und der Polizei, überlassen.
Das Gesetz hat auch nicht etwa den Versuch gemacht, zu erklären, was nun „gröblich" ist, sondern es hat nur einige Beispiele genannt. Man sollte darauf verzichten, solche Einzelheiten zu bestrafen. Die Manie, der Drang, möglichst viel unter Strafe zu stellen, ist es, der uns an diesem Gesetz unangenehm auffällt, während wir die Grundhaltung und die Einzelheiten hinsichtlich der Ordnung und Regelung des Versammlungswesens und der öffentlichen Aufzüge durchaus billigen und glauben, daß man auf der Basis dieser Vorlage in allseitigem Einverständnis leicht zu einer vernünftigen Regelung wird kommen können.
Meine Damen und Herren! Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir hätten nunmehr den Entwurf an
den zuständigen Ausschuß zu überweisen. Ich schlage Ihnen vor, den Entwurf dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung und dem Ausschuß für innere Verwaltung zu überweisen, da es sich ja bei diesem Gesetz auch um Polizeifragen handelt. Dabei sollte man dem Ausschuß zum Schutz der Verfassung die Federführung geben. Ist das Haus damit einverstanden?
- Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Nr. 1273 der Drucksachen).
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese letzte Vorlage eine ruhige Partie wird. Es dreht sich nicht um etwas Grundsätzliches und auch nicht um die hohe Politik. Die Vorlage will lediglich ein unentbehrliches technisches Mittel zur Verbrechensbekämpfung schaffen. So sehr es richtig ist und auch richtig bleibt, daß jedes Verbrechen zunächst von der Polizeibehörde am Tatort zu verfolgen ist, so sehr bedarf es gegenüber dem nichtortsgebundenen Verbrechertum überörtlicher Hilfsmittel. Diese überörtlichen Hilfsmittel sind in erster Linie die Landeskriminalpolizeiämter. Aber es ist notwendig, daß zu diesen Landeskriminalämtern und, wenn Sie so wollen, über diesen Landeskriminalämtern auch ein Bundeskriminalamt etabliert wird. Unser Grundgesetz sieht das ausdrücklich vor. Dieses Bundeskriminalamt soll der zentralen Fahndung dienen, also besonders dem reisenden Verbrechertum, dem internationalen Verbrechertum, dem Berufsverbrechertum begegnen. Ich glaube, daß gegen die Errichtung dieses Amtes keinerlei Einwände bestehen werden.
In der Vorlage steckt allenfalls ein einziger Streitpunkt. Im § 4 wird gesagt, daß die vorbeugende Verbrechensbekämpfung und die Verbrechensverfolgung eine Sache der Länder bleibt. Aber in Einzelfällen soll das Bundeskriminalamt eine strafbare Handlung selbst verfolgen können, wenn entweder die Landesbehörde es selber beantragt oder wenn ein Land eine wirksame Strafverfolgung unterläßt oder wenn der Bundesminister des Innern es aus schwerwiegenden Gründen anordnet. Bei dieser letzteren Bestimmung besteht eine Meinungsverschiedenheit, indem eingewendet wird, daß damit gegen die föderalistische Struktur unseres Bundes verstoßen würde. Ich kann dem nicht folgen. Denn in Art. 73 Ziffer 10 des Grundgesetzes wird dem Bund ausdrücklich das Recht gegeben, sogar das ausschließliche Recht gegeben, eine Zusammenarbeit in Dingen der Kriminalpolizei zwischen Bund und Ländern zu regeln. Zusammenarbeit in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten heißt aber doch, daß der Bund eben auch kriminalpolizeilich handeln darf, und kriminalpolizeilich handeln dürfen beinhaltet, daß auch exekutivisch gehandelt werden darf. Des weiteren steht in Art. 87, daß der Bund eine Zentralstelle für Kriminalpolizei als bundeseigene Behörde errichten kann. Und wiederum frage ich: glaubt man, den Polizeibegriff so auslegen zu können, daß jede Exekutive ausgeschlossen sein soll? Der Bund könnte meines Erachtens eine viel weitergehende Exekutive in kriminalpolizeilichen Dingen in Anspruch nehmen, als es
mit dieser Vorlage angestrebt wird. Wenn diese Vorlage nur beschränkt, d. h. ausnahmsweise dem Bundeskriminalamt eine Exekutive zusprechen will, so wird damit die Verfassung in keiner Weise ausgeweitet, sondern nur mit einer ganz besonderen Zurückhaltung ausgeschöpft. Indem die Exekutive des Bundeskriminalamtes in jedem Einzelfall erstens von einer Anordnung des Bundesinnenministers abhängig gemacht wird und diese Anordnung zweitens nur aus schwerwiegenden Gründen erteilt werden darf, tritt der Bund nur in dem denkbar bescheidensten Ausmaß selbst in die Strafverfolgung mit ein. Dieses allerbescheidenste Ausmaß aber ist notwendig, und deshalb bitte ich Sie, es in der Vorlage bestehen zu lassen und mit zum Gesetz zu erheben.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lehr.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Redezeit insgesamt auf 90 Minuten zu begrenzen. Kein Widerspruch? — Dann ist so beschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich die mir danach zustehende Redezeit keinesfalls in Anspruch nehmen werde, und bin mit dem Herrn Bundesinnenminister der Meinung, daß dieses Gesetz eine ruhige Partie wird, weil es tatsächlich weiter nichts ist als ein technisches Instrument zur Bekämpfung gemeiner Verbrechen. Die Begründung, die beigefügt ist, ist so ausführlich gehalten, daß kaum etwas hinzuzusetzen ist. Sie wird ohnedies Ihrer geneigten Aufmerksamkeit beim Durchlesen der Vorlage nicht entgangen sein. Was zu sagen nötig war, hat der Herr Bundesinnenminister bereits gesagt. Die Bedenken, die der Bundesrat hier erhoben hat, sind im wesentlichen technischer Natur. Sie heute hier zu erörtern, würde nicht zweckmäßig sein. Es wird vielmehr richtig sein, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für die innere Verwaltung mit der Nachprüfung technischer Einzelheiten zu beauftragen.
Im Gesamturteil kann man zu dem Entwurf sagen, daß er die Belange der Länder wahrt und auf der anderen Seite die Erfüllung der Aufgaben dieses Bundeskriminalamtes in dem richtigen Rahmen unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Zusammenfassung der Aufgaben an einer Stelle möglich macht. Was die Aufgaben sind, besagt der § 1, der eben die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in dieser Stelle in kriminalpolizeilichen Dingen vorsieht. Die Aufgabe ist die Bekämpfung des gemeinen Verbrechens. Die Vordringlichkeit dieser Aufgabe ist in der Begründung ebenfalls hervorgehoben. Es ist nach verlorenen Kriegen und nach einer unruhevollen Zeit eine bekannte Tatsache, daß sich die gemeinen Verbrechen häufen. Da wir in der unglücklichen Lage sind, unser Land durch den Eisernen Vorhang in zwei Teile gespalten zu sehen, so ist ein besonderer Anreiz für das reisende Berufsverbrechertum, aber auch für das internationale Verbrechertum gegeben, unter Ausnutzung dieser unglückseligen Tatsache Verbrechen zu begehen.
Zur Bekämpfung gehören eben besondere Maßnahmen, wie sie der § 2 schildert, der in den Ziffern 1 bis 4 die Aufgaben festlegt. Der Herr Bundesinnenminister hat mit Recht auf die besondere Bedeutung des § 4 hingewiesen. In dem Eingangsabsatz wird betont, daß die vorbeugende
Verbrechensbekämpfung und die Verfolgung strafbarer Handlungen Sache der Länder bleibt. In dem bedeutungsvollen Abs. 2 sind die Ausnahmen erwähnt, und es ist festgelegt, wann das Bundeskriminalamt befugt ist, eine strafbare Handlung selbst zu verfolgen, nämlich entweder auf Ersuchen der zuständigen Landesbehörde oder wenn ein Land die wirksame Verfolgung ablehnt oder — das ist der bedeutungsvolle Buchstabe c — wenn der Bundesinnenminister es aus schwerwiegenden Gründen anordnet.
Besonders hinzuweisen ist auch darauf, daß in den Fällen dieses Abs. 2 das Bundeskriminalamt den zuständigen Länderkriminalpolizeistellen Weisungen über die Zusammenarbeit geben kann. Ebenso wichtig ist es, hervorzuheben, daß nach § 5 die Bundeskriminalbeamten insoweit Hilfsbeamte der zuständigen Staatsanwaltschaften sind.
Im übrigen kann ich nur noch einmal auf die Vordringlichkeit der Verabschiedung dieses Gesetzes hinweisen. Das Amt, das Sie hier schaffen, ist, wie die Begründung sagt, eine echte Exekutivbehörde. Mein Antrag geht dahin, den Ausschuß für die innere Verwaltung und den Rechtsausschuß mit der Überprüfung der beanstandeten technischen Einzelheiten zu beauftragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines weiteren Gesetzes zur Ausführung des Art. 73 Ziffer 10 und des Art. 87 unternimmt wie das kurz vor den Parlamentsferien verabschiedete Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes den Versuch, die in dem Grundgesetz enthaltene Grenzziehung zwischen den Befugnissen des Bundes und denen der Länder zugunsten des Bundes auszuweiten, also eine neue Konzentration von Befugnissen für ihn herbeizuführen. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes hat eine solche Grenzüberschreitung nach unserer Auffassung insbesondere in dem § 5 vorgenommen. Der vorliegende Gesetzentwurf überschreitet die im Grundgesetz für die Zuständigkeit des Bundes gezogene Grenze vor allem in dem § 4, der die Fälle regeln soll, in denen an Stelle der Polizei der Länder das Bundeskriminalamt selbst die Verfolgung strafbarer Handlungen soll übernehmen können.
Wir halten selbst die Fassung, die der Bundesrat vorgeschlagen hat, für mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar. Die Bundesregierung weigert sich, die Auffassung des Bundesrats anzuerkennen. Die von uns gemeinten Einschränkungen gehen, wie ich bereits ausführte, noch weiter als die des Bundesrats. Die Bundesregierung lehnt es auch ab, anzuerkennen, daß es sich hier um ein Zustimmungsgesetz handelt. Nach unserer Auffassung ist dies aber zweifelsfrei der Fall, wie sich aus § 84 Abs. 1 ergibt. Die ganze Frage der Zuständigkeit des Bundes ist außerhalb des Art. 83 des Grundgesetzes niemals klarzustellen.
Die Bundesregierung sagt in ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrates u. a.:
Die Einschaltung des Bundesministers des
Innern bietet hinreichend Gewähr dafür, daß
das Bundeskriminalamt nur in besonderen Ausnahmefällen eingreifen wird.
Wir haben, solange Herr Bundesminister Dr. Heinemann das Ressort in Händen hat, das Vertrauen, daß eine solche Grenzüberschreitung nicht stattfindet. Wir haben aber eine solche optimistische Auffassung schon nicht mehr hinsichtlich seines aus Bayern kommenden Staatssekretärs.
Noch weniger haben wir das Vertrauen, daß diese notwendige Grenze eingehalten wird, wenn unter Umstanden einmal ein anderer Minister das Ressort übernehmen sollte.
Wir möchten der Hoffnung Ausdruck geben, daß es in den Beratungen der beteiligten Ausschusse oder des beteiligten Ausschusses möglich sein wird, die Bundesregierung davon zu uberzeugen, daß ihre Argumente, die sie in der Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrats vorbringt, in keiner Weise stichhaltig sind, und daß es im Ausschuß bzw. in der zweiten und dritten Plenarberatung gelingen wird, die Zuständigkeitsabgrenzung, cue rechtliche Ordnung des Grundgesetzes auch in diesem Gesetzentwurf wiederherzustellen, weil es notwendig ist, endlich einer Entwicklung entgegenzuwirken, die sich in bedrohlicher Weise ankundet.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Meine Damen und Herren! Es ist an sich erschutternd, bei einem solchen Thema Ausführungen hören zu müssen wie die des sonst uns allen so sympathischen Kollegen Dr. Etzel. Es geht darum, daß Deutschland aufhört, das Dorado oder Eldorado für Verbrecher zu sein, das es nach dem Kriege, nachdem das Reichskriminalpolizeiamt seine Tätigkeit eingestellt hat, geworden ist, und zwar durch einen auch in der Verbrechensbekämpfung maßlos überspitzten Föderalismus. Wir sind der Auffassung, daß die Bestimmungen, die das Innenministerium hier eingebaut hat, noch gar nicht einmal ausreichend sind. Der Bundesinnenminister sagt selbst, daß die Forderungen des Bundeskriminalpolizeiamtes hinsichtlich der Möglichkeiten, in die Strafverfolgung selbst einzugreifen, auf das allerbescheidenste Ausmaß zurückgeschraubt worden seien. Wir sind im Gegensatz hierzu der Meinung, daß man durch eine zentralisierte Kriminalpolizei den Verbrechern, die sich ja immer verfeinerter und modernerer Mittel bedienen, wesentlich besser zu Leibe gehen kann, als das bisher der Fall war. Wir wollen hoffen, daß bei den Beratungen im Ausschuß der Gesichtspunkt einer gerade auf dem Gebiet der Bekämpfung krimineller Verbrechen dringend notwendigen Zentralisierung durchgesetzt werden kann. Wir wollen hoffen, daß sich in den Ausschußberatungen diejenigen durchsetzen, die etwas modernere Auffassungen über diese Dinge haben. Wir geben weiterhin der Hoffnung Ausdruck, daß dieses dringend notwendige Gesetz möglichst bald verabschiedet wird, damit eine gute Verbrechensbekämpfung möglich wird.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen, und ich will damit keineswegs nationalsozialistische Systeme verteidigen. Im Jahre 1937 war der Leiter der englischen Kriminalpolizei — ich habe den Namen vergessen — in Berlin und hat sich über das ganze deutsche Kriminalpolizeiwesen
leingehend orientiert. Dieser Mann, der doch letzten Endes der Polizei eines Landes vorsteht, das als besonders demokratisch bekannt ist, hat das deutsche Kriminalpolizeiwesen als hervorragend bezeichnet. Er hat erklärt, daß die Dinge, die in England noch geschehen müßten, damals bei uns bereits durchgeführt worden seien. Wir wollen hoffen, daß in Zukunft nicht aus einem Ressentiment davon abgesehen wird, diese Dinge, die gut waren, wieder zum Tragen zu bringen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gleisner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion begrüßt die Einbringung eines Gesetzes zur Schaffung eines Bundeskriminalamtes. Wir haben lediglich zu dem Funktionieren dieses Kriminalamtes einige Anregungen zur Diskussion zu stellen.
Die wesentlichen Aufgaben des Bundeskriminalamtes liegen in der Koordinierung der Landeskriminalpolizeiämter. Nur wenn eine Stelle im Bund alle polizeilichen Nachrichten sammelt, auswertet und weiterleitet, ist eine wirksame Verbrechensbekämpfung, insbesondere eine Bekämpfung internationaler und reisender Verbrecher, möglich. Die Hauptaufgabe kann daher nicht in der Exekutive, sondern muß in der wissenschaftlichen Auswertung aller polizeilichen Nachrichten liegen. Diese zentrale Unterstützung der Kriminalpolizei der Länder ist deshalb besonders wichtig, weil die Kripo kein Handwerk, sondern eine Wissenschaft ist, die täglich neue Methoden und neue Formen des Verbrechens kennenlernt und neue Methoden und Formen der Bekämpfung und Abwehr des Verbrechens entwickeln und erarbeiten muß. Daher ist eine schnelle und sichere Weitergabe aller Nachrichten an die nachgeordneten Landeskriminaldienststellen notwendig.
Fahndungsbücher und Steckbriefregister sind heute ein notwendiger Bestandteil der Verbrechensbekämpfung. Bisher konnte eine Reihe gesuchter Verbrecher aus einem Land in das andere wechseln, ohne daß die Kriminalpolizei Gelegentheit hatte, ihre Nachrichtenmittel frühestens auszunutzen. Vor wenigen Wochen passierte ein internationaler Verbrecher die Zollstelle Aachen. Der Mann fiel durch ein Delikt auf, das nicht in seinem Ressort lag. Der Beamte nahm ihn auf die Wache und ließ ihn drei Stunden sitzen. Dann mußte er ihn laufen lassen, weil ein Grund für seine weitere Inhaftierung nicht vorlag. Zwei Stunden später lag die Nachricht vor, daß der Verbrecher von sechs Staaten in Europa gesucht wird.
Die Hauptaufgabe des Bundeskriminalamtes kann, wie ich schon sagte, nicht in der Exekutive liegen. Wir müssen die Vorwärtsentwicklung so betreiben, daß eine zentrale Funktionsstelle für die Überwachung der Fahndungsbücher und der Strafregister schnellstens geschaffen werden kann. Diese sind nur dann wirksam, wenn sie frühestens und lückenlos bis zum Kriminalwachtmeister gelangen. Es ist selbstverständlich eine dringende Aufgabe des Bundeskriminalamtes, mit den ausländischen Polizeien, vor allem mit den nachbarstaatlichen Polizeien, einen Erfahrungsaustausch und Erkennungsdienst auf- und auszubauen. Die Versorgung der Grenzpolizei mit dem neuesten Erkennungsmaterial, vor allem betreffend internationale Verbrecher, ist zwingend.
Neben diesem notwendigen Nachrichten- und Erkennungsdienst muß das Kriminalamt eine moderne wissenschaftliche und technische Abteilung haben. Diese muß alle Sparten der Kriminal- und Gerichtswissenschaft umfassen und auch Forschungsarbeiten betreiben können. Erst in zweiter Linie kommen die Exekutivaufgaben. Der exekutive Einsatz sollte überhaupt erst dann erfolgen, wenn die personellen und materiellen Mittel der Länder nicht mehr ausreichen. Dies ist aber erst dann der Fall, wenn die Ländergrenzen die Arbeit der Kriminalpolizei behindern. Die Zuständigkeitsgrenzen der Landeskriminalpolizeien decken sich mit den Ländergrenzen. Aus diesem Grunde ist eine Bundesexekutive für die Fälle vorgesehen, die über Ländergrenzen hinauswirken. Sie sollten aber auch nur in diesem Falle wirksam werden. Es brauchen daher nur wenige Spezialisten und Experten im Bundeskriminalamt Verwendung zu finden. Bei der Einrichtung des Bundeskriminalamtes sollte der Innenminister das Zonenkriminalamt in Hamburg als Grundstock übernehmen. Dieses hat neben den guten Fachkräften eine ausgezeichnete technische Ausrüstung und Material.
Zu beachten wäre: die Kriminalpolizei und Ordnungspolizei bilden in verschiedenen Ländern einen Körper. Dieser darf durch die nunmehr zentrale Arbeit des Bundeskriminalamtes nicht zerissen werden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß eine solche Regelung richtig ist.
Da das Bundeskriminalamt nur für kriminelle Delikte eingesetzt werden kann, darf auf keinen Fall eine andere Behörde mit eingebaut werden. Ich denke hier an das Sicherheitsamt oder an das Amt für Schutz der Verfassung. Deren Aufgaben liegen in einer ganz anderen Ebene, die ganz andere Voraussetzungen verlangt.
Es besteht die Absicht, einen parlamentarischen Ausschuß für Polizei zu bilden. Es wäre gut, wenn dieser schon beim Auf- und Ausbau des Bundeskriminalamtes mitwirken könnte.
Ich steile den Antrag, diesen Gesetzentwurf an den Ausschuß für innere Verwaltung zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumayer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir begrüßen den vorliegenden Entwurf zur Schaffung eines Bundeskriminalpolizeiamtes. Auf den springenden Punkt hat der Herr Bundesinnenminister von vornherein aufmerksam gemacht. Es handelt sich darum, ob § 4 in seiner gegenwärtigen Fassung erhalten bleiben oder entsprechend den Vorschlägen des Bundesrats abgeändert werden soll. Herr Kollege Dr. Etzel, der von uns sehr geschätzt wird, hat sich heute wieder als ein Rocher de bronze des förderalistischen Gedankens erwiesen. Vielleicht war in unserem Sinne eine fortschrittliche Neigung zu gesamtdeutschen Ideen dadurch festzustellen, daß er dem Herrn Bundesinnenminister, der ja nicht aus Bayern stammt, den Vorzug gegenüber dem aus Bayern stammenden Staatssekretär gegeben hat.
Meine Damen und Herren! Wie ist es nun mit dem § 4? In § 4 wird bestimmt, daß das Bundeskriminalamt eine strafbare Handlung selbst verfolgt, wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht oder ein Land ihre wirksame Verfolgung ablehnt oder der Bundesminister des Innern es aus schwerwiegenden Gründen anordnet. Gegen
die erste Bestimmung — wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht — hat der Bundesrat keine Einwendungen erhoben, wohl aber gegen die zweite und dritte Bestimmung, Abs. 2b und c. Nach Auffassung des Bundesrats soll das Bundeskriminalpolizeiamt also nicht selbständig tätig werden können, wenn ein Land die wirksame Verfolgung ablehnt oder der Bundesinnenminister aus schwerwiegenden Gründen die Verfolgung einer Straftat anordnet. Wir glauben, daß die Verfassung genügend Anhaltspunkte bietet, um dem Regierungsentwurf in seiner Fassung beizutreten.
Zunächst bestimmt Art. 73 Ziffer 10 des Grundgesetzes, daß die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes auch die Zusammenarbeit mit den Ländern in der Kriminalpolizei sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung umfaßt. Darüber hinaus kann nach Art. 87 des Grundgesetzes durch Bundesgesetz eine Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen und zur Sammlung von Unterlagen für die Kriminalpolizei eingerichtet werden, d. h. ein Bundeskriminalamt als Bundesoberbehörde.
Darüber aber, das Bundesoberbehörden eine gewisse Exekutive zusteht, ist bisher nie ein Zweifel gewesen. Wollte man nun dem Bundeskriminalpolizeiamt das Recht auf die eigene Exekutive in der vom Bundesrat gewünschten Weise beschneiden, so bliebe seine Tätigkeit im wesentlichen auf die Sammlung von Material und Nachrichten beschränkt. Dadurch würde gerade der Hauptzweck, nämlich die wirksame Bekämpfung des über die Landesgrenzen hinausgreifenden gemeinen Verbrechertums, eingeengt und in Frage gestellt. Hierum aber handelt es sich; denn wie nach jedem Krieg hat sich auch diesmal wieder bei uns gezeigt, daß gerade das gemeine Verbrechertum im erheblichen Zunehmen begriffen ist und über die Landesgrenzen hinausgreift, wie das ja an sich in der Natur der Dinge liegt. Zur Bekämpfung ist es aber notwendig, daß eine zentrale Polizeistelle geschaffen wird, die nicht nur das Material sammelt, sondern auch in der Lage ist, entsprechend einzugreifen. Wir sind der Auffassung, daß der Hauptzweck des ganzen Gesetzes erheblich eingeschränkt würde, wenn man den Vorschlägen des Bundesrats nachgeben würde. Wir glauben auch, daß die von mir bereits angeführten Artikel des Grundgesetzes eine ausreichende Handhabe bieten, um dem Bundeskriminalrat die Exekutivgewalt zu geben, wie sie in der Vorlage vorgesehen ist und die sich gerade mit Rücksicht auf die Länder in einem sehr bescheidenen Rahmen hält.
Aus diesen Gründen stimmen wir der Vorlage in der Fassung der Regierung zu und sind mit der Überweisung an die in Frage kommenden Ausschüsse einverstanden.
Meine Damen und Herren, es sind keine weiteren Redner gemeldet.
Es ist der Antrag gestellt, die Vorlage an den Ausschuß für innere Verwaltung und an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ich bin der Meinung, daß die Verweisung an den Ausschuß für innere Verwaltung genügen dürfte; denn die Rechtsfragen, die hier eine Rolle spielen, können wohl auch dort mit zureichendem Sachverständnis geprüft werden. Ist das Hohe Haus damit einverstanden, daß wir die Vorlage nur an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überweisen? Ich stelle das Einverständnis damit fest. Es ist so beschlossen.
Damit ist die Tagesordnung erledigt. Ich habe Ihnen aber noch einige Dinge bekanntzugeben.
Zunächst habe ich mitzuteilen, daß die Teilnehmer der Konstanzer Konferenz der Europäischen Parlamentarischen Union gebeten werden, sich im Zimmer 02 dieses Hauses zu versammeln.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Sozialpolitik hat mich gebeten, hier bekanntzugeben, daß die nächste Sitzung morgen 9 Uhr 30 und die übernächste Sitzung übermorgen 9 Uhr 30 stattfinden.
Der Ältestenrat ist von mir für die Zeit unmittelbar nach der Sitzung einberufen worden. Wenn es auch jetzt fast 19 Uhr, also Abendessenszeit ist, so möchte ich doch bitten, daß sich der Ältestenrat jetzt gleich versammelt, damit man den Abend noch für andere Besorgungen frei hat. Ich schlage Ihnen vor, daß sich der Ältestenrat um 19 Uhr im üblichen Versammlungsraum trifft.
Meine Damen und Herren, ich berufe die 84. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 13. September, 14 Uhr 30 Minuten, ein und schließe hiermit die 83. Sitzung.