Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die überlegene Ruhe und auch Heiterkeit, mit der das Hohe Haus die Redekünste meines Herrn Vorredners aufgenommen hat, sind doch ein ganz hoffnungsvolles Anzeichen dafür, daß man bei uns anfängt, die Freiheit der Rede für ein höheres Gut zu halten und für wesentlicher als die Gefahr, die von solchen Entgleisungen herkommen möge. Aber dessenungeachtet sind wir uns ja alle im klaren darüber, daß der junge demokratische Gedanke in Deutschland nach 1945 von außen und auch von innen durchaus von Gefahren umwittert ist. Nichts sollte daher näherliegen, als daß alle wirklich demokratischen Kräfte und alle wirklich Gutgesinnten sich zusammenfinden, um gemeinsam das, was mit der Demokratie auf dem Spiele steht — und was auf dem Spiele steht, wissen wir aus den vergangenen 12 Jahren —, nun zu verteidigen und zu ordnen.
Aber zu meinem Bedauern muß ich mit aller Klarheit keinen Zweifel daran lassen, daß die Art der Behandlung dieser Vorlage nicht dazu dient, hier im Hause zu einer solchen gemeinsamen breiten Basis zu kommen, wie sie gerade bei einem solchen Gesetz notwendig ist. Ich kann auch dem Herrn Bundesjustizminister nicht darin zustimmen, daß der sozialdemokratische Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie gewissermaßen eine Art von Pate oder Vorfahr dieses eigentümlichen Gesetzes gewesen sei. Es geht nicht an, über die Fragen, die heute zur Erörterung stehen — selbst wenn die Zeit so kurz ist —, lediglich kasuistisch zu sprechen, sie lediglich in der Weise zu erörtern, daß man die einzelnen Paragraphen vornimmt — ich werde es allerdings teilweise auch tun müssen — und nun sagt: das erkläre ich so oder das erkläre ich anders, sondern gerade die erste Lesung eines solchen Gesetzes dient der Erörterung des Grundsätzlichen. Über das Grundsätzliche ist hier zu wenig, viel zu wenig, gesprochen werden, aber manches, was uns in den Äußerungen des Herrn Bundesjustizministers absolut zu denken gibt.
Der Herr Bundesjustizminister hat von einer Überdosierung der Freiheit und davon gesprochen, wir müßten ein Freiheitsopfer bringen, um die Freiheit zu wahren. Herr Minister, solche Klänge haben wir auch früher schon gehört,
sie sind sehr gefährlich. Ich möchte sogar umgekehrt davor warnen, daß wir die Freiheit zum Opfer bringen, worauf dieses Gesetz in Einzelheiten sehr hinzuzielen scheint. Uns kommt es vielmehr umgekehrt darauf an, die Freiheit gegen die Feinde der Demokratie und gegen die zu wahren, die intolerant die demokratischen Einrichtungen anzugreifen suchen. Aber die ganze Tendenz Ihres Gesetzes, das immer auf einen Staatsschutz, auf einen Obrigkeitsschutz, auf die Privilegierung bestimmter Personen gegen Anschläge, gegen alles mögliche geht, scheint uns doch sehr gefährlich zu sein und weckt bedenkliche Erinnerungen an die verfehlten Versuche, die man seinerzeit mit Republikschutzgesetzen gemacht hat.
Ich habe immer den Eindruck, als ob man unser sehr sparsam abgefaßtes sozialdemokratisches Gesetz niemals mit der hinreichenden Aufmerksamkeit gelesen hat. Denn es hatte eine doppelte Tendenz und Arbeitstechnik, nämlich einmal sehr sparsam in den Mitteln des Strafrechts zu sein und zum anderen aber die Freiheit des Einzelnen gerade und der Gemeinschaft gegen Übergriffe zu schützen, während diese Regierungsvorlage sehr weitgehend den umgekehrten Weg geht, nämlich die Obrigkeiten und die Institutionen vor dem Einzelnen zu schützen und vor der Gemeinschaft. Das ist ein Weg, den wir nicht mitgehen können, jedenfalls nicht in dieser Art und in diesem Umfange, wie es hier in der Regierungsvorlage geschehen ist.
Wir halten vor allen Dingen auch sehr viel größere Vorsicht in der Wahl der strafrechtlichen Mittel für geboten, als sie hier in diesem Entwurf angewandt ist. Das alte deutsche Strafrecht hat sich stets dadurch ausgezeichnet, daß in den sogenannten Tatbeständen das Wertmäßige, das bloß Bewertungs-Beurteilungsmäßige weitgehend ausgeschaltet wurde, um zu einem objektiven Begriff zu kommen, der dem Richter keine Willkür mehr ließ. Dieser Entwurf dagegen geht den umgekehrten Weg, einen Weg, wie er besonders auch von den Nationalsozialisten geschätzt wurde, nämlich uferlose Bewertungen zum strafrechtlichen Tatbestand zu machen und damit dem einzelnen Bürger überhaupt nicht mehr die Beurteilung zu ermöglichen, ob er sich nun strafbar gemacht hat oder nicht. Es sind sogar Begriffe verwandt, die im einzelnen die Bestimmungen überhaupt unbrauchbar machen, sei es, daß sie zu eng sind, sei es, daß sie zu weit gehen.
Um einige Beispiele dafür zu nennen: In § 80 taucht der Begriff des Angriffskrieges auf. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich einmal, ein deutsches Gericht vor 1933 hätte sich vor die Entscheidung gestellt gesehen, ob die Schwarze Reichswehr, oder nach 1933, ob Hitlers geheime Rüstung einem Angriffskrieg gedient hätte oder nicht. Ein etwas zynisch gewordener alter Politiker hat mir einmal gesagt: Angreifer ist immer der, der den Krieg verloren hat; vorher kann man ihn nicht feststellen. Mit solchen Begriffen kann man ein Strafgesetz unmöglich aufbauen. Damit macht man alles, was hier über Friedensverrat steht und was uns an sich durchaus wichtig wäre, von vornherein wirkungslos.
Oder nehmen Sie in § 84 die auf Gewissensgründen beruhende Verweigerung des Kriegsdienstes, die nicht verächtlich gemacht werden darf. Auch ein vollkommen wirkungsloser Tatbestand! Denn wenn zum Beispiel einer in der Öffentlichkeit behauptet, die Verweigerung des Kriegsdienstes einer Gruppe von Menschen beruhe nicht auf Gewissengründen, sondern auf Korruption oder Feigheit, dann wird bereits nicht mehr hiernach gestraft, weil der Betreffende die auf Gewissensgründen beruhende Verweigerung nicht angegriffen hat. So dilettantisch kann man Strafvorschriften wirklich nicht machen.
Nach § 87 wird bestraft, wer mit Gewalt oder unter Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder ändert. Nun, wenn er sie geändert hat, dann muß man an die Äußerung von Talleyrand denken, der, als er einmal gefragt wurde, was Hochverrat sei, antwortete: Sire, das ist eine Frage des Datums!
Und auch hier sieht es so aus. Denn wer den bestehenden Zustand geändert hat, den wird man kaum noch bestrafen können.
Selbstverständlich haben wir die allerschwersten Bedenken gegen § 90. Sie sind ja auch bereits vom Bundesrat ausgesprochen worden. Durch diese Bestimmung wird nämlich eine uferlose Bestimmung der Strafbarkeit wegen Verfassungsstörung in unser Rechtsleben hineingebracht. Denn wir dürfen, wie ich eingangs schon sagte, bei allen diesen Bestimmungen nie vergessen, daß wir die Freiheit schützen wollen, und dürfen nicht durch Strafbestimmungen die Freiheit zu eskamotieren suchen, so daß zum Schluß gar nichts mehr da ist, was geschützt werden sollte. Mit einer solchen Bestimmung können wir uns daher keineswegs abfinden.
Auf der anderen Seite sind manche Bestimmungen viel zu eng. Dabei handelt es sich um § 101, Beschimpfung oder böswillige Verächtlichmachung der Farben, Flaggen, Wappen usw., oder um § 130, um das Hetzen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Hier sehen Sie typische Bewertungsbegriffe auftauchen, die keinen strafrechtlich brauchbaren, objektivierten Sachverhalt enthalten.
Denen, die bereits etwas vom Rechtsleben wissen, will ich das an einem Beispiel klarmachen. Stellen Sie sich einen Betrugstatbestand vor, in dem etwa gesagt wird, wegen Betrugs werde bestraft, wer durch Vorspiegelung falscher Tatsachen usw. das Vermögen eines anderen „erheblich" schädigt. Das wäre auch so ein Bewertungssachverhalt. Woran will der Richter abmessen, ob die Schädigung des Vermögens erheblich war oder nicht? Wir kommen hier auf eine absolute Grundfrage des Strafrechts. Das Strafrecht kann erst und nur dort einsetzen, wo durch die allgemeine Rechtsordnung das Unrechtmäßige des Tuns schon vorausgesetzt wird. Der Mord ist nicht Unrecht, weil er strafbar ist, sondern weil er Unrecht ist, wird er bestraft! Und so ist es bei allen Bestimmungen. Hier aber soll eine Äußerung, ein Beschimpfen zum Beispiel der Farben, einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder einer Rasse erst graduell strafbar gemacht werden. Man darf sie zwar beschimpfen, man darf sie nur nicht böswillig beschimpfen. Man kann also etwas tun, es darf nur nicht einen besonderen Grad erreichen. Das läßt erkennen, daß von der Bundesregierung nicht die positive Achtung vor den Farben, vor den Wappen und gegenüber einzelnen Bevölkerungsgruppen wie Rassen, Religionsgemeinschaften und dergleichen vorausgesetzt wird. Das ist aber das Wesentliche. Das ist auch in unserem Entwurf enthalten. Wenn man bestrafen will, kann man nur die Verletzung dieser positiven Achtung bestrafen. Entweder - oder! Dagegen ist eine derartig gleitende Skala, nach der ein Richter
erst abzuwerten hat, ob es sich um ein bloßes Verächtlichmachen oder um ein böswilliges Verächtlichmachen, oder ob es sich nur um ein Beleidigen oder schon um eine wirkliche Beschimpfung handelt, für die Rechtspflege und das Rechtsleben im Strafrecht überhaupt untragbar und unerträglich.
Nun noch etwas anderes! Wir dürfen hier - und darauf zielten meine einleitenden Bemerkungen ab — nicht die Freiheit zum Opfer bringen. Im. Wege dieses Gesetzes wird versucht — ich muß schon sagen: durch eine Hintertür —, manches Obrigkeitliche und Freiheitsfeindliche wieder hineinzulassen, was dem Grundgesetz durchaus widerspricht.
Wir haben nach dem Grundgesetz die Koalitionsfreiheit. Wir wissen heute, daß im realen Verfassungsleben und politischen Leben und Rechtsleben die Gewerkschaften ein sehr wesentliches Element des Staatslebens sind. Ich weiß nicht, wo wir wären, wenn wir die Gewerkschaften in Deutschland nicht hätten. Aber der § 109 a - und hier will ich gleich der Katze die Schelle umhängen — hat in mancher Hinsicht eine durchaus gewerkschaftsfeindliche Tendenz.
Wir haben im Grundgesetz auch die Pressefreiheit, aber der § 137 b hat eine durchaus pressefeindliche und der Freiheit der Meinung gegnerische Tendenz. Der Herr Bundesjustizminister hat uns zwar erklärt, es handle sich darum, hier eine Atmosphäre der Freiheit von Furcht zu schaffen. Ich habe sehr viel eher den Eindruck, daß diese Bestimmungen aus einer Atmosphäre der Furcht vor der Freiheit gekommen sind.
Denn es ist unseres Erachtens ausgeschlossen, hier die öffentliche Meinung den Gerichten und der Rechtspflege gegenüber in einer solchen Weise zu knebeln, wie das hier versucht wird. Wir müssen uns darüber klar sein: es handelt sich bei der in der Offentlichkeit geübten Kritik an gerichtlichen Urteilen um einen echten Konflikt zweier Grundrechte, der Unabhängigkeit der Rechtspflege auf der einen Seite und der Freiheit der Meinungsäußerung auf der anderen Seite. Diesen Konflikt zugunsten der einen oder anderen Seite mit Hilfe strafrechtlicher Mittel zu lösen, ist eine unechte und verderbliche Lösung. Man versucht sie überdies mit Mitteln, die ganz indiskutabel sind, nämlich insbesondere mit dem Mittel, daß nur dann eingegriffen wird, wenn die oberste Dienstbehörde des Gerichts, dessen Verfahren betroffen ist, dazu ermächtigt. Nun, wir haben im alten Strafrecht bis 1933 solche Antragsrechte, wie man es damals nannte, nur dann gekannt, wenn es sich um einen Angriff auf höchstpersönliche Rechtsgüter gehandelt hat, etwa auf die Ehre eines Beleidigten, der selbst durch seinen Antrag entscheiden sollte, ob er den gerichtlichen Schutz wünschte und suchte oder nicht. Erst im Kriegswirtschaftsstrafrecht ist dann so manches wie das „Verlangen" der Behörden usw. hineingekommen, was schon ganz das alte Prinzip der Legalität verließ und auf den sogenannten Verwaltungsmachtstaat hinstrebte und seine traurige Krönung in der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr, in der nach Möglichkeit überhaupt alles nur dann strafbar war, wenn die Verwaltung oder die Gauleitung es verlangte. Mit einer derartigen Bestimmung gibt man die Beurteilung und Entscheidung darüber, ob sich einer strafbar gemacht hat oder nicht, in das Ermessen und Belieben einer Verwaltungsbehörde.
Der eine, der mißliebig ist, wird verfolgt, und der andere, bei dem die Ermächtigung versagt wird, wird nicht verfolgt.
Das verletzt den elementarsten Grundsatz unserer Strafrechtspflege, den der Legalität, und es verletzt außerdem auch den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.
Vollends unerträglich ist die jetzt vorgelegte Neufassung der sogenannten Staatsgefährdung, die mit völlig uferlosen Begriffen operiert, nämlich daß bestraft wird die Anwendung von Massenterror, die planmäßige Irreführung der Massen oder sonst verwerfliche Mittel, wenn noch andere Tatbestandsmerkmale hinzukommen. Ja, meine Damen und Herren, was ist denn eine „planmäßige Irreführung der Massen"? Sehen Sie, eine katholische Jugendzeitschrift, die einzige Zeitschrift, die ich regelmäßig lese, — —
— Seien Sie ruhig! — Der „Michael" hat nach den
letzten Bundestagswahlen geschrieben: „Vor den
Wahlen hieß es: Ihr kämpft um das Elternrecht!
Und nach den Wahlen hieß es: Jetzt habt Ihr also
für die Erhardsche Wirtschaftspolitik gestimmt!"
War das nun eine planmäßige Irreführung der Massen im Sinne dieser Vorschriften?
ich glaube, ich habe damit — ich will die Zeit nicht ausschöpfen, denn sie ist sowieso zu kurz -genugend wesentliche Bedenken gegen diesen Entwurf angemeldet, der in solcher Art auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen muß. Daß wir andererseits überzeugt sind, nicht erneut eine Selbstmorddemokratie werden zu dürfen, ist klar und ist auch durch unseren eigenen Initiativantrag zum Ausdruck gebracht worden.
Aber lassen Sie mich darüber hinaus noch zwei grundsätzliche Bemerkungen machen, und das sind die: Meine Damen und Herren, es genügt nicht, mit den Mitteln des Strafrechts zu arbeiten, sondern ehe man dazu übergeht, hier alles mögliche in einem recht bunten Sammelsurium unter Strafe zu stellen, soll man selbst das Vorbild geben.
Ich muß leider sagen, daß der Herr Bundesminister
der Justiz, der dieses Gesetz vorlegt,
in seinen Reden draußen nicht das Vorbild gibt!