Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf über öffentliche Versammlungen und Aufzüge ist sowohl eine rechtliche als auch eine staatspolitische Notwendigkeit. Die rechtliche Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß das Vereinsgesetz von 1908 überholt und veraltet ist und die einschlägigen Bestimmungen unübersichtlich und nicht mehr zeitgemäß sind. Die staatspolitische Notwendigkeit beruht darauf, daß ein Bedürfnis besteht, im neuen Staate eine Ordnung zu schaffen, die die politische Versammlungstätigkeit reguliert. Unsere Erfahrungen in der Vergangenheit haben uns ja zur Genüge gelehrt, daß dort, wo sich in den Versammlungen die politischen Meinungen in einer die staatliche Ordnung gefährdenden Weise hemmungslos austoben können, der Staat selbst ge-
fährdet ist. Und es besteht kein Zweifel darüber, daß dieser junge Staat, der neue Staat, der erst sozusagen im Werden begriffen ist, gegen derartige Übergriffe gefeit sein muß.
Die Frage ist nur, ob und inwieweit diese Versammlungsordnung nach dem Grundgesetz gerechtfertigt ist. Es steht nämlich in Art. 8 des Grundgesetzes:
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln,
so daß in dieser Bestimmung des Grundgesetzes scheinbar ein Widerspruch zu diesem Gesetzentwurf zu erblicken wäre. Demgegenüber besagt Art. 2 des Grundgesetzes, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit ihre Grenzen hat erstens in der Wahrung der staatlichen verfassungsmäßigen Ordnung und im Sittengesetz, und Abs. 2 des Art. 8 bezieht sich ja nur auf den zweiten Teil der Materie, nämlich auf die Versammlung unter freiem Himmel.
Ich habe schon gesagt, der Staat hat absolut dafür zu sorgen, daß er nicht durch eine wilde, unkontrollierbare Agitationstätigkeit von vornherein in seinem Bestand gefährdet wird. Das darf nicht dazu führen, daß die menschliche Freiheit eingeschränkt wird. Aber der Grundbegriff unserer Freiheit, die Voraussetzung unserer freiheitlichen Betätigung ist doch der demokratische Staat, die Demokratie selbst. Die Vergangenheit hat es uns gelehrt, und die Zukunft droht es uns zu lehren, daß jede Freiheit nur ein leerer Wahn ist, wenn nicht die Fundamente in einer freien Demokratie gewährleistet sind. In diesem Zusammenhang komme ich zu der Auffassung, daß dieses Gesetz
ein wertvolles Mittel zur Sicherung und Begründung der Demokratie und der demokratischen Freiheit und damit der freien Entfaltung des Menschen innerhalb dieses Staates ist. Ich glaubte, diese Grundbegriffe herausstellen zu müssen, weil ich die Bestimmung in Einklang mit dem Grundgesetz sehen möchte.
Das Gesetz selbst hat außerordentlich interessante Merkmale, die eine Neuheit darstellen. Es legt jedem Teilnehmer einer Versammlung eine Verpflichtung auf, die nämlich, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu wahren und dieselbe nicht zu beeinträchtigen. Immerhin ein Gedanke, der außerordentlich erzieherisch auf den einzelnen einwirken kann, aber auch ein Gedanke, der geeignet ist, die politische Atmosphäre zu reinigen und eine sachliche Arbeitsweise in der Zukunft zu ermöglichen.
Dem Versammlungsleiter werden ebenfalls Pflichten und Rechte auferlegt. Er hat ein gewisses Ordnungs- und Leitungsrecht und hat das Recht, bei Übergriffen Ordnungsrufe zu erteilen, hat allenfalls das Recht, auszuschließen; ,während das frühere Gesetz bekanntlich nur das Recht des Leiters kannte, die Versammlung zu schließen, und damit eigentlich praktisch der Zweck einer öffentlichen Versammlung vereitelt werden konnte. Ich glaube wohl, daß diese Gesichtspunkte — im großen und ganzen gesehen — positiv zu bewerten sind und daß wir insoweit diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht versagen können.
Das Gesetz ist in Bestimmungen geteilt, die einerseits eine Versammlung im geschlossenen Raum, anderseits eine Versammlung oder einen Aufzug im Freien betreffen. Bei dem zweiten Teil der Gesetzesbestimmungen sind gewisse polizeiliche Maßnahmen nötig. So sind 48 Stunden vorher die Versammlungen polizeilich zu melden, und die Polizei hat eine gewisse Überwachungs- und Aufsichtspflicht. Die Polizei übt im Freien auch im wesentlichen die Befugnisse aus, die sonst bei geschlossenen Versammlungen zu den Aufgaben des Versammlungsleiters gehören, nämlich Schließung und Feststellung von groben Störungen, gegen die dann den Polizeifunktionen entsprechend vorgegangen werden kann. Man mag in der Richtung Bedenken haben, ob nicht darin eine Gefahr zu erblicken ist, wenn die Polizei bei Versammlungen im Freien allzu selbständig in die Geschehnisse eingreift. Ich glaube aber doch, daß diese Gefahr nicht allzu groß ist, weil wir in unserem Staat ja das Rechtsmittel haben, wir haben das Verwaltungsrechtsverfahren gegen Übergriffe der Polizei. Im übrigen wird es eben Sache des Einspielens der Beteiligten sowie der Polizei sein, daß diese Dinge so funktionieren, wie es im Sinne einer demokratischen Gesetzgebung gedacht ist. Dabei verhehle ich nicht, daß diese oder jene Bestimmung noch ausgeschliffen und in den Ausschüssen entsprechend durchgearbeitet werden muß. Aber - alles in allem genommen — glaube ich, daß dieses Gesetz im Zusammenhang mit dem heute schon besprochenen Gesetz der Strafgesetzänderung geeignet ist, unserem demokratischen Staat den Schutz zu geben, den er für die Fortentwicklung benötigt. Ich beantrage daher, das Gesetz dem zuständigen Ausschuß zu überweisen,