Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorlage, die uns heute beschäftigt, ist in der Tat bedeutsam genug, um erstens die Auffassung des Deutschen Juristentages in Frankfurt am Main abzuwarten und um zweitens hier im Saale auch in der Generaldebatte schon die grundlegenden Auffassungen eingehend durchzusprechen. Leider aber steht die Bedeutsamkeit dieser Vorlage in einer gewissen Konkurrenz zu der politischen Gesamtlage Europas, und was vielleicht im Februar 1950 oder zu der Zeit. als das Justizministerium die Vorlage in Worte faßte, noch mit einer gewissen Langmut und Ruhe anzusehen war, brennt uns heute unter den Nägeln.
Das darf uns aber nicht daran hindern, mit aller Gründlichkeit zu prüfen, was für Recht wir hier eigentlich schaffen wollen. Denn das große Bedenken, das hier zu beachten ist, besteht darin: Wir sprechen hier bei Schaffung neuen Strafrechts in. Wahrheit von Politik, und wir als Anhänger des Rechtsstaates — ich hoffe also: das ganze Haus mit Ausnahme der Kommunistischen Partei — wollen, daß die Rechtspflege unabhängig von politischen Meinungen sei. Wenn nun aber gerade die deutschen Gerichte aus dem Streit der politischen Meinungen herausgehoben bleiben sollen — oder werden sollen, wie man gewiß auch sagen könnte —, dann braucht der Richter einen absolut klaren Tatbestand — Tatbestand, nicht Gesinnungsbestand! —, um urteilen zu können. Die Frage einer politischen Gesinnung kann überhaupt immer nur als Motiv für eine Tat rechtlich in Frage kommen, niemals Gegenstand einer richterlichen Beurteilung als solcher sein. Wenn wir insofern nicht sehr klare Tatbestände schaffen, werden wir es immer und immer wieder erleben, daß den Gerichten unbegründete und die ungerechtesten Vorwürfe gemacht werden, weil sie den Tatbestand, wie ihn die eine oder andere Partei auffaßte, nicht erschöpfend gewürdigt hätten.
Das setzt gleich ein bei einem Grundbegriff, der meines Erachtens so unter keinen Umständen im Gesetz stehen bleiben kann, nämlich bei der Fassung des geschützten Rechtsgutes bei dem Hochverratsartikel, der von der verfassungsmäßigen
Ordnung des Bundes oder eines Landes spricht. Diese Worte stehen im Grundgesetz. Dort stehen sie richtig; dort im Grundgesetz kann man sich darunter etwas vorstellen. Was aber der Strafrichter für eine verfassungsmäßig geschützte Grundbestimmung halten soll, das muß der Gesetzgeber ihm schon sagen. Ich hätte für meine Fraktion dazu zu sagen: Das ist erstens die auf dem Parlamentarismus beruhende demokratische Staatsform, zweitens die Idee des Rechtsstaates und das sind drittens die persönlichen Freiheitsrechte. Mehr braucht es unseres Erachtens nicht. Aber man kann darüber verschiedener Meinung sein, zum Beispiel: Ist der föderative Charakter unserer Republik einer der Grundtatbestände? Ist die Befugnis, die dem Herrn Bundespräsidenten verliehen ist, ein Grundrecht, über das man nicht debattieren kann? Sie sehen, es gibt eine Fülle von Grenzfragen. Wenn Sie den Strafrichtern nicht genau sagen, welche Bestimmungen Sie im Auge haben, so werden Urteile ergehen, die je nach der politischen Richtung die eine oder die andere Seite zur Empörung hinreißen können. Dem muß im höheren Interesse der Rechtsprechung, aber auch der Dauer der Demokratie unter allen Umständen vorgebeugt werden.
Man beachte, wieviel neue Begriffe hier eingeführt werden. Ich begrüße es, daß man nicht umfängliche Tatbestandsformulierungen allein jeweils anwenden muß, um dem Volke nahezubringen, welches Delikt begangen ist, sondern daß man Straftatsbezeichnungen wählt wie z. B. „Friedensverrat", „Neutralitätsbruch", „Verfassungsstörung", „Rechtsstaatsgefährdung", „Volksverhetzung", „Störung der Rechtspflege" und ähnliche, lauter Straftatbestände, die bisher in der deutschen Justiz und Judikatur und in der deutschen Rechtswissenschaft völlig unbekannt waren. Diese nun so zu fassen, daß sie tatbestandsmäßig zweifelsfrei festliegen, ist eine außerordentlich schwierige Angelegenheit, die sehr reiflicher Überlegungen bedarf, wie ich schon an dem einen Beispiel des Begriffs der „verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik" dargelegt habe.
Ich bin nicht in der Lage, innerhalb der uns zur Verfügung stehenden Redezeit alle einzelnen Bestimmungen hier auch nur mit einem Stichwort anzusprechen. Ich möchte daher, mich ganz kurz fassend, nur eines sagen: Es ist schön, aber es kommt einem ein bißchen wie aus der Zeit gefallen vor, in der in diesem Herbst zu leben wir leider verurteilt sind, daß vorangestellt sind „Friedensverrat" und „Neutralitätsbruch". Bedenken Sie doch bitte, meine Damen und Herren: den Frieden sollen nach der Sprechregel im Osten ja wir „verraten", und wie soll angesichts dieser wortgewaltigen Propaganda, die da im Osten getrommelt wird, der Mann auf der Straße noch zwischen Recht und Wahrheit entscheiden? Diese Dinge, Friedensverrat und Neutralitätsbruch, sind aber meines Erachtens so geartet, daß sie nicht ein europäischer Staat allein einführen sollte. Das müßte auf Grund internationaler Konventionen, zu denen das Parlament in Straßburg vielleicht die Anregung geben könnte, in allen westlichen Kulturstaaten eingeführt werden. Erst dann hätte es seinen nachdrücklichen Sinn. Daß Glas halb ohnmächtige Deutschland so etwas allein einführt, scheint mir einer europäischen Gesamtheit gegenüber irgendwie nicht gerade sehr glücklich.
Was den § 84, die Kritik an Kriegsgegnern, anlangt, so ist diese Bestimmung in ihrer gegenwärtigen Fassung für meine Fraktion völlig unannehmbar.
Bezüglich der Hochverratsparagraphen begrüßen wir es, daß die Bundesratsvorlage den Begriff des „Unternehmens" wieder eingeführt hat, womit die Dinge wesentlich gebessert werden.
Die neuralgischen Punkte sind allerdings die Paragraphen über „Verfassungsstörung" und „Rechtsstaatgefährdung", da auch die neue Formulierung des Regierungsentwurfs dem Richter die Tatbestandsmerkmale noch nicht so an die Hand gibt, daß er ohne eigene politische Auffassung überhaupt zu einer Entscheidung kommen kann. Die Notwendigkeit entsprechender Bestimmungen hat der Herr Bundesjustizminister darzulegen versucht und meines Erachtens auch überzeugend dargelegt. Aber die tatbestandsmäßige Erfassung, ins-. besondere das Verhältnis zum Streikrecht — das betone ich ausdrücklich —, ist überaus schwierig und noch nicht gelungen.
Hinsichtlich der weiteren Rechtsstaats-Schutzbestimmungen sind wir der Meinung, daß im Sinne des englischen contempt of court eine Bestimmung über die Störung der Rechtspflege nötig ist, daß aber die Regierungsvorlage zunächst zweifellos mißglückt war. Ob durch die neue Formulierung schon eine hinreichende Besserung eingetreten ist, lasse ich dahingestellt. Auch insoweit ist nicht ohne sehr eingehende und gründliche Beratungen etwas zu finden, was auf längere Zeit standhalten kann; wir wollen doch aber kein Notgesetz für den heutigen Tag machen, sondern eine Veränderung des Strafgesetzbuches vornehmen, die bis zur endgültigen Novelle, die Gott weiß wann geschaffen wird, Bestand haben soll.
Sehr bedenklich ist die Bestimmung des § 130 über die Verhetzung von angeblich „weltanschaulich gebundenen Bevölkerungsgruppen". Danach dürfte man also zum Beispiel die verehrten Herren Kommunisten dieses Hauses nicht in Bausch und Bogen für schlechte Leute halten und als solche ansprechen. Das ist doch gewiß nicht gemeint. Auch nach dieser Richtung bedarf es noch einer sehr gründlichen Prüfung dessen, was in Wirklichkeit eigentlich gewollt ist, ehe man die endgültige Formulierung finden kann.
Alles das, was ich sagte, läßt sich in seiner Tendenz — und die Tendenz ist bei der Generalberatung das Wichtigste — unter einem höheren Gesichtspunkt zusammenfassen: Diese Vorlage ist nur dann eine brauchbare Strafrechtsgrundlage, wenn sie in jeder Bestimmung völlig klar zu erkennen gibt, daß nicht eine Gesinnung, sondern nur eine Tat bestraft werden soll, daß wir nicht Schnüffler sind und fragen: wie denkt der Mann letzten Endes und darf man denn so denken?, sondern: was für Handlungen hat er auf Grund seines Denkens begangen, Handlungen, die der Richter bestrafen muß? Schiller sagt: „Die Tat und nicht die Meinung ehrt den Mann." Lassen Sie uns dieses Wort bei Behandlung der Vorlage dahin abwandeln. Die Tat und nicht die Meinung straft der Staat!