Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag vielleicht ein sehr müßiges Beginnen sein, eine Versammlungsordnung vor einem Kreis von so exzellenten Experten des öffentlichen Versammlungslebens zu vertreten, wie Sie es sind. Wenn die Mitglieder des Bundestages insgesamt und ein jeder einzelne von Ihnen auf irgendeinem Gebiete sachverständig sind, so ist es sicherlich auf diesem Gebiete der Fall. Es ist das Element des demokratischen Politikers, in öffentlicher Versammlung zu werben, Rede und Antwort zu stehen und sich zu verteidigen. Sein Leben ist, ob freudvoll oder leidvoll, zu einem guten Teil ein Leben in öffentlichen Versammlungen. Deshalb glaube ich, daß es sich erübrigen wird, zu dieser Vorlage sehr viel zu sagen. Wir sind aber der allgemeinen Öffentlichkeit über diese Vorlage auch einige Aufklärung schuldig, und deshalb möchte ich folgendes hier vortragen.
Diese Vorlage beinhaltet — und das möchte ich mit Nachdruck an die Spitze stellen — keine Beeinträchtigung des öffentlichen Versammlungslebens. Die öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen werden keinerlei Genehmigung unterstellt. Für Versammlungen unter freiem Himmel wird lediglich eine Anzeigepflicht vorgeschlagen. Versammlungen unter freiem Himmel können verboten oder mit Auflagen bedacht werden nur bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Derartige Verbote oder Auflagen werden jeweils der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegen.
Im übrigen sieht die Vorlage vor, daß um Parlamente und Gerichte ein Bannkreis festgesetzt werden kann, d. h. ein Ausschluß gewisser Räume von der Benutzung für Versammlungen oder Umzüge. Da Deutschland groß genug ist, Versammlungen und Umzüge zu veranstalten, mag es wohl
tragbar erscheinen, daß man für derartige Veranstaltungen die Räume sperrt, in denen immer
wieder besondere Kollisionsgefahren gegeben sind.
Der Schwerpunkt der Vorlage liegt in der Ordnung des Versammlungsablaufs. Es gibt viele ungute Versammlungen, weil es bei uns keine fairen, gefestigten Spielregeln für Versammlungen gibt. Völker mit einer generationenlangen Festigung eines freiheitlich-demokratischen Lebens haben solche Spielregeln hinlänglich entwickelt, und sie werden von ihren Bürgern respektiert. Wir aber haben solche gefestigte Spielregeln nicht, und deshalb will die Vorlage eine Hilfsstellung dafür bieten, daß sich auch bei uns solche Spielregeln einbürgern und festigen. Die Vorlage tut das dadurch, daß sie von Rechten und Pflichten der Versammelten spricht, d. h. sowohl von Rechten und Pflichten des Veranstalters einer öffentlichen Versammlung als auch des Leiters als auch der Redner und schließlich der sonstigen Teilnehmer, also der Zuhörer.
Das zur Zeit noch geltende Vereinsgesetz von 1908 sagt über Versammlungen lediglich, daß der Leiter für die Ordnung verantwortlich ist und daß er eine Versammlung auflösen kann. Das ist nach all den Erfahrungen, die wir seit 1908 und sonderlich in den letzten Jahren gemacht haben, nicht nur zu wenig, sondern auch falsch akzentuiert; denn wir haben doch gerade die Erfahrung gemacht, daß viele Teilnehmer an einer Versammlung es darauf anlegen, sie zu sprengen. Es genügt also nicht, dem Versammlungsleiter lediglich die Befugnis an die Hand zu geben, die Versammlung aufzulösen; denn damit wird ja gerade das ausgelöst, was gewisse Teilnehmer an einer Versammlung herbeiführen wollen. Es kommt darauf an, daß Versammlungen durchgeführt und daß Störungen und Sprengungen unterdrückt werden können. Zu diesem Zweck spricht die Vorlage zunächst davon, daß jeder Staatsbürger grundsätzlich nicht nur das Recht hat, öffentliche Versammlungen zu besuchen, sondern auch die Pflicht, sich darin so zu verhalten, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigt werden. Diese Pflicht zum angemessenen Verhalten aller Teilnehmer an einer Versammlung ist der Leitsatz für das Ganze. Für die Teilnehmer wird diese Pflicht speziell dahin entwickelt, daß niemand mit Waffen kommen darf, auch dahin, daß niemand in einer Uniform kommen darf, die eine politische Gesinnung bekunden soll, und letztlich dahin, daß die Anordnungen des Versammlungsleiters zu befolgen sind.
Damit stehen wir bei der besonders wichtigen Figur des Versammlungsleiters. Seine Befugnisse werden gegenüber der unzulänglichen Entfaltung und falschen Akzentuierung im Vereinsgesetz von 1908 in dieser Vorlage näher spezialisiert. Die Rechtsgrundlage der Befugnisse des Versammlungsleiters aber bleibt unverändert, d. h. dem Versammlungsleiter wird keine Polizeigewalt zugemessen, sondern die Quelle seiner Rechte bleibt nach wie vor das Recht des Hausherrn. Er hat also, wenn Sie wollen, nach wie vor nur zivilrechtliche Grundlagen für sein Tun in der Versammlung. Für den Versammlungsleiter bleibt an der Spitze die Verpflichtung bestehen, für die Ordnung in der Versammlung zu sorgen. An Befugnissen sollen ihm aber nun in näherer Entfaltung gegenüber dem Gesetz von 1908 folgende Befugnisse zugesprochen werden: E r bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er kann einen Ordnungsruf erteilen. Er kann das Wort entziehen. Er kann Störenfriede
aus der Versammlung ausschließen, und endlich als eine ultima ratio: er kann die Versammlung auflösen. Die Teilnehmer an der Versammlung sind verpflichtet, sich den Anordnungen des Versammlungsleiters zu fügen und sie zu befolgen.
Damit nun der Versammlungsleiter nicht als ein hilfsloser Mann im Gelände steht, schlägt die Vorlage vor, daß er Ordner bestellen kann. Damit würde gesetzlich etwas sanktioniert werden, was bisher faktisch schon geübt wird. Darin mag vielleicht ein grundsätzliches Problem stecken, das der Erörterung besonders zugänglich sein wird. Aber daß solche Versammlungsordner, wenn sie in rechter Weise ausgewählt sind — und da trete ich für meine Person den Vorschlägen des Bundesrats durchaus bei - einen guten Dienst zu tun vermögen, hat ja doch auch die Erfahrung schon wiederholt erwiesen.
Das also, meine Damen und Herren, sind die Ziele und der wesentliche Inhalt dieser Vorlage. Ich hoffe, daß diese Vorlage in der Gestalt, die Sie ihr letzten Endes zu geben haben werden, unserem öffentlichen Versammlungsleben als einem Grundelement freiheitlich-demokratischen Lebens zu einer guten Ordnung verhilft und dazu beiträgt, daß demokratische Institutionen Ansehen gewinnen und sich in unserem Volksbewußtsein festigen.