Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte zunächst den Schriftführer, Herrn Abgeordneten Dr. Miessner, die Liste der abwesenden Mitglieder bekanntzugeben.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Fürst Fugger von Glött, Dr. Wuermeling, Even, Frau Brauksiepe, Wagner, Schütz, Dr. Schöne, Blachstein, Schönauer, Brandt, Altmaier, Dr. Gülich, Dr. Zawadil, Wittmann, Schmidt, Fisch. Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Kunze, Dr. Laforet, Spies, Schuler, Stücklen, Dr. Henle, Leonhard, Feldmann, Dr. Frey, Dr. Weiß, Lübke, Dr. Baur, Schill, Dr. Menzel, Bergmann, Heiland, Böhm, Frau Albertz, Henßler, von Knoeringen, Dr. Veit, Dr. Greve, Jacobi, Welke, Frau Nadig, Mißmahl, Frau Schroeder, Kalbfell, Frau Kipp-Kaule, Dr. Nölting, Dr. Middelhauve, Determann, Frau Wessel, Weickert, Freiherr von Aretin, Reimann, Nuding, Harig, Kurt Müller, Hugo Paul, Stegner, Wirths, Brünen, Brunner, Dr. Dr. Lehr, Nowack, Dr. Pünder und Schröter.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Es liegt mir eine amtliche Mitteilung des Herrn Landeswahlleiters von Württemberg-Baden vor, derzufolge an Stelle des ausgeschiedenen Herrn Abgeordneten Leibbrand der Herr Abgeordnete Kohl eingetreten ist. Ich darf annehmen, daß er hier ist. Ich begrüße ihn und wünsche ihm gute Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern des Hauses.
Mit Schreiben vom 27. bzw. 28. Januar 1950 hat der Herr Präsident des Bundesrats mitgeteilt, daß der Bundesrat folgenden Gesetzentwürfen seine Zustimmung gegeben hat:
) dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung für die Veranlagungszeiträume zweite Hälfte 1948 und das Kalenderjahr 1949; ferner dem Entwurf eines Gesetzes zur Erhebung von Abschlagszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer 1950.
Der Bundesrat hat ferner zu dem bekannten ERP-Gesetz folgendes beschlossen. Ich darf das Schreiben wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung im ganzen vorlesen:
Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 27. Januar beschlossen hat, einen Einspruch gemäß Artikel 77 Ziffer 3 des Grundgesetzes gegen das vom Bundestag am 26. Januar beschlossene Gesetz betreffend das Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949 nicht einzulegen. Im Anschluß an das Ergebnis der Debatte über die Streichung der Klausel „mit Zustimmung des Bundesrates" in Artikel IV hat mich der Bundesrat beauftragt, gleichzeitig folgenden Beschluß mitzuteilen.
a) Die Zustimmung erfolgt in der Erwartung, daß in geeigneter Weise eine Mitwirkung des Bundesrats in Angelegenheiten des Artikel IV sichergestellt wird, um rechtzeitig eine Angleichung der regionalwirtschaftlichen Bedingtheiten herbeizuführen.
b) Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, baldmöglich über grundsätzliche Fragen des ERP-Planes die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zu unterbreiten.
c) Der Bundesrat erklärt sich bereit, gegebenenfalls auch initiativ hinsichtlich des Punktes b) der Bundesregierung näherzukommen.
gez. Arnold.
Ich habe weiter mitzuteilen: Der Herr Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 26. Januar 1950, Drucksache Nr. 477 — ich glaube, sie liegt zum größten Teil schon vor —, die Anfrage Nr. 25 -der Fraktion der SPD betreffend Bau eines Sperrwerks bei Leer, Drucksache Nr. 354, beantwortet.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom, 27. Januar 1950 die Anfrage Nr. 28 der Fraktion des Zen- trums betreffend Sonderpreise für Mineralöl, Drucksache Nr. 380, beantwortet. Die Drucksachen befinden sich in der Verteilung.
Ferner habe ich folgendes Schreiben zu verlesen, das mir von der Gruppe „Nationale Rechte" zugegangen ist:
Die Gruppe „Nationale Rechte" hat auf Grund der Kasseler Vereinigung der Deutschen Rechtspartei mit der Nationaldemokratischen Partei Hessens ab sofort ihren Namen geändert in „Deutsche Reichspartei".
Wir bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen und die Namensänderung bekanntzugeben.
Meine Damen und Herren, damit sind meine
amtlichen Mitteilungen erschöpft.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Einspruch des Abgeordneten Goetzendorff gegen seinen Ausschluß von den Verhandlungen des Bundestages gemäß § 92 der vorläufigen Geschäftsordnung .
Die Drucksache liegt Ihnen vor. Nach § 92 der Geschäftsordnung erfolgt die Abstimmung über den Einspruch ohne Besprechung. Wer für den Einspruch gemäß Drucksache Nr. 475 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte diejenigen, die gegen den Einspruch sind, die Hand zu erheben. — Das letztere ist zweifelsfrei die Mehrheit. Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt, der Einspruch abgewiesen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Wiederherstellung der Ehrenämter und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung .
Zur Einbringung der Vorlage erteile ich das Wort dem Herrn Bundesarbeitsminister.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist seit Beendigung des Krieges in der gesamten Wirtschaft von den Beteiligten wiederholt eindringlich gefordert worden. Mit vollem Recht; denn das Führerprinzip eines autoritären Staates, das nach 1933 die Selbstverwaltung verdrängt hat, widersprach dem Wesen der deutschen Sozialversicherung. Ihre Schöpfer waren der Überzeugung, daß die soziale Sicherung der werktätigen Bevölkerung nur in der Form einer Selbsthilfe wirksam durchgeführt werden kann. Die Beteiligten sollten sie als eigene Angelegenheit mitgestalten und mitverwalten Deshalb gaben sie den Trägern der Sozialversicherung Organe der Selbsverwaltung, deren Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu wählen waren.
Nach dem Zusammenbruch stand zunächst der Rückkehr zu dem ursprünglichen Rechtszustand die Absicht des Kontrollrats im Wege, die deutsche Sozialversicherung neu zu regeln. Erst als zweifelsfrei feststand, daß die soziale Gesetzgebung wieder ausschließlich eine deutsche Angelegenheit war, konnte die Wiederherstellung der Selbstverwaltung der Sozialversicherung in Angriff genommen werden. Sehr bald haben dann auch die Länder der französischen Zone und das Land Bayern entsprechende Gesetze erlassen, die aber manche Unterschiede aufwiesen.
Die Sozialversicherung ist immer reichseinheitlich gewesen, und sie verträgt ihrer Natur nach keine Rechtszersplitterung. Aus diesem Grunde hat sich der Wirtschaftsrat bereits mit der Angelegenheit befaßt und am 25. Mai vorigen Jahres ein Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung beschlossen. Es ist nicht in Kraft getreten, weil die Besatzungsmächte ihm die erforderliche Zustimmung versagt haben. Sie wollten diese Frage einem Gesetz des Bundestags vorbehalten. Dieses Gesetz ist inzwischen äußerst vordringlich geworden. Die werktätige Bevölkerung kann es nicht verstehen, daß viele Sozialversicherungsträger heute, fünf Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, immer noch autoritär verwaltet werden.
Der vorliegende Entwurf will diesem Bedürfnis entsprechen. Er übernimmt weitgehend Inhalt und Wortlaut des Wirtschaftsratsgesetzes und bezieht sich wie dieses in der Hauptsache auf die Wiederherstellung des Rechtszustandes aus der Zeit vor 1933. Eine Erweiterung der Selbstverwaltung ist nur für die Träger der Unfallversicherung vorgesehen, in deren Organen ehedem die Arbeitgeber allein vertreten waren. Zwischen ihren Verbänden und den Gewerkschaften besteht heute weitgehend Übereinstimmung darüber, daß künftig den Arbeitnehmern eine Vertretung in den Organen der Unfallversicherung billigerweise nicht vorenthalten werden darf. Die Verteilung der Beitragslast allein kann nicht mehr der Maßstab für die Vertretung in diesen Organen sein. Auszugehen ist vielmehr von dem Grundsatz der gleichberechtigten Zusammenarbeit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber als den Trägern der gesamten Volkswirtschaft.
Der Entwurf erweitert das Gesetz des Wirtschaftsrats dadurch, daß er auch die frühere Vorschrift über die Ehrenämter allgemein wiederherstellt und so die Besetzung der Versicherungsbehörden mit Beisitzern aus den Kreisen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber sowie die Bildung der übrigen in den Sozialversicherungsgesetzen vorgesehenen Ausschüsse ermöglicht. Ferner räumt er den Trägern der Krankenversicherung in allen Ländern des Bundesgebiets wieder das Recht ein, Beiträge und Leistungen selber festzusetzen. Er entspricht damit einem wesentlichen Erfordernis echter Selbstverwaltung. Außerdem enthält er Vorschriften über die Durchführung der Wahlen, insbesondere über die Bestellung von Wahlbeauftragten.
Endlich erforderten die Vorschriften des Grundgesetzes und die Einbeziehung der französischen Zone in das Bundesgebiet Abweichungen vom Wirtschaftsratsgesetz. Auf sie wird in dem besonderen Teil hingewiesen.
Für die Beurteilung des Entwurfs kann dieselbe Forderung erhoben werden, die schon bei der Beratung des Selbstverwaltungsgesetzes in der 31. Vollversammlung des Wirtschaftsrats ausgesprochen worden ist, daß nämlich der Blick auf die Notwendigkeiten der Zukunft zu richten ist. Heute sind andere Gesichtspunkte maßgebend als bei der Einführung der deutschen Sozialversicherung. Wurde damals nur ein verhältnismäßig kleiner Teil aller Deutschen durch die Sozialversicherung erfaßt, so sind gegenwärtig nahezu 75 Prozent der gesamten Bevölkerung des Bundesgebiets in dieser oder jener Form an der Sozialversicherung beteiligt. Die Sozialversicherung der Zukunft muß von dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit in der Wirtschaft getragen werden. Der Entwurf will die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die in der Wirtschaft maßgebenden Faktoren der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in höherem Maß- als in der Vergangenheit die Sozialversicherung in eigener Verantwortlichkeit übernehmen.
Zu dieser Frage liegt ja auch das Initiativgesetz der Sozialdemokratischen Partei vor. Wenn Sie die beiden Gesetzesvorlagen genauer ansehen, werden Sie feststellen, daß sich die Auffassungen eigentlich nur dadurch unterscheiden : der sozialdemokratische Gesetzentwurf geht von dem Gedanken aus, daß in der Sozialversicherung
der Arbeitgeberbeitrag kein echter Beitrag sei,
sondern ein aus dem Produktionsergebnis entnommener Teil des gemeinschaftlich Erarbeiteten. Man geht aus diesen Gesichtspunkten in dem Initiativ-Gesetzentwurf dazu über, zu sagen, daß in der Krankenversicherung und in den Rentenversicherungen nur die Versicherten selber die Selbstverwaltung übernehmen sollen. Der Gesetzentwurf der Regierung geht von dem Gesichtspunkt aus, daß in unserer Volkswirtschaft Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Produktionsprozeß zusammenarbeiten.
Der Herr Bundeskanzler hat bereits in der Regierungserklärung klar zum Ausdruck gebracht, daß die Rechtsverhältnisse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Zukunft sehr stark in die Eigenverantwortlichkeit dieser Faktoren übergeführt werden sollen.
Von diesem Gesichtspunkt aus haben wir in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß in der Selbstverwaltung aller Versicherungsträger Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich stark tätig sein sollen. Wir gehen dabei auch von dem Gedanken aus, die großen Fragenkomplexe, die momentan unter dem Stichwort Mitbestimmungsrecht in der Wirtschaft eine Rolle spielen, und die Fragen der Gestaltung einer Wirtschaftsdemokratie auch auf den anderen Gebieten so zu lösen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt tätig sein sollen. Aus diesen Erwägungen haben wir Ihnen den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form vorgelegt.
Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen jetzt den gesamten Gesetzentwurf in allen seinen Einzelheiten vortragen würde. Ich habe veranlaßt, daß Ihnen noch heute im Laufe der Sitzung eine ausführliche Begründung für sämtliche Paragraphen gegeben wird. Ich hoffe, vor allem den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses damit so viel Material in die Hände gegeben zu haben, daß durch die Ausschußverhandlungen möglichst bald ein Gesetz zustande kommt, das den berechtigten Wünschen aller gerecht wird.
Meine Damen und Herren! Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich darauf hinweisen, daß der Ältestenrat Ihnen gemäß § 88 der Geschäftsordnung vorschlägt, die Debatte zu Punkt 2 der Tagesordnung auf insgesamt 90 Minuten zu beschränken. Das bedeutet eine Redezeit für die beiden großen Fraktionen von je 18 Minuten, für die FDP-Fraktion von 12 Minuten, für die übrigen Fraktionen je 8 Minuten, für die DRP-Fraktion von 5 Minuten. Ich darf das Einverständnis des Hauses mit dieser Einteilung der Redezeit feststellen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist demgemäß beschlossen.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Arndgen als erstem Redner das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem uns von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf ist an sich nicht viel zu sagen, und zwar deswegen nicht, weil schon der Wirtschaftsrat in Frankfurt ein solches Gesetz behandelt und nach allen Seiten hin gründlich durchdiskutiert hat. Da aber dem Hohen
Haus ein Antrag der SPD-Fraktion, Drucksache Nr. 248, vorliegt, dessen § 2 zu dem gleichen Thema vorschlägt, die Selbstverwaltungsorgane in der Kranken-, in der Renten- und in der Knappschaftsversicherung nur aus Versichertenvertretern zusammenzusetzen, möchte ich namens meiner politischen Freunde erklären, daß wir bezüglich der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane dem Regierungsvorschlag zustimmen.
Ich glaube, daß Vertreter eines Systems, unter dem in den Gebieten, in denen sie herrschend sind, über Selbstverwaltung nicht geredet werden darf,
das Recht verwirkt haben, sich hier als Anwälte der Selbstverwaltung aufzuspielen.
Meine Damen und Herren! Mit den Antragstellern zu Drucksache Nr. 248 gehen wir in der Auffassung einig, daß der Arbeitnehmer, dem der Versicherungsschutz gilt, naturgemäß das größere Interesse an der Verwaltung der Sozialversicherungsträger und an den Finanzmitteln derselben hat. Wir müssen uns jedoch hüten, die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber und Unternehmer ihren Arbeitern und Angestellten gegenüber aufzulockern, die in verschiedenen Paragraphen des BGB verankert ist. Wenn wir die Arbeitgeber von der Verantwortung in der Sozialversicherung ausschließen, dann haben wir den Anfang mit dieser Auflockerung gemacht. Es liegt auch im Interesse der Versicherten und auch der Versicherungsträger selbst, die Unternehmer von der Verantwortung für die Beitragshöhe und für die Leistungen beispielsweise in der Krankenversicherung nicht auszuschließen. Wir haben in der letzten Zeit mehrfach erlebt, daß die Krankenkassen zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit von dem § 391 der Reichsversicherungsordnung Gebrauch machen und die Beiträge bis zu 71/2 Prozent erhöhen mußten. Gerade in schwierigen Zeiten ist es notwendig und dient es den vorgesehenen Maßnahmen, wenn die Verantwortung für diese Maßnahmen auf möglichst breite Basis verteilt wird.
Mit dieser Auffassung, die ich hier vertreten habe, gehen auch bekannte Sozialpolitiker der Partei einig, die den Antrag, den ich vorhin skizziert habe, eingereicht hat. In seiner Broschüre „Sozialpolitik — Kernfragen des deutschen Aufbaues", in der sich Herr Dr. Preller, der jetzige Minister für Arbeit und Wirtschaft in Schleswig-Holstein, auch mit der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung beschäftigt, schreibt derselbe u. a. folgendes:
Aber auch der Arbeitgeber muß an der Sozialversicherung interessiert werden, nicht nur weil es sich ja auch um seine nicht geringen Beiträge handelt, sondern auch deshalb, weil erreicht werden muß, daß der Arbeitgeber in seinem Betrieb schadenverhütend mitarbeitet um der Leistungskraft der Versicherten ebenso wie um der Finanzkraft der Versicherung willen. Sieht sich der Arbeitgeber in eine
hoffnungslose Minderheit versetzt, so wird sein Interesse erlahmen.
Das ist nichts anderes als das, was ich sinngemäß hier vorgetragen habe.
Das Hohe Haus wird sich in absehbarer Zeit mit dem Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in der Wirtschaft und in den Betrieben beschäftigen. Den Beratungen um dieses Mitbestimmungsrecht würde es bestimmt nicht dienlich sein, wenn in der Sozialversicherung, wo das Schwergewicht auf seiten der Versicherten liegt, diese sich gegen eine Mitverantwortung der Arbeitgeber stemmen würden. Wollen wir die Demokratisierung in der Wirtschaft mit einem wesentlichen Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer, dann dürfen wir uns in der Sozialversicherung nicht gegen die Mitverantwortung der Arbeitgeber anstemmen.
Meine Damen und Herren! Soweit die sonstigen Bestimmungen des Regierungsentwurfs in Frage kommen, müßte überprüft werden, ob die Einführung der Versichertenältesten, die sich in der Knappschaftsversicherung und auch in der Angestelltenversicherung bis 1933 gut bewährt haben, für die Invalidenversicherung dienlich ist. In der Angestelltenversicherung mit nur einer Anstalt im gesamten früheren Reichsgebiet und in der Knappschaftsversicherung waren und sind die Verhältnisse sehr verschieden von denen in der Invalidenversicherung. In der Invalidenversicherung verfügen wir über Landesversicherungsanstalten in den einzelnen Gebieten.
Was die lebendige Verbindung zwischen Versicherten und Versicherungsträgern in der Rentenversicherung angeht, so haben bis zum Jahre 1933 die sogenannten Arbeitersekretariate der Gewerkschaften und der sonstigen Sozialorganisationen recht segensreich gewirkt. Mit der Einführung der Versichertenältesten in der Invalidenversicherung könnte es dazu kommen, daß die Aufgabengebiete, die diese Arbeitersekretariate segensreich betreut haben, verlagert werden und daß dann Organisationen, die an sich außerhalb der Versicherung stehen, ihren Einfluß völlig verlieren. Es wäre daher nötig, im Ausschuß noch einmal genau zu prüfen, ob die Einführung der Versichertenältesten in der Rentenversicherung der Arbeiter notwendig ist.
Weiter, meine sehr verehrten Damen und Herren, müßte die in § 8 des Regierungsentwurfs vorgesehene Stellung der Geschäftsführer der Sozialversicherungsträger noch einmal überprüft werden. Die Bedeutung der Selbstverwaltung liegt in der eigenen Verantwortlichkeit des Versicherungsträgers. Ein ehrenamtlicher Vorstand jedoch scheidet mit dem Ablauf seiner Wahlzeit nach 4 Jahren aus der Verantwortung praktisch aus, während das Ergebnis der von ihm gefaßten Beschlüsse oft erst nach viel längerer Zeit in Erscheinung tritt. Bei den oft auch für Fachleute sehr schwierigen Materien wird ein ehrenamtlicher Vorstand nicht immer in der Lage sein, die richtige Entscheidung ohne Unterrichtung und Befragung zu treffen. Wollen wir den Gefahren begegnen, die damit der Selbstverwaltung drohen, dann muß ein Weg gesucht und gefunden werden, auf dem die Geschäftsführung, namentlich die Präsidenten der Versicherungsanstalten, in irgendeiner Form mit einem Beschlußrecht bei diesen Organen eingeschaltet werden können, auch deswegen, weil ein sehr großer Teil der Versicherungsträger Staatsaufgaben auferlegt bekommt,
die ordnungsmäßig und dem Auftrag des Staates entsprechend durchgeführt werden müssen.
Endlich, meine Damen und Herren, müßte auch überprüft werden, ob der § 11 — überschrieben „Aufsicht" — in der Form, wie er in der Regierungsvorlage enthalten ist, bestehen bleiben kann, oder ob nicht auch hier einige Änderungen durchgeführt werden können.
Schließlich muß überprüft werden, ob es zweckmäßig ist, die Urwahlen entsprechend dem Vorschlag des Regierungsentwurfs durchzuführen, nämlich Urwahlen für jeden Versicherungsträger vorzunehmen, oder ob man nicht wieder zu dem Wahlmodus zurückkehren sollte, der bis zum Jahre 1933 üblich war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir auch mit dem Regierungsentwurf in seinen Grundzügen einig gehen, so sind wir doch der Auffassung, daß er in einer Reihe von Einzelheiten
ich habe einiges darüber anklingen lassen — überprüft und abgeändert werden müßte. Ich stelle daher namens der CDU-Fraktion den Antrag, den Regierungsentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß zur Durchberatung zu überweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen. -
Meine verehrten Damen und Herren! Meine Freunde stehen auf dem Boden des Regierungsentwurfs, wie sie das schon im Wirtschaftrat vielfach zum Ausdruck gebracht haben. Sie werden sich im Ausschuß dafür einsetzen, daß er mit größter Beschleunigung zum Gesetz erhoben wird. Wenn das schöne Wort 1 Schillers „Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort" wahr wäre oder einen Sinn hätte, müßte dieses Gesetz schon längst verabschiedet, in Kraft getreten und beiden Sozialpartnern zum Nutzen sein. Denn geredet, meine verehrten Damen und Herren, ist zu dieser Angelegenheit weiß Gott genug, nicht bloß zwischen und von den Sozialpartnern, sondern auch in den Parlamenten, im bayerischen Landtag wie im Wirtschaftsrat. Aber wir stellen hier ja öfter fest, daß dieses Schillersche Wort nur sehr relativ richtig ist.
Man kann meines Erachtens geradezu von einer Leidensgeschichte dieser Gesetzesmaterie sprechen. Es ist mehr als ein Jahr her, seit die SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat einen Initiativgesetzentwurf einbrachte, dem dann einige Wochen darauf eine Regierungsvorlage folgte. Ohne ironisch zu sein, möchte ich sagen: genau dasselbe Spiel erleben wir nun wieder, nur die Taktik ist eine etwas andere und, wie mir scheinen will, eine etwas primitive.
Wie liegen denn die Dinge? Bis 1933 war es so, daß in wichtigen Sozialversicherungsträgern Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern herrschte. Der von mir erwähnte Initiativgesetzentwurf der SPD vom vorigen oder gar vom vorvorigen Jahre wünschte diese Parität nicht aufrechtzuerhalten, sondern wollte die Arbeitnehmer zu 75 Prozent an den Organen beteiligen. Der seinerzeitige Beschluß lautete dann auf Parität. Diesmal hat man nun in dem Gesetzentwurf der SPD — mit aller Höflichkeit sei es gesagt — ein wenig mehr vorgeboten und verlangt hundertprozentige Beteiligung; wie ich annehme, in der Hoffnung, daß es nun diesmal wenigstens zu einer
75prozentigen Beteiligung kommt. Ich sage das so offen, mein Damen und Herren, und glossiere es etwas, weil ich Sie fragen möchte: Ist das wirklich eine Materie, bei der man solche Handelsgeschäfte oder solches Handeln betreiben sollte? Ich für meine Person möchte diese Frage energisch verneinen.
Wie ist denn der Tatbestand? Es handelt sich doch um nicht mehr und nicht weniger als darum, hier wirklich ein Unrecht, das den Sozialpartnern schon sehr früh in der Nazizeit bereitet worden ist, zu beseitigen. Diese Beseitigung ist längst überfällig. Eigentlich hätte man annehmen können, die Alliierten würden unmittelbar nach ihrem Einzug die Folgerungen ziehen. Aber sie hielten uns damals nicht für zuständig, vielleicht auch nicht für fähig, solche Dinge zu ordnen, wiewohl sie auf einem anderen Gebiet, das mit der Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer zusammenhängt, sehr frühzeitig und sehr schnell zu Entschlüssen gekommen sind. Dann kam der Wirtschaftsrat mit seinem wirklich heißen Bemühen — ich erinnere mich genau — und wollte den Dingen Gestalt geben, und wiederum haben die Alliierten es nicht genehmigt. Ich finde deshalb, daß wir heute ein wenig beschämt vor den Sozialpartnern stehen und daß wir nun doch schnellstens das Versäumte nachholen und darüber hinaus auch noch Verbesserungen vornehmen sollten. Aber auf solche Verbesserungen wollen wir uns beschränken.
Meine Damen und Herren, Strukturveränderungen in der Sozialversicherung wollen wir - das ist der Wunsch meiner Freunde — bei dieser Gelegenheit nicht vornehmen. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Wir wollen die Selbständigkeit der Angestelltenversicherung gegenüber der Invalidenversicherung oder sagen wir lieber: neben der Invalidenversicherung — ein Gegensatz ist es ja nicht — mit allem Nachdruck aufrechterhalten.
- Das überrascht Sie sicher nicht! - Wir wollen keinen Schritt zur Einheitsversicherung tun. Was wir wollen: wir wollen dem Grundgedanken, der meines Erachtens jeder Selbstverwaltung zugrunde liegen muß, zum Durchbruch verhelfen; und der sieht in unseren Augen so aus: Wenn die Beteiligten eine gemeinschaftliche Aufgabe gestellt bekommen haben, wenn sie dabei sind, sie zu lösen, und sie zum Teil schon gelöst haben, dann hat jeder von den Beteiligten — also den Sozialpartnern — das gleiche Recht, mitzusprechen. Nichts liegt dann näher, als daß sich das eben in einer Parität der Sozialpartner in den Organen auswirkt. Das ist für meine Freunde der übergeordnete Gesichtspunkt, von dem aus die Dinge geregelt werden sollten. Denn Schwerpunkte nach der einen oder anderen Richtung — dieser Ausdruck hat schon in den Debatten des Wirtschaftsrats eine große Rolle gespielt — wollen wir nicht schaffen.
Wir sind nun deswegen nicht unerheblichen Angriffen ausgesetzt. Diejenigen der SPD habe ich schon erwähnt. Aber sie kommen auch von anderen Seiten, und ich muß mich in diesem Zusammenhang ganz kurz mit den Gedanken der Unfallversicherung auseinandersetzen. Diese Unfallversicherung ist bekanntlich keine normale Versicherung, sondern eine Ablösung der gesetzlichen Haftpflicht der Unternehmer und eine Vorsorge, eine genossenschaftliche Rückversicherung
der Unternehmer gegen Unfälle im Betrieb. Aus dieser Definition geht meines Erachtens schon hervor, wie wenig begründet es doch eigentlich ist, diesen Selbstverwaltungskörper der Unfallversicherung, der nur die Arbeitgeber angeht, in die Parität hineinzubeziehen, zumal ja bei den Folgemaßnahmen, bei der Unfallfürsorge selbst, bei der Heilfürsorge usw. diese Parität in besonderen Organen, die Sie durchschnittlich kennen werden, gesichert ist. Wir sind aber um des lieben Friedens willen, des übergeordneten Gesichtspunkts willen, den ich vorhin dargelegt habe, im Wirtschaftsrat der Meinung gewesen, darauf nicht bestehen zu sollen, und wir haben deshalb zugestimmt, daß auch insoweit, also in der Unfallversicherung, die Parität durchgeführt wird.
Wie wollen wir uns nun heute verhalten? Ich bin der Meinung, daß wir doch bei dieser Materie nicht darauf aus sein sollten, dem einen oder andern eins auszuwischen oder ihn gar zu erziehen, wiewohl das ja modern ist. Das soll keineswegs unser erstes Prinzip und unser erster Gedanke sein, sondern wir wollen das Ganze fördern. Die offensichtliche Nichtachtung — ich glaube, man muß es doch schon so ausdrücken, nicht vom Kanapee-Standpunkt aus gesehen, sondern sachlich gesprochen —, die durch den vorliegenden Entwurf der SPD nun dem einen Sozialpartner und seinen Interessen widerfährt, müßte uns meines Erachtens doch zu der Überlegung führen, ob es richtig war und ist, in der Unfallversicherung die Haltung einzunehmen, die wir eingenommen haben.
Denn, meine verehrten Freunde, ich möchte nicht so bescheiden wie mein Vorredner sein, daß man „die Arbeitgeber bei der Stange halten wolle" - das war ja das Hauptmoment —, sondern ich bin schon der Meinung, daß die Arbeitgeber von sich aus den Wunsch und die Pflicht und das Recht haben, sich in diesen Dingen zu betätigen. Ich glaube, eine Diskriminierung, die das verhindert oder unmöglich macht, können wir nicht mitmachen. Ich halte sie für völlig unverdient. Ich gehe aber einen Schritt weiter. Ich bin der Meinung, daß es viele Arbeiter gibt, die großen Wert darauf legen, die Sorgen, die die Sozialversicherungsträger ja leider zur Zeit in einem sehr großen Umfang beunruhigen, gemeinsam zu erörtern, und daran sollte niemand gehindert werden. Ich finde, daß es ein nicht sehr guter, ja ein schlechter Beitrag zur Herbeiführung des sozialen Friedens ist, wenn nun politische Wünsche, wie geschehen, in einem Initiativgesetz einer großen Partei dieses Hauses ihren Niederschlag finden. Ich finde vor allem, meine verehrten Damen und Herren, daß das nicht mit der an wichtigen Stellen in hoffnungsvoller Weise gerade in den letzten Wochen hervorgetretenen Verständigungsbereitschaft in Einklang steht. Ich beschränke mich durchaus auf diesen einen großen Komplex und bin im übrigen auch der Meinung, daß wir in den Ausschußberatungen noch sehr vieles zu den Dingen zu sagen haben werden; aber schnell!
Erlauben Sie mir bitte, daß ich in diesem Zusammenhange noch auf die Drucksache Nr. 361 eingehe die, glaube ich, schon dem Ausschuß überwiesen ist. Es ist der Antrag der Abgeordneten Günther und Genossen, der eine wichtige Einzelfrage, nämlich die Frage der Betriebskrankenkassen, mit dem Prinzip der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung und ihrer Wiederherstellung verbinden will. Das ist vollständig richtig. Denn diese Wiederzulassung der Errichtung neuer Betriebskrankenkassen scheint mir doch eine Selbstverständlichkeit zu sein, wenn man der Selbstverwaltung grundsätzlich zustimmt. Sie scheint mir aus der Koalitions- und Organisationsfreiheit, die das Grundgesetz — und alle Verfassungen vorher außer bei Hitler; der hatte keine —sicherstellt und vorschreibt, ohne weiteres zu folgen. Ich gehe weiter: ein Verbot, wie es die Nationalsozialisten 1934 verfügt haben, steht in einem flagranten Widerspruch zu dem Grundsatz der Koalitions- und Organisationsfreiheit. Ich glaube, es wäre überflüssig, hierüber noch viel zu sagen, und ich tue mich ja eigentlich auch sehr leicht; denn den Kreisen, die in dieser Beziehung zurückhaltend oder gar ablehnend sind, ist ja durch die Ihnen bekannten Vorgänge in der französischen Zone schon eine sehr klare und deutliche Antwort erteilt worden. Dort hat man durch in allen drei Ländern gleichlautende Gesetze die Sperre aufgehoben, und das für mich keineswegs überraschende Ergebnis war das, daß eine Vielzahl von Betrieben mit außerordentlichen Mehrheiten der Errichtung oder Neuerrichtung von Betriebskrankenkassen zugestimmt haben. Damit bin ich keineswegs für ein „laissez faire, laissez aller", denn ein Paragraph, auf den ich jetzt nicht mehr eingehen will, nämlich § 248 der Reichsversicherungsordnung -' die Kenner werden verstehen, was ich meine, auch ohne daß ich die Dinge vortrage — enthält ja schon durchaus alle Kautelen, die nötig sind. Wenn es noch an etwas gefehlt hat, dann ist das, was wir im Wirtschaftsrat vorgeschlagen haben, nämlich die Erhöhung der Mindestzahl von 150 auf 300 Mitglieder, das Entsprechende und das, was noch nötig ist. Ich möchte Ihnen deswegen auf das dringendste empfehlen, der Errichtung von Betriebskrankenkassen zuzustimmen.
Zusammengefaßt zu der ganzen Gesetzesmaterie geht der Wunsch meiner Freunde dahin, daß wir es geradezu für eine Ehrenpflicht halten, nunmehr auf dem schnellsten, dem einfachsten. aber auch auf dem modernsten Wege die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wiederherzustellen. Denn, meine Freunde, es wird ohnehin - das möchte ich zum Schluß noch sagen — nicht leicht sein, die Kräfte auf beiden Seiten, bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, zu finden, zu interessieren und mit Kenntnissen zu versehen — das gehört nämlich auch zum Ehrenamt, daß man Kenntnisse hat, das wird oft vergessen —,
Kenntnisse, die sie brauchen, um ihre Pflichten im Vorstand oder in der Vertreterversammlung solcher Körperschaften erfüllen zu können. Ich hoffe sehr, daß sich zu gegebener Zeit recht viele Leute finden, die darin eine Befriedigung sehen. Denn erst dann wird das Gesetz, das wir beschließen wollen, seinen Sinn haben und sich zum Segen beider Sozialpartner auswirken.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wenn die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung neben der Selbstverwaltung in der Gemeinde die Hohe
Schule der Demokratie darstellt, so ist es für uns alle, die wir seit 1945 um wirklich souveräne Formen der Demokratie ringen, unerträglich — und das ist hier schon mehrfach ausgesprochen worden —, daß diese demokratische Selbstverständlichkeit in der Selbstverwaltung der sozialen Versicherung in allen ihren Formen nicht schon verwirklicht werden konnte. Seit Beendigung des Krieges ist und das ist hier auch schon historisch dargestellt worden — von allen Trägern des öffentlichen Lebens, den politischen Parteien wie den Gewerkschaften, die Wiederherstellung der Selbstverwaltung gefordert worden. Wir haben es bedauert, daß die so vielfachen Bemühungen des Wirtschaftsrates an der Militärgesetzgebung bzw. am Veto der Militärregierung gescheitert sind, und wir können heute zurückblickend nur mit Bedauern feststellen, daß überall da, wo schon Gesetze der Selbstverwaltung erlassen worden sind, in der französischen Zone und in Bayern, diese fortschrittlichen Gesetze nicht nur eine Zersplitterung der Gesetzgebung, sondern auch eine Rechtszersplitterung der Selbstverwaltung gebracht haben, die nun schnellstens beseitigt werden soll.
Insofern begrüßt meine Fraktion die Vorlage der Bundesregierung, die sich weitgehend auf den Entwurf des Wirtschaftsrates stützt und die Wiederherstellung des Rechtszustandes in der Form, wie er vor 1933 bestanden hat, erstrebt.
Wir sehen in einer echten Selbstverwaltung das Fundament des staatlichen Aufbaus überhaupt. Das Haus unseres neuen Staates wird nur dann ein tragfähiges Gebäude sein, wenn 0 dieses Fundament fest und gesund ist. Jede Freiheit trägt verantwortliche Verpflichtungen in sich, und die Verwirklichung einer echten sozialen Versicherung aus dem guten Geist genossenschaftlicher Selbsthilfe erfordert eine tatsächliche verantwortliche geistige Mitarbeit und Gestaltung. Auf dem Wege der Mitarbeit und Mitverantwortung wachsen Männer und Frauen, Arbeiter und Angestellte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer in jenes echte Bewußtsein des Mitverantwortlichseins hinein, das der letzte und tiefste Sinn der Demokratie überhaupt ist.
So erzieht die Selbstverwaltung die Staatsidee
tragende Bürger und formt eine echte verantwortliche und staatserhaltende Gesinnung, die
immer da einen Wall aufrichten wird, wo Zwang
und Diktatur jemals drohen könnten. In diesen
Wall, in dieses Fundament des Hauses der deutschen Sozialversicherung dürfen an keiner Stelle
Breschen geschlagen werden. Gerade unsere Arbeit in diesem Hause zeigt, wie nötig wir schöpferische Menschen brauchen. Wir brauchen sie in
allen Schichten und Ständen unseres Volkes. und
Herr Kollege Wellhausen hat eben gerade darauf
hingewiesen, wie notwendig es ist, diese Menschen zu finden. daß es leider aber auch eine
reale Weisheit ist. daß Gott nicht jedem, dem er
ein Amt gibt, auch den Verstand gegeben hat.
Wenn es uns nun in der Selbstverwaltung gelingt, ausgehend von dem Grundsatz, den der Herr Bundesminister für Arbeit in seiner Begründung vorgetragen hat — dem Grundsatz nämlich der gleichberechtigten Zusammenarbeit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer als den Trägern der gesamten Wirtschaft —, die schöpferische Initiative zu fördern und die Verantwortung zu stärken, dann ist die höchste Aufgabe der Selbstverwaltung erfüllt. Ich selbst habe in dieser Selbstverwaltung der sozialen Krankenversicherung vor 1933 in einem echten und unmittelbaren Kontakt mit den Versicherten meine ersten entscheidenden sozialpolitischen Anregungen empfangen. Ich möchte jene Erfahrung aus der Lebensnähe niemals entbehren. Ich ,weiß aus dieser Erfahrung, daß der Geist echter demokratischer Verantwortung auch jedem Bürokratismus am besten entgegenwirkt und Menschen formt, bei denen der Geist mehr gilt als der Buchstabe des Gesetzes, Menschen formt, bei denen eben der Geist den Buchstaben oder den Paragraphen der Reichsversicherungsordnung erst Inhalt gibt.
Wir wollen beim Aufbau unserer Selbstverwaltung auch dafür Sorge tragen, daß wir die Jugend für echte demokratische Lebensformen gewinnen und begeistern.
Wir wünschen, daß bei der Besprechung der Frage des Vorschlagsrechts im Ausschuß dafür Sorge getragen wird, daß nicht nur gewerkschaftliche Spitzenorganisationen, sondern daneben auch alle im Aufbau befindlichen Berufsverbände, die Organisationen der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer, herangezogen werden und daß darüber hinaus vor allen Dingen auch jene jungen Menschen. die jungen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die noch keiner Organisation angehören und ihr noch fernestehen, für die echten staatsbürgerlichen Tugenden der Selbstverwaltung gewonnen werden.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß wir überall dort auf die Wiederherstellung des Zustandes vor 1933 Wert legen sollten. wo die damals gemachten Erfahrungen ausreichend erscheinen. Sie meint aber. daß in der Beratung des Ausschusses darüber hinaus neue Wege gesucht werden sollten, um mit offenem Blick für die zukünftigen Notwendigkeiten die Grenzen der Verantwortung abzuwägen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen gemeinsam bedenken, was not tut. und sollen gemeinsam diese neuen Wege suchen.
Einig bin ich auch mit dem, was der Herr Minister über die Verteilung der Verantwortung sagte, daß nämlich für die Verteilung der Verantwortung niemals etwa nur die materielle Beteiligung der Arbeitgeber durch Beitragsleistung allein entscheidend sein darf.
Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die wirklich übergeordneten Gesichtspunkte, die ja auch Sie sehen wollen,
— ja, mit der wahren demokratischen Auffassung, die die übergeordneten Gesichtspunkte und nicht nur das Interesse des einzelnen oder einer Gruppe sieht—, daß diese übergeordneten Gesichtspunkte eben bei der Vorbereitung
und Schaffung einer neuen Sozialordnung,. die Sie doch auch anstreben, maßgebend sein sollen.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie einen Moment unterbrechen!
Ich darf meinen Appell, den ich neulich schon an die Herren dieses Hauses gerichtet habe, heute wiederholen, aus Gründen der Ritterlichkeit Gespräche nicht allzulaut zu führen, um es der Frau Abgeordneten leichter zu machen.
Frau Abgeordnete, fahren Sie bitte fort.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für die ritterliche Hilfe.
Ich meine also, daß jene Gesichtspunkte bei der Vorbereitung und Schaffung einer neuen Sozialordnung maßgebend sein und dann in der Selbstverwaltung auf der Grundlage der Parität auch ihren Ausdruck finden sollen.
Meine Freunde verstehen es allerdings nicht, warum nicht auch in der knappschaftlichen Versicherung ebenso konsequent verfahren werden soll. Wir erwarten im Gegensatz zur Regierungsvorlage auch hier die Beteiligung sowohl der Bergleute als auch der Bergbauunternehmer im Verhältnis 1 zu 1.
Es wurde gesagt, daß die Regierung die Bergbaubehörde gefragt hat. Meine Fraktion hat nicht nur die Bergbaubehörde, sondern auch die Bergbauunternehmer gehört.
Für die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherung hat der Kollege Wellhausen die wesentlichsten Gesichtspunkte schon angeführt. Ich kann mich darauf beschränken zu sagen, daß auch meine Fraktion der Auffassung ist, daß sich in der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung, die sich ursprünglich aus der privatrechtlichen Haftpflicht des Unternehmers ableitet, durchaus die Möglichkeit ergibt, es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Da aber die Vereinigung der Arbeitgeberverbände selbst vorgeschlagen hat, hier mit gutem Willen zur vertrauensvollen Gemeinschaftsarbeit zusammenzustehen, sind wir der Auffassung, daß diese Frage aus Gründen der Zweckmäßigkeit im Ausschuß durchaus geprüft werden sollte.
In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erscheint es meiner Fraktion selbstverständlich, die durchaus begründeten und schon im Wirtschaftsrat vorgetragenen Bedenken der Landwirtschaft zu berücksichtigen, Bedenken, die in der besonderen Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe begründet sind. So beschäftigen nämlich fast zu 90 Prozent aller versicherten Betriebe keine fremden Hilfskräfte; nur etwa 10 Prozent arbeiten mit fremden Hilfskräften. Wir sind der Auffassung, daß mit Rücksicht auf diese besonderen Verhältnisse die Organe in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sich aus einem Drittel Vertreter der Arbeitnehmer und zwei Drittel Vertreter der Arbeitgeber zusammensetzen.
Ohne bei der heutigen ersten Lesung noch mehr auf die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Versicherungsträger eingehen zu können 1
leider wegen der uns vorgeschriebenen Zeit —, darf ich noch kurz erwähnen, daß wir mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Arndgen hinsichtlich der „Versichertenältesten" und der Stellung der Geschäftsführer weitgehend übereinstimmen. Wir werden die Meinung unserer Fraktion darüber im Ausschuß zu sagen haben.
Darüber hinaus hat meine Fraktion zum Schluß noch ein besonderes Anliegen: das ist, daß der von ihr schon im September gestellte Antrag zur Wiedererrichtung der Bundesanstalt für Angestellte endlich eine Verwirklichung finden möchte. Sie erwartet, daß schon in diesem Gesetz nichts versäumt wird, um die besonderen Belange der Angestelltenversicherung zu verankern. Es erscheint uns weiter unerläßlich, daß schon in diesem Gesetz alle notwendigen Bestimmungen mit eingebaut werden, die dafür sorgen, daß die zersplitterte Rechtseinheit wieder hergestellt wird. Wie die Selbstverwaltung in Bayern und in der französischen Zone nicht anders aussehen kann als in Hamburg, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, so sind wir auch der Auffassung, daß der Antrag, den der Kollege Degener hier gestellt hat und den wir besonders begrüßen — jener Antrag, für den die Fraktion der Deutschen Partei in Bremen schon seit Jahren kämpft —, im Rahmen dieses Gesetzes eine Verwirklichung finden muß, daß nämlich die deutschen Versicherten in Bremerhaven kein anderes Recht haben sollten als etwa in Freiburg im Breisgau.
Wir sind der Auffassung, daß zu dem gleichen Recht der Versicherten auch die freie Entscheidung und das natürliche Recht der Selbstverwaltung gehört, Beiträge und Leistung festzusetzen.
— Dieses natürliche Recht werden auch die Demokraten von links nicht bestreiten und durch keine Gesetzgebung schmälern wollen.
Frau Abgeordnete, meine Ritterlichkeit hat ihre Grenzen.
Ich habe das gehört. Ich glaube, daß mir der Herr Kollege Arndgen die vier Minuten, die er weniger gesprochen hat, sehr gern aus Ritterlichkeit abgibt.
Ich komme nun zum Schluß.
Wenn es uns in der Ausschußarbeit gelingt, mit dem Blick in die Zukunft im Bewußtsein der Sorge und Verantwortung für die Volkskraft und Volksgesundheit und damit für die Sicherheit unserer Versicherten in den Wechselfällen des Lebens eine Selbstverwaltung aufzurichten, in der Menschen mit Herz und Verstand im guten Geist der Selbstverantwortung zu Pionieren verantwortungsbewußter Staatsgesinnung werden, dann haben wir ein tragendes Fundament unserer jungen Demokratie errichtet, ein Fundament, von dem wir hoffen, daß es von der Nordsee bis zu den Bergen gleichermaßen gilt
und daß sich auch in Berlin unsere Freunde der Demokratie sehr bald freiwillig für dieses Fundament entscheiden werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
- Meine Damen und Herren, ich bitte den Herrn Redner anhören zu wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich habe im Namen meiner Freunde zu erklären, daß wir der Regierungsvorlage grundsätzlich zustimmen. Das ist bei uns gar nicht verwunderlich, denn Sie haben von mir von dieser Stelle aus schon gehört, daß wir unbedingt dafür eintreten, daß die Sozialpolitik in die Hände der Beteiligten gelegt wird. Wir müssen eine neue Sozialordnung schaffen, aus der der Staat möglichst herausgelassen wird und in der die Beteiligten, das heißt die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenarbeiten. Ich begrüße vor allen Dingen, daß diese Zusammenarbeit auf dem Boden der Gleichberechtigung zu erfolgen hat. Ich glaube, damit auch den Arbeitern unbedingt ein Recht zuzusprechen, um das sie Jahrzehnte gekämpft haben. Ich freue mich, daß wir endlich soweit sind — nach dem, was bis jetzt geredet worden ist, besteht wohl kein Zweifel darüber —, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit gleichen Rechten an der Sozialversicherung mitarbeiten. Auf der andern Seite ist ein weiterer Grund, der uns zur Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage bewegt, darin zu sehen, daß wir hier die Selbstverwaltung durchführen. Und je mehr die Selbstverwaltung der Beteiligten hier sichergestellt wird, um so besser. Ich will hier nicht ein hohes Lob der Selbstverwaltung singen. Wir wollen vielmehr nur nüchtern feststellen, daß die Selbstverwaltung die einzige Möglichkeit ist, um der Autokratie und der Staatsallgewalt ein Gegengewicht zu geben.
Wir sind also der Meinung, daß die Gleichberechtigung durchgeführt werden muß, die Gleichberechtigung aber auch in den Zahlungen und in der Verwaltung. Auch das ist notwendig. Die Arbeiter wollen ja keine Almosen annehmen, sie wollen kein Geschenk haben — es freut mich, daß diese Entwicklung auch den Ehrbegriff der Arbeiter herausgestellt hat —, sondern sie wollen ein Recht haben. Dieses Recht erwerben sie • sich mit der gleichberechtigten Beteiligung an den Beiträgen, an den Zahlungen.
Diese Gleichberechtigung muß nun überall durchgeführt werden.
Ich bedaure, daß die Gleichberechtigung in dem § 2 — es ist schon darauf hingewiesen worden, ich muß aber nochmals davon sprechen — für die Knappschaftsversicherung nicht gewährleistet ist. E§ sollen zwei Drittel der Vertreter der Versicherten und nur ein Drittel der Vertreter der Arbeitgeber in der Selbstverwaltung der Knappschaftsversicherungen tätig sein. Das liegt nicht im Sinne der Parität. Hier muß genau so gut wie bei den übrigen Versicherungen und Anstalten das Verhältnis von 1 zu 1 gewahrt werden ; die Arbeitgeber müssen dieselben
Rechte wie die Arbeitnehmer haben. Es ist merkwürdig, daß man gerade in der Knappschaftsversicherung den Arbeitgebern weniger Rechte einräumen will als den Arbeitnehmern. Denn wenn die Arbeitgeber — das ist jedem in der Sozialpolitik-Kundigen doch klar — irgendwo sozial gewirkt haben, so ist es in der Knappschaft gewesen. Die Bergwerksvertreter haben die Unfallversicherung und das ganze Unfallwesen im Interesse der Arbeiter in mustergültiger Weise geregelt, sogar allein aus ihrer Tasche.
— Sie werden an dieser Tatsache nicht vorübergehen können. Ich will es mir versagen, hier die früheren Beitragsverhältnisse in den verschiedenen Knappschaftskassen hervorzuheben.
Wir sind also dafür, die Regierungsvorlage in den Auschuß zu verweisen. Wir setzen uns unbedingt dafür ein, daß die Grundzüge der Regierungsvorlage unter Abweisung der Anträge der Sozialdemokratie dort festgelegt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsvorlage trägt die Bezeichnung „Wiederherstellung der Ehrenämter und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung". Ich möchte hier in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen, daß die Regierungsvorlage ihrem Inhalt nach diese Bezeichnung nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung meiner Fraktion nicht verdient.
Sie könnte vielleicht die Bezeichnung haben: Schaffung der Mitbestimmung der Versicherten und der Arbeitgeber in der Sozialversicherung. Das ist nämlich das Problem, ob man die Selbstverwaltung errichtet oder errichten will oder ob man nur die Mitbestimmung auf dem Gebiet der Sozialversicherung will. Sie sind im Unrecht. wenn Sie eine Parallele zwischen den Forderungen der SPD, nach denen die Selbstverwaltung durch die Betroffenen, durch die Versicherten, durch die Mitglieder der Versicherung wahrgenommen werden soll, und denen auf Mitbestimmung der Sozialpartner auf wirtschaftlichem und sonstigem Gebiet herstellen. Insofern stimme ich auch dem Herrn Bundesarbeitsminister Storch richt zu, der auf Grund der Beitragsabführung durch die Arbeitgeber — etwas anderes ist es nicht - die Parität vertritt. Hierzu muß ich in aller Offenheit und in der Öffentlichkeit bemerken, daß die Beiträge nicht immer ordnungsgemäß abgeführt werden. Es ist nicht so, wie der Herr Abgeordnete Leuchtgens glaubte sagen zu müssen, daß die Arbeitgeber aus ihrer Tasche etwas zahlen, sondern es ist leider so, daß sehr oft auch der Arbeitnehmeranteil, der vom Lohn in Abzug gebracht wird, nicht abgeführt wird.
Sehr oft muß ich bei Sitzungen des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt feststellen, daß Beiträge niedergeschlagen werden sollen, da bestimmte Arbeitgeber der Abführungspflicht der Beiträge nicht entsprochen haben.
Ich bin der Meinung, daß man bei der Selbstverwaltung nicht von Parität sprechen kann, daß
man keinen Vergleich mit der Mitbestimmung in der Wirtschaft ziehen kann, sondern daß man die Selbstverwaltung durchführen muß, wenn man ein Gesetz über Selbstverwaltung schaffen will. In diesem Gesetzentwurf ist in § 2 Absatz 3 die Bestimmung enthalten, daß bei den Ersatzkassen in Abweichung von Absatz 1, Buchstabe a nur Versicherte als Mitglieder der Organe gewählt werden. Warum nur bei den Ersatzkassen? Warum nicht auch in den anderen Zweigen, bei den anderen Trägern der Sozialversicherung?
Bei den Ersatzkassen sind rund 1,5 Millionen Versicherte in der Krankenversicherung versichert; bei den Ortskrankenkassen sind rund 10 Millionen Versicherte gegen Krankheit versichert. Daß die Ortskrankenkassen nicht schlecht gewirtschaftet haben, beweist die Statistik, die uns die Verwaltung unterbreitet hat, wonach 1931, also in einer Zeit, in der die Selbstverwaltung bei den Ortskrankenkassen und bei den Ersatzkassen vorhanden war — als das Verhältnis zwei Drittel Versicherten-Vertreter und ein Drittel Arbeitgeber-Vertreter bei den Ortskrankenkassen war und die volle Selbstverwaltung der Mitglieder der Ersatzkassen vorgelegen hat —, die Verwaltungskosten bei den Ortskrankenkassen 8,28 Prozent und bei den Ersatzkassen 14,79 Prozent betrugen.
- Einen Augenblick! Wenn ich das alles vorgelesen habe, dann komme ich darauf. Ich glaube, der Herr Kollege Schäfer hat das Exposé auch bekommen und kann es Ihnen überreichen. Dort finden Sie alle Angaben. Die reinen Ausgaben betrugen — was auch noch interessant sein dürfte — bei den Ortskrankenkassen 88,85 Prozent für Leistungen, 11,5 Prozent für Verwaltungskosten, bei den Ersatzkassen 77,93 Prozent für Leistungen, 22,7 Prozent für Verwaltungsausgaben. Der Durchschnitt in der reichsgesetzlichen Krankenversicherung insgesamt beträgt 82,22 Prozent und 17,78 Prozent. Sie sehen: die Ortskrankenkassen, in deren Organen die Arbeitervertreter zu zwei Dritteln vertreten waren, haben in der Tat nicht schlecht gewirtschaftet, im Gegensatz zu den Ersatzkassen. Sie wollen lediglich den Ersatzkassen die volle Selbstverwaltung geben und wollen in der Krankenversicherung noch hinter das Recht in der Sozialversicherung während der Kaiserzeit zurückgehen, indem Sie nicht zwei Drittel und ein Drittel aufrechterhalten, sondern die sogenannte Parität durchführen wollen mit der Behauptung, die doch nur als Ausrede bezeichnet werden kann, Sie wollten die Wirtschaftsdemokratie oder etwas ähnliches durchführen. Man spricht von Selbstverwaltung und meint — und muß damit auch meinen — die Selbstverantwortung. Wenn wir die Selbstverantwortung der Versicherten innerhalb der Arbeitnehmerschaft und innerhalb der Organisationen wirklich geben wollen, dann können wir gar nichts anderes tun, als ihnen die volle Selbstverwaltung in ihren eigenen ursprünglichen Angelegenheiten zu übertragen.
Frau Kollegin Kalinke und die anderen Herren Vorredner sind, ich darf wohl sagen: wie die Katze um den heißen Brei um die Bestimmungen der Regierungsvorlage über die Ersatzkassen her-
umgegangen. Die Kollegin Kalinke hat von neuer sozialer Ordnung und Parität gesprochen. Auf der anderen Seite hat sie mit dem vollen Brustton der Überzeugung von echter Selbstverwaltung, von genossenschaftlicher Selbsthilfe und dergleichen gesprochen.
Herr Abgeordneter, ich hoffe, Sie wollen die Frau Abgeordnete nicht mit einer Katze vergleichen.
Um Gottes willen, das wird doch von der Kollegin Kalinke oder in diesem Hohen Hause sicherlich nicht so aufgefaßt worden sein.
Ich möchte doch bitten, die Dinge nicht in diesem Sinne zu verstehen.
Es war auch nur ein Scherz.
Nun zur Sache selbst. Wenn Sie in der Krankenversicherung die Parität mit Ihrer Mehrheit hier durchsetzen. dann liefern Sie praktisch den Arbeitgebern den Schlüssel zum Kassenschrank der Krankenversicherung aus.
— Entschuldigen Sie! Ich meine das gar nicht im schlechten Sinne. Gerade bei der Krankenversicherung, wo die Mehrleistungen doch wirklich vorhanden sind, ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Versicherten sowohl über die Einnahmen wie über die Ausgaben selbst zu entscheiden haben. Daß sich das bewährt hat, beweist ja der Fortschritt, der in der Sozialversicherung und insbesondere in der Krankenversicherung hinsichtlich ihrer Leistungen doch schließlich festgestellt werden konnte.
— Auch bei den Betriebskrankenkassen. Das bestreite ich nicht, sehr verehrter Herr Kollege Wellhausen. Gerade die Ortskrankenkassen waren es, die durch die von ihnen durchgeführten sozialen Aufgaben für die Allgemeinheit — Tuberkulosebekämpfung, Einrichtung von Erholungsheimen und derartiges mehr — doch sehr wesentliche Leistungen vollbracht haben. Gerade den großen Apparat der Ortskrankenkassen hat man für die allgemeinen sozialpolitischen Aufgaben eingesetzt und einsetzen müssen, weil kein anderer da war. Dieser Apparat hat sich bewährt. Deshalb darf man diese Aktivität, die in der Selbstverwaltung verankert war, die bei den Versicherten und den Arbeitgebern auf diesem Gebiet zum Ausdruck gekommen ist, nicht unterbinden.
Wenn wir nun im Gegensatz zu unserem Initiativgesetzesantrag, was der . Herr Kollege Wellhausen kritisiert hat, statt der zwei Drittel und ein Drittel die volle Selbstverwaltung, das heißt die Wahrnehmung durch die Vertreter der Versicherten vorgeschlagen haben, so auf Grund der Tatsache, daß Sie selber im Wirtschaftsrat diese Selbstverwaltung für die Ersatzkassen beschlossen haben. Und nach dem Grundsatz: was dem einen recht ist, ist dem andern billig, mußten wir uns auf den Standpunkt stellen, daß durch eine andere Regelung zweierlei Recht geschaffen würde.
Ich möchte Sie dann noch auf einen anderen Fall aufmerksam machen. In Hessen haben die Vertreter der Selbstverwaltung, die dort bereits, und zwar in der Zusammensetzung von einem Drittel Arbeitgebern und zwei Dritteln Arbeitnehmern besteht, beschlossen, in der Krankenversicherung die Beiträge auf 7 Prozent festzulegen, um dadurch Mehrleistungen hervorbringen zu können. Der Arbeitgeberverband in Hessen war es, der gegen diesen Beschluß Einspruch eingelegt hat.
Nun schauen Sie einmal an: wenn diese Organe nun 50 zu 50, also halb und halb zusammengesetzt sind, dann kann ein Beschluß, ein sozialer Fortschritt überhaupt nicht zustande kommen, weil einfach eine Mehrheit dafür nicht zu finden ist.
Das waren also die Argumente, die uns in dieser grundsätzlichen Frage — und das ist das Entscheidende — veranlaßt haben, unseren Initiativgesetzesantrag einzubringen. Verehrter Herr Kollege Wellhausen, wenn Sie von dem schnellen Handeln gesprochen haben, darf ich Sie in aller Freundschaft und mit Rücksicht auf unsere jahrelange Zusammenarbeit doch darauf hinweisen, daß Sie es waren, der, als der Initiativgesetzentwurf der SPD vom November vorigen Jahres vorgelegen hat, die Aussetzung dieser Angelegenheit beantragt hat.
- Nachdem Sie erklärt haben, daß die Angelegenheit sonst von der Mehrheit des Hauses abgesetzt wird. Hätten wir damals die Sache durchlaufen lassen und sie dem Ausschuß überwiesen, wären wir jetzt schon ein Stück weiter. Vielleicht würden wir uns heute in der zweiten und dritten Lesung befinden. Es hätte dann Ihrer Ausführungen in bezug auf die Eilbedürftigkeit gar nicht bedurft.
Ich glaube, nachdem ich diese grundsätzlichen Ausführungen hinsichtlich der wesentlichen Bestimmungen der Regierungsvorlage in bezug auf die Zusammensetzung der Organe gemacht habe, dürfte es sich erübrigen, noch auf weitere einzugehen, mit Ausnahme von zwei Bestimmungen. Das ist der Paragraph über den Inhalt der Satzungen und über die Aufgaben und Befugnisse der Vertreterversammlung. Das fehlt in dem Regierungsentwurf vollständig. Die Bestimmungen über Aufgaben und Befugnisse der Vertreterversammlung sind in der gesamten Sozialversicherung verstreut, und zwar sowohl über die Krankenversicherung wie über die Rentenversicherung, die Unfallversicherung und die Angestelltenversicherung. Niemand oder nur wenige sind in der Lage festzustellen, was heute rechtens ist oder — richtiger gesagt — was 1933 rechtens war. Aus diesen Erwägungen haben wir uns die Mühe gemacht und einen Paragraphen ausgearbeitet, der die Aufgaben und Befugnisse der Vertreterversammlung für die gesamte Sozialversicherung regelt. Damit haben wir kein neues Recht, sondern wir haben damit ein einheitliches Recht für einheitliche Organe in der gesamten Sozialversicherung geschaffen. Ich glaube, daß das ein Fortschritt ist, über den Sie sich auch Gedanken machen und dem Sie im Interesse der Sache, vor allem im Interesse der Tätigkeit der Organe — ganz gleich, wie sie sich zusammensetzen — zustimmen sollten.
Das gleiche trifft für die Satzungen zu. Meiner Ansicht nach müssen Sie, wenn Sie dem Fortschritt und der Fortentwicklung der Sozialversicherung Rechnung tragen wollen, in diesem Gesetz auch über 'die Satzungen, über deren Inhalt etwas sagen. Mit einem derartigen Gesetz über die Selbstverwaltung der Sozialversicherung geben Sie den Tausenden von Arbeitern, in der Unfallversicherung auch dien Arbeitgebern das Handwerkszeug in die Hand, mit dem sie ihre ehrenamtliche und hoffentlich dem gesamten arbeitenden Volk dienende Arbeit durchführen können.
Ich darf den beiden letzten Herren Rednern den Dank dafür aussprechen, daß sie die programmäßig vorgesehene Redezeit nicht hundertprozentig ausgenutzt haben, und erteile nunmehr Herrn Abgeordneten Oskar Müller das Wort.
— Der Dank gilt auch Ihnen, Herr Kollege Arndgen.
Meine Damen und Herren! Die soziale Reaktion hat mit dieser Gesetzesvorlage durch ihre Regierung einen Wechsel vom 14. August vergangenen Jahres vorgelegt, den nunmehr die Arbeiterschaft zu zahlen haben würde, wenn sie nicht entsprechende Gegenmaßnahmen dagegen ergreift. Herr Kollege Richter hat in seinen Ausführungen schon auf die Ziele, die Bedeutung und die Absichten hingewiesen, die diesem Gesetz zugrunde liegen. Ich möchte sie nur in einigen Punkten ergänzen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Tendenz dieser Gesetzesvorlage keine andere sein kann als die Absicht, dem Kampf der Unternehmer gegen eine fortschrittliche Sozialversicherung, vor allen Dingen hinsichtlich ihrer „eigenen" Beitragsleistung - Beitragsleistung in Anführungsstrichen, ich komme noch darauf zu sprechen — wie auch im Hinblick auf die Senkung der Leistungen Vorschub zu leisten.
Ich sprach vom sogenannten Arbeitgeberanteil. Ich werfe die Frage auf, Herr Minister Storch: mit welcher Berechtigung und auf Grund welcher Tatsachen wird in diesem Gesetz die Parität verlangt? Auf Grund welcher Tatsachen denn? Ist es nicht eine Tatsache, daß dieser sogenannte Arbeitgeberanteil nichts anderes ist als e, n dem Arbeitnehmer entzogener Teil, ein ihm enteigneter Teil seines durch seine Arbeitsleistung erzeugten Sozialprodukts und seines Lohnes? Sie haben infolgedessen keinerlei Berechtigung, in diesem Gesetz die Parität zu verlangen. Daraus ergibt sich die logische Schlußfolgerung, daß wir diesem Gesetz in dieser Frage unter keinen Umständen zustimmen werden, da die Zusammensetzung der Organe den Wünschen der Arbeitgeber entsprechend noch rückschrittlicher ist, als sie es bisher schon war.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Kampf um eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung schon seit ihrer Entstehungszeit von der politischen Tendenz diktiert war - ich möchte an die Begründung erinnern,
die damals Bismarck bei der Errichtung der ersten Sozialversicherungsorgane gegeben hat —, aus politischen Gründen einen Damm gegen die aufwärts strebende Arbeiterbewegung zu schiffen. In fortgesetztem Kampf gegen die politische Reaktion wurden bestimmte Verbesserungen durch den Einsatz der Gewerkschaften usw. durchgesetzt. Es bleibt dieser Regierung vorbehalten, nun Schritte rückwärts zu gehen und damit die Rechte, die die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer sich bis dahin erkämpft hatten, wieder rückgängig zu machen. Das ist die eine Frage.
Die Vertreter der Regierungsparteien, gleichgültig, wer es gewesen ist und von welcher Fraktion, haben in ihren Ausführungen dieser Vorlage zugestimmt. Ich glaube auch, daß die Kollegin Frau Kalinke — ich möchte sagen: sie ist „ka Linke", sie gehört bestimmt zur Rechten —
nichts getan hat, um zu verbrämen, daß sie mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf nur das zum Ausdruck gebracht hat, was sowohl Herr Kollege Arndgen wie auch Herr Wellhausen ausgeführt haben.
Ich möchte zu den Ausführungen des Kollegen Arndgen nur eines sagen. Ich nehme keinem übel, wenn er über irgendeine Materie nur wenig Bescheid weiß. Aber wenn Herr Kollege Arndgen glaubt, in Abwehr der Tatsache, daß ein früherer christlicher Gewerkschaftssekretär in einer Front mit dem Direktor und Vorstandsmitglied der MAN in der Verteidigung einer Vorlage steht, die, wie sich hier ganz eindeutig ergeben hat, in der Linie der Unterstützung und der Bewilligung der Forderungen der Reaktionäre liegt, einen Hinweis auf die Entwicklung der Sozialversicherung in der Deutschen Demokratischen Republik machen zu können, dann ist demgegenüber doch die Tatsache festzustellen, daß nicht nur von meinen eigenen Freunden behauptet, sondern auch von anderen Kreisen unumwunden zugegeben worden ist und zugegeben wird, daß in der Deutschen Demokratischen Republik eine Sozialversicherung geschaffen worden ist, die nur als vorbildlich, nicht nur in ihrem Aufbau und in ihrer Gestaltung, sondern auch in ihrer Leistung angesprochen werden kann.
Ich verstehe, daß Sie, Herr Kollege Wellhauser, das ablehnen - —
- Das ist nicht so maßgebend. Maßgebend ist, daß er Vorstandsmitglied und Direktor der MAN ist, der hier in seiner Eigenschaft als Abgeordneter seinen Standpunkt, das heißt den Standpunkt der Unternehmer zu vertreten hat.
Ich bin also der Meinung, wir würden sehr gut daran tun, Bestrebungen zu unterstützen, die in einigen Ländern seit 1945 im Gange gewesen sind, nämlich in der Frage der Gestaltung der Sozialversicherung den Weg zu beschreiten, wie er zum Beispiel in Hessen zumindest in der Verfassung verankert ist — ohne daß er bisher schon realisiert wurde —, nämlich .den Weg der Vereinheitlichung der Sozialversicherung, um auf diese Art und Weise nicht nur die Verwaltungskosten zu senken, nicht nur die Sozialversicherung an die Beteiligten heranzubringen, sondern auch eine wesentliche Steigerung der Leistungen herbeizuführen. Ich bin davon überzeugt, daß die Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien an einer solchen Entwicklung selbstverständlich kein Interesse haben werden.
— Das kann ich mir denken; dafür stehen Sie auch auf der Rechten!
Nach diesen Bemerkungen über die Vorlage, über die wir uns im einzelnen noch im Ausschuß und bei den weiteren Lesungen werden unterhalten müssen, muß ich abschließend sagen: Wir werden alles daransetzen, damit diese Anschläge zurückgewiesen werden! Es wird die Aufgabe sein, besonders draußen in den Betrieben und in den Gewerkschaften gegen diese Versuche Stellung zu nehmen, wie sie in dieser Vorlage zum Ausdruck kommen, den Unternehmern mit Unterstützung dieser reaktionären Regierung weitere Vorteile auf dem Gebiete der Sozialversicherung zu verschaffen. Der Kurs darf nur in einer Richtung genommen werden: eine Sozialversicherung, eine fortschrittliche Sozialversicherung zu gestalten, die es als ihre entscheidende Aufgabe ansieht, ausschließlich den Interessen der Versicherten zu dienen. Eine solche Sozialversicherung und ihre Verwaltung dürfen nur die eine Aufgabe haben: den Kranken, Invaliden usw. das zukommen zu lassen, was sie auf Grund ihrer Arbeitsleistung zu beanspruchen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Fürstenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer schade, wenn das Niveau einer Auseinandersetzung herabgezogen wird.
- Sie haben schon verstanden!
Die Bayernpartei stimmt dem Regierungsentwurf zu.
— Jawohl, die Bayernpartei! Sie stimmt ihm zu, weil er dem Grundsatz Rechnung trägt, daß Rechte und Pflichten koordiniert sein müssen, daß andererseits der Wille zur Verantwortlichkeit überhaupt geweckt werden soll.
Ich möchte aber glauben, daß der Ausschuß sich eingehend mit § 2 Ziffer 1 b zu beschäftigen haben wird, weil nur etwa 10 Prozent der versicherten landwirtschaftlichen Unternehmer mit fremden Hilfskräften arbeiten. Es wird gleichfalls zu besprechen sein, wie eine Trennung von Stadt- und Landkrankenversicherung ermöglicht werden kann.
Insbesondere wird dahin zu wirken sein, daß die Betriebskrankenkassen gefördert werden. Vor mir liegt eine Rundfrage, die die Vereinigung der Arbeitgeberverbände gemacht hat.
— Bitte schön, die Rundfrage ist ja nicht innerhalb der Arbeitgeberverbände gemacht wor-
den, sondern von den Arbeitgeberverbänden gemacht worden, und die Arbeiter haben darauf geantwortet!
Dabei ist nun herausgekommen, daß meist zwischen 90 und 100 Prozent der Stimmberechtigten für die Betriebskrankenkassen waren.
— Aber bitte, wir haben doch hier noch nicht Ihre Methoden! Sie sind zu sehr an Ihre Methoden im Osten gewöhnt! Hier ist das doch nicht üblich!
Außerdem wäre zu untersuchen, ob § 5 nicht in eine Kann-Vorschrift umgeändert werden sollte. Ich möchte das insbesondere in Beantwortung dessen, was der Kollege Richter hier gesagt hat, anregen. Ich glaube nicht, daß die paritätische Besetzung ein Nachteil ist in dem Sinne, wie Sie es sehen. Ich glaube aber, daß bei Stimmengleichheit die Entscheidung doch vielleicht einer Aufsichtsbehörde anstatt dem Vorsitzenden zugesprochen werden müßte, wie es in diesem Falle vorgesehen ist.
Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste erschöpft. Ich schließe die erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 444 und darf wohl das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß der Gesetzentwurf als dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen gilt. — Es ist demgemäß beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung. Ich darf dazu folgendes erläutern. Wir waren uns im Ältestenrat darüber einig — und ich darf annehmen, daß das Haus sich dem Vorschlag des Ältestenrats anschließen wird —, erstens über Punkt 3 und 4 gemeinsam Bericht erstatten zu lassen und zweitens für diese beiden Punkte die Gesamtredezeit auf 60 Minuten festzulegen. Darf ich die Zustimmung des Hauses zu diesem Vorschlag des Ältestenrats, vor allem hinsichtlich der Gesamtredezeit von 60 Minuten für die Punkte 3 und 4 in aller Form f est-stellen? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Dann rufe ich zunächst auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge über den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Ilk, Dr. Schäfer und Genossen betreffend Familienunterstützung ehemaliger Kriegsgefangener und Internierter und über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Rückerstattungspflicht von Fürsorgeaufwendungen .
Als Berichterstatterin hat Frau Abgeordnete Niggemeyer das Wort.
Frau Niggemeyer , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge hat sich in seiner Sitzung vom 19. Januar mit zwei Anträgen befaßt, dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Ilk, Dr. Schäfer und Genossen Drucksache Nr. 202 und dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 329. Der Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Ilk, Dr. Schäfer und Genossen lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundsregierung wolle bei den Länderregierungen veranlassen, baldmöglichst eine Regelung herbeizuführen, durch welche die aus Kriegsgefangenschaft und Internierung Zurückkehrenden von der Verpflichtung befreit werden, die ihren Familien gewährten Unterstützungsbeträge zurückzuzahlen.
Dieser Antrag Drucksache Nr. 202 ist, materiell gesehen, mit einbegriffen in dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 329. Dieser Antrag bezieht die Personengruppe des erstgenannten Antrags mit ein, geht aber in bezug auf den Personenkreis weiter und wünscht von der Rückerstattungspflicht zu befreien: erstens politisch, rassisch und religiös Verfolgte, zweitens ehemalige Kriegsgefangene und drittens Vertriebene und Bombengeschädigte. Er geht über den Antrag Drucksache Nr. 202 auch dadurch hinaus, daß er es in seiner Zielsetzung nicht bei einer Anregung an die Länderregierungen bewenden lassen will, die ja keine gesetzliche Bindung bedeuten würde. Vielmehr ersucht er die Bundesregierung, dem Bundestag baldmöglichst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der die Rückerstattungspflicht der eben genannten Personenkreise einheitlich regelt.
Der Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge war einstimmig der Meinung, daß dem Antrag Drucksache Nr. 329 Rechnung getragen und nach einem Weg gesucht werden sollte, die genannten Personengruppen von der Rückerstattungspflicht für Fürsorgeaufwendungen zu befreien. Er sah die Gegebenheit, sich diesem Antrag anzuschließen, darin, daß der Personenkreis, der in dem Antrag Drucksache Nr. 329 erfaßt wird, nicht durch eigenes Verschulden in eine Notlage geraten ist, und weiter darin, daß der einzelne nicht nur persönlich Leid und Not der Gefangenschaft und Krankheit erduldet hat, sondern daß durch sein Erleiden auch seine Familie in eine soziale Notlage hineingeraten ist, nicht selbstverschuldet,, sondern herbeigeführt durch ein System, an dessen Folgen wir alle noch tragen —das nationalsozialistische System —, durch die Katastrophe des verlorenen Krieges, dessen Lasten wir ja auch alle zu tragen haben. So waren wir uns darin einig, nach dem Weg zu suchen, der eine gesetzliche Regelung hier vorbereiten und schaffen könne. Wir wollten es nicht bei einer Empfehlung an die Länder bewenden lassen.
Es war auch im Ausschuß kein klares Bild darüber zu erhalten, wie die Praxis in den einzelnen Ländern bisher gehandhabt wurde. Es ist nicht so, als wenn nicht schon in einigen Ländern weitgehend Rücksicht auf die Kriegsgefangenen genommen würde, wenn sie etwa aus langjähriger Haft zurückgekommen sind und zunächst einmal ihre Krankheit überwinden und um ihre Existenz ringen müssen, daß sie dann noch mit der Hypothek der Zurückzahlung empfangener Wohlfahrtsunterstützung belastet werden. Wir waren, uns aber auch klar darüber — das ergab
die Aussprache über die Handhabung in den einzelnen Ländern —, daß wir es nicht etwa dem Ermessen des Leiters eines Wohlfahrtsamtes oder des Landesbezirksfürsorgeamtes überlassen könnten, hier von sich aus zu entscheiden, ob im Einzelfall auf die Rückzahlung verzichtet werden soll. Der Ausschuß sah die Schaffung einer gesetzlichen Möglichkeit für die drei genannten Personengruppen, von der Rückzahlung empfangener Wohlfahrtsunterstützung befreit zu werden, in einer Änderung des § 25 der Fürsorgepflichtverordnung, jenes Paragraphen, der einmal die Rückzahlungspflicht vorsieht, aber andererseits auch die Ausnahmen behandelt, nach denen von einer Rückzahlung abgesehen wird.
So kam der Ausschuß einstimmig zu dem, Beschluß, den er Ihnen jetzt vorlegt, und er bittet darum, daß sich das gesamte Haus diesem Beschluß anschließen möge. Der Beschluß des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Rückerstattungspflicht von Fürsorgeaufwendungen gemäß § 25 der Reichsfürsorgepflichtverordnung innerhalb des Bundesgebietes für folgende Gruppen einheitlich regelt:
1. politisch, rassisch und religiös Verfolgte,
2. ehemalige Kriegsgefangene,
3. Vertriebene und Bombengeschädigte. Bis zum Erlaß dieses Gesetzes sind die Länderregierungen zu ersuchen, die Rückerstattung der Fürsorgeaufwendungen für die genannten Gruppen auszusetzen.
Ich bitte das Hohe Haus noch einmal. sich dem Beschluß des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge anzuschließen.
Ich danke der Frau Berichterstatterin für ihre Ausführungen.
Ich erteile zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Auswirkungen der Leistungssteigerungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes .
Herrn Abgeordneten Fischer als Berichterstatter das Wort.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag Nr. 106 der kommunistischen Fraktion lag einer gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik und des Ausschusses für öffentliche Fürsorge zur Beratung vor. Der Antrag ist am 14. Oktober 1949 gestellt worden. Der sozialpolitische Ausschuß hat 'ebenfalls in seiner Sitzung im Oktober beschlossen, diese gemeinsame Sitzung einzuberufen, um dort den Antrag zu beraten.
Das Problem selbst dürfte eigentlich jedem Abgeordneten genügend bekannt sein, weil es nach meinen Erfahrungen nach Erlaß des Sozialverversicherungsanpassungsgesetzes doch wohl in allen Gemeinden und Länderparlamenten eine große Rolle gespielt hat. Nach weitverbreiteten
Auffassungen in den Bezirksfürsorgeverbänden und selbst in den Länderministerien war dabei nach der Reichsfürsorgepflichtverordnung jegliches Einkommen auf die Fürsorgeunterstützung anzurechnen, und daraus ergab sich eine Serie von sehr großen sozialen Härten. Insbesondere die Organisationen der Rentner haben nach wie vor immer wieder den Standpunkt vertreten, daß dem nicht so sein könne und daß deshalb gesetzliche Maßnahmen beraten und beschlossen werden müßten, um diese sozialen Härten auszuschalten. Insbesondere muß — und das brachten in dieser gemeinsamen Sitzung die verschiedensten Redner auch zum Ausdruck die berechtigte Anschauung der Rentnerkreise berücksichtigt werden, daß durch die Handhabung der Anrechnung der erhöhten Renten bei den Fürsorgeämtern eine Hand nehme, was die andere gegeben hätte. Insbesondere aber standen sich in vielen Grenzfällen die Rentner trotz der erhöhten Renten als Fürsorgeunterstützungsempfänger faktisch dadurch schlechter, daß von vornherein bei ihnen die sogenannten Sonderbeihilfen wie Brennstoff- und Kartoffelbeihilfen eingestellt wurden. Insofern erkannte auch der Ausschuß den Antrag der Kommunistischen Partei als von allgemeiner Bedeutung an. Er kann jedoch zu dem Ergebnis, daß der Antrag in dieser Form nicht passieren könne, weil er für die Durchführung etwaiger geeigneter Maßnahmen nicht klar genug gehalten war. Der Ausschuß war sich insbesondere darüber einig, daß eine Reihe von sozialen Härten zu beseitigen sei und eine geeignete Form hierfür gefunden werden müßte. Es wurde insbesondere betont, daß durch das Sozialversicherungsanpassungsgesetz — durch die Rentenerhöhung — eine Anpassung an das veränderte Lohn- und Preisgefüge erreicht werden sollte, wobei gleichzeitig allerdings auch eine Entlastung der öffentlichen Fürsorge beabsichtigt war.
Ebenso stimmten sämtliche Vertreter im Ausschuß darin überein, daß die erhöhten Rentensätze ebenfalls noch nicht den unbedingten Lebensnotwendigkeiten entsprechen; um so mehr Grund läge vor, um — dem Antrag entsprechend — auf Abhilfe zu sinnen. Es ist auch betont worden, daß bereits der Wirtschaftsrat bei Erlaß des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes den Ländern empfohlen hat, nicht die gesamte Erhöhung anzurechnen. Insbesondere aber auch verdient die Tatsache Beachtung, daß der Einwand nicht anerkannt werden könne, wonach man durch eine sogenannte Sonderregelung für Rentner im Fürsorgewesen etwa zwei Gruppen oder zwei Klassen schaffen würde, weil- man ja nicht verkennen darf, daß der Rentenempfänger für seine Rente im Gegensatz zum Fürsorgeunterstützungsempfänger sein Leben lang Beiträge in die Invaliden- oder Angestelltenversicherung gezahlt hat.
Wie sehr verschiedenartig insbesondere nach Erlaß des Gesetzes für Sozialrentenanpassung diese Angelegenheit behandelt worden ist, das zeigt ein Bericht des Regierungsvertreters in der genannten Sitzung, wonach hinsichtlich der personellen und finanziellen Auswirkungen auf die Fürsorgeleistungen seitens des Innenministeriums eine Anfrage an die einzelnen Länder ergangen sei, deren Beantwortung nur in ganz wenigen Fällen eine klare statistische Übersicht ermöglicht, insbesondere sei das nur möglich bei Bre-
men, Hamburg, Schleswig-Holstein und Württemberg-Hohenzollern. In einigen Berichtsländern würde eine Anrechnung der Rentenerhöhung erfolgen, in anderen würde generell davon Abstand genommen, während wieder andere Länder in Anlehnung an das Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom Jahre 1941 dazu übergegangen seien, bestimmte Beträge außer Ansatz zu lassen.
Diese verschiedenartige Handhabung hat den Ausschuß veranlaßt, eine Koordinierung dieser unbedingt notwendigen Maßnahmen vorzuschlagen, und es kam unter anderem von Herrn Abgeordneten Degener von der CDU der Vorschlag, eine bestimmte Summe als sogenannten Freibetrag festzusetzen, der dann allgemeingültig im gesamten Bundesgebiet zur Anwendung gebracht werden könnte. In der Diskussion ist man allerdings zu der Auffassung gekommen, daß durch die Nennung eines bestimmten Betrages neuerdings irgendwelche Schwierigkeiten und Härten entstehen könnten und daß doch ein anderer Weg vielleicht noch geeigneter wäre, diese Schwierigkeiten zu beseitigen, um so mehr, als es in den verschiedenen Ländern, ja in den verschiedenen Kreisen verschiedenartige Fürsorgerichtsätze gibt. Ich habe von mir aus damals den Vorschlag gemacht, doch von den Fürsorgerichtsätzen auszugehen: also ein bestimmter über den Fürsorgerichtsätzen liegender Hundertsatz möge gewissermaßen freigelassen werden, und erst diese Summe übersteigende Rentenbeträge könnten dann für die Fürsorgeunterstützung nicht mehr in Frage kommen. Der Ausschuß schloß sich diesem Vorschlag in der Meinung an, daß dadurch auch lokale bzw. regionale Gesichtspunkte genügend berücksichtigt seien. Es ist zweifellos bei einer solchen Beschlußfassung auch zu beachten, daß das für die Fürsorgeämter eine wesentliche Vereinfachung der Neufestsetzung von Unterstützungssätzen darstellt, ohne daß der Begünstigte selbst dabei etwa irgendeinen Nachteil hat.
Ich glaube, es darf auch in diesem Zusammenhang betont werden, daß der Ausschuß in dieser Frage zweifellos von Einmütigkeit getragen war und daß die Vertreterin der kommunistischen Fraktion sich auf Grund des gefaßten Beschlusses mit der Erklärung des kommunistischen Antrages als „erledigt" einverstanden erklärt hat.
Der Ausschuß hat also folgenden Beschluß gefaßt:
Der Bundestag wolle beschließen,
1. die Bundesregierung zu ersuchen, alsbald dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, nach dem ein Hundertsatz der jeweiligen Fürsorgebeträge nicht angerechnet werden soll für die Empfänger von Leistungen aus der Sozialversicherung,
2. den Antrag der Fraktion der KPD — Nr. 106 der Drucksachen — als erledigt anzusehen.
Ich glaube, ich darf zum Schluß auf Wunsch des Ausschusses noch die Bitte anfügen, daß die Regierung, falls Sie diesen Antrag annehmen, dann auch entsprechend den großen Schwierigkeiten in Rentnerkreisen einen wirklich angemessenen Hundertsatz festlegen wird, der nach diesem Beschluß anrechnungsfrei bleiben soll. Ich bitte um Annahme des Ausschußantrages.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und eröffne die gemeinsame Aussprache über die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung, Drucksachen Nr. 416 und 453.
Ich möchte nur der Ordnung halber darauf hinweisen, daß eine Redezeit von 60 Minuten in der bekannten Reihenfolge der Fraktionen 12, 12, 8, 8, 5, 5, 5 und 3 Minuten bedeutet.
Als erster hat sich der Herr Abgeordnete Renner zum Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen das Ergebnis der Beratungen in den beiden Ausschüssen, obwohl wir gegen die Formulierung, die der Ausschuß unserem Antrag auf Drucksache Nr. 106 gegeben hat, gewisse Bedenken haben. Wir sind der Auffassung, daß das Problem nicht in der Form gelöst werden kann, daß man die alte „Gehobene Fürsorge" wieder einführt. Wir Kommunisten sind in dieser Auffassung nicht allein; denn bis in die Rechtskreise der auf dem sozialen Gebiet tätigen Personen und Organisationen besteht die Ansicht, daß durch die Schaffung einer gehobenen Fürsorge, an der nur ein bestimmter Teil von Fürsorgeberechtigten partizipieren würde, eine gewisse Generalisierung der Wohlfahrtsleistungen eintreten würde, wogegen man sich zu wenden habe. Ich stehe also mit meinem Urteil gegen die Wiedereinführung der gehobenen Fürsorge nicht allein. Ich bin mir allerdings darüber klar, daß die Regelung des Tatbestandes, den wir mit unserem Antrag angeschnitten haben, nicht leicht ist.
Ich bin folgender Überzeugung. Das Problem der Außerachtlassung eines gewissen Teils der Renten oder der Eigentumserträgnisse bei der Berechnung zur Feststellung der Bedürftigkeit nach den Prinzipien der allgemeinen Wohlfahrtspflege kann man nur auf der Basis lösen, daß man die Fürsorgepflichtverordnung, die die derzeitige Rechtsbasis der gesamten öffentlichen Wohlfahrtspflege ist, grundsätzlich ändert. Man sollte den neuen sozialen Begriffen, wie sie sich im Laufe der Jahre nach dem Zustandekommen der Fürsorgepflichtverordnung herausgebildet haben, und auch der allgemeinen sozialen Lage, wie sie nicht zuletzt der Krieg bedingt hat, Rechnung tragen. Unter diesen Gesichtspunkten sollte man an eine Neuregelung der Rückerstattungspflicht und an eine Neuregelung der Unterhaltspflicht herangehen. Wenn man das .Problem auf dieser Basis anpackt, kann man eine Regelung im Sinne des Ausschußbeschlusses erreichen, ohne zum Prinzip der gehobenen Fürsorge zurückzukehren.
Entschuldigen Sie, wenn ich mich für verpflichtet gehalten habe, auf diesen Tatbestand hinzuweisen. Wir begrüßen den Beschluß des Ausschusses insofern schon, als er wenigstens mit der Praxis Schluß macht, die sich herausgebildet hat, daß nämlich die Gemeinden die Leistungsverbesserungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes dazu benutzt haben, um Rieseneinsparungen zu machen, daß also die eine Hand wieder weggenommen hat, was die andere gegeben hatte, daß das Sozialversicherungsanpassungsgesetz in der Tat eigentlich nur eine Verschiebung der Lastenträger bedeutete. Insofern begrüßen wir, wie gesagt, den Beschluß
des Ausschusses, bitten aber doch darum, noch einmal den Gedanken zu erwägen, ob nicht das, was von uns allen gewünscht wird, besser durch eine grundsätzliche Änderung der Prinzipien der Fürsorgepflichtverordnung als dadurch zu erreichen ist, daß wir zu dem meines Erachtens längst überholten Prinzip der sogenannten gehobenen Fürsorge zurückkehren.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Meine Herren, ich glaube, daß ich meinen
Appell von vorhin nicht zu wiederholen brauche.
- Bitte, Frau Abgeordnete!
Meine Damen und Herren! Es ist allgemein bekannt, daß zu den wirtschaftlich Bedürftigsten in unserem Volk die Empfänger von Renten aus der Sozialversicherung gehören. Es sind dies überwiegend Männer und Frauen, die ein Leben lang gearbeitet haben; die Männer zum größten Teil in der Wirtschaft, und die Frauen haben, wenn sie nicht direkt einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind, die volkswirtschaftlich wichtige Tätigkeit der Hausfrau und Mutter ausgeübt. Die einzige wirtschaftliche Sicherung dieser werktätigen Menschen in unseren Tagen für ihr Alter und für die Fälle einer eventuellen Invalidität ist die Sozialversicherung. Nur bei allergrößter Sparsamkeit konnte sich ein Arbeiter in den vergangenen Jahren Ersparnisse zurücklegen, um vor den Wechselfällen des Schicksals einigermaßen gesichert zu sein. Diese Ersparnisse, die wirklich erarbeitet waren, sind durch die Währungsreform völlig vernichtet worden. So kam es, daß viele Menschen, die geglaubt haben, in ihrem Alter nicht auf fremde wirtschaftliche Hilfe angewiesen zu sein, sich nach der Währungsreform gezwungen sahen, Fürsorgeunterstützung zu beantragen, weil die Renten der Sozialversicherung allein nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts ausgereicht haben. Oder sie haben aus Scheu vor fremder Hilfe ein Leben geführt, das weit unter dem lag, was wir normalerweise zum Existenzminimum benötigen. Vor dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes lagen die monatlichen Witwen- und Invalidenrenten etwa zwischen 18 und 70 Mark. Das sind Beträge, mit denen weder eine alleinstehende Person noch ein altes Ehepaar das Leben fristen konnten. Durch die Steigerung der Lebenshaltungskosten ist nach der Währungsreform die Erhöhung der Renten eine zwingende und allgemein anerkannte Notwendigkeit geworden.
Der Herr Bundesarbeitsminister Storch hob in der 35. Vollversammlung des Wirtschaftsrates hervor, daß mit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz die allergrößten Notstände beseitigt werden sollen. Aus den diesbezüglichen Diskussionen des Wirtschaftsrates ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Rentenerhöhungen den Rentnern zugute kommen sollten. Es ist deshalb eigenartig, daß nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes von verschiedenen Ländern Einsparungen des Fürsorgehaushalts durch die Rentenerhöhung vorgenommen wurden, und zwar durch eine entsprechende Kürzung der Fürsorgeleistung an die Sozialrentner. Wer die Situation unserer
Rentner kennt, weiß, welch wirtschaftliche Verbesserungen ihnen die Rentenerhöhung gebracht hat; denn bei einem so kleinen Einkommen, wie es die Rentner haben, sind geringe Beträge schon äußerst wertvoll. Als dann aber bekannt wurde, daß die Armsten unter den Witwen- und Invalidenrentnern, nämlich jene, die zusätzlich auf Fürsorgeleistungen angewiesen waren, nicht in den Genuß der Rentenerhöhung kommen sollten, weil die Wohlfahrtsämter entsprechend den geltenden Richtsätzen den erhöhten Rentenbetrag von den Fürsorgeunterstützungen in Abzug brachten, war die Enttäuschung unter den Betroffenen maßlos. Sie fühlten sich betrogen. Damit wurden ausgerechnet den Bedürftigsten die Leistungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht zuteil.
Die Auffassung von dem Sinn der Rentenerhöhung und die Art und Weise der Anrechnung war in den Ländern sehr verschiedenartig. In einigen Ländern wurden die Rentenerhöhungen bei der Gewährung der Fürsorgeleistungen voll in Anrechnung gebracht. In anderen Ländern erfolgte eine teilweise Anrechnung, der auch wieder Verschiedenartigkeiten gefolgt sind, die in den verschiedensten Richtsatzhöhen bedingt waren; denn wir haben in den Ländern nicht überall die gleichen Richtsätze, sondern sie bewegen sich beispielsweise für den Haushaltungsvorstand in der Höhe von 29 bis 43 D-Mark. In einem Land erfolgte allerdings auf Grund eines Landtagsbeschlusses keine Anrechnung der Rentenerhöhung.
Bei den Leistungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes geht es um die Sicherung der Lebenshaltung der Rentenempfänger. Wenn Menschen ein Leben lang gearbeitet haben und im Alter geschützt sein sollen, dann ist es die sittliche Verpflichtung .des Staates, daß ihr Existenzminimum gesichert wird. Es geht deshalb nicht an, daß Rentenerhöhungen, die den Rentenempfängern zugedacht sind, benutzt werden, um die Fürsorgelasten der Länder und Gemeinden zu senken. Bei den bereits erwähnten verschiedenen Regelungen in den Ländern ist es erforderlich, daß der Bund für eine einheitliche Regelung der Rentengewährung sorgt.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei begrüßt deshalb den Vorschlag des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge, der Ihnen in der Drucksache Nr. 453 vorliegt. Die sozialdemokratische Fraktion verlangt aber in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung, daß von ihr auch alles getan wird, um zu einem einheitlichen Fürsorgerichtsatz zu kommen, der den Preisverhältnissen Rechnung trägt und der eine unterschiedliche Gruppenfürsorge vermeidet.
Die Drucksachen Nr. 202, 329 und 416 behandeln die Rückerstattung von Fürsorgeaufwendungen. Sie nehmen auf den § 25 der Reichsfürsorgepflichtverordnung Bezug. Darin wird bestimmt, daß ein Hilfsbedürftiger, wenn er zu hinreichendem Vermögen oder Einkommen gelangt, dem Fürsorgeverband die aufgewendeten Kosten zu ersetzen hat. Im Dritten Reich, im Krieg und durch die Kriegsfolgen wurden Hilfsbedürftigengruppen geschaffen, die gegenüber früher in völlig veränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen leben müssen und deren finanzielle Existenzbasis vernichtet worden ist. Es handelt sich hierbei be-
sonders um die politisch, rassisch und religiös Verfolgten, um die Vertriebenen, um die Bombengeschädigten, um die Angehörigen ehemaliger Kriegsgefangenen und um die Heimkehrer selber. Diese Hilfsbedürftigen waren und sind auch heute noch auf die öffentliche Fürsorge angewiesen. Es hieße ihnen ihre Lebensmöglichkeiten und ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten ungeheuer erschweren, wenn eine Rückzahlung der geleisteten Unterstützungen gefordert würde. Wer als Heimkehrer oder als Vertriebener schon alles verloren hat, ist kaum in der Lage, sich den nötigsten Hausrat anzuschaffen, geschweige denn die bezogene Unterstützung zurückzuzahlen. Es wäre auch als eine besondere Härte anzusehen, wenn ein entlassener Kriegsgefangener, der durch die lange Gefangenschaft schwer geschädigt ist, für seine Unterstützung aufkommen müßte. Bei all diesen Hilfsbedürftigen kann es nicht darum gehen, daß sie persönlich für die entstandenen Fürsorgeleistungen aufkommen müssen, sondern hier liegt eine Verpflichtung des ganzen Volkes vor, die Lasten gemeinsam zu tragen.
Die Fraktion der SPD stimmt dem Bericht des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge, der Ihnen in der Drucksache Nr. 416 vorliegt, zu. Die Sozialdemokratische Partei hofft aber, daß die Bundesregierung bei der Abfassung des entsprechenden Gesetzentwurfs der besonderen Notlage und den berechtigten Ansprüchen der Verfolgten, der ehemaligen Kriegsgefangenen, der Vertriebenen und der Bombengeschädigten weitestgehend Rechnung trägt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Meine verehrten Damen und Herren! Die beiden Anträge, die hier gestellt worden sind, betreffen Schwierigkeiten, mit denen die öffentliche Fürsorge bereits seit Jahrzehnten zu kämpfen hat. Der Grund liegt darin, daß sowohl bei der Rückerstattungspflicht wie bei der Anrechnung der verschiedenen Einkommen die Reichsfürsorgepflichtverordnung, die Reichsgrundsätze und das Fürsorgeprinzip überhaupt von der individuellen Hilfsbedürftigkeit ausgehen. Diese individuelle Hilfsbedürftigkeit ist immer wieder durch die Katastrophen in Frage gestellt worden, in welche wir hineingeraten sind. Wir haben immer allgemeine Notstände erlebt, für die der einzelne nicht verantwortlich war und von denen er allein für seine Person nicht betroffen wurde. Die Hilfsbedürftigkeit ist als eine Massenerscheinung aufgetreten. Sie hat vor allem immer viel länger gedauert als die Hilfsbedürftigkeit, die sonst individuell hervorgetreten ist.
Darin sind nun die Schwierigkeiten begründet, die heute hervorgehoben worden sind. Man hat sich früher mit Runderlassen an die Länder und an die Fürsorgeverbände begnügt. Ich gebe aber zu, daß hier eine Sonderregelung getroffen werden muß. Die Gruppen, die hier in Frage kommen, müssen so herausgehoben werden, daß sie vollkommen berücksichtigt werden. Sie müssen der Rückerstattungspflicht enthoben werden. Sie Sind dieser Rückerstattungspflicht auch gar nicht fähig. Die Fälle, in denen ein Verfolgter, ein Kriegsgefangener, ein Bombengeschädigter in gute Verhältnisse kommt, die es ihm erlauben oder ihm die Verpflichtung auferlegen, Erstattung zu leisten, sind außerordentlich selten. Deshalb können wir dem Antrage ohne weiteres zustimmen.
Schwierig ist ja die Frage der Anrechnung von anderem Einkommen, insbesondere von Sozialrenten nach der Fürsorgepflichtverordnung. Diese Anrechnung ist nicht etwa aus fiskalischen Gründen zum Zweck von Einsparungen der Länder und der Ausgaben der Fürsorgeverbände erfolgt, sondern sie ist in den Grundsätzen der öffentlichen Fürsorge, ist in den Grundsätzen, die Art und Maß der öffentlichen Fürsorge betreffen, begründet. Aber es ist gar kein Zweifel, daß auch hier Schwierigkeiten vorliegen, Schwierigkeiten, die in der Zeitlage begründet sind.
Deshalb stimmen wir auch diesem Antrage zu, insbesondere weil für die Sozialrentner die gehobene Fürsorge ja weitgehend aufgehoben worden ist, vor allem in der amerikanischen Zone durch das Eingreifen der Militärregierung. Aber ich möchte davor warnen, daß wir diese Sonderregelung zum Anlaß nehmen, die öffentliche Fürsorge zu schematisieren und in eine Vollzugsverwaltung umzuwandeln.
Es ist davon gesprochen worden, einheitliche Fürsorgerichtsätze festzulegen. Das ist eine Angelegenheit, die schon den Reichstag vor 1933 beschäftigt hat. Es hat sich immer wieder gezeigt, daß derartige einheitliche Richtsätze für den ganzen Bereich des damaligen Deutschen Reiches und heute für den Bereich des Bundesgebiets sich einfach wegen der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gar nicht durchführen lassen. Wenn man die Zusammenstellung der Fürsorgerichtsätze in den einzelnen Fürsorgebezirken verglichen hat, dann hat man immer wieder festgestellt, daß sie doch im allgemeinen den örtlichen, den regionalen Verhältnissen richtig angepaßt worden sind. Die Schematisierung der öffentlichen Fürsorge würde sie an dem Kern und an dem Geist ihrer Aufgabe treffen. Aber solange wir diese Massenerscheinungen haben, die jede individuell bedingte Fürsorge erschweren, solange werden wir wohl diese Sonderregelung beibehalten müssen. Aus diesem Grunde stimmen wir ohne Aufgabe des Grundsatzes der individuellen Fürsorge diesen Anträgen zu.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Meine Herren und Damen! Zu ,dem Antrag, den Sie auf Drucksache Nr. 202 vor sich haben, kam ich durch meine Tätigkeit bei dem bayerischen Roten Kreuz. Immer und immer wieder kamen Heimkehrer, die sich darüber beklagten, daß sie, nachdem sie nun nach vielen Jahren wieder einmal in den Arbeitsprozeß eingereiht worden seien, verpflichtet wurden, die Fürsorgegelder, die ihre Familien in ihrer Abwesenheit bekommen hätten, zurückzuzahlen. Das erschien auch mir als eine große Härte. Nachdem ich festgestellt hatte, daß eine einheitliche Regelung für das Bundesgebiet in diesem Punkte nicht getroffen worden war, habe ich mich zu diesem Antrage entschlossen,
a Von seiten der SPD wurde dann der Antrag auf die Personengruppen erweitert, die in dem nächsten Antrag Nr. 329 formuliert sind, und zwar auf die politisch und rassisch Verfolgten und auf die Vertriebenen und Bombengeschädigten. Alle diese Personengruppen sind besonders zu berücksichtigen; denn sie haben es ja ganz besonders schwer, ihre Existenz neu aufzubauen, und eine neue Belastung würde für sie eine große Härte bedeuten.
Man kann die Anträge um so mehr unterstützen, als besondere Geldmittel für die Durchführung nicht notwendig sind. Die Beträge sind bereits ausgegeben. Man stelle sich nur vor, die Leute hätten jetzt keine Arbeit. Dann müßte der Staat diese Mittel ja auch entbehren. Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, daß man diesen Menschen die Rückerstattungspflicht erläßt.
Der Antrag, der von dem Ausschuß für öffentliche Fürsorge formuliert wurde und der nun eine einheitliche Lösung für das Bundesgebiet herbeiführen soll, wird auch von der Fraktion der Freien Demokraten unterstützt. Des weiteren wird die Fraktion der Freien Demokraten den Antrag auf Drucksache Nr. 453 unterstützen, da auch wir der Ansicht sind, daß ein Hundertsatz der jeweiligen Fürsorgebeträge nicht angerechnet werden soll, wenn ein Rentenempfänger Leistungen aus der Sozialversicherung erhält.
Die Rednerliste ist erschöpft.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrages auf Drucksache Nr. 416 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen dann zur nächsten Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrages auf Drucksache Nr. 453 ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Wir kommen dann zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Wiederherstellung der deutschen Fischerei-Hoheit .
Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft hat sich in einer Sitzung mit dem Antrag Nr. 349 der Deutschen Partei beschäftigt. Das Beratungsergebnis liegt Ihnen heute auf Nr. 449 der Drucksachen vor. Das Hohe Haus wird darin ersucht, der Bundesregierung vorzuschlagen, bei den Hohen Kommissaren die Wiederherstellung der deutschen Fischereihoheit im gesamten Bundesgebiet zu erwirken. Im Ausschuß waren sich alle Vertreter nach einer kurzen Begründung über ihren Standpunkt hinsichtlich dieses Antrags einig. Ich kann mich darum heute wohl auf eine ebenso kurze Begründung beschränken.
Durch die Verordnung der Militärregierung Nr. 190 werden alle deutschen Binnengewässer beschlagnahmt. Dadurch wird den deutschen Pächtern die Ausübung der Fischerei untersagt. Auf der andern Seite sind aber die deutschen Pächter weiter verpflichtet, die Pacht zu bezahlen und die Gewässer in Ordnung zu halten. Ferner geht es auf ihre Kosten, wenn der Besatz erneuert werden soll. Verständlich ist, daß infolge des Verbots der Fischerei das Interesse für die Erhaltung der Gewässer zurückgeht. Man sieht schon, daß sich die deutschen Gewässer in zunehmendem Maß in ihrer Qualität hinsichtlich ihres Fischereiwertes verschlechtern.
Die Beschlagnahme ist erfolgt, um den Angehörigen der Besatzungsmacht die Ausübung des Fischereisports aus Gründen der Erholung zu ermöglichen. Diese Möglichkeit ist ihnen aber auch durchaus ohne die Beschlagnahme der deutschen Binnengewässer gegeben. Die deutschen Sportfischer zeigen sich durchaus bereit und haben Verständnis dafür, daß auch den Angehörigen der Besatzungsmächte die Möglichkeit der Erholung durch die Ausübung des Anglersports gegeben sein muß. Sie sind daher bereit, die ausländischen Sportkameraden jederzeit als Gäste an deutschen Binnengewässern zu begrüßen und ihnen zwecks Ausübung ihres Sports die erforderlichen Gastkarten gegen Zahlung der gleichen Gebühren, wie sie von deutschen Gästen erhoben werden, zu geben. Darüber hinaus wären die deutschen Fischereisportvereine auch bereit, die ausländischen Sportkameraden als Mitglieder in ihre Reihen aufzunehmen. Die Beibehaltung des jetzigen Zustandes würde aber den Wert der deutschen Gewässer wegen des Rückgangs der Pflege heruntersetzen.
Es kommt hinzu, daß der deutsche Fischereisport in den Binnengewässern auch eine gewisse volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Es ist ein Pachtaufkommen von etwa 1 200 000 Mark im Jahre zu verzeichnen. Außerdem nimmt der Staat 300 000 Mark im Jahre für die Ausgabe der Fischereischeine ein. Aber noch größer als die volkswirtschaftliche Bedeutung ist die ethische Bedeutung des Anglersports. Der Arbeiter und der Angestellte suchen nach der Arbeit des Tages Erholung im Anglersport, die ihm aber jetzt durch die Beschlagnahme der deutschen Binnengewässer unmöglich gemacht wird. Der Ausfall dieser Erholungsmöglichkeit würde damit unseres Erachtens schwerer wiegen, als der volkswirtschaftliche Ausfall es tun würde.
Um nun einen weiteren Rückgang des Fischereisports zu verhindern und einer Entwicklung in dieser Richtung vorzubeugen, wird um Annahme eines Antrags gebeten, nach welchem die Regierung von dem Hohen Hause ersucht wird, auf die Hohen Kommissare dahingehend einzuwirken, daß die deutsche Fischereihoheit wiederhergestellt wird. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 449.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine kurze Bemerkung zum geschäftsordnungsmäßigen Verfahren machen. Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1949 festgelegt, daß bei der Berichterstattung im Plenum ein Vertreter der antragstellenden Partei nicht zu ernennen sein soll.
Die Ausschüsse und Ausschußvorsitzenden sind nicht nur angehalten worden, sondern es lag im Interesse aller - und es war die übereinstimmende Meinung aller —, daß wir uns, um allmählich zu einer geordneten Arbeitsführung in diesem Hause zu kommen, an diese Abmachungen halten. Ich möchte mit Bedauern feststellen, daß es in 'diesem Falle nicht geschehen ist, und bitte um eine Vermeidung der Wiederholung solcher Fälle.
Ich glaube, daß Herr Abgeordneter Wehner nichts anderes gewollt hat, als auf die Bestimmung des § 30 Absatz 1 der Geschäftsordnung zu verweisen.
Im übrigen danke ich dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache zur Sache. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Herr Abgeordneter Dr. Bucerius, wollen Sie sich zum Wort melden? Ich bitte Sie um Entschuldigung, ich habe es übersehen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat es offenbar nicht für nötig gehalten, daß noch zur Sache gesprochen wird. Viel ist in der Tat auch nicht mehr zu sagen.
Die geschäftsordnungsmäßige Rüge war begründet. Ich habe mich bereits an den Assistenten des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewandt und darauf hingewiesen. Mir wurde gesagt, daß man den gegenwärtigen Berichterstatter gewählt habe, weil er besonders sachverständig sei, und man hat versprochen, daß es nicht mehr vorkommen werde. Ich glaube also, daß sich auch der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Zukunft dieser Bestimmung der Geschäftsordnung fügen wird.
Zu dem gesamten Fragenkomplex ist eine interessante Nachricht in der Zeitung erschienen, die zu Hoffnungen Anlaß gibt. In der Ausgabe der Zeitung „Die Welt" vom 1. Februar 1950 heißt es:
Die Meldung über die Besprechung der Jagd-
referenten der drei Hohen Kommissare,
— so etwas gibt es also auch —
die am 8. Dezember des vergangenen Jahres in Frankfurt stattfand, —
— Wollen Sie auch einen Jagdschein haben, Herr Rische?
Diese Besprechung — ich darf Ihnen den Bericht mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen —
hat ein vieldiskutiertes Echo gefunden. Der britische und französische Referent waren grundsätzlich nicht gegen eine allgemeingültige Regelung der jagdlichen Verhältnisse in Bundesgebiet.
Meine Damen und Herren! Man kann den reichen 'Amerikanern und den wohlhabenden Engländern eines nachsehen: in ihrem Lande sind Jagd und Fischerei rein sportliche Angelegenheiten. In Deutschland müssen wir unsere sehr armen und kargen Naturschätze nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verwalten. Wir bitten die Besatzungsmächte, diesem Gesichtspunkt in Zukunft in erhöhtem Maße Rechnung zu tragen.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und lasse abstimmen. Wer für die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 449 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -- Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen betreffend besonderes Referat für in Polen und in der Tschechoslowakei lebende Deutsche .
Ich gebe bekannt, daß mir soeben ein Abänderungsantrag übergeben worden ist, der die Unterschriften der Herren Abgeordneten Hilbert und Genossen trägt und der beantragt, Ziffer 1 des Ausschußantrages in folgender Fassung zu beschließen:
1. im Bundesministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen ein besonderes Referat einzurichten, das die Hilfe für die noch in den polnisch verwalteten Gebieten Deutsch- lands sowie in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien lebenden Deutschen zur Aufgabe hat.
Ziffer 2 soll unverändert bleiben.
Ich bitte den Berichterstatter, Herrn Abgeordten Höfler, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! C Meine Damen und Herren! Der Beratung des Ausschusses für Heimatvertriebene lag ,der Antrag der SPD Drucksache Nr. 78 zugrunde, bei dem es sich um das Schicksal von einigen Hunderttausend, man wird wohl sagen dürfen: von 300 000 Deutschen handelt, die noch in Polen und in der Tschechoslowakei wohnen und deren allmähliche Rückführung nach dem Gebiet der Bundesrepublik demnächst eingeleitet werden soll. Zunächst wird die sogenannte Gruppe A eingeschleust werden, bei der es sich um zirka 45 000 Menschen handelt, davon zirka 27 000 aus Polen und zwischen 18- und 19 000 aus dem Gebiet der Tschechoslowakei. Die Ausführungen, die Herr Minister Lukaschek im Laufe der Ausschußberatungen machte, waren derart, daß sie uns überzeugten, daß diesen Rückwanderern nicht nur jede erdenkliche Hilfe materieller Art geleistet werden muß, sondern daß es aus organisatorischen und Verwaltungsgründen unbedingt notwendig ist, im Ministerium für Heimatvertriebene bei der entsprechenden Abteilung ein eigenes Referat für die Rückführung dieser Leute zu errichten, weil sonst die schwerwiegenden Aufgaben einfach nicht bewältigt werden können.
Der Ausschuß ersucht um die Annahme seines Antrags und bittet in Abänderung der ehemaligen Ziffer 2 des sozialdemokratischen Antrags die Regierung um einen schriftlichen Bericht.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Liegen Wortmeldungen vor? — Ich bitte, Frau Dr. Hubert!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als meine Fraktion den Antrag stellte, ein besonderes Referat für die in Polen und der Tschechoslowakei und in den von Polen besetzten deutschen Gebieten noch lebenden Deutschen einzurichten, hatten wir insbesondere zwei Menschengruppen im Auge: einmal die etwa 300 000 schon listenmäßig vom Internationalen Roten Kreuz und von anderen Wohlfahrtsverbänden erfaßten Deutschen, deren Umsiedlung in die Bundesrepublik durch die Hohen Kommissare bereits genehmigt ist und hoffentlich bald ermöglicht wird; und zum andern die Menschen, die in Polen und in der Tschechoslowakei noch in Arbeit stehen und gezwungen sind, vorläufig dort weiter zu leben.
Hinsichtlich der ersten Menschengruppe möchte ich nicht verfehlen, dem Internationalen Roten Kreuz, zugleich im Namen des gesamten ,deutschen Volkes, an dieser Stelle unseren Dank für die umfangreichen Vorarbeiten auszusprechen, die es für die Umsiedlung dieser unserer deutschen Landsleute bereits getroffen hat.
Wir haben begründete Aussicht, daß zunächst etwa 45 000 Menschen, wie soeben von dem Herrn Berichterstatter gesagt wurde, demnächst In die Bundesrepublik übergeführt werden, alle Menschen nämlich, die hier Angehörige haben. Wir hoffen aber, daß auch die anderen Personenkreise, etwa 250 000, im Laufe der Zeit nach Westdeutschland übergeführt werden können.
Hierzu aber sind umfangreiche Vorarbeiten hinsichtlich ihrer Verteilung auf die einzelnen Länder, hinsichtlich ihrer Unterbringung in angemessenen Wohnstätten nötig. Es werden Geldmittel aufgebracht werden müssen, um sie zunächst mit dem Notwendigsten zu versorgen. Wir wissen, daß die Vorarbeiten im Bundesministerium für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen bereits im Gange sind. Aber der Personenkreis wächst ständig; es kommen dauernd neue Bitten von Deutschen nicht nur aus Polen und der Tschechoslowakei, sondern auch aus Österreich, aus der Bukowina, aus Jugoslawien. Sie bitten, hier in das Bundesgebiet aufgenommen zu werden.
Es erscheint deshalb nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig, für diese Menschengruppen und für die Erfüllung der Aufgabe, sie nach Deutschland zu überführen, ein besonderes Referat einzurichten. Wenn man uns entgegenhalten sollte, daß es sich hier um vorübergehende Maßnahmen handelt, so möchte ich demgegenüber betonen, daß es ja auch Bundesministerien gibt, von der Bundesregierung eingerichtet, die sich auch nur mit solchen Aufgaben zu befassen haben, von denen wir alle hoffen, daß sie nur vorübergehend sind.
Wir haben aber, als wir unseren Antrag stellten, auch an die Menschen gedacht, die in Polen weiter in Arbeit stehen und keine Möglichkeit haben, in der nächsten Zeit nach Westdeutschland übergeführt zu werden. Diese Menschen stehen unter einem ständigen Druck. Man versucht, sie zu zwingen, für Polen zu optieren. Weigern sie sich, so laufen sie Gefahr, ihr Hab und Gut zu verlieren. Eisenbahner zum Beispiel werden vor die Alternative gestellt, fristlos entlassen oder zu 5 Jahren Zwangsarbeit verurteilt zu werden oder zu unterschreiben, daß sie Polen werden wollen. Man legt ihnen eine Erklärung zur Unterschrift
vor, eine Erklärung, die 5 Punkte enthält. Einmal: Ich schämte mich, Deutscher zu sein. Zweitens: Ich erkläre mich bereit, jeden Verkehr mit meinen Anverwandten und Bekannten in Westdeutschland abzubrechen. Drittens: Ich erkenne die Oder-Neiße-Linie als die Grenze zwischen Polen und Deutschland an. Viertens: Ich bin bereit, mich nach Innerpolen versetzen zu lassen. Fünftens: Ich bin bereit, aus der Kirche auszutreten. Wir haben darüber hinaus Nachrichten, daß Heimkehrer bei der Durchfahrt durch Polen aus den Zügen herausgeholt und zwangsweise zurückgehalten werden, damit sie in den Bergwerken arbeiten.
Meine Herren und Damen! Diese Menschen dort leben in einem Zustand völliger Rechtlosigkeit, der schlimmer ist als der von sonstigen Staatenlosen, ein Zustand, der unseres Erachtens nicht länger mehr anhalten kann.
Wir haben schon einmal vor einem ähnlichen Problem gestanden, als es sich um die Zivilarbeiter in Frankreich handelte. Es ist gelungen, für diese gewerkschaftliche Organisationen, eine eigene Presse, Rechtsberatung und Rechtsvertretung vor den Arbeitsgerichten sowie auch eine gewisse Anerkennung ihrer Ansprüche in der Sozialversicherung durchzusetzen. Was in Frankreich möglich war, das sollte auf die Dauer auch in Polen zu erreichen sein. Seitdem das Internationale Rote Kreuz seine Arbeiten in Polen hat einstellen müssen, gibt es keine Stelle mehr, die sich unserer Landsleute dort annimmt. Wir selbst haben zwar noch keine Möglichkeiten, ihnen direkt zu helfen, weil wir keine direkten Beziehungen zu diesen Ländern und keine konsularischen Vertretungen haben. Wir sind gezwungen, uns an die Hohen Kommissare zu wenden und sie zu bitten, den Rechtsschutz für die Deutschen in Polen und in der Tschechoslowakei zu übernehmen. Wir sind aber der Ansicht, daß es dafür eine bestimmte Stelle in Deutschland geben muß, die die Hohen Kommissare dauernd auf dem laufenden hält über die Zustände, in denen die Deutschen dort zu leben gezwungen sind. Meine Herren und Damen! Vergessen Sie auch nicht die psychologische Wirkung, die es auf diese unglücklichen und rechtlosen Menschen hat, wenn sie hören und wissen, daß es jetzt hier in Westdeutschland eine Stelle gibt, die sich ihrer Nöte und ihrer Belange annimmt.
Meine Fraktion begrüßt den jetzt gestellten Zusatzantrag, dieses Referat auch auf die Deutschen in Jugoslawien, in der Bukowina und in Ungarn auszudehnen. Wir richten daher den dringenden Appell an die Bundesregierung, ein solches Sonderreferat beschleunigt einzurichten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller.
Meine Damen und Herren! Ich habe, als dieser Antrag damals eingebracht wurde, bereits dazu gesprochen und davor gewarnt, durch die Einrichtung solcher Sonderreferate einen Weg zu beschreiten, den wir schon aus der Vergangenheit kennen und dessen unheilvolle Folgen sich gezeigt haben. Durch das in der Nazizeit geschaffene Außenamt des damaligen Gauleiters Bohle ist, wie die Dokumente ergeben haben, schon einmal der Versuch gemacht worden, mit Hilfe der in anderen Ländern ansässigen Deutschen eine politische Entwicklung
voranzutreiben. Wohin das geführt hat, haben wir alle erlebt. Die Befürchtungen, die ich bei Einbringung des Antrages ausgesprochen habe, sind durch die Ausführungen, die wir eben gehört haben, noch erhärtet worden. Diese Ausführungen sind zweifellos nicht dazu geeignet, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen auf eine Ebene gegenseitiger Verständigung zu bringen, sondern höchstens dazu, die Scherben, die in diesem Hause schon so oft angerichtet wurden, noch weiter zu vermehren. Mit der Errichtung dieser beiden Referate wird kein anderes Ziel verfolgt, als durch eine bestimmte Propaganda Unruhe zu stiften und damit die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland, von denen wir nur wünschen können, daß sie günstiger wären, zu verschlechtern.
Aus diesen Gründen lehnen wir diesen Antrag ab.
Es kann nur im Interesse des deutschen Volkes liegen, daß solche Maßnahmen unterbleiben und daß andere Wege gefunden werden, um freundschaftliche Beziehungen zu Polen herzustellen. Damit werden wir den Deutschen am besten dienen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Trischler.
Meine Damen und Herren! Im Ausschuß für Heimatvertriebene haben wir uns mit diesem Problem eingehend befaßt. Ich begrüße aber den Zusatzantrag, der letzt hier gestellt worden ist. Es ist wichtig, daß wir uns nicht nur mit den Deutschen in Polen und in der Tschechei beschäftigen. sondern daß wir unsere Untersuchungen auch auf den Südosten ausdehnen. auf die Staaten Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und Bulgarin. Dabei sind es insbesondere zwei Fragen. die uns zwingen, uns mit dieser Frage zu befassen.
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen — und das werden die anderen wahrscheinlich sagen —, man sollte sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen.
Aber ich will zwei Fälle erwähnen, die uns meines Erachtens zwingen, als Deutsche, als einzige Stelle, die sich mit dem Gesamtdeutschtum noch befassen kann, dazu Stellung zu nehmen und dafür einzutreten. Das ist erstens die Frage der zurückgebliebenen Umsiedler aus Rumänien. Wie bekannt, wurden seinerzeit internationale Abmachungen getroffen, Staatsverträge geschlossen, wonach die Deutschen aus diesen Gebieten, auch aus dem Buchenland und aus Bessarabien, ins Reich umgesiedelt wurden. Ihr ganzes Vermögen wurde vom damaligen Dritten Reich übernommen, und es wurde ihnen zugesichert, daß sie hier entsprechende Entschädigung und selbstverständlich vollkommene Gleichstellung erfahren würden. Nun ist ein großer Teil dieser Umsiedler tatsächlich hier, ein Teil im Bundesgebiet, ein Teil in der Ostzone und ein Teil noch in Österreich. Aber ein größerer Teil, insbesondere eine Gruppe von mehreren Tausenden ehemaliger Kriegsgefangenen der Buchenländer wurden nach Rumänien zurückgeliefert. Sie haben dort nicht ihre Staatsbürgerschaft bekommen; sie betrachten sich selbstverständlich als deutsche Staatsbürger und erwarten von uns mit Recht, daß wir uns ihrer annehmen und die Möglichkeit schaffen, daß sie wieder herauskommen können.
Eine zweite Frage betrifft die in Jugoslawien zurückgehaltenen Kinder. Wir wissen, daß während der Umsiedlung — insbesondere während der Verschleppung von Frauen von 18 bis 35 Jahren nach der UdSSR — sehr viele Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Sie wurden abgesondert in verschiedene Lager versandt. Auch dort, wo die Kinder mit ihren Müttern oder Großeltern in die verschiedenen Lager kamen, kam es häufig vor, daß sie getrennt wurden. So leben heute bestimmt mehrere Tausend Kinder in Jugoslawien in den verschiedensten Heimen, Lagern usw. Wir haben zahlreiche Beweise dafür, daß sie die deutsche Sprache allmählich vollkommen verlernt haben. Wir haben rührende Briefe an Eltern und Großeltern, in denen sie nunmehr in serbischer Sprache schreiben. Manche haben noch die Sehnsucht, hier zu ihren Eltern und Großeltern zu kommen; die anderen empfinden das vielleicht gar nicht mehr so richtig. Es ist selbstverständlich, daß das ein wohl allgemein menschliches und internationales Problem ist, und es gibt wohl keine andere Stelle als gerade den Bund, der sich auch dieser Aufgabe annehmen muß.
Selbstverständlich könnte man auch noch über die andern, die zurückgehalten wurden oder dort blieben, sehr viel sagen. Darauf will ich nicht eingehen. Aber notwendig ist es, daß wir ihr Schicksal weiterhin verfolgen. Wir wissen nicht, wie es endgültig werden wird. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, über ihr Schicksal endgültig zu entscheiden; das wird eine Frage der internationalen Verhandlungen, der Friedensverträge usw. sein. Aber wir sind verpflichtet, diesen Menschen gegenüber zu zeigen, daß noch deutsche Stellen da sind, die ihrer gedenken und sich ihrer annehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden.
Meine Damen und Herren! Ich wollte zu diesem Antrag, der so völlig klar und eindeutig ist, an sich nicht sprechen, vor allen Dingen deswegen nicht, weil Frau Dr. Hubert die wesentlichsten Punkte hier schon behandelt hat. Nachdem nun aber einer der Herren von ganz links außen hier eine Darstellung der Dinge gegeben hat, wie sie in diesem Hause doch geradezu grotesk anmuten muß, glaube ich, daß auf diesen groben Klotz ein noch gröberer Keil gehört.
Herr Abgeordneter, der Ausdruck „grotesk" sollte hier nicht üblich werden.
Ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen. Studieren Sie bitte einmal Ihre Zeitungen aus dem volksdemokratischen Polen! Führen Sie sich einmal ins Gedächtnis, daß man dort auch heute noch, im Januar des Jahres 1950, deutsche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes schlimmer hält, als früher Sklaven gehalten wurden. Führen Sie sich bitte ins Gedächtnis, daß dort Menschen heute noch kein Geld bekommen und für Wasser
und Brot arbeiten müssen. Denken Sie einmal an die Zustände im Lager Potulice, wo Tausende von Kindern sitzen, die nicht wissen, wo ihre Mütter, wo ihre Eltern sind. Denken Sie einmal an die Menschen, die dort harren, daß sie von hier aus ein Zeichen bekommen, daß wir zu ihnen stehen und daß wir alles tun, um ihnen aus ihrer scheußlichen Lage zu helfen.
Wenn hier jemand in deutscher Sprache für diese Zustände eine Lanze bricht, dann können wir ihn nur verachten!
Herr Abgeordneter, dafür muß ich Ihnen einen Ordnungsruf erteilen.
Wir können hier gar nicht eindeutig genug als geschlossenes Haus zum Ausdruck bringen, daß wir alles dafür tun wollen, damit diese Menschen, die dort drüben unter den traurigsten Begleitumständen sitzen, dort die größtmögliche Hilfe von uns erhalten; aber wir sollten auch alles tun, um ihre Rückführung nach hier möglichst zu beschleunigen. Es kann von uns hier gar nicht eindeutig genug dokumentiert werden, daß wir den allergrößten Wert darauf legen, diese Menschen endlich zu uns zurückzubekommen. Daher ist der Ergänzungsantrag, dies Referat auch auf die Deutschen im Südostraum auszudehnen, von uns aus ebenfalls sehr zu begrüßen.
Wir können, um es zusammenfassend noch einmal zu sagen, die Bundesregierung nur dringend bitten, im Interesse Hunderttausender deutscher Menschen, die dort fern von uns noch leben müssen, alles zu tun, damit sie ihr Recht bekommen
l und möglichst bald wieder zu uns hierher kommen können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Krause.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz kurz in wenigen Sätzen die Zustimmung meiner Fraktion zu dem Abänderungsantrag: erstens, daß dieses - hoffentlich nur vorübergehend notwendige — Referat auch auf die Deutschen in Südosteuropa ausgedehnt werden soll; zweitens Unterstreichung der Worte meiner schlesischen Landsmännin, der Frau Abgeordneten Dr. Hubert, in ihrer eingehenden Darstellung der Verhältnisse, wie sie sich noch immer in den polnisch „verwalteten" Gebieten Ostdeutschlands abspielen; drittens eine kurze Ergänzung zu dem Dank an das Internationale Rote Kreuz, dem auch wir uns vollinhaltlich anschließen, dahingehend, daß dieser Dank ebenso aufrichtig auch dem Vatikan gebührt, von dem wir wissen, daß er sich um unsere Leute in Ostdeutschland jenseits des Eisernen Vorhangs und der Oder-Neiße-Linie gleichfalls bemüht.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und lasse zunächst über den Abänderungsantrag abstimmen. Wer für die Abänderung des Ausschußantrags im Sinne des Antrags Hilbert und Genossen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! Gegen wenige Stimmen angenommen. — Wer für die Annahme des also abgeänderten Antrags Drucksache Nr. 459 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der BP betreffend Sofortmaßnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Verteilung der illegal über die Ostgrenzen kommenden Flüchtlinge .
Ehe ich den Herrn Berichterstatter bitte, möchte ich mitteilen, daß im Ältestenrat vereinbart worden ist, die Aussprache auf 40 Minuten zu beschränken. Ich bitte das Hohe Haus, so zu beschließen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Die Verteilung auf die Fraktionen erfolgt nach dem üblichen Schlüssel.
Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Ausschusses für Heimatvertriebene am 25. Jänner stand der Antrag der Fraktion der Bayernpartei Drucksache Nr. 92 zur Beratung. Dieser Antrag fordert Sofortmaßnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Verteilung der illegal über die Ostgrenze kommenden Flüchtlinge. Ein Bundestagsbeschluß soll die Bundesregierung veranlassen, im Einvernehmen mit den Ländern zu erwirken, daß
1. die illegal über die Ostgrenze hereinkommenden Flüchtlinge nicht mehr in den Ländern Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen aufgenommen werden, sondern unverzüglich auf die übrigen Länder Westdeutschlands nach einem zu vereinbarenden Schlüssel aufgeteilt und dorthin übergeführt werden;
2. die noch in den Ländern Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen in Lagern weilenden Flüchtlinge in den anderen Ländern untergebracht werden. Die Überführung aus den nicht winterfesten Lagern soll noch vor Einbruch des Winters erfolgen.
Dieser Antrag wurde am 13. Oktober vorigen Jahres eingereicht.
Inzwischen sind Monate vergangen, und es ist im Sinne der Anregungen dieses Antrages so manches geschehen.
Der Antrag gliedert sich in zwei Teile. Erstens wird die Forderung erhoben, daß die über die Ostgrenze kommenden Flüchtlinge nicht in den Ländern Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen unterzubringen sind. Dieser Forderung ist zum guten Teil durch die in den Übergangslagern Ülzen und Gießen eingesetzen Länderkommissionen Rechnung getragen, die nach einem in diesen Kommissionen vereinbarten Schlüssel die Aufteilung der dort registrierten Flüchtlinge aus der Sowjetzone vornehmen. Der zweite Teil dieses Antrages befaßt sich damit, daß die noch in Lagern untergebrachten Flüchtlinge aus diesen Lagern herausgenommen und auf die anderen westdeutschen Länder verteilt werden sollen. Bekanntlich haben wir bereits eine Verordnung des Bundesflüchtlingsministeriums, welche einen
Flüchtlingsausgleich zwischen den westdeutschen Ländern herbeiführen soll. Nach dieser Verordnung sollen 300 000 Heimatvertriebene aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die übrigen Länder umgesiedelt werden. Daß diese Umsiedlung nicht in den Wintermonaten vor sich gehen kann, war allen an dieser Aktion Beteiligten wohl klar. Daß andererseits in den Aufnahmeländern erst der entsprechende Wohnraum zur Verfügung gestellt werden muß, ist gleichfalls klar. Aber eines steht fest: daß diese Aktion bereits im Anlaufen ist und daß sie nach Angabe des Bundesflüchtlingsministeriums restlos durchgeführt wird.
Nach Prüfung dieses Sachverhalts und der inzwischen erfolgten oder zur Zeit laufenden Maßnahmen ist der Ausschuß der Ansicht, daß der Antrag der Drucksache Nr. 92 zum Teil seine Erledigung gefunden hat und, soweit dies nicht der Fall ist, seine Erledigung finden wird. Diese Auffassung fand im Ausschuß für Heimatvertriebene, abgesehen von dem Vertreter der antragstellenden Fraktion, die einmütige Zustimmung, und auf Grund dieses Ergebnisses kam auch der Ausschußantrag zustande, welcher besagt, daß das Hohe Haus beschließen möge, den Antrag auf Drucksache Nr. 92 mit Rücksicht auf die angeführten laufenden und in Durchführung befindlichen Maßnahmen als erledigt zu betrachten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag des Ausschusses für Heimatvertriebene zu und sind auch mit den Argumenten des Herrn Berichterstatters vollkommen einverstanden.
Zum Antrag der Bayernpartei auf Drucksache Nr. 92 möchte ich aber noch folgendes sagen. Wir sind dagegen, daß die illegal über die Ostgrenzen hereinkommenden Flüchtlinge generell auf die anderen Länder außer Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen aufgeteilt werden. Wir sind überhaupt dagegen, daß man Menschen, wie es in dem Antrag heißt, „überführt". Die Zeit der Flüchtlings-Zwangstransporte ist endlich vorbei. Die Menschen sind keine Ware, die man überführt. Man läßt sie freiwillig entscheiden, wo sie sich niederlassen wollen. Letzten Endes geht es hier um deutsche Menschen, um heimatlose Menschen wie wir, die wir schützen müssen.
Gewiß, bei den illegalen Grenzgängern muß man unterscheiden, ob es sich um politische Flüchtlinge oder um asoziale, kriminelle Elemente handelt, oder ob es Menschen sind, die Sehnsucht nach ihren Familien haben, die durch die Auswirkungen des Krieges getrennt worden sind und sich in Bayern, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen befinden. Es wäre unmenschlich, es wäre nicht human, wenn man Eltern, die in der Ostzone leben, verbieten würde, zu ihren Kindern nach Bayern zu gehen. Es wäre ebensowenig human, wenn man umgekehrt Kindern verbieten würde, zu ihren Eltern oder zu ihren Geschwistern zu gehen, wenn sie durch die Ausweisung voneinander getrennt wurden.
Ich kenne einen Fall, der sich in Kulmbach folgendermaßen zugetragen hat und in dem ich selbst interveniert habe. Durch die Ausweisung wurde eine Familie auseinandergerissen. Die Mutter kam nach Bayern, die Tochter in die Ostzone. Die Tochter wußte von der Mutter nichts. Sie kam illegal über die Grenze, gebar dann ein Kind und fand endlich die Mutter, die in einem Lager bei Kulmbach war. Es wurde der Tochter verboten, mit der Mutter im Lager zusammen zu wohnen. Die beiden mußten getrennt leben. Erst durch meine Intervention ist erreicht worden, daß die Mutter zu ihrem Kind durfte. Solche Zustände sind natürlich unhaltbar. Dort, wo es sich um Familienzusammenführung handelt oder ein sicherer Arbeitsplatz vorhanden ist, müßte nach meiner Überzeugung in humaner Weise den Wünschen Rechnung getragen werden.
Damit hängt auch die Frage der Aufhebung der Zuzugsbeschränkungen zusammen. Die Zuzugsbeschränkungen verstoßen ja gegen das Grundgesetz, in dem die Freizügigkeit jedes Staatsbürgers gewährleistet ist.
Mein sehr verehrter Herr Kollege Baumgartner, ich komme jetzt auf etwas zu sprechen, weiß aber nicht, ob Sie davon Kenntnis haben. Es ist empörend, wenn man hört, daß in Bayern in zwölf Landkreisen heimatlosen Heimkehrern aus russischer Kriegsgefangenschaft die Aufnahme verweigert wurde.
Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, Ihre Fraktion hat sich zum Wort gemeldet. Ich nehme an, daß Ihr Standpunkt von der Tribüne aus mit genügender Eindringlichkeit vertreten werden wird.
Ich meine, daß wir nicht allzusehr zu der Übung kommen sollten, Zwiegespräche abzuhalten. Vielleicht hat sich der Redner nicht so sehr zur Verstärkung der Wirkungen seiner Eloquenz Ihnen zugewandt als vielmehr aus anderen Gründen.
Das sind also Kriegsgefangene, denen die freie Wahl des Ortes ihrer Niederlassung gesetzlich zusteht. Neben den Kreisen der Heimatlosen wird also auch diesen Menschen die Möglichkeit genommen, zu Orten, die Brennpunkte des Wohnungsbedarfs sind, Zuzug zu bekommen. Die Folge davon ist, daß solche Heimkehrer verbittert und radikalisiert werden und schließlich ihre Irrfahrt in irgendeinem Lager beenden. Ich glaube, daß man so etwas nicht billigen kann. Es würde mich nur interessieren, welcher Partei diese Landräte in Bayern angehören.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit schon um das Doppelte überschritten.
Um das Doppelte?
Ja, Sie haben nur drei Minuten Redezeit.
Ich werde mich bemühen, bald fertig zu werden.
Ich bitte Sie sehr darum, sich an die zustehende Redezeit zu halten.
Der Herr Minister Lukaschek hat in der vergangenen Woche erklärt, daß er in einigen Tagen ein Gesetz über die Aufhebung der Zuzugsbestimmungen einbringen wird. Wir fordern es dringend, damit diesen unhaltbaren Zuständen endlich ein Ende bereitet wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Donhauser.
Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen im Namen der antragstellenden Fraktion sagen, daß diese Behandlung unseres Antrages uns in keiner Weise überrascht. Ich darf Ihnen sagen, daß wir nunmehr seit ,dreieinhalb Monaten beobachten, wie man diesen Antrag systematisch verschleppt. Am 13. Oktober des vorigen Jahres wurde der Antrag eingebracht, und heute befassen wir uns damit vor dem Hohen Haus. Darf ich in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, wie er überhaupt entstanden ist? Wir haben damals die große Debatte über den innerdeutschen Flüchtlingsausgleich gehabt. Als ich damals zum ersten Male diese Tribüne betrat, hat mich von allen Ecken und Enden des Saales her Widerstand empfangen. Von allen Seiten hat man mir zugerufen, daß die Tendenz der Forderung der Bayernpartei auf einen wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich unmenschlich, unchristlich, unsittlich und unsozial sei. Als dann ein paar Minuten später unmittelbar nach mir der Flüchtling und Flüchtlingsminister Dr. Lukaschek dieses Podium betrat und nahezu mit den gleichen Worten — nach meinem Dafürhalten im Ton sogar noch schärfer - die Bleiche Forderung erhob, indem er ausführte: „Wenn der Appell an die Freiwilligkeit der Betroffenen, sich für einen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich zu melden, zu keinem Ergebnis führen sollte, dann werde ich auch nicht vor der Anwendung drastischerer Methoden zurückschrecken", — ich frage Sie: ist das etwas wesentlich anderes gewesen oder war da die Tonart meiner Fraktion und meiner Ausführungen nicht noch weit humaner? Ich würde Sie schon bitten, meine Damen und Herren, daß wir in Zukunft etwas mehr Fairneß walten lassen und nicht etwa nur dem Bedürfnis der Parteiagitation freien Lauf lassen.
In diesem Zusammenhang habe ich Ihnen damals erklärt, daß es Mittel und Wege genug gibt, um einen raschen und einigermaßen wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich herbeizuführen, wenn man sich an Personenkreise wendet, die durchaus keine zusätzliche moralische oder physische Belastung dadurch erfahren, indem man sich entsprechend dem Antrag, der heute zur Debatte und zur Entscheidung steht, jenen Menschen zuwendet, die jetzt gerade illegal über unsere Grenze hereinfluten oder die nachgewiesenermaßen arbeitslos und menschenunwürdig in Flüchtlings- und Elendsbaracken hausen. Niemand kann sagen, daß es unmenschlich oder unsittlich sei, diese Personenkreise aufzufordern, in andere, weniger stark belegte deutsche Länder noch 100 der 150 Kilometer weiterzufahren. Ich begreife die Logik nicht, die offenbar im Flüchtlingsausschuß Platz gegriffen hat. Heute stelle ich überhaupt merkwürdige Übereinstimmungen zwischen dem sonst so oppositionsfreudigen Flüchtlingsausschuß und der Regierungsbank fest, merkwürdige
Übereinstimmungen, die offenbar nur dann gegeben sind, wenn es sich darum handelt, eine gerechtfertigte Forderung jener Länder, die nun schon seit Jahr und Tag unter einem überhöhten Flüchtlingsdruck leiden, einfach hinunterzubügeln,
eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den Flüchtlingsvertretern der Regierungsparteien und der linken Opposition.
Man hat uns im Ausschuß und auch bei anderem Anlaß darauf hingewiesen, daß wir sehr bald einen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich bekommen würden, daß man aber zunächst einmal die Ergebnisse des sozialen Wohnungsbaus und auch noch andere Maßnahmen abwarten müsse, die nun in den nord- und nordwestdeutschen Ländern anlaufen. 245 Millionen D-Mark sind allein für diesen Zweck in Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Wir haben also mit anderen Worten in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern darauf zu warten, bis diese Wohnungen gebaut sind. Haben Sie eigentlich die gleiche Forderung gestellt, als es darum ging, den Heimatvertriebenen und den illegalen Grenzgängern eine erste Unterkunft bei uns zu verschaffen?
Ich bitte Sie vor allem, meine Damen und Herren von der Linken, sich einmal die neuesten Arbeitslosenzahlen in meiner engeren Heimat Bayern genauer ansehen. 1,9 Millionen Arbeitslose haben wir im gesamten Bundesgebiet und weit über eine halbe Million allein in meiner bayerischen Heimat.
Wir haben 371/2 Prozent mehr Arbeitslose als der Durchschnitt des ganzen Bundesgebietes. Sagt Ihnen das gar nichts? Wie wollen Sie denn diese Dinge abstellen? Vielleicht dadurch, daß man weiterhin tatenlos zusieht, wie Woche für Woche Tausende, vielleicht viele Tausende über die Grenze hereinkommen und unseren an sich schon unerträglichen Flüchtlingsdruck weiterhin steigern? Auch von uns wird niemand bestreiten wollen, daß da und dort bürokratische Unfähigkeit in kleinen lokalen Dingen Anlaß zu Kritik gibt. Das ist aber nicht nur in meiner Heimat so, sondern das ist, wie Sie vorhin aus den Zwischenrufen schon ganz richtig gehört haben, auch in Hamburg, auch im Norden und Nordwesten so. Unfähige Bürokraten, die diese Dinge nicht meistern, werden Sie überall im deutschen Raum finden.
Meine Damen und Herren! Ich habe heute mit Freude die Äußerung einer sozialdemokratischen Kollegin gehört. Sie hat in anderem Zusammenhang ausgeführt, es gehe darum., die deutschen Nachkriegslasten gemeinsam auf alle deutschen Schultern zu verteilen. Aber hier, wo der gute Wille dazu am augenscheinlichsten wird, bemerke ich von diesem großen deutschen Gemeinschaftswillen verflucht wenig. Ich habe Ihnen schon damals, als wir zum ersten Male über diese Dinge sprechen mußten, auseinandergesetzt, daß Sie alle samt und sonders gerade bei der Lösung des innerdeutschen Flüchtlingsausgleichs die beste Möglichkeit haben, zu beweisen, daß wir alle Deutsche sind.
Ich bitte Sie im Namen der Gesamtbevölkerung dreier deutscher Länder, die weiterhin noch Tag für Tag einen zusätzlichen Druck und zusätzliche Notstände auf sich nehmen müssen — weil sie nun einmal geographisch besonders ungünstig
liegen —, noch einmal, dafür zu sorgen, daß jetzt rasch und unverzüglich energische Maßnahmen ergriffen werden. Die Ausrede, man könne doch nicht etwa die Freizügigkeit oder andere Grundrechte beschränken, gilt nur in einigermaßen normalen Zeitverhältnissen und Umständen. Wenn Sie einen Notstand von so ungeheuren Millionenausmaßen einigermaßen wirkungsvoll bekämpfen wollen, werden Sie, vorübergehend wenigstens, auch einige Ausnahmemaßnahmen treffen müssen. Sie werden mit keiner Macht der Erde, aber auch mit keinerlei wirtschaftspolitischen Mätzchen die Zahl von 500 000 Arbeitslosen in Bayern auf ein normales, erträgliches Maß herabsenken können, weil dafür einfach die notwendigen wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Mindestens 250 000, wenn nicht gar noch mehr von diesen Arbeitslosen sind Heimatvertriebene. Das ist nicht etwa von ungefähr, sondern der Grund dafür ist darin zu suchen, daß wir uns zusammen mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen in einer besonders ungünstigen geographischen Position befinden.
Meine Damen und Herren! Was rede ich eigentlich noch? Ich weiß doch ganz genau .–. übrigens ebenso wie auch Sie alle hier —, daß die Auffassungen feststehen und daß in den allermeisten Fällen. hinter den Entschlüssen der Fraktionen politische Absichten stehen. Wenn Sie . diesen Verdacht, den wir gerade in der Flüchtlingsfrage schon zu wiederholten Malen ausgesprochen haben, heute nicht noch einmal erhärten wollen, dann, bitte, lehnen Sie den Vorschlag des Berichterstatters ab und sorgen Sie mit uns zusammen für einen raschen und wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Paul.
Paul . (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei, für die ich die Ehre habe, einige Worte zu dieser Frage zu sprechen, hat von Anfang an für eine gerechte Aufteilung der Heimatvertriebenen und aller anderen zuströmenden Flüchtlinge gesprochen.
- Sie hat, wo sie Einfluß besaß, auch das getan, was in der gegebenen Situation möglich gewesen ist.
Sie ist jene Kraft gewesen, die in Deutschland
eine positive Flüchtlingspolitik betrieben hat, und
sie wird auch weiterhin auf dieser Linie arbeiten.
Es -ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß ein gerechter Ausgleich der Lasten gefunden werden muß, die durch das Flüchtlingsproblem in Deutschland entstanden sind. Es ist bedauerlich — und leider nicht zu ändern —, daß gewisse deutsche Länder zunächst einmal das Auffanggebiet für die Heimatvertriebenen oder für die Ostzonenflüchtlinge sein müssen.
Aber es ist selbstverständlich - ich sagte das bereits, und ich möchte es nochmals unterstreichen -, daß alle deutschen Länder sich in die Aufgabe teilen müssen, diesen deutschen Menschen — ich möchte das besonders betonen — eine neue Heimat zu geben. Ich habe den Eindruck, daß vielfach unterschätzt wird, was es bedeutet, die Heimat zu verlieren oder auch nur die Heimat vorübergehend verlassen zu müssen. Es ist kein leichter Entschluß, weder für den, der aus der Heimat verjagt wird, noch für den, der unter wachsendem Druck und Terror, weil er seiner Freiheit und seines Lebens nicht mehr sicher ist, die Heimat im Stich lassen muß, sich von dem mühsam erworbenen Eigentum trennen und liebe Freunde und Angehörige verlassen zu müssen. Es ist ein harter und schwerer Entschluß, auch nur in anderen deutschen Gauen Aufenthalt und Heimstätte zu suchen. Es ist nicht jeder ein Landstreicher, der so aussieht, und es ist nicht jeder ein Asozialer, der durch die Umstände, durch das Hin- und Hergestoßenwerden allmählich dazu geworden ist. Es ist ein gemeinsames deutsches Interesse, diese Menschen, soweit unsere Kraft reicht, wieder in den Wirtschaftsprozeß und in normale menschliche Verhältnisse einzugliedern.
Darum möchte ich abschließend betonen: die Umsiedlung der Vertriebenen, jener, die noch in Lagern oder in überfüllten Ländern sind, sollte nicht allein vom Standpunkt der Länder aus betrachtet werden — sosehr ich deren Lage verstehe —, sondern auch vom Standpunkt der betroffenen Menschen selbst.
Weil man mitten im Winter diese Dinge nicht durchführen kann, weil wir nichts davon haben, wenn die Flüchtlinge aus einem Lager in einem Lande in ein Lager in einem anderen Lande befördert werden, sondern weil wir wollen, daß man sie menschenwürdig unterbringt, weil wir wollen, daß man versucht, ihnen Arbeit zu schaffen, weil wir wollen, daß diese Dinge nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit betrachtet werden, darum haben wir uns damit einverstanden erklärt, den Anlauf der Umsiedlung abzuwarten. Wir wissen, daß entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden sind. Wir werden darüber wachen, daß diese Maßnahmen auch durchgeführt werden. Wir werden immer wieder diejenigen sein, die als mahnendes Gewissen in diesem Hause auftreten, damit wir Deutsche unserer solidarischen Pflicht gegenüber dem ärmsten Teil unseres deutschen Volkes uns stets bewußt bleiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ziele, die der Antrag der Bayernpartei verfolgt, können als durchaus berechtigt anerkannt werden. Es ist eine Tatsache, daß durch den Verteilungsschlüssel im Jahre 1946 und durch die geographische Lage der Länder innerhalb des deutschen Gebietes einige Länder, nämlich Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, besonders stark belastet worden sind. Heute wirkt sich diese Belastung stärker als in den vorangegangenen Jahren durch eine echte, strukturelle Arbeitslosigkeit in diesen Ländern und durch eine oft menschenunwürdige Unterbringung in den Lagern aus. Sie wirkt sich ferner auch heute noch durch eine stärkere finanzielle Belastung dieser Länder aus, für die der Finanzausgleich eine nicht vollkommene Entschädigung bieten kann. Wenn auch der Bund zum 1. 4. 1950.
die Leistungen für die Kriegsfolgen übernimmt, so ist doch der finanzielle Ausgleich, der dann erreicht werden könnte, noch lange nicht genügend, um dieser ungleichen Belastung innerhalb des Bundesgebiets vollkommen Rechnung zu tragen.
Ich darf allerdings -- und hierin möchte ich die Ausführungen des Redners der Bayernpartei, des Kollegen Donhauser, richtigstellen - betonen, daß die Ziele, die mit diesem Antrag erreicht werden sollen, von der Regierung in zwei Verordnungen angestrebt werden, deren Durchführung auch erfolgt. Das eine ist die Verordnung über die Neuverteilung der Heimatvertriebenen, in deren Durchführung insgesamt 300 000 Heimatvertriebene nach dem Ende des ausgesprochen kalten Winterwetters verteilt werden sollen, wobei aus Bayern 75 000 Heimatvertriebene herausgenommen werden sollen. Das andere ist die Verordnung zur Notaufnahme von Deutschen im Bundesgebiet, die zur Zeit im Bundesrat in Beratung ist und über die nächste Woche voraussichtlich entschieden werden wird.
Zugleich mit dieser geplanten Verordnung läuft ein Initiativgesetzentwurf .der SPD zur Notaufnahme von Deutschen im Bundesgebiet, über den ich hier nicht spreche. Er enthält allerdings auch eine Bestimmung, wonach die Länder bei der Aufnahme illegaler Grenzgänger aus der Ostzone in gleicher Weise belastet werden sollen und nicht die ungleiche Belastung fortgesetzt werden darf, die bisher allein durch die Grenzlage entstanden ist. Ich darf hier darauf hinweisen, daß diese beiden Verordnungen der Regierung, von denen eine bereits in Kraft gesetzt worden ist und die andere nächste Woche vermutlich in Kraft treten wird, die Ziele, die der Antrag der Bayernpartei verfolgt, auch tatsächlich erreichen sollen.
Was die Grenzgänger aus der Ostzone betrifft, so darf ich darauf hinweisen, daß die Ülzener Beschlüsse eine freiwillige Vereinbarung der Länder darstellen, wobei in der zweiten Fassung der Ülzener Beschlüsse auch die französische Zone mit einbezogen worden ist. So stellen die Ülzener Beschlüsse tatsächlich eine Art föderalistischer Idealregelung dar, weil sie auf Grund einer freiwilligen Vereinbarung der Länder zustande gekommen sind. Ich bitte die Herren Kollegen von der Bayernpartei, es mir nicht übelzunehmen, wenn ich ihnen sage, daß ihr Antrag ein Gespenst an die Wand malt, das wir sehr ungern sehen, nämlich das Gespenst der Bundesexekutive gegenüber den Ländern.
— Lassen Sie mich, doch bitte ausreden! Ich bin leider der Meinung — und wir haben berechtigten Grund, das zu glauben —, daß gerade die gerechte Verteilung der Heimatvertriebenen, die Entlastung der Länder Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, eine Art Feuerprobe für die Echtheit des Föderalismus innerhalb der deutschen Länder darstellen wird.
Ich habe weniger Angst davor, daß man die Flüchtlinge etwa zwingen muß, in bessere Gegenden hinüberzuwechseln, wo sie Arbeitsmöglichkeiten und Unterkunft haben, als davor, daß die Länder im Rahmen der Möglichkeiten, die sie haben, die Aufnahme von Heimatvertriebenen
vielleicht doch etwas länger hinausziehen, als wir das bei den betreffenden Ländern wollen.
— Wir stehen, Herr Kollege Baumgartner —Sie
und wir —, vor der tragischen Alternative, entweder eine rein föderalistische Regelung zu
wollen, die aus Ihrem Staatenbundprinzip entspringt und mit der auf lange Zeit nichts zu erreichen ist, weil die Mehrheit der Länder nämlich unter Umständen nicht will, oder den anderen Weg zu wählen, den wir nicht wollen, nämlich vom Bund aus die Aufnahme der Heimatvertriebenen in gerechter Verteilung durchzusetzen,
ein Gespenst, das Sie mit diesem Antrag ohne Zweifel an die Wand malen.
Ich darf dann noch zu Ziffer 2 Ihres Antrages, daß die Überführung der Heimatvertriebenen aus den nicht winterfesten Lagern noch vor Einbruch des Winters erfolgen soll, etwas sagen. Wir haben es im Jahre 1946 in der unteren Verwaltung. kennengelernt, was es bedeutet, wenn kurzfristig, ohne .daß dafür Vorbereitungen von längerer Dauer getroffen werden konnten, Transporte größeren Umfangs in Landkreise geworfen werden. Was damals von haßerfüllten, unter einer bestimmten Ideologie stehenden, verhetzten Menschen aus dem Osten an Deutschen verbrochen worden ist, indem man unter menschenunwürdigen Umständen, gerade im Herbst 1946, Millionentransporte nach Deutschland hereingeworfen hat, durfte sich von Deutschen zu Deutschen im Jahre 1949 nicht wiederholen.
Darum halten wir es für richtig, daß die Regierung mit der Umquartierung am Ende des Winters — wie Herr Kollege Dr. Baumgartner vorher selbst sagte —, im Frühjahr, das jetzt kommt, beginnt. Wir werden dann höllisch darauf aufpassen, daß die Regierung die Quote, die die erste Rate darstellt, im Zuge der gesamten Umquartierung auch tatsächlich einhält. Wir sind da vollkommen der gleichen Meinung.
Wir stehen also auf dem Standpunkt, daß die Ziele, die dieser Antrag verfolgt, berechtigt sind, wenn man auch über Einzelheiten streiten kann.
Wir sind zweitens der Meinung, daß man diese Ziele nur auf dem Wege geordneter Rechtsformen und ihrer Durchführung erreichen kann, wobei wir selbst meinen, daß der freiwillige Ausgleich zwischen den Ländern als eine Art Musterprobe für die Funktionsfähigkeit des Föderalismus wertvoller wäre als das Eingreifen des Bundes auf diesem Gebiet.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Clausen.
Meine Damen und Herren! Ich habe im Oktober vorigen Jahres, als dieser Antrag der Bayernpartei hier zur Verhandlung stand, dazu gesprochen und einige Ausführungen dazu gemacht. Ich habe darauf hingewiesen, daß nach unserer Auffassung für Schleswig-Holstein dieser Antrag außerordentlich wichtig ist. Ich
habe darauf hingewiesen, daß, wenn der Zuzug nach den am schwersten belegten Ländern nicht gesperrt wird, unter Umständen der ganze Flüchtlingsausgleich und die Umsiedlung illusorisch gemacht werden. Es muß etwas geschehen. Es muß auch für das Land Schleswig-Holstein etwas geschehen. Wie ernst die Lage heute ist, wird der Herr Minister für die Vertriebenen Dr. Lukaschek wohl in seiner Versammlung in Lübeck bemerkt haben. Wie ernst die Lage ist, beweisen die Erwerbslosenzahlen in Schleswig-Holstein, die von Tag zu Tag steigen. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Bürgerhäuser keine Belastung mehr vertragen. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Läger beseitigt werden müssen, die heute unmenschlich sind. Daher ist eine Einschränkung, ja eine Sperrung meines Erachtens eine unumgängliche Notwendigkeit. Ich gebe zwar zu, daß Ausnahmen gemacht werden müssen, wo ausgesprochene menschliche Härten entstehen. Aber ich möche bitten, diese Ausnahmen außerordentlich einzuschränken und nur auf Ehegatten zu beschränken. Es kann nicht angehen, daß Geschwister, Schwiegermutter und die ganze Familie mit dieser Begründung hergeholt werden. Gerade durch diese Zusammenführung von Familien, die Schleswig-Holstein viel früher beschlossen hatte, ist eine außerordentliche Mehrbelastung dieses Landes in den letzten eineinhalb Jahren erfolgt. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Ausnahmen von der Sperrung unbedingt nur Einzelausnahmen aus rein menschlichen Gründen sein müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und lasse abstimmen. Wer für den Antrag der Drucksache Nr. 460 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag des Ausschusses ist zweifellos mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beschlußfassung über den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Antrag der Abgeordneten Dr. Holzapfel und Genossen betreffend Gesetz über die Liquidation des ehemalig reichseigenen Filmeigentums .
Zu diesem Punkt hat die Aussprache schon stattgefunden. Es bleibt nur die Beschlußfassung übrig. Diese ist nach § 100 der Geschäftsordnung ohne erneute Aussprache zulässig. Ich lasse abstimmen. Wer für die Annahme des Ausschußantrages Drucksache Nr. 402 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen über den Antrag der Fraktion der WAV betreffend Baudarlehen an Schwer- und Schwerstversehrte .
Ich bitte Herrn Abgeordneten Lücke, als Berichterstatter das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen hat den Antrag der WAV in der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 237 betreffend Baudarlehen an Schwer- und Schwerstversehrte in seiner Sitzung am 12. Januar eingehend beraten. Dem Antrag liegt der Gedanke zugrunde, durch Gewährung zweckgebundener zinsloser Baudarlehen an Schwer- und Schwerstversehrte diesen den Bau eines Eigenheims zu ermöglichen, wobei daran gedacht ist, die Gewährung der Darlehen von dem Nachweis einer Rückzahlung abhängig zu machen. In der Frage, ob den Schwerbeschädigten im kommenden Wohnungsbaugesetz im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues ein Vorrang zu gewähren ist, entweder durch Zuweisung von Geldmitteln, zinsverbilligten Darlehen usw. oder in der bevorzugten Zuweisung von Wohnraum, kam der Wohnungsbauausschuß zu dem Ergebnis, daß es in erster Linie Aufgabe der Gemeinden, Gemeindeverbände und Länder sei, hier eine geeignete Regelung zu finden, die es diesem besonders schwer getroffenen Bevölkerungsteil ermöglicht, ebenfalls zu einem Eigenheim zu kommen. Außerdem hält es aber der Ausschuß für gefährlich, auf Bundesebene bereits im Wohnungsbaugesetz Sondergruppen zu schaffen, weil hier ein Ende nicht abzusehen ist.
Die antragstellende Fraktion der WAV hat dann ihrerseits in diesem Zusammenhang erklärt, daß dem Antrag ja nicht die Absicht zugrunde gelegen habe, den Kriegsopfern aus Mitteln für den sozialen Wohnungsbau zu helfen. Es sei vielmehr beabsichtigt, damit zu erreichen, daß die Renten der Kriegsopfer in irgendeiner Form kapitalisiert werden könnten. Die Fraktion der WAV hat darum gebeten, den Antrag auf Drucksache Nr. 237 an den Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangene zu verweisen.
Einstimmig kam daher der Ausschuß zu demo Ergebnis, dem Hohen Hause nachstehenden Beschluß zur Annahme zu empfehlen:
den Antrag der Fraktion der WAV betreffend Baudarlehen an Schwer- und Schwerstversehrte dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen zu überweisen, damit dieser prüfe, inwieweit durch Kapitalisierung von Rentenbeträgen zur Förderung des Wohnungsbaues für Kriegsversehrte beigetragen werden kann.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem einstimmig gefaßten Beschluß seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen.
Wer für den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 419 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend abgelaufenes Produktionspermit .
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
— Herr Abgeordneter Renner, der Herr Bundesarbeitsminister hat ums Wort gebeten, und nach
dem Grundgesetz und nach der Geschäftsordnung hat die Bundesregierung jederzeit die Möglichkeit, auch außerhalb der Tagesordnung das
Wort zu nehmen. Ich werde entsprechend verfahren.
- Sie haben das Wort, Herr Minister!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier handelt es sich, wenn ich den Antrag richtig verstehe, um die abgelaufenen Produktionspermits der Fischer-Tropsch-Werke. Nach der Meinung der Besatzungsmächte unterliegt die Produktion der Betriebe den Bestimmungen über verbotene Industrien. Es liegen nunmehr Vorschläge der Betriebsleitungen der fraglichen Betriebe vor, die eine grundsätzliche Umstellung der Produktion vorsehen. Die Verhandlungen des Herrn Bundeskanzlers mit den Hohen Kommissaren gehen dahin, die neue Produktion in den Betrieben zu genehmigen und für die Zeit der Umstellung der Produktion die Produktionsgenehmigung auf der alten Basis zu geben. Es ist vereinbart, daß Sachverständige der beiden Parteien gutachtlich zu den neuen Produktionsvorschlägen Stellung nehmen sollen, und es ist zu hoffen, daß nach der Erstattung des Gutachtens die Produktionsgenehmigung für die Übergangszeit umgehend auf der alten Basis gegeben wird. Von der Bundesregierung wird alles getan, um die hier notwendigen Entscheidungen der Hohen Kommissare so schnell wie möglich herbeizuführen. Darüber hinaus ist dafür gesorgt worden, daß keine von den dort beschäftigten 1400 Arbeitnehmern in dieser Übergangszeit entlassen werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Auffassung, daß der Antrag der KPD-Fraktion durch die Stellungnahme des Herrn Bundesarbeitsministers sachlich erledigt ist.
- Wie im Ältestenrat angekündigt, Herr Rische!
Ich darf Ihnen den Antrag der KPD vorlesen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag unverzüglich Bericht zu erstatten über den Stand der Verhandlungen mit der Hohen Kommission zwecks Verlängerung . .
-- und dann folgt der Tatbestand im einzelnen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen also die Bundesregierung nicht mehr zu ersuchen, unverzüglich Bericht zu erstatten, nachdem sie mit ihrer Berichterstattung der Begründung dieses Antrags zuvorgekommen ist, den Bericht also noch schneller als erfordert erstattet hat. Infolgedessen ist auch eine Diskussion in diesem Hause nicht mehr zulässig; denn das würde bedeuten, daß wir diskutieren mit einem Ziel, das nicht erreicht werden kann. Denn es besteht doch wohl Einigkeit darüber, daß wir einen Beschluß, wie ihn der Antrag der KPD-Fraktion verlangt,
nicht mehr fassen können.
Wir sind von diesem klaren Grundsatz in der Vergangenheit abgewichen. Es scheint uns aber notwendig zu sein, zu den Bestimmungen der Geschäftsordnung zurückzukehren. Was die KPD-Fraktion materiell erreichen will, müßte eigentlich Gegenstand einer Interpellation gemäß § 55 der Geschäftsordnung sein. Verfährt die KPD-Fraktion nach § 55, bringt sie also eine Interpellation ein, so hat sie das Recht, vor der Antwort, die die Regierung im Plenum erteilen muß, das Wort zu ergreifen. An die Beantwortung durch die Regierung schließt sich gemäß § 56 der Geschäftsordnung eine Besprechung an, wenn 50 anwesende Mitglieder sie verlangen. Die KPD-Fraktion wählt diesen Weg normalerweise nicht, weil zur Einbringung der Interpellation nach der Geschäftsordnung die Unterschriften von 30 Mitgliedern erforderlich sind.
Der Präsident muß jeden Antrag annehmen, der ihm eingebracht wird.
Meine Damen und Herren, wir wollen zu dieser Bestimmung der Geschäftsordnung wieder zurückkehren, was wir Ihnen hiermit vorschlagen möchten. Wir sind auch der Auffassung, daß es nicht angängig ist, die Regierung zu Erklärungen zu zwingen, wenn nicht, wie die Geschäftsordnung es verlangt, 30 Mitglieder diesen Antrag unterschrieben haben. Anfragen, die nicht das Interesse von 30 Mitgliedern, also eines Vierzehntels der Mitglieder dieses Hauses finden, verdienen es tatsächlich nicht, daß sie so ausführlich und in der Form behandelt werden, wie dies eine Interpellation verlangt.
Meine Damen und Herren, da es sich hier um den ersten Fall dieser Art handelt, der zu Beanstandungen führt, sind wir der Meinung, wir sollten dem Hause nur diese Anregung geben. Wir werden aber verlangen, daß in Zukunft diesen Bestimmungen entsprechend verfahren wird.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Es gibt eine Geschäftsordnung; die ist auslegbar. Es gibt aber auch eine Abrede unter Gentlemen,
und die ist — —
Herr Abgeordneter Renner, ich warne davor, Schlußfolgerungen zu ziehen!
Ich habe ja noch gar keine gezogen!
Ich frage nur: gibt es eine Abmachung unter Gentlemen? Ich war bisher der Auffassung, daß Abmachungen des Ältestenrates als Abmachungen unter Gentlemen gelten. Herr Dr. Bucerius hat mir heute abend beigebracht, daß ich mich in dieser Annahme geirrt habe.
Ist das eine Kritik an dein Abgeordneten Bucerius?
Ja, das ist eine Kritik. Schade, ich kann sie aber leider nicht zurücknehmen.
Dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf!
Sie war aber höflich angebracht.
Der Ordnungsruf bleibt Ihnen.
Schön, auch dagegen kann ich mich nicht wehren.
Aber was ist denn los? Wir haben einen Antrag gestellt. Diesen Antrag hat der Herr Präsident angenommen, nachdem er vorher ein kleines Zwischenspiel eingeschaltet hatte; ich meine mit dem „Herrn Präsidenten" den Präsidenten mit allem Drum und Dran, den Herrn Bundestagspräsidenten. Er hat ihn angenommen. Hinterher hat er mir eröffnet, daß ihm dieser Antrag als eine Kleine Anfrage erschiene und er demzufolge diesen Antrag als Kleine Anfrage der Regierung zugestellt habe mit der Bitte, diese Kleine Anfrage zu beantworten. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß wir anderer Auffassung sind. Im Ältestenrat ist auch festgestellt worden, daß dieser Antrag, selbst wenn er im Sinne der Geschäftsordnung eine Kleine Anfrage darstellt, als Antrag zu behandeln ist und behandelt werden soll,
— und im Ältestenrat, Herr Dr. Bucerius, ist verabredet worden, daß die Sache folgenden Ablauf nehmen solle: Begründung des Antrags durch einen Sprecher meiner, der antragstellenden Fraktion,
dann die Regierungserklärung — -
- Was soll man auf ein solches Nein antworten? Ich muß höflich bleiben, sonst würde ich auf dieses Nein etwas anderes sagen.
Bleiben Sie höflich!
Tut mir leid, daß ich es muß!
Der Antrag soll so behandelt werden, so war es
abgeredet: Eine Begründung durch die Fraktion,
dann die Antwort der Regierung, dann eine Aussprache und dann das Schlußwort der antragstellenden Fraktion. Wenn Sie „nein" sagen, so beweist das bestenfalls, daß Sie nicht zugehört
haben. Ich habe mir heute morgen im Büro des
Herrn Bundestagspräsidenten diese meine jetzigen Angaben noch einmal schriftlich geben lassen, und ich rufe, wenn es gegen das „Nein"
eines durch große Jugend ausgezeichneten Bundestagsabgeordneten notwendig sein sollte —
seine anderen Eigenschaften darf ich nicht
herausstreichen, weil mir das verboten ist —, den
Herrn Bundestagspräsidenten zum Zeugen auf, daß im Ältestenrat derselbe Herr Dr. Bucerius, der heute diesen Antrag einbringt, diesen seinen heutigen Antrag bereits ankündigte.
Von der Mehrheit des Ausschusses ist Ihnen klargemacht worden, daß es nicht besonders fair wäre, wenn Sie so verführen.
Ich gebe Ihnen draußen, außerhalb der Spielregeln des Parlaments, auf dieses Nein die gebührende Antwort. Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung.
Ich habe ja angeboten, den Herrn Bundestagspräsidenten als Zeugen heranzuziehen.
Es handelt sich bewußt darum, eine kleine Fraktion mit äußerst undemokratischen Mitteln außer Spiel zu bringen. Ich beantrage also ordnungsmäßig, diesen gegen die Abrede im Ältestenrat zustande gekommenen Antrag des Abgeordneten Dr. Bucerius abzulehnen und den Antrag so zu behandeln, wie das im Ältestenrat beschlossen worden ist.
Herr Abgeordneter, Sie scheinen dem Abgeordneten Dr. Bucerius nicht zugehört zu haben. Er hat genau das, was Sie vorher beantragt haben, vor einer Minute von sich aus beantragt.
Er hat beantragt, diesen Antrag so zu behandeln, wie er gestellt worden ist; nur in Zukunft
möge man Dinge, die sich mehr für Interpellationen eignen, als solche behandeln.
(Abg. Renner: Ich wage nicht anzuzweifeln,
ich freue mich aber doch, daß ich eine klare
Antwort gegeben habe! — Heiterkeit.)
Zur Sache hat das Wort der Herr Abgeordnete Agatz.
Meine Damen und Herren! Ganz ohne Zweifel handelt es sich bei dem vorliegenden Antrag um eine Sache, die uns alle, die wir hier sind, entschieden angeht. Man hat die beiden Werke „Krupp Treibstoffwerke in Wanne-Eickel" und „Gewerkschaft Viktor in CastropRauxel" zwar von der Demontageliste abgesetzt, aber dann keine Produktionserlaubnis erteilt. Man stützt sich seitens der Alliierten bei dieser Maßnahme auf das Washingtoner Abkommen, das ein Verbot der Erzeugung von Benzin, Öl und Schmieröl durch Hydrierverfahren Bergius oder Fischer - Tropsch-Synthese ausgesprochen hat. Es wird gesagt, daß diese mit der Sicherheit der Alliierten nicht zu vereinbaren seien.
Ich glaube, alle Deutschen sind sich darin einig, daß endlich der Begriff „Sicherheit" bezüglich der Kriegsbetriebe geklärt werden muß. Wir sind der Meinung, daß es selbstverständlich keine Kriegsbetriebe mehr geben darf, also solche Betriebe, die im Frieden für den Krieg arbeiten. Aber wir wissen auch, daß dieser Begriff „Kriegsbetrieb" doppelsinnig ist. In den letzten Kriegen ist sogar die letzte Nähmaschine oder
genau besehen der letzte Bauernhof als Kriegsbetrieb eingesetzt gewesen. Ist der Krieg zu Ende, arbeiten diese Betriebe aber für den Frieden, und wir stehen auf dem Standpunkt, daß auch die Fischer-Tropsch-Anlagen für den Frieden arbeiten, und daß ihnen die Erlaubnis gegeben werden muß, für den Frieden arbeiten zu können. Denn was die Treibstoffherstellung dieser Betriebe betrifft, so ist nach vorliegendem Gutachten der Anteil der Treibstoffgewinnung dieser Werke nur 2 bis 21/2 Prozent des gesamtdeutschen Treibstoffbedarfs gewesen. Ich darf hier aussprechen, was vielfach schon gesagt worden ist, was aber die Alliierten nicht gerne hören mögen, was jedoch alle Deutschen für wahr halten, daß die Behinderung der deutschen FischerTropsch-Produktion einzig und allein Konkurrenzgründen entspringt; und dagegen haben wir uns zur Wehr zu setzen, und wir meinen das mit allem politischen und moralischen Recht tun zu können. Wir wissen, daß mittels der FischerTropsch-Produktion eine empfindliche Rohstofflücke in unserer Wirtschaft geschlossen werden kann. Wir wissen darüber hinaus, daß die Kohleveredlung, die Gewinnung wichtiger Stoffe aus der Kohle noch eine große Zukunft hat, und wir möchten nicht, daß die deutsche Wirtschaft und die deutsche Wissenschaft von der Mitarbeit an der Entwicklung dieser Produktion ausgeschlossen wird. Unsere Meinung gründet sich darauf, daß die Fischer-Tropsch-Synthese eine deutsche Erfindung ist und daß wir in diesem Falle das Erstgeburtsrecht für uns beanspruchen können. Darüber hinaus aber hat diese Fischer-Tropsch-Produktion für unseren Bergbau und für die Chemiewirtschaft sehr große Bedeutung. Es gibt eine vielfältigste Verwendung der Fischer-Tropsch-Produktion in der Konsumgüter-Industrie, vor allem in der Seifen- und Waschmittelindustrie.
Vor allem für die Bergarbeiter hat diese Produktion ganz enorme Bedeutung. Wir stehen in Kürze vor der Frage: wie sollen wir unsere Kohlen absetzen? Es macht sich der Beginn einer Kohlenschwemme auf dem Weltkohlenmarkt bemerkbar. Das wird dann bedeuten, daß das Sortenproblem wieder ein sehr schwieriges Problem sein wird, das heißt, daß die minderwertige Kohle, die automatisch mit jeder Kohlenförderung anfällt, von uns nicht mehr verwertet werden kann. Hier bot die Fischer-Tropsch-Produktion einen Ausweg, und wir möchten, daß uns dieser Ausweg offen bleibt. Wir wissen auch, daß veredelte Kohle, zu der diese minderwertige Kohle besonders geeignet ist, einen sehr viel höheren Produktionswert hat, den, glaube ich, unsere Wirtschaft sehr gut gebrauchen kann. Der Bergbau würde dadurch zweifellos mehr konjunkturunabhängig sein, er würde dadurch seine wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben besser erfüllen können, und es würde damit das Gespenst der Zechenstillegungen, welches jetzt schon wieder droht, besser abgewendet werden können. Es würde damit auch der drohenden Arbeitslosigkeit, die bereits zu einer Gefahr für unseren ganzen sozialen Bestand zu werden beginnt, entgegengewirkt werden können. Wir wissen, daß wir die Arbeitsplätze sowohl der Fischer-TropschArbeiter wie auch der Bergarbeiter unter allen Umständen sichern müssen. Darum haben wir den Antrag gestellt, um von der Regierung zu erfahren, wie es mit den Bemühungen um die
Erhaltung des Produktionspermits aussieht. Wir wollen das wissen, damit, wenn sich dort Schwierigkeiten zeigen, nicht nur regierungsseitig, sondern durch alle Deutschen gleichmäßig Druck gemacht werden kann, daß diese Produktionserlaubnis, auf die wir jedes Anrecht haben, auch erteilt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meyer .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Obwohl die Frage der beiden Treibstoffwerke einen der schwachen Punkte des Petersberger Abkommens darstellt, war meine Fraktion bisher der Meinung, in dieser Frage keine öffentliche Initiative zu entwickeln, um die von der Regierung hierüber geführten Verhandlungen nicht zu stören. Ich selbst habe als Vertreter des Wahlkreises nicht nur das Werk besichtigt, sondern mehrere Male Delegationen der Betriebsbelegschaft in diesem Hause erhalten und kenne die ungeheure wirtschaftspolitische und insbesondere kommunalpolitische Bedeutung dieser Frage. Ich habe deshalb von mir aus als Vertreter dieses Wahlkreises den Weg gewählt, unter dem Datum des 27. Dezember 1949 an den Herrn Bundeskanzler einen Brief zu richten, um Auskunft darüber zu bekommen, ob noch eine Möglichkeit besteht, eine neue Produktionserlaubnis oder den Termin für die Umstellung dieser beiden Werke auf eine neue Produktionsgrundlage zu erhalten. Leider habe ich auf mein Schreiben hin weder eine Antwort noch eine Bestätigung bekommen,
obwohl ich wiederholt von den Betriebsräten bedrängt worden bin, in dieser Frage eine Auskunft zu geben. Die Auskunft, die uns der Herr Arbeitsminister gegeben hat, ist meiner Auffassung nach durchaus nicht befriedigend,
weil sie für die beiden Belegschaften, die immerhin 1500 Personen umfassen, weder eine Unterstützung noch auch nur eine Beantwortung hinsichtlich der Sicherstellung ihrer Zukunft bedeutet. Auch auf die Vorschläge, die von den Werkleitungen mit Bezug auf die Umstellung auf ein neues, das sogenannte Oxylverfahren gemacht worden sind, ist noch keinerlei Antwort eingegangen, und wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, daß im Washingtoner Abkommen vom April vorigen Jahres ganz klar und deutlich auf die Tatsache des Verbotes dieser Produktion hingewiesen wurde, scheint mir bei dem Zustandekommen dieses Abkommens das Eisen nicht genügend geschmiedet worden zu sein, als es noch heiß war. Dieses Problem zeigt besonders deutlich die Tatsache des überstürzten Abschlusses des Petersberger Abkommens auf. Obwohl es nicht meine Aufgabe ist, in diesem Zusammenhang über diese großen politischen Fragen zu sprechen, muß ich diese Tatsache hier doch erwähnen. Ich glaube, wir müssen den Kreisen, die dieses Petersberger Abkommen auf beiden Seiten abgeschlossen haben, sagen, daß diese beiden bedeutenden Werke ja keinen Naturschutzpark darstellen, der nun der Verrostung anheimgegeben werden soll. So haben die Arbeiter der beiden Werke den ausgesprochenen Demontagestop nicht aufgefaßt.
In Wanne-Eickel sind heute schon 8 Prozent der Beschäftigten erwerbslos, und eine Stillegung dieses Werkes bedeutet eine weitere Vermehrung auf ungefähr 11 bis 12 Prozent. Ich darf weiter die Tatsache anführen, daß bei der Produktion auf der Basis von Fischer-Tropsch nicht nur die schlechten Kohlensorten verwertet werden, für die im Ruhrgebiet ein starker Anfall und ein Überschuß vorhanden ist, sondern daß die Art und Weise der Produktion auch gestattet, daß weit über 50 Prozent der Belegschaft aus Berginvaliden und zu einem großen Teil auch aus Kriegerfrauen bestehen, die ihre Männer in diesem furchtbaren Weltkrieg verloren haben.
Ich möchte auch noch daran erinnern, daß diese Frage zu einem großen Teil in die Zuständigkeit des sogenannten Sicherheitsamtes fällt. Das ist doch wohl die entscheidende Stelle. Ich bitte, darüber eine Auskunft zu geben, ob die Regierung mit dieser Sicherheitsbehörde, die noch in Berlin sitzt — wenn ich eine Pressemeldung von heute richtig verstanden habe, hat das Sicherheitsamt noch keine Beschlüsse gefaßt bereits korrespondiert, um diese Frage ein Stück weiter der Lösung entgegenzuführen. Wenn die Presseverlautbarungen stimmen, haben die drei Hohen Kommissare auf dem Petersberg erklärt: Wenn das Sicherheitsamt die Zustimmung zu einer weiteren Produktionserlaubnis oder zumindest zu der angestrebten Umstellung, das heißt zu der Loslösung von diesem nach dem Washingtoner Abkommen verbotenen Verfahren gibt, dann werden sie, die drei Hohen Kommissare, für die beiden Werke ohne weiteres die Produktionserlaubnis aussprechen.
Zum Schluß möchte ich meine Ausführungen in einige Punkte zusammenfassen. Ich möchte darum bitten, daß der Herr Bundeskanzler dafür sorgt oder anstrebt oder zu beschleunigen versucht — wie man es nun ausdrücken will —, daß die vorgesehene Kommission an die Arbeit geht, die zur Prüfung der Frage, ob die Umstellung der Fischer-Tropsch-Anlage auf andere Verfahren möglich ist, eingesetzt werden sollte. Meinen Informationen zufolge sind die deutschen Sachverständigen bereits ernannt worden. Ich weiß aber nicht, ob die alliierten Vertreter bereits bestimmt sind. Wie ich schon gesagt habe, sind hier Widersprüche vorhanden. Einmal wird gesagt, daß das Sicherheitsamt zuständig sei. Dann soll diese Kommission zur Beratung der Hohen Kommissare in Erscheinung treten. Es wäre doch wohl richtig und notwendig gewesen, dem Abgeordneten, der sich in allen seinen Wahlkreis betreffenden Fragen nicht als Vertreter einer Partei, sondern als Vertreter dieses großen Wahlkreises an der Ruhr fühlt, zumindest Einblick in den Stand der Dinge zu geben, damit er mit Informationen ausgerüstet ist, um auf die an ihn gestellten Fragen Rede und Antwort zu stehen.
Ich habe weiter folgendes festzustellen. Wenn die Werke Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel bis zum 15. Februar keinen günstigen Bescheid erhalten, etwa den Bescheid, daß die Aufrechterhaltung der Anlagen bis zur Umstellung genehmigt wird, müssen sie wegen finanzieller Schwierigkeiten ihren Belegschaften kündigen. Ich darf weiter feststellen, daß die sogenannten Stillhaltekosten bereits im Januar allein im Werk Wanne-Eickel eine Summe von ungefähr 600 000 Mark, in dem Werk Castrop-Rauxel eine Summe von 300 000 Mark erreicht haben. Das ist eine Summe, die für beide Werke zusammen fast die Grenze einer Million D-Mark erreicht, die für feiernde Hände gegeben werden mußten! Man kann sich ausrechnen, daß die beiden Werke nicht sehr lange in der Lage sein werden, diese beträchtlichen finanziellen Zuschüsse zu leisten. Es muß nun irgendwie eine Entscheidung nach der einen oder anderen Seite fallen. Es ist zwar besonders durch die Mitwirkung des Herrn Arbeitsministers Halbfell in Düsseldorf gelungen, wenigstens eine kleine vorübergehende Erleichterung zur Ermöglichung von Notstandsarbeiten zu schaffen. Man muß aber trotzdem die Gesamtfrage im Auge behalten und erkennen, daß mit solchen kleinen Palliativmitteln die Frage nicht zu lösen ist. Wenn aus gewissen Gründen — und damit möchte ich schließen — nicht eine breit angelegte Antwort und Aufklärung durch die Regierung gegeben werden kann, sollte man zum mindesten dem daran interessierten und beteiligten Abgeordneten dieses Wahlbezirks die notwendige Auskunft geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Doch, der Herr Arbeitsminister hat sich gemeldet.
— Sie haben sich nicht gemeldet? Ich bitte um Entschuldigung. Ihre erhobene Hand hatte ich als Wortmeldung aufgefaßt.
Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ist der Herr Abgeordnete Bucerius noch im Saal? — Ich bin nicht ganz sicher, ob er beantragt hat, den Antrag der KPD für erledigt zu erklären; ich meine mich zu erinnern.
Er hat den Antrag gestellt. Dann lasse ich zuerst über diesen Antrag als den weitestgehenden abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist gegen wenige Stimmen angenommen. Der Antrag Nr. 412 ist damit durch die Erklärung des Herrn Bundesarbeitsministers für erledigt erklärt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des An trags der Fraktion der SPD betreffend Bericht über die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bundesbahn .
Mit Rücksicht darauf, daß im Laufe des heutigen Tages im ganzen Haase ein Bericht über die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bundesbahn verteilt worden ist, haben die Herren Antragsteller beantragt, den Punkt 11 von der Tagesordnung abzusetzen. — Ich stelle dies fest.
Wir kommen nunmehr zum letzten, 12. Punkt der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Darf ich dazu auf folgende Berichtigungen in der Drucksache Nr. 473 aufmerksam machen. Beginnend mit dem Antrag Drucksache Nr. 433 soll nicht der
Ausschuß für Arbeit federführend sein, sondern der Ausschuß für Sozialpolitik unter Hinzuziehung des Ausschusses für Geld und Kredit. Zweitens: bei der Drucksache Nr. 451 wird der ERP-Ausschuß als federführender Ausschuß eingesetzt unter Mitwirkung des Ausschusses für Geld und Kredit.
Die Berichtigungen vorangeschickt, bitte ich diejenigen Damen und Herren, die für den interfraktionellen Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse, Drucksache Nr. 473, sind, die Hand zu erheben. - Danke! Es ist so beschlossen.
Ehe ich die Sitzung schließe, darf ich zunächst fragen: soll ich irgendwelche Fraktionssitzungen
heute abend bekanntgeben? Ich sehe eben hier: die CDU/CSU-Fraktion hat unmittelbar im Anschluß an das Plenum Fraktionssitzung. Haben andere Fraktionen derartige Wünsche? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren! Wir haben gestern im Ältestenrat beschlossen, morgen nicht wie gewöhnlich um 14 Uhr 30 Minuten, sondern um 13 Uhr 30 Minuten zu beginnen. Ich berufe deshalb die nächste, die 34. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 2. Februar, 13 Uhr 30 Minuten, und schließe hiermit die 33. Sitzung.