Rede von
Dr.
Elinor
Hubert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als meine Fraktion den Antrag stellte, ein besonderes Referat für die in Polen und der Tschechoslowakei und in den von Polen besetzten deutschen Gebieten noch lebenden Deutschen einzurichten, hatten wir insbesondere zwei Menschengruppen im Auge: einmal die etwa 300 000 schon listenmäßig vom Internationalen Roten Kreuz und von anderen Wohlfahrtsverbänden erfaßten Deutschen, deren Umsiedlung in die Bundesrepublik durch die Hohen Kommissare bereits genehmigt ist und hoffentlich bald ermöglicht wird; und zum andern die Menschen, die in Polen und in der Tschechoslowakei noch in Arbeit stehen und gezwungen sind, vorläufig dort weiter zu leben.
Hinsichtlich der ersten Menschengruppe möchte ich nicht verfehlen, dem Internationalen Roten Kreuz, zugleich im Namen des gesamten ,deutschen Volkes, an dieser Stelle unseren Dank für die umfangreichen Vorarbeiten auszusprechen, die es für die Umsiedlung dieser unserer deutschen Landsleute bereits getroffen hat.
Wir haben begründete Aussicht, daß zunächst etwa 45 000 Menschen, wie soeben von dem Herrn Berichterstatter gesagt wurde, demnächst In die Bundesrepublik übergeführt werden, alle Menschen nämlich, die hier Angehörige haben. Wir hoffen aber, daß auch die anderen Personenkreise, etwa 250 000, im Laufe der Zeit nach Westdeutschland übergeführt werden können.
Hierzu aber sind umfangreiche Vorarbeiten hinsichtlich ihrer Verteilung auf die einzelnen Länder, hinsichtlich ihrer Unterbringung in angemessenen Wohnstätten nötig. Es werden Geldmittel aufgebracht werden müssen, um sie zunächst mit dem Notwendigsten zu versorgen. Wir wissen, daß die Vorarbeiten im Bundesministerium für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen bereits im Gange sind. Aber der Personenkreis wächst ständig; es kommen dauernd neue Bitten von Deutschen nicht nur aus Polen und der Tschechoslowakei, sondern auch aus Österreich, aus der Bukowina, aus Jugoslawien. Sie bitten, hier in das Bundesgebiet aufgenommen zu werden.
Es erscheint deshalb nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig, für diese Menschengruppen und für die Erfüllung der Aufgabe, sie nach Deutschland zu überführen, ein besonderes Referat einzurichten. Wenn man uns entgegenhalten sollte, daß es sich hier um vorübergehende Maßnahmen handelt, so möchte ich demgegenüber betonen, daß es ja auch Bundesministerien gibt, von der Bundesregierung eingerichtet, die sich auch nur mit solchen Aufgaben zu befassen haben, von denen wir alle hoffen, daß sie nur vorübergehend sind.
Wir haben aber, als wir unseren Antrag stellten, auch an die Menschen gedacht, die in Polen weiter in Arbeit stehen und keine Möglichkeit haben, in der nächsten Zeit nach Westdeutschland übergeführt zu werden. Diese Menschen stehen unter einem ständigen Druck. Man versucht, sie zu zwingen, für Polen zu optieren. Weigern sie sich, so laufen sie Gefahr, ihr Hab und Gut zu verlieren. Eisenbahner zum Beispiel werden vor die Alternative gestellt, fristlos entlassen oder zu 5 Jahren Zwangsarbeit verurteilt zu werden oder zu unterschreiben, daß sie Polen werden wollen. Man legt ihnen eine Erklärung zur Unterschrift
vor, eine Erklärung, die 5 Punkte enthält. Einmal: Ich schämte mich, Deutscher zu sein. Zweitens: Ich erkläre mich bereit, jeden Verkehr mit meinen Anverwandten und Bekannten in Westdeutschland abzubrechen. Drittens: Ich erkenne die Oder-Neiße-Linie als die Grenze zwischen Polen und Deutschland an. Viertens: Ich bin bereit, mich nach Innerpolen versetzen zu lassen. Fünftens: Ich bin bereit, aus der Kirche auszutreten. Wir haben darüber hinaus Nachrichten, daß Heimkehrer bei der Durchfahrt durch Polen aus den Zügen herausgeholt und zwangsweise zurückgehalten werden, damit sie in den Bergwerken arbeiten.
Meine Herren und Damen! Diese Menschen dort leben in einem Zustand völliger Rechtlosigkeit, der schlimmer ist als der von sonstigen Staatenlosen, ein Zustand, der unseres Erachtens nicht länger mehr anhalten kann.
Wir haben schon einmal vor einem ähnlichen Problem gestanden, als es sich um die Zivilarbeiter in Frankreich handelte. Es ist gelungen, für diese gewerkschaftliche Organisationen, eine eigene Presse, Rechtsberatung und Rechtsvertretung vor den Arbeitsgerichten sowie auch eine gewisse Anerkennung ihrer Ansprüche in der Sozialversicherung durchzusetzen. Was in Frankreich möglich war, das sollte auf die Dauer auch in Polen zu erreichen sein. Seitdem das Internationale Rote Kreuz seine Arbeiten in Polen hat einstellen müssen, gibt es keine Stelle mehr, die sich unserer Landsleute dort annimmt. Wir selbst haben zwar noch keine Möglichkeiten, ihnen direkt zu helfen, weil wir keine direkten Beziehungen zu diesen Ländern und keine konsularischen Vertretungen haben. Wir sind gezwungen, uns an die Hohen Kommissare zu wenden und sie zu bitten, den Rechtsschutz für die Deutschen in Polen und in der Tschechoslowakei zu übernehmen. Wir sind aber der Ansicht, daß es dafür eine bestimmte Stelle in Deutschland geben muß, die die Hohen Kommissare dauernd auf dem laufenden hält über die Zustände, in denen die Deutschen dort zu leben gezwungen sind. Meine Herren und Damen! Vergessen Sie auch nicht die psychologische Wirkung, die es auf diese unglücklichen und rechtlosen Menschen hat, wenn sie hören und wissen, daß es jetzt hier in Westdeutschland eine Stelle gibt, die sich ihrer Nöte und ihrer Belange annimmt.
Meine Fraktion begrüßt den jetzt gestellten Zusatzantrag, dieses Referat auch auf die Deutschen in Jugoslawien, in der Bukowina und in Ungarn auszudehnen. Wir richten daher den dringenden Appell an die Bundesregierung, ein solches Sonderreferat beschleunigt einzurichten.