Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsvorlage trägt die Bezeichnung „Wiederherstellung der Ehrenämter und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung". Ich möchte hier in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen, daß die Regierungsvorlage ihrem Inhalt nach diese Bezeichnung nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung meiner Fraktion nicht verdient.
Sie könnte vielleicht die Bezeichnung haben: Schaffung der Mitbestimmung der Versicherten und der Arbeitgeber in der Sozialversicherung. Das ist nämlich das Problem, ob man die Selbstverwaltung errichtet oder errichten will oder ob man nur die Mitbestimmung auf dem Gebiet der Sozialversicherung will. Sie sind im Unrecht. wenn Sie eine Parallele zwischen den Forderungen der SPD, nach denen die Selbstverwaltung durch die Betroffenen, durch die Versicherten, durch die Mitglieder der Versicherung wahrgenommen werden soll, und denen auf Mitbestimmung der Sozialpartner auf wirtschaftlichem und sonstigem Gebiet herstellen. Insofern stimme ich auch dem Herrn Bundesarbeitsminister Storch richt zu, der auf Grund der Beitragsabführung durch die Arbeitgeber — etwas anderes ist es nicht - die Parität vertritt. Hierzu muß ich in aller Offenheit und in der Öffentlichkeit bemerken, daß die Beiträge nicht immer ordnungsgemäß abgeführt werden. Es ist nicht so, wie der Herr Abgeordnete Leuchtgens glaubte sagen zu müssen, daß die Arbeitgeber aus ihrer Tasche etwas zahlen, sondern es ist leider so, daß sehr oft auch der Arbeitnehmeranteil, der vom Lohn in Abzug gebracht wird, nicht abgeführt wird.
Sehr oft muß ich bei Sitzungen des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt feststellen, daß Beiträge niedergeschlagen werden sollen, da bestimmte Arbeitgeber der Abführungspflicht der Beiträge nicht entsprochen haben.
Ich bin der Meinung, daß man bei der Selbstverwaltung nicht von Parität sprechen kann, daß
man keinen Vergleich mit der Mitbestimmung in der Wirtschaft ziehen kann, sondern daß man die Selbstverwaltung durchführen muß, wenn man ein Gesetz über Selbstverwaltung schaffen will. In diesem Gesetzentwurf ist in § 2 Absatz 3 die Bestimmung enthalten, daß bei den Ersatzkassen in Abweichung von Absatz 1, Buchstabe a nur Versicherte als Mitglieder der Organe gewählt werden. Warum nur bei den Ersatzkassen? Warum nicht auch in den anderen Zweigen, bei den anderen Trägern der Sozialversicherung?
Bei den Ersatzkassen sind rund 1,5 Millionen Versicherte in der Krankenversicherung versichert; bei den Ortskrankenkassen sind rund 10 Millionen Versicherte gegen Krankheit versichert. Daß die Ortskrankenkassen nicht schlecht gewirtschaftet haben, beweist die Statistik, die uns die Verwaltung unterbreitet hat, wonach 1931, also in einer Zeit, in der die Selbstverwaltung bei den Ortskrankenkassen und bei den Ersatzkassen vorhanden war — als das Verhältnis zwei Drittel Versicherten-Vertreter und ein Drittel Arbeitgeber-Vertreter bei den Ortskrankenkassen war und die volle Selbstverwaltung der Mitglieder der Ersatzkassen vorgelegen hat —, die Verwaltungskosten bei den Ortskrankenkassen 8,28 Prozent und bei den Ersatzkassen 14,79 Prozent betrugen.
- Einen Augenblick! Wenn ich das alles vorgelesen habe, dann komme ich darauf. Ich glaube, der Herr Kollege Schäfer hat das Exposé auch bekommen und kann es Ihnen überreichen. Dort finden Sie alle Angaben. Die reinen Ausgaben betrugen — was auch noch interessant sein dürfte — bei den Ortskrankenkassen 88,85 Prozent für Leistungen, 11,5 Prozent für Verwaltungskosten, bei den Ersatzkassen 77,93 Prozent für Leistungen, 22,7 Prozent für Verwaltungsausgaben. Der Durchschnitt in der reichsgesetzlichen Krankenversicherung insgesamt beträgt 82,22 Prozent und 17,78 Prozent. Sie sehen: die Ortskrankenkassen, in deren Organen die Arbeitervertreter zu zwei Dritteln vertreten waren, haben in der Tat nicht schlecht gewirtschaftet, im Gegensatz zu den Ersatzkassen. Sie wollen lediglich den Ersatzkassen die volle Selbstverwaltung geben und wollen in der Krankenversicherung noch hinter das Recht in der Sozialversicherung während der Kaiserzeit zurückgehen, indem Sie nicht zwei Drittel und ein Drittel aufrechterhalten, sondern die sogenannte Parität durchführen wollen mit der Behauptung, die doch nur als Ausrede bezeichnet werden kann, Sie wollten die Wirtschaftsdemokratie oder etwas ähnliches durchführen. Man spricht von Selbstverwaltung und meint — und muß damit auch meinen — die Selbstverantwortung. Wenn wir die Selbstverantwortung der Versicherten innerhalb der Arbeitnehmerschaft und innerhalb der Organisationen wirklich geben wollen, dann können wir gar nichts anderes tun, als ihnen die volle Selbstverwaltung in ihren eigenen ursprünglichen Angelegenheiten zu übertragen.
Frau Kollegin Kalinke und die anderen Herren Vorredner sind, ich darf wohl sagen: wie die Katze um den heißen Brei um die Bestimmungen der Regierungsvorlage über die Ersatzkassen her-
umgegangen. Die Kollegin Kalinke hat von neuer sozialer Ordnung und Parität gesprochen. Auf der anderen Seite hat sie mit dem vollen Brustton der Überzeugung von echter Selbstverwaltung, von genossenschaftlicher Selbsthilfe und dergleichen gesprochen.