Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Die soziale Reaktion hat mit dieser Gesetzesvorlage durch ihre Regierung einen Wechsel vom 14. August vergangenen Jahres vorgelegt, den nunmehr die Arbeiterschaft zu zahlen haben würde, wenn sie nicht entsprechende Gegenmaßnahmen dagegen ergreift. Herr Kollege Richter hat in seinen Ausführungen schon auf die Ziele, die Bedeutung und die Absichten hingewiesen, die diesem Gesetz zugrunde liegen. Ich möchte sie nur in einigen Punkten ergänzen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Tendenz dieser Gesetzesvorlage keine andere sein kann als die Absicht, dem Kampf der Unternehmer gegen eine fortschrittliche Sozialversicherung, vor allen Dingen hinsichtlich ihrer „eigenen" Beitragsleistung - Beitragsleistung in Anführungsstrichen, ich komme noch darauf zu sprechen — wie auch im Hinblick auf die Senkung der Leistungen Vorschub zu leisten.
Ich sprach vom sogenannten Arbeitgeberanteil. Ich werfe die Frage auf, Herr Minister Storch: mit welcher Berechtigung und auf Grund welcher Tatsachen wird in diesem Gesetz die Parität verlangt? Auf Grund welcher Tatsachen denn? Ist es nicht eine Tatsache, daß dieser sogenannte Arbeitgeberanteil nichts anderes ist als e, n dem Arbeitnehmer entzogener Teil, ein ihm enteigneter Teil seines durch seine Arbeitsleistung erzeugten Sozialprodukts und seines Lohnes? Sie haben infolgedessen keinerlei Berechtigung, in diesem Gesetz die Parität zu verlangen. Daraus ergibt sich die logische Schlußfolgerung, daß wir diesem Gesetz in dieser Frage unter keinen Umständen zustimmen werden, da die Zusammensetzung der Organe den Wünschen der Arbeitgeber entsprechend noch rückschrittlicher ist, als sie es bisher schon war.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Kampf um eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung schon seit ihrer Entstehungszeit von der politischen Tendenz diktiert war - ich möchte an die Begründung erinnern,
die damals Bismarck bei der Errichtung der ersten Sozialversicherungsorgane gegeben hat —, aus politischen Gründen einen Damm gegen die aufwärts strebende Arbeiterbewegung zu schiffen. In fortgesetztem Kampf gegen die politische Reaktion wurden bestimmte Verbesserungen durch den Einsatz der Gewerkschaften usw. durchgesetzt. Es bleibt dieser Regierung vorbehalten, nun Schritte rückwärts zu gehen und damit die Rechte, die die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer sich bis dahin erkämpft hatten, wieder rückgängig zu machen. Das ist die eine Frage.
Die Vertreter der Regierungsparteien, gleichgültig, wer es gewesen ist und von welcher Fraktion, haben in ihren Ausführungen dieser Vorlage zugestimmt. Ich glaube auch, daß die Kollegin Frau Kalinke — ich möchte sagen: sie ist „ka Linke", sie gehört bestimmt zur Rechten —
nichts getan hat, um zu verbrämen, daß sie mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf nur das zum Ausdruck gebracht hat, was sowohl Herr Kollege Arndgen wie auch Herr Wellhausen ausgeführt haben.
Ich möchte zu den Ausführungen des Kollegen Arndgen nur eines sagen. Ich nehme keinem übel, wenn er über irgendeine Materie nur wenig Bescheid weiß. Aber wenn Herr Kollege Arndgen glaubt, in Abwehr der Tatsache, daß ein früherer christlicher Gewerkschaftssekretär in einer Front mit dem Direktor und Vorstandsmitglied der MAN in der Verteidigung einer Vorlage steht, die, wie sich hier ganz eindeutig ergeben hat, in der Linie der Unterstützung und der Bewilligung der Forderungen der Reaktionäre liegt, einen Hinweis auf die Entwicklung der Sozialversicherung in der Deutschen Demokratischen Republik machen zu können, dann ist demgegenüber doch die Tatsache festzustellen, daß nicht nur von meinen eigenen Freunden behauptet, sondern auch von anderen Kreisen unumwunden zugegeben worden ist und zugegeben wird, daß in der Deutschen Demokratischen Republik eine Sozialversicherung geschaffen worden ist, die nur als vorbildlich, nicht nur in ihrem Aufbau und in ihrer Gestaltung, sondern auch in ihrer Leistung angesprochen werden kann.
Ich verstehe, daß Sie, Herr Kollege Wellhauser, das ablehnen - —
- Das ist nicht so maßgebend. Maßgebend ist, daß er Vorstandsmitglied und Direktor der MAN ist, der hier in seiner Eigenschaft als Abgeordneter seinen Standpunkt, das heißt den Standpunkt der Unternehmer zu vertreten hat.
Ich bin also der Meinung, wir würden sehr gut daran tun, Bestrebungen zu unterstützen, die in einigen Ländern seit 1945 im Gange gewesen sind, nämlich in der Frage der Gestaltung der Sozialversicherung den Weg zu beschreiten, wie er zum Beispiel in Hessen zumindest in der Verfassung verankert ist — ohne daß er bisher schon realisiert wurde —, nämlich .den Weg der Vereinheitlichung der Sozialversicherung, um auf diese Art und Weise nicht nur die Verwaltungskosten zu senken, nicht nur die Sozialversicherung an die Beteiligten heranzubringen, sondern auch eine wesentliche Steigerung der Leistungen herbeizuführen. Ich bin davon überzeugt, daß die Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien an einer solchen Entwicklung selbstverständlich kein Interesse haben werden.
— Das kann ich mir denken; dafür stehen Sie auch auf der Rechten!
Nach diesen Bemerkungen über die Vorlage, über die wir uns im einzelnen noch im Ausschuß und bei den weiteren Lesungen werden unterhalten müssen, muß ich abschließend sagen: Wir werden alles daransetzen, damit diese Anschläge zurückgewiesen werden! Es wird die Aufgabe sein, besonders draußen in den Betrieben und in den Gewerkschaften gegen diese Versuche Stellung zu nehmen, wie sie in dieser Vorlage zum Ausdruck kommen, den Unternehmern mit Unterstützung dieser reaktionären Regierung weitere Vorteile auf dem Gebiete der Sozialversicherung zu verschaffen. Der Kurs darf nur in einer Richtung genommen werden: eine Sozialversicherung, eine fortschrittliche Sozialversicherung zu gestalten, die es als ihre entscheidende Aufgabe ansieht, ausschließlich den Interessen der Versicherten zu dienen. Eine solche Sozialversicherung und ihre Verwaltung dürfen nur die eine Aufgabe haben: den Kranken, Invaliden usw. das zukommen zu lassen, was sie auf Grund ihrer Arbeitsleistung zu beanspruchen haben.