Meine Damen und Herren! Es ist allgemein bekannt, daß zu den wirtschaftlich Bedürftigsten in unserem Volk die Empfänger von Renten aus der Sozialversicherung gehören. Es sind dies überwiegend Männer und Frauen, die ein Leben lang gearbeitet haben; die Männer zum größten Teil in der Wirtschaft, und die Frauen haben, wenn sie nicht direkt einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind, die volkswirtschaftlich wichtige Tätigkeit der Hausfrau und Mutter ausgeübt. Die einzige wirtschaftliche Sicherung dieser werktätigen Menschen in unseren Tagen für ihr Alter und für die Fälle einer eventuellen Invalidität ist die Sozialversicherung. Nur bei allergrößter Sparsamkeit konnte sich ein Arbeiter in den vergangenen Jahren Ersparnisse zurücklegen, um vor den Wechselfällen des Schicksals einigermaßen gesichert zu sein. Diese Ersparnisse, die wirklich erarbeitet waren, sind durch die Währungsreform völlig vernichtet worden. So kam es, daß viele Menschen, die geglaubt haben, in ihrem Alter nicht auf fremde wirtschaftliche Hilfe angewiesen zu sein, sich nach der Währungsreform gezwungen sahen, Fürsorgeunterstützung zu beantragen, weil die Renten der Sozialversicherung allein nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts ausgereicht haben. Oder sie haben aus Scheu vor fremder Hilfe ein Leben geführt, das weit unter dem lag, was wir normalerweise zum Existenzminimum benötigen. Vor dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes lagen die monatlichen Witwen- und Invalidenrenten etwa zwischen 18 und 70 Mark. Das sind Beträge, mit denen weder eine alleinstehende Person noch ein altes Ehepaar das Leben fristen konnten. Durch die Steigerung der Lebenshaltungskosten ist nach der Währungsreform die Erhöhung der Renten eine zwingende und allgemein anerkannte Notwendigkeit geworden.
Der Herr Bundesarbeitsminister Storch hob in der 35. Vollversammlung des Wirtschaftsrates hervor, daß mit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz die allergrößten Notstände beseitigt werden sollen. Aus den diesbezüglichen Diskussionen des Wirtschaftsrates ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Rentenerhöhungen den Rentnern zugute kommen sollten. Es ist deshalb eigenartig, daß nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes von verschiedenen Ländern Einsparungen des Fürsorgehaushalts durch die Rentenerhöhung vorgenommen wurden, und zwar durch eine entsprechende Kürzung der Fürsorgeleistung an die Sozialrentner. Wer die Situation unserer
Rentner kennt, weiß, welch wirtschaftliche Verbesserungen ihnen die Rentenerhöhung gebracht hat; denn bei einem so kleinen Einkommen, wie es die Rentner haben, sind geringe Beträge schon äußerst wertvoll. Als dann aber bekannt wurde, daß die Armsten unter den Witwen- und Invalidenrentnern, nämlich jene, die zusätzlich auf Fürsorgeleistungen angewiesen waren, nicht in den Genuß der Rentenerhöhung kommen sollten, weil die Wohlfahrtsämter entsprechend den geltenden Richtsätzen den erhöhten Rentenbetrag von den Fürsorgeunterstützungen in Abzug brachten, war die Enttäuschung unter den Betroffenen maßlos. Sie fühlten sich betrogen. Damit wurden ausgerechnet den Bedürftigsten die Leistungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht zuteil.
Die Auffassung von dem Sinn der Rentenerhöhung und die Art und Weise der Anrechnung war in den Ländern sehr verschiedenartig. In einigen Ländern wurden die Rentenerhöhungen bei der Gewährung der Fürsorgeleistungen voll in Anrechnung gebracht. In anderen Ländern erfolgte eine teilweise Anrechnung, der auch wieder Verschiedenartigkeiten gefolgt sind, die in den verschiedensten Richtsatzhöhen bedingt waren; denn wir haben in den Ländern nicht überall die gleichen Richtsätze, sondern sie bewegen sich beispielsweise für den Haushaltungsvorstand in der Höhe von 29 bis 43 D-Mark. In einem Land erfolgte allerdings auf Grund eines Landtagsbeschlusses keine Anrechnung der Rentenerhöhung.
Bei den Leistungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes geht es um die Sicherung der Lebenshaltung der Rentenempfänger. Wenn Menschen ein Leben lang gearbeitet haben und im Alter geschützt sein sollen, dann ist es die sittliche Verpflichtung .des Staates, daß ihr Existenzminimum gesichert wird. Es geht deshalb nicht an, daß Rentenerhöhungen, die den Rentenempfängern zugedacht sind, benutzt werden, um die Fürsorgelasten der Länder und Gemeinden zu senken. Bei den bereits erwähnten verschiedenen Regelungen in den Ländern ist es erforderlich, daß der Bund für eine einheitliche Regelung der Rentengewährung sorgt.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei begrüßt deshalb den Vorschlag des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge, der Ihnen in der Drucksache Nr. 453 vorliegt. Die sozialdemokratische Fraktion verlangt aber in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung, daß von ihr auch alles getan wird, um zu einem einheitlichen Fürsorgerichtsatz zu kommen, der den Preisverhältnissen Rechnung trägt und der eine unterschiedliche Gruppenfürsorge vermeidet.
Die Drucksachen Nr. 202, 329 und 416 behandeln die Rückerstattung von Fürsorgeaufwendungen. Sie nehmen auf den § 25 der Reichsfürsorgepflichtverordnung Bezug. Darin wird bestimmt, daß ein Hilfsbedürftiger, wenn er zu hinreichendem Vermögen oder Einkommen gelangt, dem Fürsorgeverband die aufgewendeten Kosten zu ersetzen hat. Im Dritten Reich, im Krieg und durch die Kriegsfolgen wurden Hilfsbedürftigengruppen geschaffen, die gegenüber früher in völlig veränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen leben müssen und deren finanzielle Existenzbasis vernichtet worden ist. Es handelt sich hierbei be-
sonders um die politisch, rassisch und religiös Verfolgten, um die Vertriebenen, um die Bombengeschädigten, um die Angehörigen ehemaliger Kriegsgefangenen und um die Heimkehrer selber. Diese Hilfsbedürftigen waren und sind auch heute noch auf die öffentliche Fürsorge angewiesen. Es hieße ihnen ihre Lebensmöglichkeiten und ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten ungeheuer erschweren, wenn eine Rückzahlung der geleisteten Unterstützungen gefordert würde. Wer als Heimkehrer oder als Vertriebener schon alles verloren hat, ist kaum in der Lage, sich den nötigsten Hausrat anzuschaffen, geschweige denn die bezogene Unterstützung zurückzuzahlen. Es wäre auch als eine besondere Härte anzusehen, wenn ein entlassener Kriegsgefangener, der durch die lange Gefangenschaft schwer geschädigt ist, für seine Unterstützung aufkommen müßte. Bei all diesen Hilfsbedürftigen kann es nicht darum gehen, daß sie persönlich für die entstandenen Fürsorgeleistungen aufkommen müssen, sondern hier liegt eine Verpflichtung des ganzen Volkes vor, die Lasten gemeinsam zu tragen.
Die Fraktion der SPD stimmt dem Bericht des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge, der Ihnen in der Drucksache Nr. 416 vorliegt, zu. Die Sozialdemokratische Partei hofft aber, daß die Bundesregierung bei der Abfassung des entsprechenden Gesetzentwurfs der besonderen Notlage und den berechtigten Ansprüchen der Verfolgten, der ehemaligen Kriegsgefangenen, der Vertriebenen und der Bombengeschädigten weitestgehend Rechnung trägt.