Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen im Namen der antragstellenden Fraktion sagen, daß diese Behandlung unseres Antrages uns in keiner Weise überrascht. Ich darf Ihnen sagen, daß wir nunmehr seit ,dreieinhalb Monaten beobachten, wie man diesen Antrag systematisch verschleppt. Am 13. Oktober des vorigen Jahres wurde der Antrag eingebracht, und heute befassen wir uns damit vor dem Hohen Haus. Darf ich in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, wie er überhaupt entstanden ist? Wir haben damals die große Debatte über den innerdeutschen Flüchtlingsausgleich gehabt. Als ich damals zum ersten Male diese Tribüne betrat, hat mich von allen Ecken und Enden des Saales her Widerstand empfangen. Von allen Seiten hat man mir zugerufen, daß die Tendenz der Forderung der Bayernpartei auf einen wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich unmenschlich, unchristlich, unsittlich und unsozial sei. Als dann ein paar Minuten später unmittelbar nach mir der Flüchtling und Flüchtlingsminister Dr. Lukaschek dieses Podium betrat und nahezu mit den gleichen Worten — nach meinem Dafürhalten im Ton sogar noch schärfer - die Bleiche Forderung erhob, indem er ausführte: „Wenn der Appell an die Freiwilligkeit der Betroffenen, sich für einen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich zu melden, zu keinem Ergebnis führen sollte, dann werde ich auch nicht vor der Anwendung drastischerer Methoden zurückschrecken", — ich frage Sie: ist das etwas wesentlich anderes gewesen oder war da die Tonart meiner Fraktion und meiner Ausführungen nicht noch weit humaner? Ich würde Sie schon bitten, meine Damen und Herren, daß wir in Zukunft etwas mehr Fairneß walten lassen und nicht etwa nur dem Bedürfnis der Parteiagitation freien Lauf lassen.
In diesem Zusammenhang habe ich Ihnen damals erklärt, daß es Mittel und Wege genug gibt, um einen raschen und einigermaßen wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich herbeizuführen, wenn man sich an Personenkreise wendet, die durchaus keine zusätzliche moralische oder physische Belastung dadurch erfahren, indem man sich entsprechend dem Antrag, der heute zur Debatte und zur Entscheidung steht, jenen Menschen zuwendet, die jetzt gerade illegal über unsere Grenze hereinfluten oder die nachgewiesenermaßen arbeitslos und menschenunwürdig in Flüchtlings- und Elendsbaracken hausen. Niemand kann sagen, daß es unmenschlich oder unsittlich sei, diese Personenkreise aufzufordern, in andere, weniger stark belegte deutsche Länder noch 100 der 150 Kilometer weiterzufahren. Ich begreife die Logik nicht, die offenbar im Flüchtlingsausschuß Platz gegriffen hat. Heute stelle ich überhaupt merkwürdige Übereinstimmungen zwischen dem sonst so oppositionsfreudigen Flüchtlingsausschuß und der Regierungsbank fest, merkwürdige
Übereinstimmungen, die offenbar nur dann gegeben sind, wenn es sich darum handelt, eine gerechtfertigte Forderung jener Länder, die nun schon seit Jahr und Tag unter einem überhöhten Flüchtlingsdruck leiden, einfach hinunterzubügeln,
eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den Flüchtlingsvertretern der Regierungsparteien und der linken Opposition.
Man hat uns im Ausschuß und auch bei anderem Anlaß darauf hingewiesen, daß wir sehr bald einen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich bekommen würden, daß man aber zunächst einmal die Ergebnisse des sozialen Wohnungsbaus und auch noch andere Maßnahmen abwarten müsse, die nun in den nord- und nordwestdeutschen Ländern anlaufen. 245 Millionen D-Mark sind allein für diesen Zweck in Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Wir haben also mit anderen Worten in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern darauf zu warten, bis diese Wohnungen gebaut sind. Haben Sie eigentlich die gleiche Forderung gestellt, als es darum ging, den Heimatvertriebenen und den illegalen Grenzgängern eine erste Unterkunft bei uns zu verschaffen?
Ich bitte Sie vor allem, meine Damen und Herren von der Linken, sich einmal die neuesten Arbeitslosenzahlen in meiner engeren Heimat Bayern genauer ansehen. 1,9 Millionen Arbeitslose haben wir im gesamten Bundesgebiet und weit über eine halbe Million allein in meiner bayerischen Heimat.
Wir haben 371/2 Prozent mehr Arbeitslose als der Durchschnitt des ganzen Bundesgebietes. Sagt Ihnen das gar nichts? Wie wollen Sie denn diese Dinge abstellen? Vielleicht dadurch, daß man weiterhin tatenlos zusieht, wie Woche für Woche Tausende, vielleicht viele Tausende über die Grenze hereinkommen und unseren an sich schon unerträglichen Flüchtlingsdruck weiterhin steigern? Auch von uns wird niemand bestreiten wollen, daß da und dort bürokratische Unfähigkeit in kleinen lokalen Dingen Anlaß zu Kritik gibt. Das ist aber nicht nur in meiner Heimat so, sondern das ist, wie Sie vorhin aus den Zwischenrufen schon ganz richtig gehört haben, auch in Hamburg, auch im Norden und Nordwesten so. Unfähige Bürokraten, die diese Dinge nicht meistern, werden Sie überall im deutschen Raum finden.
Meine Damen und Herren! Ich habe heute mit Freude die Äußerung einer sozialdemokratischen Kollegin gehört. Sie hat in anderem Zusammenhang ausgeführt, es gehe darum., die deutschen Nachkriegslasten gemeinsam auf alle deutschen Schultern zu verteilen. Aber hier, wo der gute Wille dazu am augenscheinlichsten wird, bemerke ich von diesem großen deutschen Gemeinschaftswillen verflucht wenig. Ich habe Ihnen schon damals, als wir zum ersten Male über diese Dinge sprechen mußten, auseinandergesetzt, daß Sie alle samt und sonders gerade bei der Lösung des innerdeutschen Flüchtlingsausgleichs die beste Möglichkeit haben, zu beweisen, daß wir alle Deutsche sind.
Ich bitte Sie im Namen der Gesamtbevölkerung dreier deutscher Länder, die weiterhin noch Tag für Tag einen zusätzlichen Druck und zusätzliche Notstände auf sich nehmen müssen — weil sie nun einmal geographisch besonders ungünstig
liegen —, noch einmal, dafür zu sorgen, daß jetzt rasch und unverzüglich energische Maßnahmen ergriffen werden. Die Ausrede, man könne doch nicht etwa die Freizügigkeit oder andere Grundrechte beschränken, gilt nur in einigermaßen normalen Zeitverhältnissen und Umständen. Wenn Sie einen Notstand von so ungeheuren Millionenausmaßen einigermaßen wirkungsvoll bekämpfen wollen, werden Sie, vorübergehend wenigstens, auch einige Ausnahmemaßnahmen treffen müssen. Sie werden mit keiner Macht der Erde, aber auch mit keinerlei wirtschaftspolitischen Mätzchen die Zahl von 500 000 Arbeitslosen in Bayern auf ein normales, erträgliches Maß herabsenken können, weil dafür einfach die notwendigen wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Mindestens 250 000, wenn nicht gar noch mehr von diesen Arbeitslosen sind Heimatvertriebene. Das ist nicht etwa von ungefähr, sondern der Grund dafür ist darin zu suchen, daß wir uns zusammen mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen in einer besonders ungünstigen geographischen Position befinden.
Meine Damen und Herren! Was rede ich eigentlich noch? Ich weiß doch ganz genau .–. übrigens ebenso wie auch Sie alle hier —, daß die Auffassungen feststehen und daß in den allermeisten Fällen. hinter den Entschlüssen der Fraktionen politische Absichten stehen. Wenn Sie . diesen Verdacht, den wir gerade in der Flüchtlingsfrage schon zu wiederholten Malen ausgesprochen haben, heute nicht noch einmal erhärten wollen, dann, bitte, lehnen Sie den Vorschlag des Berichterstatters ab und sorgen Sie mit uns zusammen für einen raschen und wirkungsvollen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich.