Protokoll:
15121

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 121

  • date_rangeDatum: 7. September 2004

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:18 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/121 Tagesordnungspunkt 11: Haushaltsausschusses zu dem Antrag des
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    Berichtigung 118. Sitzung, Seite 10848 (D), dritter Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Ich nehme zustim- mend zur Kenntnis, dass der Entwurf der Management- antwort auf den Salim-Report bereits eine Reihe von An- regungen konstruktiv aufgreift.“ Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 11073 (A) (C) (B) (D) ten Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeits- markt – Hartz IV –, das als Ergebnis der Beratungen des zugewiesenen Aufgaben besonders in den Problemregio- nen des Arbeitsmarktes nicht erwartet werden kann. Ich kann dem Kommunalen Optionsgesetz zum Vier- beschäftigt, dass eine angemessene Verwaltung der neu Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Christoph Bergner (CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur optionalen Trägerschaft der Kom- munen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz- buch (Kommunales Optionsgesetz) (119. Sit- zung, Zusatztagesordnungspunkt 12) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Barthel (Berlin), Eckhardt SPD 07.09.2004 Bindig, Rudolf SPD 07.09.2004* Dr. Guttmacher, Karlheinz FDP 07.09.2004 Kumpf, Ute SPD 07.09.2004 Lintner, Eduard CDU/CSU 07.09.2004* Meckel, Markus SPD 07.09.2004 Raidel, Hans CDU/CSU 07.09.2004** Schauerte, Hartmut CDU/CSU 07.09.2004 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 07.09.2004 Schöler, Walter SPD 07.09.2004 Schösser, Fritz SPD 07.09.2004 Schreck, Wilfried SPD 07.09.2004 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 07.09.2004 Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 07.09.2004 Schwanitz, Rolf SPD 07.09.2004 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 07.09.2004 Anlagen zum Stenografischen Bericht Vermittlungsausschusses vom 30. Juni 2004 dem Deut- schen Bundestag zugeleitet wurde, nicht zustimmen. Ich verweise auf die unzureichende Umsetzung des Grund- satzes „Fördern und Fordern“, auf die die CDU/CSU- Fraktion an anderer Stelle aufmerksam macht – Druck- sache 15/3541. Mein Haupteinwand besteht jedoch darin, dass der damit erreichte Stand der Gesetzgebung nicht ausreicht, um einen verantwortbaren Reformverlauf zu sichern. Das vorliegende Gesetz hat insbesondere für Regio- nen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit erhebliche Aus- wirkungen, indem es die Modalitäten der Trägerverant- wortung festlegt, den Finanzausgleich praktisch abschließend regelt und damit auch den Zeitpunkt der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 endgültig fixiert. In der kurzen Prüfungszeit, die zwischen Vorlage des Vermittlungsergebnisses und der Entscheidung über mein Abstimmungsverhalten zur Verfügung stand, bin ich angesichts der weiterreichenden Konsequenzen des Gesetzes zu dem Schluss gekommen, dass die in ihm vorgegebenen Regelungen keine ausreichende Vorsorge für zu erwartende Umsetzungsprobleme liefern. Ich halte die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer einheitlichen steuerfinanzierten Leistung für richtig und notwendig und habe diese Auf- fassung im Bundestagswahlkampf 2002 auch gegen Vor- würfe von Sozialdemokraten verteidigt. Dabei war mir stets bewusst, das eine solche Reform einen erheblichen Einschnitt in das soziale Leistungsgefüge unseres Staa- tes bedeutet, der mit Blick auf die Betroffenen nur dann verantwortbar ist, wenn die erforderliche Vollzugssorg- falt gewährleistet werden kann. Dies ist nach Lage der Dinge offenbar nicht gegeben. Die Bundesregierung hat den Entwurf des Optionsgeset- zes sehr viel später vorgelegt als geplant. Sie war jedoch nicht bereit, den Inkraftsetzungstermin um einige Zeit zu verschieben und hat damit die nachfolgende Umsetzung unter einen Zeitdruck gesetzt, der die Beteiligten zwangsläufig überfordern wird. Die bisherigen Beratun- gen haben keine hinreichende Transparenz in die kom- plexen Finanzströme zwischen Bundesanstalt, Länder und Kommunen gebracht. So bleibt bei dem vorliegen- den Gesetz völlig unklar, ob in Regionen mit hoher Ar- beitslosigkeit angemessene Mittel für die erforderlichen Eingliederungsleistungen zur Verfügung stehen. Die Er- wartung einer aktivierenden Hilfe für erwerbsfähige Ar- beitslose wird damit gerade dort unerfüllt bleiben, wo sie am dringlichsten ist. Die Bundesagenturen für Arbeit, denen nach den Hartz-IV-Regelungen eine Schlüsselverantwortung zu- kommt, sind nach meiner Beobachtung vielerorts so stark mit der Umsetzung der anderen „Hartz-Gesetze“ 11074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 (A) (C) (B) (D) Auch dies wäre ein Argument für eine Verschiebung der Inkraftsetzung gewesen. Für zahlreiche Kommunen sind bei den Unterkunfts- kosten zusätzliche Finanzlasten zu erwarten. Der dafür vorgesehene Ausgleich ist unzureichend geregelt. Um nachfolgende Verteilungskonflikte, die möglicherweise sogar auf dem Rücken der Leistungsempfänger ausgetra- gen werden, zu vermeiden, hätte es eines klaren, gründ- lich geprüften Zuwendungsgesetzes bedurft. Die Betroffenen, die Einkommenskürzungen hinneh- men müssen, werden so zusätzlich zu Opfern eines Um- setzungschaos gemacht. Das kann nicht im Interesse ei- nes Reformanliegens sein, das ich ausdrücklich für notwendig halte und unterstütze. Ich halte die jüngste Verständigung im Vermittlungs- ausschuss für noch nicht ausreichend, um eine verant- wortbare Umsetzung zu ermöglichen, und lehne sie des- halb ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005, hier: Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern (Haushaltsge- setz 2005) (Tagesordnungspunkt 1) Petra Pau (fraktionslos): Vor drei Jahren, am 11. September 2001, gab es die verheerenden Attentate in New York und Washington. Der Bundestag reagierte damals parteiübergreifend mit Trauer und mit Solidari- tät. Zugleich wurden die eigenen Gesetze für innere Si- cherheit im Bündel verschärft, zum Teil drastisch. Das Ganze wurde in Anlehnung an den Bundesinnenminister als „Otto-Paket I“ und „Otto-Paket II“ bezeichnet. Die waren, vorsichtig formuliert, nicht unumstritten. Die PDS lehnte sie ab, weil sie tief in verbriefte Bürgerrechte eingreifen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN versprach damals, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen nach zwei bis drei Jah- ren gründlich zu prüfen. Diese Frist ist um. Allerdings höre ich nichts von der versprochenen parlamentarischen Überprüfung. Deshalb erinnere ich daran, ich fordere sie namens der PDS ein. Stattdessen vernehme ich andere Signale. Sie kom- men nicht mehr kompakt, als Paket daher, sie werden aber permanent versendet. Demnach sollen Sicherheits- behörden zentralisiert, Befugnisse erweitert und Kompe- tenzen vermischt werden. Das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird immer häufiger in- frage gestellt. Und die Bundeswehr soll im Innern einge- setzt werden – jedenfalls nach dem Willen der CDU/ CSU. Die PDS lehnt das ab. Aber darum geht es nur in zweiter Linie. Die eigentlichen Fragen sind: Wie viele Bürgerrechte dürfen namens einer realen oder vermeint- lichen Terrorgefahr abgeräumt werden? Und welchen tatsächlichen Nährwert hat das für die versprochene Si- cherheit? Das betrifft auch den Datenschutz. Er ist, er wird massiv gefährdet. Die USA fordern von allen Passagie- ren, die ein- oder überfliegen, mehr als 30 persönliche Daten. Das EU-Parlament klagt dagegen. Bundesinnen- minister Schily, SPD, und Bundesaußenminister Fischer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, indes haben dem Daten- Deal zugestimmt. Das ist ein unglaublicher Vorgang. Es gibt ein zweites, aktuelles Beispiel: Die 16-seiti- gen Fragebögen für das neue Arbeitslosengeld II werden von offiziellen Datenschützern kritisiert. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie ihr Vorgehen für recht- lich korrekt hält. Die Antwort lautet im Kern: Nein, aber wir tun es dennoch. – Wer so agiert, darf sich bei nie- mandem über mangelndes Rechtsbewusstsein und bei keinem wegen Parteienverdrusses beschweren. Der Volksmund weiß: Der faule Fisch stinkt am Kopf zuerst. Ein weiteres Thema haben wir im Bundestag hinrei- chend gewälzt, mit schlechtem Erfolg: das Zuwande- rungsrecht. Vor fünf Jahren hatten SPD und Grüne ein modernes Gesetz versprochen. Am Ende aller Kommis- sionen, Kompromisse und Kuhhandel stand ein Papier, das von der CDU/CSU diktiert und von Rot-Grün geseg- net wurde. Bundesinnenminister Schily sattelt noch drauf. Er will Flüchtlingslager an der Küste Afrikas einrichten. Dank der „Süddeutschen Zeitung“ und einem Interview, das Heribert Prantl führte, wissen wir auch, warum. Dort greife weder EU- noch deutsches Recht, meinte der Bun- desinnenminister. So weit sind wir gekommen, so tief gesunken. Mit Vorsatz soll Menschen in Not der wenige Rechtsschutz versagt werden, der sie noch hoffen lässt. Dass CDU-Politiker dieser absurden Idee folgen, wun- dert mich nicht mehr. Dass auch Oskar Lafontaine dem Vorschlag zustimmt, spricht nicht für Otto Schily, son- dern gegen den SPD-Rebellen. Monat für Monat frage ich die Bundesregierung, wie viele rechtsextreme Straftaten registriert wurden und verfolgt werden. Wer dies, wie ich, tut, bekommt bestä- tigt, was viele im Lande erfahren – allemal Opfer von rechtsextremen Gewalttaten. Die Gefahr ist real und groß. Leider fragt im Bundestag nur die PDS danach, keine andere Partei. Im Schnitt gibt es täglich 20 rechts- extreme Straftaten und jeden Tag mehr als eine Gewalt- tat. Wer die Materie kennt, weiß auch: Die offizielle Sta- tistik stapelt tief. Die tatsächliche Gefahr ist viel größer. Inzwischen feiern rechtsextreme Parteien Wahl- erfolge. Sie verlassen den Hinter- oder Untergrund, sie präsentieren sich öffentlich. Wie aber reagieren die meisten Parteien des Bundestages darauf? Sie werfen die NPD und die PDS in einen Topf. Wer das tut, hat nichts verstanden. Schlimmer noch: Er beleidigt Zigtausende Antifaschisten und er verharmlost Rassisten und Neofa- schisten. Obendrein wird das ohnehin müde „Bündnis der Anständigen“ gefährdet. So kurzsichtig darf man nicht sein. „Mehr Demokratie“ war ein Slogan Willi Brandts und es war eine Forderung der Grünen seit ihrer Gründung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 11075 (A) (C) (B) (D) Es war auch ein Versprechen, mit dem Rot-Grün 1998 den Regierungswechsel schaffte. Geblieben ist davon fast nichts. Seit nunmehr sechs Jahren pokert Rot-Grün erfolgreich gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene. Selbst ein Plebiszit über die künftige EU-Verfassung – ein aktuelles Begehr – scheitert nicht nur an der CDU/ CSU, sondern auch an Rot-Grün. Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Mehr Demokratie ist eine Schlüssel- frage, um die politischen Krise positiv zu wenden. 80 Prozent der Bevölkerung wollen dies. Sie wollen mehr Mitbestimmung und keine Basta-Politik. Sie haben Recht. 121. Sitzung Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
Gesamtes Protokol Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1512100000

Rechnung des Bundesrechnungshofes
für das Haushaltsjahr 2003 – Einzel-
plan 20 –

(Drucksachen 15/2885, 15/3388) . . . . . . .


Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . .
Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung von EU-Richtlinien
in nationales Steuerrecht und zur Ände-

(RichtlinienUmsetzungsgesetz – EURLUmsG)


(Drucksache 15/3677) . . . . . . . . . . . . . . .


b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Anpassung der Vorschriften
über die Amtshilfe im Bereich der Eu-
ropäischen Union sowie zur Umsetzung
der Richtlinie 2003/49/EG des Rates
vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame
Steuerregelung für Zahlungen von Zin-
sen und Lizenzgebühren zwischen ver-

10952 C
10952 D
10966 B
10971 A
10975 C

10978 A
10981 D
10985 B

11008 B
Deutscher B
Stenografisc

121. Si
Berlin, Dienstag, den

I n h a

Beileid zum Anschlag im Kaukasus . . . . . . . .
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . .
Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . .

Tagesordnungspunkt 1:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-

rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr
2005 (Haushaltsgesetz 2005)


(Drucksache 15/3660) . . . . . . . . . . . . . . . .


b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008

(Drucksache 15/3661) . . . . . . . . . . . . . . . .


c) Beschlussempfehlung und Bericht des

10951 A
10951 B, 11009 A

10952 A

10952 B

10952 C
Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . .

(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


10987 A

10988 D
undestag
her Bericht

tzung
7. September 2004

l t :

Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . .
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Rudolf Bindig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Waltraud Lehn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . .
Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Carsten Schneider (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

10989 C
10991 C
10993 A
10994 D
10999 B

11000 D
11002 B
11003 D
11005 C
bundenen Unternehmen verschiedene

(EG-Amtshilfe-Anpa sungsgesetz)


(Drucksache 15/3679) . . . . . . . . . . . . . .

r
s-
. 11008 B

II

Tagesordnungspunkt 12:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung

des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des VN-Waffenübereinkommens

(Drucksachen 15/2926, 15/3568) . . . . . . .


b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zu
der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung: Vorschlag für eine Richtlinie des
Rates zur Änderung der Richtlinie
77/388/EWG in Bezug auf die mehr-
wertsteuerliche Behandlung von Dienst-
leistungen im Postsektor KOM (2003)

234 endg., Ratsdok. 9060/03

(Drucksachen 15/1153 Nr. 2.40, 15/3390)


Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung

in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 2:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Berücksichtigung der Kindererziehung
im Beitragsrecht der sozialen Pflegever-
sicherung

(Drucksache 15/3671) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 3:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der

SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung der
Vorschriften zum diagnose-orientierten
Fallpauschalensystem für Krankenhäu-
ser und zur Änderung anderer Vor-
schriften

(Drucksache 15/3672) . . . . . . . . . . . . . . . .


b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Georg
Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU: Versorgungssicherheit
für Patientinnen und Patienten durch
sachgerechte Fallpauschalen

(Drucksache 15/3450) . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

11008 C

11008 D

11009 A

11009 B

11009 B
Tagesordnungspunkt 4:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Ein-
ordnung des Sozialhilferechts in das Sozial-
gesetzbuch

(Drucksache 15/3673) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Organisationsreform in der gesetzlichen
Rentenversicherung (RVOrgG)


(Drucksache 15/3654) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 1:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Finanzierung von
Zahnersatz

(Drucksache 15/3681). . . . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 2:
Antrag der Abgeordneten Andreas Storm,
Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU: Familien entlasten statt Kinder-
lose bestrafen – Grundlegende Reform der
Pflegeversicherung noch in dieser Wahl-
periode einleiten

(Drucksache 15/3682) . . . . . . . . . . . . . . . . . .


in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 5:

(Münster)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Familien spürbar durch einen Kin-
der-Bonus entlasten – Keine Beitragser-
höhungen in der sozialen Pflegeversiche-
rung – Grundlegende Reform beginnen

(Drucksache 15/3683) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Schmidt, Bundesministerin BMGS . . . .
Andreas Storm (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

11009 B

11009 C

11009 C

11009 D

11009 D
11010 A
11013 A


III



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Andreas Storm (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . .
Waltraud Lehn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . .
Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

11015 D
11016 C
11017 D
11018 C
11020 A
11021 C

11022 B

11058 D
11061 C

11064 D
11066 B
11067 D

(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . .

Dr. Dieter Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Erika Lotz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . .
Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Waltraud Lehn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gudrun Schaich-Walch (SPD) . . . . . . . . . . . .
Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . .
Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Silke Stokar von Neuforn


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . .

Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Michael Hartmann (Wackernheim)



(SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dorothee Mantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

11024 C
11026 A
11026 D
11028 A
11029 C
11030 C
11031 B
11033 B
11035 D

11037 D
11041 A

11044 A
11046 A
11048 A

11049 A
11050 D
11053 C
11054 D
11055 B
11056 B
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . .
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2
Nachträglich zu Protokoll gegebene Erklä-
rung nach § 31 GO des Abgeordneten
Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur
optionalen Trägerschaft der Kommunen nach

(Kommunales Optionsgesetz)

satztagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung ei-
nes Gesetzes über die Feststellung des Bun-
deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005,
hier: Einzelplan 06, Bundesministerium des
Innern (Haushaltsgesetz 2005) (Tagesord-
nungspunkt 1)
Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . .

11069 A
11070 A

11071 C

11071 B

11073 A

11073 B

11074 A






(A) (C)



(B) (D)

121. Si

Berlin, Dienstag, den

Beginn: 1


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512100100

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Ich bitte Sie, sich zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)

Zutiefst erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns über

die Täter, die Kinder zu Opfern ihres Terrors machen,
haben wir die furchtbaren Ereignisse verfolgt, die sich in
der vergangenen Woche im Kaukasus abgespielt haben.
Am Mittwoch, dem 1. September 2004, stürmten dort in
dem kleinen Ort Beslan schwer bewaffnete Terroristen
eine Schule und nahmen die Kinder und ihre Eltern und
Großeltern als Geiseln.

Aus dem Tag der Einschulung, der ein Tag der Freude
sein sollte, ist ein Inferno geworden. Die Terroristen
drangen in die Schule ein und machten die dort Versam-
melten zu ihren Geiseln. Als die ersten Geiseln nach drei
Tagen entkommen konnten, vermittelten uns ihr Anblick
und ihre kurzen Äußerungen eine Ahnung von dem, was
sich an Unsäglichem in dem Schulgebäude abgespielt
haben musste.

Der Einsatz der russischen Sicherheitskräfte ver-
mochte das Leben vieler Geiseln nicht zu retten. Die
Operation endete tragisch. Bislang wird von über

Rede
400 Toten gesprochen; doch noch immer suchen ver-
zweifelte Menschen nach ihren Angehörigen und man
weiß nicht, wie viele Tote letztlich zu beklagen sein wer-
den. Bereits am vergangenen Sonntag, als die ersten Op-
fer dieser Tragödie zu Grabe getragen wurden, reichte
der Platz auf dem Friedhof des Ortes nicht aus, um die
weiteren Leichname aufzunehmen. Unvorstellbares Leid
ist geschehen.

Lassen Sie uns gemeinsam den Bürgerinnen und Bür-
gern von Beslan, den Menschen in Ossetien und dem
russischen Volk das tiefe Mitgefühl ausdrücken, das die
Mitglieder des Deutschen Bundestages und alle Bürge-
rinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland für
sie empfinden.

Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interf

vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erwei-
tzung

7. September 2004

0.00 Uhr

tern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatz-
punktliste aufgeführt:

1 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahn-
ersatz
– Drucksache 15/3681 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Storm,
Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen – Grund-
legende Reform der Pflegeversicherung noch in dieser
Wahlperiode einleiten
– Drucksache 15/3682 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus
Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kin-

text
derbetreuungsangeboten für unter Dreijährige
– Drucksache 15/3512 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer
Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch
marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine
verstärkt nutzen

sache 15/3513 –
isungsvorschlag:
ss für Wirtschaft und Arbeit (f)

usschuss
ss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
raktionell ist

– Druck
Überwe
Ausschu
Finanza
Ausschu

Haushaltsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit

erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun-

gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages

überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Gesetzes zur Gründung einer
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

(BImA-Errichtungsgesetz)

– Drucksache 15/2720 –
überwiesen:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Der in der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und dem Ausschuss für Tourismus zur
Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Deutsche-Welle-Gesetzes
– Drucksache 15/3278 –
überwiesen:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Haushaltsausschuss

Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
zur Mitberatung überwiesen werden:

Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005

(Haushaltsbegleitgesetz 2005 – HBeglG 2005)

– Drucksache 15/3442 –
überwiesen:
Haushaltsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen
werden:

Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes
– Drucksache 15/3351 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005

(Haushaltsgesetz 2005)

– Drucksache 15/3660 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
– Drucksache 15/3661 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-
nungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2003 – Einzelplan 20 –
– Drucksachen 15/2885, 15/3388 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anja Hajduk
Iris Hoffmann (Wismar)

Bernhard Kaster
Otto Fricke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die heutige Aussprache zu den Haushaltsberatungen im
Anschluss an die Einbringung des Haushaltes siebenein-
halb Stunden vorgesehen, für Mittwoch achteinhalb
Stunden, für Donnerstag neun Stunden und für Freitag
dreieinhalb Stunden. – Dagegen erhebt sich kein Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der
Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1512100200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vor einem Jahr habe ich bei der Einbringung des
Haushaltsplans für das Jahr 2004 gesagt: Die wichtigste
und größte Herausforderung, vor der wir stehen, ist, aus
der Stagnation herauszukommen und wieder mehr
Wachstum zu schaffen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Denn drei Jahre Stagnation haben in der Tat schlimme
Zahlen hinterlassen. Im Jahr 2000, dem Jahr des höchs-
ten Wachstums, hatten wir gleichzeitig die niedrigste
Neuverschuldung nach der Wiedervereinigung – sie fällt
in unsere Amtszeit –,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


nämlich 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder
24 Milliarden Euro. Drei Jahre später, 2003, nach drei
Jahren Stagnation, hatten wir ein Staatsdefizit von






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

82 Milliarden Euro oder 3,8 Prozent des Bruttoinlands-
produkts. Die Erkenntnis aus dieser Entwicklung ist: Es
gibt – auch das ist damals deutlich gesagt worden –
keine Konsolidierung ohne Wachstum; es gibt aber auch
kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen.
Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer das sieht, muss daraus für seine Politik auch
Konsequenzen ziehen. Wir haben gesagt, wir brauchen
einen mutigen Dreiklang von Strukturreformen, Haus-
haltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Mit die-
sem Dreiklang wollen wir aus der Stagnation heraus.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hält die Rede von vor zwei Jahren!)


Wir sind diesen Weg zum Teil gemeinsam gegangen; ich
sage das ausdrücklich und auch mit Dankbarkeit hin-
sichtlich der Bereiche, in denen das funktioniert hat. So
war es zum Beispiel bei einem Teil der Strukturrefor-
men. Ich erinnere an die Arbeitsmarktreformen – darauf
komme ich später zurück –: Da konnte es Ihnen, wenn es
um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und um
die Verschärfung der Zumutbarkeit ging, eigentlich nicht
radikal genug zugehen. Bei der Rente allerdings waren
Sie ganz still: keine Beiträge von Ihrer Seite. In der Ge-
sundheitspolitik will ich ausdrücklich anerkennen, dass
es zu einem Zusammenwirken gekommen ist, das – da-
rüber wird noch zu reden sein – eine Reihe sehr positiver
Resultate hatte, das aber weitergeführt werden muss. Wir
sind noch nicht durch: Was den Wettbewerb auf der
Leistungserbringerseite betrifft, muss noch eine ganze
Menge mehr geschehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Als es allerdings um die Haushaltskonsolidierung
ging und um die Wachstumsimpulse, hat Sie der Mut
ziemlich verlassen. Da wäre es wünschenswert gewesen,
wenn Sie unseren mutigeren Schritten sowohl bei der
Konsolidierung und beim Subventionsabbau als auch
beim Vorziehen der Steuerreform gefolgt wären, um
Wachstumsimpulse zu geben. Sie waren dazu nicht in
der Lage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute, meine Damen und Herren, sind wir im Auf-
schwung. Ich will gar nicht verhehlen, dass der größte
Teil davon der weltwirtschaftlichen Entwicklung, die ja
auch vorher das Problem war,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

geschuldet ist; wir kommen auf das Problem gleich zu-
rück. Aber unsere Politik mit der ganz dezidierten Ziel-
setzung, die Krise nicht durch zusätzliches Hinterherspa-
ren zu verlängern und auch noch zu verschärfen, sondern
mit diesem Dreiklang einen Weg heraus zu finden, hat
ihren Beitrag dazu geleistet. Die Prognosen der Bundes-
regierung für dieses und für das nächste Jahr sehen so
aus: beide Jahre zwischen 1,5 und 2 Prozent Wachstum.
Bisher gilt für uns: eher am unteren Ende dieses Jahr,
eher am oberen Rand nächstes Jahr. Ich nehme dabei zur
Kenntnis, dass inzwischen die meisten Institute und die
internationalen Institutionen, wie etwa der Internationale
Währungsfonds, ihre Prognosen nach oben revidiert ha-
ben, während wir uns mit unseren Erwartungen am unte-
ren Rand der Prognosen befinden. Ob daraus Konse-
quenzen zu ziehen sind, werden wir im Zusammenhang
mit der Steuerschätzung im November und im Zusam-
menhang mit unserem Jahreswirtschaftsbericht zu ent-
scheiden haben; aber bisher bleibt es dabei.

Allerdings steht dieser Aufschwung im Wesentlichen
nur auf einem Bein: Er kommt vom Export. Das führt
mich zu einer anderen Feststellung, auf die ich ganz am
Schluss zurückkommen werde: Deutschland hat im
Weltmaßstab eine unglaublich wettbewerbsfähige Wirt-
schaft, sonst könnten wir diese Erfolge beim Export
überhaupt nicht erzielen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist wichtig für das Bewusstsein, in dem wir die Pro-
bleme, die wir zu lösen haben, und die Herausforderun-
gen, vor denen wir stehen, angehen. Von welchem
Selbstbewusstsein aus gehen wir sie eigentlich an? Da
kenne ich diejenigen, die sagen: Ja, das ist ja ganz gut
und schön mit dem Export, es kommt aber daher, dass
inzwischen ein größerer Teil der Vorfertigung in anderen
Ländern erfolgt. Dieser Satz ist nicht falsch. Er zeigt
eines: dass die deutschen Unternehmen – nehmen Sie
einmal Volkswagen als Beispiel – inzwischen europäi-
sche geworden sind,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Die sind aus dem Euro Stoxx herausgeflogen!)


dass sie in fast allen Ländern Europas Produktionsstätten
haben und mit der dadurch möglichen Mischkalkulation
natürlich wettbewerbsstärker sind.

Aber – ich habe das auch untersuchen lassen –: Das
führt im Ergebnis dazu, dass der Export so stark steigt,
dass daraus keine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus
Deutschland heraus, sondern eine Erhöhung der Anzahl
der Arbeitsplätze hier bei uns resultiert. Das ist die Kon-
sequenz. Die Unternehmen sind aufgrund ihrer Europäi-
sierung stärker geworden. Das ist das Ergebnis der ge-
meinsamen europäischen Entwicklungsstrategie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber ein wenig Schönreden!)


Ich will noch auf etwas Weiteres hinweisen, bevor
manche wieder über die Gewerkschaften herziehen. Seit
Mitte der 90er-Jahre ist die Lohnentwicklung unglaub-
lich mäßig, was dazu führt, dass die Lohnstückkosten
jetzt sogar zurückgehen und dass wir im internationalen
Wettbewerb im Unterschied zu den frühen 90er-Jahren,
in denen wir uns einiges geleistet haben, was wir uns
nicht hätten leisten sollen, mittlerweile unglaublich viel
wettbewerbsfähiger geworden sind.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Deshalb fallen die Arbeitsplätze weg!)


Es geht auch um die Qualität der Produkte. Ich will
bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Wer glaubt,
den Kampf nur über das Drücken der Löhne und der
Kosten gewinnen zu können, der irrt. Deutschland wird
den Kampf nur gewinnen, wenn es mit der Qualität sei-
ner Produkte und mit seinen Leistungen immer an der
Spitze steht. Es ist klar, dass wir die Kostenfragen nicht
vernachlässigen dürfen; aber das ist die zentrale Heraus-
forderung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Ihre Politik ist eine Herausforderung!)


– Zu Ihnen komme ich noch.
Die Binnennachfrage ist nach wie vor schwach. Der

Dreischritt, in dem ein Aufschwung in Deutschland klas-
sischerweise abläuft, sieht folgendermaßen aus: erst die
Steigerung des Exports, dann die Steigerung der Ausrüs-
tungsinvestitionen und schließlich die Steigerung der
privaten Nachfrage. Der erste Schritt hat voll geklappt.
Zum zweiten und zum dritten Schritt ist zu sagen: Es
gibt Hinweise auf ganz leichte Besserungen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das erzählen Sie uns schon seit Jahren!)


Es ist aber nicht zulässig, darauf bereits eine stabile
Prognose zu gründen. Damit sollte man sehr vorsichtig
sein.

Das hat Konsequenzen zunächst einmal für die Ent-
wicklung am Arbeitsmarkt und für die Steuern; denn so-
wohl der Indikator Arbeitsmarkt als auch der Indikator
Steuern laufen der Konjunktur immer hinterher. Der
Aufschwung wird im Wesentlichen vom Export getra-
gen. Ein Problem dabei besteht darin, dass sich dies
nicht so schnell auf die Mehrwertsteuereinnahmen aus-
wirkt. Das erkennen wir sowohl anhand der Steuerschät-
zung als auch anhand der tatsächlichen Einnahmen.
Beim Arbeitsmarkt gibt es vorderhand noch dieselbe Si-
tuation.

Daraus sind Konsequenzen für die Finanzpolitik zu
ziehen. Die Steuerschätzung im Mai hat gezeigt, dass es
noch erhebliche Risiken gibt. Ich bin mir auch nicht
ganz sicher, ob die Steuerschätzung im Mai schon das
letzte Wort war; wir werden es sehen. Ich bin da vorsich-
tig. Wegen der Steuereinnahmen, die nicht parallel zu
dem genannten Aufschwung steigen, und der Entwick-
lung am Arbeitsmarkt werden wir in diesem Jahr einen
Nachtragshaushalt benötigen; das habe ich bereits im
Mai gesagt.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Aha!)

Wir werden ihn so vorlegen, dass er in Kenntnis der Er-
gebnisse der Steuerschätzung im November verabschie-
det werden kann.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wieder ein Umsteuern!)

Ich will ausdrücklich sagen: Es bleibt dabei, dass wir
vor dem Hintergrund der nach wie vor schwachen Bin-
nennachfrage in diesem Jahr keine zusätzlichen Sparpa-
kete verabschieden werden, weil die Gefahr noch zu
groß ist, dass das den Aufschwung im Inneren behindern
würde. Deswegen lassen wir die automatischen Stabili-
satoren wirken


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und setzen alles daran, dass die Konjunkturentwicklung
auch im Innern in Gang kommt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Im Übrigen will ich gar nicht verhehlen, dass es Risi-
ken in der Weltwirtschaft gibt. Es wäre gefährlich, sich
darauf ausruhen zu wollen, dass wir eine so hervorra-
gende Position im Weltmarkt haben. Ich nenne das Bei-
spiel Ölpreis. Wir werden uns international darüber zu
unterhalten haben, ob es zulässig ist und ob man etwas
dagegen tun kann, dass die Verknappungen inzwischen
auch spekulativer Art und gar nicht in den realen Märk-
ten begründet sind. Ich glaube, es gibt gute Gründe,
international – die G 7, die G 8, die G 20 und der Inter-
nationale Währungsfonds – über diese Fragen nachzu-
denken und nach Auswegen zu suchen. Diese Entwick-
lung macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das gilt auch
für andere Rohstoffpreise.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um es mit aller Härte zu sagen: Ich kenne das auch
im Innern. Wenn man lange genug in Aufsichtsgremien
– bis hin zu Stadtwerken – gesessen hat, weiß man, dass
das im Windschatten der Weltwirtschaft von einer Reihe
von Unternehmen zur Preistreiberei ausgenutzt wird.
Das kann nicht hingenommen werden. Es muss klar sein,
dass jeder eine Verantwortung für die wirtschaftliche
Entwicklung hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Europäische Zentralbank, die über die Stabilität
unserer Währung zu wachen hat, hat erklärt: Wir können
die Entwicklungen bei den Ölpreisen hinnehmen, wenn
es keine Zweitrundeneffekte gibt. Das ist richtig. Dazu
sage ich aber: Wenn es um Zweitrundeneffekte geht,
dann schaut bitte nicht nur in Richtung Gewerkschaften,
sondern auch darauf, was die Energiekonzerne im Mo-
ment an dieser Stelle machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Attacke!)


Risiken – das sagte ich schon – gibt es eben in der
Weltwirtschaft. Ich will hier nur die Stichworte Doppel-
defizit der USA und Überhitzung der Wirtschaft in
China nennen. Was uns nun wieder mit einer unglaubli-
chen Brutalität vorgeführt wurde, ist die Frage: Kann der
Terrorismus wirklich wesentliche Auswirkungen auf
die Entwicklung der Weltwirtschaft haben? Diese Frage






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

können wir schwerlich beantworten; ich werde nachher
darauf zurückkommen.

Am Nobelpreisträgertreffen am vergangenen Wo-
chenende am Bodensee haben auch Wirtschaftswissen-
schaftler teilgenommen. Das Ergebnis ihrer Beratungen
war – ich kann das nur referieren –, dass sie alles in al-
lem einen sehr optimistischen Ausblick auf die Entwick-
lung der Weltwirtschaft und auch auf die Entwicklung
Europas bzw. Deutschlands gegeben haben. Fazit dieser
gegenwärtigen Situation: Wir müssen alles daransetzen,
damit der Aufschwung auch bei der Binnennachfrage,
dem zweiten Standbein, richtig in Gang kommt. Das be-
deutet: Der Dreiklang aus Strukturreformen, Haushalts-
konsolidierung und Wachstumsimpulsen, mit dem wir
mitgeholfen haben, dass wir aus der Stagnation heraus-
kommen, muss ebenso für das Jahr 2005 gelten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt, es wird keine Reformpause geben.

Aber eines muss man klar machen – darüber diskutie-
ren wir auch im internationalen Bereich –: Eine Reform
ist noch nicht durchgesetzt, wenn sie der Gesetzgeber
beschlossen hat, sondern dazu gehört sehr viel mehr. Das
sehen wir gerade bei den Hartz-IV-Reformen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Natürlich. – Vielmehr stellt sich die Frage: Wie gelangt
diese Einsicht in die Köpfe der Menschen und wie kön-
nen wir diese Reformen in die Realität umsetzen? Dies
erfordert manchmal sehr viel mehr Arbeit als nur die Ge-
setzgebung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bravo!)


Im Zuge des ersten Teils meiner Rede, Fortsetzung
der Strukturreformen, komme ich zu den Reformen am
Arbeitsmarkt. Es bleibt dabei: Die höchste jahresdurch-
schnittliche und damit auch die höchste Arbeitslosenzahl
insgesamt lag in 1997 bei 4,4 Millionen. Im Winter er-
reichte diese Zahl knapp 5 Millionen. Dass sich diese
Zahl anschließend positiv entwickelte und sich erst in
den drei Jahren Stagnation deutlich verschlechterte, wol-
len wir keinen Moment leugnen. Aber Sie eignen sich in
dieser Frage ganz schlecht als Chefankläger; darauf
komme ich an anderer Stelle noch zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Arbeitsmarktreformen sind nicht, wie einige ge-
sagt haben, eine Kapitulation im Kampf gegen die Ar-
beitslosigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie alleine können
zwar nicht unbedingt Arbeit schaffen; aber sie bauen
eine Brücke von der Arbeitslosigkeit zurück in die Be-
schäftigung. Dies geschieht unter der Überschrift von
Fördern und Fordern. Beides – Fördern und Fordern –
gilt mit Nachdruck. Darauf, dass mit dem Fordern mehr
Härte verbunden ist, als das in der Vergangenheit da und
dort vielleicht üblich war, will ich nachher noch ein paar
Sätze verwenden.
Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und
Sozialhilfe für die Arbeitsfähigen zu einer sozialen
Grundsicherung für alle, die arbeitsfähig sind, ist ein im
Wesentlichen von allen getragenes Projekt gewesen. Da
das so ist, müssen bei der Umsetzung auch alle dazu ste-
hen. Man darf nicht glauben, allein mit der Gesetz-
gebung sei das Problem schon gelöst. Vielmehr geht die
Arbeit im Gespräch mit den Menschen weiter.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Macht das doch vorher!)


Langzeitarbeitslose schneller in Arbeit zu bringen ist die
erste und wesentliche Zielsetzung.

Ich kann übrigens aus meiner Zeit als Kommunalpoli-
tiker sehr gut nachempfinden, was es mit dem Drehtür-
effekt auf sich hat, bei dem sich der eine Kostenträger,
die Kommune, und der andere Kostenträger, der Bund,
die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger jeweils zu-
geschoben haben. Es ging in dem System gar nicht zual-
lererst darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, son-
dern sie in die Kostenträgerschaft des jeweils anderen zu
verlagern. Das muss beendet werden. Das ist der grund-
legende Konsens der Hartz-IV-Reformen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Schneller in Arbeit“ heißt, dass die Menschen eine
ganz andere Betreuung erfahren werden. Das Verhältnis
zwischen Betreuer und Arbeitslosen wird sich von
1 : 400 auf 1 : 75 verbessern, und zwar zuerst bei den un-
ter 25-Jährigen.

Man muss in diesem Zusammenhang den europäi-
schen Vergleich heranziehen: Wir können mit einigem
Stolz sagen, dass wir, was die Jugendarbeitslosigkeit
betrifft, in Europa zu den Besten gehören. Es gibt zwei
oder drei kleine Länder, die ein bisschen besser sind als
wir. Alle anderen haben aber eine weitaus höhere Ju-
gendarbeitslosigkeit als Deutschland. Ab dem 1. Januar
werden – Wolfgang Clement hat darauf hingewiesen –
alle, die unter 25 Jahre alt sind, ein Angebot bekommen,
entweder ein Ausbildungsangebot, ein Qualifizierungs-
angebot oder eine Trainingsmaßnahme. Das ist die kon-
krete Umsetzung der Arbeitsmarktreformen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer das Angebot nicht annimmt, kann künftig freilich
nicht in dem Maße auf die Unterstützung der Allgemein-
heit setzen, wie er das in der Vergangenheit ohne weite-
res getan hat. Beides gilt: Fördern und Fordern.

Beim Ausbildungspakt leistet auch der Haushalt sei-
nen Beitrag. Es geht darum, Menschen in Arbeit zu brin-
gen. Fördern heißt im Rahmen des Prinzips „Fördern
und Fordern“ auch, zu helfen, dass die Menschen Quali-
fikationen erwerben, die es ihnen erleichtern, wieder in
den Beruf zu kommen. Das heißt zum Beispiel, dass der
Führerschein gefördert wird, wenn er notwendig ist, um
eine Chance zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Fördern und Fordern – bei Fordern geht es allerdings

auch um die Zumutbarkeit. In diesem Zusammenhang
möchte ich die angekündigte Bemerkung machen: Sie
haben im Vermittlungsverfahren – genauso wie bei den
Hinzuverdienstmöglichkeiten – ordentliche Verschärfun-
gen durchgesetzt, gegen die Herr Rüttgers, Herr Böhr,
Herr Müller, Herr Milbradt und andere anschließend zu
Felde zogen. Wir möchten das zwar nicht ändern, weil
wir zu getroffenen Verabredungen stehen; aber so geht
das nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie etwas beschließen, müssen Sie auch dazu ste-
hen. Sich anschließend aber in die Büsche zu schlagen
oder sich sogar an die Spitze der Protestbewegung zu
stellen, ist der Gipfel der Heuchelei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage ausdrücklich, dass etwas geschehen musste.
Es gibt nämlich Missbräuche. Wieso kommen eigent-
lich Lehrer aus Polen zur Weinlese in den Rheingau,
wenn wir über 4 Millionen Arbeitslose haben? Wieso
finden wir angesichts der Höhe der Arbeitslosigkeit
keine Deutschen, die diese Arbeit machen? Das gilt auch
für viele andere Bereiche: Arbeit schändet nicht und
muss angenommen werden!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Praktiker haben uns auch auf Missstände im deut-
schen Mittelstand hingewiesen. Es gibt den Fall – ich
möchte nicht falsch verstanden werden: das gilt nicht ge-
nerell –, dass jemand seine Ehefrau für die Buchführung
einstellt, anschließend entlässt, zum Arbeitsamt schickt
und sagt: „Kassier du das Arbeitslosengeld.“ Die Buch-
führung macht sie trotzdem weiter. Das geht nicht.
Steuerhinterziehung und Sozialbetrug können nicht ak-
zeptiert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Gesetzgebung muss so ausgestaltet sein, dass das
klar ist.

Vielleicht hat der zögerliche Rücklauf der Antragsfor-
mulare für das neue Arbeitslosengeld II in dem einen
oder anderen Fall etwas damit zu tun, dass nun sichtbar
wird, was sichtbar werden muss, oder damit, dass sich
einige vom Bezug einer Leistung, die sie offenbar zu
Unrecht bekommen haben, zurückziehen müssen.

Natürlich ist richtig, dass allein auf diesem Weg keine
neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Allein
wenn die Vermittlung in die 300 000 offenen Stellen
schneller erfolgen könnte, wäre etwas gewonnen und es
würde ein kleiner wirtschaftlicher Impuls gesetzt. Allein
wenn die Vermittlung etwas schneller ginge, wäre etwas
gewonnen, weil nämlich Mittel eingespart würden und
ebenfalls ein kleiner Impuls gesetzt würde. Wenn ein
paar Menschen glauben, sie sollten sich doch etwas in-
tensiver um Arbeit bemühen und sich nicht nur auf die
Unterstützung der Allgemeinheit verlassen – diese Ent-
wicklung können wir bei den Zeitarbeitsfirmen erken-
nen –, ist auch das ein Effekt, der – das sage ich aus-
drücklich – gewollt ist.

Die Gesetze sind gemacht. Sie wurden übrigens erst
in der Sommerpause zu Ende gebracht. Der Appell rich-
tet sich nun an die Bundesagentur für Arbeit und an alle
Kommunen. Allen, insbesondere den bei der Umsetzung
besonders geforderten Sozialdezernenten, egal ob es So-
zialdemokraten, Christdemokraten, Grüne oder Liberale
sind, sage ich: Macht euch jetzt alle daran, das umzuset-
zen! Das ist die größte Sozialreform, die wir je gemacht
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie ist schwierig und fordernd genug. Darum wollen wir
gar nicht herumreden, auch nicht um die Ängste der
Menschen. Es steckt aber im Gegensatz zu den öffentli-
chen Verlautbarungen mehr Positives als Negatives da-
rin. Das muss man klar machen. Wir müssen die Kosten
für den Arbeitsmarkt zurückführen. Das geht gar nicht
anders angesichts der Zahlen, die ich vorhin genannt
habe. Insgesamt stecken viel mehr Chancen in der Re-
form. Diese müssen wahrgenommen werden.

Ich will bei dieser Gelegenheit eine kurze Bemerkung

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Zum Haushalt!)


zur Finanzsituation der Kommunen machen.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Ich dachte, zum Bundeshaushalt!)

– Wir sind die ganze Zeit dabei. – Im Jahr 2005 werden
wir durch unsere Initiativen, sowohl durch die Gemein-
definanzreform als auch durch Hartz IV und die dadurch
garantierten Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliar-
den Euro sowie durch das, was im Haushaltsbegleitge-
setz des vorigen Jahres fortwirkt, eine Verbesserung der
kommunalen Finanzsituation um 6,6 Milliarden Euro
haben. Das ist in der Tat ein großes Wort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Entwicklung wird fortgeschrieben, sodass wir in
den Folgejahren eine Entlastung von mehr als 7 Mil-
liarden Euro haben werden. Das ist eine solide Basis, um
das zu tun, was dringend getan werden muss und worauf
ich jetzt kommen will. Wir müssen nämlich für die Be-
treuung der unter dreijährigen Kinder und für die Ganz-
tagsschulen mehr machen. Es werden finanzielle Mög-
lichkeiten geschaffen, die unter anderem dafür eingesetzt
werden müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So viel zur Arbeitsmarktreform. Das ist eine riesige
Aufgabe, deren Umsetzung ansteht.

Zur Rentenreform: Eines der Probleme unserer Ge-
sellschaft ist, dass wir – das ist in diesen Debatten deut-
lich geworden – uns einigen Themen, die wir eigentlich






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

kennen, in der öffentlichen Debatte lange Zeit nicht ge-
stellt haben. Ich will keine einseitigen Schuldzuweisun-
gen machen. Schauen Sie sich den demographischen
Aufbau der Gesellschaft an. 1960 kamen 30 Rentner auf
100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Jetzt sind es
44 Rentner, die auf 100 Personen im erwerbsfähigen Al-
ter kommen. Mitte dieses Jahrhunderts werden es etwa
80 Rentner sein, die auf 100 Menschen im erwerbsfähi-
gen Alter kommen, oder anders gesagt: 80 Rentenemp-
fänger werden 100 Beitragszahlern gegenüberstehen.
Daran wird die Dramatik deutlich, die in unserer Gesell-
schaft langfristig angelegt ist und kurzfristig überhaupt
nicht geändert werden kann.

Schauen Sie sich den Bundeshaushalt an. Ein Sechstel
des Bundeshaushaltes ging 1960 als Zuschuss an die
Rentenversicherung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das haben Sie doch selbst gemacht!)


Heute ist es bereits ein Drittel. Wenn man weiterhin be-
trachtet, was mit Zinsen und Sozialausgaben passiert ist,
dann sieht man die Notwendigkeit unserer Reformen. Es
geht nicht darum, ob wir uns die Reformen leisten kön-
nen; umgekehrt, wir können uns überhaupt nicht leisten,
darauf zu verzichten, weil wir die Sozialausgaben nicht
mehr bezahlen können. So einfach ist das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das muss man den Menschen mit aller Deutlichkeit sa-
gen. Es liegt ein politisches Versagen darin, das, was
man früher wissen konnte, nicht früher angegangen zu
sein. Ich sage bei aller Selbstkritik, die der Bundeskanz-
ler hier geäußert hat, nämlich dass diese Regierung in
der ersten Wahlperiode vielleicht nicht genug getan
habe: Immerhin haben wir die Haushaltskonsolidierung
eingeleitet sowie Steuerreformen und eine Rentenreform
gemacht. Aber 16 Jahre lang so gut wie gar nichts zu tun
ist in der Tat nicht zu akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Blödsinn!)


Deswegen ist die Konsequenz: Erstens. Die umlage-
finanzierte Rente musste grundlegend reformiert wer-
den. Mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors
muss ihre Entwicklung nachhaltig gedämpft werden.
Das heißt, dass wir im Jahr 2030 im Vergleich zum jetzi-
gen Rechtszustand eine jährliche Entlastung von
20 Milliarden Euro haben, die die Arbeitgeber und Ar-
beitnehmer nicht zu zahlen haben und die sie wahr-
scheinlich gar nicht zahlen könnten, weil die Rentenver-
sicherungsbeiträge so hoch wären, dass sie niemand
mehr in dieser Volkswirtschaft verkraften könnte.

Wenn die umlagefinanzierte Rente wegen der Demo-
graphie an Kraft verliert, dann müssen wir, wenn wir Al-
tersarmut nicht wollen, die kapitalgedeckte private Vor-
sorge – steuerlich gefördert – für die Schwächeren
daneben stellen. Das war eine richtige Entscheidung in
der vorigen Wahlperiode.


(Beifall bei der SPD)

Als Nächstes ist der Entwurf des Alterseinkünfte-
gesetzes anzuführen, den wir gerade verabschiedet ha-
ben. Ich bin dankbar dafür, dass uns dies gemeinsam
möglich war. Damit werden als dritte Stufe des gesamten
Vorhabens die Beiträge zur Rentenversicherung und zur
privaten Vorsorge bis 2025 Schritt für Schritt steuerfrei
gestellt. Das bedeutet eine ordentliche Erleichterung für
die nächste Generation, die schließlich genug zu tragen
haben wird. Es heißt aber umgekehrt, dass dann, wenn
die Vorsorge vollständig steuerfrei ist – das wird ab 2040
der Fall sein –, die Rente, wenn sie als Einkommen zu-
fließt, versteuert werden muss. Das ist ein einfaches
Prinzip, das so, wie wir es beschlossen haben, nieman-
den bedroht. Es ist in Wahrheit ein Steuerentlastungspro-
gramm; denn die Entlastung bei der Vorsorge ist stärker
als die Belastung bei der Rentenbesteuerung.

Der dritte Punkt ist die Gesundheitsreform. Dabei
handelt es sich in der Tat – das will ich loben – um eine
ausgesprochene Erfolgsgeschichte; denn statt des 2 Mil-
liarden Euro hohen Defizits im ersten Halbjahr 2003 ist
nunmehr, nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform,
im ersten Halbjahr 2004 ein Überschuss in Höhe von
2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen; das ist ein Swing
von 4,5 Milliarden Euro. Dafür will ich ausdrücklich
meinen Dank aussprechen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil – darauf komme ich gleich noch zurück – der Fi-
nanzminister natürlich seinen Haushalt im Blick behal-
ten muss. Da mir aber immer wieder das Maastricht-De-
fizit angelastet wird, will ich an dieser Stelle deutlich
machen, dass es dabei nicht nur um den Bundeshaushalt
geht, sondern auch um die sozialen Sicherungssysteme,
die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Dazu will ich mich zumindest äußern. Ich halte die Re-
formen in den sozialen Sicherungssystemen für dringend
erforderlich. Die Gesundheitsreform ist ein gutes Bei-
spiel dafür, auf welche Weise sie möglich sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum ersten Mal seit zehn Jahren befindet sich die ge-
setzliche Krankenversicherung in einer positiven Ent-
wicklung. Die ersten Erfolge sind sichtbar. Es werden
nicht nur Schulden abgebaut – auch das ist übrigens in
entscheidendem Maße Maastricht-relevant –, sondern es
sinken auch die Beiträge. 25 Millionen Versicherte sind
schon in den Genuss von Beitragssatzsenkungen gekom-
men, die zwar noch klein sind, aber immerhin möglich
wurden. Das ist ein großer Fortschritt im Zuge der Re-
formen, die vor eineinhalb Jahren vom deutschen Bun-
deskanzler im Rahmen der Agenda 2010 im Deutschen
Bundestag angekündigt worden sind.

Ich wiederhole: Auch das hat etwas mit Maastricht zu
tun. Ich glaube, es war Herr Storm, der einmal gesagt
hat, die sozialen Sicherungssysteme seien nicht dafür da,
zur Lösung unseres Maastricht-Problems beizutragen.
Sie lösen dieses Problem aber aus, wenn sie defizitär






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

sind. Insofern dürfen sie keine Defizite aufweisen. So
einfach ist das.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas zum

Zahnersatz anmerken. Die Diskussion darüber finde ich
ziemlich spannend.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vielleicht kommen wir auch noch mal zum Haushalt!)


– Ich bin die ganze Zeit beim Haushalt. Das werden Sie
gleich merken. Einiges scheint Ihnen nicht ganz ange-
nehm zu sein. Dafür habe ich zwar ein gewisses Ver-
ständnis, meine Damen und Herren, aber ich spare heute
nichts aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht offenbar um die gemeinsame Erkenntnis – an-
ders kann ich Ihre Position nicht verstehen –, dass die
Vorstellung, man könne das Problem mit einem gleichen
Beitrag für alle und der Schaffung eines bürokratischen
Monsters lösen, nicht zu verwirklichen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Einsicht scheinen inzwischen alle zu teilen, sonst
würden Sie sicherlich an Ihrer Position festhalten. Ob-
wohl es aber Ihre Erfindung war, wollen Sie sich damit
nicht in der Öffentlichkeit präsentieren lassen. Dass Sie
daraus die Konsequenz ziehen, gar nichts zu machen,
zeigt, dass Sie, wenn es darauf ankommt, nicht in der
Lage sind, die notwendigen Reformen für dieses Land
durchzuführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weder für den Haushalt noch für die Einhaltung der
Maastricht-Kriterien, die Rentenversicherung und die
Senkung der Lohnnebenkosten kann die Konsequenz
darin bestehen, die Reformen schleifen zu lassen. Not-
wendig ist vielmehr, was meine Kollegin Frau Schmidt
vorgeschlagen hat, nämlich Zahnersatz und Kranken-
geld zum 1. Juli nächsten Jahres zusammenzuziehen und
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu lassen. Der
Vorschlag sieht vor, dass die Versicherten auf der einen
Seite 0,45 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen, aber
auf der anderen Seite wird ihnen im nächsten Jahr eine
Beitragssenkung von bis zu 1 Prozentpunkt gewährt.
Das ist sowohl für die Unternehmen durch die Senkung
der Lohnnebenkosten als auch für die Versicherten eine
vernünftige Regelung. Deswegen muss dieser Vorschlag
umgesetzt werden. Es ist nicht zu verantworten, dieses
Vorhaben schleifen zu lassen. So kann man angesichts
der Finanzlage nicht mit den notwendigen Reformen
umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie an Ihrer neuen Linie festhalten, dann sollten
Sie mir nicht sagen, dass wir nächstes Jahr beim gesamt-
staatlichen Defizit wieder unter 3 Prozent kommen müs-
sen. Der Zahnersatz und das Krankengeld sind Themen,
die in diesen Zusammenhang gehören. Sie zählen zu den
Problemen, die wir anpacken müssen, damit wir nächs-
tes Jahr wieder unter 3 Prozent kommen. Wenn Sie den
erzielten Konsens verlassen, dann haben Sie Ihren Bei-
trag dazu geleistet, dass dieses Ziel nicht erreicht werden
kann. Das werden wir dann öffentlich sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Jetzt können Sie zur Tabaksteuer kommen!)


– Zur Tabaksteuer sage ich gleich gerne etwas.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Damit wieder ein bisschen Ruhe in die Diskussion
kommt, rate ich dazu, keine Schnellschüsse zu machen,
sondern es bei der momentanen Gesetzeslage zu belas-
sen, insbesondere bei dem, was der Haushaltsausschuss
fraktionsübergreifend beschlossen hat, nämlich im
nächsten Jahr in Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung
des jetzigen Jahres über mögliche Konsequenzen ergeb-
nisoffen zu beraten. Ich denke, dass das der richtige Weg
ist, den man an dieser Stelle gehen sollte. – So viel zu
den anstrengenden Strukturreformen.

Zweiter Punkt: zusätzliche Wachstumsimpulse.
Klar ist – das habe ich schon zu Beginn meiner Rede ge-
sagt –, dass Wachstum und Konsolidierung zwingend
zusammengehören. Deswegen werden auch mit dem
Haushalt 2005 Wachstumsimpulse erzeugt werden. Um
es klar zu sagen: Die dritte Stufe der Steuerreform wird
so umgesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist.
Durch sie werden Bürger und Unternehmen 2005 und in
allen Folgejahren um weitere knapp 7 Milliarden Euro
entlastet. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar
Bemerkungen zu unserer Steuerreform machen, die seit
2001 in Kraft ist. Der Eingangssteuersatz, der 1998, also
während Ihrer Regierungszeit, bei 25,9 Prozent lag, wird
auf 15 Prozent im Jahr 2005 sinken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Spitzensteuersatz, der Ihnen immer besonders am
Herzen liegt, wird von 53 Prozent 1998 auf 42 Prozent
im nächsten Jahr sinken. Durch die Erhöhung des
Grundfreibetrages werden Haushalte und Unternehmen
nunmehr jedes Jahr um 52 Milliarden Euro entlastet.
Das ist in der Tat eine große Steuerreform, wie es sie zu-
vor niemals gegeben hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben auch den Körperschaftsteuersatz gesenkt
und dafür gesorgt, dass der im Unternehmen verblei-
bende Gewinn steuerlich besser gestellt wird, um die Ei-
genkapitalbildung zu stärken. Hinzu kommt bei den Per-
sonengesellschaften die Verrechnung der Gewerbesteuer
mit der Einkommensteuerschuld. Auch dort wird also
die Eigenkapitalbildung gestärkt.

Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema
Steuergerechtigkeit machen. Um es ganz konkret zu






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

machen, welche Wirkung unsere Steuerpolitik auf die
Einkommen der Menschen in diesem Land hat, möchte
ich folgende Beispiele nennen: Ein lediger Arbeitnehmer
– ohne Kinder, unter 50 Jahre, Steuerklasse I/0 – ver-
fügte im Jahre 1998 über ein Bruttoarbeitseinkommen
von 24 695 Euro. Er wird im Jahr 2005 über ein Brutto-
einkommen verfügen, das um 2 820 Euro höher liegt.
Von diesen 2 820 Euro werden ihm 2 566 Euro belassen.
Anders ausgedrückt: Sein verfügbares Einkommen nach
Steuern und Sozialabgaben steigt von 60,2 Prozent wäh-
rend Ihrer Regierungszeit auf 63,3 Prozent im Jahr 2005.
Dafür haben wir gesorgt. Wenn jemand etwas für die Er-
höhung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer getan
hat, dann waren wir das mit unserer Steuerreform.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)


Am Beispiel eines Arbeitnehmers, der verheiratet ist,
zwei Kinder hat und Alleinverdiener ist, wird es noch
sehr viel deutlicher – vielleicht werden Sie anschließend
noch ein bisschen unruhiger –, für welche Entlastungen
wir gesorgt haben bzw. sorgen werden. Das Bruttoar-
beitseinkommen eines solchen Arbeitnehmers steigt von
1998 bis 2005 zunächst nur um 2 821 Euro. Aber sein
verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabga-
ben erhöht sich um 3 790 Euro, das heißt, dass er trotz
eines höheren Einkommens quasi mit niedrigeren Steu-
ern belohnt wird. Das liegt übrigens in erster Linie am
Kindergeld. Das ist Familienpolitik, die wir wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So sieht die Bilanz für die Durchschnittsverdiener aus.
Wenn ich die Tabelle einmal dahin gehend betrachte,

wie es für einen verheirateten Alleinverdiener mit zwei
Kindern je nach der Größenordnung des Einkommens
ausschaut – ich will das im Einzelnen gar nicht weiter
ausführen –, dann stelle ich fest, dass die größten Entlas-
tungen im unteren Einkommensbereich stattfinden und
dass die Entlastungen mit steigendem Einkommen ab-
nehmen. Dafür muss man sich nicht schämen; das ist
vielmehr schlicht gerechte Steuerpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte es noch an ein paar anderen Zahlen deut-
lich machen. Zunächst zur Einkommensteuer – sie ist die
umverteilende Steuer –: Die oberen 10 Prozent zahlen
54 Prozent der Einkommensteuer, die unteren 50 Pro-
zent ganze 9 Prozent. Auch das ist die Wirklichkeit.
Übrigens, Sie waren strikt dagegen. Wir haben das durch
den Abbau einer Fülle von Steuervergünstigungen
gleich im Frühjahr 1999 erreicht. Sie haben das alles be-
kämpft.

Dass wir das erreicht haben, war die Voraussetzung
dafür, dass im oberen Einkommensbereich nicht einfach
alles abgeschrieben werden kann. So sind auch die Be-
zieher höherer Einkommen, die – übrigens, ganz legal –
eine Fülle von Steuervergünstigungen in Anspruch neh-
men konnten, betroffen. Das wurde eingeschränkt, damit
wieder ordentlich Steuern gezahlt werden. Das ist unsere
Steuerpolitik. Sie richtet sich weniger gegen Sie – im
Wahlkampf richtet sie sich manchmal auch gegen Sie –
als vielmehr gegen andere, die Falsches verbreiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer über die Einnahmeseite redet, der muss auch
über den Steuerbetrug reden, Stichwort Umsatzsteuer-
betrug. Wir arbeiten mit den Ländern seit Jahren an der
Bekämpfung dieses Problems. Es wird auch mit Brüssel
so schnell keinen Systemwechsel geben. Ein System-
wechsel bei der Umsatzsteuer würde – selbst wenn er
mit Brüssel zu vereinbaren wäre – an einem nichts än-
dern: dass die Umsatzsteuer die betrugsanfälligste und
mit dem höchsten Verwaltungsaufwand verbundene
Steuer ist. Auch deswegen plädiere ich nachdrücklich
dafür – dabei könnten die Länder eine ganze Menge
mehr tun –, dass ebendieser Verwaltungsaufwand betrie-
ben wird. Es geht nicht anders. Eine Steuerhinterziehung
in Höhe von 20 Milliarden Euro – davon spricht das Ifo-
Institut – ist nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch mit Blick auf die Diskussion in der Föderalis-
muskommission sage ich hier ausdrücklich – ich finde
die Initiative von der FDP, das auch hier wieder zur
Sprache zu bringen, richtig –: Der Bund ist bereit, beim
Vollzug dieser Steuer eine ganz andere Verantwortung
zu übernehmen. Dabei sollte es nicht um Kompetenzfra-
gen gehen; vielmehr sollte derjenige, der am ehesten in
der Lage ist, den Vollzug so zu gewährleisten, dass der
Umsatzsteuerbetrug ordentlich zurückgedrängt wird, die
Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne sollten wir
die Debatte führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])


Sie wissen, dass wir den Vorschlag, eine Bundessteu-
erverwaltung einzurichten, in die Kommission einge-
bracht haben. Ich will ausdrücklich sagen: Ich stehe
dazu. Allein die Tatsache, dass wir Bundesgesetze beim
Aufkommen von Zweifelsfragen in Bezug auf die Ausle-
gung in über 100 Kränzchen, in denen Vertreter aller
16 Länder und ein Vertreter des Bundes sitzen, klären
müssen – oft in einem mehrstufigen Verfahren –, ist ein
schweres Hindernis. Wir müssen doch in der Lage sein,
einem Unternehmen oder einem Privatmann innerhalb
von Tagen zu sagen, wie unser Steuerrecht einzuschät-
zen ist, was also im Einzelfall genau gemeint ist. Wenn
man 100 Kränzchen braucht, die zur Klärung solcher
Fragen mehrere Tagungen abhalten, dann geht das nicht.
Das geht am besten, wenn derjenige, der ein solches Ge-
setz erlässt, der Bundesgesetzgeber, autorisiert ist, Zwei-
felsfragen zu beantworten. Anders kann ich mir das auf
Dauer überhaupt nicht vorstellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer über die Einnahmen redet, der muss auch über
den Kampf gegen die Steuerhinterziehung an anderen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Stellen sprechen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin froh,
dass wir uns – auch wenn es nur ein erster Schritt ist – in
der Europäischen Union auf die Besteuerung von Zins-
erträgen verständigt haben, dass wir uns darüber auch
mit der Schweiz einig sind, dass die entsprechende Re-
gelung in der Schweiz, in vielen assoziierten Gebieten
und in anderen Drittländern zum 1. Juli nächsten Jahres
in Kraft tritt. Ich mache mir aber keine Illusionen: Das
ist erst ein Anfang. Anders geht es übrigens weder in Eu-
ropa noch sonst wo in der Welt; man bekommt nie eine
perfekte Lösung.

Aber es wird weiter gehen; ich sage das mit allem
Nachdruck. Wenn in diesem Herbst die G 20, die größ-
ten Industrie- und Schwellenländer dieser Erde, die zu-
sammen über mehr als 90 Prozent des Bruttosozialpro-
dukts der Welt verfügen, für sich selbst den OECD-
Standard beim Auskunftsaustausch in Steuerfragen für
verbindlich erklären, dann wird damit ein großer Schritt
im Kampf gegen die internationale Steuerhinterzie-
hung nach vorne getan. Es kann nicht hingenommen
werden, dass es auf dieser Erde Steueroasen gibt, also
Länder, die ihr Einkommen im Wesentlichen dadurch er-
zielen, dass sie den Steuerbetrug in anderen Ländern för-
dern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das darf nicht sein. So kann internationale Gemeinschaft
nicht funktionieren.

Wir alle können das nicht wollen. Denn was heißt das
für die vielen ehrlichen Steuerzahler? Wenn sie ein sol-
ches Bild vermittelt bekommen, dann müssen sie doch
am System zweifeln. Deswegen ist der grenzüberschrei-
tende Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine unserer
vornehmsten Aufgaben. Wir alle sollten uns daran betei-
ligen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dasselbe gilt im Kampf gegen die Schwarzarbeit.
Ich weiß nicht, ob die Zahl von Professor Schneider
richtig ist – wahrscheinlich weiß das niemand genau –;
15 oder 16 Prozent Schattenwirtschaft, das wären um die
350 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgaben-
quote von 36 oder 36,5 Prozent kämen dann über
100 Milliarden Euro an Steuern und Sozialbeiträgen
nicht ein. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Den
kann man nicht allein dadurch beseitigen, dass man die
Steuern und Abgaben senkt – das tun wir ja schon –; es
wird immer eine große Differenz bleiben zwischen einer
ehrlichen Arbeit, bei der in die Sozialsysteme eingezahlt
wird und Steuern entrichtet werden, und einer unehrli-
chen Arbeit, bei der weder Sozialbeiträge noch Steuern
gezahlt werden. Deswegen müssen wir alle zusammen
diesen Kampf im Interesse der ehrlichen Unternehmer
und der ehrlichen Arbeitnehmer sowie im Interesse lega-
ler Arbeitsplätze führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin froh darüber, dass sich nunmehr – da hat man
bei den Wirtschaftsverbänden gezögert; das habe ich
nicht verstanden –, ausgehend von Berlin und dem
Bündnis für Regeln am Bau, eine Entwicklung republik-
weit vollzieht und dass es zu lokalen Bündnissen
kommt, bei denen sowohl die Gewerkschaften als auch
die jeweiligen Handwerksverbände bzw. Industriever-
bände zusammenarbeiten; denn auch mit 7 000 Finanz-
kontrolleuren – das ist schon eine ordentliche Aufsto-
ckung – kann ich den Kampf gegen die Schwarzarbeit
allein nicht bestehen. Die werde ich, wie ich immer ge-
sagt habe, konzentriert dort einsetzen, wo der Miss-
brauch am größten ist, wo es um richtig organisierte Kri-
minalität geht; da ist zuallererst und mit Härte
zuzufassen. Wir brauchen aber auch ein anderes Rechts-
bewusstsein der Gesellschaft, damit dieser Sumpf ausge-
trocknet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum zweiten Teil zum Thema Wachstum: Innova-
tionsoffensive. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft,
die immer älter wird und immer weniger Kinder hat –
das ist doch das Problem; das Problem ist nicht, dass wir
älter werden; das ist für uns alle ja schön; man muss sich
nur einmal in der Runde umsehen


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

– das war ganz selbstkritisch gemeint; keine Angst! –;
dass wir so wenig Kinder haben, ist das Problem – muss
man sich überlegen, wie wir unsere Probleme bewälti-
gen. Wir dürfen die öffentlichen Haushalte nicht mit im-
mer höheren Schulden und damit Zinsen für früher auf-
genommene Schulden belasten – so haben wir das
Jahrzehnte gemacht; das versuchen wir ja zu ändern –
und nicht immer höhere Sozialausgaben fordern. Wir
brauchen ein Feld für Zukunftsaufgaben. Das fängt bei
den Kindern, bei den unter Dreijährigen, an. Wir haben
zwar keine Zuständigkeit in diesem Bereich – das ist Ge-
meindesache –, aber wir haben gesagt: Wir entlasten die
Kommunen bei Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro. Da-
von sollen sie nachhaltig 1,5 Milliarden Euro für den
Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen einset-
zen. – Ich hoffe, dass nicht nur das Geld, sondern auch
die Botschaft ankommt und das entsprechend umgesetzt
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen haben wir auch – ohne Zuständigkeit; das
ist eine Zuständigkeit der Länder und Kommunen – das
Ganztagsschulprogramm aufgelegt, das zu einem Er-
folg wird. Die Leute fragen ja nicht: „Wer hat die Zu-
ständigkeit?“, sondern: Wird das Problem in Deutsch-
land gelöst?

Wir können nicht damit zufrieden sein, wie unser Bil-
dungswesen funktioniert. Die PISA-Studie zeigt das
deutlich. Sie zeigt übrigens auch – das sage ich nun be-
wusst als Finanzminister –, dass es einen direkten Zu-
sammenhang zwischen den eingesetzten Mitteln und
dem Erfolg nicht gibt. Man wird die Priorität Bildung
nicht ohne mehr Mittel erreichen können – das ist wohl
wahr –, aber es besteht ja auch die Möglichkeit, Mittel
schlecht einzusetzen. Deswegen sage ich allen: Denken
Sie an so etwas, wie es Frau Kollegin Bulmahn mit den






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Juniorprofessoren an den Hochschulen erlebt hat! Das
Neue macht es für den Nachwuchs an deutschen Univer-
sitäten interessanter. Das darf nicht im Gewirr des Föde-
ralismus – um das deutlich zu machen: im Kompetenz-
gewirr – untergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sehen unsere Chance als ein rohstoffarmes Land
gerade darin, mit besserem Denken, mit besserer Quali-
tät unserer Produkte und unserer Erfindungen an der
Spitze zu bleiben. Das heißt, dass dieser Bereich zu
stärken ist. Das heißt dann übrigens auch, dass wir die
Lissabon-Strategie ernst nehmen. Wir werden es zwar
unter Umständen nicht bis 2010 erreichen, Europa zur
wettbewerbsfähigsten Region der Erde zu machen, aber
das Ziel ist richtig. Alle Länder der Europäischen Union
sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, wir auch.

So skeptisch der Finanzminister bei quantifizierten
Zielen oft ist, was wohl verständlich ist: Wir haben uns
das Ziel „3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für For-
schung und Entwicklung“ gesetzt. Wir müssen das dann
auch erfüllen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das bedeutet: Wir müssen mehr in Forschung und Ent-
wicklung investieren. Das war die Ankündigung des
Bundeskanzlers im Rahmen der Agenda 2010 am
14. März vergangenen Jahres.

Wir haben einen Finanzierungsvorschlag unterbreitet:
Da, meine Damen und Herren, wird es interessant. In ei-
nem gesättigten Wohnungsmarkt – –


(Zurufe von der FDP)

– Ja, wir kommen auch noch zu anderen Punkten, keine
Angst. Aber auch dieser Punkt ist spannend; denn wenn
ich mich richtig erinnere, stand in Ihrem Wahlprogramm
2002 noch drin, dass man die Einkommensgrenzen bei
der Eigenheimzulage aufheben sollte. Sie von der FDP
sollten sich einmal zu Gemüte führen, was Sie da vorge-
schlagen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen: Wer sein Haus selber bauen kann,
braucht vom Staat und damit von der Gemeinschaft kein
Geld dazu. So viel vorweg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


Aber wir haben ja ein anderes Problem: Zum einen
machen wir Jahr für Jahr zu hohe Schulden, zum ande-
ren muss mehr Geld in Zukunftsfelder investiert werden.
Darüber besteht doch, wie ich glaube, kein Dissens; da-
rin sind wir uns doch einig. Nun müssen wir aber auch
sagen, woher das Geld kommen soll. Mich treibt um,
dass wir das wenige Geld, das wir noch haben, falsch
ausgeben, nämlich insbesondere für Subventionen von
veralteten Strukturen statt für Investitionen in Zukunfts-
felder.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

Das kann so nicht bleiben. Deswegen sind Sie an dieser
Stelle gefordert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin übrigens bereit, dies in jeder Versammlung
oder Diskussionsrunde zu vertreten. Zwar ist die Eigen-
heimzulage nicht unpopulär, aber die Menschen sehen
ein, dass es angesichts des derzeitigen Wohnungsmark-
tes und der derzeitigen Finanzlage wichtiger ist, in die
Betreuung und Ausbildung unserer Kinder zu investie-
ren als in den Bau oder Umbau von Häusern. Das sehen
sie ein, das begreift jeder Mensch und das müssen wir
machen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen wissen ja auch Sie, dass der Sachverstän-
digenrat, die Bundesbank und alle Wirtschaftsfor-
schungsinstitute davon reden, dass die Steuersubventio-
nen weg müssen. Auch Sie tun das implizit. Sie haben ja
schon gesagt, dass Sie bereit wären, diese Subvention
aufzugeben, wenn denn Ihre Steuerreform käme. Aber
mit diesem Verhalten jagen Sie einer Schimäre nach;
denn Ihre Steuerreform kann aufgrund der damit verbun-
denen zusätzlichen großen Einnahmeausfälle in den
nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden. Auch
das ist angesichts der Lage dieses Landes die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Folgen Sie doch der Einsicht, zu der Sie mittlerweile
gekommen sind, und lassen Sie uns – Bund, Länder und
Gemeinden – eine gemeinsame große Anstrengung für
die Sicherung der Ausbildung unserer Kinder und für die
Förderung von Forschung und Entwicklung, also zur Si-
cherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, unter-
nehmen. Das würde 2,5 Milliarden mehr für die Länder,
900 Millionen Euro mehr für die Kommunen und
2,5 Milliarden mehr für den Bund bedeuten, die wir
nachhaltig – das baut sich ja im Laufe der Jahre weiter
auf – in den weiteren Ausbau von Bildung und For-
schung investieren könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Aufbau Ost: Wir verstetigen die GA Ost auf ho-
hem Niveau; der Solidarpakt – auch dieses Geld muss ja
erarbeitet werden – gilt bis einschließlich 2019. Bei der
Gelegenheit möchte ich als Finanzminister etwas zu den
Diskussionen sagen, die derzeit im Lande geführt wer-
den. Auch ich bemühe mich bei Versammlungen im
Westen wie im Osten darum, dass nicht neue Vorurteile
und Gegensätze entstehen. Das müssen wir verhindern.
Ich glaube aber, dass wir zu lange gezögert haben, die
schlichten ökonomischen Fakten beim Namen zu nen-
nen.

Ein schlichtes ökonomisches Faktum können wir in
diesem Jahr, in dem die anderen mittel- und osteuropäi-
schen Reformstaaten der EU beigetreten sind – 15 Jahre,
nachdem die DDR zur Bundesrepublik gekommen ist –,






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

den Menschen leichter und besser nahe bringen: Die
Länder, die jetzt beigetreten sind, bekommen von Brüs-
sel maximal 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als
Hilfe, um ihren Aufbau voranzubringen. Wir transferie-
ren jedes Jahr 4 Prozent des deutschen Bruttoinlandspro-
duktes von West nach Ost. Das bedeutet, dass das ost-
deutsche Bruttoinlandsprodukt zu einem Drittel aus
Transferleistungen besteht. Das haben nicht die Men-
schen zu verantworten, die da leben, sondern das ist die
Konsequenz der Wiedervereinigung, die so schnell kom-
men musste, weil wir eine Nation und ein Volk sind und
sich die DDR gar nicht so lange wie die anderen Länder
hätte aufrecht halten können, bis sie die Kopenhagener
Beitrittskriterien – eine funktionierende Marktwirtschaft
und wettbewerbsfähige Betriebe – erfüllt hätte. Beides
hatte sie nämlich nicht. Die Folge davon aber war eine
Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Die Konsequenz
daraus, meine Damen und Herren – ich sage das ganz
leise –, sind doch nicht blühende Landschaften innerhalb
von wenigen Jahren und „aus der Portokasse bezahlt“,
sondern ist, dass eine ganze Generation in Deutschland
vor einer harten Herausforderung steht. Diese Tatsache
kommt jetzt langsam in den Köpfen der Menschen an
und sie sollte keine Zwietracht säen.

Wir hatten bei unserer letzten Kabinettsklausur den
schwedischen Ministerpräsidenten zu Besuch. Es war
gut, jemanden zu hören, der einen Blick von außen auf
unsere Situation wirft und sich auskennt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er war der Einzige!)


– Er war nicht der Einzige. – Er hat gesagt: Was ist ei-
gentlich mit euch los? Seid doch stolz auf die enorme
Leistung, die ihr als Deutsche erbringt! – Das ist unsere
gemeinsame Aufbauleistung in Deutschland!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist klar, dass der Osten nicht immer noch mehr be-
kommen kann; das geht nicht. Ebenso ist klar, dass der
Westen dem Osten die Solidarleistungen, die er für ihn
erbringt, nicht neiden darf. Die Aufgabe besteht darin,
mehr und mehr dahin zu kommen, dass – darüber muss
mit Blick auf Gelsenkirchen und manche Gegend in Ost-
deutschland eine vernünftige Debatte geführt werden –
nicht mehr nur zwischen Ost und West in Deutschland
unterschieden wird, sondern dort, wo die Problemlagen
die gleichen sind, auch gleiche Antworten gefunden
werden. In dieser Weise muss Deutschland zusammen-
wachsen und darf nicht auseinander getrieben werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich in aller Ruhe zur PDS: Wer
glaubt, man könne etwas gewinnen, indem man sich als
ostdeutsche Partei gegen den Westen stellt, schadet uns
allen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben die gemeinsame Freude, dass die Mauer weg
ist und dass alle in Einheit und Freiheit leben können,
und wir haben die gemeinsame Aufgabe, die Probleme
zu lösen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wer macht denn mit denen Koalitionen?)


– Wir können uns ja mal die Verhältnisse auf der kom-
munalen Ebene anschauen; da wird es richtig span-
nend. – Diese gemeinsame Aufgabe gehört genau wie
die anderen Wachstumsfaktoren zum Wachstumsprozess
dieses Landes.

Damit komme ich zu Punkt drei, der Konsolidierung.
Herr Austermann wird in seiner Rede nachher sicherlich
darauf zu sprechen kommen und sich über die Schulden
beklagen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen, Herr
Austermann, sogar zu; auch mir sind die Schulden viel
zu hoch. Ich wehre mich allerdings dagegen, dass Sie
den Chefankläger spielen. In den Jahren Ihrer Regie-
rungszeit nach der Wiedervereinigung betrug das jahres-
durchschnittliche Defizit des Bundes 1,8 Prozent. In den
fünf Jahren, die wir jetzt regieren, liegt das jahresdurch-
schnittliche Defizit des Bundes bei 1,5 Prozent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Staatsdefizit insgesamt – Bund, Länder, Gemeinden
und soziale Sicherungssysteme – lag in Ihrer Zeit bei
jährlich 2,8 Prozent, in unserer Zeit liegt es bei jährlich
2,6 Prozent.

Dabei habe ich sogar – was Sie wahrscheinlich nicht
getan hätten – die UMTS-Erlöse herausgelassen. Wenn
Sie diese hineinrechnen, vermindert sich das Defizit in
unserer Zeit jahresdurchschnittlich um ein halbes Pro-
zent. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Sie
haben in all den Jahren im Schnitt mehr Schulden ge-
macht als wir und eignen sich deshalb überhaupt nicht
zum Chefankläger; das ist blanke Heuchelei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bleibe dabei: Natürlich ist das Ziel ein ausgegli-
chener Haushalt. Natürlich sind dem Bundesfinanzmi-
nister alle Schulden zu hoch. Aber erstens gab es von
2001 bis 2003 eine wirtschaftliche Stagnation. Zweitens
musste die Haushaltslücke so groß nicht sein. Das
Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen, das
ich Ende 2002 vorgelegt habe, hätte eine Jahreswirkung
von 17 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemein-
den gehabt. Im Bundesrat durchgehen lassen haben Sie
gerade 2,4 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Um
14,6 Milliarden Euro könnte die Lücke kleiner sein, als
sie ist. Deshalb machen Sie mir keine Vorwürfe im Zu-
sammenhang mit den Privatisierungserlösen! Das akzep-
tiere ich nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie gewaltig Ihr Mut war, haben wir im vergangenen
Jahr beim Haushaltsbegleitgesetz gesehen. Wenn wir
uns das Ganze jetzt einmal in Ruhe ansehen, stellen wir






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

fest, dass die Wahrheit doch folgende ist: Wir haben seit
1999, seit der Auflegung des Zukunftsprogramms 2000,
jetzt im sechsten Jahr in Folge einen Konsolidierungs-
haushalt vor uns. Hätten wir damals nicht damit begon-
nen, hätte das zur Folge gehabt, dass wir allein im Bund
jedes Jahr 20 Milliarden Euro mehr Schulden hätten.

Ich kann mich übrigens sehr gut erinnern, dass, als ich
dieses Programm einleitete, jeder gesagt hat, das gehe
gar nicht. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit aus-
drücklich sagen: Bei allem Streit, den wir auch mit dem
Kollegen Rexrodt gehabt haben, hat es doch sehr viele
faire Bemerkungen im Haushaltsausschuss gegeben. Als
ich damals das 30-Milliarden-DM-Paket vorlegte, gab es
von Herrn Rexrodt im Haushaltsausschuss die Bemer-
kung: Das schaffen Sie nie. Mehr als 15 Milliarden DM
ist nicht drin. – Es war eine harte Arbeit. Es wurden
– das will ich an die Adresse von Herrn Stoiber sagen;
ich komme auf ihn gleich zurück – 7,5 Prozent bei allen
beeinflussbaren Haushaltspositionen eingespart.

Was ist die Konsequenz? Wir haben die Finanzhilfen
an den Stellen, an denen wir selber entscheiden konnten
und an denen der Bundesrat nicht blockieren konnte – an
anderen Stellen hat er selbst angesichts Mehrheiten, die
nicht eindeutig waren, manchmal blockiert –, um 50 Pro-
zent auf 6 Milliarden Euro im nächsten Jahr gekürzt, sie
also halbiert. Die Personalausgaben in 2005 liegen bei
einem Gesamtvolumen von 27 Milliarden Euro nur um
400 Millionen Euro höher als im Jahre 1998, obwohl es
in der Zwischenzeit Tarifsteigerungen gegeben hat, die
kumuliert 11,3 Prozent ausgemacht haben. Wir beschäf-
tigen im öffentlichen Dienst des Bundes heute deutlich
weniger Menschen als die alte Bundesrepublik Deutsch-
land vor der Wiedervereinigung. Das sind die Konse-
quenzen unserer Konsolidierungspolitik.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, Herr Eichel!)


Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlandspro-
dukt ist von 12,1 Prozent im Jahr 1998 auf 11,5 Prozent
in diesem Jahr zurückgegangen. Die Ausgaben sind ins-
gesamt gleich geblieben. Es gibt nur eine Ausgabe, die
gestiegen ist – sie macht praktisch die gesamte Steige-
rung aus –, und zwar die für den Arbeitsmarkt. Im Jahr
2000 betrugen die betreffenden Ausgaben 15 Milliarden
Euro und im Jahr 2005 – das ist das Problem – sind es
29,6 Milliarden Euro. In dieser Zahl ist eine Hartz-Prä-
mie enthalten, die später eingelöst werden kann.

Wir haben eine konsequente Konsolidierung betrie-
ben. Auf der Ausgabenseite haben wir wegen der Kon-
junktur das Arbeitsmarktproblem – deswegen gehen wir
das Thema an – und auf der Einnahmenseite das Steuer-
problem.

Der Konsolidierungskurs war nicht nur ohne Alterna-
tive, sondern er war auch erfolgreich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Setzen!)

Deswegen bin ich jetzt sehr gespannt, was Sie zu dem
Haushalt 2005 zu sagen haben. Wir haben im Haushalt
2005 – das ist nach Strukturreformen und Wachstumsini-
tiativen der dritte Teil – das konsequent fortgesetzt, was
wir 1999 – die Wirkungen habe ich bereits geschildert –
eingeleitet haben. Die globale Minderausgabe von 2003
bei der Rente wird voll umgesetzt. Die noch schärferen
Vorschläge von Koch/Steinbrück zum Subventionsabbau
werden voll umgesetzt. In der Landwirtschaft wird das,
worüber wir alleine entscheiden können und was Sie im
vergangenen Herbst im Vermittlungsverfahren behin-
dert haben, komplett umgesetzt. Ich komme gleich noch
darauf zurück, weil dies eine pikante Variante hat.

Allerdings gilt: Solange die Konjunktur nicht auf bei-
den Beinen – Export und Binnennachfrage – steht, wird
es ein darüber hinausgehendes, zusätzliches Konsolidie-
rungspaket nicht geben, weil es wachstumsschädlich ist
und deshalb nicht zu verantworten ist.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Weil wir auf jeden Fall – das wird auch im Zuge der
Haushaltsberatungen deutlich werden – Art. 115 des
Grundgesetzes einhalten werden, indem wir nicht mehr
neue Schulden machen, als wir für Investitionen ausge-
ben, brauchen wir Privatisierungserlöse in der Größen-
ordnung von 15 Milliarden Euro. Die Privatisierungs-
politik ist übrigens dieselbe wie zu Ihrer Zeit. Auch wir
sind nicht gezwungen, an die Börse zu gehen. Wir wer-
den es nur dann tun, wenn es im Hinblick auf die Kurs-
pflege vernünftig ist. Es gibt ja die problemlose Park-
lösung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Da Ihnen die Neuverschuldung zu hoch ist – auch mir
ist sie zu hoch –, muss ich Sie fragen: Warum haben Sie
sich dem einzigen Instrument, das uns jetzt noch zur
Verfügung steht, nämlich dem steuerlichen Subventions-
abbau, immer in den Weg gestellt? Das ist doch das ei-
gentliche Problem. Beklagen Sie nicht die Höhe der Pri-
vatisierungserlöse, wenn Sie andere Türen schließen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir können Sie das jedenfalls nicht ans Bein binden. Ich
will das in aller Klarheit sagen.

Ein paar Risiken sind noch zu berücksichtigen. Es
muss noch der Betrag in Höhe von 2,2 Milliarden Euro
im Rahmen von Hartz IV erbracht werden. Dieser Be-
trag ergibt sich aus dem erhöhten Zuschuss an die Kom-
munen und aus der Auszahlung zum 1. Januar. Ich bin
den Haushältern der Koalition sehr dankbar, dass sie
deutlich gemacht haben, dass sie den Haushalt passieren
lassen und dass sie eigene Anstrengungen unternehmen
– die Bundesregierung wird diese unterstützen –, damit
wir diesen Betrag erbringen können. Das wird nicht ein-
fach werden; es wird aber selbstverständlich geschehen.

Natürlich müssen wir die Novembersteuerschätzung
abwarten. Dazu will ich mich jetzt nicht weiter äußern.
Dies hat im Moment keinen Zweck; das wäre Kaffee-
satzleserei.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Ich weise nur darauf hin, dass bisher in allen Progno-

sen davon ausgegangen wird, dass wir unser Wachs-
tumsziel im nächsten Jahr erreichen. Es gibt sogar eine
Reihe von Prognosen, zum Beispiel die des Internationa-
len Währungsfonds, in denen ein Wachstum von mehr
als 2 Prozent vorausgesagt wird.

Auf Ihre Reaktion – ich sagte es ja schon – bin ich
nun gespannt. Herr Austermann, ich habe gehört – ich
weiß nicht, ob es stimmt –, dass Sie auf der Bereini-
gungssitzung Einsparvorschläge in Höhe von 7,5 Mil-
liarden Euro machen wollen. Das werden wir uns anse-
hen.

Herr Stoiber hat einen anderen Vorschlag gemacht: In
allen Bereichen soll um 5 Prozent gekürzt werden. Die-
ser Vorschlag von Herrn Stoiber kommt daher, dass er,
nachdem er seine Haushalte bisher mit Privatisierungser-
lösen gespeist hat, dies zum ersten Mal nicht mehr kann,


(Zuruf von der SPD: Alles weg!)

weil er alles veräußert hat und nun wirklich einen Spar-
haushalt vorlegen muss. In der Begeisterung über seinen
Sparhaushalt übersieht er schlicht, dass wir mit der Kon-
solidierung bereits 1999 begonnen haben. Wenn man fair
ist und in Ruhe darüber diskutiert, muss man zugeben,
dass im sechsten Jahr des Sparens kaum noch Fleisch an
den Knochen ist. Man wird hier und dort noch etwas fin-
den, wenn man alles noch einmal durchwühlt; aber das
ist nicht mehr viel.

5 Prozent über alles einzusparen bedeutet zum Bei-
spiel beim Rentenzuschuss eine Kürzung um 4,2 Milliar-
den Euro. Das führt – um es gleich zu sagen – zu einer
Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,4 Pro-
zentpunkte oder zu einer Rentenkürzung um 2 Prozent.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Wollen Sie das? Glaubt irgendjemand nach dem, was wir
dort gemacht haben, dass das ein vernünftiger Vorschlag
wäre? Sie können ihn natürlich einbringen. Aber ich
gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie ihn nicht einbrin-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Bundeswehr würde eine Einsparung von
5 Prozent eine Kürzung um 1,2 Milliarden Euro bedeu-
ten. Ich kenne doch Ihre Klagen, dass die derzeitigen
Mittel nicht ausreichen. Bringen Sie den Vorschlag ein,
die Mittel für die Bundeswehr um 1,2 Milliarden Euro
zu kürzen?

Bei den Verkehrsinvestitionen würde dieser Einspar-
vorschlag eine Kürzung um 1,16 Milliarden Euro bedeu-
ten. Ich kenne doch die Klagen, die jetzigen Mittel seien
nicht ausreichend.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Bringen Sie einen solchen Vorschlag wirklich ein?

Schauen wir uns auch noch die landwirtschaftliche
Sozialpolitik an; dieses Schmankerl kann ich Ihnen nicht
ganz ersparen. Eine Kürzung um 5 Prozent würde ein
Minus von 255 Millionen Euro über das hinaus bedeu-
ten, was ich bereits vorgeschlagen habe. Im Vermitt-
lungsverfahren des letzten Herbstes hat Herr Stoiber er-
klärt: Wenn in diesem Bereich auch nur 1 Cent gekürzt
wird, ist das ganze Vermittlungsverfahren beendet. –
Jetzt schlägt er über meine Vorschläge, die er damals ab-
gelehnt hat, hinaus vor, die Mittel für die Landwirtschaft
zusätzlich um 255 Millionen Euro zu kürzen. Das wird
aber eine Freude!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einen Bereich, zu dem ich gleich sagen muss,
es hat keinen Zweck, 5 Prozent einzusparen: Bei den
Zinsen kann nicht gekürzt werden. Oder soll ich den
Banken sagen, dass wir unsere Schulden nicht mehr be-
dienen?


(Joachim Poß [SPD]: Herr Austermann, das können Sie jetzt aufklären!)


Kurzum, ich bin auf Ihre Vorschläge sehr gespannt.
Einer Sache bin ich ganz sicher: Die Vorstellungen von
Herrn Stoiber werden bei diesen Vorschlägen – wie auch
immer sie aussehen – nicht dabei sein.

Wir werden uns also interessanten Haushaltsberatun-
gen zuwenden. Wir werden die Lücke von 2,2 Milliar-
den Euro schließen. Wir werden alles daransetzen – das
wird nicht einfach werden; ich habe Ihnen schon darge-
stellt, was Sie mit Ihren Versuchen beim Zahnersatz an-
richten würden –, im nächsten Jahr wieder unter die
3 Prozent des Maastricht-Kriteriums zu kommen.

Ich will bei dieser Gelegenheit etwas zu unserem
Stand im Hinblick auf die Haushaltsentwicklung in der
Europäischen Union bzw. in der Eurozone sagen. Sie
versuchen, alles Deutschland anzuhängen. Wir machen
es einmal ganz einfach: Wir sind in der Hochkonjunktur
mit einem Defizit von 1,2 Prozent bzw. einem Defizit
von 24 Milliarden Euro gestartet. Wir sind letztes Jahr
bei einem Defizit von 3,8 Prozent gelandet. Das macht
einen Swing von 2,6 Prozent. Mit anderen Worten: Un-
ser Problem war nicht, dass wir in dieser Zeit nicht mit
der Marge von 3 Prozent ausgekommen wären. Unser
Problem war, dass wir in die Stagnation mit einem Defi-
zit gestartet sind. Dies lasse ich aber nicht mir anhängen.
Sie müssen einmal sehen, was wir von Ihnen übernom-
men haben. Als wir an der Regierung waren, haben wir
die Konsolidierung sofort eingeleitet. Schieben Sie also
die Schuld nicht anderen Leuten zu!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Lafontaine!)


– Lafontaine hat in den Haushalt nur das hineingenom-
men, was Sie nicht angesetzt hatten, zum Beispiel die
Postunterstützungskassen. Sie wissen es doch besser,
Herr Dr. Meister!

Eines ist interessant: Es gibt in Europa eine Fülle von
Ländern, die alle im Hinblick auf das Defizitkriterium
von 2000 bis 2004 eine Abweichung um mehr als
2,6 Prozent haben – ich lese sie Ihnen einmal vor –: die
Niederlande, Großbritannien, Griechenland, Finnland,
Irland, Luxemburg und Schweden. Sie alle weisen eine






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

stärkere Abweichung als wir auf. Sie sind in der Regel
aus einer besseren Position gestartet, das ist wahr. Hier
lasse ich mir aber nichts ans Bein binden; denn es zeigt,
dass die deutsche Finanzpolitik in diesen Jahren sehr
vorsichtig gewesen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch die Grundlage unserer Diskussion. Muss-
ten wir denn in Brüssel – den Satz von EU-Kommissar
Almunia, wonach mehr ökonomische Logik in die An-
wendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu brin-
gen ist, unterstreiche ich – erst dann zu solchen ökono-
mischen Debatten kommen, nachdem die Hälfte der
Länder der Eurozone jenseits der 3 Prozent lagen? Auch
unsere verehrten Chefankläger in den Niederlanden sind
inzwischen ganz freundlich geworden – wir haben sogar
mit ihnen eine gemeinsame Position –, sie liegen näm-
lich bei über 3 Prozent, obwohl sie mit einem Plus ge-
startet sind. Ihre Abweichung liegt nicht wie unsere bei
2,6 Prozent, sondern bei 4,4 Prozent. Daran sehen Sie,
dass die Sache ernst geworden ist.

Auf europäischer Ebene wird nicht der Stabilitäts-
und Wachstumspakt infrage gestellt – das wäre auch
ein fundamentaler Fehler –, aber es ist die Frage zu stel-
len: Ist das in erster Linie Juristerei oder Ökonomie?
Wie schaffen wir es, in Europa wie in Deutschland zu
Wachstum zu kommen, um mit Wachstum zu konsoli-
dieren? Im geringen Wachstum liegt unsere Schwäche.
Ausgabendisziplin und Wachstum sind die beiden ent-
scheidenden Faktoren, uns und vielen anderen fehlt es
am Wachstum, nicht an der Ausgabendisziplin. Deswe-
gen ist diese Debatte sinnvoll und nützlich. Wir brau-
chen den Stabilitäts- und Wachstumspakt und wir brau-
chen eine vernünftige, ökonomische Anwendung dieses
Pakts. Wir brauchen auch die Sanktionen aus diesem
Pakt. Die zwingende Voraussetzung für Sanktionen ist
aber, dass jemand bewusst gegen den Pakt verstößt. Das
werden wir Deutsche aber nicht tun und das haben wir
auch in der Vergangenheit nicht getan.

Es findet eine vernünftige Debatte statt, die darüber
hinaus das Ziel von Lissabon und das Ziel des Stabili-
täts- und Wachstumspakts miteinander vereinbaren
muss. Wir brauchen eine konzertierte Strategie und nicht
eine Strategie, bei der auf der einen Seite der Stabilitäts-
und Wachstumspakt und auf der anderen Seite die Lissa-
bon-Strategie stehen.

Ich sage daher auch an die Adresse der Kommission,
sehr nachdrücklich: Wir brauchen selbstverständlich
eine kohärente Politik der Kommission. Derjenige, der
von uns verlangt, dass im Aufschwung – er verlangt das
natürlich zu Recht – all das, was zusätzlich eingenom-
men wird, zum Abbau von Schulden eingesetzt wird
– dazu bekenne ich mich, das haben wir beim Minister-
rat verabredet, es ist ein gemeinsamer Beschluss aller –,
kann nicht erwarten, dass sein eigener Haushalt exorbi-
tant steigt. Das bedeutet, dass die Konsolidierungsstrate-
gie im Zusammenhang mit der europäischen Solidarität
und mit der Haushaltsstrategie der Europäischen Union
gesehen werden muss. Das heißt, mehr als 1 Prozent des
Bruttoinlandseinkommens sind nicht drin. Für uns ist
das schon eine Steigerung für 2013, denn der Beitrag
wird von jetzt 21 Milliarden Euro auf dann
32 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Wachstumsrate,
die der deutsche Haushalt nie haben wird. Die Vorstel-
lung, dies noch einmal zu verdoppeln – das hieße,
Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent bei der Zu-
weisung nach Europa zu akzeptieren –, ist nicht von die-
ser Welt, egal ob sie die Prodi-Kommission oder die
Barroso-Kommission vertritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU] – Waltraud Lehn [SPD]: Das ist absurd!)


Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt – so war es bis-
her – einer Meinung sind. Das ist kein Aufkündigen der
europäischen Solidarität. Das heißt nur – langsam wer-
den sie in Osteuropa nachdenklich –: Solidarität besteht
auch darin, dass diejenigen, die aufgrund eigener An-
strengungen und mit unserer Hilfe bisher wunderschöne
Aufholprozesse erlebt haben, so beispielsweise die
Spanier, die Portugiesen und die Iren, nun ihren Beitrag
leisten und auf einen Teil der bisherigen Subventionen
verzichten müssen. Subventionen dürfen nicht zur
Gewohnheit werden; das gilt für Deutschland und für
Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird eine interessante und ökonomisch vernünftige
Diskussion. Es ist nur schade, dass wir dafür so lange
gebraucht haben.

Wir befinden uns in einer Situation, in der wir weiß
Gott große Herausforderungen zu bestehen haben und in
der es so viel Unruhe im Land gibt wie schon lange nicht
mehr. In dieser Situation haben wir es nötig und ergrei-
fen die Chance, über die Herausforderungen, vor denen
wir stehen, mit den Menschen zu diskutieren. Das ge-
schieht zurzeit und immer mehr Menschen verstehen es.
Wie ich schon am Anfang gesagt habe, können wir das
aus einer Position großer eigener Gelassenheit und
Stärke tun; denn wer sonst kann es schaffen, wenn nicht
wir?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ja, wer sonst?
Ich will Ihnen zum Schluss zwei Zitate von der Ta-

gung der Nobelpreisträger, die am Wochenende am Bo-
densee stattgefunden hat, vorlesen. Reinhard Selten, der
deutsche Nobelpreisträger, sagte wörtlich:

Mich hat beeindruckt, dass bei einer Befragung un-
ter Spitzenmanagern Deutschland als einer der bes-
ten Standorte herauskam.

Sagen wir das doch endlich einmal wieder laut, von
welcher Position aus wir unsere Herausforderungen
meistern!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich: Wer, wenn nicht wir.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Warum eigentlich führen wir in immer kürzeren Ab-

ständen Weltuntergangsdiskussionen? Das ist ein Scha-
den für sich. Meine Kollegen Finanzminister, die auch
die deutsche Presse lesen, fragen mich – wie auch Jean-
Claude Juncker – bei Treffen immer: Was ist eigentlich
bei euch los? Was ist das für ein Land, das auf der einen
Seite so stark ist, wie uns das Göran Persson gesagt hat,
auf der anderen Seite aber so selbstquälerisch diskutiert?

Robert Mundell, der amerikanische Nobelpreisträger,
sagte auf Europa bezogen wörtlich:

Die EU hat die Währungsunion verwirklicht, nun
ist die politische Union ihr Ziel. Auch das wird sie
erreichen. Europa wird in großartiger Form sein.

– Das sagt ein Amerikaner. –
Wir sagen oft, Europa sei nicht so erfolgreich wie
die USA. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt pro
Kopf genauso stark oder stärker gewachsen als in
den USA. Nur hat die Bevölkerung nicht im glei-
chen Maße zugenommen, deshalb expandiert die
europäische Wirtschaft absolut gesehen nicht so
schnell wie die amerikanische.

Das ist das Urteil des amerikanischen Nobelpreisträgers.
Meine Damen und Herren, wir können viel kritisie-

ren, aber bitte lassen Sie uns diese Debatte in dem Be-
wusstsein führen, dass wir ein starkes Land sind, das vor
großen Herausforderungen steht, und nicht, dass wir ein
Land am Rande des Abgrundes sind.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512100300

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dietrich Austermann, CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1512100400

Herr Präsident! Es ist geradezu absurd, dass wir jetzt

eineinviertel Stunden lang eine Haushaltsrede des Bun-
desfinanzministers gehört haben, die das Thema „Situa-
tion des Haushalts, Perspektiven des Finanzplans für die
Zeit ab 2005“ überhaupt nicht tangiert hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was hat das denn damit zu tun gehabt?)


Man hatte vielmehr den Eindruck – das wurde auch in
dem äußeren Auftreten deutlich –, dass er sich mit seiner
Rede an diese gelangweilten und gescheiterten Froh-
naturen, die eben noch hier gesessen haben, gerichtet
hat. Der Finanzminister hat immer nach rechts geschaut.
Ich vermute, der Kanzler hat ihm vorher gesagt: Hans,
wenn du über den Haushalt redest, fliegst du gleich raus.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: Welch unangemessener Ton!)


Deshalb hat er gesagt: Ich halte mich zurück und warte
noch ein bisschen.
Die Situation ist ziemlich klar. Herr Eichel, Sie wer-
den es nicht erreichen, dass ich alle die Themen, die Sie
haben, aufgreife. Ihre Rede war ein ausgesprochener
Themensalat, aber nichts davon hatte mit dem Haushalt
zu tun. Ich möchte dennoch einige Bemerkungen zu dem
machen, was Sie gesagt haben:

Sie werfen uns vor, wir hätten eine Fülle von Maß-
nahmen verhindert, und deswegen hätten Sie nicht spa-
ren können. Ich lese Ihnen einmal aus dem Protokoll des
Vermittlungsausschusses vom letzten November vor.
Danach haben Sie Kürzungen in einer Größenordnung
von 24,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Gemeinsam
getragen wurden Kürzungen in Höhe von 22,7 Milliar-
den Euro. Lediglich Kürzungen in Höhe der verbliebe-
nen Differenz wurden von uns aus den unterschiedlichs-
ten Gründen nicht mitgetragen. Jetzt zu sagen, wir hätten
Ihre Sparmaßnahmen blockiert, ist geradezu aberwitzig.

Wir haben bei der Kürzung der Eigenheimzulage mit-
gemacht. Erzählen Sie doch nicht den Quatsch, hier sei
nichts verändert worden. Ich nenne nur die Entfernungs-
pauschale und die im Rahmen des „Korb II“ durchge-
führten Änderungen bei der Tabaksteuer und einer gan-
zen Reihe sonstiger Steuern.

Auch bei der Umsetzung des Koch/Steinbrück-Pa-
piers haben wir mitgemacht. Die Liste dieser Sparvor-
schläge kam ja nicht aus Ihrem Haus, sondern von den
Ministerpräsidenten. Aber wie sehen die Konsequenzen
des Koch/Steinbrück-Papiers aus? Das, was darin zum
Thema Kohle beschlossen worden ist, haben Sie igno-
riert.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! Ja!)

Sie haben weiterhin Hunderte von Millionen Euro in die-
sen Bereich gesteckt und mittelfristig ein Programm in
Höhe von über 16 Milliarden Euro als zusätzliche Hilfe
für die Kohle aufgelegt. Erzählen Sie uns also nicht, wir
seien zum notwendigen Subventionsabbau nicht bereit
und hätten die Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorgesehen
haben, nicht verantwortet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Eichel, wenn ich das, was Sie zum Haushalt ge-

sagt haben, richtig werte, dann komme ich zu folgendem
Schluss: Sie haben zu wenig Geld und Sie geben es auch
noch falsch aus. Alles andere, was Sie gesagt haben,
hatte mit dem Haushalt im Wesentlichen nichts zu tun.

Herr Eichel, lassen Sie mich, auch wenn die Vergan-
genheit für Sie sicherlich nicht hilfreich ist, auf das
Jahr 1998 Bezug nehmen: Im Jahre 1998 betrug das ge-
samtstaatliche Defizit 2,2 Prozent und es gab steigende
Beschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlen und spru-
delnde Steuereinnahmen. Das hat den Bundeskanzler,
der damals noch Kanzlerkandidat war, veranlasst zu sa-
gen: Dies ist mein Aufschwung.

Herr Eichel, was haben Sie daraus gemacht? 1998
war Deutschland wie ein intaktes Auto mit intaktem Mo-
tor, gewissermaßen ein Superfahrzeug.


(Joachim Poß [SPD]: Oh, oh!)







(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Sie haben gleichzeitig Gas gegeben und die Bremse ge-
treten und dadurch den Motor ruiniert. Jetzt wundern Sie
sich, dass das Fahrzeug nicht mehr so gut fährt und stot-
tert. Genau das ist die derzeitige Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Um das angesprochene Beispiel mit dem Nobelpreisträ-
ger aufzunehmen: Wenn hier im Hause jemand einen
Nobelpreis verdient hätte, wären Sie es: wegen Schul-
denmachens.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl!)

In dieser Hinsicht sind Sie in der Tat ungeschlagene
Spitze.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun komme ich zu den konkreten Zahlen des Haus-

haltes und zur tatsächlichen Situation in Deutschland.
Damit reden wir unser Land nicht schlecht. Niemand hat
daran Interesse. Aber man muss die Situation so be-
schreiben, wie sie ist: Wir befinden uns in der größten
Haushalts-, Finanz- und Arbeitsmarktkrise seit 1949.
Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Eichel, vorgelegt
haben, verschärft diese Krise. Als Basis für gemeinsame
Gespräche ist er ungeeignet. Deswegen sagen wir: Neh-
men Sie diesen Haushaltsentwurf zurück und legen Sie
einen neuen vor. Besser wäre, wenn ein anderer Finanz-
minister einen neuen Entwurf einbringen würde, damit
ein Papier vorgelegt wird, über das man streiten und ent-
scheiden kann.

Jetzt möchte ich zusammentragen, wie die Situation
bis Ende 2005 tatsächlich aussieht, wenn dieser Haushalt
gegolten haben wird. 2005 befinden wir uns sechs Jahre
nach der Übernahme der Regierung durch Rot-Grün und
zwei Jahre vor dem Ende der rot-grünen Regierungszeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir befinden uns Ende 2005 in einer Situation, in der Sie
neue Schulden in Höhe von 150 Milliarden Euro ge-
macht haben werden. Der Schuldenstand wird auf
890 Milliarden Euro angestiegen sein. Darüber hinaus
haben Sie Bundesvermögen in Höhe von 100 Milliarden
Euro verscherbelt. Wenn ich die neuen Schulden von
150 Milliarden Euro und das verscherbelte Bundesver-
mögen von 100 Milliarden addiere, entspricht das Ver-
mögen, das Sie verbrannt haben – 250 Milliarden Euro –,
exakt der Dimension des Bundeshaushaltes für ein gan-
zes Jahr. Dies ist in der Tat kein Beweis für eine nachhal-
tige Politik, die Sie von Rot-Grün – vor allem die
Grünen – immer wieder anmahnen.

Diese Situation spüren auch die Bürger in unserem
Land an vielen Stellen. Die Reallöhne stagnieren auf
dem Niveau des Jahres 1991. Die Sozialhilfeausgaben
sind seit 1998 um 3 Milliarden Euro gestiegen.
1,2 Millionen Kinder leben von der Sozialhilfe. Unter
Rot-Grün ist Deutschland ärmer geworden. Herr Bun-
desfinanzminister, Sie sind mit Abstand der größte
Schuldenmacher und Vermögensminderer, der in der
Nachkriegszeit in Deutschland tätig geworden ist.

Man kann ganz grob sagen: Überall dort, wo Rot-
Grün regiert, ist die Situation gleich. Wo Rot-Grün re-
giert, ist die Pleite programmiert. Das könnte ich auch
auf Schleswig-Holstein beziehen; denn hier gibt es Pa-
rallelen. Man muss bloß ein Fernglas nehmen, es umdre-
hen und die entsprechenden Zahlen vergleichen. Dann
stellt man etwa die gleiche Situation fest. Rot-Grün
bleibt Rot-Grün, ob in Kiel oder Berlin. Nur ein Unter-
schied ist: Die Zahlen für Kiel sind ein Dreißigstel der
Zahlen für den Bund. Bei den geplanten Schulden wurde
zu Beginn des Jahres ein Betrag x angegeben; am Ende
des Jahres kam der doppelte Betrag heraus. Die Investi-
tionen sinken ständig. Der Haushalt ist drei Jahre hinter-
einander verfassungswidrig. Die Investitionen schrump-
fen. In 16 Jahren wurden in Schleswig-Holstein unter
Frau Simonis und ihrem Vorgänger mehr Schulden ge-
macht als in den 39 Aufbaujahren der von der CDU ge-
führten Regierungen in Kiel.

Herr Eichel, die neuen Schulden, die Sie in diesem
Jahr machen, reichen aus, um jeden Schleswig-Holstei-
ner mit einem neuen Golf-Fahrzeug zu versehen:
45 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr! Al-
leine die Zinsen auf die Schulden, die Sie seit 1998 ge-
macht haben, decken das gesamte Ausgabenvolumen
des Kieler Landesetats ab. Dass es auch besser geht,
zeigt übrigens das Saarland. Sie können daran sehen: Wo
die Union regiert, läuft es besser. Das Saarland hatte frü-
her die rote Laterne, unter Lafontaine – die Älteren wer-
den sich noch an ihn erinnern –, inzwischen ist diese rote
Laterne abgegeben worden und Schleswig-Holstein hat
sie. Wir werden das in Schleswig-Holstein ab 2005 än-
dern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Haushaltsent-

wurf 2005 ist der Inbegriff des Scheiterns rot-grüner
Haushalts- und Finanzpolitik: Er ist offensichtlich ver-
fassungswidrig, verstößt gegen die Maastricht-Kriterien,
ist ohne Perspektive, enthält keine Konsolidierung, be-
deutet eine Überforderung künftiger Generationen, ist
wachstumspolitisch kontraproduktiv und finanzpolitisch
unsolide. Er enthält eine Fülle von Risiken, die nicht
verarbeitet worden sind. Wie kann man hier einen Haus-
haltsentwurf vorstellen und gleichzeitig sagen: „Ich
weiß, dass verschiedene Ausgaben nicht eingeplant und
dass verschiedene Einnahmen zu hoch angesetzt worden
sind“?

Ich rechne Ihnen das bei Hartz IV einmal vor: Da
fehlen 5 Milliarden Euro. Sie haben zunächst entgegen
dem beschlossenen Gesetz den Arbeitslosenhilfe-Emp-
fängern die Januarzahlung verweigern wollen – 1,9 Mil-
liarden Euro –; Sie haben den Gemeinden etwas verspro-
chen, was Sie im Haushalt nicht vorgesehen haben
– 1,4 Milliarden Euro –; Sie haben nicht berücksichtigt,
dass für mehr Leute Eingliederungsgeld erforderlich ist
– das macht 700 Millionen Euro –, und Sie haben nicht
bedacht, dass unter Ihrer Regierung die Zahl der Lang-
zeitarbeitslosen leider nicht statisch ist oder zurückgeht,
sondern dass sie ständig steigt. Insgesamt fehlen alleine
bei Hartz IV 5 Milliarden Euro. Es fehlen darüber hi-
naus etwa 5 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt. Es
fehlen Mauteinnahmen: Mit Sicherheit kommen die
3 Milliarden Euro im nächsten Jahr wie in diesem Jahr






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

nicht zusammen. Der mit 3,5 Milliarden Euro angesetzte
Bundesbankgewinn dürfte utopisch sein. 2 Milliar-
den Euro aus dem ERP-Sondervermögen – darüber
müssen wir noch einmal reden. Eine Reihe von Detail-
entscheidungen sind offensichtlich von vornherein
kontraproduktiv für die weitere wirtschaftliche Ent-
wicklung. Schauen wir es uns doch einmal an: Der Ver-
kehrsetat sinkt ständig. Ursprünglich sollten einmal
3 Milliarden Euro aus Mauteinnahmen draufgelegt wer-
den – mehr für Schiene, Straße und Wasserstraße. Was
ist tatsächlich passiert? Sie haben die Mittel gekürzt,
weil die Mauteinnahmen ausblieben, sodass heute nur
noch 75 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen. Der im
Juni beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist Makula-
tur.

Lassen Sie mich auch etwas zur Förderung in den
neuen Bundesländern sagen, Herr Eichel. Sie haben
das Thema Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirt-
schaftsstruktur“ leider nicht angesprochen. Deshalb
muss ich es tun. Die Förderung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur lag im Jahre 1998 um 1 Milliarde Euro
höher als heute. Sie ist mehr als halbiert worden. Das be-
deutet, in den neuen Bundesländern können Anstöße für
die wirtschaftliche Entwicklung, für Betriebserweiterun-
gen überhaupt nicht mehr in dem Umfang gegeben wer-
den. Sie haben, über Koch/Steinbrück hinaus, auch noch
die Mittel für dieses Jahr bis Mitte des Jahres gänzlich
gesperrt und damit nur einen Teil zur Verfügung gestellt.
Milliardeninvestitionen in den neuen Bundesländern lie-
gen heute auf Eis und können nicht umgesetzt werden,
weil Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftstruktur“ brutal zu-
sammengestrichen haben. Wenn ich dann noch sehe,
dass die Bundesagentur für Arbeit in gleicher Weise bei
den Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik vor allen Din-
gen in den neuen Bundesländern kürzt – und das mit Ih-
rer Unterstützung –, kann ich nur sagen: Pfui Deiwel,
was hier in den neuen Bundesländern gemacht wird!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Während Sie das tun, wird gleichzeitig ein erhebli-

cher Betrag für die Kohle zusätzlich draufgesattelt. Ich
habe die Größenordnung genannt: Über 16 Milliar-
den Euro zusätzlich bis zum Jahre 2003.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2003? Sie sind ja völlig durcheinander!)


– 2013, vielen Dank. – Und dann reden Sie von einer In-
novationsoffensive. Wenn man sich das anschaut, stellt
man fest: Da wird ein kleiner Kleckerbetrag zusätzlich
bereitgestellt, unter der Voraussetzung, dass wir einer
weiteren Kürzung der Eigenheimzulage zustimmen –
wie im Haushalt ja überhaupt viele Dinge voneinander
abhängig gemacht werden, damit man hinterher gar
nicht mehr weiß, woran es gelegen hat, wenn etwas kas-
siert wird.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir schon alles!)


In der Tat wird im Etat für Forschung im Jahr 2005 we-
niger Geld für Innovation bereitgestellt. Und das nennen
Sie Innovationsoffensive! In der Semantik waren die Ro-
ten immer groß, in der Realität haben Sie immer versagt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat die größte

Wachstums- und Beschäftigungskrise im Land zu ver-
antworten. Dass wir jetzt nur ein Miniwachstum zu ver-
zeichnen haben, ist das Ergebnis von sechs Jahren
wachstumsfeindlicher Politik. Dass es auch anders geht,
sehen wir in vielen Industrienationen. Dass der Export
brummt, beweist im Grunde genommen nur, dass es alle
Länder um uns herum, die unsere exportierten Waren
kaufen, wesentlich besser können. Sie sind in bescheide-
nem Maße gewissermaßen ein Trittbrettfahrer der Welt-
wirtschaft.

Wie wir wissen, führt das allerdings nicht dazu, dass
zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Es gibt gewisserma-
ßen „jobless growth“, das heißt, eine sinkende und keine
steigende Beschäftigung. Bei den Steuereinnahmen ist
es genau das Gleiche. Einen Aufschwung können Sie
aus der Bilanz, die Sie heute vorgelegt haben, nicht ent-
nehmen. Die Steuereinnahmen stagnieren bestenfalls
und die Beschäftigung sinkt. Das macht in der Tat große
Probleme. Es gibt in letzter Zeit 600 000 Beitrags- und
Steuerzahler weniger. Jeder kann sich vorstellen, was
das auch für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet.
Die Zahl der Firmenpleiten wird in diesem Jahr ein
neues Rekordniveau erreichen. Der Stillstand dauert seit
drei Jahren an. In diesem Jahr wird die Neuverschuldung
des Bundes zum dritten Mal hintereinander die Verfas-
sungsgrenze übersteigen und die Maastricht-Kriterien
verletzen.

Herr Eichel, Sie werden verstehen, dass ich Aussa-
gen, die Sie einmal gemacht haben, zitiere, auch wenn
man sagen kann, dass Sie die Rede, die Sie heute gehal-
ten haben, auch vor einem, zwei oder drei Jahren hätten
halten können. Das, was Sie mit Blick nach vorne gesagt
haben, war relativ dürftig und ist im Übrigen auch in der
Vergangenheit schon nicht eingetreten. Ende 2001 haben
Sie gesagt: Auf jeden Fall werden wir unter der Grenze
von 3 Prozent bleiben. Wir werden den Stabilitätspakt
auf Punkt und Komma einhalten, allenfalls nicht, wenn
der Himmel einstürzt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Man hat den Eindruck, der Himmel sieht ziemlich

verbeult aus. Er ist schon dreimal eingestürzt – the same
procedure as every year. Der regelmäßige Einsturz des
Himmels gehört offensichtlich zur Routine von Rot-
Grün. Sie haben den Marsch in den Schuldenstaat ange-
treten. Ich habe darauf hingewiesen, wie groß die Schul-
den sind, die Sie uns hinterlassen werden. Sie wollen die
Investitionsausgaben mittelfristig um 10 Milliarden Euro
herunterfahren. Wir haben die niedrigste Investitions-
quote der Nachkriegszeit. Die Substanz unserer Volks-
wirtschaft wird in rasantem Tempo aufgezehrt. Gleich-
zeitig wird die Staatsverschuldung mit zunehmender
Geschwindigkeit in die Höhe getrieben. Am Jahresende
werden gewaltige Beträge fehlen.

Schauen Sie sich allein die Steuereinnahmen des Bun-
des in den ersten sieben Monaten dieses Jahres an. Tei-






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

len Sie sie durch sieben und multiplizieren Sie sie mit
13 – also einschließlich des Weihnachtsgeldes, wenn es
denn noch gezahlt wird –, dann kommen Sie in diesem
Jahr auf eine Lücke in einer Größenordnung von
18 Milliarden Euro. Das zeigt die ganze Dramatik der
Entwicklung. Wir werden in diesem Jahr neue Schulden
in Höhe von 45 Milliarden Euro – vielleicht sogar we-
sentlich mehr – statt geplanter 30 Milliarden Euro ma-
chen.

Man muss die Fragen stellen, warum diese Entwick-
lung so eingetreten ist und warum das Geld eigentlich
fehlt. Zum einen sind die konsumtiven Ausgaben gestie-
gen. Für die Rente geben wir gegenüber 1998
50 Prozent mehr aus. Leider kommt das wegen der unbe-
rechenbaren Rentenpolitik nicht bei den Rentnern an.
Daneben wird der Umsatzsteuerbetrug nicht entschlos-
sen bekämpft. Die großen Körperschaften wurden da-
durch belohnt, dass der Staat jahrelang praktisch auf
Steuereinnahmen verzichtet hat. 2001 und 2002 wurde
keine einzige Mark bzw. kein einziger Euro an Körper-
schaftsteuer eingenommen. Das in den 90er-Jahren übli-
che Körperschaftsteueraufkommen ist bis heute auf ein
Drittel geschrumpft. Vor allen Dingen das macht deut-
lich, weshalb Geld fehlt. Geld fehlt natürlich auch, weil
es kein Wachstum gibt. Geld fehlt wegen des tölpelhaf-
ten Vorgehens bei der Maut. Geld fehlt, weil der Staat
nicht investiert, weder in den Verkehr noch in die For-
schung. Geld fehlt wegen der immer höheren Steuerbe-
lastung.

Es ist schon aberwitzig, dass sich Einzelne in der Re-
gierung, die 1998 mit dem Vorsatz angetreten sind, den
Menschen das Autofahren zu verübeln, jetzt darüber ent-
rüsten, dass Energiekonzerne die Energiepreise nach
oben treiben. Das muss doch genau die Politik sein, die
Herr Trittin und Frau Künast immer wollten:


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sind sie denn?)


hohe Energiepreise, um eine entsprechende Entwicklung
beim Autofahren zu erreichen. Derjenige, der in diesem
Jahr 18,7 Milliarden Euro an Ökosteuer einkassiert, regt
sich über die Energiekonzerne auf. Nach dem Rasen für
die Rente und dem Rauchen für die Gesundheit können
Sie den Leuten doch nicht deutlich machen, dass Ihre
Energiepolitik beim Wachstum etwas zur positiven Ent-
wicklung beiträgt. Genau das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Meine Damen und Herren, die Steuern fehlen aber
auch deshalb, weil die Politik den Steuerflüchtigen kein
echtes, vertrauenswürdiges Angebot gemacht hat und
weil es nicht gelungen ist, die Schwarzarbeit zu be-
kämpfen. Das Volumen der Schwarzarbeit hat sich auf
16 Prozent des BIP erhöht.

Von 1998 bis in dieses Jahr hinein ist das Volumen der
Schwarzarbeit um 100 Milliarden Euro gestiegen. Wenn
das, was heute in Deutschland an Schwarzarbeit geleistet
wird, in legale Arbeit umgewandelt werden könnte, wür-
den fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen
und die Sozialabgaben um 6 Prozent sinken. Noch ein-
mal: Wenn es uns gelingen würde, die Schwarzarbeit zu
bekämpfen, gäbe es zusätzliche Arbeitsplätze für 5 Mil-
lionen Menschen. Dass Sie es nicht geschafft haben, die
Schwarzarbeit zu bekämpfen, lag auch an dem Zick-
zackkurs vom Ende letzten Jahres, der dann von uns in
eine vernünftige Regelung korrigiert wurde. Es musste
ständig neu überlegt und neu nachgedacht werden.

Wenn sich meine Rechnung bestätigen sollte, steht im
November fest, dass Deutschland nicht weniger, sondern
mehr Reformen braucht. Sie haben die Reformen übri-
gens nur am Rande angesprochen. Ich gestatte mir, da-
rauf hinzuweisen, dass der Bundeskanzler selbst gesagt
hat: Es war ein Fehler, 1999 im Zusammenhang mit der
Rente so gehandelt zu haben, wie man gehandelt hat. Er
hat inzwischen auch eingesehen, dass es ein Fehler war,
die Reformen im Gesundheitssystem zurückzunehmen.
Er hat ebenso eingesehen, dass Sie an verschiedenen an-
deren Stellen entscheidende Fehler gemacht haben, bei-
spielsweise bei den Sozialabgaben und den Steuern.
Gleiches gilt für viele andere Reformen, die Sie gemacht
haben und die in die falsche Richtung gingen.

Die Menschen bei uns in Deutschland gehen auf die
Straße, weil sie keine Perspektive haben. Sie haben das
Problem, ihnen nicht vermitteln zu können, dass es in
absehbarer Zeit wieder aufwärts gehen wird. Zudem
müssen die Belastungen jetzt wesentlich schärfer ausfal-
len, weil man sechs Jahre verschlafen hat – Sie haben
unsere richtigen Korrekturen nicht beibehalten –, die
Entwicklung voranzutreiben. Ich glaube, das ist der ent-
scheidende Punkt, der unser Land in diese Schwierigkei-
ten gebracht hat: Alle vernünftigen Anstrengungen von
uns haben Sie konterkariert und damit den Pfad in Rich-
tung weniger Wachstum und Stagnation eingeschlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine Entlastung bei den Kosten der so-

zialen Sicherungssysteme. Wir brauchen Flexibilität auf
dem Arbeitsmarkt. Friedrich Merz hat dafür konkrete
Vorschläge vorgelegt. Wir brauchen mehr Transparenz
im Gesundheitswesen. Wir brauchen Verbesserungen im
Bildungssystem. Wir brauchen eine wachstumsorien-
tierte Steuerreform und -vereinfachung. Auch dafür
haben Friedrich Merz und unsere Präsidien Vorschläge
vorgelegt. All das könnte man sofort übernehmen und
anfangen. Man könnte sofort Schritte unternehmen, die
Steuerlast in Deutschland zu senken. Dass es nicht funk-
tioniert, immer höhere Steuern zu verordnen, sieht man
am besten am Beispiel Tabaksteuer: Je mehr der Staat
die Bürger auspresst, umso weniger Einnahmen kom-
men herein. Das war der falsche Weg. Deswegen sagen
wir: Runter mit den Steuern! Wir brauchen einfachere
und niedrigere Steuern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen bürokratische Investitionshemmnisse besei-
tigen. All das müssen wir aber heute machen und nicht
erst in Jahren, nicht erst nach dem Regierungswechsel
im Jahr 2005 in Schleswig-Holstein und 2006 in Berlin.

Ich sehe das Problem, dass durch die massive Schul-
denaufnahme und die rabiate Privatisierung im Jahre 2006
voraussichtlich kein Vermögen mehr vorhanden ist – es






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

wird sozusagen verbrannte Erde hinterlassen –, welches
für Investitionen eingesetzt werden und mit dem der
Bund noch agieren könnte. Das nährt den Verdacht, dass
Sie all das, was Sie im Jahr 2005 machen, nur tun, um
die Landtagswahlen zu überstehen, dass Sie hier und
dort noch ein bisschen schönfärben werden, weil unter
anderem die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
vor der Tür stehen, um dann – nach dem Motto: nach mir
die Sintflut! – im Jahre 2006 den Offenbarungseid zu
leisten.

All das ist nicht neu. Das kennen wir von Ihnen und
haben es überall dort gesehen, wo Sozialdemokraten
regieren. Sozis können einfach nicht mit Geld umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie können Ihre Plattheit immer noch weiter überbieten! – Weiterer Zuruf von der SPD: So einen dummen Spruch habe ich lange nicht gehört!)


Mit dem eigenen Geld können Sie schon umgehen, wie
man an der Abwanderungstendenz Einzelner aus den
Ministerien sieht, aber nicht mit dem Geld der Bürger.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Jahr 2005 verscherbelt die Bundesregierung Bun-

desvermögen. Das heißt, sie deinvestiert. Damit wird er-
neut das Maastricht-Kriterium verletzt. Sie haben auf
den europäischen Vertrag Bezug genommen, Herr
Eichel. Wir werden 2005 das einzige Land in Europa
sein, das das Maastricht-Kriterium nicht einhält. Alle an-
deren Länder haben es geschafft, aus einer schwierigen
Situation heraus in eine bessere Lage zu kommen; wir
nicht. Sie haben mit Blick auf die Verschuldung erklärt,
die schleichende Vergiftung fortzusetzen habe unser
Land nicht verdient. Ich kann nur sagen: Diese Regie-
rung und dieses Handeln hat das Land nicht verdient,
weil es bedeutet, dass die EU-Kommission früher oder
später aus diesem Handeln die Konsequenzen ziehen
wird.

Der IWF hat Sie dazu aufgefordert, endlich mit dem
Sparen zu beginnen. Wie kann man vom Konsolidieren
reden, wenn die Ausgaben des Staates ständig weiter in
die Höhe gehen?

Maßgeblich ist nicht das, was Sie zu Beginn eines
Jahres oder Mitte des Vorjahres als Entwurf vorlegen.
Wenn wir das an dem messen, was davon Ende des Jah-
res übrig bleibt, müssen wir ständig weitere Ausgaben
unterstellen, und zwar vor allem im konsumtiven Be-
reich und nicht bei den Investitionen. Das ist die falsche
Entwicklung. Herr Eichel, Sie sind nicht der Retter, son-
dern der Totengräber der Bundesfinanzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Problem ist, dass die Entwicklung der nächsten

sechs Jahre in die falsche Richtung geht. Das struktu-
relle Defizit wird in den nächsten Jahren 40 Milliarden
Euro betragen. Wenn man nicht sofort massive Ein-
schnitte, Haushaltssicherungsmaßnahmen und Haus-
haltsbegleitgesetze, vorsieht, werden wir auf absehbare
Zeit über die von Ihnen geplanten 20 Milliarden Euro
Schulden hinausgehend bis zum Jahre 2000-X weitere
20 Milliarden Euro Schulden machen müssen, um über-
haupt den Konsum der Regierung bezahlen zu können.
Das ist eine schlimme Entwicklung. Ihre Riege rot-grü-
ner Maulhelden hat, was Finanz- und Haushaltspolitik
betrifft, jedes Vertrauen verspielt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Union akzeptiert diesen Haushalt nicht als Bera-

tungsgrundlage. Wir fordern Sie auf – wenn der Minister
nicht die Kraft dazu hat, muss es die Koalition tun –, ei-
nen neuen Entwurf vorzulegen und den Vorschlag so
umzustricken, dass daraus ein einigermaßen erträglicher
und akzeptabler Entwurf wird. Wir sind bereit, daran
mitzuwirken. Wir haben deutlich gemacht, dass wir be-
reit sind, auch wenn wir diesen Haushalt in der zurzeit
vorliegenden Form nicht als Grundlage akzeptieren kön-
nen, ganz gezielt und pointiert einzelne Kürzungsvor-
schläge zu machen.

Uns wurde vorgehalten, dass die von uns vorgeschla-
gene 3-prozentige Kürzung zu viel sei. Darauf ant-
worte ich: Hat der Finanzminister eigentlich seinen Job
verdient, wenn er im Angesicht von 260 Milliarden Euro
nicht in der Lage ist, ein Kürzungspotenzial von
3 Prozent zu finden? Man findet jeden Tag, wenn man
die Zeitung aufschlägt, Negativbeispiele, nämlich Maß-
nahmen, die offensichtlich ins Leere führen. In der Ver-
waltung, bei Verfügungsmitteln und Beraterverträgen
wird das Geld nach wie vor mit den Händen zum offenen
Fenster hinausgeworfen. Herr Eichel, in Ihrem Umfeld
streunt seit vielen Jahren ein Berater herum, der Hun-
derttausende Euro kostet und offensichtlich nur die rich-
tigen Sprechblasen entwickeln muss. Vorher war er Be-
rater von Herrn Riester – die Älteren unter uns werden
sich an ihn noch erinnern –; ihm hat er beigebracht, wie
man einen Schlipsknoten bindet. Das muss doch nicht
der Steuerzahler bezahlen. Das muss aufhören. Wir müs-
sen endlich zu vernünftigen Regelungen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt genügend Sparmöglichkeiten in diesem Haus-

halt. Das fängt bei der Frage des Umsatzsteuerbetruges
an, geht über die ideologischen Spielwiesen, von denen
es gerade in der Haushaltspolitik der Grünen besonders
viele gibt, über Sonderveröffentlichungen, bis hin zu den
Gesellschaften, die Sie gründen. Etwa 30 Gesellschaften
wurden neu gegründet.


(Zuruf des Abg. Albrecht Feibel [CDU/CSU])

– Die GEBB zum Beispiel, richtig, Herr Kollege Feibel.
Die Mitarbeiter dieser 30 Gesellschaften verdienen auf
höchstem Niveau, deren Geschäftsführer verdienen dop-
pelt so viel wie der Bundeskanzler. Ihr wirtschaftlicher
Ertrag ist gleich Null. Das muss der Steuerzahler nicht
bezahlen. Auch in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit
und Kohlesubventionen sehen wir gewaltiges Sparpoten-
zial.

Wir werden Anträge zu zwei Schwerpunktthemen
stellen, die unser Konzept abrunden. Erstens brauchen
wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur und zwei-
tens mehr Geld für die Infrastruktur im Bereich For-
schung. Diese zwei wesentlichen Bereiche sind für die






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Zukunft unseres Landes wichtig und werden von uns mit
besonderer Priorität behandelt.

Ich komme zum Schluss. Wer die finanziellen Grund-
lagen unseres Landes ruiniert hat, darf keinen Tag länger
Finanzminister sein. Herr Eichel, Sie haben den Motor
des Fahrzeuges Bundesrepublik zu Schrott gefahren. Ein
neuer Motor, ein neuer Finanzminister und eine neue Re-
gierung müssen her. In einem Interview haben Sie ängst-
lich gesagt, dass ein anderer Minister es kaum anders
machen könnte. Schlechter sicher nicht; besser kann es
wohl jeder. Packen Sie Ihr Sparschwein in Ihre Akten-
tasche und gehen Sie ganz leise, mit Anstand. Unser
Land hat diese Finanzpolitik nicht verdient!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1512100500

Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß,

SPD-Fraktion.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1512100600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser

Rede hat Herr Austermann den Zustand der Opposition
trefflich charakterisiert:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


monoton vorgelesen, wüste Beschimpfungen, keine
Alternativen. Das kennzeichnet die Oppositionspolitik
der CDU/CSU. Insofern waren Sie eine Idealbesetzung
für die Art von Opposition, für die Frau Merkel hier
steht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Austermann, Sie sind der Schwarzredner an sich.
Dafür gibt es hier keinen Preis. Vielleicht wird er einmal
ausgelobt. Das ist aber noch nicht alles. Ich finde bedau-
erlich, was Sie, Herr Austermann, der Öffentlichkeit al-
les zumuten. Sie sind ein dreister Täuscher. Das muss
man einmal deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie biegen sich die Realität zurecht und täuschen. Das
macht sonst keiner, auch wenn er unterschiedlicher poli-
tischer Auffassung ist. Die Art und Weise, wie Sie hier
auftreten, ist eine Beleidigung für das Publikum. Das
muss man einmal ehrlich sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen in wenigen Sätzen: Sie sagen, wir hätten die
Steuern erhöht. Herr Eichel hat doch eindrucksvoll dar-
stellen können, dass wir die Steuern für Geringverdiener,
Durchschnittsverdiener, Familien mit Kindern und für
den wirtschaftlichen Mittelstand gesenkt haben, und
zwar nachhaltig. Das ist das größte Steuersenkungspro-
gramm dieser Republik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist mit Zahlen und Fakten belegbar. Sie aber stellen
sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das
Schlimme ist, dass viele Leute solchen Täuschungen
glauben. Man könnte fast von Lügen sprechen.

Wir haben Schlupflöcher geschlossen und in diesem
Jahr einen Zuwachs bei der Gewerbe- und Körperschaft-
steuer. Sie sagten, mit den Erträgen gehe es bergab.
Nein, wir haben einen Zuwachs. Warum? Weil wir
Schlupflöcher geschlossen haben, zum Beispiel durch
die Mindestgewinnbesteuerung, die Sie torpedieren
wollten. Diese Regelung haben wir – gegen Ihren Wider-
stand – durchgesetzt, damit sich auch große Unterneh-
men wieder an der Finanzierung des Gemeinwesens be-
teiligen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihre Unterstützung hatten wir nicht. Es gab einen mühsa-
men Kompromiss im Vermittlungsausschuss. Wir haben
Schwarzarbeit verstärkt bekämpft und wollen sie stärker
bekämpfen. Sie haben das im Deutschen Bundestag ab-
gelehnt. Dann gab es einen Kompromiss, weil Ihre Län-
der vernünftiger als Sie agieren, die Sie im Deutschen
Bundestag eine Fundamentalopposition betreiben. Das
ist die Wahrheit. Die müssen wir möglicherweise noch
deutlicher machen, weil Ihre Täuschungen offenkundig
nach wie vor verfangen.

Was machen wir mit dem Bundeshaushalt 2005, wel-
che wichtige Aufgabe hat er? Er hat die Aufgabe, den
Erneuerungsprozess zu unterstützen, den diese Koalition
eingeleitet hat. Das ist die zentrale Aufgabe dieses Haus-
halts. Genau das leistet dieser Entwurf des Bundeshaus-
halts, den wir gemeinsam in den nächsten Monaten bera-
ten werden.

So werden im Bundeshaushalt 2005 für das Arbeits-
losengeld II, für die damit einhergehenden Eingliede-
rungsleistungen und für die Beteiligung des Bundes an
den Unterbringungskosten rund 27 Milliarden Euro zur
Verfügung stehen. Das ist sehr viel Geld.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr gut!)

– Das muss aber von uns allen vertreten werden, Herr
Kollege. Das müsste auf allen Montagsdemonstratio-
nen gesagt werden: 27 Milliarden Euro zur Bekämp-
fung der Langzeitarbeitslosigkeit! Das leistet der
Haushalt 2005.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe ist von allen hier beschlossen worden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber nicht von mir!)


Aber statt dass sie auch von allen hier vertreten wird,
schlagen sich einige – vorhin wurden schon Beispiele
genannt – feige in die Büsche, weil sie mit den Konse-
quenzen dieses richtigen Schrittes nichts mehr zu tun ha-
ben wollen, obwohl sie vorher viel härtere Maßnahmen
gefordert haben. Ich plaudere keine Geheimnisse des
Vermittlungsausschusses aus, wenn ich darauf hinweise,






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß

dass Herr Milbradt dort – er hat es auch öffentlich vertre-
ten – agiert hat, als sei das Sozialhilfeniveau noch zu
hoch. Derselbe Herr stellt sich heute an die Spitze von
Demonstrationen. Das ist eine Heuchelei und Verlogen-
heit, die nicht zu toppen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lothar Mark [SPD]: Das ist aber christdemokratisch!)


Das ist aber typisch für die Partei, die er vertritt. Das gilt
auch für Herrn Müller. Die Einlassung von Herrn Müller
am Abend der Wahl, die er gut gewonnen hat, war eine
Täuschung des Publikums. Offenbar ist das Ihr Stilmit-
tel.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was macht Herr Schreiner?)


Sie täuschen – nicht nur Einzelne – systematisch die Be-
völkerung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiteres wichtiges Vorhaben – auch das spiegelt
sich im Haushalt wider – ist die Sicherstellung einer
hochwertigen medizinischen Versorgung für alle Bürger
und nicht nur für die Einkommensstarken. Zur nötigen
Stabilisierung und Senkung der Krankenversiche-
rungsbeiträge ist daher ein Bundeszuschuss beschlos-
sen worden, der im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro
umfassen soll.

Auch diese Mittel sind im Etatentwurf eingestellt, um
die Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen.

Zur notwendigen Erneuerung Deutschlands gehören
nicht nur eine verbesserte Perspektive für Langzeitar-
beitslose und die Stabilisierung der solidarischen Siche-
rungssysteme, sondern wir werden auch die notwendi-
gen gesellschaftlichen Innovationen vorantreiben.

Sie haben vorhin ein Resümee über den Zustand
Deutschlands zum Zeitpunkt des Regierungswechsels
gezogen, Kollege Austermann, und das bildlich mit ei-
nem Auto verglichen. Gesellschaftliche Innovationen
waren doch für Sie ein Fremdwort. Davon war bei Ihnen
nie die Rede. Zu den langen Linien unserer Politik ge-
hört, dass wir mit gesellschaftlichen Innovationen be-
gonnen haben, für die wir uns mit Bundesmitteln enga-
gieren, zum Beispiel mit dem Ganztagsschulprogramm,
für das wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen und
das in den Bundesländern – auch in den CDU-geführten
Ländern – erfolgreich angelaufen ist. Die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf als wichtige gesellschaftspoliti-
sche Aufgabe war für Sie bis 1998 ein Fremdwort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben dieses Thema aufgenommen und in der
Koalition gemeinsam fortentwickelt. Wir handeln und
wir lassen uns das auch etwas kosten. Das ist ein großes
gesellschaftspolitisches Thema.

Daneben wollen wir ein weiteres großes gesellschaft-
liches, aber auch beschäftigungspolitisches Defizit behe-
ben. Denn insbesondere für unter Dreijährige gibt es viel
zu wenig Kinderbetreuungsplätze. Um an dieser Stelle
weiterzukommen, hat die Bundesregierung einen ent-
sprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Nach Einschät-
zung der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2010
230 000 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen wer-
den. Das wäre ein gewaltiger Fortschritt. Um das zu er-
möglichen, entlastet der Bund die Kommunen. Auch das
haben Sie verschwiegen, Herr Austermann. Wir entlas-
ten die Kommunen im Zusammenhang mit der Zusam-
menführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, und zwar
– das ist bombensicher – mit 2,5 Milliarden Euro ab dem
kommenden Jahr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hinzu kommen die Mehreinnahmen aus der Stabili-

sierung der Gewerbesteuer. Zusammen mit anderen
Maßnahmen macht das 2006/2007 eine Entlastung in
Höhe von 7 Milliarden Euro aus. Das heißt, wir haben
auch für die Investitionsfähigkeit in den Kommunen, die
unter der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten
Jahren gelitten hat, eine Trendumkehr erreicht. Das ist
nicht zu leugnen und betrifft einen wichtigen Bereich für
die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Wir ha-
ben die Trendumkehr im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger erreicht. Wir haben für den Erhalt der Gewerbe-
steuer gekämpft, die Sie abschaffen wollten und noch
heute abschaffen wollen. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in Sachen Verlustverrechnung bei Großun-
ternehmen eine Neuregelung durchgesetzt und die Min-
destgewinnbesteuerung beschlossen, was zu einer Sta-
bilisierung der Körperschaft- und Gewerbesteuer führt.
Wir wollen uns auch weiterhin in diesem Sinne einset-
zen und entsprechend unserer ursprünglichen Vorlage,
die Sie verhindert haben, initiativ werden, damit sicher-
gestellt wird, dass auch Großunternehmen einen ange-
messenen Beitrag zur Finanzierung unseres Staatswe-
sens leisten.

Wenn Sie über den Vodafone-Fall klagen, Herr
Austermann – Sie waren der Erste aus den Reihen der
Union, der sich überhaupt dazu geäußert hat –, dann
müssten Sie unsere Initiative unterstützen. Ich bin ge-
spannt, ob das der Fall sein wird. Ich kann mich nämlich
daran erinnern, wie sich die Union verhalten hat, als wir
die so genannte Teilwertabschreibung verschärft haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war eines Ihrer Reparaturgesetze!)


Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder ge-
gen Ihren Widerstand im Bundestag dann doch Maßnah-
men ergriffen, die in die richtige Richtung gingen, wie es
die Bevölkerung erwartet. Wenn es im Vermittlungsaus-
schuss hinter verschlossenen Türen darauf ankommt,
handeln Sie manchmal anders, als Sie sich hier äußern.
Das ist Ihre Praxis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kleine und mittlere Unternehmen werden von der

vorgesehenen Regelung nicht betroffen, da wir einen






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß

Sockelbetrag von 1 Million Euro vorgesehen haben, mit
dem Unternehmen ihre Verluste vollständig verrechnen
können.

Unsere Politik hat sich für die Bürgerinnen und Bür-
ger in den Kommunen gelohnt. Das müssten langsam
auch die schwarzen Bürgermeister und Oberbürgermeis-
ter zur Kenntnis nehmen, die ganz anders reden, die
Wahlplakate verwenden – wie zurzeit im Kommunal-
wahlkampf in Nordrhein-Westfalen –, auf denen sie ihre
leere Taschen vorzeigen, und die beklagen, dass unsere
rot-grüne Politik dazu geführt habe. Auch denen muss
die Gegenrechnung aufgemacht werden, auch sie täu-
schen die Bevölkerung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf dieser Seite des Hauses sitzen die Gegner der Kom-
munalinteressen, es sind Ihre eigenen Parteifreunde der
CDU/CSU und FDP. Das ist die Wahrheit, meine Damen
und Herren!


(Lothar Mark [SPD]: Aber auch die Medien müssen mal die Wahrheit berichten!)


Kernbestandteil der Agenda 2010 ist, die Anstrengun-
gen für Forschung, Entwicklung und Wissenschaft zu
erhöhen. Dies gilt auch für den Etat 2005. Nur mit mehr
und besserer Forschung, Wissenschaft und Entwicklung
sichern wir die Grundlagen des wirtschaftlichen Wachs-
tums in Deutschland. Deshalb muss sich die Union auch
hier entscheiden: Will sie angesichts der erkennbaren
Entspannung auf dem Wohnungsmarkt an überholten
Instrumenten wie der Eigenheimzulage festhalten oder
will sie mit der Abschaffung dieser mittlerweile über-
flüssigen Subvention Haushaltsmittel für eine breit gefä-
cherte Forschungs- und Innovationsinitiative freima-
chen? Unsere Haltung ist klar: Wir sind für Bildung und
hoffen, dass die Union die Zukunftsfähigkeit Deutsch-
lands nicht durch parteitaktisches Verhalten erneut aufs
Spiel setzt.

Wir werden den Etat der Bildungs- und Forschungs-
ministerin weiter erhöhen und die Etats der außeruniver-
sitären Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr um
3 Prozent anheben. Der Entwurf des Bundeshaushaltes
2005 und der Finanzplan bis 2008 enthalten außerdem
Mittel für das von der Ministerin konzipierte Programm
zur Förderung der Spitzenforschung in der Bundesrepu-
blik Deutschland. Dieses Programm ist erforderlich, da-
mit die deutsche Forschung im internationalen Vergleich
nicht ins Hintertreffen gerät. Stimmen Sie diesem Pro-
gramm auf Länderseite doch zu! Sorgen Sie dafür, dass
Ihre Parteifreunde in den Ländern dies nicht weiter blo-
ckieren!


(Beifall bei der SPD)

Der Forschungsstandort Deutschland würde es Ihnen
danken.

Unsere Haushaltspolitik liefert das finanzielle Funda-
ment für den angestoßenen gesellschaftlichen Um-
strukturierungsprozess, der aber – das muss man ganz
deutlich sagen – noch Jahre dauern wird. Das gilt auch
für die großen Maßnahmen betreffend den Arbeitsmarkt
und die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere das
Gesundheitswesen, bei dessen Reform wir bereits jetzt
erste Ergebnisse erkennen können. Man kann nicht
erwarten, dass solche strukturpolitischen Weichenstel-
lungen sozusagen auf Knopfdruck umgesetzt werden
können. Wir sind von der Notwendigkeit und der Wirk-
samkeit dieser Maßnahmen fest überzeugt. Wir glauben
zwar nicht, dass sich mit diesen Maßnahmen von heute
auf morgen, also unmittelbar wünschenswerte Ergeb-
nisse erzielen lassen. Aber sie werden sicherlich mittel-
bar positive Ergebnisse zeitigen. Ich glaube, dass es die
ersten positiven Ergebnisse, die sich auch in der gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung niederschlagen werden,
im Jahre 2005 geben wird.

Wir stabilisieren die wirtschaftliche Entwicklung mit
weiteren Maßnahmen, die die Konjunkturerholung flan-
kieren sollen. Wenn wir im kommenden November den
vorliegenden Haushaltsentwurf in zweiter und dritter Le-
sung verabschieden werden, sollte jedem klar sein, dass
wir über einen Wirkungshorizont von 14 Monaten reden.
Nach dreijähriger wirtschaftlicher Stagnation muss der
Bundeshaushalt darauf ausgerichtet sein – das hat Priori-
tät –, dass sich der begonnene wirtschaftliche Erholungs-
prozess stabilisiert. Das Gleiche sollte auch für die
Haushalte von Ländern und Kommunen gelten.

Wir werden deswegen im nächsten Jahr die fünfte
steuerliche Entlastungsstufe seit 1998 mit einem Volu-
men von rund 6,8 Milliarden Euro in Kraft setzen. Das
wird dem privaten Konsum zusätzlich Impulse geben
und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen erhö-
hen. Herr Austermann, wenn Sie hier die große Steuer-
reform von Ihrer Seite ausrufen, dann kann ich Ihnen nur
sagen: Mehr verkraften die öffentlichen Haushalte nicht.
Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Das ist genau der falsche Ansatz!)


Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir im Ver-
mittlungsausschuss eine Entlastung der öffentlichen
Haushalte von über 20 Milliarden Euro beschlossen. Es
war Ihre Seite, die beispielsweise an die Subventionen
für die Landwirtschaft nicht herangehen wollte, die ei-
nen umfassenderen Subventionsabbau blockiert hat.
Das ist ebenfalls die Wahrheit, Herr Austermann. Wenn
es nach uns gegangen wäre, wäre die steuerliche Entlas-
tung in diesem Jahr noch höher ausgefallen. Aber auch
das ist an Ihnen gescheitert. Suggerieren Sie deswegen
nicht, dass das CDU-Steuerkonzept, das berühmte Bier-
deckelkonzept von Frau Merkel und Herrn Merz, irgend-
wann in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann!
Ihre eigenen Landesfinanzminister haben Ihnen ins
Stammbuch geschrieben, dass das illusionär ist. Wecken
Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht falsche
Hoffnungen mit Illusionen, die Sie überhaupt nicht ein-
lösen könnten, selbst wenn Sie die Regierungsverant-
wortung erlangen würden. Das ist doch verantwortungs-
los!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß

Das ist allerdings auch ein Kennzeichen Ihrer Politik.
Neben der Täuschung ist das, was bei Ihnen hervorsticht,
die Verantwortungslosigkeit.

Deswegen sage ich ganz klar – ich weiß ja, in welcher
Umfragesituation sich die Sozialdemokratie befindet –:
Wir halten Kurs. Wir täuschen die Menschen nicht. Wir
müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr
sprechen. Wir verhalten uns verantwortungsvoll. Wir
büchsen nicht – wie die Populisten von links und von
rechts; das können wir jeden Tag erleben – verantwor-
tungslos aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stehen hier nicht mit einem Trotzkopf, weil wir
wissen, dass wir das machen, was wir unseren Kindern
und Enkeln schuldig sind. Und wir sind in deren Schuld!


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Und die Schuld wird immer größer!)


Ich sage das, weil Sie hier noch bis vor kurzem mein-
ten, wir könnten uns noch weitere massive Steuersen-
kungen erlauben. Das ist nicht der Fall. Gegen Steuer-
vereinfachungen hat doch keiner etwas.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen Steuererhöhungen!)


Wir Sozialdemokraten haben aber etwas gegen weitere
Umverteilungen zugunsten von Spitzenverdienern und
zulasten von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern und deswegen machen wir da nicht mit. Da
setzen wir die Grenzen.


(Beifall bei der SPD)

Ihre Vorschläge zur Streichung von Steuersubventionen
betreffen im Wesentlichen die Subventionen für die Ar-
beitnehmer.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Wenn Sie den Faden also konstruktiv weiterspinnen

wollen: Wir sind gesprächsbereit. Das haben wir auch im
Vermittlungsausschuss bewiesen. Da, wo wir nicht wei-
tergekommen sind, ist es meist an Ihnen gescheitert, zum
Beispiel weil Sie draufgesattelt haben. Wir kommen auf
jedem Gebiet weiter. Aber lassen Sie uns bitte realistisch
sein und im Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten
des Staates vorgehen.

Bestimmten Vorschlägen folgen wir nicht. Mit Ihnen
durchaus befreundete Medien schreiben Ihnen fast jeden
Tag ins Stammbuch, diese Vorschläge fallen zu lassen.
Sie haben auf Ihrem Leipziger Parteitag große Konzepte
– nicht nur zur Steuerpolitik – beschlossen, Stichwort
Kopfpauschalenmodell mit so eben einmal 40 Milliar-
den Euro. Fast alle haben zugestimmt. Das heißt, Sie ha-
ben da einen finanzpolitischen Blindflug unternommen.
Langsam merken die Menschen das. Frau Merkel
kommt Tag für Tag mehr ins Trudeln und das ist auch
richtig so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wird sich für die Union auch in den Umfragen be-
merkbar machen. Ihre Werte werden von Woche zu Wo-
che sinken, weil die Leute – auch wenn es fast ein Jahr
gedauert hat – langsam merken, dass sie mit Konzepten,
die überhaupt nicht zu finanzieren sind, systematisch be-
trogen wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Konzepte wurden zum Beispiel in der „Welt am
Sonntag“ durchgerechnet. Dort steht eine gelungene
Überschrift, die besagt, dass es um eine Lücke von über
100 Milliarden Euro geht. Die CSU vermutet – so heißt
es in dem entsprechenden Artikel –, dass sie sogar noch
größer ist.


(Lothar Mark [SPD]: Die CDU bezahlt das aus der Portokasse!)


Deswegen können wir mit Fug und Recht sagen: Frau
Merkel ist das 100-Milliarden-Euro-Risiko in diesem
Parlament. Von solchen Risiken müssen wir uns keine
Empfehlungen geben lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Merkel ist ein 100-Milliarden-Euro-Risiko. Ich be-
ziehe mich auf ein Organ, das Ihnen bekanntermaßen
durchaus nahe steht, nämlich auf die „Welt am Sonntag“.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auch falsch!)


Nutzen Sie doch diese Debatte, um all das, was in die-
sem Artikel, mit guten Argumenten untermauert, zu le-
sen ist, zu entkräften! Verwirren Sie nicht weiter! Sie
kündigen Alternativen an.

Herr Austermann, wenn die Lücke im Bundeshaus-
halt 2005 nach Ihrer Behauptung 40 Milliarden Euro be-
trägt, warum kommen Sie dann mit einem Deckungsbei-
trag von 7,5 Milliarden Euro? Damit werden Sie doch
Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht. Das
ist doch die nächste Täuschung, die Sie hier vornehmen.

Was gilt denn nun? Das, was Sie hier gesagt haben,
nämlich 7,5 Milliarden Euro, oder die von Herrn Stoiber
behaupteten 12,9 Milliarden Euro Einsparungen? Wer
hat denn eigentlich Recht? Herr Stoiber oder Sie, Herr
Austermann? Was gilt denn in Ihrem Laden? Sie treten
doch gar nicht geschlossen auf. Sie erzählen dem Publi-
kum doch jeden Tag etwas anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vielleicht können Sie da einmal Klarheit herstellen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schreiner oder Lafontaine? – Gegenruf der Abg. Waltraud Lehn [SPD]: Ach Gott!)


Möglicherweise wird uns Frau Merkel morgen früh sa-
gen, was von Ihren Vorschlägen nun gilt.

Welche Konsequenzen die Umsetzung dieser Vor-
schläge hätte, das hat Herr Eichel dargestellt. So eben






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß

einmal 13 Milliarden Euro streichen, das wäre eine
Wachstumsbremse und Wachstumsbremsen können wir
uns nicht erlauben.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Also weg mit Eichel!)


Es gibt den Vorschlag, bei so beliebten Projekten – sie
sind besonders in München beliebt – wie der Rüstungs-
beschaffung zu streichen. Wenn wir das tatsächlich
machten, dann wäre der Herr Stoiber der Erste, der pro-
testierte. Genauso wäre es bei den anderen Posten: Land-
wirtschaft, Eigenheimzulage. Ich müsste mein ganzes
Weltbild umstellen, wenn Sie hier entsprechende Vor-
schläge einbrächten.

Wir sind sehr gespannt darauf, meine Damen und
Herren, was Sie bei den Beratungen im Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages in den nächsten Wo-
chen und Monaten konkret liefern werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da sind Sie Gott sei Dank ja nicht dabei! – Otto Fricke [FDP]: Ein Glück, dass Sie bei den Beratungen nicht dabei sind!)


Wir werden Sie in jeder Sitzung an das erinnern, was
Herr Stoiber in Aussicht gestellt hat, nämlich einen Ein-
sparbeitrag von 13 Milliarden Euro. Auf den sind wir
alle sehr gespannt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann in der Politik, die Sie hier betreiben, leider
nur ein Ziel erkennen: die bewusste Hinnahme und Ver-
schärfung der finanziellen Probleme des Staates, um im
Bund wieder an die Macht zu kommen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist doch Stuss!)


Ich bin aber guten Mutes, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger diese unverantwortliche und egoistische Strategie
durchschauen und die Absichten der Union im Herbst
2006 durchkreuzen werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Davor gibt es noch ein paar andere Abstimmungen!)


Mit dem Bundeshaushalt 2005 liegt jedenfalls ein Etat
vor, der den notwendigen Erneuerungsprozess in
Deutschland vorantreibt und der uns zuversichtlich nach
vorne blicken lässt.

Vielen Dank, insbesondere für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wieso habt ihr eigentlich im Saarland verloren, wenn ihr so gut seid? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Nehmen Sie mal alles auf, was ich gesagt habe!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512100700

Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin für die

FDP-Fraktion.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1512100800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

fällt mir sehr schwer, heute an das Rednerpult des Deut-
schen Bundestages zu treten und als erster Redner für die
FDP-Fraktion zur Einbringung des Haushalts zu spre-
chen. Sechs Jahre lang hat mein Kollege Günter
Rexrodt diese Funktion gehabt und hier gesprochen.
Seine große Sachkenntnis war nicht nur in unserer Frak-
tion, sondern auch im Haushaltsausschuss über Par-
teigrenzen hinweg anerkannt – trotz unterschiedlicher
Auffassungen. Sein plötzlicher Tod ist für die FDP-Frak-
tion und für unsere gemeinsame Arbeit im Haushaltsaus-
schuss ein großer Verlust. Wir vermissen ihn sehr.

Sie gestatten, dass ich meine Ausführungen deshalb
mit einem Zitat aus einer haushaltspolitischen Rede von
Günter Rexrodt beginne. Er sagte zur Bundesregierung:

Betreiben Sie eine berechenbare Politik, eine Poli-
tik die darauf hinausläuft, unser Land zu moderni-
sieren. Dann kommen wir auch bei den Arbeitsplät-
zen vorwärts. Dann können wir Vertrauen bei
unseren Bürgern und ausländischen Investoren fin-
den. Dazu ist aber eine Veränderung der Politik not-
wendig.

Dieses Zitat, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat nichts
an Aktualität eingebüßt.

Herr Bundesfinanzminister, wenn ich Ihre Rede Re-
vue passieren lasse, muss ich sagen: Das war keine
Haushaltsrede.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!)

Das war eine Rede an Ihre eigene Fraktion, an eine zö-
gerliche SPD-Fraktion. Sie treten für Reformen ein, aber
Sie haben dort eine Fraktion, die zu Reformen nicht fä-
hig ist,


(Widerspruch bei der SPD)

die Reformen teilweise zu spät eingeleitet hat oder die
die Notwendigkeit von Reformen gar nicht anerkennen
will.


(Waltraud Lehn [SPD]: So ein Quatsch!)

Sie haben davon gesprochen, dass wir ein starkes

Land sind. Diese Auffassung teile ich. Nur: Wir sind ein
starkes Land und haben eine schwache Regierung. Das
ist unser Problem.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben den Eindruck, dass, was die Reformen an-

geht, nicht nur die Regierung, sondern auch die Koaliti-
onsfraktionen über viele Jahre Urlaub von der Realität
gemacht haben. Nichts anderes können wir hier heute
feststellen.


(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sieht die Bilanz

der rot-grünen Koalition heute aus? Schauen wir uns den
Haushalt 2005 an! Beim Wirtschaftswachstum belegt
Deutschland in der EU seit 1999 den letzten Platz. Die
Arbeitslosigkeit ist mit 4,3 Millionen inakzeptabel hoch.
Eine Trendumkehr ist überhaupt nicht in Sicht. Die






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

Abgabenlast beträgt 42,1 Prozent, ist also unvermindert
hoch. Hinzu kommt – das ist das Allerschlimmste; das
fällt in Ihre Verantwortung, Herr Eichel –: 190 Milliar-
den Euro zusätzliche Schulden sind seit der Regierungs-
übernahme durch Rot-Grün zu verantworten. Das liegt
in Ihrer Verantwortung.

Der Bundeshaushalt 2005 wird erneut verfassungs-
widrig sein, gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen
und – auch dieser Punkt muss hier angesprochen wer-
den – der Stabilitätspakt als völkerrechtlicher Vertrag
wird zum dritten Mal hintereinander gebrochen. Das ist
die Bilanz Ihrer Politik.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine
Bemerkung machen. Sie haben von Reformen gespro-
chen, auch in Richtung Ihrer Fraktion. Aber Sie haben
als Bundesfinanzminister keinerlei Initiativen ergriffen,
um die Reformen voranzutreiben. Sie sind nicht im Ka-
binett aufgestanden und haben gesagt: So geht es nicht
weiter. So komme ich mit meinem Haushalt nicht klar.

Sie haben in Ihrer Haushaltsrede nebenbei auch den
Zahnersatz angesprochen. Da hatte man den Eindruck:
Nicht nur Sie, sondern auch Ihre Fraktion hat am Zahn-
ersatz schwer zu kauen.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Frau Merkel!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, unternehmerisch
betrachtet treibt Deutschland in die Pleite, Rot-Grün
macht neue Schulden, der Schuldenberg wächst ständig
und ein Konzept, wie wir aus der Schuldenfalle heraus-
kommen, fehlt völlig. Der Etatentwurf 2005 ist nur auf
dem Papier verfassungskonform. Es sind Haushaltsrisi-
ken da, die Sie hier einfach herunterspielen, wichtige Fi-
nanzdaten werden einfach zu optimistisch angesetzt und
die Einhaltung des Stabilitätspaktes ist reine Illusion.
Auch beim Haushaltsentwurf 2005 verfahren Sie nach
dem Motto: tarnen, täuschen und beschwichtigen. Das
scheint mir, nachdem ich Ihre Rede heute gehört habe,
die Grundaussage Ihrer Politik zu sein.

Ihr Haushalt 2005 ist wie ein Kartenhäuschen: Der
kleinste Windstoß und das Ganze fällt um. Im Entwurf
liegt die Nettokreditaufnahme in Höhe von 22 Milliar-
den Euro gerade einmal 800 Millionen Euro unter der
Höhe der Investitionen. Betrachtet man die gesamtwirt-
schaftliche Annahme, so geht die Bundesregierung in ih-
rer Planung für 2005 von einem realen Wachstum von
1,8 Prozent aus. Wir sagen, das ist zu optimistisch, ins-
besondere wenn man sie mit den Aussagen der For-
schungsinstitute vergleicht. Das heißt, Sie haben bereits
die Steuereinnahmen viel zu hoch angesetzt, die Ausga-
ben für den Arbeitsmarkt aber zu niedrig. Da liegt das
Risiko hinsichtlich Art. 115 Grundgesetz. Ich empfehle
auch den Abgeordneten der Koalition, noch einmal
nachzulesen, was in Art. 115 des Grundgesetzes steht,
denn darin wird Ihnen ganz deutlich vor Augen geführt,
dass Ihr Haushaltsentwurf für 2005 gegen die Verfas-
sung verstößt. Hartz IV kommt ja auch noch dazu; ich
will gerne anerkennen, dass die Koalitionsabgeordneten
zugegeben haben, dass hier noch eine erhebliche Lücke
besteht.
Wenn ich nun in Ihrem Haushalt, Herr Eichel, lese,
dass Privatisierungserlöse in Höhe von 15 Milliarden
Euro eingeplant werden – plötzlich, auf einmal soll das
gehen –, dann frage ich mich, was Sie in den vergange-
nen Jahren gemacht haben. Sie hätten doch diese Erlöse
längst erzielen können, damit hätten Sie uns die Auf-
nahme vieler Schulden ersparen können. Ihr Haushalts-
ansatz zu den Privatisierungserlösen ist blanke Theorie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weiterhin rechnen Sie mit einer globalen Minderaus-
gabe von 1 Milliarde Euro und der Auflösung des ERP-
Sondervermögens. Sie wissen doch genau, dass diese
Punkte so nicht eintreten werden. Ich muss Ihnen ganz
offen sagen: Man gewinnt den Eindruck, Sie würden
Haushaltspolitik in einer Bananenrepublik betreiben. Sie
haben nichts anderes gemacht, als die Bilanzen manipu-
liert.


(Widerspruch des Abg. Joachim Poß [SPD])

Viele Ansätze auf der Einnahmeseite entspringen ein-
fach Wunschdenken und sind geschönt.


(Beifall der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich, Kollege Poß, eine Anmerkung machen:
Sie haben der Rede des Kollegen Austermann Schwarz-
färberei vorgeworfen – gut, das können Sie machen –,
aber Ihre Rede beinhaltete nur Schönfärberei, nichts an-
deres.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kolleginnen und Kollegen Haushälter der Koali-
tion haben eine Klausurtagung durchgeführt. Da haben
sie schon festgestellt, dass eine erhebliche Finanzie-
rungslücke besteht. Das wollen sie durch Ausgabenkür-
zungen ausgleichen. Wenn dies in vernünftiger Weise
geschieht, werden sie uns dabei an ihrer Seite finden.
Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.

Dann – das ist das Interessante – habe die Koalition
beschlossen, wie man in verschiedenen Zeitungen liest,
Einnahmeverbesserungen durchzuführen. Sie müssen
mir allerdings einmal erklären – Kollege Poß ist nicht
darauf eingegangen –, wie Sie von der Koalition Einnah-
meverbesserungen durchführen wollen. Die Einnahme-
verbesserungen durch die Koalition, die ich in den letz-
ten sechs Jahren erlebt habe – Kollegin Hermenau wird
das ja gleich in Ihrer Rede bestätigen können –, bestan-
den in nichts anderem als Abkassieren bei den Bürgern.
So sehen Ihre Einnahmeverbesserungen aus.


(Beifall bei der FDP)

Sagen Sie uns jetzt einmal ganz deutlich, wo Sie bei

den Bürgern kassieren wollen. Ich sage Ihnen, was Sie
vorhaben und was kommen wird – in der Antwort des
Finanzministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundes-
tagsfraktion war es zu lesen –: Im Stillen träumt nämlich
Hans Eichel so, wie er da sitzt, genau wie Heide Simonis
von einer Mehrwertsteuererhöhung. Die Pläne dazu
hat er bereits in der Schublade. Das ist ja in der Antwort






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

auf die Anfrage der FDP-Fraktion auch bestätigt wor-
den. Das wird kommen; davon träumt er.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Das steht doch in der Antwort gar nicht drin!)


Erinnern wir uns daran – ich kann das nur wiederho-
len –: Die FDP hat bei den letzten Haushaltsberatungen
erhebliche Spar- und Kürzungsvorschläge gemacht.
Diese beruhten auf Gedanken von Günter Rexrodt. Wir
haben diese Forderung nach Kürzung bei allen Subven-
tionen und Zuwendungen konsequent aufrechterhalten.
Daraus würden sich Einsparungen in Höhe von
2,5 Milliarden ergeben. Die FDP hat vorgeschlagen, nur
im Bereich Bildung draufzusatteln. Dazu stehen wir
auch weiter, denn das ist notwendig. Ansonsten werden
wir erneut Kürzungsanträge stellen; nicht in der Art, wie
Sie es früher gemacht haben: dieses oder jenes Großpro-
jekt wie Eurofighter. Wir haben vielmehr über 200 ein-
zelne Anträge gestellt. Das ist uns gar nicht so leicht ge-
fallen, da es auch die Klientel der FDP getroffen hätte.
All diese von uns gestellten Anträge sind von der rot-
grünen Koalition abgelehnt worden, obwohl sie eine Er-
sparnis von über 2,5 Milliarden gebracht hätten. Erklä-
ren Sie doch einmal, Herr Eichel, warum die Abgeordne-
ten der Koalitionsfraktionen dem nicht zugestimmt
haben. Wenn Sie jetzt kürzen wollen, empfehle ich Ihnen
wieder unsere Anträge.

Kommen Sie uns, Herr Eichel, nicht mit Ihrem Ge-
jammer über die Tabaksteuer. Dass Sie durch eine Er-
höhung keine Mehr-, sondern Mindereinnahmen erzielen
würden, haben wir Ihnen doch im Ausschuss gesagt,
aber Sie haben diese Argumente einfach vom Tisch ge-
wischt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nein, Sie haben ein Problem, Herr Eichel: Sie laufen in
jede Falle, die Sie sich vorher selber aufgestellt haben,
hinein.

Wir haben weitere Probleme; das haben Sie richtig
angesprochen, Herr Eichel. Die Sozialausgaben und die
Zinsausgaben machen bereits 60 Prozent der Gesamt-
ausgaben im Bundeshaushalt aus. Jedem Haushälter,
aber auch jedem anderen Politiker muss klar sein, dass
es so nicht weitergeht. Die Sozialausgaben und die Zins-
ausgaben haben ein Volumen von 150 Milliarden Euro;
damit sind drei Viertel der Steuereinnahmen des Bundes
belegt. So geht es auf die Dauer nicht weiter; hier muss
umgesteuert werden. Ich denke, darüber werden wir
auch in den Beratungen des Haushaltsausschusses spre-
chen müssen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber so richtig konkret ist das alles nicht!)


Wir müssen auch darüber sprechen, dass die Investi-
tionsausgaben des Bundes seit 1999 zurückgegangen
sind. Jahr für Jahr haben Sie die Investitionsausgaben
des Bundes gekürzt. Das ist ein Tatbestand. Die Kürzun-
gen bei den Investitionsausgaben im Bundeshaushalt in
Ihrer Regierungszeit betragen im Vergleich zu dem letz-
ten Haushalt, den die CDU/CSU-FDP-Regierung damals
vorgelegt hat, 30 Prozent. Das ist unverantwortbar. Es
zeigt auch, wie Sie wirtschaftspolitisch denken und dass
Sie gar kein Interesse haben, die Konjunktur anzukur-
beln; denn durch höhere Investitionsausgaben hätten Sie
ein Signal geben können. Im Übrigen hätten Sie dann
nicht gegen Art. 115 des Grundgesetzes verstoßen.

Das ist unser Problem: Wir haben eine enorme Zu-
nahme bei der Neuverschuldung, aber eine Reduzierung
der Investitionsausgaben. Das ist die Dramatik der rot-
grünen Haushalts- und Finanzpolitik.

Wenn ich unser Wirtschaftswachstum im Vergleich
zum Beispiel zu dem Amerikas oder Asiens sehe, muss
ich feststellen, dass wir kein Wachstum haben, sondern
einen jämmerlichen Stillstand bzw. Rückschritt. Das
können Sie doch hier nicht besonders hervorheben!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist, Herr Eichel, ein Verharren auf trostlosem Ni-
veau. Einen Aufschwung kann ich hier nicht sehen.

In unserem Lande sind weitere Reformen notwendig;
das wissen wir. Die Agenda 2010 wird nicht viel brin-
gen, zumindest nicht auf dem Arbeitsmarkt selber. Auch
wenn solche Schritte vielleicht notwendig sind, zur
Schaffung von Arbeitsplätzen werden sie aber nicht die-
nen. Wir werden dringend eine Steuerreform, vor allem
eine Vereinfachung des Steuerrechts brauchen. Mein
Kollege Solms wird gleich noch darauf eingehen. Auf
dem Arbeitsmarkt benötigen wir eine Deregulierung.
Auch die Sozialsysteme werden wir uns weiterhin an-
schauen müssen. Wir brauchen mehr Eigenverantwor-
tung im Gesundheitswesen. Das ist Bestandteil der Vor-
schläge der FDP, die auch auf dem Tisch liegen. Das
gehört dazu, wenn man einen realistischen Bundeshaus-
halt vorlegen will. All das haben Sie nicht gemacht.

Insofern kann ich nur feststellen: Mit dem Bundes-
haushalt 2005 kann die Vertrauenskrise in Deutschland
nicht überwunden werden. Seriosität und Signale für ei-
nen finanzpolitischen Aufbruch in bessere Zeiten gehen
von diesem Haushalt auf keinen Fall aus.

Herr Eichel, ich kann nur feststellen, dass der Entwurf
2005, den Sie uns hier vorgelegt haben, deutlich doku-
mentiert: Ihnen fehlt die Kraft zur Gestaltung. Der Bun-
deshaushalt 2005 gestaltet überhaupt nichts. Sie sind
kein Gestalter, Herr Eichel, Sie sind ein schlechter Buch-
halter, der die Bilanzen auch noch frisiert hat. Sie setzen
in Ihrer Politik eigentlich das fort, was Ihr Vorgänger
Oskar Lafontaine begonnen hat: eine Haushaltspolitik
auf Kosten kommender Generationen, die zukünftig all
das zahlen müssen, was Rot-Grün in den letzten Jahren
an unsolider Haushaltspolitik gewagt hat.

Ich komme zum Schluss.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Gott sei Dank!)

Herr Eichel, Ihr Haushaltsentwurf ist unseriös und un-
realistisch; er verstößt gegen das Grundgesetz und gegen
internationale Verträge. Nehmen Sie ihn zurück und






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

legen Sie einen realistischen Haushaltsentwurf vor. Für
so eine Politik kann die FDP-Fraktion nicht die Hand he-
ben.

Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512100900

Ich erteile das Wort der Kollegin Antje Hermenau,

Bündnis 90/Die Grünen.


Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512101000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Auch bedeutungsschwangeres Tremolo, Herr Kollege
Koppelin, macht nicht richtiger, was Sie gesagt haben.
Natürlich ist der Bundeshaushalt 2005 eine Zustandsbe-
schreibung der Baustelle; das ist ganz klar. Natürlich hat
Deutschland wenig Erfahrung damit, wie Haushalte
funktionieren und präzise berechnet werden können,
wenn man mehrere Reformen gleichzeitig in diesem
Land vorantreibt, was wir tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


30 Jahre Kollektivleistung in trauter Eintracht von
Parteien, die in Deutschland einmal regiert haben – die
FDP war übrigens 24 Jahre lang dabei; das muss man ab
und zu erwähnen –,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 29 Jahre!)


haben das zur Folge, was wir in Deutschland als Pro-
blem und Reformstau zu bewältigen haben. Da ist es
nicht sinnvoll, sich gegenseitig immer nur die Schuld in
die Schuhe zu schieben. Sinnvoller wäre, sich selber ein-
fach einzugestehen – das fehlt auf Ihrer Seite noch –,
dass über Jahre hinweg in Deutschland ein Anspruchs-
denken aufgebaut worden ist, das so nicht mehr haltbar
und nicht mehr finanzierbar ist, und dass wir mit der Si-
tuation jetzt klug und weise umgehen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Ihnen die Haushaltsberatungen in diesem Jahr
so ähnlich vorkommen wie die im letzten oder im vor-
letzten Jahr, dann liegt es nicht nur daran, dass es diesel-
ben Redner sind, sondern auch daran, dass wir die glei-
che Baustelle weiter bearbeiten müssen. Dazu gehört das
strukturelle Defizit und die Tatsache, dass die Ausga-
benstruktur des Bundeshaushaltes viel zu stark konjunk-
turabhängig ist. Der Bundeshaushalt ist eigentlich so
aufgebaut, dass er nur in guten Zeiten wirklich funktio-
nieren kann. Um es einmal sozialstaatlich auszudrücken:
Es müssen besonders gute Zeiten sein, damit der Haus-
halt auch im sozialstaatlichen Bereich funktionieren
kann. Von diesen Zeiten können wir aber auch in den
nächsten Jahren nicht ausgehen.

Dieses angehäufte strukturelle Defizit ist sehr hoch.
Es beträgt deutlich mehr als der Betrag, der in den letz-
ten drei Jahren für die Anhebung der Neuverschuldung
nötig war. Es ist vonseiten des Finanzministers Eichel
schon vor zwei Jahren der Versuch gemacht worden, an
der Problematik des strukturellen Defizits zu arbeiten.
Die zwei Stellschrauben, auf die es dabei ankommt, sind
die Reform des Sozialstaates und die Rückführung der
Staatsausgaben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie war das mit der Tabaksteuer?)


Nun kommen wir einmal zur Rolle der Union, die im-
mer versucht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu er-
wecken, sie würde im Bundesrat kooperieren. Als Herr
Eichel vor zwei Jahren das Steuervergünstigungsabbau-
gesetz vorlegte, in dem alle Maßnahmen bis auf das letz-
ten Komma klipp und klar beschrieben waren,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war ein Steuererhöhungsgesetz!)


da hat die Union insgesamt sechs Monate Zeit ge-
braucht, um zu entscheiden, dass sie diesem Gesetz nicht
zustimmen möchte. Das alleine hat also schon viel Zeit
gekostet. Unabhängig davon haben Sie natürlich eine
strukturelle Entlastung in Höhe von 17 Milliarden Euro
für die gesamte öffentliche Hand verhindert, die drin-
gend nötig gewesen wäre. Mit der Umsetzung dieses
Steuervergünstigungsabbaugesetzes hätten wir einen
Teil unseres strukturellen Defizits in den Griff bekom-
men.

Aktuell höre ich zur Eigenheimzulage, dass die
Union einem Abbau erneut nicht zustimmen möchte.
Das ist weltfremd; denn aufgrund des demographischen
Wandels gehen die Bevölkerungszahlen zurück, sodass
– nicht nur im Osten – immer mehr Wohnungen leer ste-
hen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie hier vorge-
hen. Genauso wenig kann ich nachvollziehen, dass Herr
Stoiber deutlich gemacht hat, ein Subventionsabbau in
der Landwirtschaft komme für ihn nicht infrage. Ich
finde es unglaublich, dass Sie uns in archaischen Struk-
turen festnageln wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu dieser, wie ich finde, relativ perfiden Strategie, im-
mer wieder den Versuch zu unternehmen, die rot-grüne
Bundesregierung finanzpolitisch gegen die Wand knal-
len zu lassen, kommt hinzu, dass Sie zunehmend Muf-
fensausen entwickeln. Ich stelle das mit einer gewissen
inneren Zufriedenheit fest, weil es nämlich wirklich gro-
ßen Mut erfordert – SPD und Bündnis 90/Die Grünen
haben ihn bewiesen –, jemandem etwas wegzunehmen,
woran er sich gewöhnt hat. Das müssen wir hier und da
tun. Sie kriegen langsam Muffensausen. Nach Ihrem neo-
liberalen Rausch vom Herbst letzten Jahres, als Sie auf
Regionalkonferenzen Überlegungen zur Einführung ei-
ner Kopfpauschale angestellt haben, holt Sie die Realität
ein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Tabaksteuer!)

Wenn man sich einmal Ihr Existenzgrundlagen-

sicherungsgesetz – das war Ihr Vorschlag zum Arbeits-
losengeld II – anschaut,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war ein gutes Gesetz!)







(A) (C)



(B) (D)


Antje Hermenau

das Sie im Herbst des letzten Jahres anstelle von
Hartz IV vorgelegt haben, dann kann man die Unionsli-
nie erkennen, nämlich dass Sie den vollen Unterhalts-
rückgriff wollen. Das heißt, Kinder haften für ihre Eltern
und Eltern haften für ihre Kinder. Das ist Sippenhaft im
Falle von Arbeitslosigkeit.

Sie wollten, dass das Auto verkauft werden muss.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie disqualifi zieren sich gerade, Frau Kollegin!)

Wir sind der Meinung, dass die Menschen ein Auto
brauchen, weil sie sonst keine Arbeit finden. Sie wollten
die Zuverdienstmöglichkeiten auf null herunterfahren.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)


Vielleicht haben ein paar ostdeutsche Abgeordnete in Ih-
ren Reihen begriffen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten
enorm wichtig sind, damit Hartz IV im Osten überhaupt
funktionieren kann.

Aber nein, Sie kneifen. Herr Milbradt war sogar da-
für, Ihre viel schärfere Variante umzusetzen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Er hat sich deswegen gegen Hartz IV und für das Exis-
tenzgrundlagensicherungsgesetz im Bundesrat ausge-
sprochen. Dann hat er aber mitbekommen, dass die Zu-
verdienstmöglichkeiten in einem Land wie Sachsen, wo
es so viele Arbeitslose gibt, eine Rolle spielen könnten,
und er hat sich aufgeschwungen, eventuell an einer
Demo teilzunehmen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Opportunist!)


Ich sage Ihnen: Mich ärgert das. Wir brauchen viel
mehr mutige ostdeutsche Politiker, die in der Lage sind,
sich in ihren eigenen Parteien durchzusetzen. Herr
Milbradt hat weder Herrn Koch noch Herrn Stoiber ge-
stoppt. Deswegen haben Sie eine so schlechte Grundlage
für den Kompromiss geliefert. Die Auswirkungen müs-
sen wir jetzt ausbaden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit Sie nicht denken, ich würde einfach nur von
den mutigen ostdeutschen Politikern daherreden, will ich
Ihnen sagen: Ich habe gegen den Willen meiner Frak-
tionsspitze damals gegen das Maßstäbegesetz zum Län-
derfinanzausgleich gestimmt, das die entsprechenden
Berechnungsformeln beinhaltet, weil ich der Meinung
war, dass es für die ostdeutschen Kommunen und für die
ostdeutschen Länder eine große Benachteiligung dar-
stellt. Man kann sich als ostdeutscher Politiker innerhalb
seiner Partei und Fraktion schon trauen, seine eigene
Meinung durchzuhalten.

Kommen wir zu Herrn Merz. Er ist mit einer, wie ich
finde, interessanten Vorlage gestartet, was das Thema
Subventionsabbau im Steuerrecht betrifft. Was ist da-
raus geworden? Es gab in Bayern eine Beerdigung zwei-
ter Klasse.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch nicht der Landtag, Frau Kollegin!)

Herr Austermann hat sich vorhin künstlich darüber
aufgeregt, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktmaßnah-
men, der ABM, und im Bereich der GA bzw. der Infra-
strukturförderung Kürzungen vornehmen. Erstens war
die Rückführung der Mittel für ABM immer ein gemein-
sames Diskussionsgut im Haushaltsausschuss,


(Joachim Poß [SPD]: Eine Forderung in den Reihen dort drüben! Von Merz: Alles abschaffen! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Forderung der Union!)


weil klar geworden war, dass ABM keine Dauerlösung
der strukturellen Arbeitslosigkeit darstellen. Zweitens
haben die Kürzungen im Bereich der Infrastrukturförde-
rung etwas mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun. Man
kann nicht auf der einen Seite einen Ministerpräsidenten
der Union wie Herrn Koch – er gehört ja wahrscheinlich
noch zur Union – vorschicken und im Hinblick auf den
Subventionsabbau eine kleine Vorzeigeliste erstellen las-
sen und hinterher auf der anderen Seite so tun, als ob ge-
nau diese Kürzungen nicht hinhauen würden. Herr
Austermann, Sie beklagen immer die gesunkene Investi-
tionsquote im Haushalt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

Auch das hat mit der Koch/Steinbrück-Liste zu tun; Sie
wissen das ganz genau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil wir gerade dabei sind, Dinge aufzuarbeiten, die
deutlich machen, wer alles am wirklichen Leben vorbei-
denkt:


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar ziemlich weit vorbei!)


Ich habe darüber nachgedacht, wie das Steuersenkungs-
konzept der FDP mit dem zusammenpasst, was Herr
Koppelin gerade mit bedeutungsschwangerem Tremolo
in der Stimme vorgetragen hat. Ich würde es vorziehen,
wir würden uns in Wirtschaftsberatungs- und Steuerbe-
ratungsfragen auf die Lobbyisten verlassen. Für Ihre
Partei müssten wir dann vielleicht eine andere Aufgabe
finden.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben in der letzten Zeit versucht, sich mit dem
Nachhaltigkeitsdeckmäntelchen zu behängen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Hermenau, platt für jemanden, der auf der Flucht nach Sachsen ist!)


Sie haben versucht, deutlich zu machen, dass Sie in Zu-
kunft mehr Kompetenz in der Ökologie und im Umwelt-
schutz zeigen wollen. Echte Nachhaltigkeit – ich spreche
da aus der Praxis – braucht einen langen Atem, Geduld,
Zähigkeit und Klarheit in der Meinung. Dies müsste man
dann auch länger als ein halbes Jahr durchhalten. Sie ha-
ben am 19. Dezember 2003 Hartz IV zugestimmt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Grünen auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Antje Hermenau

Ihre Truppenteile in Sachsen tun so, als ob das nicht so
wäre, und behaupten, sie seien gegen Hartz IV. So kann
man nicht arbeiten!

Was die rot-grüne Koalition in den letzten fünf Jahren
geschafft hat – darauf bin ich sehr stolz –, ist die Stigma-
tisierung der Verschuldung. Es ist in Deutschland nicht
mehr, wie es in den letzten 25 Jahren und besonders
während Ihrer Regierungszeit zur Gewohnheit wurde,
ganz normal und selbstverständlich, dass man Schulden
aufnimmt, weil das mit dazugehört. Diese Denkschule
hat in Deutschland ausgedient.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie machen aber einfach Schulden!)


Dieser Realität werden auch Sie sich stellen müssen,
wenn Sie in der nächsten Zeit zufällig an die Regierung
kommen sollten.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nicht zufällig!)


Denn die Bevölkerung hat mehrheitlich akzeptiert, dass
Verschuldung kein Weg ist, der in die Zukunft führt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bravo! – Jürgen Koppelin [FDP]: Allseits Zustimmung! Sehr gut!)


– Liebe Kollegen, wir alle kennen uns schon länger:
Bitte kein Pharisäertum!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wenn Sie Eichel kritisieren, haben Sie unsere Unterstützung!)


Wir waren gerade bei den Dauerbaustellen. Das Ren-
tensystem, das im Wesentlichen entweder eine sozial-li-
berale oder eine christlich-liberale Ausgestaltung erfah-
ren hat, hinkt 30 Jahre hinter den Realitäten in diesem
Land hinterher.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Nun kann man das Rentensystem aus Vertrauensschutz-
gründen nicht zu einer Grundrente ummodellieren; dem
kann ich folgen. Aber das heißt natürlich trotzdem, dass
man weiter daran arbeiten muss.

Ich mache es nachher im Hinblick auf die Verschul-
dung insgesamt noch einmal deutlich: Es kann nicht
sein, dass wir die implizite Verschuldung immer ver-
schweigen. Wir regen uns über den ausgewiesenen
Schuldenstand in Höhe von 66 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts auf. Dazu kommt aber die implizite Ver-
schuldung von 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,
wenn man die Verpflichtungen in Bezug auf die Pensio-
nen für Beamte und unsere Rentenverpflichtungen mit
einrechnet. Das ergibt eine unglaublich hohe Summe.
Das sind insgesamt mehr als 7 000 Milliarden Euro
Schulden, die wir alle eigentlich noch verdienen müssen,
weil dieses Geld nicht auf der Bank gelagert ist. Ich halte
dies für ein großes Problem, das immer totgeschwiegen
wird. Wir halten uns hier mit Debatten auf, in denen Sie
von der Opposition Nickeligkeiten vortragen, anstatt
dass Sie tatkräftig mit anpacken, das Problem, das Sie
selber mit geschaffen haben, abzutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe davon gesprochen, dass wir im Bund eine
Ausgabenstruktur haben, die massiv davon abhängt, wie
die Konjunktur verläuft. Wie gesagt, in den fetten 70er-
Jahren konnte man es sich vielleicht leisten, einen ris-
kanten Haushalt aufzustellen. Aber den Haushalt umzu-
steuern – das erkennen wir alle selbst – ist ausgespro-
chen schwer. Wenn die Lohnnebenkosten den Faktor
Arbeit bestimmen, wenn die sozialen Sicherungssysteme
die Beschäftigungssituation bestimmen, dann brauchen
wir als Erstes Arbeitsmarktreformen, damit der Bundes-
haushalt nicht mehr so konjunkturanfällig ist.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Na, na, na! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber nicht nur reden! Tun!)


Diese Arbeitsmarktreformen haben wir durchgeführt,
obwohl Sie beim Kompromiss des Vermittlungsaus-
schusses den Hinzuverdienstmöglichkeiten der Men-
schen nicht zustimmen wollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie das Herrn Schreiner und Herrn Lafontaine!)


Die explizite Verschuldung – das hatte ich gesagt –
beträgt offensichtlich 66 Prozent des BIP. Aber wenn Sie
sich einmal anschauen, was an Renten und Pensionen
noch hinzukommt, dann ist es eine unglaubliche Ver-
harmlosung des Problemes, wenn Ministerpräsident
Stoiber aus Bayern sagt: Spart 5 Prozent der Verwal-
tungsausgaben ein! Das ist eine Verharmlosung des Pro-
blems, man könnte es auch als Nebelkerzenwerfen be-
zeichnen, aber so weit will ich gar nicht gehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten hat er offensichtlich den Kern des Problems
nicht erkannt und seine Lösungsansätze nicht verfolgt.
Er brüstet sich immer damit, ein großer Finanzexperte zu
sein. Wenn er das wäre, könnte er einen solchen Vor-
schlag nicht machen. Das ist wirklich eine Verdum-
mungsstrategie. Die Menschen werden in dieser Frage
verdummt und können nicht erkennen, worauf es wirk-
lich ankommt: Wir müssen uns den in Zukunft fälligen
Zahlungsleistungen, auch denen der Rentenkasse, stel-
len.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist typisch Bayerische Staatsregierung!)


– Ich kenne mich mit Herrn Stoiber nicht so genau aus,
aber ich habe gerade aus berufenem Mund gehört, das
sei öfter so.

Es bleibt noch die Frage der Reform des Stabilitäts-
paktes offen. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich






(A) (C)



(B) (D)


Antje Hermenau

mich immer dafür stark gemacht habe, dieses Regelwerk
so streng wie möglich zu befolgen. Ich bin auch weiter-
hin der Meinung, dass das nötig ist; das ist gar keine
Frage. Den Vorschlägen, die bisher vonseiten der Kom-
mission zu mir gedrungen sind, habe ich entnommen,
dass es bei den bisherigen Kriterien – maximal 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts Neuverschuldung und 60 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts Gesamtverschuldung –
bleiben soll. Ich finde es richtig, dass wir bei dieser For-
mel bleiben.

Ich habe darüber hinaus gehört, dass man versuchen
will, den Ländern, die große Schwierigkeiten bei der
Umstellung haben – wir merken das gerade in der
Politik –, beim Defizitverfahren entgegenzukommen.
Das kann ich nachvollziehen und akzeptieren; das halte
ich für richtig. Das Entgegenkommen ist sehr vernünftig
ausgehandelt worden; denn im Gegenzug dafür bekom-
men wir eine strengere Überwachung der nationalen
Staatshaushalte in wirtschaftlich guten Zeiten. Darauf
kam es eigentlich immer an. Es kann nicht sein, dass ein
Land, wenn sein Wachstum einmal 2 Prozent oder
2,5 Prozent ausmacht, sofort beginnt, sich weiter zu ver-
schulden, oder Reformen aussetzt,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Diese Probleme hätten wir gern!)


nach dem Motto: Wir haben jetzt mehr Wachstum und
mehr Geld, die Reformen sind nicht mehr nötig.

Ich sage immer salopp: John Maynard Keynes und
Adam Smith sind längst tot. Beide haben in ihren Wirt-
schaftsmodellen zwei Aspekte nicht berücksichtigen
können, weil es sie zu ihrer Zeit noch nicht gab. Das eine
ist die demographische Entwicklung in Europa – die
Bevölkerungszahlen sind rückläufig –, das zweite ist die
globalisierte Wirtschaft. Diese beiden Aspekte sind in
ihren Wirtschaftsmodellen noch nicht unterstellt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Für Adam Smith würde ich das in Abrede stellen!)


Europa steht vor der Aufgabe, selber eine neue Wirt-
schafts- und Finanzstrategie zu entwickeln. Das halte ich
für eine ganz große Herausforderung. Ich glaube auch,
dass die Europäer dem gewachsen sind. Wer jetzt Angst
hat, es könnte zu einer Verwässerung des Stabilitätspak-
tes kommen, dem sei gesagt: Im ersten Halbjahr 2005
soll auf EU-Ebene reformiert werden. Die meisten, die
sich für dieses Thema interessieren, kennen Monsieur
Jean-Claude Juncker und wissen, dass er zuverlässiger
Architekt des alten Vertrags gewesen ist. Jean-Claude
Juncker wird dem Ecofin, dem Rat der Finanzminister
der Nationalstaaten der Europäischen Union, vorsitzen.
Das heißt, derjenige, der als wesentlicher Architekt des
ersten Vertrags galt, wird auch dafür sorgen, dass die Re-
form im Geiste des ersten Vertrags durchgeführt wird.
Für mich ist das Vertrauensbeweis genug. Da Sie das er-
heitert, möchte ich Ihnen sagen: Herr Juncker ist, glaube
ich, ein konservativer Politiker. Ich möchte ihn nicht rot-
grünen Verdächtigungen aussetzen.

Wem das als Autoritätsbeweis noch nicht genügt, dem
sei hinzugefügt, dass der Verwaltungs- und Beamtenap-
parat, der früher Herrn Solbes beraten hat, jetzt auch
Herrn Almunia beraten wird. Dieser Beamtenapparat
hat erkennen lassen, dass er die Reformbemühungen, die
jetzt auf europäischer Ebene anstehen, durchaus im
Geiste der ersten Vereinbarung von Maastricht sieht. Für
mich ist das Autoritätsbeweis genug.

Wem das aber immer noch nicht genügt – Sie aufsei-
ten der Union lästern immer noch herum –, sei gesagt:
Herr Braun vom DIHT, der kein verdächtiger rot-grüner
Linker ist, hat deutlich gemacht, dass jetzt endlich ein
brauchbarer Vorschlag vorliegt, der der Wiederbelebung
des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf europäischer
Ebene dienen kann. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512101100

Frau Kollegin Hermenau, ich höre aus den Reihen Ih-

rer eigenen Fraktion, dies sei Ihre letzte Rede in Ihrer
Funktion als Haushaltssprecherin Ihrer Fraktion gewe-
sen,


(Beifall des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ CSU])


weil Sie mit Blick auf einen bevorstehenden Wahlgang
an anderer Stelle mit noch nicht gänzlich klarem Aus-
gang so oder so andere Aufgaben übernähmen.

Nun vermute ich – streng überparteilich –, dass diese
Nachricht wie andere ähnliche von den einen begrüßt
und von den anderen bedauert wird.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jedenfalls bin ich sicher: Beide Seiten werden Sie ver-
missen.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

Dass Sie im Übrigen in einer Haushaltsdebatte die

von der Fraktion zugedachte Redezeit nicht ausschöp-
fen, setzt ein einsames Signal, das ich als lobendes Bei-
spiel für die folgenden Beiträge dieser Woche ausdrück-
lich hervorheben möchte.

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Michael
Meister für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1512101200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich glaube, wir kön-
nen in dieser Debatte feststellen: Der Bundeshaushalt ist
aus den Fugen geraten. Ich habe – um das Beispiel der
Kollegin Hermenau aufzugreifen, die von einer Bau-
stelle gesprochen hat – in dieser Debatte den Eindruck
gewonnen, dass wir uns in der Tat auf einer Baustelle be-
finden, aber den Regierungsfraktionen von SPD und
Grünen der Bauplan verloren gegangen ist. Ihnen ist die
Orientierung verloren gegangen. Sie wissen nicht, wie
Sie auf dieser Baustelle vernünftig weiterarbeiten wol-
len. Das hat diese Debatte zum Ausdruck gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

Blicken wir auf die Einnahmenseite, stellen wir fest,

dass die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zu-
rückbleiben. Das gilt insbesondere für die Mineralöl-
steuer. Wer hat denn die fünf Stufen der Ökosteuer in
diesem Hause eingeführt und auf eine starke Erhöhung
der Mineralölsteuer gesetzt? Das gilt auch für die Um-
satzsteuer sowie zuletzt für die Tabaksteuer. Sie haben
versucht, über Steuererhöhungen mehr Steuern einzu-
nehmen. Tatsächlich haben diese Steuererhöhungen aber
zu einem niedrigeren Aufkommen geführt. Dafür sind
Sie und Ihre Politik verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Schauen wir einmal auf die Ausgabenseite: Hier

muss man deutlich feststellen, dass Sie seit fünf Jahren,
seit Herr Eichel im Amt ist, nicht in der Lage sind, die
Ausgabenseite in den Griff zu bekommen. Es war vorhin
bemerkenswert, dass er von seinen Vorgängern sprach,
dabei aber einen, nämlich seinen direkten Vorgänger,
einfach unterschlagen hat.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Aus gutem Grund!)


Es geht um denjenigen, der die Ausgaben innerhalb we-
niger Monate um mehr als 20 Milliarden D-Mark erhöht
hat. Diesen Basiseffekt auf der Ausgabenseite des Bun-
deshaushalts werden wir nie wieder korrigieren können.
Das ist eine Altlast von Oskar Lafontaine. Das haben Sie
damals mitgetragen. Heute ist Oskar Lafontaine bei Ih-
nen nicht mehr ganz so populär und wird nicht mehr so
unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Es waren alle dabei!)


Im Zusammenhang mit der Ausgabenseite möchte ich
auf eines, was mich wundert, hinweisen: Wir haben im
Frühjahr 2003 ein Haushaltssicherungsgesetz gefor-
dert, um den Bundeshaushalt 2003 und die Folgehaus-
halte mit einer niedrigeren Ausgabenseite zu versehen.
Sie haben das damals abgelehnt und bis zum Jahresende
gewartet, als bereits die hohen Ist-Zahlen vorlagen. Sie
haben unsere ausgestreckte Hand ausgeschlagen.

Im Frühjahr dieses Jahres haben wir Ihnen erneut das
Angebot gemacht, mit uns gemeinsam ein Haushaltssi-
cherungsgesetz und einen Nachtragshaushalt zu be-
schließen. Sie haben unser Angebot, gemeinsam mit uns
Ausgabensenkungen zu beschließen, wieder ausgeschla-
gen. Ich wundere mich über Ihre Vorgehensweise. Sie
sagen, Sie kämen mit dem Bundeshaushalt nicht zu-
rande, schlagen aber die Angebote der Opposition zur
Haushaltskonsolidierung aus. Das ist unseriös und hier
haben Sie etwas nachzuliefern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, ein paar

Worte zum Stabilitäts- und Wachstumspakt in Europa zu
sagen. Die Defizitmeldung für das erste Halbjahr dieses
Jahres für Deutschland lautet 4,0 Prozent. Herr Eichel
hat für dieses Jahr ein Defizit von 3,7 Prozent nach
Brüssel gemeldet.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo ist der eigentlich?)


Für das nächste Jahr, für 2005, wird bereits wieder an-
gekündigt, dass alles im grünen Bereich sei, dass wir im
Jahre 2005 keine Probleme mit dem Maastricht-Vertrag
bekämen. Damit bin ich bei Ihrem ersten Fehler: Sie ma-
len die Welt ständig viel zu rosarot. Sie gehen ständig
von viel zu positiven Prognosen aus, die Sie dann nicht
einhalten können, und zeigen sich dann überrascht. Keh-
ren Sie endlich zur realistischen Einschätzung der Lage
zurück und bauen Sie die Haushalte und die Meldungen
nach Brüssel auf einer realistischen Basis auf. Dann
würden Sie auch nicht ständig Vertrauen in der deut-
schen und der internationalen Finanzpolitik verspielen.

Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo ist Eichel
denn? – Dietrich Austermann [CDU/CSU]:
Kriegt er die Entlassungsurkunde?)

Anstatt in dieser Situation über eine Reform oder eine
neue Interpretation des Maastrichtpakts zu diskutieren,
wäre es aus meiner Sicht dringend geboten, dass diese
Bundesregierung, dass dieser Bundesfinanzminister den
Vertrag von Maastricht zunächst einmal in Geist und
Wort verinnerlicht und versucht, das, was dort niederge-
legt ist, einzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir hätten kein Problem damit, wenn gesagt würde,

man wolle aus ökonomischen Gründen darüber nachden-
ken, ob man die eine oder andere Regelung des
Maastricht-Vertrages tatsächlich für vernünftig hält.
Auch dazu haben wir Ihnen zu Beginn der Sommerpause
einen Vorschlag gemacht. Wir hatten darum gebeten,
eine Sondersitzung der zuständigen Bundestagsaus-
schüsse durchzuführen, um die Frage zu behandeln, wie
wir in Bezug auf den Maastricht-Vertrag gemeinsam
vorgehen, um für unsere Währung, den Euro, wieder
eine solide Grundlage zu schaffen.

Wer dies nicht genehmigt hat, war das Bundestags-
präsidium, und wer nicht damit einverstanden war, wa-
ren die Koalitionsfraktionen. Es ist doch keine Form,
dass wir außerhalb des Parlaments über Maastricht dis-
kutieren, innerhalb des Parlaments aber die diesbezügli-
chen Sitzungen und Diskussionen abgelehnt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Nein, der Maastricht-Vertrag und die aus ihm resultie-
renden notwendigen Maßnahmen müssen von uns im
Parlament gemeinsam getragen werden.

Im Juni dieses Jahres traf der Europäische Gerichts-
hof eine wunderschöne Entscheidung mit Bezug auf die-
jenigen, die internationale Verträge bzw. europäisches
Recht gebrochen haben. Herr Koppelin hat zu Recht da-
rauf hingewiesen. Deutschland hat nämlich zum dritten
Mal in Folge das Defizit-Kriterium von 3,0 Prozent nicht
eingehalten. Nebenbei gesagt verletzten wir auch ein
zweites Kriterium, da die Gesamtverschuldung
Deutschlands mittlerweile 66 Prozent beträgt. Sie reden
von nachhaltiger Politik, während die Gesamtverschul-
dung dieses Landes ständig wächst. Frau Hermenau,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

Kollegen von der SPD, was hat es eigentlich mit nach-
haltiger Politik zu tun, wenn die Gesamtverschuldung
unseres Landes ständig wächst?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Sie wissen ja, dass 1,2 Billionen Schulden aus Ihrer Regierungszeit stammen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, aber dazu sagt er vorsichtshalber nichts!)


Im Juni dieses Jahres gab es also ein wunderschönes
Urteil des Europäischen Gerichtshofes, da diejenigen,
die wie unser Bundesfinanzminister bzw. unsere Bundes-
regierung europäisches Recht gebrochen haben, versucht
haben, den Sanktionen zu entkommen. Dieses Urteil des
Europäischen Gerichtshofs ist eine schwerwiegende Nie-
derlage für unseren Bundesfinanzminister.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Seien Sie doch ein bisschen patriotischer!)


– Herr Schmidt, das ist eine schwere Niederlage für un-
seren Finanzminister, weil er sich erneut rechtswidrig
verhalten hat. Patriotisch wäre es, wenn wir gemeinsam
versuchen, den Haushalt in Ordnung zu bringen und


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, gemeinsam!)


die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und den
Maastricht-Vertrag einzuhalten. Das wäre patriotisch,
Herr Schmidt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eben habe ich gesagt, dass wir auf der Ausgabenseite
dringend konsolidieren müssen. Ich will Ihnen aber auch
noch etwas zur Einnahmeseite sagen. Denn Ihre Be-
trachtung der Einnahmeseite ist statisch. Ihr Blick ist
rein fiskalpolitisch. Die sinkenden Einnahmen aus der
Tabaksteuer, der Umsatzsteuer und der Mineralölsteuer
habe ich vorhin angesprochen. Diese Umstände betrach-
ten Sie statisch und rechnen nicht damit, dass die Markt-
teilnehmer, wenn Sie die steuerlichen Rahmenbedingun-
gen verändern, darauf reagieren und dass sich durch die
Dynamik des Marktes auch das Steueraufkommen ver-
ändert, und zwar nicht im geplanten statischen Sinne,
sondern aus der Dynamik des Marktes.

Deshalb dürfen wir keine enge und mit Scheuklappen
versehene Fiskalpolitik betreiben. Vielmehr müssen wir
wieder einen Gesamtentwurf für die Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik entwickeln, in dem die Dynamik des Mark-
tes berücksichtigt wird. Die Philosophie kann deshalb
nicht lauten, weitere Steuererhöhungen, wie Sie sie pla-
nen, durchzuführen. Die Philosophie muss lauten: Be-
grenzung der Steuer- und Abgabenlast und mehr Aktivi-
tät im Bereich Wachstum und Beschäftigung.

Vorhin wurde das Thema Wachstum angesprochen.
Ich unterstütze den Bundesfinanzminister, wenn er sagt,
dass wir in diesem Land Wachstum brauchen. Das ist
richtig. Die Bundesregierung hat zu Recht die Umset-
zung des Lissabonziels vereinbart,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Daran erinnern sie sich nicht mehr!)


Europa bis zum Ende dieses Jahrzehnts zur wachstums-
stärksten Region der Welt zu machen. Obwohl Sie sich
zu diesem richtigen Ziel bekannt haben, vermisse ich,
dass Sie in diesem Hause die Maßnahmen vortragen, die
dafür sorgen, dass Deutschland vom Ende an die Spitze
der EU gelangt und zu einer Lokomotive für den Lissa-
bonprozess wird, und die dafür sorgen, dass Deutschland
und Europa tatsächlich die Wachstumslokomotive wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Dazu ist bei Ihnen nichts zu erkennen. Sie wecken wie-
der Erwartungen voller rosaroter Wolken, betreiben aber
keinerlei reale Politik.


(Lothar Mark [SPD]: Sie blockieren alles über den Bundesrat!)


Als Sie damals die vier Hartz-Gesetze angekündigt ha-
ben, haben Sie uns in Aussicht gestellt, dass die Anzahl
der Arbeitslosen in diesem Land innerhalb von drei Jah-
ren um 2 Millionen zurückgehen würde. Wir haben jetzt
zwei Drittel dieser Zeit hinter uns. Die Anzahl der sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigten ist um 1,1 Millio-
nen gesunken. Wenn Sie das Ziel der Hartz-Gesetze, das
Sie im Jahre 2002 formuliert haben, noch erreichen wol-
len, müssten Sie in den nächsten 12 Monaten – über die-
sen Zeitraum reden wir ja – über 3 Millionen Arbeits-
plätze schaffen.

Der eigentliche Schlüssel ist, dass es, verursacht
durch Ihre Politik, immer weniger Steuer- und Beitrags-
zahler gibt. Vorhin habe ich gehört, dass die Steuer- und
Abgabelast niedrig sei. Aber man muss auch sehen, dass
Sie ständig die Bemessungsgrundlage verändern. Es gibt
nämlich immer weniger Steuer- und Abgabenzahler.
Wenn es aber weniger Steuer- und Abgabenzahler gibt,
dann ist relativ klar, was dabei herauskommt: Immer we-
niger Menschen müssen immer mehr zahlen. Es ist eben
nicht so, dass alle weniger zahlen, sondern weniger
Leute, die tatsächlich Leistung bringen wollen und leis-
tungsfähig sind, werden in unserem Land höher belastet.
Deshalb sind unsere Arbeitsplätze in Deutschland nicht
mehr wettbewerbsfähig. Das ist doch das Problem. Der
Herr Bundesfinanzminister hat vorhin leider überhaupt
nichts dazu gesagt, dass wir dringend Nachholbedarf ha-
ben, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze am Standort
Deutschland zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein Kennzeichen Ihrer Politik – ich habe vorhin von
fehlender Orientierung gesprochen – ist die Tatsache,
dass Sie ständig Verunsicherung verbreiten und dass Ihre
Politik kein Vertrauen bei den Menschen genießt. Ich
will das an dem Beispiel Eigenheimzulage deutlich ma-
chen. Wir haben mit Ihnen – der Kollege Austermann
hat darauf hingewiesen – das Volumen der Eigenheimzu-
lage im Dezember 2003 um 30 Prozent gekürzt und da-
mit ein deutliches Signal für Subventionsabbau gegeben.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

Wir haben an dieser Stelle eine neue Struktur der Förde-
rung eingeführt, die zielgenauer greifen soll. Wir haben
das vor dem Hintergrund des Koch/Steinbrück-Papiers
getan, nach dem drei Jahre hintereinander um jeweils
4 Prozent gekürzt werden sollte. Was machen Sie jetzt?
Von diesen drei Jahren sind noch keine sechs Monate um
und Sie greifen erneut die Eigenheimzulage an. Sie ver-
unsichern alle Beteiligten im Baubereich und wundern
sich, dass die Beschäftigtenzahl im Bausektor während
Ihrer Regierungszeit um nahezu 50 Prozent gesunken ist.
Das liegt ein Stück weit an der Verunsicherung, die Sie
verbreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Verlässlichkeit wäre notwendig. Verlässlichkeit heißt:

wenigstens für drei Jahre einmal die Finger davon lassen
und klare Rahmenbedingungen vorgeben. Sie haben bin-
nen drei Jahren dreimal an der Eigenheimzulage herum-
operieren wollen und jedes Mal hatten Sie für das Geld,
das Sie dort vereinnahmen wollten, neue Verwendungs-
zwecke. Das zeigt, dass Sie nicht nur Verunsicherung
verbreiten und Vertrauen nehmen, sondern dass Sie diese
Diskussion auch noch vollkommen unehrlich führen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben nicht nur den Menschen das Vertrauen ge-

nommen und sie verunsichert, Sie haben ihnen auch die
finanziellen Spielräume genommen. Wir haben bei der
Einkommensteuer zwar faktisch die Steuersätze gesenkt
– ich bin ausdrücklich dafür, dass wir auch weitergehen
und die dritte Stufe, wie sie im Gesetzblatt steht, realisie-
ren und nicht eine neue Debatte anfangen, ob die steuer-
lichen Rahmenbedingungen denn richtig sind; lassen
wir die Rahmenbedingungen endlich einmal unverändert
und setzen wir diese dritte Stufe um –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

aber es gibt nicht nur die Einkommensteuer, sondern
auch die Verbrauchsteuern. Was haben Sie bei den Ver-
brauchsteuern gemacht? Überall haben Sie erhöht und
damit den Menschen massiv Spielräume genommen.
Das kommt zusammen und dann ist es kein Wunder,
dass die Nachfrage im Binnenmarkt nicht gegeben ist,
die der Bundesfinanzminister so anmahnt.

Jetzt hat der Herr Poß – er ist leider nicht im Raum,
ich will es aber dennoch erwähnen – darauf hingewie-
sen, man sei angetreten, Steuerschlupflöcher zu schlie-
ßen. Wer hat denn in diesen sechs Jahren das größte
Steuerschlupfloch geöffnet und dann mühsam mit unse-
rer Hilfe wieder schließen müssen, weil massiv Einnah-
men wegbrachen? Das war Ihre Reform der Körper-
schaftsteuer, bei der plötzlich massiv Steuermittel
abflossen, nicht verursacht von irgendwelchen Vorgän-
gern, sondern von dieser Bundesregierung. Das mussten
Sie korrigieren. Das heißt: Sie öffnen Steuerschlupflö-
cher und müssen sie dann dringend wieder schließen.
Auch das ist ein Kennzeichen Ihrer Politik: dass Sie
ständig Fehler Ihrer eigenen Regierungszeit korrigieren
müssen.

Ich will an dieser Stelle zwei Bemerkungen zur
Tabaksteuer machen. Bei der Tabaksteuer haben Sie ein
Mehraufkommen von 1 Milliarde Euro kalkuliert. Sie
wollten 1 Milliarde Euro mehr einnehmen, indem Sie
die Tabaksteuer – gegen unseren Willen – schnell, in
sehr hohen Schritten erhöhen wollten. Dem haben wir
reserviert gegenübergestanden, weil wir genau die
Marktreaktion vorhergesehen haben, nämlich dass die
Leute nicht auf das Rauchen verzichten – in Ihrem Ge-
setzentwurf gab es ja keine gesundheitspolitische Ziel-
setzung –, sondern in die Illegalität gehen und diese Ta-
bakwaren an der Steuer vorbei konsumieren. Genau dies
ist jetzt geschehen. Es ist wunderbar, dass sich die Haus-
haltspolitiker der Koalition heute Morgen einig waren
– wie man auf „tagesschau.de“ nachlesen kann –, die
zweite und dritte Stufe der Tabaksteuererhöhung abzu-
blasen. Nur stellt sich da natürlich in der Haushaltsbera-
tung die Frage: Was machen Sie denn mit den veran-
schlagten Einnahmen aus der zweiten und dritten Stufe
der Tabaksteuererhöhung? Ist das wieder so ein Schnell-
schuss, für den Sie keine Gegenfinanzierung haben? Wie
wollen Sie das überhaupt machen? Kehren Sie endlich
einmal zu einer planbaren, berechenbaren Politik zurück
– dann haben wir wieder eine vernünftige Grundlage –,
anstatt ständig Schnellschüsse aus der Hüfte abzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich halte nicht für gerechtfertigt, was der Bundes-

finanzminister zur Deckung der Mindereinnahmen vor-
schlägt: in die Krankenkasse zu greifen – die Kranken-
kassen konnten durch die Gesundheitsreform einen
Überschuss von 2,5 Milliarden Euro verzeichnen – und
sich dieses Geld für den Bundeshaushalt zu besorgen.
Das ist unanständig gegenüber der Versichertengemein-
schaft der gesetzlichen Krankenversicherung. Das wer-
den wir nicht mittragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben die Gemeinden erwähnt. Ich will nur ein-

mal darauf hinweisen, dass wir in diesem Jahr bezüglich
der Gemeinden eine Steueramnestie beschlossen haben.
Gemäß dieser Steueramnestie sollten Bund, Länder und
Kommunen 5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen erhal-
ten. Schauen wir uns das einmal an: Im ersten Halbjahr
waren es 224 Millionen Euro. Kein Mensch in diesem
Land glaubt mehr, dass wir die 5 Milliarden Euro bis
zum Ende der Frist erreichen. Wo ist an dieser Stelle die
Entlastung der Kommunen um 900 Millionen Euro? Es
gibt sie nicht. Bezüglich der Gewerbesteuerumlage
mussten wir Sie im Vermittlungsausschuss dazu zwin-
gen, die Kommunen zu entlasten. Durch Hartz IV wer-
den die Kommunen nicht, wie Sie ständig zu Unrecht sa-
gen, entlastet, sondern sie werden belastet. Auf eine
Gemeindefinanzreform wartet dieses Haus immer noch.

Da wir über die Steuerpolitik reden, will ich an dieser
Stelle sagen, dass wir unser Steuerkonzept, in dem wir
sowohl etwas zur Reform der Kommunalfinanzen als
auch zur Einkommen- und Körperschaftsteuer sagen, be-
reits in erster Lesung hier im Deutschen Bundestag vor-
gelegt haben. Es liegt jetzt im zuständigen Fachaus-
schuss. Wenn Sie tatsächlich zu einer vernünftigen
Lösung in der Steuerpolitik kommen wollen, dann grei-
fen Sie unseren Vorschlag an dieser Stelle auf und führen
Sie mit uns gemeinsam eine vernünftige Beratung durch.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

Dadurch können wir auch zu einer gemeinsamen Steuer-
politik kommen. Das Motto muss lauten: niedrigere
Steuersätze, Ausnahmetatbestände tatsächlich abschaf-
fen.

Herr Finanzminister, bezüglich der Ausnahmetatbe-
stände sind wir wirklich einer Meinung, aber man muss
das natürlich im Zusammenhang tun. Sie können nicht
nur – wie Sie das titulieren – Steuersubventionen strei-
chen, sondern zeitgleich müssen Sie auch den Tarif sen-
ken. Das gehört zusammen; das ist eine Einheit. Sie
haben eine Tarifsenkung angekündigt und die Gegen-
finanzierung erstellt. Als Sie gemerkt haben, dass die
Lücke nicht geschlossen werden kann, wollten Sie wei-
tere Gegenfinanzierungen durchführen. Das ist doch Ihr
übliches Vorgehen an dieser Stelle. Das ist unseriös und
eine falsche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kehren Sie zu dem zurück, was wir vorgelegt haben!

Wir haben hier ein Steuerkonzept vorgelegt. Daneben
liegen Konzepte für die Arbeitsmarktpolitik und die So-
zialreformen vor. Wir haben Ihnen angeboten, bei der
Haushaltskonsolidierung mit Ihnen zusammenzuarbei-
ten. Nehmen Sie diese Angebote an, dann haben Sie die
Chance, aus Ihrer jetzigen Lage herauszukommen. An-
sonsten glaube ich, dass der Eindruck der Kollegin
Hermenau, dass in Ihren Reihen eine Sehnsucht nach der
Opposition herrscht, relativ realistisch wiedergegeben
worden ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512101300

Nächster Redner ist der Kollege Jörg-Otto Spiller,

SPD-Fraktion.

Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1512101400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Haushaltsdebatte ist die Chance für die Op-
positionsfraktionen, darzulegen, welche Alternativen sie
zur Regierungspolitik haben.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Gar keine!)

Ich habe keine Alternativen gehört.


(Beifall bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Schon seit Jahren nicht! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er hat es an den Ohren!)


Herr Austermann, der jetzt davon träumt, in Schles-
wig-Holstein Finanzminister zu werden,


(Otto Fricke [FDP]: Viele Träume werden wahr!)


hat sich genauso wie sein Landsmann, Herr Koppelin, an
den § 1 des Schleswig-Holsteinischen Bergbaugesetzes
gehalten: Vor der Hacke ist es duster.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Mehr war von Ihnen leider nicht zu hören.
Herr Austermann, es ist ein Problem, dass Sie gar
nicht wissen, was zusammenpasst und was im Wider-
spruch zueinander steht. Das war auch ein Problem bei
der Vorstellung Ihres Schattenkabinetts in Kiel. Sie sag-
ten, Sie würden Beamtenstellen abbauen, während Sie
gleichzeitig aber neue Stellen für Staatssekretäre schaf-
fen wollten – wahrscheinlich im Finanzministerium; so
hatten Sie es ja wohl vorgesehen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sind wir beim Bundeshaushalt oder bei SchleswigHolstein?)


Herr Austermann, Sie haben uns hier verkündet, dass
Sie die Lücken im Haushalt durch Steuersenkungen
schließen wollen. Das war noch nicht richtig überzeu-
gend. Der Kollege Koppelin, der eine Weile über den
Haushalt und über die Probleme damit gesprochen hat
– ich fand das weithin seriös –,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist schon mal gut!)


verwies dann auf die Vorschläge des Kollegen Solms be-
züglich eines neuen Steuersystems. Das Resultat dieses
von der FDP vorgeschlagenen Steuersystems wären rie-
sige, kräftige Ausfälle bei den Steuereinnahmen. Wie
das zusammenpassen soll, müssen Sie uns vielleicht ir-
gendwie verständlich machen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Der Kollege Solms redet gleich nach Ihnen!)


Der Kollege Koppelin hat dann den schönen Satz ge-
sagt, die Einnahmeverbesserungen, die die Bundesregie-
rung und der Bundesfinanzminister Eichel erzielt haben,
seien nur Abkassierereien bei den Bürgern gewesen.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben sich wahrscheinlich
nur wenig mit dem Steueraufkommen in Deutschland in
letzter Zeit befasst. Wir haben bei der Einkommensteuer
und der Lohnsteuer eine massive Tarifsenkung gehabt.
Das hat die ganze breite Masse der privaten Haushalte
deutlich entlastet.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: War das bei der Ökosteuer?)


Es hat auch sehr viele, insbesondere auch mittelständi-
sche Unternehmen entlastet.

Es gibt allerdings auch Menschen in Deutschland, die
jetzt mehr Steuern zahlen als zu der Zeit, als Union und
FDP die Bundesregierung gestellt haben.


(Otto Fricke [FDP]: Alleinerziehende!)

Das liegt daran, dass die großen Scheunentore an
Steuerschlupflöchern, die Sie, Herr Kollege Koppelin,
für Ihre Klientelpolitik geöffnet haben, weithin geschlos-
sen sind. Ein Unikum, das nur einer unions- und FDP-
geführten Koalition zu verdanken ist: Das Finanzamt
Bad Homburg, das für die „Arme-Leute-Gegend“ west-
lich von Frankfurt am Main mit der höchsten Dichte an
Einkommensmillionären zuständig ist, hat 1997 bei der
veranlagten Einkommensteuer mehr erstattet als einge-
nommen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 1997: Wer hat da regiert?)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller

Inzwischen wird in Bad Homburg wieder ein positives
Aufkommen an Einkommensteuer erzielt. Das ist kor-
rekt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie ist das mit der Körperschaftsteuer?)


Bei der Körperschaftsteuer, Herr Kollege Koppelin,
haben Sie die wirklich schrullige Idee gehabt,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: „Schrullig“, das muss er gerade sagen!)


dass Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, steuer-
lich stärker belastet sein sollen als ausgeschüttete Ge-
winne. Wir haben eine vernünftige Reform der Körper-
schaftsteuer gemacht,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt kommt gar nichts mehr herein!)


damit die Gewinne, die im Unternehmen verbleiben,
steuerlich nicht stärker belastet werden als die ausge-
schütteten Erträge.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Minus 23 Milliarden!)


Viele Unternehmen haben sich die Steuerguthaben,
die zu Ihren Zeiten angesammelt worden sind, ausschüt-
ten lassen. Das hätten sie übrigens auch vorher machen
können. Aber die Unternehmen haben sich ihr Geld auf
diese Weise zurückgeholt. Inzwischen sprudeln die Gel-
der aus der Körperschaftsteuer wieder – das ist erfreu-
lich –, und zwar wegen einer Entscheidung, gegen die
Sie, Herr Kollege Austermann und Ihre Fraktion, zu-
nächst einmal heftig polemisiert haben. Es geht um die
– so sagen wir das – Mindestgewinnbesteuerung, bei
der ein Unternehmen, wenn es Gewinne macht, Verluste
aus früheren Jahren nur begrenzt geltend machen kann.
Diese Regelung ist nun wirklich positiv.

Ich möchte noch eine Bemerkung zum Steueraufkom-
men machen, weil das in der öffentlichen Debatte mit-
unter untergeht. Es geht um die Entwicklung des
Lohnsteueraufkommens und das Aufkommen bei der
veranlagten Einkommensteuer. In den meisten Steuer-
statistiken kommt bei der veranlagten Einkommensteuer
fast immer nur ein einstelliger Milliardenbetrag heraus,
während die Einnahmen aus der Lohnsteuer in der Grö-
ßenordnung von 125 oder 130 Milliarden Euro liegen.
Das ist eine verkürzte Darstellung; denn das ausgewie-
sene Kassenaufkommen bei der veranlagten Einkom-
mensteuer ist ein Saldo aus dem Bruttoaufkommen und
den Verrechnungen, beispielsweise der Erstattung an Ar-
beitnehmer, aber auch der Investitionszulagen oder der
berühmten Eigenheimzulage.

Das Bruttoaufkommen der veranlagten Einkommen-
steuer lag im vorigen Jahr bei einer Größenordnung von
37 Milliarden Euro. Für dieses Jahr werden gut 38 Mil-
liarden Euro erwartet. Das war immerhin rund ein Fünf-
tel mehr als vor zehn Jahren, während das Aufkommen
bei der Lohnsteuer, obwohl die Bruttolöhne und -gehäl-
ter gegenüber 1994 in der Summe um ungefähr
17 Prozent gestiegen sind, um 8 Prozent zurückgegan-
gen ist. Dies ist auf eine Entlastung der Bürger zurück-
zuführen. Genau das wollten wir.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mehr Arbeitslose und weniger Beschäftigte hat es gegeben!)


– Herr Michelbach, die Lohnsumme ist aber gestiegen.
Gegenüber dem Zeitraum von 1994 ist auch die Beschäf-
tigung nicht zurückgegangen. Ich hoffe, Herr Koppelin,
Sie wollen nicht zurück zu der Zeit, in der es sozusagen
im Belieben von Steuerkünstlern stand, ob sie dem Ge-
setz folgen oder nicht.


(Joachim Poß [SPD]: Doch, das wollen die! Das sind doch die Anwälte der Steuerkünstler!)


Eine Bemerkung noch zu dem Kollegen Meister. Er
hat aus guten Gründen wenig zur Steuerpolitik der
Union gesagt. Da sind Sie sich ja auch noch nicht ganz
einig.


(Lothar Mark [SPD]: Wo sind sie sich einig? Die sind sich doch nirgends einig!)


Das ist aber auch in Ordnung, denn Sie haben ja noch
viel Zeit, um sich zu verständigen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Nehmen Sie sich ruhig die Zeit. Ich glaube sogar, je in-
tensiver Sie diese interessante Diskussion führen, desto
mehr Zeit werden Sie noch haben. Das ist eigentlich eine
gute Linie.

Sie haben ein paar Bemerkungen zu den gesamtwirt-
schaftlichen Auswirkungen und zu Maastricht gemacht.
Zunächst einmal ist bei diesem Haushaltsentwurf festzu-
stellen: Wir haben in dem Zeitraum seit 1999 im Durch-
schnitt jährlich einen nominalen Anstieg der Ausgaben
um rund 1 Prozent. Das heißt, real sind die Ausgaben
nicht gestiegen. Wir haben eine sehr zurückhaltende
Ausgabenpolitik betrieben. Diese Entwicklung wird zu
Recht mit dem Stichwort Konsolidierung beschrieben.

Wir haben allerdings bei den Bemühungen, Steuer-
schlupflöcher zu schließen, Subventionen zu kürzen und
Steuervergünstigungen abzubauen, immer wieder gegen
Ihren Widerstand angehen müssen. Herr Meister hat an-
gekündigt, das solle sich ändern. Ich bin gespannt. Bis-
her war das noch nicht erkennbar.

Aber ich sage Ihnen: Das wird eine wichtige Aufgabe
sein, nicht nur in diesem Hause, sondern auch im Bun-
desrat. Der Bundesrat ist ein Bundesorgan und muss des-
halb die gemeinsame Verantwortung für diesen Bundes-
haushalt mittragen. Dazu gehört eben gerade auch der
Abbau von Vergünstigungen und ungerechtfertigten Sub-
ventionen. Wir könnten bei der Konsolidierung unseres
Haushalts weiter sein, wenn die Mehrheit im Bundesrat
konstruktiver wäre. Ich hoffe, Sie haben ein Stück Ein-
fluss, Herr Meister, und vielleicht auch den Willen – der
ist ja nicht immer erkennbar –, dazu beizutragen.

Wir sind jedenfalls auf einem guten Wege und wir
werden den klaren Kurs von Hans Eichel, den Dreiklang






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller

aus Konsolidierung, aus Strukturreformen und aus
Wachstumsimpulsen weiter stützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512101500

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto

Solms für die FDP-Fraktion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512101600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, in der
heutigen Lesung aus Hans Eichels gesammelten Mär-
chen, Band 6 – der stand ja heute an –, einiges Neues zu
vernehmen. Aber nachdem schon die Bände 1 bis 5 im
Bereich der Märchen geblieben sind und die angekün-
digten Zahlen sich niemals realisiert haben, hat Herr
Eichel heute versucht, sich mit einem gewissen Ge-
schick und mit großer Redegeschwindigkeit an den ei-
gentlichen Problemen vorbeizumogeln.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Herr Solms, denken Sie an Ihre Parteikasse!)


Über den Haushalt habe ich nicht viel gehört. Daran hat
er auch gut getan, weil sich auch diese Haushaltszahlen
im nächsten Jahr wiederum nicht einstellen werden und
auch gar nicht einstellen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Rahmen der Analyse der ökonomischen Situation
hat Herr Eichel allerdings einige Bemerkungen gemacht,
die teilweise richtig, teilweise aber eben auch falsch wa-
ren. Insbesondere sagte er: Kein Wachstum ohne solide
Staatsfinanzen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
genau das Gegenteil ist richtig: Keine soliden Staatsfi-
nanzen ohne Wachstum. Die Frage ist nicht: Wie kann
ich durch Sparen den Haushalt in Ordnung bringen? Die
Frage ist vielmehr: Wie kann ich durch eine Dynamisie-
rung der Wirtschaft und durch mehr Beschäftigung die
Ausgaben einschränken und die Einnahmen erhöhen und
damit auch die Haushalte konsolidieren?


(Beifall bei der FDP)

Die Antworten darauf haben Sie, Herr Eichel, ver-
schwiegen oder Sie wissen sie nicht. Jedenfalls hat die
rot-grüne Regierung in den entscheidenden Fragen die
entscheidenden Weichenstellungen nicht vorgenommen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Es sind eigentlich drei Punkte, um die es geht. Hartz IV
ist im Kern richtig. Das haben wir nie bestritten. Das ist
aber nur eine Seite der Medaille. Es geht nicht nur da-
rum, diejenigen, die Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe
beziehen, zu bewegen, in den Arbeitsmarkt zurückzu-
kehren, sondern Sie müssen auf der anderen Seite den
Arbeitsmarkt auch öffnen. Das ist nicht in der notwendi-
gen Form geschehen.


(Beifall bei der FDP)

Heute Abend wird der Bundeskanzler – das habe ich
dem Fernsehen entnommen – mit den Gewerkschafts-
führern zusammentreffen. Das wäre der Zeitpunkt, Herr
Eichel – ich weiß nicht, ob Sie eingeladen sind –, den
Gewerkschaftsführern zu sagen: Es muss mit den starren
Tarifverträgen Schluss sein. Das ist in der offenen
Weltwirtschaft völlig unrealistisch. So bekommen wir
keine neuen Arbeitsplätze.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist alles viel flexibler, als Sie es darstellen!)


Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt, Herr Schmidt, ist die Senkung der

Lohnzusatzkosten, um die Arbeitsplätze zu entlasten.
Das heißt Reform der Gesundheitspolitik, der Rentenpo-
litik und der Pflegeversicherung. Wir dürfen nicht, wie
Sie es wollen, in ein staatliches Einheitssystem,


(Lothar Mark [SPD]: Kopfpauschale!)

das aus einer Einkommensteuer II finanziert wird. Ei-
nige von Ihnen haben bereits erkannt, dass das ein Irr-
weg ist. Was wir brauchen, sind Wettbewerb, Privatisie-
rung und Eigenverantwortung.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. HansJoachim Fuchtel [CDU/CSU])


Das heißt, dass die Arbeitskosten von den Sozialkosten
getrennt und die Arbeitsplätze auf die Weise finanziell
entlastet werden.

Der dritte Punkt – das ist das eigentliche Thema in
dieser Debatte – ist die Steuerreform. Sie müssen die
Anreize für Investitionen, aber auch für den Konsum
durch einfache und niedrige Steuern stärken.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Genauso ist es!)


Wir sind keine geschlossene Volkswirtschaft, sondern
wir bewegen uns in der offenen Weltwirtschaft. Wir
müssen uns dem Wettbewerb und der Tatsache stellen,
dass die um uns liegenden Industriestaaten eine niedri-
gere Steuerbelastung haben. Sie können machen, was
Sie wollen: Diesem Wettbewerbsdruck können Sie sich
nicht entziehen. Also ist eine Steuerreform zwingend
notwendig, und zwar mit einer Steuerentlastung.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


Wir entziehen uns überhaupt nicht der Verantwortung,
Steuersubventionen und andere Subventionen zu kürzen
oder konsequent zu streichen – aber nicht, Herr Eichel,
um Ihre Schulden zu finanzieren, sondern um die Bürger
und die Wirtschaftssubjekte zu entlasten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nur so wird volkswirtschaftlich ein Schuh daraus. Wir
haben die konsequente Abschaffung aller steuerlichen
Subventionen in unserem Steuerreformkonzept vorgese-
hen. Die Eigenheimzulage, die keine Steuersubvention
ist, würde auch dazugehören.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Natürlich!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms

Nur dann wird daraus die Botschaft, dass es sich wieder
lohnt, in Deutschland zu investieren und Arbeitsplätze
zu schaffen. Das ist die eigentliche Quintessenz einer
volkswirtschaftlichen Debatte.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Im Übrigen will ich Ihnen, Herr Eichel, sagen: Ihre

Steuerpolitik der letzten Jahre ist mit Widersprüchen
übersät. Ich habe eine ganze Phalanx von Beispielen. Ich
will auf einige eingehen. Sie sprachen von der größten
Steuerreform aller Zeiten. Gleichzeitig haben Sie in ei-
nem Brief an die Fraktionsvorsitzenden mitgeteilt, eine
Abgeltungsteuer für Zinsen könne deshalb nicht kom-
men, weil die Personenunternehmen nach der dritten
Stufe Ihrer Steuerreform immer noch mit bis zu
52 Prozent belastet würden. Was zeigt das denn? Dieje-
nigen, die in erster Linie in der Lage sind, Arbeitsplätze
zu schaffen, werden steuerpolitisch am schlechtesten be-
handelt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Das macht doch keinen Sinn. Die Kapitalgesellschaften
werden viel stärker entlastet. Das kann so nicht bleiben.
Schon dieser Widerspruch zeigt, dass eine echte Steuer-
reform mit einer Vereinheitlichung der Steuerbelastung
zwingend notwendig ist.


(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Das trifft ja nicht zu, Herr Solms!)


– Das ist so. Er hat es selbst geschrieben. Ich kann Ihnen
eine Kopie des Briefes geben, wenn Sie es nicht wissen.

Sie haben jetzt ein Kleinunternehmerförderungsge-
setz auf den Weg gebracht, mit dem die Gewinnermitt-
lung auf einem amtlichen Formular vorgeschrieben wird.
Die Unternehmer sollen 82 Zeilen mit 82 Angaben aus-
füllen, die im Gesetz nirgends vorgeschrieben sind und
die sie in aller Regel auch gar nicht haben. Was ist denn
daran Förderung? Das löst das pure Chaos aus. Ich
glaube, Sie haben gar nicht gewusst, was Ihnen Ihre Be-
amten da aufschreiben. Das ist an Ihnen vorbeigelaufen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist allerdings bedenklich!)


Das nächste Beispiel ist die Neuregelung der Gesell-
schafter-Fremdfinanzierung, § 8 a des Körperschaft-
steuergesetzes. Ich weiß, dass das in steuerpolitischer
Hinsicht sehr schwierig und durch den Europäischen Ge-
richtshof erzwungen ist. Aber die von Ihnen vorgesehe-
nen Regelungen gehen nicht an.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie belasten gerade die kleinen und mittleren Unterneh-
men in ihrer Eigenkapitalfinanzierung. In der Eigenkapi-
talbasis liegt ohnehin die strukturelle Schwäche des
deutschen Mittelstands. Ihre Regelung wird zu weiteren
Insolvenzen und Entlassungen führen.

Ein weiteres Beispiel ist die Mindestbesteuerung.
Herr Spiller ist gerade darauf eingegangen. Was Sie aus-
geführt haben, ist völlig falsch. Einführung der Mindest-
besteuerung heißt, dass entstandene Verluste nicht in
voller Höhe mit den erzielten Gewinnen verrechnet wer-
den dürfen. Was heißt das im Grunde genommen? Sie
sozialisieren die Gewinne und privatisieren die Verluste.
Auch das führt bei eigenkapitalschwachen Unternehmen
zu Existenzkrisen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ein anderes Beispiel ist die Steueramnestie. Wir ha-

ben darüber gesprochen, Herr Eichel, und ich habe Ihnen
dargelegt, dass die Steueramnestie nur dann Erfolg ha-
ben wird, wenn Sie gleichzeitig dauerhaft eine maßvolle
Zinsbesteuerung durchsetzen – ich verweise auf die Ab-
geltungsteuer –, die Vermögensteuer endgültig abschaf-
fen, die Diskussion über die Erbschaftsteuer beenden
und wenn Sie nicht noch zusätzlich eine neue Steuer im
Zusammenhang mit der Gesundheitsreform in die Dis-
kussion einbringen würden. Das verunsichert die Sparer,
die ihr Geld dann nicht zurückbringen. Das hat sich be-
reits gezeigt. Sie haben 5 Milliarden Euro im Haushalts-
plan eingesetzt, bis jetzt sind aber nur etwas mehr als
270 Millionen Euro als Einnahme zu verzeichnen.

Ich komme zu einem letzten Punkt. Sie haben ausge-
führt, Energiespekulanten – da gebe es geheimnisvolle
internationale Kräfte – seien die Ursache dafür, warum
es uns so schlecht gehe. Wer ist denn der Preistreiber in
der Energiepolitik? Das ist doch der Staat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn!)


– Hören Sie doch zu, Herr Schmidt! Ich will es Ihnen er-
klären. – Von den 18 Cent, die ein privater Haushalt für
eine Kilowattstunde Strom bezahlen muss, entfallen
2,1 Cent auf die Ökosteuer, 2 Cent auf die Konzessions-
abgabe zugunsten der Kommunen, 0,4 Cent auf die er-
neuerbaren Energien und 0,3 Cent auf die Kraft-Wärme-
Kopplung. Die Belastung in diesen Bereichen ist von
2,28 Milliarden im Jahr 1998 bis heute auf 11,88 Milliar-
den Euro angestiegen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Plus Mehrwertsteuer!)


– Plus Mehrwertsteuer.
Eines ist klar: Die Energiepreissteigerungen haben

eine Farbe, und zwar grün. Auch Strompreissenkungen
haben eine Farbe, nämlich gelb: „Yello Strom“.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512101700

Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512101800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich muss zunächst feststellen, dass wir Ihnen
von der Opposition die bisherigen Beiträge in der De-
batte zu diesem Haushaltsplanentwurf nicht durchgehen
lassen können.






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Finanzminister hat stark vorgelegt!)


Ich will das auch begründen.
Es ist richtig, dass wir zum Beispiel von ausländi-

scher Seite – man sollte schließlich auch Leute befragen,
die Deutschland von außen betrachten – darauf aufmerk-
sam gemacht werden, dass wir die Realitäten zur Kennt-
nis nehmen und erkennen sollten, wo wir Probleme ha-
ben, deren Lösung wir auch angehen müssen. Darüber
kann man, wie gesagt, mit Bekannten, Journalisten und
Politikern im Ausland diskutieren. In diesem Zusam-
menhang kann ich feststellen, dass wir durchaus bereit
sind, anzuerkennen, dass die haushaltspolitische Lage
schwierig ist. Das ist vonseiten der Opposition auch an-
gemahnt worden.

Es geht aber nicht an, dass Sie sich in dieser Debatte
– wir diskutieren seit 10 Uhr und damit seit über drei
Stunden – im Wesentlichen damit zufrieden geben, nega-
tive haushälterische Entwicklungen anzuprangern. Das
können Sie zwar machen, aber es reicht nicht, unsere
Vorschläge zu verwerfen; Sie müssen vielmehr eigene
Antworten geben. Sie betreiben eine reine Verweige-
rungshaltung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen nachweisen.
Gerade Sie, Herr Austermann, haben sich hier wie je-
mand verhalten, der Sehnsucht nach Kiel hat. Ich kann
das verstehen. Sie haben einen Wahlkampf vor sich.

Ich komme auf die Position der CDU/CSU zurück, die
sie gestern im Zusammenhang mit der Beratung des
Haushaltsbegleitgesetzes vertreten hat. Sie mahnen Mut
zur Kürzung bei den Ausgaben an. Die rot-grüne Regie-
rung fordert – wir sind mit dieser Forderung nicht allein –,
beim Subventionsabbau endlich den Agrarbereich an-
zupacken, auch wenn es der CDU/CSU wehtut.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie wollen die Bauern kaputtmachen!)


Hier müssen Sie sich einmal stellen. Bei der gestrigen
Beratung des Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes
hatten Ihre Kollegen aber nichts Besseres zu tun – das
trifft leider auch auf Herrn Koppelin von der FDP-Frak-
tion zu; auch er hat schließlich bald Wahlkampf in
Schleswig-Holstein –, als zu sagen: Wir können keine
Sonderopfer – so nennen Sie das – im Agrarbereich for-
dern. Ich sage Ihnen: Das ist Quatsch. Wir müssen end-
lich die Kraft aufbringen, mit althergebrachten Subven-
tionen aufzuräumen. Wir können nicht immer wegen
Ihres Schielens auf Landtagswahlen kneifen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Kohle!)

Genau das tun Sie: Sie kneifen und stellen sich stur,

wenn es um Subventionsabbau im Agrarbereich geht.
Wir werden Ihnen aber Ihren Mangel an Antworten und
Ihre Ängstlichkeit nicht durchgehen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Es wäre besser, wenn Sie die Kohlesubventionen nicht hätten!)


Sie könnten sich sogar hinter uns verstecken. Sagen Sie
einfach, dass es nicht Ihre Idee war. Aber geben Sie end-
lich zu, dass es angesichts der Haushaltssituation nicht
zumutbar ist, ängstlich und vorsichtig auf Beibehaltung
alter Subventionen zu bestehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512101900

Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Austermann?


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512102000

Ja, sicher.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512102100

Bitte, Herr Austermann.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1512102200

Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, dass im Dezem-

ber letzten Jahres im Vermittlungsausschuss klare Be-
schlüsse zum Subventionsabbau gefasst worden sind, die
erstens Kürzungen der Kohlesubventionen beinhalten
– davon sind Sie jetzt abgewichen – und die zweitens
vorsehen, die Landwirtschaft wegen der dramatischen
Situation, in der sich die Landwirte befinden, bei den
Kürzungen auszusparen? Sind Sie jetzt etwa der Mei-
nung, dass sich die wirtschaftliche Situation unserer bäu-
erlichen Familienbetriebe so verbessert hat, dass man
von der gemeinsamen Übereinkunft vom Dezember letz-
ten Jahres abweichen sollte?


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512102300

Herr Kollege Austermann, ich habe die von der Union

im Vermittlungsausschuss eingenommene pauschale
Haltung, den Agrarbereich gänzlich aus den Kürzungen
herauszunehmen, immer für falsch gehalten. Ich habe
dies auch schon im Plenum gesagt und bin noch heute
dieser Meinung. Ich halte es für einen großen haushälte-
rischen Irrtum, dass Sie sich an dieser Stelle nicht bewe-
gen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben es doch vereinbart!)


Herr Austermann, gerade Sie als haushaltspolitischer
Sprecher der CDU/CSU-Fraktion sollten diesbezüglich
für eine neue Position in Ihrer Fraktion werben.

Es stimmt zwar, dass im Vermittlungsausschuss die-
ses Ergebnis erzielt wurde. Aber ich bin angesichts der
Entwicklung des Bundeshaushalts der Meinung, dass die
Bundesregierung verpflichtet ist, Lösungen zu präsentie-
ren. Sie darf sich nicht auf alten, falschen Kompromis-
sen ausruhen. Deswegen finde ich es richtig, dass wir
auch einen neuen Vorschlag betreffend die Eigenheim-
zulage machen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann fangen Sie aber bei der Kohle an!)







(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

Beim Thema Kohlesubventionen kneife ich nicht.

Sie wissen sicherlich, dass Rot und Grün einen unter-
schiedlich stark ausgeprägten Ehrgeiz im Hinblick auf
die Weiterentwicklung der Degression haben. Aber fak-
tisch wird der Subventionsabbaupfad auch bei der Kohle
beschritten. Ich bin sicher, dass unsere Einigung ange-
sichts der Entwicklung des Kohlepreises auf dem Welt-
markt einen stärkeren Abbau der Kohlesubventionen er-
möglichen wird. Hier lasse ich mich gerne in die Pflicht
nehmen. Das ist jedenfalls eine Aufgabe, die wir, die
Grünen, sehr ernst nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Ausrede!)


Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren. Schließ-
lich möchte ich hier keine Landwirtschaftsdebatte füh-
ren, auch wenn der Agrarbereich typisch für Ihr Verhal-
ten ist. Ich möchte Sie noch mit anderen Bereichen
beglücken.

In der Tat geht es auch bei der Eigenheimzulage um
ein großes Finanzvolumen. Wenn Sie sagen, dass auch
Sie erkannt hätten, dass wir Mittel für den Bildungs- und
Forschungsbereich freimachen und Mut zur Setzung
neuer Prioritäten haben müssten, dann ist es nicht zu to-
lerieren, dass Sie sich sperren, bei der Streichung der
Eigenheimzulage mitzumachen. Sie haben auch eine
Verpflichtung in den Ländern und in den Kommunen, in
denen Sie die Gestaltungskompetenz für Bildungsfragen
haben. Wenn Sie hier nicht zu Streichungen bereit sind,
müssen Sie zumindest eine Alternative mit gleichem
Finanzvolumen anbieten. Das, was Sie bisher gemacht
haben, ist jedenfalls mangelhaft, aber leider typisch.

Ich kann Ihnen gerade mit Hinweis auf die bevorste-
hende Landtagswahl in Schleswig-Holstein nur raten:
Orientieren Sie sich in dieser Frage doch einfach an der
Empfehlung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, das
einen weiter gehenden Subventionsabbau vorschlägt.
Das sollte Sie ermutigen. Bremsen Sie den Subventions-
abbau nicht! Denken Sie daran, dass sich eher die Regie-
rung öffentliche Kritik für Subventionsabbau gefallen
lassen muss! Verstecken Sie sich also ruhig hinter uns,
wenn Sie es nötig haben. Aber lassen Sie uns gewähren.
Das wäre für die Konsolidierung des Haushalts der
öffentlichen Hand ein wichtiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Konzepte der Union sind wirklich desolat.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie ha ben es immer noch nicht verstanden!)

Sie schlagen vor – Herr Meister hat es gerade getan –,
auf Ihr Konzept für den Bereich der sozialen Sicherung
zurückzugreifen. Da muss ich Sie fragen: Herr Meister,
was sollen wir denn da tun? Sollen wir jetzt eher die
CSU-Variante oder die CDU-Variante wählen? Es ist
richtig, zu sagen, dass auch die Finanzierung des Ge-
sundheitssystems reformiert werden muss. Sie sind in
diesem Herbst eine Antwort darauf schuldig, wie ein
Steuerloch in Höhe von mindestens 25 Milliarden Euro
gedeckt werden soll, wenn man Ihrem Vorschlag folgt
und auf die Kopfpauschale umstellt.

Sie können den Leuten mit Blick auf die Lohnneben-
kosten und die Abkopplung vom Arbeitsmarkt keine
Versprechungen machen, ohne Antworten auf die steuer-
lichen Fragen zu haben, zum Beispiel darauf, wie der
Solidarausgleich im Gesundheitsbereich funktionieren
soll. Oder legen Sie keinen Wert auf eine Absicherung
des Solidarausgleichs? Diese Frage müssen Sie hier be-
antworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Noch alberner ist es – die 100-Milliarden-Euro-Frage
muss Frau Merkel morgen wirklich beantworten –, dass
Sie ein illusionistisches Steuereinnahmekonzept verfol-
gen. Herr Meister, Sie haben gesagt, wir sollten nicht ro-
sarot malen. Das finde ich richtig. Wenn ich behaupte,
dass wir auch nicht schwarz malen sollen, dann werden
Sie ebenfalls nicken.

Herr Eichel, unser Finanzminister, hat am Ende seiner
Rede eine gute Botschaft formuliert, als er gesagt hat:
Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir ein starkes
Land sind, das allerdings große Herausforderungen zu
bewältigen hat. Aber zur rosaroten Brille im negativen,
im kritischen Sinne gehört selbstverständlich auch, dass
man Steuerpolitik nicht statisch betrachten darf.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Man darf aber auch nicht so vorgehen, dass man behaup-
tet, wir könnten die Steuersätze in einem solchen Maße
senken, wie Sie das propagieren, und gleichzeitig die
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage komplett ab-
lehnen, wie Union und FDP es tun. Man muss schon er-
kennen, dass wir dann ein Riesenhaushaltsdesaster erle-
ben würden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Noch nie was von der LafferKurve gehört?)


Wenn wir Ihnen folgen, dann haben wir ein struktu-
relles Haushaltsproblem, mit dem wir den europäischen
Stabilitätspakt nie und nimmer erfüllen können. Deswe-
gen sage ich Ihnen: Ihre Konzepte sind illusionistisch.
Auf der Einnahmeseite werden Löcher gerissen, wäh-
rend auf der Seite der sozialen Sicherungssysteme der
Solidarausgleich hineingedichtet wird. Da bleiben Sie
Antworten schuldig. So kommen Sie durch diese herbst-
lichen Beratungen nicht hindurch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte mit einigen Bemerkungen zu der Diskus-
sion über den europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt schließen. Ich finde, Sie haben dazu ein biss-
chen wenig gesagt. Sie haben zu der aktuellen
Diskussion nämlich im Grunde gar keine Position bezo-
gen. Es ist richtig, dass wir den Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt in den letzten Jahren nicht eingehalten haben.
Mit Blick auf das nächste Jahr haben wir eine ziemlich
schwierige Diskussion vor uns. Auch da werden wir ver-






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

suchen, Sie in die Pflicht zu nehmen; schließlich legen
auch Sie Wert darauf, dass wir das 3-Prozent-Kriterium
im nächsten Jahr erfüllen.

Ich finde es aber auch wichtig, dass Sie einmal dazu
Stellung nehmen, was der Bundesfinanzminister zu die-
sem Thema im letzten Jahr gesagt hat und was er zu dem
Vorschlag der EU-Kommission heute sagen kann. Ich
halte es für gut, dass wir trotz der schwierigen Bilanz,
die die deutsche Seite vorzulegen hat, sagen können: Die
Grenzen und die Kriterien sollen weiterhin Bestand ha-
ben.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr gnädig!)


– Das hat nichts mit „gnädig“ zu tun, sondern damit, wie
Sie sich dazu stellen, dass man in der Kommission ge-
sagt hat: Es ist wohl richtig, die wirtschaftliche Entwick-
lung stärker zu berücksichtigen. Sie haben sich hier dazu
gar nicht geäußert. Das finde ich oberflächlich von Ih-
nen. Sie müssen sich dazu äußern. Es geht hier nämlich
nicht um Opposition gegen die Politik der deutschen Re-
gierung,


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie haben die Diskussion doch abgelehnt!)


sondern darum, dass sich die Hälfte der europäischen
Staaten in Schwierigkeiten befindet.

Angesichts dessen wünsche ich mir von Ihrer Seite
eine differenzierte Haltung in der Diskussion über den
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ich werde
von Ihnen einfordern, dass Sie uns dabei unterstützen,
im nächsten Jahr das 3-Prozent-Kriterium zu erfüllen.
Ich glaube, das wird Sie in den Haushaltsberatungen
mehr als uns fordern, vielleicht auch überfordern.


(Joachim Poß [SPD]: Die sind jetzt schon überfordert!)


Ich werde das mit Interesse verfolgen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512102400

Frau Kollegin.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512102500

Unterstützen Sie uns beim Subventionsabbau! Wenn

Sie das tun, dann haben wir schon einen ganzen Teil ge-
schafft.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512102600

Das Wort hat nun der Kollege Bartholomäus Kalb,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Der berichtet uns jetzt vom 100-Milliarden-Risiko! Jetzt hören wir Stoiber pur!)


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1512102700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute Morgen hat der Bundesfinanzminister
sehr lange gesprochen. Er hat über alles Mögliche ge-
sprochen, aber kaum über den Bundeshaushalt, nicht zur
Struktur des Haushalts, nicht zu den Eckdaten, nicht zu
den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,


(Hans Eichel, Bundesminister: Das stimmt doch gar nicht!)


wohl auch deswegen nicht, weil der Haushalt, so wie er
vorgelegt worden ist, unrealistisch ist, weil er eher einem
Märchenbuch denn dem Schicksalsbuch der Nation
gleicht.


(Lothar Mark [SPD]: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!)


Märchen sind laut Brockhaus fantastische Geschichten,
die weder an Ort noch Zeit gebunden sind. Man hatte
während Ihrer Rede heute, Herr Minister Eichel, wirk-
lich den Eindruck, Sie fühlten sich an Raum und Zeit
nicht gebunden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aber leider ans Amt!)


Der vorliegende Haushaltsentwurf belegt schon nach
sechs Jahren das haushalts- und finanzpolitische Schei-
tern der Bundesregierung. Sie haben die Staatsfinanzen
an die Wand gefahren – mit verheerenden Auswirkungen
für die wirtschaftliche Lage im Land und negativen Fol-
gen für ganz Europa.

Heute früh hat Minister Eichel versucht, dieses Schei-
tern in wohlklingenden Formulierungen zu verstecken,
zum Beispiel zum angekündigten Wachstum. Er hat von
der Notwendigkeit gesprochen, die Reformen zu sichern,
und davon, es gehe darum, haushaltspolitisch Kurs zu
halten usw. Aber von Sparen konnte da wirklich keine
Rede sein.

Herr Minister Eichel, Sie haben mit keinem Wort er-
wähnt, wann Sie denn einen ausgeglichenen Bundes-
haushalt aufstellen wollen und wann ein ausgeglichener
gesamtstaatlicher Haushalt wieder möglich ist. Vor ge-
rade einmal zwei Jahren – allerdings vor der Bundes-
tagswahl; das ist der kleine Unterschied – haben Sie für
das Jahr 2003 – wörtlich – einen annähernd ausgegliche-
nen Haushalt und für das Jahr 2006 einen ausgegliche-
nen Haushalt angekündigt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Wenige Monate später, nach der Bundestagswahl, muss-
ten Sie einen Nachtragshaushalt vorlegen und haben die
Nettoneuverschuldung auf 32 Milliarden Euro erhöht.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da ist die Blase geplatzt!)


Für das Haushaltsjahr 2003, für das Sie einen annähernd
ausgeglichenen Haushalt angekündigt hatten, haben Sie
die Neuverschuldung auf fast 40 Milliarden erhöhen
müssen. Die Menschen in unserem Land haben einen






(A) (C)



(B) (D)


Bartholomäus Kalb

Anspruch darauf, zu erfahren, welches finanz- und haus-
haltspolitische Desaster die Regierung Schröder zu ver-
antworten hat.

Der Haushaltsentwurf umfasst Ausgaben in der Grö-
ßenordnung von 258 Milliarden Euro. Im Haushalt 1998
waren es 233 Milliarden Euro. Die Ausgaben sind also
erheblich gestiegen und allen Beteuerungen zum Trotz
nicht gesunken. Allein die Nettokreditaufnahme hat sich
in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung – Kollege
Austermann hat bereits darauf hingewiesen – um rund
190 Milliarden Euro erhöht.

Ich habe noch im Gedächtnis, wie Sie hier einmal mit
tränenerstickter Stimme über die Probleme der Einheit
und der Wiedervereinigung gesprochen haben. Weil Sie
heute wieder den Versuch unternommen haben, sage ich:
Sie werden mir zugeben müssen, dass die Verschul-
dungssituation, die Nettokreditaufnahme und die Trans-
ferleistungen der Jahre ab 1990 anders zu bewerten sind,
als das in normalen Zeiten vor der Wiedervereinigung
oder auch jetzt der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen ganz genau – Sie brauchen sich nur das

Tabellenwerk anzuschauen –, dass die damalige Regie-
rung die Verschuldung innerhalb weniger Jahre auf ein
Drittel reduziert hatte und dass für 1990 eigentlich schon
ein ausgeglichener Haushalt möglich gewesen wäre. Die
Entwicklung war dann anders. Ich sage: Die Entwick-
lung war für unser Land und für unser Volk Gott sei
Dank anders. Entsprechend haben wir natürlich die Pro-
bleme haushälterischer und finanzieller Art, die sich in
der Folge daraus ergeben haben, zu würdigen.

Die Haushalte der Jahre 2002 bis 2004 haben den
vom Finanzminister geplanten Rahmen nicht eingehal-
ten. Offenkundige Risiken wurden nicht berücksichtigt.
Umfangreiche Nachtragshaushalte waren erforderlich.
Auch jetzt fehlt dem Finanzminister Mut, rechtzeitig ge-
genzusteuern und einen Nachtragshaushalt für 2004 vor-
zulegen.

Bei den Haushalten der Jahre 2002 bis 2004 – das gilt
auch für den vorliegenden Entwurf – übersteigt die Net-
tokreditaufnahme die Höhe der Investitionen beträcht-
lich. Die verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 115
Grundgesetz wird mit Hilfskonstruktionen umgangen.
Gleiches ist nun wieder beabsichtigt.

Der Präsident des Bundesrechnungshofes, bestimmt
kein CDU/CSU-Mann, hat schon im Sommer mitteilen
lassen, der Rechnungshof sei schon seit langem der Auf-
fassung, dass die Veräußerung von Bundesvermögen
nicht den laufenden Haushalt finanzieren dürfe, sondern
der Tilgung der Bundesschulden dienen müsse.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bund trägt
mit seiner Haushaltspolitik die Verantwortung dafür, dass
Deutschland insgesamt die Vorgaben des europäischen
Stabilitätspaktes wiederholt verletzt. 2004 wird
Deutschland zum dritten Mal ein Haushaltsdefizit von
deutlich mehr als 3 Prozent, wahrscheinlich schon nahe
bei 4 Prozent, aufweisen. Solch eine Zwischenbilanz rot-
grüner Haushalts- und Finanzpolitik ist verheerend für
das Land, aber auch bezeichnend für Rot-Grün.

Für 2005 ist keine Besserung in Sicht. Die Annahmen
über die wirtschaftliche Entwicklung sind unrealis-
tisch. Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen
werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Eine
konjunkturelle Erholung ist nicht in Sicht. Die Binnen-
nachfrage – Sie selber haben es ja eingeräumt – bleibt
weiterhin schwach. Hauptursache dafür ist das man-
gelnde Vertrauen der Menschen in die Politik und die
mangelnde Verlässlichkeit dieser Regierung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich denke, wir sollen zusätzlich sparen! Was ist das denn?)


Diese Unsicherheit führt zu dem beklagten Konsumver-
zicht bzw. zur Konsumzurückhaltung und letztlich auch
zu geringeren Steuereinnahmen. Mittlerweile verzeich-
nen wir über das Jahr gerechnet einen Verlust von
520 000 Arbeitsplätzen. Wir haben mittlerweile die ge-
ringste Beschäftigungsquote aller vergleichbaren Indus-
trienationen.

Zu einem anderen Thema, das vorhin bereits ange-
sprochen wurde: Die Entwicklung der Energiepreise
wirkt sich mittlerweile ebenfalls sehr nachteilig auf die
wirtschaftliche Entwicklung und das wirtschaftliche
Wachstum aus. Die Preissteigerungen – Kollege
Dr. Solms hat schon darauf hingewiesen – sind ganz
überwiegend auf politisches Handeln zurückzuführen.
Ein Anteil von circa 40 Prozent an den Strompreisen ist
politisch bzw. staatlich veranlasst.


(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

Ich fand es schon niedlich, am Sonntagabend von der
Frau Lemke zu hören, dass man sich jetzt auch diesem
Problem widmen wolle. Das hat sie jedenfalls im Fern-
sehen so dargestellt. Schauen Sie sich nur einmal an,
welches ungeheure Subventionsgebäude sich infolge des
EEG neu aufbaut. Schauen Sie sich einmal die vielen
Windparkgesellschaften an.


(Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Stoiber! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sollen wir Öl bezahlen?)


Aufgrund der Steuersubventionen, die hierfür gewährt
werden, handelt es sich zum größten Teil um Abschrei-
bungs- und Verlustzuweisungsgesellschaften. Wichtig ist
Ihnen aber nur, dass ein Thema grün angestrichen ist.
Dann ist alles akzeptabel, dann gelten keine ordnungs-
politischen Grundsätze mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haus-

halt erfüllt nur auf dem Papier die Forderungen des
Art. 115 des Grundgesetzes, gemäß dem die Investitio-
nen höher sein müssen als die Nettokreditaufnahme.
Durch das Einstellen von völlig unrealistischen Privati-
sierungserlösen in Höhe von 15 Milliarden wird die Net-
tokreditaufnahme künstlich niedrig gehalten. Ich habe
vorhin auf die Aussage des Bundesrechnungshofes hin-
gewiesen. Sie verscherbeln im Moment das letzte Tafel-






(A) (C)



(B) (D)


Bartholomäus Kalb

silber, um mit Buchungstricks noch einigermaßen beste-
hen zu können.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512102800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1512102900

Gerne.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1512103000

Herr Kalb, ich möchte Sie fragen, wie Sie zu dem

Vorschlag von Ministerpräsident Stoiber, eine 5-pro-
zentige Kürzung der Subventionen vorzunehmen, ste-
hen und ob Sie sich für den Fall, dass Sie sie befürwor-
ten, darüber im Klaren sind, was das bedeutet. Es würde
einen Baustopp auf der Museumsinsel, Kürzungen beim
Roten Kreuz, bei UNICEF, bei internationalen Kontak-
ten, bei der Sportförderung und bei der Bildung nach
sich ziehen und bis hin zu geringeren Mitteln für die Be-
kämpfung der Schwarzarbeit führen. Ich möchte diese
Liste nicht fortsetzen, aber das hätte wirklich dramati-
sche Folgen, insbesondere auch bei der Rente. Das
schneidet auch deshalb so dramatisch ein, weil, wie wir
beide ja wissen, ein sehr großer Anteil des Haushaltes
aus Pflichtaufgaben besteht und deshalb hinsichtlich
einer globalen 5-Prozent-Kürzung wenig Spielraum be-
steht. Wie stehen Sie also dazu?


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1512103100

Wir werden erstens hier im Bundestag als Mitglieder

des Haushaltsausschusses den Bundeshaushalt sehr sorg-
fältig beraten und unsere eigenen Vorschläge einbringen,
so wie es Kollege Austermann angekündigt hat.


(Lothar Mark [SPD]: So wie das letzte Mal? Leere Blätter!)


Zweitens. Darüber hinausgehende Vorschläge ma-
chen ja nur einen Sinn, wenn sie auch aufgegriffen wer-
den. Diese sind also als ein Hinweis des bayerischen Mi-
nisterpräsidenten bzw. des Parteivorsitzenden der CSU
an die Bundesregierung zu verstehen, dass man bereit
ist, gemeinsam größte Kraftanstrengungen zu unterneh-
men, um die öffentlichen Finanzen insgesamt wieder in
Ordnung zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das setzt aber voraus – das wird immer unterschlagen –,
dass diejenigen, die zurzeit in der Verantwortung stehen
und Mehrheiten auf Bundesebene organisieren können,
dazu auch bereit sind. Eine entsprechende Bereitschaft
kann ich aber weit und breit nicht erkennen. Das würde
natürlich einschneidende Maßnahmen bedeuten, über
die sich die großen demokratischen Kräfte im Lande ei-
nig sein müssten. Wir werden in diesem Lande noch un-
ter großen Schmerzen erhebliche Sanierungsmaßnah-
men vornehmen müssen, wenn wir mit unserer – vor
allem Ihrer – Aussage ernst machen wollen, dass die
Lasten nicht in die Zukunft verschoben werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war keine Antwort! – Joachim Poß [SPD]: Für seine Verhältnisse war das schon pfiffig!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz anders
lautender Bekundungen des Finanzministers wird
Deutschland auch im nächsten Jahr den Stabilitätspakt
verletzen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!)

Die Einhaltung des 3-Prozent-Kriteriums ist 2005

nicht möglich. Dazu kommt, dass auch das Kriterium
des Schuldenstandes weit überschritten werden wird.
Mit rund 66 Prozent wird er eine Höchstmarke errei-
chen. Vermutlich wird Deutschland 2005 das einzige
Land im Euroraum sein, das in so eklatanter Weise ge-
gen den Maastricht-Vertrag verstößt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine schlimme Lage!)


Sie sind dabei, den Wachstums- und Stabilitätspakt
auszuhöhlen. Sie fordern neue Elemente und länderspe-
zifische Betrachtungen. Nötig sind aber nicht neue Be-
trachtungsweisen, sondern nötig ist ein klares und über-
schaubares System, das jeder verstehen kann und durch
das sich die Mitgliedsländer gleich behandelt fühlen
können.

Im Entwurf für 2005 sind nicht nur die Einnahmen
des Bundes zu hoch, sondern auch die Ausgaben zu
niedrig angesetzt. Kollege Austermann hat bereits auf
die Folgen von Hartz IV und anderen Maßnahmen hin-
gewiesen. Ein ganz großes Problem ist die dramatisch
sinkende Investitionsquote. Wenn die Investitionsquote
nur noch bei etwa 8,5 Prozent liegt, ist das alarmierend.
Das führt zu einem Substanzverlust in ungeheurem Aus-
maß in diesem Lande.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie alle wissen, dass wir eine Investitionsquote des Bun-
des von im Schnitt 12,5 bis 13 Prozent bräuchten, um
den Substanzerhalt zu gewährleisten.


(Joachim Poß [SPD]: Finanzierung Steuersubvention!)


Wer nicht ausreichend investiert, gefährdet die Zukunft;
denn er spart nicht, sondern verschiebt Lasten in die Zu-
kunft. Aus dem bäuerlichen und dem handwerklichen
Bereich weiß man, wie schwer es für Betriebsüberneh-
mer ist, wenn vor der Betriebsübergabe nicht ausrei-
chend investiert worden ist, wenn die Betriebe nicht zu-
kunftsfähig gemacht worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Institut

der deutschen Wirtschaft hat vor kurzem die Bundesre-
gierung zitiert, und zwar wie folgt:

Laut Angaben der Bundesregierung sind gerade
acht von zehn Autobahnkilometern uneinge-
schränkt befahrbar, von den Bundesstraßen sogar
weniger als 70 Prozent. Hinzu kommt, dass sich
jede achte Brücke in einem kritischen Bauzustand
befindet. Insgesamt entsteht der Volkswirtschaft






(A) (C)



(B) (D)


Bartholomäus Kalb

durch die resultierenden Staus ein geschätzter Scha-
den von bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber nicht in den letzten sechs Jahren passiert!)

Das belegt, wo die Probleme sind, wo Sie falsch han-

deln, wie falsch Sie die Schwerpunkte setzen. Die Fern-
straßenfinanzierung ist heruntergefahren und herunter-
gewirtschaftet worden. Ich will jetzt mangels Zeit nicht
über die Maut und das Mautdebakel reden. Sie erwarten
für nächstes Jahr 3 Milliarden Euro mehr Einnahmen,
aber Sie reduzieren die Ausgaben für den Verkehrs-
wegeausbau.

Das Thema Verlässlichkeit Ihrer Politik, auch gegen-
über Partnern und gegenüber uns, etwa was die Einigung
im Vermittlungsausschuss im Bereich Landwirtschaft
und die Eigenheimzulage betrifft, ist von meinen Vorred-
nern bereits angesprochen worden. Mit Leuten, die sich
so schnell von Vereinbarungen verabschieden, ist es na-
türlich sehr schwer, erneut zu Vereinbarungen zu kom-
men. Bekanntlich bestehen Kompromisse immer aus
Geben und Nehmen beider Seiten. Dann muss man aber
auch einstehen für das, was man sich gemeinsam vorge-
nommen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Ja, beim Hartz-IV-Gesetz!)


Auch über die Folgewirkungen einer verfehlten
Steuerpolitik – ich nenne beispielsweise die Mineralöl-
steuer und die Ökosteuer – muss man reden. Schauen Sie
sich die Probleme im Zusammenhang mit dem Tank-
tourismus an, die wir in allen Grenzregionen haben.
Hier müssen Sie etwas tun. Nicht nur die Tankstellenbe-
sitzer in den Grenzregionen sind die Leidtragenden.
Auch Sie gehören dazu, weil Ihnen unzählige Steuer-
milliarden praktisch durch die Finger gleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512103200

Herr Kollege Kalb, denken Sie bitte an die Redezeit.

Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1512103300

Herr Präsident, ich bitte Sie um jenes Maß an Gnade

und Nachsicht, das auch meiner Vorrednerin gewährt
worden ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512103400

Das sage ich auch ohne entsprechende Aufforderung

gerne zu. Ich bitte aber genauso um Verständnis, dass ich
diese Nachsicht nicht nur wohlwollend, sondern auch
gleichmäßig verteilen muss.


(Heiterkeit – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, nach Fraktionsstärke!)



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1512103500

Herr Präsident, ich werde mich bemühen, sehr bald

zum Ende zu kommen.

(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Heute noch!)

Wie es mit der Berechenbarkeit und der Verlässlich-
keit der Politik aussieht, wird auch an einem anderen
Beispiel deutlich. In Ihrer Regierungszeit wurden im
Bundestag 90 Gesetze beschlossen, die das Steuerrecht
ändern. Da weiß doch niemand mehr, woran er ist. Was
wir brauchen, ist wieder eine Berechenbarkeit und eine
Verlässlichkeit der Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die eine oder andere Ungereimtheit kann vielleicht so-
gar hingenommen werden. Denn es ist besser, berechen-
bar und verlässlich zu sein, als ständig neu zu verun-
sichern.

Lieber Herr Kollege Poß, wenn Sie ständig neue Dro-
hungen – siehe Mindeststeuer, Erbschaftsteuer und Ver-
mögensteuer – in die Welt setzen, dann kommt kein
Geld zurück; denn die Menschen sind unter diesen Vo-
raussetzungen nicht bereit, zu investieren und Arbeits-
plätze zu schaffen. Kündigen Sie nicht immer eine Erhö-
hung der Erbschaftsteuer an! Verständigen wir uns doch
auf einen kleinen Teil: Nehmen Sie unseren Vorschlag,
dass Erben von Unternehmen die Chance haben sollten
– diesen Vorschlag hat Herr Oetker gestern unterstützt –,
sich die Erbschaftsteuer sozusagen zu verdienen, indem
sie innerhalb von zehn Jahren investieren, Existenzen si-
chern und Arbeitsplätze schaffen. Die Menschen sollten
sich nicht ständig damit beschäftigen müssen, wie sie
der Steuer entkommen können, sondern damit, wie sie
investieren und wie sie zur Zukunftsfähigkeit unseres
Landes beitragen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512103600

Es gehört zu den ehernen Gesetzen dieser Debatte,

dass die sprechenden Kollegen die Nachsicht und den
Großmut des Präsidiums regelmäßig anzweifeln. Ich
muss noch einmal darauf aufmerksam machen, dass die
Großzügigkeit des Präsidiums immer auf Kosten der
nachfolgenden Redner der gleichen Fraktion geht. Ich
bitte das zu berücksichtigen, wenn wir gelegentlich et-
was hartnäckig auf der Einhaltung der angemeldeten Re-
dezeiten bestehen.

Nun hat die Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-
Fraktion das Wort.


Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1512103700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 2005 ist
wirklich kein Schönwetterhaushalt. Wie viele europäi-
sche Staaten befinden wir uns aufgrund der dreijährigen
Stagnation in schwierigem Fahrwasser. Aber unser Boot
ist stabil, die Mannschaft ist hervorragend


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der 11. 11. ist doch noch weit hin!)







(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Lehn

und außerdem ist Land in Sicht. Die schwierigste
Strecke liegt, wie Sie wissen, hinter uns. Jetzt kommt es
darauf an, Kurs zu halten.

Deutschland ist ein starkes Land. Es gibt kein Land,
in dem ich lieber leben möchte.


(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])

Ich glaube, das geht den meisten Menschen in unserem
Land so, auch wenn es gelegentlich einmal regnet oder
schneit.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist kein Regen! Das ist ein Tornado!)


Deutschland hat es verdient, dass sich alle, auch Sie,
Herr Austermann, und die Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU und der FDP, dafür einsetzen, dass es
weiter aufwärts geht.


(Lothar Mark [SPD]: Und nicht immer nur alles miesreden!)


Deswegen hilft es nicht, wenn positive Entwicklun-
gen, wie etwa das stark gestiegene Gewerbesteuerauf-
kommen, kleingeredet werden. Deswegen ist es schäd-
lich, wenn die Opposition im Vermittlungsverfahren, wie
etwa bei Hartz IV, Verschlechterungen für die Menschen
durchsetzt, sich dann aber aus der Verantwortung stiehlt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Joachim Poß [SPD]: Feige sind sie auch noch!)


Deswegen ist es verantwortungslos, wenn Herr
Austermann so tut, als ob die von ihm vorgeschlagenen
Kürzungen um 7,9 Milliarden Euro mal eben so ohne
Folgen für viele Tausend Menschen durchgeführt wer-
den könnten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein bisschen lauter bitte!)


Deswegen ist es abenteuerlich, wenn Herr Stoiber eine
pauschale Kürzung des Haushalts um 5 Prozent vor-
schlägt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bitte das Mikrofon ausmachen!)


Dies ist abenteuerlich; denn der Haushalt beinhaltet zum
Beispiel auch die Tilgung von Schulden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1512103800

Frau Kollegin Lehn, Sie misstrauen sicher aus gutem

Grunde dem Funktionieren der Mikrofonanlage. Aber
im Augenblick funktioniert sie tatsächlich.


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1512103900

Ich dachte bislang immer, Herr Präsident – vielleicht

könnten Sie für diesen Zeitraum die Uhr stoppen –, es
sei möglich, dass sich die Technik dem Menschen an-
passt. Ich stelle gerade fest, dass Sie eine andere Sicht-
weise haben, möchte Ihnen aber ausdrücklich widerspre-
chen.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

Ich habe gerade ausgeführt, dass es abenteuerlich ist,

wenn Herr Stoiber eine pauschale Kürzung um 5 Prozent
vorschlägt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das bleibt auch abenteuerlich!)


Denn der Haushalt beinhaltet – das wissen Sie – zum
Beispiel die Tilgung von Schulden oder die Sicherstel-
lung der Renten. Das macht 50 Prozent der Ausgaben
aus. Im Klartext sagt Herr Stoiber also nichts anderes,
als dass an anderen Stellen um 10 Prozent gekürzt wer-
den muss. Jetzt frage ich Sie: Wollen Sie wirklich
10 Prozent weniger für Bildung und Forschung? Wollen
Sie wirklich 10 Prozent weniger für die Kinderbetreuung
oder das Erziehungsgeld? Wollen Sie 10 Prozent weni-
ger für Verkehrsinvestitionen, 10 Prozent weniger für die
Umwelt? Wollen Sie das alles?

So stelle ich mir die Zukunft Deutschlands nicht vor –
und ich hoffe, auch niemand von Ihnen.


(Lothar Mark [SPD]: Die wollen überall erhöhen und trotzdem reduzieren!)


So gewinnt man das Vertrauen der Menschen nicht, auch
nicht, indem man herumeiert und nicht konkret aus-
spricht, welche Politik man will, so wie Merz, Merkel,
Stoiber und Austermann das derzeit praktizieren.

Wir glauben fest, dass es sich lohnt, das Vertrauen
der Menschen zurückzugewinnen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, bitte!)

Dazu müssen wir ehrlich und offen sein. Wir müssen sa-
gen, wie die Situation ist und warum sie so ist.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wegen Rot-Grün! – Gegenruf von der SPD: Rot-Grün ist gut!)


Dazu gehört auch, zu sagen, was geht und was nicht
mehr geht. Deshalb hat Gerhard Schröder die bei man-
chen unpopuläre, aber ehrliche Agenda 2010 auf den
Tisch gelegt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na ja!)

Trotz aller Kritik bleibt es unser erklärtes Ziel, den

Sozialstaat zu stabilisieren. Deshalb stärken wir die
Gemeinden, die das Herz unserer Demokratie sind. Des-
halb optimieren wir die Arbeitsmarktpolitik und die
Bedingungen für Arbeitssuchende. Wir entlasten die Ge-
meinden im Jahr 2005, also im nächsten Jahr, um
6,5 Milliarden Euro,


(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


damit sie frei sind, mehr Geld für Schulen und mehr
Geld für die Betreuung von Kindern auszugeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Waltraud Lehn Steffen Kampeter [CDU/CSU]: An diese Entlastung glaubt doch nicht einmal Ihre Fraktion!)





(A) (C)


(B) (D)


Die Koalitionsfraktionen danken dem Bundesfinanz-
minister ausdrücklich dafür,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Oha!)

dass er es geschafft hat, die Verfassungsgrenze des
Art. 115 des Grundgesetzes ebenso einzuhalten


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch ein vorsätzlicher Verfassungsbrecher!)


wie aus heutiger Sicht das Maastricht-Kriterium eines
Staatsdefizits von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
nicht zu überschreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Daran werden wir Sie erinnern!)


Ich wiederhole – auch für Sie, Herr Kampeter –: Der
Entwurf des Bundeshaushaltes 2005 ist und bleibt ver-
fassungsfest.


(Lachen des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU])


Die Summe der Investitionen beträgt 22,8 Milliarden
Euro. Die Nettokreditaufnahme liegt mit 22 Milliarden
Euro unterhalb dieses Betrages. Damit ist dem Art. 115
Rechnung getragen.

Ich will überhaupt nicht verschweigen, dass uns der
Umfang der Privatisierung wehtut; denn wie meine
Nachbarn und Freunde oft zu sagen pflegen: Was weg
ist, ist weg!


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gibt es denn das strukturelle Defizit oder nicht?)


Wer das aber kritisiert, muss auch sagen, woher er die
fehlenden 15 Milliarden Euro nehmen will.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie bestreiten offensichtlich die Existenz des strukturellen Defizits!)


Ich kann mich der Kollegin Hajduk nur anschließen:
Diese Antwort sind Sie uns bisher im Konkreten voll
und ganz schuldig geblieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die unseriösen Vorschläge von Herrn Austermann und
Herrn Stoiber sind dabei wenig hilfreich. Ich sage sogar:
Sie sind noch nicht einmal populistisch; denn so dumm
ist unser Volk nicht.


(Lothar Mark [SPD]: Und sie sind kontraproduktiv!)


Geradezu verwerflich ist dabei übrigens der Vor-
schlag von Herrn Austermann, die Kohlebeihilfen zu
streichen,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Will gar keiner!)

und das in einer Zeit, in der die Energiepreise, wie Sie
alle wissen, davonpreschen. Kein Subventionsbereich


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die deutsche Steinkohle ist doch inzwischen wettbewerbsfähig!)


ist zudem in den letzten 15 Jahren – das betraf auch Ihre
Regierungszeit – kontinuierlich so weit zurückgeführt
worden wie dieser Bereich.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ist immer noch zu viel!)


Geradezu menschenverachtend ist der Vorschlag von
Herrn Austermann – so überall nachzulesen –,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei steigenden Kohlepreisen steigende Zuschüsse?)


öffentliches Geld aus dem zweiten Arbeitsmarkt zu zie-
hen. Er will das Fördern gerade zu dem Zeitpunkt ab-
schaffen, zu dem wir von den Menschen mehr fordern.
Pfui! sage ich da.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Sie haben aber Hartz IV offensichtlich noch nicht begriffen!)


– Herr Kampeter, ich glaube, ich habe von Hartz IV
mehr begriffen, als Sie jemals verstehen werden, selbst
wenn Sie sich bemühen würden.

Der Haushalt wird auch nach Abschluss der Beratun-
gen verfassungsfest sein. Auftretende Mehrbelastungen
wie etwa die Mehrbeteiligung des Bundes an den Kosten
der Unterkunft oder die Januar-Auszahlung des Arbeits-
losengeldes II an bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger
werden wir – das werden Sie erleben – in den Beratun-
gen auffangen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo denn bitte?)


Wir sind gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister
fest entschlossen, 2005 wieder das Maastricht-Krite-
rium von 3 Prozent einzuhalten, und wir werden es
schaffen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen!)


Unsere Reformen greifen, sie greifen insbesondere
bei den Sozialversicherungen. Im ersten Halbjahr 2003
verbuchten die Krankenversicherungen noch ein Defi-
zit in Höhe von 2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr
dieses Jahres gibt es einen Überschuss


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Gesundheitsreform haben wir auch gemeinsam gemacht!)


in Höhe von 2,5 Milliarden Euro.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das Instrument stammt von uns!)

Außerdem wird die anziehende Konjunktur die Steuer-
einnahmen steigern.






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Lehn


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na warten Sie mal auf die November-Steuerschätzung! Herr Eichel war da sehr viel pessimistischer!)


Bei den Kommunen zeigt sich das schon. So sind die
Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden, wie Sie
doch wissen, im ersten Vierteljahr 2004 um 8,4 Prozent
und im zweiten Vierteljahr sogar um 14,5 Prozent im
Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Diese Entwicklung ist
ein Indiz dafür, dass es in unserem Land wirtschaftlich
endlich wieder aufwärts geht.


(Beifall bei der SPD)

Die deutsche Wirtschaft ist auf Erfolgskurs. Leider

hat sich dieser positive Trend

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Noch nicht rumgesprochen!)

auf den Arbeitsmarkt noch nicht ausgewirkt. Erfah-
rungsgemäß folgt die Beschäftigungsentwicklung dem
Konjunkturverlauf mit einer spürbaren zeitlichen Ver-
zögerung. Nicht nur ich, sondern auch viele außerhalb
der Politik – Menschen, die etwas von Wirtschaft und
Wirtschaftsverläufen verstehen – sind sehr zuversicht-
lich, dass sich die Situation wesentlich verbessern und
die Konjunktur – unterstützt durch unsere Reform der ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente – in den nächsten Mo-
naten auch den Arbeitsmarkt erreichen wird.

Das Vertrauen der Bürger und der Investoren in die
Zukunft muss weiter gestärkt werden. Dazu tragen un-
sere Reformmaßnahmen und die Verlässlichkeit des
Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei. Sie stehen ganz
im Gegensatz zu Ihrem Herumeiern und Mal-hier-und-
dort-eine-Nebelkerze-Werfen. Sie schauen nur, wie rea-
giert wird, um dann, sobald sich auch nur der leiseste
Hauch von Kritik zeigt, sofort wieder wegzutauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Nebelkerzen-Rückzieher!)


Auch wenn wir hier eine Debatte im Deutschen Bun-
destag führen, möchte ich anmerken, dass eine gehörige
Portion an Mut und Zuversicht auch und insbesondere
den Medien zukommt. Ich glaube, wir könnten alle mit-
einander froh sein, wenn das Glas öfter mal als halb voll
statt immer nur als halb leer beschrieben würde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Haushaltskonsolidierung ist und bleibt ein herausra-
gendes finanzpolitisches Ziel, um ein solides Fundament
für die Zukunft zu schaffen. Wir haben den Haushalt seit
Antritt der rot-grünen Koalition konsequent konsolidiert
und wir setzen diesen Kurs auch fort. So sind die Ausga-
ben im Entwurf für das Jahr 2005 trotz der viel höheren
Arbeitsmarktausgaben sogar um rund 1,6 Milliarden
Euro niedriger als 1998. Hier ist also insgesamt, berei-
nigt um reine Umschichtungen, sogar ein Rückgang zu
verzeichnen. Im Zeitraum von 2003 bis 2008, also über
fünf Jahre, steigen die Ausgaben nur um 1,3 Prozent.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sollten aber sinken!)

Im Jahresdurchschnitt macht das lediglich ein Viertel
Prozent aus – etwas, was Sie in den 16 Jahren, in denen
Sie an der Regierung waren, nicht ansatzweise erreicht
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dadurch geht der Anteil der Bundesausgaben am
Bruttoinlandsprodukt natürlich kontinuierlich weiter
zurück.

Im Haushalt findet die Verwirklichung der zweiten
Stufe der Subventionskürzungen nach der Koch/Stein-
brück-Liste ihren Niederschlag. Außerdem werden die
Kürzungen von immerhin rund 2 Milliarden Euro, die
bei den Beratungen während des letzten Haushalts be-
schlossen worden sind, weiter fortgeschrieben.

Wachstum und Konsolidierung bedingen einander.
Ohne angemessenes Wachstum kann es keine dauer-
hafte Reduzierung der öffentlichen Defizite geben. Die
Konsolidierung muss deshalb von einer Strategie der
Wachstumsförderung begleitet werden. Hier setzen wir
vor allem auf die Erhöhung der Kaufkraft und damit der
Binnennachfrage, auf das Stärken der Städte und Ge-
meinden


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann bitte Steuern senken!)


und auf die Bereiche Forschung und Bildung.
Für das Investitionsprogramm zur Ausweitung der

Zahl der Ganztagsschulen werden wir trotz der schwieri-
gen Haushaltslage auch im Jahr 2005 wieder Mittel in
Höhe von rund 1 Milliarde Euro bereitstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Im Haushalt stehen nur 670 Millionen Euro!)


Die Eigenheimzulage wollen wir gänzlich streichen. Die
so eingesparten Mittel sollen für eine Innovationsoffen-
sive zur nachhaltigen Stärkung Deutschlands als Wissen-
schaftsstandort und als Bildungsstandort eingesetzt wer-
den. Das sind beim Bund im nächsten Jahr zwar nur
95 Millionen Euro; dieser Betrag steigt aber in den Fol-
gejahren kontinuierlich bis zu einer Größe von 6 Milliar-
den Euro an.

Die Verkehrsinvestitionen des Bundes belaufen sich
im Jahr 2005 auf 10,8 Milliarden Euro. Trotz der not-
wendigen Konsolidierungen, die wir vornehmen, stehen
damit 2005 sogar mehr Mittel für den Verkehrswegebau
zur Verfügung als im Vollzug des laufenden Jahres.

Wir stärken den Aufschwung schließlich auch mit der
letzten Stufe der Steuerreform. Sie entlastet die Bürger
um weitere 7 Milliarden Euro. Dadurch wird die Kauf-
kraft gestärkt. Auch an dieser Stelle will ich mit Blick
auf die Diskussionen, die in den nächsten Wochen anste-
hen, deutlich darauf hinweisen: Die SPD-Fraktion, die
rot-grüne Regierungskoalition hat eine Senkung des
Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent vorgeschlagen und
diesen Vorschlag hier auch so eingebracht. Es waren






(A) (C)



(D)


Waltraud Lehn

jedoch Sie, die im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt
haben, dass er auf 42 Prozent gesenkt wird.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Danke für den Hinweis!)


Das müssen Sie also verantworten und auch einmal sa-
gen.


(Beifall bei der SPD)

Sie müssen auch einmal sagen: Nein, wir geben uns
nicht damit zufrieden, die Ärmeren besser zu stellen, die
Geringverdienenden besser zu stellen, sondern wir wol-
len auch denjenigen, die es gar nicht nötig haben, noch
etwas geben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat das jetzt verstanden?)


Der Bund der Steuerzahler hat am 14. Juli dieses Jah-
res wieder kritisiert, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr
Einkommen bis genau zu diesem Datum an den Staat ab-
geliefert hätten


(Joachim Poß [SPD]: Das ist aber falsch!)

und erst ab dem 15. Juli bis zum Jahresende für die
eigene Kasse arbeiten dürften. Das ist eine gezielte
Volksverdummung und Stimmungsmache durch Herrn
Däke.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, das ist die Wahrheit!)


– Wenn Sie behaupten, dass das die Wahrheit ist – hören
Sie gut zu, Herr Kampeter! –, muss ich Ihnen sagen: So
kann eigentlich nur jemand reden, dem der Sozialstaat
egal ist.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Erst den Menschen etwas wegnehmen und dann die Rückgabe zum Geschenk erklären!)


So redet jemand, dem bewährte Begriffe wie „Solidar-
prinzip“ und „Generationenvertrag“ ein Dorn im Auge
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Am besten arbeiten wir bis zum 23. Dezember für den Staat und dann kriegen wir alles an Heiligabend zurück!)


Wer ist denn der Staat? Wo bleiben denn diese angeb-
lich mehr als 50 Prozent des abgelieferten Einkommens,
die zudem, wie Sie selbst wissen, böswilligerweise auch
noch viel zu hoch veranschlagt sind? Der größte Teil der
Beiträge und Steuern wird doch zur Absicherung der
Menschen verwendet.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Der Krankenkassenbeitrag dient der Gesundheitsvor-
sorge der Menschen. Er fließt doch nicht der Bundes-
kasse zu. Damit finanzieren wir keine Parlamente und
kommunalen Vertretungen, Kindergärten und Schulen.
Er unterliegt weitgehend der Selbstverwaltung und da-
mit dem Einfluss der Menschen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na, na!)

Weiß der Bund der Steuerzahler das nicht? Weiß Herr
Kampeter das nicht? Weiß die CDU/CSU das nicht?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Betrachten wir den Rentenversicherungsbeitrag. Die-
ser deckt die Alterssicherung der Versicherten bei wei-
tem nicht ab.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind hier im Deutschen Bundestag!)


Die Renten sind nur finanzierbar, weil sich der Bund
jährlich mit 80 Milliarden Euro aus dem Steueraufkom-
men daran beteiligt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die ihr den Menschen vorher wegnehmt!)


Ein Drittel – bei 100 Euro sind das 33 bis 34 Euro – legt
der Staat, legen wir durch unseren Haushalt dazu. Dieses
Geld fließt also an die Bürger zurück.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na ja!)

Es verschwindet nicht in irgendwelchen schwarzen Lö-
chern,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Belassen wir es doch gleich bei den Bürgern!)


die Herr Kampeter ausgemacht haben will.
Die Realität ist vielmehr: Unser Staat hat derzeit zu

geringe Einnahmen, während die Ausgaben inzwischen
wirklich auf das Notwendige heruntergefahren worden
sind.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Uhr ist kaputt! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr Präsident, die Uhr muss kaputt sein!)


Wir wollen den Sozialstaat erhalten. Dafür benötigen wir
aber auch Einnahmen. Deshalb ist uns die Bekämpfung
von Schwarzarbeit, von Steuerhinterziehung und Um-
satzsteuerbetrug ein wichtiges Anliegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Und von Sozialhilfebetrug!)


Nach Schätzungen werden dem Staat dadurch zweistel-
lige Milliardenbeträge vorenthalten. Wir werden mit al-
lem Nachdruck darauf hinwirken, dass dieser Sumpf
ausgetrocknet wird. So wird sich die Einnahmesituation
des Staates auch an dieser Stelle deutlich verbessern las-
sen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Bürger brauchen das Geld, der Staat weniger!)


Die Opposition hat in ihrer Regierungszeit nicht nur
jahrelang versagt, sondern viele – ich sage: zu viele –
Änderungen unangemessen hinausgezögert oder gar
nicht erst angepackt. Wir haben die für unser Land wich-
tigen Strukturreformen auf den Weg gebracht, die jetzt
zu wirken beginnen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ach so? Wo denn?)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Lehn

Ein Beispiel ist die gesetzliche Krankenversiche-

rung. Hier war die Opposition wenig hilfreich. Sie hat
uns im Vermittlungsausschuss manches Konzept ver-
wässert oder zerschlagen. Sonst wären wir noch weiter.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sage ich dem Seehofer! – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Frau Schmidt und Herr Seehofer sind aber gut befreundet, habe ich mir sagen lassen!)


Sie können Ihre Verantwortung beweisen, indem Sie
unseren Vorschlägen jetzt zustimmen. Sie können auch
selbst konkrete Vorschläge machen, über die wir mit-
einander reden müssen. Aber dann müssen es auch Vor-
schläge sein, die in Ihren eigenen Reihen Bestand haben.

Meine Damen und Herren, Reformen und Verände-
rungen, die die Bürger nicht begeistern und der SPD
auch bittere Wahlniederlagen beschert haben, stehen im
Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Menschen in un-
serem Land. Es ist nicht gut, dass Sie dabeistehen und
noch nicht einmal klammheimlich, sondern dreist-offen
Schadenfreude zeigen. Weil diese Reformen unpopulär
und schwer zu vermitteln sind, taktieren Sie, blockieren
Sie, verwirren Sie und verweigern Sie sich,


(Zuruf von der SPD: Obwohl es der Ballast von Ihnen ist!)


statt zumindest zu den wenigen Entscheidungen zu ste-
hen, an denen Sie beteiligt waren; und wenn Sie beteiligt
waren, dann immer nur, um die Änderungen für die
Menschen in Deutschland noch zu verschärfen. Ich
nenne nur die Stichworte Praxisgebühr oder Zahnersatz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512104000

Frau Kollegin Lehn, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1512104100

Ich bin sofort fertig.


(Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU])


Sie werden sehen, dass unsere Reformen zunehmend
greifen. Die Einnahmen werden steigen. Die Sicherung
des Standortes Deutschland wird wieder zur Sicherung
bestehender und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze füh-
ren. Daran arbeiten wir. Das werden wir schaffen. Sie
werden dann dort sitzen bleiben, wo Sie hingehören: in
der Opposition.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512104200

Das Wort hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad

Fromme von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1512104300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Eichel, Sie haben vorhin mit einer fulmi-
nanten Rede, in der Sie überhaupt nicht über den Haus-
halt gesprochen haben, geschickt vom Hauptproblem
dieses Haushalts abgelenkt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nicht „geschickt“! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ungeschickt war er!)


Ich muss schon sagen: Es ist erschreckend, dass außer
der Kollegin Hermenau niemand hier über dieses Haupt-
problem des Haushalts gesprochen hat, nämlich über das
strukturelle Defizit. Daraus ergeben sich doch die Pro-
bleme. Das strukturelle Defizit lag 1998 bei 12 Prozent;
jetzt liegt es bei 15,5 Prozent, wenn man die 40 Milliar-
den Euro umfassenden Risiken einmal realistisch be-
rücksichtigt,


(Lothar Mark [SPD]: Das ist aber nur der Realismus der CDU/CSU!)


die von Experten, so beispielsweise vom DIW, – das ist
nicht meine Zahl – gesehen werden. Der Gesamthaushalt
sah 1998 Ausgaben von 233,6 Milliarden Euro vor. Jetzt
haben wir 258,3 Milliarden Euro; das ist ein Plus von
9,3 Prozent. Wir hatten Einnahmen von 204,6 Milliarden
Euro und haben jetzt 236 Milliarden Euro; das ist eine
Steigerung von mehr als 15,6 Prozent. Meine Damen
und Herren, Sie haben es geschafft, in Ihrer Regierungs-
zeit das strukturelle Defizit wahnsinnig zu erhöhen; da-
rin liegen die Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Die Probleme liegen in Ihrer Vergangenheit!)


Die Kreditaufnahme ist doch nur die Folge davon, dass
Sie den Haushalt anders nicht mehr decken können. Ich
will es einmal einfach sagen: Die Einnahmen sind viel
kleiner als die Ausgaben, und die Lücke ist unter Ihrer
Regie immer größer geworden; deshalb haben Sie solche
Probleme. Wenn dann Herr Eichel von „ein paar Risi-
ken“ spricht, die die Experten mit bis zu 35 oder
40 Milliarden Euro beziffern, kann ich nur sagen: Den
Ausspruch mit den „Peanuts“ hatten wir schon einmal;
aber das hilft uns nicht weiter.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist immer noch weniger als die Milliarden von Waigel!)


Sie haben davon gesprochen, dass wir uns beim Sub-
ventionsabbau nicht konstruktiv verhalten hätten. Ich
frage Sie, Herr Eichel: Was hätten Sie denn in diesem
Jahr getan, wenn wir alles mitgemacht hätten? Dann hät-
ten Sie gar kein Futter mehr, um die Lücken dieses Jah-
res zu schließen.


(Zurufe von der SPD: Quatsch!)

Das Zweite ist: Subventionsabbau kann man doch nur

machen, um Strukturveränderungen zu finanzieren,

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

aber nicht, um laufende Ausgaben zu decken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie benehmen sich so wie der Bauer, der sein Saatgut
aufisst.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Jochen-Konrad Fromme

Und im nächsten Jahr wundern Sie sich, wenn Sie den
Haushalt nicht mehr unterfüttern können. Das ist doch
Ihr wahres Problem und nichts weiter.

In diesem Haushalt kulminieren Ihre Probleme bei
der Arbeitsmarktpolitik, bei der Wirtschaftspolitik, bei
der Finanzpolitik und bei der Haushaltspolitik. Meine
Damen und Herren, Sie stehen vor einem Riesenloch;
das hat ja auch die Kollegin Hajduk gegenüber der
Presse gesagt, hier hat sie es sich nicht mehr getraut. Sie
schieben die Schuld für die schlechte Lage auf eine drei-
jährige Stagnation. Aber Sie verschweigen Ihren eigenen
Beitrag, den Sie zu dieser wirtschaftspolitischen Ent-
wicklung geleistet haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau! – Lothar Mark [SPD]: Und Sie verschweigen die 16 Jahre, in denen Sie regiert haben!)


Meine Damen und Herren, wer jedes Jahr im Durch-
schnitt 0,5 Prozent der Konsumkraft weggenommen hat,
der muss sich nicht wundern, wenn der Konsum nicht
mehr funktioniert. Wenn die Leute kein Geld mehr ha-
ben, dann können sie auch nichts kaufen oder keine
Reise mehr machen. Wenn sie nichts mehr ausgeben
können, dann gibt es keine Nachfrage mehr. Wenn es
keine Nachfrage gibt, gibt es keine Arbeit, und wenn es
keine Arbeit gibt, können keine Leute beschäftigt wer-
den. Wenn keine Leute beschäftigt werden, dann gibt es
hohe Sozialaufwendungen und niedrige Steuern; genau
das ist der Punkt. Wenn es dann um Steuern geht, lügen
Sie sich noch etwas in die Tasche, wie die Tabaksteuer
gezeigt hat.


(Waltraud Lehn [SPD]: Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!)


Einen großen Beitrag haben Sie durch die Achter-
bahnfahrt bei der Körperschaftsteuer geleistet. Wir hät-
ten einmal die Großkonzerne in dieser Art und Weise
von der Körperschaftsteuer entlasten sollen, dann hätte
ich Ihre Reaktion sehen wollen. Das ist die soziale Aus-
gewogenheit der Kollegin Lehn, die hier eben so einge-
klagt wurde.

Ich will es noch einmal sagen: 1998: 18,5 Milliarden
Euro Körperschaftsteueraufkommen, 1999: 22,3 Milliar-
den Euro, 2000: 23,6 Milliarden Euro – das war die Stei-
gerung aus dem Aufschwung, den Sie übernommen ha-
ben; denn die Gewinne kommen ja ein bisschen später –,
2001: minus 0,4 Milliarden Euro, 2002: 2,9 Milliarden
Euro, 2003: 8,3 Milliarden Euro, 2004: 12,4 Milliarden
Euro, für 2005 rechnen Sie mit 16,6 Milliarden Euro
– die kommen nicht –: Das sind 70 Milliarden Euro Kör-
perschaftsteuer, die den öffentlichen Haushalten entgan-
gen sind. Welche Einschnitte in das Sozialsystem hätten
sie sich ersparen können, wenn Sie es richtig gemacht
hätten!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun drohen Sie schon wieder mit den nächsten Steu-

ererhöhungen: Die Grünen denken über einen Ausbau
der Ökosteuer nach, die SPD will die Erbschaftsteuer er-
höhen. Bei der Tabaksteuer kommen Sie jetzt vielleicht
zur Vernunft. Das ist Ihr Haushalt; er ist jenseits jegli-
cher Realität.

Herr Eichel, Sie machen den größten Fehler, den ein
Kämmerer machen kann: Sie veranschlagen die Ausga-
ben zu niedrig und die Einnahmen zu hoch und wundern
sich, dass die Realität Sie einholt. Ich kann Ihnen sagen:
Jeder Kassenwart eines kleinen Vereins, der dies über
drei Jahre so gemacht hätte wie Sie, wäre längst gefeuert
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie lügen sich doch etwas in die Tasche. Durch

Hartz IV soll es einen Nachschlag für die Kommunen
geben und Sie sagen, Sie wollten das mit einer globalen
Minderausgabe finanzieren. Das ist erstens am Parla-
ment vorbei und zweitens Augenwischerei, um den
Haushalt formal mit Art. 115 des Grundgesetzes kompa-
tibel zu machen. In Wahrheit wissen Sie doch schon,
dass das gar nicht möglich ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512104400

Herr Kollege Fromme, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hajduk?

Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1512104500

Aber gern.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512104600

Bitte schön, Frau Hajduk.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512104700

Herr Kollege Fromme, ich höre Ihnen sehr konzen-

triert und gerne zu.

(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das lohnt sich!)


Sie machen uns zum Vorwurf, dass wir angeblich die
Haushaltslücke strukturell ausgeweitet haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mehr als verzehnfacht!)


Daneben haben Sie gerade auch noch einmal die Öko-
steuereinnahmen erwähnt, die Sie kritisch sehen. Sie
wissen, dass wir damit einen Zuschuss für die Rente fi-
nanzieren, um die Lohnnebenkosten im Zaum zu halten.
Es ist richtig, dass wir unter unserer Verantwortung
strukturell einen höheren Bundeszuschuss zur Renten-
versicherung durchgesetzt haben, um die Kindererzie-
hungszeiten besser anrechnen zu können. Dabei geht es
um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das kann man
als strukturelles Intervenieren ansehen.

Ich muss Sie an dieser Stelle ganz konkret fragen und
möchte wissen: Wie verträgt sich Ihr Vorwurf bezüglich
der strukturellen Lücke – Sie sagen, wir hätten die Aus-
gaben strukturell ausgeweitet – mit den Plänen Ihrer ei-
genen Partei, einen Betrag von über 22 Milliarden Euro
für die Rentenfinanzierung zu fordern, um weitere Zei-
ten der Kindererziehung bei der Rente anrechnen zu
können? Nehmen Sie bitte genau zu diesem Ziel Stel-






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

lung. Wollen Sie das anders erreichen oder halten Sie
diese Forderung der Union an dieser Stelle für falsch?


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1512104800

Frau Kollegin Hajduk, das zeigt doch Ihre statische

Betrachtungsweise. Wenn Sie zum Beispiel unsere Vor-
stellungen bezüglich des Arbeitsmarkts nicht blockieren
würden


(Waltraud Lehn [SPD]: Weichen Sie doch nicht aus!)


und den Menschen die Kaufkraft über die Ökosteuer, die
Versicherungsteuer und Ähnlichem nicht weggenommen
hätten, dann hätten wir eine dynamischere Wirtschaft,
aus der man das finanzieren könnte. Das ist doch Ihr Irr-
tum: Sie nehmen den Leuten das Geld an der Stelle weg,
an der es in den Kreislauf kommen könnte, um die Ent-
wicklung zu beschleunigen. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: Beantworten Sie die Frage! – Lothar Mark [SPD]: Setzen, sechs!)


Wenn man die richtige Dynamik in den Markt bringt
– dazu sind Sie ganz offensichtlich nicht fähig; ansons-
ten hätten Sie unter anderem unser Arbeitsmarktmoder-
nisierungsgesetz nicht vom Tisch gefegt, sondern mitge-
tragen, um für mehr Wachstum und Beschäftigung zu
sorgen –, dann kann man das auch finanzieren.


(Waltraud Lehn [SPD]: Durchgefallen, Herr Fromme! – Lothar Mark [SPD]: Das war keine Beantwortung der Frage!)


Jedes dritte Wort von Ihnen lautet „konsolidieren“.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Richtig!)


Die öffentlichen Haushalte können auf Dauer nur auf der
Ausgabenseite konsolidiert werden. Hier haben Sie bis
jetzt nichts fertig gebracht, sondern nur draufgesattelt.

Sie sprechen immer von Nachhaltigkeit.
Hohl und leer klingen einem heute die Nachhaltig-
keitsphrasen von 1999 und 2000 im Ohr, als Eichel
und vor allem seine grünen Mitstreiter Stein und
Bein schworen, sie wollten das Krebsgeschwür der
Staatsverschuldung ausmerzen, weil Verschuldung
nichts anderes als „Raubbau an den Lebenschancen
künftiger Generationen“ sei. Am Ende des aktuel-
len Planungshorizonts … kalkuliert der Bundes-
finanzminister jetzt 20 Milliarden neue Kredite
ein … Die nackten Zahlen belegen ungeschminkt
die Kapitulation der rot-grünen Finanzpolitiker.

Meine Damen und Herren, das ist Ihre Nachhaltigkeit.
Das war übrigens ein Zitat Ihres Kollegen Oswald
Metzger und nicht meine Erfindung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben Ihre eigenen Konsolidierungsziele völlig

aufgegeben. Es war schon die Rede davon, dass Sie 2006
einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollten. Das ist
jetzt überhaupt kein Thema mehr. Ihre „Nachhaltigkeit“
führt doch dazu, dass Tafelsilber in den Orkus des lau-
fenden Haushalts geworfen wird. Mit welchen Folgen
geschieht das? Die Postaktien, die Sie jetzt zur Finanzie-
rung laufender Ausgaben einsetzen, waren doch dafür
gedacht, die Versorgungslasten abzudecken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, das ist ein Schaden für die Zukunft!)


Was passiert nun? Außerhalb der Bücher entstehen Las-
ten in Milliardenhöhe, die der Bundeshaushalt in Zu-
kunft abdecken muss. Das ist unverantwortlich gegen-
über den zukünftigen Generationen. Sie verschleudern
das Tafelsilber, anstatt es wenigstens für strukturelle
Veränderungen einzusetzen. Vielmehr werfen Sie es wie
Perlen vor die Säue.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie verlagern damit die Risiken auf künftige Generatio-
nen. Genau dagegen haben sich die Grünen immer aus-
gesprochen.

Am Haushalt vorbei haben Sie die Kohlesubventionen,
die sowieso zu hoch sind, noch gestundet. Sie sind im
Haushalt gebucht und gestundet, womit künftige Forde-
rungen auf die nächsten Bundeshaushalte übertragen
werden. Für den Schacht Konrad haben Sie 1 Milliarde
Euro Vorausleistung gegenüber der Wirtschaft zu erstat-
ten. Sie tricksen mit dem ERP-Vermögen und so geht es
immer weiter. Zwischen Reden und Handeln liegen bei
Ihnen Welten.

Sie sprechen vom Sparen; konsolidieren heißt ja spa-
ren. Aber zeigen Sie mir mal in den einzelnen Etats, wo
wirklich gespart wird. Die „Bild“-Zeitung schreibt:
„Eichel will Büromöbel für 96 000 Euro“. Ist das spa-
ren?


(Lachen bei der SPD)

Sie beschäftigen Heerscharen von Gutachtern und ent-
lassen das Personal. Sie geben immer mehr Geld für Öf-
fentlichkeitsarbeit in Form von Meinungskauf aus, weil
Sie glauben, dass die Experten, die Sie beschäftigen, gut
über Sie reden. Aber die Menschen werden Ihnen dieses
nicht durchgehen lassen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)

Ihr Jäger 90 – früher wurde immer der Jäger 90 als Fi-

nanzierungsvorschlag angeführt – sind heute Eigenheim-
zulage und Agrarsubventionen. Dazu kann ich Ihnen nur
sagen: Das ist so unglaubwürdig, wie es nur sein kann.
Sie legen immer wieder Sparvorschläge vor, von denen
Sie genau wissen, dass sie nicht zum Zuge kommen, da-
mit Sie auf dem Papier ausgeglichene Haushalte haben.
Am Ende kommt es dann aber anders.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum eigentlich kommen sie nicht zum Zuge?)


Dann gibt es noch den „handlungsfähigen“ Finanz-
minister. Er hat schon im Juni dieses Jahres erklärt, ein
Nachtrag sei erforderlich. Das ist übrigens ein Vorgang,
der sich in den letzten drei Jahren Jahr für Jahr wieder-
holt hat. Was ist denn der Sinn eines Nachtrages? Der






(A) (C)



(B) (D)


Jochen-Konrad Fromme

Nachtrag soll einer Entwicklung entgegensteuern, die
gegenüber der Verabschiedung des Haushaltes eingetre-
ten ist. Nun haben Sie in einem Punkt Recht: Diese klas-
sische Situation haben wir nicht; denn Sie wissen schon
bei der Verabschiedung des Haushaltes, dass alles
krumm und schief ist und manipuliert. Deswegen müss-
ten Sie eigentlich den Haushalt gleichzeitig mit einem
Nachtrag verabschieden.

Was machen Sie? Sie erklären, ein Nachtrag sei erfor-
derlich. Das wollen Sie im November machen, wenn die
Steuerschätzung vorliegt. Im November aber können Sie
überhaupt nicht mehr gegensteuern. Das ist rein buch-
halterisches Nachvollziehen. Ist denn der Finanzminister
in seinem Handlungsvermögen so schwach, dass er nicht
mehr gegensteuern kann?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Eichel, sind Sie nur noch in der Lage, am Ende die
Buchhalternase anzubringen, aber nicht mehr zu steu-
ern? Dann kann ich nur sagen: Werfen Sie diesen Haus-
halt in den Papierkorb! Bringen Sie endlich eine diskus-
sionsfähige Grundlage in den Bundestag ein! Am besten
sollte dies ein neuer Kollege machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Du kannst doch nicht alles glauben, was du sagst! – Gegenruf des Abg. JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Das weiß ich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512104900

Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Binding von

der SPD-Fraktion.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1512105000

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Debatte über den Haushalt bietet im-
mer auch Gelegenheit, an diejenigen zu denken, denen
es im Staat wirklich schlecht geht.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: An euch! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann müssten wir von morgens bis abends an die Sozialdemokratie denken!)


Es geht vielen Leuten nicht gut. Daran kann man erken-
nen, worin die Aufgabe des Haushalts besteht, nämlich
ihn in seiner dienenden Funktion für Soziales, Umwelt
und Kultur zu entwickeln. Deshalb ist eine rein monetäre
und finanzpolitische Betrachtung sicherlich nicht ziel-
führend.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Finanzminister hat etwas anderes erklärt!)


Natürlich gibt es Menschen, die für die Bekämpfung
der Armut sofort eine Lösung haben. Sie sagen: Nehmt
es von den Reichen! Diesen „superguten“ Ansatz hören
wir von Oskar Gregor Lafonsi oder auch von
Gyfontaine. Diese beiden haben vor und nach der Mög-
lichkeit, Einfluss zu nehmen und das zu tun, was sie pre-
digen, immer die richtigen Ideen. Aber während sie im
Amt waren, haben sie merkwürdigerweise versagt.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe mich – deshalb habe ich diese etwas selt-
same Einleitung gewählt – etwas gewundert: Herr
Austermann hat Hans Eichel vorgeworfen, nicht über
den Haushalt geredet, sondern einen Themensalat for-
muliert zu haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das trifft auch zu! – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Ein sehr guter Kritikpunkt!)


Als Herr Eichel über die Kommunen gesprochen hat, hat
Herr Kampeter gefragt: Stehen sie auch im Bundeshalt?


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er wäre jetzt lieber wieder Oberbürgermeister!)


Man erkennt etwas ganz Interessantes: Derjenige, der
im Bund eine reine Fiskalpolitik macht, kann nicht am
Ziel ankommen. Das will ich gleich etwas genauer zei-
gen. Wer sich nämlich ein bisschen mit Verschuldung
und Neuverschuldung befasst, der wird sehen, dass im
Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien immer
Hans Eichel den Kopf hinhalten muss, und zwar nicht
nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Län-
derhaushalte, die Kommunalhaushalte und die Sozial-
kassen. Hans Eichel bekommt in Europa Prügel für
Dinge, die möglicherweise andere Leute zu verantwor-
ten haben.

Wenn ich einmal mit diesem Zollstock messe, wie
sich die Verantwortung bis 1998 verteilt,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Pass auf, dass du keine Schwarzarbeit machst!)


dann sehen Sie, dass ich kein Schwarzarbeiter bin, aber
mit dem Zollstock umgehen kann. Man erkennt daran
sehr genau den Schuldenstand bis 1998.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Daran hast du aber lange gebastelt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Ja, die Roten waren auch ein bisschen beteiligt. Wer
sensibel ist und genau hinguckt, erkennt auch, dass die
Gelben immer dabei waren.


(Heiterkeit bei der SPD)

Man erkennt aber auch die eigentlich geringe Zusatzbe-
lastung in den letzten Jahren.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben Sie nur so kurze Zeit regiert!)


Gleichwohl merkt man: Die Dimension der Vorbelastun-
gen, die wir 1998 in diesem Staat zu übernehmen hatten,
erfordert ganz andere Anstrengungen, als Sie sie sich je-
mals vorgenommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich setze ein paar ganz einfache Schlaglichter: Ihre
Sozialpolitik lässt sich zusammenfassen mit dem Exis-
tenzgrundlagengesetz. Jeder, der jetzt über Hartz sin-
niert, sich darüber ärgert oder traurig ist, soll doch ein-
fach dieses Gesetz einmal lesen. Dann weiß er, wo wir
sozialpolitisch ankommen, wenn wir dieses Gesetz um-






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Binding (Heidelberg)


setzen. Die Zuverdienstregelungen sind vorhin schon
einmal erwähnt worden.

Auch Ihren Vorschlag für das Kopfpauschalensystem
muss man sich einmal genauer anschauen. Das wäre ein
gravierender Eingriff in die Sozialgesetzgebung. Sie tun
ja so, als würden die Armen und die Reichen gleich be-
handelt. Das klingt wunderbar, weil man ihnen scheinbar
gleich viel nimmt. Wer das als Sozialpolitik verkauft, der
soll den zweiten Blick wagen.

Wer sich Ihre dritte große Idee, die merzsche Steuer-
reform, anguckt, wird erkennen, dass Merz erstens ver-
gessen hat, die Unternehmensteuerreform zu integrieren.
Zweitens hat er vergessen, uns zu erklären, wie er diese
enormen Einnahmeausfälle im Bundeshaushalt über-
haupt finanzieren will. Wir haben ja bereits gesehen, was
passiert, wenn wir diesen Weg gehen.


(Joachim Poß [SPD]: Nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und Kommunen!)


Jetzt will ich meinen Zollstock noch einmal ausklap-
pen, weil wir eine „rote Phase“ hatten. Um deutlich zu
machen, wie es aussähe, wenn Sie mit Schwarz-Gelb an
der Regierung geblieben wären, habe ich diesen Teil des
Zollstocks einmal grob extrapoliert. Wir erkennen, dass
das nicht der richtige Weg sein kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vorhin haben einige – ich glaube, Herr Meister war
es – über die Körperschaftsteuer geredet. Sie haben ge-
sagt, wir hätten Steuerschlupflöcher aufgerissen. Aber
Sie wissen genau, dass die Körperschaftsteuer – diese
könnte man auch messen – vor unserer Reform dem
Staat nur geliehen war. Jeder Pfennig der Körperschaft-
steuer, die Herr Waigel jemals eingenommen hat, musste
automatisch nach einer gewissen Zeit, wenn an die
Aktionäre ausgeschüttet wurde, immer komplett ausge-
zahlt werden. Für mich waren diese so etwas wie heimli-
che und nicht bilanzierte Schuldscheine von Herrn
Waigel. Heute bilanzieren wir übrigens korrekt. Eben
deshalb stellen wir auch einen etwas anderen Haushalt
auf, als Sie ihn damals vorgeschlagen haben.

An dieser Stelle ist auch zu beweisen, dass wir sogar
den Reichen nehmen und genommen haben. Jochen Poß
oder Jörg-Otto Spiller haben das vorhin sehr schön am
Beispiel Bad Homburg erklärt. Dort mussten 1997 plötz-
lich mehr Steuern erstattet werden, als überhaupt einge-
nommen worden waren. Komischerweise ist das heute
nicht mehr so. Warum? Weil es weniger oder fast keine
Nullsteuermillionäre mehr gibt. Es ist absurderweise
– das könnte auch Oskar Lafontaine irgendwann
kapieren –


(Steffen Kampeter Lafontaine ja öfter als wir! eben nicht so, dass man automatisch den Reichen Steuern zurückgibt, wenn man den Spitzensteuersatz senkt. Es ist viel besser, die Steuerschlupflöcher zu schließen und den Spitzensteuersatz zu senken. Dann hat man zwar eine wunderschöne Zahl beim Spitzensteuersatz; aber die Reichen zahlen trotzdem mehr als zuvor. Schließlich ist klar, dass wir im unteren Bereich, bei den Leuten, die bis 30 000 Euro verdienen, einen ganz großen Erfolg haben und diese Menschen entlasten. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ich will den Zollstock nicht zum dritten Mal auspacken, obwohl aller guten Dinge drei sind. Ich weiß, dass Sie diese gelben langen Streifen lieben. Der gelbe Teil meines Zollstocks bedeutet aber Verantwortung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Deshalb haben Sie auch einen grünen Streifen an der Seite!)


Das dritte Mal verkneife ich mir.
Aber obwohl ich weiß, dass man mit jeder Zahl ein

Drittel seiner Zuhörer verliert, will ich doch noch sechs
Zahlen nennen. Das 100-Milliarden-Euro-Risiko Merkel
ist bisher nur ein Label; aber es hat einen konkreten Hin-
tergrund. Frau Merkel hat irgendwie die Idee, 10 Milliar-
den zusätzlich auszugeben für eine Steuerreform,
40 Milliarden für eine Kopfpauschale, 22 Milliarden für
die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei der
Rentenberechnung, 12 Milliarden für die Mindestrente
und 18 Milliarden für eine Kindergelderhöhung. Das
macht zusammen 102 Milliarden. Ich frage: Wie will
man das überhaupt finanzieren, wenn man sich überlegt,
dass wir im Moment um 500 Millionen Euro und 1 Mil-
liarde Euro kämpfen?


(Peter Dreßen [SPD]: Lotto spielen!)

Hier geht es um den Faktor 100. Das Konzept liegt voll-
kommen neben der Realität.

Abschließend will ich etwas Positives sagen. Das,
was mich besonders freut, ist, dass die CDU/CSU, die
sich im letzten Jahr überhaupt nicht an den Haushaltsbe-
ratungen beteiligt hat und sozusagen ausgezogen ist, in
diesem Jahr zu den Beratungen wieder hereingekommen
ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Eine parlamentarische Kasperei!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512105100

Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1512105200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich

ist das eine verkehrte Welt: Frau Lehn und Herr Poß von
der Regierungskoalition beschimpfen die Opposition.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Recht!)


Dabei sind Sie doch auf der besseren Seite. Sie sollen re-
gieren. Das erwarten wir von Ihnen. Regieren Sie, ent-
wickeln Sie schlüssige Konzepte, überzeugen Sie die
Bevölkerung und setzen Sie diese Konzepte um!


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie können es doch nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck

Was stellen wir an jedem Wahlsonntag fest? Sie kriegen
an jedem Wahlsonntag eine volle Klatsche. Wenn Sie
dann dienstags oder mittwochs wieder hier sind, be-
schimpfen Sie uns.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister Eichel, Sie waren einmal Oberbürger-

meister in Kassel.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist schon lange her!)

Ich mache seit 27 Jahren Kommunalpolitik und habe zu
den Kommunalpolitikern über alle Fraktionen hinweg
ein gutes Verhältnis und diese haben bei mir einen Ver-
trauensvorschuss. Sie haben sich heute Morgen vor lau-
fenden Fernsehkameras dazu verstiegen, den Kommu-
nen anzukündigen – Herr Kollege Poß hat das noch
einmal unterstrichen –, dass wir, die kommunale Ebene,
im nächsten Jahr um 6,5 Milliarden Euro entlastet wer-
den.


(Hans Eichel, Bundesminister: 6,6 Milliarden Euro!)


– 6,6 Milliarden Euro, so kleinlich sind wir gar nicht. –
Ich habe einmal ausgerechnet, was das für den Landkreis
Osnabrück, in dem ich politische Verantwortung trage,
bedeuten würde. Von den 6,6 Milliarden Euro entfiele
ein Zehntel auf Niedersachsen. Das wären 660 Millionen
Euro. Auf den Landkreis Osnabrück entfiele ein Zwan-
zigstel der Summe für das Land Niedersachsen, also ein
Betrag in Höhe von 32 Millionen bis 33 Millionen Euro.
Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn das eintritt, werden Sie so-
fort zum Ehrenbürger im Landkreis Osnabrück gekürt.
Das ist doch Fiktion, das ist dummes Zeug, was Sie hier
erzählen! Die Realität ist, dass in Niedersachsen kaum
ein Landkreis bzw. eine Kommune den Haushalt aus-
gleichen kann. Die Tendenz verschlechtert sich noch.
Das ist doch die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt werden Sie fragen – das dürfen Sie auch –, was

wir tun würden, wenn wir regieren würden, und welche
Alternativen wir hätten.


(Zurufe von der SPD: Gute Frage! – Jetzt sind wir gespannt!)


Die Realität ist doch, dass wir in Deutschland das Pro-
blem haben, dass wir zu wenig Beschäftigung haben.


(Waltraud Lehn [SPD]: Jetzt sagen Sie doch mal, wie Sie die steigern können!)


Wir ziehen uns zwar an den Arbeitslosenzahlen jeweils
am 4. oder 5. eines Monats hoch; aber in Wirklichkeit ist
viel entscheidender die Zahl der Menschen, die in Arbeit
und Brot sind. Denn sie erbringen eine Wertschöpfung,
sie zahlen Steuern und entrichten Beiträge zu den Sozial-
versicherungskassen. Wir aber geben auf allen Ebenen
über 80 Milliarden Euro für die Verkleisterung der Ar-
beitslosigkeit aus, nicht um sie zu beheben, sondern um
die Leute ruhig zu stellen. So ist doch die Realität.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist aber eine interessante Sichtweise!)

Sie haben uns in der Vergangenheit große Konzepte
angeboten. Ich erinnere mich noch an 1998. Einen Som-
mer lang tanzte ein Herr Stollmann; anschließend, als
das Kabinett gebildet wurde, war er zum Segeln in der
Südsee. Jetzt hat immerhin zwei Jahre lang ein Herr
Hartz getanzt. Herr Müntefering hat gesagt, Hartz müsse
man langsam aus dem Gefecht ziehen. Herr Clement war
zwischenzeitlich in Deutschland mit der Aktion „Team-
arbeit für Deutschland“ unterwegs. Was hat das ge-
bracht? Es hat viel gekostet, die Leute in die Irre geführt
und die Beschäftigtenzahl in Deutschland ist zurückge-
gangen. Das ist die Realität.

Jetzt komme ich zu dem, was man tun kann. Ich bin
Vorsitzender eines Vereins mit sieben Mitgliedern, der
im letzten Jahr 169 Menschen, die im Durchschnitt ein-
einhalb Jahre arbeitslos waren, vorbereitet hat, um sie
überhaupt in die Lage zu versetzen, Beschäftigung auf-
zunehmen.


(Peter Dreßen [SPD]: Und wer hat das bezahlt?)


– Ich komme darauf zurück. – Der Landkreis Osna-
brück, in dem ich Verantwortung trage, hat in den letz-
ten zehn Jahren 7 000 vorher im Durchschnitt mehr als
eineinhalb Jahre arbeitslose Menschen in Arbeit und
Brot vermittelt. Davon sind über 65 Prozent heute noch
in Beschäftigung.

Einen Drehtüreffekt, wie Sie ihn vielleicht in Kassel
erlebt haben, Herr Minister, in Verbindung mit dem ent-
sprechenden kommunalpolitischen Desaster, das es dort
gegeben hat, gibt es bei uns nicht. Das, was wir machen,
gibt es nicht nur im Landkreis Osnabrück, sondern die-
ses Beispiel wird auch in vielen anderen Kommunen
aufgegriffen.


(Lothar Mark [SPD]: Wer finanziert das?)

Unsere Arbeit hat im Ergebnis dazu geführt, dass wir
nicht nur den 7 000 unmittelbar Betroffenen eine mensch-
liche Perspektive geboten haben, sondern auch den Fami-
lien, die in aller Regel dahinterstehen.

Was haben wir eigentlich gemacht? Wir haben in die
betroffenen Menschen investiert, indem wir sie thera-
piert und zum Arzt geschickt haben und indem wir un-
terschiedlichste Aktionen durchgeführt haben. Alles zu-
sammengerechnet haben wir im Kreishaushalt jährlich
13 Millionen Euro gespart.

Jetzt fragen Sie bestimmt, wer das alles bezahlt hat.
Sicherlich ist das an der einen oder anderen Stelle auch
durch die Arbeitsverwaltung finanziert worden. Aber Sie
werden auch feststellen, dass uns die Arbeitsverwaltung
bzw. die Agentur für Arbeit, wie Sie sie inzwischen
künstlerisch umbenannt haben, oft genug Knüppel zwi-
schen die Beine geworfen hat, weil sie uns nicht die er-
forderliche Entscheidungsfreiheit gewährt hat, um den
individuellen Fall so bearbeiten zu können, wie es not-
wendig ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512105300

Herr Kollege Schirmbeck, lassen Sie eine Zwischen-

frage zu?






(A) (C)



(B) (D)



Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1512105400

Ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. – Sie

können, so wie es die Arbeitsverwaltung macht, folgen-
dermaßen vorgehen: Sie bauen in Nienburg ein großes
Zelt auf einem Spargelfeld auf, schicken alle Langzeitar-
beitslosen dorthin und stellen nach zwei Tagen fest, dass
niemand mehr da ist. Sie können aber auch zielgerichtet
jeden einzelnen Langzeitarbeitslosen ansprechen, indivi-
duell etwas für ihn tun und ihn in die Situation bringen,
das, was Sie ihm mit christlicher Hand anbieten, auch
fairerweise annehmen zu können. Das ist Sozialpolitik
und hilft uns in Deutschland weiter, Herr Kollege
Binding. Wenn Sie uns in die sozialpolitische Ecke stel-
len wollen, dann weise ich darauf hin, dass unsere so-
ziale Marktwirtschaft das Produkt von CDU, CSU und
FDP ist. Darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: So etwas Bigottes habe ich schon lange nicht mehr gehört!)


Was brauchen wir in Deutschland in Wirklichkeit?
Heute Morgen wurde festgestellt, dass wir ein zweites
Standbein für den Aufschwung brauchen. Der Export
läuft; daneben brauchen wir ein weiteres Standbein. Herr
Minister, ich sage Ihnen, was an dieser Stelle notwendig
ist. Das zweite Standbein heißt Vertrauen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir brauchen Vertrauen in die Handelnden und darin,
dass die beschlossenen Gesetze und getroffenen Verab-
redungen auch eingehalten werden. Wer investiert denn
in unserem Land, wenn er nicht weiß, ob er die Anlage
oder die Einrichtung, in die er investiert hat, in der nor-
malen Abschreibungszeit überhaupt betreiben kann?
Fragen Sie doch ihre rot-grüne Klientel, was Sie alles
machen. Sie verschrecken die Investoren im Land und
wundern sich, dass das eigentlich vorhandene Geld nicht
investiert wird. Zu mir kommen immer mehr Unterneh-
mer, die eine Idee haben und wissen, wie sie vorgehen
müssten, die sich aber dieses Theater erst einmal an-
schauen und die Sprechblasen anhören wollen statt zu
investieren.

Was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen. Der kleine
Sparer sagt sich: Ich weiß nicht, was morgen ist, ob ich
Arbeit habe und wie hoch meine Rente ausfallen wird. In
dieser Situation spart er weiter. Er bringt das Geld nicht
in den Wirtschaftskreislauf ein, obwohl er es ausgeben
könnte.


(Joachim Poß [SPD]: Deswegen haben Sie so klare Konzepte!)


Das führt dazu, dass die Binnenkonjunktur und der Kon-
sum nicht angekurbelt werden. Das ist das konkrete Er-
gebnis des von Ihnen angerichteten Desasters.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb wiederhole ich: Das Wichtigste, das wir leis-

ten müssen, ist, dass die in Deutschland vorhandene Ar-
beit fairerweise denen angeboten wird, die heute keine
Arbeit haben, und zwar unter solchen Umständen, dass
sie dieser Arbeit überhaupt nachgehen können. Denn es
gibt in Deutschland Arbeit. In vielen Wirtschaftsberei-
chen gibt es keine Deutschen mehr. Dem Einwand, dass
dann die Arbeitskräfte aus Osteuropa kommen, halte ich
entgegen: Stellt euch einmal vor, die osteuropäischen
Arbeitskräfte, die bereits hier sind, würden streiken.
Dann würden ganze Wirtschaftsbereiche zusammenbre-
chen. Deshalb müssen wir die Arbeit fairerweise unserer
Klientel anbieten. In diesem Zusammenhang lässt sich
Vieles auf den Weg bringen.

Dass die Menschen Vertrauen in die Regierenden, in
die Handelnden bzw. in die haben, die handeln müssten,
ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass es in
Deutschland wieder aufwärts geht. Das geschieht am
besten dadurch, dass diese Regierung abtritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512105500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Carsten Schneider von der SPD-Fraktion
das Wort.


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1512105600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kol-
lege Schirmbeck, obwohl ich Ihre Rede sehr aufmerk-
sam verfolgt habe,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat sich gelohnt!)


habe ich keinen Bezug zu den aktuellen Haushaltspro-
blemen und zu der heute anstehenden allgemeinen Fi-
nanzdebatte erkennen können. Das zieht sich – das wer-
den Sie sicherlich nicht gerne hören – wie ein roter
Faden durch die Reden aller Abgeordneten Ihrer Frak-
tion. Ich bedauere sehr, dass die heutige Finanzdebatte
über das Haushaltsjahr 2005, das für die Bundesrepublik
und auch für die Regierung eine besondere Bedeutung
hat, so beginnt. Ich wünsche mir eine Opposition, die ih-
rer Verantwortung tatsächlich gerecht wird.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU

– die Kollegen von der FDP nehme ich ausdrücklich
aus –, Sie sind Ihrer Verantwortung schon im vorigen
Jahr nicht gerecht geworden, als Sie im Haushaltsaus-
schuss nicht einen einzigen Änderungsantrag gestellt ha-
ben. Das war Blockade und Arbeitsverweigerung pur
und ist leider eine Fortsetzung dessen, was Sie all die
Jahre zuvor gemacht haben. Wir haben keine Antwort
auf die Frage bekommen – Kollege Binding hat dies be-
reits ausgeführt; man kann hier auch die „Welt am
Sonntag“ zurate ziehen, die wirklich kein sozialdemo-
kratisches Blatt ist –, wie Sie Ihre Einsparvorschläge mit
einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro finan-
zieren wollen. Ich habe der Presse entnommen, dass
Herr Austermann die Etatausgaben um 7,5 Milliar-
den Euro kürzen will, während Herr Stoiber 12,9 Mil-
liarden Euro vorschlägt. Wie viel und wo soll denn nun
konkret eingespart werden? Etwa bei der Land-
wirtschaft? Oder ist sie wieder sakrosankt? Nichts ist






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider

erkennbar. Ich kann nur hoffen, dass Sie im Laufe der
Beratungen – wir haben ja drei Monate Zeit – zu einer
besseren Einsicht kommen, Ihre Verantwortung wahr-
nehmen und ihr auch gerecht werden.

Nun zu den Zahlen und dem vom Kollegen Eichel
heute Morgen vorgestellten Entwurf des Bundeshaus-
halts 2005: Wir werden den Entwurf in den Ausschuss-
beratungen sehr sorgsam prüfen und an der einen oder
anderen Stelle, an der es sich anbietet, Änderungen vor-
nehmen. Die Zeiten sind angesichts der wirtschaftlichen
Entwicklung, insbesondere angesichts der Wachstums-
schwäche in den vergangenen drei Jahren, die sich natür-
lich auch auf die Einnahmesituation des Bundes und der
Länder negativ ausgewirkt hat, und angesichts der Vor-
belastung des Haushalts – ich erinnere nur daran, dass
wir jedes Jahr 40 Milliarden Euro Zinszahlungen zu leis-
ten haben – sehr schwierig.

Kurz zu den Zahlen: Nach der Steuerschätzung vom
Mai dieses Jahres werden für 2005 Steuermindereinnah-
men in Höhe von 9 Milliarden Euro erwartet. Wenn Sie
im vorigen Jahr im Bundesrat Ihrer Verantwortung ge-
recht geworden wären und an den entscheidenden Stel-
len dem Subventionsabbau, der eine Verstetigung bzw.
eine Verbreiterung der Einnahmebasis zur Folge gehabt
hätte, zugestimmt hätten, hätten wir alleine im Jahr 2005
mit 4 Milliarden Euro und im Jahr 2006 – summiert –
mit 10,6 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt rech-
nen können. Die Länder hätten 9,9 Milliarden Euro und
die Gemeinden 4,4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung
gehabt. Dieses Geld fehlt uns. In gewisser Weise ist es
nicht nur eine Täuschung der Öffentlichkeit, sondern ein
Frevel, wenn man im Bundesrat jeden Vorschlag zur
Einnahmeverbesserung ablehnt, um anschließend auf die
schlechte Finanzsituation der Länder hinzuweisen. Ich
nenne als Beispiel nur Thüringen, dessen Nettokredit-
aufnahme nach Maßgabe der mittelfristigen Finanzpla-
nung in diesem Jahr bei null, tatsächlich aber bei
1 Milliarde Euro liegt. Wir haben eine gemeinsame Ver-
antwortung. Aber Sie sind sich dieser nicht bewusst und
werden ihr erst recht nicht gerecht. Ich halte dies in ei-
nem Land mit einem föderalen System – ich habe das
schon in früheren Reden gesagt – einfach für verantwor-
tungslos.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es zeigt sich immer wieder – das ist am perfidesten –,
dass Sie keine gemeinwohlorientierte Politik, sondern
eine reine Klientelpolitik betreiben. Ich nenne als Bei-
spiel nur die Agrarbeihilfen, über die wir im vorigen
Jahr auf Geheiß von Herrn Stoiber nicht verhandeln
durften. Auch in der gestrigen Anhörung des Haushalts-
ausschusses haben Sie nicht erkennen lassen, dass Sie
sich dazu durchringen können, an dieser Stelle Subven-
tionen zu streichen, um die dadurch frei werdenden Mit-
tel anderen Bereichen zur Verfügung zu stellen oder zur
Minderung der Schuldenlast einzusetzen. Auch dies ist
nicht möglich. Letztendlich zahlen wir die Zinsen für die
Schulden, die dadurch zusätzlich entstehen.

Es zeigt sich immer mehr, dass Sie sich dann, wenn es
richtig heiß wird, wenn Standfestigkeit gefragt ist, wenn
es heißt, bei den Bürgern für seine Ideen und Überzeu-
gungen einzustehen, schnell vom Acker machen, und
zwar schneller, als ich mir persönlich das habe vorstellen
können. Einen Ausreißer in negativer Hinsicht stellt da-
bei der Ministerpräsident von Sachsen, Herr Milbradt,
dar. Zuerst möchte er im Vermittlungsausschuss – das
hat er auch öffentlich gemacht – mithilfe eines Existenz-
gründergesetzes einen breiten Niedriglohnsektor im Os-
ten Deutschlands etablieren. Wenn aber die – von uns
abgemilderten – Hartz-IV-Reformen tatsächlich umge-
setzt werden sollen, dann macht er sich vom Acker und
hat nicht den Mumm, sich den Protesten zu stellen; viel-
mehr stellt er sich an ihre Spitze. Das ist nicht nur per-
fide, sondern auch verlogen. Wenn das das Führungsper-
sonal der CDU ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht,
Deutschland!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Dass ein so junger Kollege wie Sie mit Begriffen wie „verlogen“ hantiert, ist zumindest bemerkenswert!)


Noch ein paar Zahlen zur Klarheit des Bundeshaus-
halts. Wir haben in den vergangenen Jahren eine eindeu-
tig begrenzende Ausgabenpolitik betrieben. Das
Wachstum auf der Ausgabenseite ist sehr gering. Bei be-
reinigter Betrachtung zeigt sich, dass es unterhalb der In-
flationsrate liegt. Unser Problem war die von mir bereits
angesprochene Einnahmesituation, die besonders durch
die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage gekennzeichnet
ist. Vor allem hatte sie an Ihrer Blockade der Verbesse-
rung der Steuereinnahmebasis zu leiden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Wiederholung macht es nicht besser!)


Schauen wir uns die Ausgaben des Bundes an: Im
Jahr 2005 liegt die Ausgabenquote, gemessen am Brutto-
inlandsprodukt, bei 11,5 Prozent. 1998 hat sie noch
12,1 Prozent betragen. Die Kreditfinanzierungsquote
liegt 2005 mit 8,5 Prozent weitaus niedriger als 1998,
wo sie noch sage und schreibe 12,3 Prozent betragen hat.
Dies alles geschah in den letzten Jahren vor dem Hinter-
grund einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Ba-
sis.

Aber ich möchte nicht zu sehr in der Vergangenheit
verweilen, sondern im Rahmen dieser Haushaltsberatun-
gen auf einige Punkte eingehen, die die Zukunft betref-
fen. Das Kabinett hat mit Einbringung des Haushaltes
die Abschaffung der Eigenheimzulage auf den Weg ge-
bracht. Das soll für den Bund im Finanzplanungszeit-
raum bis 2008 frei werdende Mittel – das ist angesichts
knapper öffentlicher Kassen der richtige Weg – in Höhe
von 3 Milliarden Euro bedeuten. Diese Mittel sollen
komplett in den Bereich „Bildung und Forschung“ in-
vestiert werden.

Ich halte dies für den richtigen Weg im Umgang mit
der größten Einzelsubvention des Bundes. In Erfurt gibt
es viel grüne Wiese und viele Neubaumaßnahmen.
Wohnraum ist eigentlich – ich erinnere an die Diskussio-
nen der vergangenen Jahre – zur Genüge vorhanden. Auf
der einen Seite wird der Abriss und auf der anderen Seite






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider

wird die Schaffung von Wohneigentum finanziert. Die
Eigenheimzulage ist eine Subvention, die wir nicht mehr
brauchen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wird dieser Wohnraum mit Eigenheimzulage gebaut? Seit wann gibt es denn für Mietwohnungsbau Eigenheimzulage, Herr Kollege Schneider?)


Ich bitte Sie deswegen, dem Haushalt zuzustimmen.
Sorgen Sie mit dafür, dass wir insbesondere den Ländern
die Mittel geben, die ihnen Spielräume verschaffen, ihre
bildungspolitischen Vorstellungen, die sie für sich im-
mer wieder sehr in Anspruch nehmen, tatsächlich umzu-
setzen! Bei voller Wirksamkeit wären das insgesamt
6 Milliarden Euro. Ich glaube, dass die Investitionen
weg vom Beton hin zu mehr Bildung und Forschung in
Wissen der richtige Weg sind. Ich hoffe, dass Sie dem
letztendlich zustimmen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Steigerungen im Haushalt für Bildung und For-
schung umfassen mehr als eine reine Erhöhung der
Finanzmittel; auch die Qualität der Ausgaben muss ver-
bessert werden. Das heißt zum Beispiel, dass den großen
Forschungsorganisationen jährliche Steigerungen in
Höhe von 3 Prozent, gespeist aus diesen Mitteln, zugesi-
chert werden. Für die Verknüpfung von Hochschulen
und Industrie ist es sehr wichtig, dass die vorhandenen
Kapazitäten – sie sind ausgesprochen gut; im Weltmaß-
stab sind sie sogar wirklich hervorragend – stärker ge-
nutzt werden, weswegen zum Beispiel mehr Doktoran-
den eingestellt werden.

Dies gelingt aber nur, wenn die Forschungsorganisa-
tionen – ich nenne insbesondere die Max-Planck-Gesell-
schaft – dies umsetzen wollen. Die Bundesregierung hat
die Einspeisung in einen Pakt für die Forschung vorge-
schlagen. Ich als Berichterstatter für diesen Bereich be-
halte mir vor, die 3-prozentige Erhöhung daran zu knüp-
fen, dass die Qualität der Zusammenarbeit zwischen
Universitäten und Forschungsorganisationen tatsächlich
verbessert wird. Ich kann die Empfänger der Mittel nur
dazu auffordern, auf dem eingeschlagenen Weg voranzu-
gehen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt droht er wieder dem Finanzminister! Da bin ich mal gespannt!)


Ich möchte auf ein anderes zentrales Problem zu spre-
chen kommen. Auch gestern haben in mehreren Städten,
insbesondere in Ostdeutschland, Menschen gegen die
beschlossenen Arbeitsmarktreformen demonstriert.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jawohl!)

Ich persönlich nehme diese Proteste sehr ernst und stelle
mich ihnen. Ich meine, wir alle, die wir diesen Reformen
– auch in der Überzeugung, dass sie notwendig sind –
zugestimmt haben, haben die Verpflichtung, die Men-
schen zu überzeugen. Das gilt in Ost- wie in West-
deutschland. Dazu gehört aber nicht nur, die Hand zu
heben, sondern dazu gehört auch, den Prozess zu mode-
rieren und sich der Auseinandersetzung vor Ort zu stel-
len.

Dazu gehört des Weiteren – das merke ich in den Ge-
sprächen mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen –
ein positiver Blick in die Zukunft. Was die Förderung
der neuen Bundesländer betrifft, so hat die Bundesregie-
rung mit dem Solidarpakt II, der 2005 in Kraft treten
wird, eine entscheidende Weichenstellung bis zum Jahr
2019 vorgenommen. Damit gibt es ein Gesamtvolumen
von 156 Milliarden Euro für die neuen Bundesländer.
100 Milliarden Euro werden den Ländern direkt über-
wiesen und 56 Milliarden Euro kommen aus dem Bun-
deshaushalt. Ich möchte zu beiden Punkten noch etwas
sagen.

Zum ersten Punkt. Ich erinnere mich daran, dass es
besonders der ehemalige Kollege Biedenkopf war, der
darauf gedrungen hat, dass diese Mittel den Ländern frei
zur Verfügung gestellt werden. Nun zeigt sich in der Dis-
kussion über die Fortschrittsberichte seit 2002 – der Be-
richt für 2003 wird uns im November vorliegen –, dass
diese Mittel nicht zweckgemäß eingesetzt werden, zu-
mindest nicht in dem Umfang, der notwendig wäre.

Ich kann den neuen Bundesländern nur sagen, dass sie
der Solidarität, die sie sowohl gegenüber dem Bund als
auch gegenüber den alten Bundesländern in Anspruch
nehmen, nur gerecht werden, wenn sie diese Mittel in-
vestiv nutzen, nämlich vor allem zum Schließen der In-
frastrukturlücke. Das tun sie nur sehr bedingt. Ich kann
sie an dieser Stelle nur auffordern, dies zu ändern. An-
sonsten würde es langfristig Schwierigkeiten geben, so-
wohl was die Legitimation gegenüber der Bevölkerung
als auch was die Akzeptanz hier im Deutschen Bundes-
tag angeht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum zweiten Punkt. Dabei geht es um das, was der

Kollege Austermann heute angesprochen hat, um die
GA-Mittel. Sie sind Bestandteil des Korbes 2, der
56 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Dieser
Korb 2 ist festgelegt. Die GA-Mittel haben eine elemen-
tare Bedeutung. Der Kollege hat heute Morgen behaup-
tet – er ist nicht mehr hier, aber der Klarheit halber muss
ich es sagen –, dass diese Mittel um die Hälfte reduziert
werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt auch
für diesen Bereich einen Finanzplanungszeitraum, in
dem eine schrittweise degressive Absenkung vorgesehen
ist. Dafür gibt es einen regionalen Planungsausschuss.
Dieser Absenkung haben die Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU im Bundesrat und im Bundestag zu-
gestimmt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben jetzt bis zum Jahr 2007 die Festlegung,
dass die Gesamtlinie bei 700 Millionen Euro liegt. Sie
sollte nach der mittelfristigen Finanzplanung eigentlich
niedriger sein. Weil Investitionen für Arbeitsplätze im
ersten Arbeitsmarkt absolute Priorität haben, haben wir
uns als Ostdeutsche an dieser Stelle durchgesetzt. Ich
möchte mich beim Bundesfinanzminister und beim Bun-
deswirtschaftsminister dafür bedanken, dass diese Mittel






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider

nun in der Höhe zur Verfügung stehen. Dann muss man
sie aber auch einsetzen.

Noch eine letzte Bemerkung dazu. Thüringen hat
diese Mittel im Jahr 2002 nur zu 75 Prozent und im Jahr
2003 nur zu 65 Prozent in Anspruch genommen. Das
heißt – das muss man einmal klar sagen –: Sie sind lie-
gen geblieben, weil es in diesem Land nicht möglich
war, klare Entscheidungen für Strukturreformen zu tref-
fen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512105700

Herr Kollege Schneider, Sie sind am Ende Ihrer

Redezeit.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Am Ende ist er sowieso!)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1512105800

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Ich möchte nur noch einmal klar sagen: Der Bund

steht zu seinen Zusagen für die neuen Länder. Er steht zu
einer soliden Finanzpolitik, die in Teilbereichen natür-
lich der Zustimmung der Opposition bedarf. Werden Sie
dieser Verantwortung für unser Land gerecht und stim-
men auch Sie letztlich zu!

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512105900

Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzde-

batte liegen nicht vor.
Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 1 c: Be-

schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem
Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes zur
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushalts-
jahr 2003 – Einzelplan 20 –, Drucksachen 15/2885 und
15/3388. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die
Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung von EU-Richtlinien in nationales Steuer-
recht und zur Änderung anderer Vorschriften

(Richtlinien-Umsetzungsgesetz-EURLUmsG)

– Drucksache 15/3677 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung der Vorschriften über die Amtshilfe im
Bereich der Europäischen Union sowie zur
Umsetzung der Richtlinie 2003/49/EG des Ra-
tes vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame
Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und
Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unter-

(EGAmtshilfe-Anpassungsgesetz)

– Drucksache 15/3679 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Es handelt sich um Überweisungen in vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zur
federführenden Beratung an den Finanzausschuss sowie
gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsaus-
schuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 12 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des VN-Waffen-
übereinkommens
– Drucksache 15/2926 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 15/3568 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Ruprecht Polenz
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-
rung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
VN-Waffenübereinkommens, Drucksache 15/2926. Der
Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3568,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 12 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit

(9. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die

Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur
Änderung der Richtlinie 77/388/EWG in Be-
zug auf die mehrwertsteuerliche Behandlung
von Dienstleistungen im Postsektor
KOM (2003) 234 endg., Ratsdok. 9060/03
– Drucksachen 15/1153 Nr. 2.40, 15/3390 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-

tung durch die Bundesregierung eine Entschließung an-
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen angenommen.

Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit und Soziale Sicherung.

Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um den Antrag der Fraktion der FDP zur sozialen
Pflegeversicherung auf Drucksache 15/3683 zu erwei-
tern und diesen jetzt gleich als Zusatzpunkt 5 aufzuru-
fen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so
beschlossen.

Sodann rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 bis 5 so-
wie die Zusatzpunkte 1 und 2 und den soeben aufgesetz-
ten Zusatzpunkt 5 auf:

2 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berück-
sichtigung der Kindererziehung im Beitrags-
recht der sozialen Pflegeversicherung
– Drucksache 15/3671 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

3 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung der Vorschriften zum diagnose-
orientierten Fallpauschalensystem für Kran-
kenhäuser und zur Änderung anderer Vor-
schriften
– Drucksache 15/3672 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans
Georg Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Versorgungssicherheit für Patientinnen und
Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen
– Drucksache 15/3450 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die Einordnung des
Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
– Drucksache 15/3673 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

5 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Organi-
sationsreform in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung (RVOrgG)

– Drucksache 15/3654 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung der Finanzierung von Zahnersatz
– Drucksache 15/3681 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Storm, Annette Widmann-Mauz, Horst Seehofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Familien entlasten statt Kinderlose bestrafen –
Grundlegende Reform der Pflegeversiche-
rung noch in dieser Wahlperiode einleiten
– Drucksache 15/3682 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr (Münster), Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Dieter
Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Familien spürbar durch einen Kinder-Bonus
entlasten – Keine Beitragserhöhungen in der
sozialen Pflegeversicherung – Grundlegende
Reform beginnen
– Drucksache 15/3683 –

Das Wort hat nun die Bundesministerin Ulla Schmidt.






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit und

Soziale Sicherung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal wird gefragt, was der Begriff „Agenda“
heiße. Es heißt „das, was zu tun ist“. Die Agenda 2010
der Bundesregierung beschreibt, was zu tun ist, damit in
unserem Land der Wohlstand und damit auch die Zu-
kunft der nachwachsenden Generationen gesichert wird,
auch im Hinblick darauf, dass auch unsere Kinder und
unsere Kindeskinder die bestmögliche medizinische Be-
handlung erhalten und es für die heute Jungen morgen
noch eine sichere Altersversorgung gibt.

Manchmal wird unterschätzt, dass hinter den Begrif-
fen „Mobilität und Flexibilität in der heutigen Welt“,
„weltweite scharfe Konkurrenz“ und „demographische
Entwicklung“, mit denen wir gerne operieren, Verände-
rungen in Staat und Gesellschaft stehen, die von man-
chen, vielleicht nicht zu Unrecht, mit den Umwälzungen
am Beginn der Industriegesellschaft verglichen werden.
Wenn das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann
ist es umso nötiger, gemeinsam darüber zu sprechen, wie
notwendige Reformen aussehen können, damit diese Ge-
sellschaft den neuen Herausforderungen gerecht wird
und die Menschen befähigt werden, mit diesen neuen
Herausforderungen zu leben.

Einer der Bereiche, die wir reformiert haben, ist das
Gesundheitswesen. Ich glaube, dass wir zu Recht sagen
können, mit dem Konsens über die Gesundheitsreform
einen entscheidenden Schritt getan zu haben, um das Ge-
sundheitssystem zu stabilisieren und die finanzielle Ent-
wicklung der Krankenversicherungen zu sichern. Durch
diese Reform finden wir überhaupt erst die Zeit, um über
eine grundlegende nachhaltige Weiterentwicklung zu re-
den bzw. darüber, was in den kommenden Jahren noch
notwendigerweise getan werden muss.

Wir haben mit der Gesundheitsreform nicht nur Bei-
tragssatzanhebungen zu Beginn dieses Jahres in einem
Volumen von 6 bis 8 Milliarden Euro verhindert, son-
dern darüber hinaus dafür gesorgt, dass die gesetzlichen
Krankenkassen im ersten Halbjahr 2004 erstmals seit
über zehn Jahren einen Überschuss erwirtschaftet haben,
und zwar in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro. 2003
hatten sie im gleichen Zeitraum ein Defizit von
2 Milliarden Euro.


(Beifall bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber bei wie viel aufgehäuften Schulden?)


– Auch die FDP sollte die kleine mathematische Regel
kennen, dass Schulden erst abgebaut werden können,
wenn vorher ein Plus erwirtschaftet wurde. Ansonsten
können die Schulden nie abgebaut werden, meine Kolle-
gen von der FDP.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Dann bauen Sie die Schulden ab!)


Ein kleines bisschen Mathematik wäre auch für die Libe-
ralen ganz gut.

Wir haben uns der Verantwortung gestellt. Sie dage-
gen sind damals aus den Verhandlungen ausgestiegen,
weil Sie die pharmazeutische Industrie vor Zumutungen
bewahren wollten. Das war Ihre Lobbyarbeit.


(Beifall bei der SPD)

Erstmals seit langer Zeit haben wir die Entwicklung

stoppen können, dass die Ausgaben für Arzneimittel
immer weiter steigen. Die gesetzlichen Krankenversi-
cherungen konnten in den ersten sieben Monaten dieses
Jahres 1,7 Milliarden Euro einsparen. In diesen 1,7 Mil-
liarden Euro ist auch der circa 800 Millionen Euro betra-
gende Herstellerrabatt enthalten, den die pharmazeuti-
sche Industrie in diesem Jahr gewährt, um sich an den
Einsparungen im Gesundheitswesen zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Außerdem profitieren erstmals seit langer Zeit viele Ver-
sicherte von sinkenden Beiträgen; im ersten Schritt sind
das rund 27 Millionen Menschen.

Das sind schnelle, sichtbare Erfolge. Bei Betrachtung
des Gesamtvolumens stellt man fest, dass wir nicht nur
Beitragssatzanhebungen in einem Volumen von 6 bis
8 Milliarden Euro verhindert, sondern im gleichen Zeit-
raum auch über 5 Milliarden Euro eingespart haben, und
zwar durch zusätzliche Einnahmen über Betriebsrenten,
aber auch über Steuergelder, nämlich 500 Millionen Euro
zur Abdeckung der familienpolitischen Leistungen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)

– Nicht „aha“. Wir haben die Entscheidung getroffen,
die familienpolitischen Leistungen über Steuergelder
zu finanzieren; denn diese Leistungen sind nicht allein
Sache der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen. Da
haben wir vielleicht unterschiedliche Auffassungen.

Ich erwarte – da bitte ich Sie um Unterstützung –,
dass die Krankenkassen nach diesem ersten Halbjahr die
Entscheidung treffen, die Beiträge für die Versicherten
zu senken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn zu den erreichten Einsparungen haben vor allem
die Versicherten und die Patienten und Patientinnen bei-
getragen, die für die Inanspruchnahme von Leistungen
höhere Zuzahlungen leisten mussten.

Ich habe kein Verständnis dafür, dass wir uns jeden
Tag von Krankenkassenvertretern anhören müssen, wir
sorgten für zu viel oder für zu wenig Reform, für zu viel
oder für zu wenig Wettbewerb. Ich habe kein Verständ-
nis dafür, dass die Unternehmen tagtäglich fordern, wir
müssten weitere Einschnitte vornehmen, um die Lohn-
nebenkosten zu senken, und dass die Gewerkschaften
behaupten, die Versicherten würden zu sehr belastet, und
dass aber gleichzeitig weder die Selbstverwaltung noch
die Arbeitgeber, die Gewerkschaften oder die Vorstände
der Krankenkassen handeln. Sie sollen jetzt handeln. Ich
bin überzeugt, dass es richtig ist, jetzt massive Beitrags-
satzsenkungen zu fordern; denn die Versicherten müs-
sen sehen, dass Einsparungen durch Beitragssatzsenkun-
gen an sie zurückgegeben werden. Da bitte ich Sie alle
um Unterstützung.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt

Zweitens. Wir alle wissen, dass die Bezahlbarkeit des

Gesundheitswesens eng mit der Qualität zusammen-
hängt. Die Strukturveränderungen, die auf den Weg
gebracht wurden, haben Bewegung in das Gesundheits-
wesen gebracht. Neue Verträge über eine integrierte Ver-
sorgung werden geschlossen. In Sachsen-Anhalt gibt es
das erste landesweite Hausarztmodell, an dem sich bis-
her über 130 000 Versicherte und über 1 100 Ärzte und
Ärztinnen beteiligten. Auch in Westdeutschland werden
medizinische Versorgungszentren gegründet. All dies
sind die Wurzeln einer neuen Entwicklung, die in Zu-
kunft fortgesetzt werden soll.

Ich sage hier ganz deutlich: Diese Maßnahmen in An-
griff zu nehmen und die Instrumente der Strukturverän-
derungen zu nutzen gehört zu den Aufgaben, die die
Krankenkassen wahrnehmen und die wir weiter kritisch
begleiten müssen. Wenn nichts geschieht und wenn sich
die Strukturen nicht verändern, dann werden wir irgend-
wann an dem Punkt sein, an dem wir schon letztes Jahr
standen. Es war deshalb richtig, nicht nur umzufinanzie-
ren, sondern auch strukturelle Veränderungen hin zu
mehr Wettbewerb und zu mehr Möglichkeiten der Ver-
tragsgestaltung im Gesundheitswesen zu schaffen.

Wir alle wissen aber auch, dass das Prinzip „Vorbeu-
gen statt Heilen“ in unserem Land noch nicht so durch-
gesetzt wird, wie es sein sollte. Wenn die Gesellschaft
immer älter wird, wir also Gott sei Dank immer länger
leben, dann ist es für das Gesundheitssystem nicht so
entscheidend, wie alt wir werden, sondern, wie wir alt
werden. Deshalb ist es richtig, dass wir beschlossen ha-
ben, ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen. Wir
wollen, dass in Deutschland Prävention endlich Vorrang
vor Heilung hat und Prävention Schritt für Schritt zu ei-
ner eigenständigen Säule im Gesundheitswesen ausge-
baut wird. Denn was wir für die Prävention ausgeben,
kann bei der Behandlung eingespart werden. Das ist gut
für die Menschen, weil sie gesünder leben, und das ist
gut für die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb bin ich froh, dass wir sowohl mit den Spitzen-
verbänden der Krankenkassen, der Rentenversicherung,
der Pflegeversicherung und der Unfallkasse als auch mit
den Ländern darüber im Gespräch sind. Wir werden in
diesem Jahr einen entsprechenden Entwurf in den Deut-
schen Bundestag einbringen – genauso wie wir es vor ei-
nem Jahr beschlossen haben.

Wir müssen auch an einer anderen Stelle verhandeln.
Es handelt sich um den Zahnersatz – ein leidiges
Thema.


(Peter Dreßen [SPD]: Ja!)

Wir werden nicht umhinkommen, darüber zu reden, ob
die im vergangenen Jahr beschlossene Regelung wirk-
lich umsetzbar ist. Wenn Politiker merken, dass ein von
ihnen gefasster Entschluss in der Praxis nur schwer um-
zusetzen ist, dann bin ich dafür, dass man den Mut zur
Korrektur hat. Ich sage noch einmal: Die Entscheidung,
den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetz-
lichen Krankenversicherung herauszunehmen und ihn
durch einen einheitlichen Pauschalbetrag zu finanzieren,
ist nicht ohne weiteres umzusetzen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das hat die CDU auch erfunden!)


Diese Entscheidung ist nicht nur sozial ungerecht, weil
die Rentnerin mit einer Rente von 500 Euro den gleichen
Pauschalbetrag zahlen soll wie beispielsweise der Abge-
ordnete, der 7 000 Euro verdient. Sie ist auch büro-
kratisch und im Hinblick auf das Solidarprinzip der
gesetzlichen Krankenversicherung systemfremd. Meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müssen sich
entscheiden und daran mitwirken, dass wir zu einer Re-
gelung kommen, die sozial gerecht ist, die die Menschen
nicht überfordert und die gleichzeitig unbürokratisch ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn sich abzeichnet – das haben die Beratungen in-

nerhalb der gesetzlichen Krankenkassen ergeben –, dass
der Versicherungsbeitrag für den Zahnersatz eher bei
10 Euro denn bei 5 Euro liegt und dass in diesem Beitrag
nur ein Anteil in Höhe von 2 bis 2,50 Euro pro Monat
und pro Versicherten für den eigentlichen Zahnersatz
enthalten ist, dann kann man an einer solchen Lösung
nicht festhalten. Lassen Sie uns daher gemeinsam einen
anderen Weg finden! Lassen wir alles beim Alten, was
den Zahnersatz angeht!


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch keine Reform, wenn man alles beim Alten lässt!)


Er bleibt im Leistungskatalog der gesetzlichen Kranken-
versicherung. Die Finanzierung erfolgt einkommensab-
hängig, sodass niemand überfordert wird.

Wir müssen alles dafür tun – auch da stehen wir in der
Verantwortung –, dass die Beitragssatzziele, die wir im
Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz festgelegt ha-
ben, tatsächlich erreicht werden. Deshalb bitte ich Sie,
dem Vorschlag, den ich Ihnen unterbreitet habe, zuzu-
stimmen. Denn das ist die beste und die praktikabelste
Lösung.


(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht alles beim Alten lassen und sich nicht
für die Senkung der Lohnnebenkosten interessieren.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Müntefering!)

– Das ist nicht Müntefering. Das könnten Sie, Herr
Storm, oder ein anderer aus Ihren Reihen sein. Vielleicht
wollten Sie sich nur über die nächsten drei Wochen bis
zu den Wahlen retten. Sie werden dann aber auch sagen
müssen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten ausse-
hen soll. Ich sage es einmal ganz deutlich: Das alles gilt
für die Unternehmen ebenso wie für die Rentenversiche-
rung, aber auch für alle Unternehmungen, die im Bereich
des Gesundheitssystems tätig sind.

Ich nenne in diesem Zusammenhang ein paar Zahlen:
Wenn 160 Millionen Euro in der Gesundheitswirtschaft
eingespart werden können, dann können dort Arbeits-
plätze erhalten werden und dann kann es gelingen, die
Arbeitsbedingungen in diesem Bereich durch die






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt

Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbessern. Einsparun-
gen bei den Lohnnebenkosten haben Auswirkungen auf
die Kommunen, die Länder und den Bund. Man kann
nicht sagen: „Macht ihr das mal allein; wir haben mit
dem Ganzen nichts zu tun“ und anschließend das Hohe-
lied der Kritik darüber singen, wie sich die Lohnneben-
kosten entwickeln. Wenn Sie nicht bereit sind, mitzuma-
chen, müssen Sie die Verantwortung für die Entwicklung
der Lohnnebenkosten übernehmen, meine Damen und
Herren von der CDU.


(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer wichtiger Punkt, der auch in unseren Ge-

schäftsbereich fällt, ist die Altersvorsorge. Wir haben
nicht nur in der letzten Legislaturperiode mit der Einfüh-
rung der kapitalgedeckten Säule der privaten Altersvor-
sorge einen ersten Schritt getan, sondern auch mit dem
Nachhaltigkeitsgesetz dafür gesorgt, dass die Altersvor-
sorge für die Jüngeren bezahlbar und für die Älteren ver-
lässlich bleibt. Damit leistet die Bundesregierung so-
wohl einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der
Rentenversicherung als auch einen Beitrag zur wirt-
schaftlichen Belebung und zum wirtschaftlichen Auf-
schwung.

Über 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben
mittlerweile eine zweite Säule im Bereich der Betriebs-
rente aufgebaut oder eine private Zusatzversorgung ab-
geschlossen. Damit sich diese positiven Zahlen weiter
verbessern und noch mehr Menschen zusätzlich vorsor-
gen, haben wir in diesem Jahr wichtige Veränderungen
verabschiedet. Durch das Alterseinkünftegesetz haben
die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Zukunft
mehr Geld zur Verfügung, um die private Altersvorsorge
wirklich aufbauen zu können. Wir haben gleichzeitig die
Voraussetzungen der betrieblichen und privaten Alters-
vorsorge attraktiver und unbürokratischer gestaltet.

Zu einer attraktiven Rentenversicherung gehört auch,
dass man die Rentenversicherungsträger fit für die Zu-
kunft macht. Deshalb bringen wir heute das Gesetz zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung ein. Dieses Gesetz überwindet die Trennung von
Arbeitern und Angestellten. Es trägt mit dazu bei, dass
die Ressourcen der Rentenversicherung so zielgerichtet
wie möglich eingesetzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein letzter wichtiger Punkt, bei dem auch weit rei-
chende Reformen anstehen, ist die soziale Pflege-
versicherung. Sie wissen, dass die demographische He-
rausforderung ganz erhebliche Auswirkungen auch auf
die Pflegeversicherung hat. Wir brauchen in Deutsch-
land eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie
wir die Pflegeversicherung weiterentwickeln wollen und
wir uns das Leben im Alter vorstellen. Wir brauchen
eine Debatte darüber, was über die Pflegeversicherung
hinaus getan werden muss, damit die Menschen im Alter
so selbstbestimmt, so gut wie möglich leben und so
lange wie möglich in ihrer angestammten Umgebung
bleiben können. Diese Debatte werden wir anstoßen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie umfasst vieles: die Kommunikation, die Potenziale
der älteren Generation, den Wohnungsbau oder die Mo-
bilität älterer Menschen.

Aber zunächst hat uns das Bundesverfassungsgericht
aufgegeben, in dem Beitragsrecht der Pflegeversiche-
rung die Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Für
diejenigen, die Kinder erziehen oder Kinder erzogen ha-
ben, ist eine andere Beitragsgestaltung vorzusehen als
für diejenigen, die keine Erziehungsleistungen erbracht
haben. Mit der Initiative der Koalitionsfraktionen, die
heute eingebracht wird, wird das Urteil fristgerecht um-
gesetzt.

Die momentane finanzielle Situation der Pflegeversi-
cherung zwingt uns eigentlich, für alle die Beitragssätze
anzuheben. Wir setzen das Urteil jetzt aber so um, dass
nur diejenigen, die keinen Beitrag über Erziehungsleis-
tungen erbracht haben, durch eine Erhöhung des Beitra-
ges belastet werden. Wir nehmen all diejenigen davon
aus, die im kommenden Jahr 65 Jahre oder älter sind,
weil – jetzt bitte ich die FDP, zuzuhören – das Bundes-
verfassungsgericht gesagt hat, dass der Gesetzgeber die
Unterscheidung zwischen Kinder Erziehenden und
Nichterziehenden vernachlässigen kann, wenn eine Ge-
neration dafür gesorgt hat, dass genügend Kinder gebo-
ren wurden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Warum ist das bei den 64-Jährigen nicht der Fall?)


Die ältere Generation, die heute 65-Jährigen und Älte-
ren, hat zu ihrer Zeit dafür gesorgt, dass der Generatio-
nenvertrag eingehalten wurde. Zum Geburtenrückgang
kam es Mitte der 60er-Jahre. Deshalb werden wir all die-
jenigen, die nach 1940 geboren wurden und keine Kin-
der erzogen haben oder erziehen, mit einem zusätzlichen
Beitrag belasten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte das für gerecht. Ich halte das auch für einen

wirklich gangbaren Weg. Daher bitte ich all diejenigen,
die sich immer wieder über Bundesverfassungsgerichts-
urteile äußern, einmal einen Blick in das Urteil zu wer-
fen. Dieser erleichtert in der Regel die Rechtsfindung.
Sie würden dann auch erkennen, dass unser Vorschlag
sehr genau der Begründung des Bundesverfassungsge-
richts entspricht und wir damit auf dem richtigen Weg
sind.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Eben nicht!)

Mit dem von uns eingeschlagenen Weg werden wir

die Lohnnebenkosten stabilisieren und dazu beitragen,
dass Beschäftigung in Deutschland wieder attraktiv wird
und Arbeit geschaffen werden kann. Ich sage noch ein-
mal deutlich: Keine Reform der sozialen Sicherungssys-
teme kann auf Dauer verkraften, wenn es kein Wachstum
gibt, das zu Wohlstand führt. Die Menschen brauchen
Arbeit und die sozialen Sicherungssysteme leben von
Beitragszahlern.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt

Deshalb sind die Reformen notwendig und wir neh-

men sie vor. Die CDU muss bedenken, dass der Pflege-
kasse bei ihrem Vorschlag 760 Millionen Euro fehlen
würden. Darüber hinaus muss sie berücksichtigen, dass
eine allgemeine Beitragssatzanhebung zu einer Erhö-
hung der Lohnnebenkosten führen wird.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Eben nicht!)

Andere müssen sagen, woher sie das Geld nehmen

wollen. Man muss schon Butter bei die Fische geben und
deutlich sagen, wie eine Reform finanziert werden soll.
Vielleicht machen es sich manche so einfach wie die
Spitzenverbände der Pflegeversicherungen, die heute ge-
sagt haben: Nehmt doch einfach Steuergelder und steckt
sie in die Pflegeversicherung, das wäre am einfachsten;
denn dann bräuchten wir uns keine Gedanken mehr da-
rüber zu machen, wie das Ganze finanziert werden soll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512106000

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Storm von der

CDU/CSU-Fraktion.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1512106100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

erleben derzeit fast jeden Tag aufs Neue, woran es der
Sozialpolitik von Rot-Grün am meisten mangelt: an kon-
zeptioneller Klarheit, Verlässlichkeit und Berechenbar-
keit,


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: So ein Quatsch!)


gestern hü!, heute hott! und morgen gilt schon wieder
eine neue Parole. Bei einem solchen Zickzackkurs müs-
sen Sie sich nicht wundern, dass die Unterstützung der
Menschen für dringend notwendige Reformen von Tag
zu Tag geringer wird.


(Waltraud Lehn [SPD]: So ein Heuchler!)

Beispiel Rente: Noch im Sommer 2003 bei den Ver-

handlungen zur Gesundheitsreform haben Sie, Frau
Ministerin, heilige Eide geschworen, dass es für die
Rentner über die volle Beitragsbelastung von Betriebs-
renten in der Krankenversicherung ab dem 1. Januar hi-
naus keine aktuellen weiteren Belastungen geben soll.
Wie wenig man sich auf diese Zusage verlassen konnte,
haben die Rentner in diesem Jahr gleich zweimal zu spü-
ren bekommen: Zuerst gab es die Verdoppelung des
Pflegeversicherungsbeitrags am 1. April und dann an-
stelle der jährlichen Rentenerhöhung zur Jahresmitte die
Nullrunde.

Damit nicht genug, mit Ihrer im Frühjahr 2004 verab-
schiedeten Rentenreform haben Sie eine neue Rentenfor-
mel beschlossen. Damit wir uns nicht falsch verstehen:


(Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Die wollten Sie schon lange!)

Im Grundsatz halten wir die Ergänzung der Rentenfor-
mel um einen Nachhaltigkeitsfaktor für richtig; denn er
ist im Grunde genommen nichts anderes als der demo-
graphische Faktor, den wir schon vor der Wahl 1998 ins
Gesetzblatt geschrieben haben.

Was wir Ihnen aber vorwerfen, ist, dass Sie den neuen
Nachhaltigkeitsfaktor einfach auf den vor drei Jahren
beschlossenen Riester-Faktor draufgesattelt haben. Das
hat zur Folge, dass die Renten im nächsten Jahr um
1 Prozent hinter der Lohnentwicklung der Beitragszahler
zurückbleiben. Im Klartext heißt das: Auch im kommen-
den Jahr müssen sich die Rentner auf eine weitere Null-
runde einstellen.


(Peter Dreßen [SPD]: Beim Demographiefaktor wäre es das Doppelte gewesen!)


Mit Verlässlichkeit hat eine solche Rentenpolitik nichts
mehr zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Ministerin, sowenig sich die Rentner auf Ihre

Zusagen verlassen können, so wenig bietet Ihre im Früh-
jahr 2004 verabschiedete Rentenreform eine Perspektive
für die heutigen Beitragszahler, für die junge Genera-
tion. Erinnern wir uns: Mit Ihrer Rentenreform haben
Sie einen rentenpolitischen Paradigmenwechsel einge-
leitet. Die Zusage, dass man nach einem vollen Arbeits-
leben im Alter ein Nettorenteniveau von 67 Prozent
erreichen kann, die noch 2001 unter Riester festgeschrie-
ben wurde, wurde aufgegeben. Das Nettorentenniveau
sinkt bis zum Jahre 2030 auf etwa 50 Prozent.


(Peter Dreßen [SPD]: Das andere war brutto! Jetzt verwechseln Sie brutto mit netto! So ein Vergleich ist unerhört!)


Angesichts dieser massiven Kürzungen stellt sich die
Frage: Wie schaffen wir es, dass möglichst jeder Arbeit-
nehmer eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge
aufbauen kann?


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist die junge Garde!)


Die Riester-Rente hat sich als Flop erwiesen. Daran än-
dert auch das Alterseinkünftegesetz herzlich wenig. Des-
halb brauchen wir neue Antworten. Wir dürfen nicht un-
nötig Zeit verlieren und vor allen Dingen nicht auf die
Vorlage des Alterssicherungsberichts Ende 2005 warten.
Denn dann passiert in dieser Wahlperiode überhaupt
nichts mehr und das wissen Sie ganz genau.

Deshalb mache ich Ihnen heute einen Vorschlag: Las-
sen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren, wie wir jetzt
schon die richtigen Weichenstellungen treffen können,
um Altersarmut von morgen zu vermeiden. Unser Vor-
schlag lautet: Alle Arbeitnehmer sollen bei Abschluss
ihres Arbeitsvertrages regelmäßig eine Entgeltumwand-
lung in Höhe von bis zu 4 Prozent ihres Bruttolohnes zu-
gunsten der betrieblichen Altersversorgung vereinbaren.
Auf diese Weise würde die Entgeltumwandlung zum Re-
gelfall. Wer sich bewusst dagegenentscheidet, kann im
Sinne einer Opting-out-Regelung auf diese Lösung ver-
zichten. Um das Ganze aber dauerhaft attraktiv zu






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Storm

gestalten, müssen wir schon heute das Signal geben, dass
wir die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung auch
über das Jahr 2008 hinaus aufrechterhalten. Mit der Ent-
scheidung über diese Fragen dürfen wir aber nicht bis
zur nächsten Wahlperiode warten, sondern wir sollten
schon in dieser Wahlperiode ein klares Signal geben.

Rot-Grün zeigt auch beim Thema „Pflege“ keinerlei
Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Vielmehr glänzen
Sie mit konzeptionellem Dilettantismus. Vor nunmehr
dreieinhalb Jahren hat das Bundesverfassungsgericht
eine Entlastung von Familien bei den Pflegebeiträgen ab
dem 1. Januar 2005 gefordert. Heute, nur vier Monate
vor Torschluss, legen Sie einen Vorschlag vor, der fami-
lienpolitisch falsch, verfassungsrechtlich bedenklich und
handwerklich mangelhaft ist. Wie hat das Bundesverfas-
sungsgericht in seinem Urteil argumentiert? Die Kern-
aussage des Urteils lautet: Die soziale Pflegeversiche-
rung basiert auf einem Generationenvertrag, denn
Pflegebedürftigkeit tritt überwiegend im Alter auf. Eine
umlagefinanzierte Pflegeversicherung kann nur dann
funktionieren, wenn genügend junge Beitragszahler
nachrücken.

Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass die
Erziehung von Kindern konstitutive Bedeutung für das
Funktionieren der Pflegeversicherung hat. Man braucht
zwei Beiträge: neben dem Geldbeitrag auch die Kinder-
erziehung. Erziehungsleistung und Geldbeitrag stehen
gleichberechtigt nebeneinander.

Deshalb verstößt es gegen das Grundgesetz, wenn Ver-
sicherte, die Kinder erziehen, denselben Beitrag leisten
müssen wie andere Versicherte, die keine Kinder haben.
Eine verfassungskonforme Lösung, Frau Ministerin, muss
zwingend eine Besserstellung von Versicherten, die aktu-
ell Kinder erziehen, vorsehen, und zwar eine Besserstel-
lung auf der Beitragsseite während der Erziehungsphase.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was Sie vorschlagen, bedeutet keine Besserstellung

während der Erziehungsphase. Versicherte mit Kindern
bekommen bei Ihrer Lösung keinen einzigen Cent mehr.
Der Kinderlosenzuschlag wird ausschließlich zum Stop-
fen der Löcher in der Pflegeversicherung verwendet.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Dieser Vorschlag geht meilenweit an den Anforderungen
des Verfassungsgerichts vorbei. Es ist kein Wunder, dass
auch die Grünen massive Bedenken gegen diesen Ge-
setzentwurf haben. Liebe Kollegin Selg, bleiben Sie an
dieser Stelle standhaft!


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Da wäre ich nicht so optimistisch!)


Wir haben einen Vorschlag gemacht, der keinen Straf-
beitrag für Kinderlose, sondern eine echte Entlastung für
Versicherte mit Kindern vorsieht. Wer ein Kind unter
18 Jahren erzieht, erhält nach unserem Vorschlag einen
Beitragsbonus von 5 Euro je Kind und Monat. Auch
führt unser Vorschlag nicht zu einer Anhebung der
Lohnnebenkosten, weil dieser zusätzliche Beitrag von
den Versicherten allein zu finanzieren wäre.

(Ulla Schmidt, Bundesministerin: Von den Eltern!)


Dieser Vorschlag sieht die größte Entlastung dort vor,
wo sie am dringendsten gebraucht wird: bei Menschen
mit niedrigem Einkommen, bei Familien mit mehreren
Kindern und bei Alleinerziehenden.

Aber eines wird an dieser Stelle auch deutlich: Wir
sind an den Grenzen der umlagefinanzierten Sozialver-
sicherung angelangt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)

Deshalb ist es unsere wichtigste Aufgabe, noch in dieser
Wahlperiode eine grundlegende Reform der Pflegeversi-
cherung anzugehen,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Richtig!)

auf dem Weg zu einem zumindest in weiten Teilen kapi-
talgedeckten System.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Haben Sie darüber mal mit Herrn Blüm oder mit Herrn Seehofer diskutiert?)


Deshalb kann eine solche Lösung nur ein Übergang sein.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Meine Damen und Herren, ich komme zum unrühmli-
chen Höhepunkt rot-grüner Unberechenbarkeit. Vor ei-
nem Jahr haben über 90 Prozent der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages einer Neuregelung beim Zahnersatz
zugestimmt, die Union, SPD und Grüne gemeinsam ver-
einbart hatten. Dieser Kompromiss ist keiner Seite leicht
gefallen. Aber wir stehen zu dem, was wir einmal ver-
einbart haben. Unser Wort gilt.

Pacta sunt servanda – das hat der Bundeskanzler vor
zwei Monaten zum Thema Zahnersatz erklärt. Aber
heute gilt dieses Wort für die Bundesregierung offenbar
nicht mehr. Denn uns liegt ein Gesetzentwurf vor, durch
den die Neuregelung des Zahnersatzes ausgehebelt und
seine Ausgliederung aus dem Leistungskatalog der
Krankenkassen vollständig rückgängig gemacht wird.
Die Argumente, die dafür vorgetragen werden, sind an
Scheinheiligkeit kaum zu überbieten.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Da wird beispielsweise behauptet, der Zahnersatz sei
plötzlich doppelt so teuer wie vor einem Jahr.

Doch wie ist die Faktenlage? Bei der Anhörung des
Gesundheitsausschusses am 30. Juni 2003, also vor Be-
ginn der Konsensgespräche zur Gesundheitsreform, hat
der Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen vorgerech-
net, dass sich die Sachkosten für den Zahnersatz in der
gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied, also je
Beitragszahler, auf gut 6 Euro pro Monat belaufen; dazu
kommen dann noch die Verwaltungskosten.


(Peter Dreßen [SPD]: Nein! 4 Euro!)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verwechseln im-
mer Beitragszahler und Versicherte. Wenn Sie alle Fami-
lienangehörigen berücksichtigen und die Kosten dann






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Storm

aufteilen, kommen Sie auf nur 4,30 Euro – das haben die
Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen schon in der
damaligen Anhörung bestätigt –, aber je Beitragszahler
sind es über 6 Euro.

Vor drei Wochen, am 13. August 2004, hat der Chef
der Barmer Ersatzkasse, Herr Fiedler, auf einer großen
Pressekonferenz erläutert, die Prämie für den Zahnersatz
werde im kommenden Jahr inklusive Verwaltungskosten
voraussichtlich 6,70 Euro pro Monat betragen. Dieser
Betrag entspricht ziemlich exakt den Erwartungen, die
man auch im Rahmen der Konsensgespräche des vergan-
genen Jahres hatte.

Voraussetzung für diese Prämienhöhe wäre aber gewe-
sen, dass die Prämien für Rentner und Arbeitslose im
Quellenabzugsverfahren eingezogen worden wären. Das
hatten wir Ihnen, Frau Ministerin, im Mai dieses Jahres
vorgeschlagen. Ihre Antwort lautete damals – ich zitiere –:
Ich sehe derzeit keine Regelungslücken, die unverzüg-
lich geschlossen werden müssten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist allerdings wahr!)


Frau Ministerin, Sie haben monatelang bewusst eine
unbürokratische Regelung verschleppt. Die organisatori-
schen Schwierigkeiten sind einzig und allein dadurch
entstanden, dass die Bundesregierung es nicht geschafft
hat, rechtzeitig die Voraussetzungen für einen unbüro-
kratischen Beitragseinzug zu schaffen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das macht sie doch gerade! Das lehnen Sie doch ab! Das wollen Sie doch gar nicht!)


Aber in Wirklichkeit ging es Ihnen um etwas anderes:
Sie haben seit Monaten alles getan, damit der Kompro-
miss beim Thema Zahnersatz nicht rechtzeitig umgesetzt
werden kann.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen doch nur aus ideologischen Gründen handeln! Das ist nur Ideologie, was Sie da machen!)


Damit ist auch klar: Sie tragen die Verantwortung dafür,
dass die Neuregelung beim Zahnersatz nicht rechtzeitig
zum 1. Januar 2005 in Kraft treten kann und dass daher
auch die angestrebte Beitragssatzsenkung ausbleiben
muss.

Meine Damen und Herren, trotz allem sind wir für al-
ternative Vorschläge offen.


(Zuruf von der SPD: Aha!)

Aber nur unter zwei Voraussetzungen: Eine Neuregelung
beim Zahnersatz muss besser sein als die Lösung, die
wir letztes Jahr gemeinsam vereinbart haben.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist sie doch!)

Zweitens muss sie zugleich besser sein als die derzeitige
Lösung im System der GKV.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist sie auch! – Peter Dreßen [SPD]: Das trifft alles zu!)


Ihr heute vorgelegter Gesetzentwurf erfüllt beide Vo-
raussetzungen erkennbar nicht.

(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist ein Irrtum!)

Wir wollten mit der Gesundheitsreform gemeinsam den
Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten für ihren Schutz
beim Zahnersatz geben. Rot-Grün will jetzt, dass die
Versicherten mehr bezahlen,


(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist eine eigenwillige Interpretation!)


aber nicht selbst über Art und Umfang ihrer Versiche-
rung entscheiden können.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie sind ein richtiger Wahrheitsverdreher! Das ist doch nicht wahr, was Sie erzählen! Ich glaubte, Sie seien seriöser!)


Schon der Durchschnittsverdiener wird bei Ihrem Vor-
schlag deutlich höher belastet als bei unserer Prämienlö-
sung: Gegenüber den 6,70 Euro würde der Durch-
schnittsverdiener bei einem prozentualen Beitrag von
0,4 Prozent bereits mit 9,60 Euro belastet. Eine solche
Mehrbelastung ohne Ziel und Konzept und ohne Vorteil
für den Versicherten kommt für uns so nicht in Betracht.
Deshalb werden wir Ihren heutigen Gesetzentwurf ab-
lehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie wenig Berechenbarkeit und Verlässlichkeit die

Politik dieser Bundesregierung aufweist, hat erst am Wo-
chenende der Bundesfinanzminister verdeutlicht. In ei-
nem Interview hat er nahe gelegt, dass angesichts der
einbrechenden Tabaksteuereinnahmen der Bundeszu-
schuss an die Krankenkassen zur Abgeltung versiche-
rungsfremder Leistungen wieder infrage gestellt werden
müsse. Die Koalition debattiert ja seit zwei Tagen wie-
der darüber, ob man diese Gelder im Bundeshaushalt
nicht einsparen kann. Es wäre ein weiterer Weg, erneut
die Beitragszahler zu belasten. Was ist eigentlich ein
Konsensergebnis wert, wenn Sie noch nicht einmal ein
Jahr nach In-Kraft-Treten der Reform ein wesentliches
Stück wieder außer Kraft setzen wollen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Weil es ein Bürokratiemonster ist, deswegen wollen wir es ändern!)


Die Menschen haben genug von diesem ständigen
Hickhack; sie wollen eine Politik, die berechenbar ist
und Vertrauen verdient. Nur dann werden die dringend
notwendigen Reformen in der Sozial- und in der Ge-
sundheitspolitik auch gelingen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512106200

Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender von Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512106300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Storm, Sie haben heftige Kritik an der Regierung
geübt. Wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, haben Sie
kritisiert, es mangele an Klarheit, an Berechenbarkeit






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender

und an einer Konzeption. Das sind schwer wiegende
Vorwürfe. Ich frage mich allerdings, ob diese Vorwürfe
vielleicht weniger über unsere Regierung aussagen als
über die Zerrissenheit in der Union, die Sie mit diesem
Getöse zu übertönen versuchen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert denn?)


Schauen wir uns doch an, wie es bei Ihnen aussieht,
meine Damen und Herren von der Union.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gut!)

Nehmen wir das Beispiel Zahnersatz; Herr Storm hat es
ja auch schon erwähnt. Rot-Grün stellt fest: Die Lösung,
wie sie damals im Kompromiss vereinbart wurde, ist
nicht umsetzbar, ist ein bürokratisches Monstrum.


(Zuruf von der CDU/CSU: Völlig falsch!)

Wir machen deswegen den Vorschlag, das zu verändern.
Was passiert dann? Frau von der Leyen aus Niedersach-
sen, die am Kompromiss beteiligt war, sagt: Das ist ei-
gentlich wahr. Lassen wir doch die Lösung so, wie sie
jetzt ist. – Als Nächster sagt Herr Böhmer, der auch am
Kompromiss beteiligt war: Ja, da könnte man auch wie-
der etwas ändern, es ist eigentlich nicht gar so geschickt.
Als Dritter lässt Herr Seehofer streuen: Ich war ja noch
nie dafür. – Da muss man zugeben: Sie sind noch der Be-
rechenbarste in der ganzen Truppe; das ist immerhin
wahr.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Für die SPD!)


Dann sagt Frau Merkel: Wir sind gesprächsbereit. Bitte
legt doch einmal einen Gesetzentwurf vor.

Es folgt der zweite Akt: Wir haben einen Gesetzent-
wurf auf dem Tisch. Was passiert? Die Union versinkt in
Schweigen. Dann tagt das Präsidium und sagt: Wir sind
dagegen. Jetzt ist interessant, was dann kommt – Stich-
wörter: Klarheit, Berechenbarkeit und Konzeption –: Es
wechseln die Begründungen für das Dagegensein! Herr
Wissmann sagt, es sei schlimm, weil die Arbeitnehmer
belastet würden – so, als sei die Entlastung der Arbeitge-
ber und damit die Senkung der Lohnnebenkosten noch
nie ein gemeinsames Anliegen gewesen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aber nicht so! – Das schließt sich nicht aus!)


Herr Seehofer sagt: Der Gesetzentwurf ist zu kompli-
ziert. – Ich wusste gar nicht, Herr Seehofer, dass Sie
keine Gesetzestexte lesen können. Herr Kauder schließ-
lich sagt, das sei ganz schlimm, weil die Ministerin jetzt
den Kompromiss aufgegeben habe.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das stimmt alles! Das ist alles richtig!)


Das ist wahr, darum ging das Ganze ja. Auf Deutsch:
Das, was Sie hier aufführen, erinnert wesentlich mehr an
ein Kasperletheater als an Klarheit, Berechenbarkeit und
eine Konzeption.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512106400

Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Zöller?


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512106500

Bitte.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1512106600

Frau Kollegin Bender, Sie haben gerade gesagt, dass

Kollege Seehofer vielleicht Schwierigkeiten mit Geset-
zestexten hat. Ich habe heute Ihren Gesetzesvorschlag
erhalten und zitiere einfach einmal den ersten Satz da-
raus. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn mir er-
klären könnten. Es geht um die Änderung des GKV-Mo-
dernisierungsgesetzes, Nr. 36. Dort heißt es:

In Absatz 1 Satz 1 werden die Wörter „Die Kran-
kenkasse hat in ihrer Satzung nach den Vorgaben in
den Sätzen 2 bis 7“ durch die Wörter „Versicherte
haben nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 An-
spruch auf“ und die Wörter „für die Fälle vorzuse-
hen“ durch die Wörter „in den Fällen“ ersetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512106700

Ich kann Ihnen durchaus helfen. Wir können das ja

mal im Ausschuss machen. In solchen Fällen nimmt man
die alte Regelung im geltenden SGB V zur Hand, legt
den Gesetzentwurf daneben und schaut sich an, welche
Wörter gestrichen und ersetzt werden und wie sich die
Bedeutung verändert.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war nur der erste Satz!)


Ich bin mir ganz sicher, dass Ihnen ein ehemaliger Ge-
sundheitsminister hier auch noch Nachhilfe geben kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Im letzten Sommer konnte er das auch noch!)


Jetzt sage ich einmal etwas zur Konzeption und zu
dem Kompromiss. Wir alle wissen doch, dass ein fairer
Wettbewerb zwischen der gesetzlichen und der privaten
Krankenkasse, den Frau Merkel so gerne gehabt hätte,
eine Schimäre ist. Das ist schlichtweg nicht umsetzbar.
Es kann keinen Wettbewerb zwischen zwei Systemen
geben, die nach völlig verschiedenen Regeln funktionie-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was sagt Ihr Bundeskanzler dazu?)


Auf der einen Seite gibt es die gesetzlichen Krankenver-
sicherungen mit einer Kontrahierungspflicht – das heißt,
sie müssen jeden aufnehmen –, mit dem Solidarprinzip
und mit dem Sachleistungsprinzip.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wenn es nach Ihnen geht, nicht mehr lange!)







(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender

Auf der anderen Seite gibt es die privaten Krankenversi-
cherungen, die die Menschen nur nach entsprechender
Risikoselektion aufnehmen, die einkommensunabhän-
gige Prämien verlangen und die im Übrigen nach dem
Kostenerstattungsprinzip arbeiten und somit keinerlei
Möglichkeit haben, die Qualität und Wirtschaftlichkeit
der Leistungserbringung zu beeinflussen.

Zwischen diesen verschiedenen Systemen kann es
keinen Wettbewerb geben.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Aha! Was ist mit der Bürgerversicherung?)


Die Lösung, die wir des nächtens ausgehandelt hatten,
bedeutete obendrein eine Stillstellung des Wettbewerbs
unter den gesetzlichen Krankenkassen, weil für alle die
gleichen Preise gelten sollten. Angesichts der Tatsache,
dass man dann auch noch festgestellt hat, dass der Anteil
für die Verwaltungskosten bald so hoch ist wie der Bei-
trag selbst, muss man sagen: Diese Lösung ist nicht gut.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Können Sie das mal nachrechnen? Das ist völlig falsch!)


Ich kann mich hier den Worten der Ministerin nur an-
schließen: Wenn die Lösung schlecht ist, sollte man den
Mut haben, sie besser zu machen.

Was ist der Vorteil des Gesetzentwurfs, den wir Ihnen
vorlegen?


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das haben wir uns auch schon gefragt!)


Es gibt wieder Wettbewerb unter den gesetzlichen Kran-
kenkassen. Das heißt, beim Zahnersatz wird es wieder
um Qualität und Wirtschaftlichkeit gehen. Gleichzei-
tig ist diese Lösung, nach der der Zahnersatz in der GKV
verbleibt, sein Beitragsanteil aber alleine von den Versi-
cherten getragen wird, für die Versicherten billiger als
die Pauschale – das müssen Sie sich nur einmal an-
schauen – und verteilungsgerechter.


(Widerspruch der Abg. Annette WidmannMauz [CDU/CSU])


– Frau Widmann-Mauz, wenn Sie mir das nicht glauben,
dann sage ich Ihnen: Jemand mit einem Einkommen von
1 000 Euro zahlt in Zukunft 4 Euro als Beitragsanteil für
den Zahnersatz. Das bedeutet eine Zusatzbelastung von
2 Euro. Die 6,50 Euro, die man sonst bezahlt hätte, er-
reicht man erst, wenn man ein Einkommen nahe an der
Beitragsbemessungsgrenze hat.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Das ist völlig daneben!)


Vorteile für die Versicherten gibt es auf jeden Fall. Wie
gesagt: Es gibt dann auch wieder Wettbewerb und mehr
Qualität.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

– Ich glaube, das Problem der fehlenden Klarheit und
der mangelnden Konzeptionsfähigkeit sollten Sie einmal
untereinander lösen. Ich sehe ja, dass Sie schon lebhaft
ins Gespräch vertieft sind.

Herr Kollege Storm, Sie haben hier in Ansätzen auch
über die Rente gesprochen. Angesichts dessen, was die
Union zu unserem Rentenversicherungsnachhaltigkeits-
gesetz vorgelegt hat, frage ich mich, was bei Ihnen klar
und konzeptionell überzeugend sein soll. Sie waren doch
der Meinung, man müsse die Beitragsentwicklung in
dem Sinne festschreiben, dass der Beitrag nicht über
20 Prozent steigt. Das ist niedriger als das, was wir vor-
sehen. Gleichzeitig haben Sie verlangt, dass das Renten-
niveau am Ende höher sein soll und dass man die Kin-
dererziehungszeiten stärker berücksichtigt. Dieses
politische Konzept nennt man für gewöhnlich die Qua-
dratur des Kreises.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Sie müssen die Papiere einmal lesen, Frau Bender!)


Insofern kann ich Ihnen Qualität Ihrer Oppositionsarbeit
leider nicht bescheinigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen haben Sie erklärt, die Riester-Rente sei

ein Flop. Das sehen wir nicht so. Allerdings muss noch
Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber wenn sie
denn, Herr Storm, ein Flop wäre, dann ist es doch keine
Antwort, den „Flop“ für alle verpflichtend zu machen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Das ist doch nicht die Riester-Rente! Sie haben nicht zugehört!)


Das ist doch nun wirklich nicht überzeugend. Außerdem
führen Sie doch – genau wie wir – seit langem eine Dis-
kussion über Eigenverantwortung. Ich verstehe Eigen-
verantwortung so, dass man selber Entscheidungen trifft.
Insofern passt es doch nicht zusammen, wenn man vom
Staat gezwungen wird, per obligatorischer Entgeltum-
wandlung privat vorzusorgen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie beim Zahnersatz!)


Das kann es ja nun auch nicht gewesen sein.
Meine Damen und Herren von der Union, wenn sich

der Pulverdampf ein bisschen verzieht, dann sieht man
doch, dass es in wesentlichen aktuellen Fragen so große
Differenzen zwischen Rot-Grün auf der einen Seite und
Union auf der anderen Seite – sofern Sie selber irgend-
wann mit sich einig werden – nicht gibt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512106800

Frau Kollegin Bender, darf ich Sie noch einmal fra-

gen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Storm
entgegennehmen möchten?


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512106900

Ja, bitte.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1512107000

Frau Kollegin, ist Ihnen nicht der Unterschied zwi-

schen der Entgeltumwandlung als Form der betrieblichen






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Storm

Altersvorsorge und der Riester-Rente bekannt? Weil die
Riester-Rente so nicht angenommen wird, habe ich ge-
rade vorgeschlagen, einen anderen Weg zu gehen, der
bisher sehr gut funktioniert hat, nämlich als Regelfall die
Entgeltumwandlung vorzusehen.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512107100

Natürlich ist das in der Konstruktion ein Unterschied.

Viele Menschen, durch tarifliche Regelungen angeregt,
entscheiden sich für die Entgeltumwandlung. Aber wenn
man von Eigenvorsorge und Eigenverantwortung
spricht, gleichzeitig jedoch die Eigenverantwortung per
Entgeltumwandlung für alle verpflichtend machen will,
halte ich das für einen Widerspruch in sich. Dieses Pro-
blem haben Sie nicht gelöst.

Ich schaue mir einmal an, was zurzeit vorliegt. Da
gibt es zum Beispiel die Organisationsreform in der Ren-
tenversicherung. Es hat zwar lange gedauert, bis man
sich mit den Ländern geeinigt hat, aber immerhin ist das
jetzt der Fall. Wir werden gemeinsam eine Reform auf
den Weg bringen, die Verwaltungsvereinfachungen er-
möglicht und hilft, 350 Millionen Euro im Jahr einzu-
sparen. Auch das sollte man einmal im Auge behalten.

Schauen wir uns einmal die Nachbesserungen beim
Preissystem für die Krankenhäuser an. Dass Sie dazu ei-
nen eigenen Antrag vorlegen, ist okay. Aber die Diffe-
renzen sind doch nicht unüberbrückbar. Wir sind uns je-
denfalls einig, dass durch das Fallpauschalensystem in
den Krankenhäusern erstmals das Leistungsgeschehen
transparent wird, Preisvergleiche möglich werden und
damit auch die Qualität und Wirtschaftlichkeit in den
Krankenhäusern steigt. Das ist uns ein gemeinsames An-
liegen.

Oder nehmen wir die Pflege. Den großen Wurf, die
große Strukturreform, von der wir alle wissen, dass sie
notwendig ist, legen auch Sie nicht vor.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert denn eigentlich? – Gegenruf des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das weiß Rot-Grün auch nicht!)


Was die Umsetzung des Urteils zur Entlastung von Fa-
milien angeht, so kann man sich über die Ausgestaltung
streiten. Auch bei uns in der Koalition besteht noch Ge-
sprächsbedarf. Sie aber halten uns auf der einen Seite
entgegen, wie schrecklich es sei, manche Menschen stär-
ker zu belasten, schlagen auf der anderen Seite jedoch
selber vor, erst einmal einen erhöhten Beitrag von allen
zu erheben und dann Eltern mit Kindern wieder etwas
zurückzugeben, was ja letztlich auch nichts anderes be-
deutet als eine Belastung aller, wobei ein Teil der Entlas-
tungen von den Entlasteten selbst finanziert wird. Wis-
sen Sie: So schrecklich überzeugend ist auch das nicht
und vor allem in der Wirkung nicht so unterschiedlich.

Bei den aktuellen Fragen liegen nicht unbedingt Wel-
ten zwischen Rot-Grün auf der einen Seite und der Op-
position auf der anderen Seite.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind Galaxien!)

Anders sieht es allerdings bei den längerfristigen Re-
formoptionen aus. Da sind wir manchmal Horst
Seehofer näher als der Union insgesamt. Immerhin hat
die Debatte um den Zahnersatz deutlich gemacht – das
ist vielleicht das Verdienst dieser Debatte –, dass wir in
der Gesundheitsversorgung zwei Systeme nebeneinan-
der haben, die ganz unterschiedlich funktionieren, und in
dem diejenigen, die gut verdienen, nur ihr privates Ri-
siko absichern, sich der Solidarität legal entziehen und
damit die Nachhaltigkeit der Finanzierung infrage stel-
len.

Deshalb werden wir über die Frage „Kopfgeld nach
Frau Merkel oder Bürgerversicherung als eine Versiche-
rung für alle mit Wettbewerb?“ noch heftig streiten müs-
sen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Welche Bürgerversicherung? Von welcher reden Sie?)


Also: nicht kleinliche Streitereien, sondern Debatten
über die Grundlinien der Sozialpolitik, das halten wir für
wichtig und notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512107200

Das Wort hat jetzt der Kollege Daniel Bahr von der

FDP-Fraktion.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1512107300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin Schmidt hat gerade gesagt, sie fordere
eine Politik nach den Regeln der Mathematik. Bei den
Annahmen, nach denen diese Bundesregierung Gesund-
heits- und Sozialpolitik betreibt, frage ich mich, ob diese
Regierung eigentlich noch nach den Regeln der Mathe-
matik handelt. Bei der Tabaksteuererhöhung hatten Sie
eine viel zu hohe Erwartung, die Beitragssätze, die Sie
versprechen, sind viel zu niedrig, die Pauschale für den
Zahnersatz haben Sie mit 6 Euro kalkuliert und erst ein
Jahr später haben Sie festgestellt, dass auch das zu ge-
ring ist. Meine Damen und Herren, diese Bundesregie-
rung betreibt eine Politik gegen alle Regeln der Mathe-
matik und deswegen beteiligt sich die FDP-Opposition
nicht an dieser Politik.


(Beifall bei der FDP)

Betrachten wir einmal die Zahlen der Pflegeversiche-

rung. Wir haben heute etwa 1,9 Millionen Pflegebedürf-
tige und werden im Jahre 2030 vermutlich 3 Millionen
Pflegebedürftige haben. Wir haben heute einen Beitrags-
satz von 1,7 Prozent, im Jahre 2050 wird er im schlimms-
ten Fall bei 6 Prozent liegen. Obwohl die Pflegeversiche-
rung vor ein paar Monaten erst zehn Jahre alt geworden
ist, erleben wir, dass die Probleme immer weiter steigen,
weil die Leistungen nicht weiter angepasst werden. Die
Zahl der Pflegebedürftigen, die auf Sozialhilfe angewie-
sen sind, wird weiter steigen. Die Pflegeversicherung ist
einmal eingeführt worden, um gerade das zu verhindern.

Meine Damen und Herren, die Probleme in der Pfle-
geversicherung werden weiter zunehmen. Seit 1999 jagt






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)


ein Rekorddefizit das nächste. Vermutlich wird das Defi-
zit in diesem Jahr erstmals 1 Milliarde Euro betragen,
aber diese Regierung erkennt immer noch nicht, dass bei
dieser Pflegeversicherung ein akuter Reformbedarf be-
steht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Dann können Sie sie ja gleich abschaffen und privatisieren!)


Die Reform ist dringend nötig. Die Pflegeversicherung
muss auf eine neue, solide finanzielle Basis gestellt wer-
den, damit wir den Pflegekollaps verhindern und damit
wir auch künftigen Pflegebedürftigen noch eine solide
finanzierte Pflegeversorgung gewährleisten können.

Meine Damen und Herren, es lohnt nicht, die Reform
der Pflegeversicherung immer weiter aufzuschieben,
nicht mit einem Basta des Kanzlers und nicht mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf, der die notwendige Reform
nur in die Zukunft schieben will. Im Ergebnis ist Ihr Ge-
setzentwurf, liebe rot-grüne Bundesregierung, doch
nichts anderes als eine Beitragserhöhung für alle mit
Ausnahme derjenigen, die Kinder erziehen, und der
Rentnerinnen und Rentner. Sie wollen damit nur ein paar
Jahre Zeit gewinnen und die Reform auf die Zeit nach
der Wahl schieben, weil Sie selbst nicht mehr die Kraft
für die Reform der Pflegeversicherung haben und das ei-
ner anderen Bundesregierung überlassen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Ich denke, Sie sind gegen Schnellschüsse!)


Meine Damen und Herren, mit dem Gesetz, das Sie
hier vorgelegt haben, setzen Sie doch gar nicht das Ur-
teil des Verfassungsgerichts um. Dieses Gesetz ist
nichts anderes als ein Kinderlosenbelastungsgesetz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Bundesverfassungsgericht, Frau Schmidt, hat

– ich kann Ihnen nur vorschlagen, es einmal nachzu-
lesen – in seinem Urteil betont – ich zitiere –: Die Rege-
lung muss den Eltern während der Zeit zugute kommen,
in der sie Kinder betreuen und erziehen. – Dann machen
wir das doch genauso: Führen wir eine spürbare Entlas-
tung derjenigen ein, die in der Zeit der Kindererziehung
eine besondere Belastung zu schultern haben! Die FDP
hat eine spürbare Entlastung von 150 Euro pro Jahr in
den ersten drei Lebensjahren des Kindes vorgeschlagen,
die über Steuermittel finanziert wird.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Gegenfinanzierung?)


Das ist finanziell für den Haushalt zu schultern. Es kos-
tet im ersten Jahr 100 Millionen Euro.

Schon im letzten Haushaltsjahr haben wir genug Ge-
genvorschläge für Einsparungen gemacht und die FDP
wird auch bei den kommenden Haushaltsberatungen
wieder Einsparvorschläge machen, anders als andere
Oppositionsparteien. Warten Sie auf die Haushaltsbera-
tungen!

(Peter Dreßen [SPD]: Die kennen wir doch! Außer Privatisierung kennen Sie doch nichts!)


100 Millionen Euro im ersten Jahr kostet dieser Vor-
schlag, der unbürokratisch und einfach ist und der für
Familien eine spürbare Entlastung bringt. Das ist etwas
anderes als weitere Beitragserhöhungen, wie sie die Re-
gierung vorschlägt. Tun Sie, Frau Schmidt, nicht so, als
sei eine steuerfinanzierte Lösung nur ein Hirngespinst
der FDP. Ihr eigener Regierungsberater Rürup hat eine
steuerfinanzierte Lösung vorgeschlagen, die Pflege-
kassen haben eine steuerfinanzierte Lösung vorgeschla-
gen, alle Wirtschaftswissenschaftler, die sich mit dieser
Frage beschäftigt haben, haben eine steuerfinanzierte
Lösung vorgeschlagen. Der VdK hat sich ebenfalls für
eine steuerfinanzierte Lösung ausgesprochen und auch
der Deutsche Familienverband hat dafür plädiert, eine
spürbare Familienentlastung über die Steuer zu errei-
chen.

Wir haben doch nichts anderes in der Rentenversiche-
rung. Die Kindererziehungszeiten, die eine besondere
Berücksichtigung und Anerkennung der Familienleis-
tung sind, sind ebenfalls über einen Haushaltszuschuss
steuerfinanziert. Warum gehen wir diesen Weg, der fi-
nanziell beherrschbar ist, nicht auch in der Pflegeversi-
cherung, damit es wirklich eine spürbare Entlastung für
Familien gibt? Das ist unbürokratisch, einfach und
kommt den Familien in der Zeit zugute, in der sie die
höchsten Belastungen haben.


(Beifall bei der FDP)

Ich kann auch dem CDU-Vorschlag nicht viel abge-

winnen. Letztlich schlagen auch Sie von der CDU/CSU
nichts anderes als Beitragserhöhungen vor, nur dass Sie
die Familien erst in einem zweiten Schritt entlasten wol-
len. Herr Kollege Seehofer, Sie haben noch am 30. Ja-
nuar in der Aktuellen Stunde selbst Frau Schmidt vorge-
worfen, dass man nicht die Rentnerinnen und Rentner
belasten kann, die früher einmal einen Beitrag erbracht
haben, indem sie Kinder erzogen haben. Ich zitiere wört-
lich:

Aber, Frau Schmidt, eines kann man nicht machen,
nämlich Familien, die in der Vergangenheit Kinder
großgezogen haben und deren Kinder aus dem
Haus sind, jetzt einen höheren Pflegeversicherungs-
beitrag zumuten, wie Sie es beabsichtigt haben.
Denn diese Familien hatten niemals den Vorteil ei-
nes Kinderbonus in der Vergangenheit.

(Peter Dreßen [SPD]: Damit hat der Mann Recht! Deshalb machen wir es nicht!)


Genau das ist der Vorschlag der CDU/CSU, den Sie jetzt
vorlegen. Sie entlasten nur die Familien und schaffen
eine Beitragserhöhung für alle. Das lehnt die FDP ab.
Daran wollen wir uns nicht beteiligen.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, vor

noch nicht einmal zwei Monaten haben Sie selbst in Pres-
seerklärungen erklärt, dass Sie gegen Beitragserhöhungen
seien. Ich verweise auf die Presseerklärung von Andreas
Storm und Annette Widmann-Mauz vom 5. Juli 2004:






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)


Um die Einnahmen der Pflegeversicherung zu sta-
bilisieren, will Rot-Grün nun das Karlsruher Urteil
zur Beitragsentlastung von Familien als Deckman-
tel für Beitragserhöhungen missbrauchen. Diese
Verknüpfung ist nicht akzeptabel.

(Andreas Storm [CDU/CSU]: Was ist daran falsch?)

Ich stelle fest: Sowohl die CDU/CSU als auch die rot-

grüne Regierung missbrauchen das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts für Beitragserhöhungen,


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch ein Witz!)

um den Reformbedarf in der Pflegeversicherung zwei
Jahre hinauszuschieben. Die Probleme in der Pflegever-
sicherung löst das nicht.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512107400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von

der SPD-Fraktion.

Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1512107500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in unserem
Land brauchen auch in Zukunft soziale Sicherheit, die
von der Gemeinschaft finanziert wird. Alles, was wir
zurzeit tun, dient diesem Zweck. Die Agenda 2010 ist
kein Angriff auf den Sozialstaat. Im Gegenteil: Sie
schützt ihn, sie gibt ihm und den Menschen in unserem
Land Zukunft. Sicher, sie bringt manche Veränderung,
aber ein „Weiter so!“ würde den Sozialstaat ernsthaft in
Gefahr bringen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind hier nicht bei der Montagsdemo!)


Herr Storm, Ihr Beitrag war an einer Stelle an Schein-
heiligkeit wirklich nicht mehr zu überbieten. Was wollen
Sie jetzt? Eine pauschale Kürzung im Haushalt von
5 Prozent, wie in diesen Tagen von Herrn Stoiber vorge-
tragen? Das hieße nämlich: 5 Prozent weniger für die
Rentnerinnen und Rentner. Oder wollen Sie, dass wir
insgesamt mehr ausgeben? Da müssen Sie sich klar ent-
scheiden und Ihre Entscheidung deutlich machen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir erwarten 2005 Steuereinnahmen in Höhe von
194,5 Milliarden Euro. Den größten Teil davon, mehr als
125 Milliarden Euro – das sind 64 Prozent aller Steuer-
einnahmen –, geben wir für soziale Leistungen aus. Von
100 Euro Steuern, die wir einnehmen, geben wir 64 Euro
für soziale Leistungen aus. Das zeigt doch, wie absurd
der Vorwurf in diesen Tagen ist, die Bundesregierung
unter Gerhard Schröder betreibe eine Politik der sozialen
Kälte.


(Beifall bei der SPD)

Ist es soziale Kälte, wenn wir rund 78 Milliarden Euro

für die Rentenversicherung ausgeben, wenn wir 30 Mil-
liarden Euro für den Arbeitsmarkt ausgeben,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das funktioniert doch nicht!)


wenn wir 3,4 Milliarden Euro für die Familienpolitik
ausgeben, wenn wir 3 Milliarden Euro für Kriegsopfer-
leistungen bereitstellen, wenn wir 3,6 Milliarden Euro
für Sozialleistungen an die Landwirte, 850 Millionen
Euro für Wohngeld, 521 Millionen Euro für die Woh-
nungsbauprämie oder 760 Millionen Euro für den Zivil-
dienst ausgeben?


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Von 40 Milliarden Euro!)


Noch einmal: Insgesamt geben wir im Haushalt für das
Jahr 2005 rund 125 Milliarden Euro für soziale Leistun-
gen aus. Soziale Kälte sieht wohl anders aus.

Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie so-
ziale Kälte wirklich aussieht, der sollte sich die Politik
der CDU/CSU genauer ansehen. Würden nämlich die
sozialpolitischen Vorstellungen Ihrer Parteivorsitzenden,
Frau Merkel, umgesetzt, dann hätten wir in der Tat eine
soziale Klimaverschärfung in unserem Land zu erwar-
ten.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Die bemerken wir zurzeit auf den Straßen!)


Einen Vorgeschmack darauf, was Frau Merkel und ihre
Mitstreiter wirklich wollen, haben wir bei den Verhand-
lungen zu Hartz IV sehr konkret und belegbar erfahren
können. Wäre es nach ihren Vorstellungen gegangen,
dann hätten die Langzeitarbeitslosen bei der Zusammen-
legung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe deutlich schär-
fere Einschnitte hinnehmen müssen. Wenn sie sich
durchgesetzt hätten, dann wären die Bezieher von Ar-
beitslosengeld II vom nächsten Jahr an nicht mehr ren-
tenversichert. Wir haben das verhindert.

Wenn sich die Union durchgesetzt hätte, würden El-
tern und ihre Kinder bei längerer Arbeitslosigkeit künf-
tig grundsätzlich gegenseitig haftbar gemacht. Das ha-
ben wir verhindert. Wenn sich die Union durchgesetzt
hätte, dürften Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfän-
gern zukünftig noch ganze 256 Euro auf ihrem Sparbuch
haben. Das haben wir verhindert.

Aber nicht nur bei der Arbeitsmarktreform hat Frau
Merkel gezeigt, wohin die Reise mit der Union wirklich
geht.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Das ist eine Oppositionsrede!)


Bei der Krankenversicherung planen Sie mit der Ein-
führung einer Kopfpauschale einen Radikalumbau. Die
bewährte solidarische Krankenversicherung wäre damit
am Ende. Frau Merkel hält es für richtig, wenn ein Gene-
raldirektor genauso viel bezahlt wie sein Fahrer, wenn
eine Ärztin genauso viel bezahlt wie ihre Arzthelferin.
Soziale Gerechtigkeit sieht nach den Vorstellungen von
Frau Merkel so aus, dass derjenige, der mehr verdient,
zukünftig weniger und derjenige, der wenig verdient,
künftig mehr bezahlt.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Lehn

In diesem Sinne hat auch die „Süddeutsche Zeitung“
diese Politik gestern zutreffend als „sozialpolitische Ge-
frierschock-Politik“ bezeichnet.

Die Allerschwächsten der Gesellschaft sollen nach
dem Willen der CDU eine steuerfinanzierte Unterstüt-
zung bekommen. Aber wie dieser soziale Ausgleich, der
40 Milliarden Euro kosten würde, finanziert werden soll,
wird von Ihnen nicht verraten. Da wird nicht vorgeschla-
gen, dass wir die Umsatzsteuer erhöhen müssen oder
dass durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer jeder noch
einmal kräftig zufassen muss.

Dabei müssten Sie nur einmal über den Zaun blicken,
um zu sehen, wie wenig praxistauglich Ihre Vorschläge
sind. In der Schweiz gibt es die Kopfpauschale. Sie soll-
ten einmal hinfahren und sich darüber informieren.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Da waren wir im Gegensatz zu Ihnen! Sie wären besser mitgefahren!)


– Ich war in der Schweiz und berichte Ihnen, was man
uns dort gesagt hat. Man beneidet uns in der Schweiz da-
rum, dass wir Strukturveränderungen durchgeführt ha-
ben, und hält die Kopfpauschale für die größte Bremse,
um Strukturveränderungen zu erreichen.


(Beifall bei der SPD)

Das schweizerische System ist übrigens das zweit-
teuerste der Welt.

Wir verfolgen einen anderen Weg. Wer viel zahlen
kann und breitere Schultern hat, der zahlt auch mehr,
und zwar jeder nach seiner finanziellen Leistungsfähig-
keit. Sozialstaat heißt nicht nur, dass der Staat für Men-
schen zahlt, die Hilfe brauchen. Er sorgt vielmehr auch
dafür, dass sich die Starken und Reichen stärker und um-
fassender beteiligen. Deshalb setzen wir auf die Bürger-
versicherung. Deshalb nehmen wir Strukturveränderun-
gen in der Krankenversicherung vor. Der merkelsche
Grundsatz und ihr Einsatz in der Gesundheitspolitik hieß
Privatisierung des Zahnersatzes. Das sollte ihr Einstieg
in das große CDU-Reformprojekt Kopfpauschale sein.
Aber auch die meisten Gesundheitspolitiker Ihrer Partei
– auch wenn sie sich das im Moment nicht mehr zu sa-
gen trauen – haben sehr wohl begriffen, dass eine Kopf-
pauschale ein bürokratisches und sozial unausgewoge-
nes Monster wäre, und haben den Rückzug angetreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir bleiben klar und ehrlich. Wir sagen Ja zum So-

zialstaat. Wir belegen das mit Inhalten, genauso wie mit
Zahlen. In den Haushalt 2005 sind so viele Mittel für so-
ziale Leistungen eingestellt worden wie niemals zuvor.
Er wird dem Anspruch der Menschen, dann Hilfe zu be-
kommen, wenn sie sie brauchen, mehr als gerecht. Wir
finden das gut so; das ist so; das soll auch so bleiben.
Wir werden nicht nur dafür sorgen, dass wir hier eben-
falls Spitzenreiter in Europa sein werden, sondern auch
absichern, dass dies so bleiben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: In der zweiten Liga!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512107600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Widmann-

Mauz von der CDU/CSU-Fraktion.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1512107700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Frau Kollegin Lehn, wenn Sie von einem bewährten
System sprechen und davon, wie wunderbar sich alles in
dieser Bürgerzwangsversicherung organisieren lasse,
dann müssen Sie sich schon fragen lassen: Wenn alles so
wunderbar ist, warum sind dann, seit Sie an der Regie-
rung sind, eigentlich die Beiträge zur gesetzlichen Kran-
kenversicherung Jahr für Jahr gestiegen – wahrschein-
lich weil Sie die bewährten Instrumente so gut einset-
zen – und warum laufen Ihnen die Experten selbst aus
Ihren eigenen Kommissionen davon und sind der Mei-
nung, dass ein solches Monstrum auf keinen Fall reali-
sierbar wäre? Sie wissen, dass eine Bürgerzwangsversi-
cherung keine Arbeitsplätze schafft, sondern vernichtet.
Ich frage mich, wie Sie das den Menschen angesichts
von 350 000 Arbeitslosen mehr im August dieses Jahres
im Vergleich zum August 2002 zumuten können. Das er-
fordert schon eine ganze Portion Mut. Ich kann Ihnen
nur sagen, was für die Union gilt: Was Arbeit schafft,
das ist sozial. Diesen Anspruch haben Sie schon längst
aufgegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer den Sozialstaat will, muss Änderungsprozesse
einleiten, … und zwar auf der Basis von Sicherheit
und Bezahlbarkeit.

Das waren Ihre Worte im Juni letzten Jahres an dieser
Stelle, Frau Ministerin Schmidt. Was wir heute haben,
sind nervöses Verändern und Nachbessern, Verschieben
und Korrigieren, und zwar auf der Basis totaler Verunsi-
cherung und zunehmender Unbezahlbarkeit. Das ist bei
Hartz der Fall, das ist bei der Gesundheitsreform der
Fall, insbesondere bei der Reform der Pflegeversiche-
rung, und – das entsprechende Gesetz wollen Sie heute
ändern – das ist bei den Fallpauschalen der Fall. Es ist
die Politik der Bürgerverunsicherung, die die Menschen
auf die Straßen treibt, und nicht die Uneinsichtigkeit der
Menschen, wie es Herr Benneter nach jeder verlorenen
Wahl erneut behauptet. Die Menschen wissen, worum es
in diesem Land geht. Sie wissen auch, dass die SPD es
nicht kann. Bei der SPD verbindet sich Orientierungs-
losigkeit mit handwerklichen Fehlern und persönlichen
Führungsschwächen. Das ist exekutive Politik jenseits
der Zumutbarkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hinzu kommt die Unglaubwürdigkeit von Frau

Schmidt, insbesondere dann, wenn es ums Geld geht.
Das haben Sie heute wieder in eindrucksvoller Weise be-
stätigt. Vor der Bundestagswahl 2001 haben Sie ange-
kündigt, in der gesetzlichen Krankenversicherung werde
es 2002 ein ausgeglichenes Finanzergebnis geben.






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz

Ergebnis: Im Dezember wies die gesetzliche Kranken-
versicherung ein Minus von 2,5 Milliarden Euro auf.
Das gleiche Spiel wiederholte sich im Jahr 2003, nur mit
dem Unterschied, dass diesmal nicht erst im Dezember,
sondern schon im Frühjahr klar war, dass es ein Defizit
in der gleichen Größenordnung geben wird. Im Jahr
2004 und insbesondere heute verbreiten Sie wieder Opti-
mismus. Die Kassen hätten die Schulden halbiert und
2,5 Milliarden Euro Überschüsse erzielt. Sie kommen
also zu dem Ergebnis, dass Beitragssatzsenkungen an-
stünden.

Frau Schmidt, die Menschen glauben Ihnen das nicht
mehr, und das aus gutem Grund. Denn auch 2004 ist die
Lage wieder einmal angespannter, als Sie es den Men-
schen weismachen wollen. Erst zum 31. August – es ist
also gerade einmal ein paar Tage her – haben die Kassen
beim Bundesversicherungsamt erste Pläne zur Entschul-
dung vorgelegt. Es sind noch keine Schulden beglichen,
Frau Schmidt. Ihre Zuversicht, insbesondere in der zwei-
ten Jahreshälfte könnten nochmals Überschüsse in Höhe
von 2,4 Milliarden Euro erzielt werden, entbehrt doch
jeglicher Grundlage. Selbst der Chef der Barmer, Fied-
ler, warnt im „Handelsblatt“:

Auf keinen Fall können wir den Erfolg des ersten
Halbjahres wiederholen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Frau Schmidt, solche Zahlen, wie Sie sie auch heute

wieder vorgelegt haben, können eben nur bei Milchmäd-
chenrechnungen herauskommen. Stichwort Tabak-
steuer: Ihr Kollege Eichel stellt die Subventionen aus
der Tabaksteuer zugunsten der gesetzlichen Krankenkas-
sen infrage. Statt der erwarteten Mehreinnahmen gab es
im ersten Halbjahr ein Minus. Das heißt, es steht doch in
den Sternen, ob die zusätzlichen 500 Millionen Euro in
diesem Jahr, die 2,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr
und die 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2006 überhaupt
noch fließen werden. Frau Bender – Sie haben sich ge-
meldet –, auch Frau Hermenau, Ihre Fraktionskollegin,
hat es heute auf den Punkt gebracht, als sie sagte, das
Konzept der Bundesregierung müsse komplett überar-
beitet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512107800

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bender?


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1512107900

Jawohl.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512108000

Frau Kollegin, Sie bezweifeln, dass sich die Finanz-

lage der Kassen infolge der Gesundheitsreform durch-
greifend verbessert. Ich darf Sie daher fragen, was Sie
von folgendem Zitat halten:
Die Kassen werden 2006 finanziell top dastehen.
Sie werden ihre Schulden bewältigt haben und
deutlich niedrigere Beiträge als heute verlangen.

Das Zitat ist aus einem Interview mit Herrn Seehofer im
„Spiegel“ vom 30. August 2004.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512108100

Frau Kollegin Bender, würden Sie bitte stehen blei-

ben.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1512108200

Liebe Frau Kollegin, auch an dieser Stelle muss klar

gesagt werden: Wir haben diese Prognosen nicht abge-
geben. Wir stehen auch dazu, dass wir die Einsparungs-
reserven mobilisieren wollen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Was ist das denn für eine Antwort?)


Aber so zu tun, als gäbe es in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung keine Probleme, als sei alles schon in
Butter und als müssten wir nur warten, bis das Heu in
der Scheune ist, ist schlichtweg falsch. Sie nähren damit
Hoffnungen, die Sie am Jahresende nicht halten können,


(Waltraud Lehn [SPD]: Das ist aber ein Eiertanz!)


und Sie verunsichern die Bürgerinnen und Bürger von
Jahr zu Jahr aufs Neue. Da müssen Sie sich nicht wun-
dern, wenn die Menschen auf die Straße gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Lehn [SPD]: Sie hätten vielleicht die Frage beantworten sollen!)


Sie wissen doch selbst ganz genau, Frau Kollegin
Bender, dass es zur Jahresmitte hin etwa 3 Millionen
Versicherte gibt, die die Belastungsobergrenze erreicht
haben. Im zweiten Halbjahr werden es natürlich mehr
Menschen werden, die von der Zuzahlung befreit sind.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch alle beide so gewollt!)


– Das ist ja auch in Ordnung. – Aber dann so zu tun, als
ob die Einnahmen an dieser Stelle gleich blieben und die
Ausgaben so niedrig blieben, wie sie sind, ist doch ein-
fach nicht redlich. Sie wissen genau, dass der Umfang
der Zuzahlungen zurückgehen wird und dass die Leis-
tungsausgaben im selben Umfang steigen werden.


(Waltraud Lehn [SPD]: Erklären Sie das doch einmal Herrn Seehofer!)


Deshalb stimmen Ihre Rechnungen nicht. Hören Sie auf,
die Menschen zu verunsichern und sie mit falschen Zah-
len zu täuschen! Bleiben Sie auf dem Boden der Reali-
tät! Ich glaube, dass haben die Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Das müssen Sie aber noch Herrn Seehofer sagen!)







(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz

Viel dramatischer ist, dass die Bundesministerin heute

kein Wort zu dem Wegbrechen der Einnahmen der ge-
setzlichen Krankenversicherung gesagt hat. Die Mehr-
einnahmen der GKV gehen doch ausschließlich darauf
zurück, dass die Lebensversicherungen und die Betriebs-
renten stärker verbeitragt wurden. Man hört kein Wort
mehr von der Arbeitslosigkeit, also von den Problemen
der arbeitslosen Menschen in diesem Land, die Sie nicht
lösen. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle:
350 000 Arbeitslose mehr, das sind die Hypotheken, mit
denen unsere gesetzliche Krankenversicherung zu kämp-
fen hat. Kein Schönrechnen hilft an dieser Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das jüngste Beispiel Ihrer Unzuverlässigkeit ist der

Zahnersatz. Noch vor einem Jahr haben Sie, Frau
Schmidt, an dieser Stelle gesagt – Zitat –:

Wir werden alles tun, um den Strukturwandel ein-
zuleiten. Wir stellen den mündigen Patienten und
die mündige Patientin in den Mittelpunkt unserer
Bemühungen.

Doch Mühe reicht eben nicht. Sie brauchen auch den
Willen dazu.


(Peter Dreßen [SPD]: Und man braucht auch noch den Bundesrat!)


Weder Frau Schmidt noch Herr Müntefering haben die-
sen Willen gezeigt. Sie wollen keine Wahlfreiheit und
Sie wollen keinen Wettbewerb mit der privaten Kran-
kenversicherung. Sie wollen die Finanzstruktur nicht
verändern. Deshalb boykottieren Sie Ihren eigenen Be-
schluss. Sie haben seinerzeit im Parlament die Hände ge-
hoben. Sie täuschen seit Monaten mit falschen Zahlen,
so auch heute wieder.

Frau Schmidt, wie kommen Sie überhaupt zu dieser
Zahl von 10 Euro für die Pauschale? Es wäre doch ein-
mal interessant, wenn dem Parlament aufgezeigt würde,
wie Sie zu dieser Zahl gekommen sind; dann könnte man
das nachrechnen. Sie verunsichern und verunglimpfen,
aber reale Zahlen legen Sie nicht vor.

6,20 Euro für die Leistungsausgaben und 50 Cent für
die Verwaltungskosten bei der unbürokratischen Rege-
lung, das sind die Fakten und nicht das, was Sie hier dar-
legen!


(Peter Dreßen [SPD]: Dann reden Sie mal mit den Krankenkassen! Sie müssen mal mit denen reden!)


– Mein lieber Herr Dreßen, wenn Sie immer sagen, die
Pauschale sei so teuer, dann rechne ich Ihnen das einmal
vor, nachdem ja Frau Bender in ihrer Aufregung die Bei-
tragsbemessungsgrenze vorhin sehr weit heruntergesetzt
hat: Bei einem Einkommen von 2 000 Euro beträgt die
Pauschale 6,70 Euro und nach Ihrem Vorschlag 8 Euro.
Für einen Durchschnittsverdiener beträgt die Pauschale
6,70 Euro und nach Ihren Vorstellungen 9,60 Euro. So
geht es weiter. Für ein Einkommen an der Beitragsbemes-
sungsgrenze – die liegt noch deutlich über 3 000 Euro,
liebe Frau Bender – beträgt die Pauschale 6,70 Euro und
nach Ihren Vorstellungen 13,60 Euro. Was Sie den Men-
schen da abnehmen wollen, ist also mehr als doppelt so
viel.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solidarische Finanzierung! Das ist der Unterschied!)


Bleiben Sie an dieser Stelle redlich!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit neun Monaten ist das Gesetz in Kraft. Die Bevöl-
kerung hat sich darauf eingestellt. Viele Menschen ha-
ben bereits Privatverträge geschlossen. „Rein und raus,
rein und raus“, das ist die Devise im Hause Schmidt,
weil Sie, Frau Schmidt – das will ich Ihnen sagen –, es
nicht können und weil Sie es auch nicht wollen.


(Lachen des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Sie sind erstens nicht in der Lage, ein handwerkliches
Problem, nämlich den Beitragseinzug, zu lösen, und
zweitens wollen Sie die Prämie gar nicht. Seit Mai haben
wir Sie aufgefordert, den Beschluss umzusetzen und die
notwendigen Fragen zu klären. Antwort aus dem Hause
Schmidt: kein Handlungsbedarf. Statt zu handeln, sitzen
Sie aus und torpedieren den gemeinsam gefundenen
Kompromiss.

Sie haben mit dem Hintertreiben schon früh begon-
nen. Der erste Arbeitsentwurf sah die Ausgliederung
überhaupt nicht vor. Herr Müntefering hat schon im letz-
ten Juli die gemeinsame politische Verantwortung abge-
lehnt. Das alles zeigt, Frau Schmidt, dass Sie den ge-
meinsam geschlossenen Vertrag nicht umsetzen wollen.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf kündigen
Sie den Kompromiss in diesem Bereich auf. Sie spielen
hier ein politisches Spiel auf dem Rücken der Versicher-
ten. Dafür tragen Sie die Verantwortung.


(Peter Dreßen [SPD]: Was Sie da sagen, tut ja weh!)


Ich kann Ihnen sagen: Der Kompromiss, den wir ge-
funden haben, ist allemal besser als jeder der Vorschläge,
die Sie in der letzten Woche gemacht haben, und auch
besser als der Vorschlag, den Sie heute eingebracht ha-
ben; denn Ihre Verschiebemodelle senken die Arbeits-
kosten nicht. Sie verschieben sie nur auf die Arbeitneh-
mer. Aber dort bleiben es Arbeitskosten. Bei jedem
prozentualen Beitrag gilt: Von jedem Euro mehr an Ver-
dienst bleibt netto weniger übrig. So schafft man keine
Arbeit, wenn überhaupt, dann nur im Bereich der
Schwarzarbeit.

Ihr Kniff mit dem Zusammenlegen der Regelungen
für das Krankengeld und den Zahnersatz bedeutet
unter dem Strich sogar eine weitere Mehrbelastung für
die Versicherten. Statt 6,70 Euro Pauschale verlangen
Sie ab 1. Juli nächsten Jahres vom Durchschnittsverdie-
ner 21,60 Euro. Das sind die Zahlen! Das ist die Wahr-
heit, mit der wir Sie am heutigen Tag konfrontieren müs-
sen!

Wir haben im Gesundheitskonsens gemeinsam einen
Zeitplan entwickelt. Der war uns sehr, sehr wichtig. Wa-
rum? Wir haben Ihnen gesagt, dass den Belastungen, die
wir den Menschen durch höhere Zuzahlungen oder






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz

durch einen Sonderbeitrag aufbürden, Entlastungen ge-
genüberstehen müssen, zum Beispiel über die Einnah-
men aus der Tabaksteuererhöhung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und Beitragssatzsenkung!)


Sie wissen, dass das ein langsames Aufwachsen ist. Aber
wenn Sie in dem Jahr, in dem die vollen Steuereinnah-
men noch gar nicht eingehen, wenn sie überhaupt einge-
hen, bei den Beiträgen die volle Last auferlegen wollen,
dann hat das mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun und
dann stellen Sie auch diesen wichtigen Bestandteil des
Kompromisses in Frage. Das ist mit uns nicht zu ma-
chen.

Sie haben den Kompromiss auch bereits in vielen
weiteren Bereichen aufgekündigt. Ich nenne nur das
Stichwort Verwaltungskosten. Da haben Sie bei den
Krankenkassen schon wieder zig Ausnahmeregelungen
vorgesehen. Ich nenne ein weiteres Stichwort: Bürger-
versicherung durch die Hintertür. Das ist ja ein Gesetz,
mit dem wir uns in diesem Haus ebenfalls noch befassen
müssen.

Unglaubwürdig und unzuverlässig sind Sie auch bei
der Pflegeversicherung. Auch hier spalten Sie die Ge-
sellschaft mit Ihrem jüngsten Last-Minute-Gesetzesvor-
schlag zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils. Ein Beitragszuschlag nur für Kinderlose kommt
eben einer Strafabgabe gleich. Menschen, die aus wel-
chen Gründen auch immer kinderlos geblieben sind,
werden rein zum Stopfen der Löcher in der Pflegekasse,
die Sie durch die Absenkung der Beiträge für die Ar-
beitslosenhilfebezieher aufgerissen haben, herangezogen
und damit abgezockt. Vor allem aber wird mit diesem
Strafbeitrag für Kinderlose der Auftrag des Bundesver-
fassungsgerichts nicht umgesetzt. Dieses hat nämlich
eine Entlastung der Familien angemahnt. Diese erfolgt
aber durch Ihren Vorschlag nicht. Keine Familie wird
nach Ihrem Vorschlag auch nur 1 Euro weniger als heute
bezahlen. Von daher kommt ja auch die Kritik der Pfle-
gekassen an Ihrem Gesetzentwurf, die wir heute verneh-
men konnten.

Wer Kinder erzieht, erbringt eine wertvolle Leistung
für unsere Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine echte
Entlastung der Familien in der Zeit der Erziehungstätig-
keit. Statt Kinderlosigkeit zu bestrafen, wollen wir Fami-
lien während der Erziehungsphase entlasten. Wir errei-
chen dieses dadurch, dass wir den Versicherten, die
Kinder unter 18 Jahren erziehen, einen wirklichen Bei-
tragsbonus von 5 Euro pro Kind und Monat gewähren:
je mehr Kinder in der Familie, desto höher also die Ent-
lastung. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem
Durchschnittseinkommen halbiert sich so nach unseren
Vorstellungen der Beitrag zur Pflegeversicherung. Ge-
mäß dem Gesetzesvorschlag von Rot-Grün zahlen Fami-
lien mit einem Durchschnittseinkommen so wie heute
17 Euro; gemäß dem Vorschlag der CDU/CSU werden
es 9 Euro sein. Diese Zahlen sprechen für sich.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512108300

Frau Kollegin, schauen Sie bitte auf Ihre Redezeit.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind am Ende!)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1512108400

Jawohl, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist das Beste!)

Es bleibt wenig Zeit, auch noch den Bereich der Fall-

pauschalengesetzgebung in diesem Land den Menschen
darzustellen. Wir werden die Zeit im Ausschuss dafür
nutzen. Aber auch dieses Gesetz ist ein Beispiel dafür,
dass diejenigen, die sich auf den Gesetzgeber und die
Gesetze in unserem Land verlassen, am Ende diejenigen
sind, die dafür bestraft werden. Wir wissen: Wer sich auf
Rot-Grün verlässt, der hat von Anfang an verloren.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ist das die Lehre aus den Gesundheitsreformverhandlungen?)


Dieser Zustand muss schleunigst ein Ende haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512108500

Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die

Grünen.


Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512108600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Diese Kampfrhetorik, bei der man davon
spricht, wer hier wen verunsichert, und davon, wer sich
in die Büsche schlägt, wenn es eng wird, möchte ich hier
eigentlich nicht fortsetzen. Im Rahmen der heutigen Sit-
zung möchte ich zu zwei Dingen Stellung nehmen: zum
Kinder-Berücksichtigungsgesetz in der Pflegeversiche-
rung und zum Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz.

Lassen Sie mich eingangs einige Worte zum Fallpau-
schalenänderungsgesetz sagen: Die deutsche Kranken-
hauslandschaft wird in den nächsten Jahren durch die
Umstellung von Krankenhausbudgets auf landesweite
Fallpauschalen einen ungeheuren Wandel erfahren. Wir
sind uns sehr wohl bewusst, dass den Kliniken durch
hohe Anpassungsanforderungen große Leistungen abge-
fordert werden. Dennoch wurden in der Vergangenheit
und wird auch jetzt konstruktiv und an der Sache orien-
tiert debattiert. Dieser Diskussionsprozess ist sehr wich-
tig. Nur so kann es gelingen, letztendlich zu einem trag-
fähigen Ergebnis zu kommen. Vor diesem Hintergrund
begrüßen wir auch das zentrale Vorhaben des Entwurfs,
die Übergangsphase hin zum diagnoseorientierten Fall-
pauschalensystem von drei auf vier Jahre zu verlängern,
denn fast alle Akteure sind zu der Einsicht gelangt, dass
die Einführung des DRG-Systems mehr Zeit braucht.
Auch ich glaube, dass eine Verzögerung über Gebühr da-
durch nicht stattfindet.

Wir Grüne sehen durchaus an manchen Stellen Dis-
kussionsbedarf. So ist zum Beispiel zu prüfen, ob die
spezielle Versorgung von Kindern im DRG-System
sachgerecht abgebildet werden kann, denn Kinder sind
nicht einfach kleine Erwachsene.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Selg


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben wir vorgeschlagen! Das habt ihr abgelehnt!)

– Da schauen wir noch einmal drüber. – Auch die Berei-
che reiner Epilepsiezentren und Palliativmedizin müssen
wir uns noch einmal genau anschauen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Insgesamt bezweifelt kaum noch ein Akteur, dass die

Umstellung auf das DRG-System grundsätzlich richtig
ist. Wir müssen nämlich wegkommen von den ineffi-
zienten und verkrusteten Finanzierungsstrukturen. Dann
werden, wie ich glaube, in Zukunft Patientinnen und Pa-
tienten die Nutznießer eines solchen Umstellungsprozes-
ses sein. Ich denke, dass wir hier zusammen mit der Op-
position zu einer guten Lösung kommen werden.

Wesentlich schwieriger erscheint mir der momentane
Weg in der sozialen Pflegeversicherung.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Da haben Sie Recht!)


Um hier aber gleich einer Legendenbildung über eine
Koalitionskrise vorzubeugen: Es ist selbstverständlich,
dass wir dieses Gesetz zur Umsetzung des Bundesver-
fassungsgerichtsurteils noch in diesem Jahr beschließen
werden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Müssen!)


Die rot-grüne Regierung wird das gemeinsam tun.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Also sind Sie umgefallen!)

Da braucht sich hier niemand falsche Hoffnungen zu
machen; denn wir sind uns der Verantwortung bezüglich
der Pflegeversicherung sehr wohl bewusst und werden
dieses System, von dem viele Pflegebedürftige profitie-
ren, nicht an die Wand fahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte dennoch ganz offen sagen, dass uns Grü-
nen der vorgelegte Gesetzentwurf einige Bauchschmer-
zen bereitet.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Das zu sagen bin ich meinem politischen Selbstverständ-
nis einfach schuldig; außerdem kämpfe ich gern mit of-
fenem Visier. Wir sind der Ansicht, man sollte sich das
Urteil wirklich genau ansehen. Denn ob jemand Kinder
gezeugt hat oder nicht, war nicht das entscheidende Kri-
terium für das Karlsruher Urteil. Entscheidend war das
Kriterium, ob jemand Kinder erzieht oder nicht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

Aber tun wir hier doch bitte nicht so, als hätten wir ei-

nen gordischen Knoten durchschlagen oder eine Super-
lösung für alle Probleme gefunden! Die Frage ist: Wie
können wir Erziehung auf möglichst gerechte und un-
komplizierte Art und Weise bemessen? In keinem der
Vorschläge finde ich darauf eine richtige Antwort.


(Zuruf von der FDP: Nur bei der FDP!)

– Dazu komme ich noch.
In einem zentralen Punkt der Umsetzung des Urteils
sind wir uns mit der SPD völlig einig: Wir werden in
Anbetracht der Finanzsituation der Pflegeversicherung
nicht anders können, als die geforderte Besserstellung
relativ zu erreichen. Entscheidend ist, dass bestimmte
Gruppen von Versicherten mit einem höheren Beitrag
belastet werden müssen. Alle anderen Konzepte, die
durch die Lande schwirren, sind leider nur fromme
Wünsche. Eine wirkliche Entlastung Erziehender ist
über einen geringeren Beitragssatz in der Pflegeversi-
cherung oder auch über das Steuersystem – man schaue
sich bitte einmal den Haushalt an – schlicht und einfach
nicht zu bezahlen und wir werden das auch nicht tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Schlimm genug!)


Sie sagen, Herr Bahr, bei Ihnen bekomme jedes Kind
150 Euro und das sei ganz billig. Aber erstens muss das
Geld ja irgendwo herkommen. Die Steuern müssen
ebenfalls bezahlt werden und dazu sagen Sie wie immer
nichts, kein Wort zur Gegenfinanzierung.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)


Wir spielen doch hier nicht „Wünsch dir was“!

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Da müssen Sie unsere Anträge lesen! Wir haben sie doch in den Haushaltsausschuss eingebracht!)


Zweitens wäre es nur deswegen einigermaßen güns-
tig, weil Sie diesen Bonus nur in den ersten drei Lebens-
jahren des Kindes gewähren wollen, weil da angeblich
die Familie durch die Erziehung am meisten belastet sei.
So ein lebensfremder Quatsch kann wirklich nur von Po-
litikern der FDP oder von jemandem kommen, der noch
keine Kinder erzogen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Es ist wie bei den Kindererziehungszeiten!)


Bei meinen drei Kindern waren die ersten drei Lebens-
jahre, in denen in erster Linie Windeln und Babynahrung
anfielen, wesentlich günstiger, als es die jetzigen sind, da
sie in der Pubertät sind und für Schule und Versorgung
mehr anfällt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die CDU/CSU will den Erziehenden einen Bonus für
jedes Kind geben. Lobenswert – das möchte ich wirklich
sagen – finde ich an dem Konzept, dass Sie eingestehen,
dass wir um eine Erhöhung des Beitragssatzes nicht um-
hinkönnen. Für diese Ehrlichkeit vielen Dank; das meine
ich ernst.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512108700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Bahr?






(A) (C)



(B) (D)



Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512108800

Ja.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das klang ja sehr freundlich!)


– Mal schauen, was er bringt; aber der Vorschlag bezüg-
lich der ersten drei Lebensjahre ist witzig.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1512108900

Frau Kollegin Selg, ich frage Sie, wie Sie dann erklä-

ren, warum in die gesetzliche Rentenversicherung ein
steuerlicher Zuschuss aus dem Haushalt für drei Jahre
Kindererziehungszeiten gezahlt wird. Nach Ihrer Logik
müssten es 18 Jahre sein. Hier geht es um die Würdi-
gung und Anerkennung der Erziehungsleistungen in der
gesetzlichen Rentenversicherung.


Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512109000

Lieber Herr Bahr, wie immer vermischen Sie einfach

Äpfel mit Birnen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was Äpfel und was Birnen sind, entscheiden Sie?)

Das passt nicht zusammen. Die Anerkennung in der
Rentenversicherung ist gewährleistet, damit die Mütter
in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben können.


(Peter Dreßen [SPD]: Oder Väter!)

– Oder natürlich die Väter. – Aber Sie können nicht
wirklich glauben, dass Erziehung in den ersten drei Jah-
ren teurer wäre als später. Sie haben keine Kinder; aber
Windeln und Babygläschen sind billiger als die Versor-
gung von drei schulpflichtigen Kindern, wie ich sie
habe; da kommen ganz andere Kosten auf einen zu. Ihr
Vorschlag ist lebensfremd und Ihr Vergleich passt nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wo ist denn Ihre Entlastung, Frau Selg?)


Zurück zur CDU/CSU. Herr Seehofer sagte, man
solle sich Zahlen und Fakten nicht schönrechnen. Des-
halb möchte ich Sie bitten: Tun Sie doch nicht so, als un-
terscheide sich Ihr Vorschlag elementar von unserem
Ansatz! Letztendlich belegen auch Sie Nichterziehende
mit einem höheren Beitragssatz als Erziehende; die Er-
ziehenden bekommen dann quasi hintenherum von ih-
rem Beitrag etwas wieder. Da kann man doch zu Recht
fragen: Wozu dieser Aufwand? Dann muss doch gleich
gesagt werden, dass ich den Bonus für mich zum Teil
selber finanzieren muss.

Was mich wirklich ärgert: Ihr Modell berücksichtigt
nicht die schwierige und defizitäre Lage der Pflegeversi-
cherung. Dieser Vorschlag wird nicht zur Stabilisierung
der Finanzen der Pflegeversicherung beitragen. Im Ge-
genteil: Er beschleunigt die Destabilisierung. Das finde
ich sehr verwerflich.

Ich möchte jetzt zu einem anderen entscheidenden
Punkt kommen. Wir Grüne haben immer gesagt – ich
wiederhole das an dieser Stelle –, dass uns die alleinige
Umsetzung des Urteils nicht ausreicht. Sie löst nicht den
Reformbedarf in der Pflegeversicherung. Ich denke,
dass die bekannten Reformbedarfe für demenziell er-
krankte Menschen, eine Dynamisierung der Leistungen,
eine Stärkung des ambulanten Sektors sowie vor allem
eine nachhaltige Finanzstruktur – mit Sicherheit nicht
nur kapitalgedeckt, Herr Bahr – unbedingt von uns ange-
gangen werden müssen, aber nicht, weil wir Grüne das
wollen, sondern weil Leistungserbringer und Pflegebe-
dürftige samt ihren Familien dringend darauf warten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kostet aber Geld!)


– Genau, das kostet Geld.
Die demographische Entwicklung war schon bei Ein-

führung der Pflegeversicherung bekannt.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja!)


Es reicht eben nicht aus, die Probleme immer nur zu be-
nennen. Bei allen weiteren Stufen der Reformen müssen
wir ganz klar sagen, dass sie Geld kosten werden und
dass sie mit finanziellen Belastungen verbunden sind.
Aber diese Tatsache nimmt die Opposition nie zur
Kenntnis. An keinem Ihrer Reformvorschläge hängt ein
Preisschild. Sie fordern immer nur, ohne zu sagen, wo-
her das Geld eigentlich kommen soll.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben Sie wohl nie gemacht! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das stimmt nicht, was Sie sagen!)


Deshalb mein Appell: Lassen Sie uns bitte offen mit
dieser Situation umgehen! Ich bin es einfach leid, die
Verantwortung für die seit zehn bis 15 Jahren in dem
System der sozialen Sicherung gemachten Fehler immer
zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hin und her zu
schieben. Es ist wichtig, dass man den Menschen drau-
ßen im Land jetzt sagt, dass weitere Reformen dringend
notwendig sind und dass wir sie umsetzen werden.

Eines kann ich Ihnen sagen: Wir in der Koalition wer-
den weiter daran arbeiten und – da bin ich mir ganz
sicher – zu einem Ergebnis kommen. Wir waren in den
letzten Jahren bei allen Reformen mehr als standhaft.
Heute hü und morgen hott oder Wackelmännchen ist im
Moment eher bei der Opposition, vor allem bei der
CDU/CSU, zu finden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das war eine Pirouette! Eine Goldmedaille dafür!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512109100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Thomae,

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1512109200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! 2,4 Milliarden Euro an Einsparungen sind






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dieter Thomae

eigentlich ein stolzer Betrag. Das ist aber nur die eine
Seite der Medaille.


(Zuruf von der SPD: Zahnärzte!)

Wenn man die andere Seite betrachtet, dann muss man
feststellen, dass dieser Überschuss dadurch erzielt
wurde, dass Sie die Betriebsrenten – das ist ein großer
Block – herangezogen haben. Ich sage für die FDP sehr
deutlich: Das war ein unfaires Verfahren.


(Beifall bei der FDP)

Eine solche Änderung kann man nur durchführen, wenn
man eine vernünftig lange Übergangsfrist einbaut.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Da waren Sie aber noch dabei!)


– Nein, da waren wir nicht mehr dabei. Wir haben das
nicht mitgemacht; wir sind vorher ausgestiegen.


(Beifall bei der FDP)

Das Thema Betriebsrenten werden wir noch im Aus-

schuss behandeln. Sie werden feststellen, dass man mit
den Bürgern so nicht umgehen kann.


(Beifall bei der FDP)

Die Bürger haben für die Betriebsrenten gearbeitet und
sie rechnen damit. Jetzt werden sie aber belastet.

Ein zweiter wichtiger Punkt, über den ebenfalls nicht
gesprochen wird, umfasst die gesamte Thematik rezept-
freier Arzneimittel. Sie haben gesagt, dass Sie Einspa-
rungen in Höhe von 800 Millionen Euro erzielen wür-
den. Erstaunlich ist, dass Sie gegenwärtig darüber
nachdenken, weitere Ausnahmen zu gestatten, weil Sie
bei bestimmten Indikationen feststellen, dass die Ausga-
ben in anderen Arzneimittelbereichen erheblich steigen.
Für uns war es nie ein Thema, rezeptfreie Arzneimittel
aus dem Leistungskatalog herauszunehmen. Ich halte es
für ausgesprochen falsch, diese Arzneimittel, die kaum
Nebenwirkungen haben, aus der Erstattungspflicht he-
rauszunehmen. Das ist in meinen Augen ein falsches
Verständnis von Therapie.


(Beifall bei der FDP)

Der nächste Punkt. Wenn Sie ganz sachlich mit

Selbsthilfegruppen diskutieren, dann müssen Sie fest-
stellen, dass es in manchen Bereichen schon Ansätze der
Rationierung gibt. Diesem Vorwurf können Sie nicht
entkommen. Sprechen Sie mit Stoma-Patienten oder mit
anderen Patienten. Dieses Thema ist nicht wegzu-
drücken. Sie können doch angesichts dessen nicht stolz
sagen: Wir sind glücklich darüber, eine hohe Einspar-
quote zu erzielen. Denn die medizinische Versorgung
dieser Patienten ist eindeutig nicht gesichert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich spreche gar nicht von den Themen Härtefälle, Pra-

xisgebühr und Altenheime. Wie Sie dies organisiert ha-
ben, war nicht korrekt.


(Beifall bei der FDP)

Das ist nicht machbar. Das hat die FDP nicht mitge-
macht. Wir sind für Zuzahlungen und für vernünftige
Härtefallregelungen; das bekenne ich. Aber wie Sie dies
alles geregelt haben, ist nicht akzeptabel.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Herr Seehofer sitzt schon in der zweiten Reihe!)


Jetzt sagen Sie: Wir sind sehr stolz. Ich weise Sie auf
Folgendes hin: Wir werden in der Bundesrepublik
Deutschland in den nächsten Wochen und Monaten ganz
große Probleme haben; denn die Krankenkassen haben
gegenüber einem großen Teil der Leistungserbringer, vor
allen Dingen gegenüber den Krankenhäusern, hohe Ver-
bindlichkeiten, die sie nicht bezahlen. Die Zahlungsfris-
ten laufen drei bis vier Monate und länger. Gehen Sie
einmal in regionale Krankenhäuser und sprechen Sie mit
den dortigen Verwaltungsdirektoren! Die sagen Ihnen:
Thomae,


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Herr Thomae! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


die Kreditlinien sind fast überzogen. Wir bekommen
keine Kredite mehr von unseren Banken.

Sie sollten genau überlegen: Wollen Sie die Arbeits-
plätze in den Krankenhäusern sichern oder wollen Sie
auf diese Art und Weise Krankenhäuser in den Ruin trei-
ben? Ich habe einmal in einem Bundesland die Zahl, in
welcher Höhe Rechnungen von Leistungserbringern
nicht bezahlt werden, recherchiert und auf die Bundesre-
publik hochgerechnet. Dabei kommt man auf eine Zahl
von mindestens 2,5 Milliarden Euro. Das ist eine
Summe, die meiner Meinung nach zuerst beglichen wer-
den muss, bevor man überhaupt über Beitragssenkungen
nachdenkt.


(Beifall bei der FDP)

Denn so sind Arbeitsplätze zu sichern.

Lassen Sie mich ganz kurz auf das Gesetz zur Einfüh-
rung von Fallpauschalen eingehen. Sie alle wissen: Wir
waren für die Einführung der Fallpauschalen. Wir sind
auch heute noch der Meinung, dass das Geld der Leis-
tung folgen muss. Darüber gibt es nichts zu diskutieren.
Denn die Fallpauschalen sind nach unserer Auffassung
der Schlüssel dafür, von der Budgetierung wegzukom-
men.

Die Einführung der Fallpauschalen war aber zu hek-
tisch. Wir haben immer wieder gesagt: Sie können die
Leistungen nicht zu 100 Prozent in Fallpauschalen über-
führen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Maximal 80 Prozent können erreicht werden; das wäre
ein großer Erfolg. – Jetzt zeigt sich, dass ein Wert von
100 Prozent nicht erreichbar ist.

Von daher werden wir natürlich eine Verlängerung der
Konvergenzphase um ein Jahr akzeptieren. Ich halte das
für richtig. Aber ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Sie
haben in dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt ha-
ben, meiner Meinung nach eine Menge bürokratische
und stark dem Budgetdenken anhaftende Formulierun-
gen verwendet.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dieter Thomae

Wir sollten ernsthaft darüber diskutieren, ob es nicht lan-
desweite Basisfallwerte mit dem Charakter von Refe-
renzwerten geben kann, sodass man auf Landesebene
weiterhin nach oben und nach unten verhandeln kann. Es
gibt gute Argumente dafür, so vorzugehen. Ich denke,
darüber zu diskutieren wird Aufgabe der nächsten Bera-
tungen sein. Ich könnte mir vorstellen, dass wir, wenn
wir uns in diesen Punkten näher kommen würden, einer
solchen Konzeption zustimmen würden.

Leider habe ich nicht mehr viel Redezeit. Es wurde
viel von der Bürgerversicherung und der Kopfpauschale
gesprochen. Die FDP sieht ein Prämienmodell mit sozia-
lem Ausgleich vor. Ich denke, wir werden diese Thema-
tik in absehbarer Zeit intensiv behandeln können und un-
sere Konzepte abwägen können. Jeder hat das Recht,
ausgiebig darüber zu diskutieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512109300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Lotz, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1512109400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Herr Thomae, ich frage mich ab und zu, ob Ihre
Wähler bzw. Wählerinnen es Ihnen immer danken, dass
Sie aus dem Vermittlungsverfahren um das GMG ausge-
stiegen sind. Denn die Chance, das eine oder andere zu
verändern, haben Sie damit nicht wahrgenommen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sie sehen doch, was mit dem Finanztableau ist!)


Sie haben es sich einfach gemacht, sich weggeduckt und
damit war es erledigt.


(Beifall bei der SPD)

Frau Widmann-Mauz, ich habe mich bei Ihrem Bei-

trag vorhin gefragt, für was Ministerin Ulla Schmidt
nicht verantwortlich ist; denn es blieb ja kaum etwas
übrig, was die Ministerin nicht zu verantworten hat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dafür wird sie ja auch bezahlt!)


Es war wieder einmal eine echte Widmann-Mauz. Sie
haben gebissen, um von der Uneinigkeit abzulenken, die
in der Union herrscht. Beispielsweise sprachen Sie die
Beitragshöhe an und gingen zur Bürgerversicherung
über. Wir wollen die Bürgerversicherung, aber bisher ha-
ben wir sie noch nicht.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie führen sie doch schon ein! Informieren Sie sich im Innenausschuss!)


– Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Das wäre
etwas Schönes und Gutes, auf jeden Fall wäre es besser
als die Kopfpauschale.


(Beifall bei der SPD)

Ich wende mich nun an Herrn Storm. Auch bei ihm
gab es das gleiche Szenario: Erst wurde die Katastrophe
an die Wand gemalt und dann versucht, das Heil zu prä-
sentieren. Ich habe das Heil aber noch nicht gesehen.
Stattdessen haben Sie wieder einmal einen ordentlichen
Beitrag dazu geleistet, die Rentnerinnen und Rentner zu
verunsichern. Thema Altersarmut: Diese Bundesregie-
rung und diese Koalition haben die bedarfsabhängige
Grundsicherung auf den Weg gebracht.


(Beifall bei der SPD)

Ich finde es nicht in Ordnung, wenn jetzt so getan wird,
als wenn es sie gar nicht gäbe. In diesem Zusammen-
hang will ich noch etwas zu Ihrem Angebot, die Entgelt-
umwandlung verpflichtend zu gestalten, sagen. Ich kann
mich noch gut an unsere Diskussion über die Riester-
Rente erinnern; damals waren wir noch in Bonn. Der
Aspekt des Zwangssparens kam nach meiner Erinnerung
aus Ihren Reihen. Das hat eine lebhafte Debatte in der
Bevölkerung ausgelöst. Damals wurde es verhindert.
Heute müssen Sie allerdings schon die Antwort darauf
geben, was es für die Einnahmenseite der Rentenversi-
cherung und der Krankenversicherung bedeutet, die Ent-
geltumwandlung verpflichtend einzuführen. Das bedeu-
tet, dass vorher verzichtet werden muss. Ich denke, das
ist nicht der richtige Weg. Aber natürlich – das möchte
ich betonen – verschließen wir uns der Diskussion nicht.

Ich möchte noch einige Worte zur Pflegeversiche-
rung sagen. Frau Widmann-Mauz, Sie haben die Men-
schen angesprochen, die ungewollt oder aus welchen
Gründen auch immer kinderlos sind. Das Bundesverfas-
sungsgericht nimmt darauf überhaupt keinen Bezug. Das
Bundesverfassungsgericht sagt, dass die Menschen, die
Kinder erziehen, entlastet werden sollen. Wir machen
das mit dem Gesetzentwurf, den wir auf den Weg brin-
gen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben dabei gleichzeitig die Kassenlage der Pflege-
versicherung im Auge. Aus Ihren Reihen kommt doch
die Frage:


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wer wird denn am 1. Januar entlastet? Wer wird denn entlastet?)


Wie sieht die Kassenlage der Pflegeversicherung aus?
An dieser Stelle schlagen wir zwei Fliegen mit einer
Klappe.

Der zweite Punkt ist, dass man an eine Entlastung
nicht zu hohe Erwartungen knüpfen darf. Wie sieht der
Höchstbeitrag zur Pflegeversicherung aus? Das sind
noch nicht einmal 30 Euro im Monat. Es kann also kein
großer Betrag herauskommen, wenn um die Erziehungs-
leistung entlastet wird. Das möchte ich noch einmal be-
tonen.

Herr Bahr hat von den Familienleistungen gespro-
chen. Diese Bundesregierung und diese Koalition haben
die Familien entlastet und Reformen auf den Weg ge-
bracht. Ab dem nächsten Jahr werden den Kommunen
1,5 Milliarden Euro zur Betreuung von Kindern zur Ver-
fügung stehen. Das kommt doch den Familien zugute.






(A) (C)



(B) (D)


Erika Lotz


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wo entlasten Sie die Familien in der Pflege? Es gibt keine Entlastung!)


Es geht darum, Beitragszahler, die Kinder erziehen,
besser zu stellen als kinderlose Beitragszahler. Dem
kommen wir mit diesem Gesetz nach. Dabei haben wir
letztendlich auch die Einhaltung des Generationenver-
trags im Auge. In der Vergangenheit gab es die Diskus-
sion über die Beitragsbelastung der Rentnerinnen und
Rentner. Wir wurden gefragt: Wieso wollt ihr im Alter
meinen Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen? Ich
habe doch Kinder erzogen. Diesem Argument entspre-
chen wir mit unserem Gesetzentwurf.

Jetzt möchte ich noch ein paar Worte zu Ihren Vor-
schlägen sagen. Der Teilvorschlag der CDU/CSU, Herr
Storm, bedeutet doch nur: linke Tasche, rechte Tasche.
Sie erhöhen die Beiträge und es müssen dann 5 Euro ge-
zahlt werden. Zum einen denke ich, dass dies nicht un-
bürokratisch ist, wie Sie hier sagen, sondern dass damit
Verwaltungsaufwand verbunden ist. Das ist der eine Teil.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Es gibt doch die Kindergelderhöhung!)


Der andere Punkt, Herr Bahr, betrifft die von Ihnen ge-
nannten 150 Euro im Jahr. Kollegin Selg hat ja schon ge-
fragt, wo dieses Geld herkommen soll. Die Antwort blei-
ben Sie schuldig.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Stimmt nicht! Anträge lesen!)


Ich denke, dass dies nicht der richtige Weg ist.
Dann noch ein paar Worte zum Zahnersatz, dessen

Finanzierung jetzt anders geregelt werden soll: Sie ha-
ben der Ministerin vorhin herbe Vorwürfe gemacht, dass
das, was wir im Kompromiss beschlossen haben, nicht
umgesetzt wird.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn sich nach den Beratungen herausstellt, dass da-
durch ein riesengroßer Verwaltungsaufwand notwendig
wird – es bedeutet Kosten, die in keinem Verhältnis ste-
hen, und das eingenommene Geld landet nicht zur besse-
ren Versorgung bei denjenigen, die den Zahnersatz brau-
chen, und auch nicht bei den Zahnärzten oder
Zahntechnikern, sondern es wird für die Verwaltung aus-
gegeben –, dann kann das nicht so bleiben. Wenn wir so
etwas bemerken, dann müssen wir einen neuen Weg ge-
hen.

Ich darf Sie ganz herzlich bitten, sich das mit dem
Vermittlungsausschuss noch einmal zu überlegen. Ich
finde es nicht in Ordnung, wenn er jetzt schon angekün-
digt wird. Wir haben den Vorschlag noch nicht einmal
miteinander beraten und schon wird wieder mit Ketten
gerasselt und der Vermittlungsausschuss angedroht. Da-
durch setzt eine Verunsicherung der Menschen ein.

Wir gehen nicht hin und sagen, dass alles beim Alten
bleibt, sondern wir stehen dazu: Entlastung der Lohnne-
benkosten, letztendlich Entlastung der Arbeitgeber. Das
zu vertreten ist nicht für jeden von uns leicht. Aber wir
machen es und stehen auch weiterhin dazu. Wir ducken
uns nicht weg, wie manche, die den Kompromiss erst
mit beschlossen haben, danach auf Tauchstation gehen
und dann sogar die Spitze der Gegenbewegung anfüh-
ren. Ich denke, das ist ein schlechter Stil.

Ich fordere Sie noch einmal auf, über den Gesetzent-
wurf mit uns ordentlich zu verhandeln und nicht schon
von vornherein mit dem Vermittlungsausschuss zu dro-
hen. Ich habe die herzliche Bitte: Lassen Sie das wirk-
lich uns, das Parlament, entscheiden und nicht nachher
wieder einen kleineren Kreis, der es letztendlich zu ver-
antworten hat. Ein Stück weit haben wir später wieder
damit zu tun. Daher an dieser Stelle meine herzliche
Bitte und Aufforderung: Es ist eine gute Vorlage vorhan-
den, lassen Sie es uns gemeinsam machen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512109500

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1512109600

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der
PDS.

Sie, Frau Gesundheitsministerin Schmidt, feiern die
Einsparungen bei den Krankenkassen und erklären uner-
müdlich, dass die Gesundheitsreform jetzt greifen
würde. Ja, die Gesundheitsreform greift, sie greift vor al-
lem kranken Menschen in die Tasche. Derweil lassen die
versprochenen Entlastungen durch Senkung der Kran-
kenkassenbeiträge weiter auf sich warten. Die Gesund-
heitsreform hat bisher keinen einzigen Menschen gesün-
der gemacht, aber viele ärmer.

Ich kann Ihnen an einem Beispiel konkrete Zahlen
liefern: In Berlin-Neukölln, dem größten Sozialamt
Deutschlands, ging die Zahl der Arztbesuche im Ver-
gleich zum Vorjahr im ersten Quartal um fast 16 Prozent
zurück. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin kommt
zu dem Schluss:


(Erika Lotz [SPD]: Die Vorsorge ist gestiegen!)


Die regionalen Unterschiede zeigen, dass es Men-
schen in ärmeren Gebieten offenbar wesentlich
schwerer fällt, die Praxisgebühr zu bezahlen, und
sie deshalb häufiger als andere Patienten auf einen
Arztbesuch verzichten,

so der Vorsitzende Richter-Reichhelm.
Die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen

Vereinigung, Frau Dr. Angelika Prehn, berichtet, dass ei-
nige ihrer Patienten aus Kostengründen sogar auf thera-
peutisch notwendige Behandlungen wie Krankengym-
nastik verzichten.

Ich habe diese beiden Vertreter der Kassenärztlichen
Vereinigung so ausführlich zitiert; denn wenn wir, die
PDS-Abgeordneten, das Gleiche sagen, wird uns von der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

Regierung gern Populismus vorgeworfen. Herr Eichel
hat sich heute Morgen schon unrühmlich damit hervor-
getan.


(Peter Dreßen [SPD]: Ja, das ist halt so!)

Sie müssen endlich aufhören – damit meine ich die ge-
samte Bundesregierung –, jeden des Populismus zu be-
schuldigen, der Sie sachlich auf die unsozialen Wirkun-
gen Ihrer Politik hinweist.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Peter Dreßen [SPD]: Ihr seid doch nur populistisch! – Waltraud Lehn [SPD]: Der Vorwurf des Populismus trifft doch nur einen!)


Die Praxisgebühr und die Zuzahlungen für Medika-
mente und Behandlungen haben, wie es die Bundes-
regierung vorausgesagt hat, eine Steuerungsfunktion.
Aber sie steuern in die falsche Richtung: Sie steuern so-
zial Schwache aus dem Gesundheitssystem heraus.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist auch nicht wahr! Das ist nun wirklich nicht wahr!)


Wenn Sie eine soziale Gesundheitspolitik machen wol-
len, dann müssen Sie die Praxisgebühr abschaffen und
die Zuzahlungsregelung entschärfen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist einfach nicht wahr, was Sie da erzählen!)


Wenn die Bundesregierung und auch die CDU die
Umsetzung guter Vorschläge, zum Beispiel zur Vermö-
gensteuer oder zur Ausbildungsabgabe, verhindern wol-
len, dann begründen sie das oft mit der Sorge um den
Verlust von Arbeitsplätzen. Aber ich frage einmal ganz
nebenbei: Hat jemand im Gesundheitsministerium aus-
gerechnet, wie viele Arbeitsplätze durch die Gesund-
heitsreform bereits verloren gegangen sind und wie hoch
der Anteil der Frauen ist, die ihren Job im Gesundheits-
wesen verloren haben?

An einer Stelle will ich die Gesundheitsministerin
ausdrücklich loben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das klingt ja gefährlich!)


Sie hat sich gegenüber Frau Merkel und gegenüber dem
Kanzler durchgesetzt und die Kopfpauschale auf Zahn-
ersatz gekippt. Wir, die PDS, wollen, dass der Zahner-
satz wieder in den Leistungskatalog aufgenommen wird.
Damit wollen wir zurück zu einer paritätischen Finanzie-
rung.

Aber ich will die Leistung von Frau Ministerin
Schmidt nicht überbewerten; denn sie hatte mächtigen
Rückenwind durch die Anti-Hartz-Demonstrationen.
Erst die massiven Proteste gegen die Praxisgebühr und
die Anti-Hartz-Demonstrationen haben der SPD und der
CDU klar gemacht, dass die Kopfpauschale auf Zahner-
satz bei den Bürgerinnen und Bürgern im Augenblick
nicht durchsetzbar ist.

Ich möchte allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich
die Anti-Hartz-Demonstrationen bis jetzt am Fernse-
her anschauten und glaubten, dass sie nicht direkt betrof-
fen wären, sagen:

(Zuruf von der SPD: Das lassen Sie mal lieber! Das ist doch unverschämt!)


Der Protest der Menschen in Leipzig und anderen Städ-
ten richtet sich nicht nur gegen die Kürzung des Arbeits-
losengeldes, sondern auch gegen die unsoziale Ge-
samtausrichtung der Politik der Bundesregierung, und
dazu gehört die unsoziale Gesundheitspolitik.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Peter Dreßen [SPD]: Das sagt ausgerechnet die SED-Nachfolgepartei! – Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie auch mal Alternativen?)


Meine Damen und Herren, die Kollegin Lehn hat vor-
hin in ihrer Rede über die Bürgerversicherung gespro-
chen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
wenn Sie es mit der Bürgerversicherung ernst meinen,
dann legen Sie noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode
ein Modell auf den Tisch und bringen Sie einen Gesetz-
entwurf in den Bundestag ein, sagen Sie aber nicht, dass
Sie das erst nach 2006, also in der nächsten Legislatur-
periode, machen wollen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: An dieser Stelle hat sie ausnahmsweise Recht!)


Wenn Sie es mit der Bürgerversicherung ernst meinen,
arbeiten Sie ein Modell aus und legen Sie es auf den
Tisch des Bundestages. Unsere Unterstützung hätten Sie.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512109700

Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/

CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1512109800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als Haushälter erlaube ich mir, in der Haus-
haltsdebatte etwas zum Haushalt zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich mit einer globalen Aussage beginnen:
Uns liegt der Entwurf des Haushalts 2005 vor. Ich
glaube, auch dieser Haushalt ist nicht das Papier wert,
auf dem er steht.


(Erika Lotz [SPD]: Herr Luther, Sie enttäuschen mich!)


All die Risiken, die, wie wir alle wissen, noch nicht ein-
gearbeitet sind, müssen im Laufe des Beratungsverfah-
rens eingearbeitet werden.


(Waltraud Lehn [SPD]: Nenn doch Zahlen!)

Ich vermute, dass es wie in den letzten Jahren sein wird:
dass wir zwar irgendeinen Haushalt verabschieden, aber
ein Jahr später feststellen, dass er mit der Wirklichkeit
nichts zu tun hatte.

Herr Eichel hat heute angekündigt, dass nach der
Steuerschätzung im November dieses Jahres ein Nach-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Luther

tragshaushalt aufgestellt wird. Das heißt, dass die Neu-
verschuldung aufgestockt wird. Das werden wir 2005
wieder zu tun haben. Aus meiner Sicht ist dieser Haus-
halt in seiner jetzigen Form verfassungswidrig. Das liegt
daran, dass zum einen die Neuverschuldung zu hoch
und zum anderen die Investitionsquote, die Investitio-
nen in Bildung, Forschung, Straßenbau und Wirtschafts-
förderung, zu gering ist.

Woran liegt das? Ich glaube, dass sich die Haushalts-
struktur in den sechs Jahren unter Rot-Grün dramatisch
verschlechtert hat. Schuld daran sind zum einen die ho-
hen Zinsen, die wir mittlerweile zu zahlen haben, zum
anderen liegt das aber auch ganz besonders am Haushalt
des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale
Sicherung. Er ist mit einem Volumen von 84,7 Milliar-
den Euro der größte Haushalt. Im Übrigen ist für das
nächste Jahr im Vergleich zu diesem Jahr eine Erhöhung
um 1,2 Milliarden Euro geplant. Aber davon hat das
Bundesministerium recht wenig, denn 81 Milliarden
Euro gehen als Zuschüsse an die Sozialversicherungen:
2,5 Milliarden Euro an die gesetzliche Krankenversiche-
rung und 78,2 Milliarden Euro an die Rentenversiche-
rung.

Ich habe mir einmal die Frage gestellt: War das immer
so? Oder hat sich das erst so entwickelt? Ich bin die
Haushaltsjahre durchgegangen und stelle fest: 1998, also
im Jahr der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, war
es so, dass der Zuschuss an die Rentenkasse 22 Prozent
des gesamten Bundeshaushaltes ausgemacht hat. Jetzt,
sechs Jahre später, sind es 30,3 Prozent. Mich wundert
dann nicht, dass wir kein Geld für Investitionen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512109900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Lehn?

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1512110000

Das kann ich nicht abschlagen.

Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1512110100

Herr Luther, wenn Sie richtigerweise feststellen, dass

der Zuschuss, den wir zur Rentenversicherung leisten,
sowohl prozentual als auch absolut permanent ansteigt,
können Sie mir dann auch die Frage beantworten, wie
Sie, wenn Sie an der Regierung gewesen wären, das Pro-
blem anders hätten lösen wollen?


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1512110200

Ich kann Ihnen das gerne beantworten und mache das

auch gleich in meiner Rede, aber um der Kontinuität wil-
len möchte ich es nicht jetzt isoliert machen, wenn es ge-
stattet ist.


(Waltraud Lehn [SPD]: Okay!)

Ich will noch einen anderen Gedanken hinzufügen,

um die Dramatik zu verdeutlichen: 1998 betrug die
Schwankungsreserve noch eine Monatsrate, 2004 wer-
den es nur noch 0,2 Monatsraten sein.


(Waltraud Lehn [SPD]: Aber es reicht!)

Eine Monatsrate entspricht 15,8 Milliarden Euro. Dem-
zufolge ist der Rentenversicherung in den letzten sechs
Jahren eine Finanzierungsreserve von 12,6 Milliarden
Euro – ich drücke es einmal so aus – geklaut worden.


(Waltraud Lehn [SPD]: Na, na, na! – Peter Dreßen [SPD]: Den Rentnern gegeben! Wer hat es geklaut? Wer hat es gekriegt?)


– Die Rentenkasse hat sie nicht mehr.

(Waltraud Lehn [SPD]: Die Rentner haben es!)


Ohne diese Maßnahme müsste der Bundeszuschuss
heute 2 bis 3 Milliarden Euro höher sein. Das ist die Dra-
matik. Deshalb haben wir kein Geld für Investitionen in
die Zukunft. Deshalb sinkt die Beschäftigung und des-
wegen haben wir keine Beitragszahler. Das ist der Unter-
schied gegenüber der Politik, die wir gemacht hätten,
wenn wir hätten weitermachen dürfen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Ihr wart schon einmal bei 4,9 Millionen Arbeitslosen! – Waltraud Lehn [SPD]: Michael, jetzt schüttelt es mich aber!)


Sie haben 1998 einen Wahlkampf geführt – das vergesse
ich nicht – nach dem Motto „Was die Union vorlegt ist
unsozial“. Wir haben die blümsche Rentenreform zu-
rückgenommen und das Erste und Zweite Krankenkas-
senneuordnungsgesetz. Das hat zwei fatale Signale mit
sich gebracht: Das eine fatale Signal war, dass die Men-
schen glauben konnten, es geht so weiter. Sie gehen jetzt
natürlich zu Recht auf die Straße, weil sie plötzlich fest-
stellen: Alles wird völlig anders.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: „Anders“ muss nicht schlechter sein!)


Das zweite fatale Signal war das Signal an die Wirt-
schaft, die selbstverständlich gesehen hat, dass es so
nicht weitergeht, und sich natürlich entsprechend einge-
stellt hat. Die Abwanderung von Wirtschaft aus
Deutschland hat etwas mit der Politik der letzten sechs
Jahre zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass wir heute
eine so schlechte Beschäftigungsstruktur in Deutsch-
land haben: weniger Beitragszahler und natürlich gerade
diese dramatische Situation der Rentenkasse.

Liebe Waltraud Lehn, deine Rede vorhin hat mich
schon ein bisschen gewundert;


(Waltraud Lehn [SPD]: Das glaube ich!)

deshalb will ich an dieser Stelle auch darauf eingehen.
Du hast gesagt: „In den Haushalt 2005 sind so viele Mit-
tel für soziale Leistungen eingestellt worden wie niemals
zuvor.“


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Was mich dabei allerdings wundert, ist, dass die Leute
das nicht merken; sie bekommen nämlich, obwohl mehr
geleistet wird, immer weniger.


(Zuruf von der SPD: Nein!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Luther

Das ist die Wahrheit und das muss man den Leuten auch
deutlich sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Nach sechs Jahren Rot-Grün stellt sich für mich die
Frage: Wie geht es denn weiter?


(Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Rot-Grün!)

Wie wird die Finanzierung der Rentenkassen in Zukunft
sichergestellt? Die Schwankungsreserve ist aufge-
braucht. Normalerweise müsste der Bundeshaushalt
Ende des Jahres, weil die Schwankungsreserve nicht
ausreicht, für die Finanzierung der Rente herangezogen
werden.

Das ist deshalb nicht notwendig, weil in diesem Jahr
die GAGFAH-Immobilien verkauft werden und damit
eine Finanzspritze zur Verfügung steht.

Wir haben der Privatisierung der GAGFAH-Immobi-
lien zugestimmt. Das ist vom Grundsatz her richtig.
Diese Reserve hätte normalerweise aber dazu genutzt
werden müssen, um wieder eine Schwankungsreserve
aufzubauen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Machen wir ja!)

Diese wird gleichwohl nur dafür genutzt, das Haushalts-
loch der Rentenkasse am Jahresende zu schließen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Für mich stellt sich deshalb natürlich die Frage, was
2005 passiert.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: In der Tat! Dann tritt die Regierung zurück)


Was wird dann angeboten und verkauft? Ich weiß es
nicht. Ich denke, wir werden dieses Thema in den Haus-
haltsberatungen ansprechen und diskutieren müssen.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Zuschüssen
für die gesetzliche Krankenversicherung sagen. Nie-
mand von der Regierung hat hier etwas dazu gesagt. Ich
stelle mir die Frage, ob es 2005, wie vereinbart, Zu-
schüsse an die gesetzlichen Krankenversicherungen ge-
ben wird oder nicht. Herr Eichel hat das infrage gestellt
– das ist heute auch schon gesagt worden –,


(Erika Lotz [SPD]: Das ist doch Gesetz! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir vollziehen immer geltendes Recht!)


weil die Tabaksteuer nicht in der geplanten Höhe anfällt.
Auch das muss geklärt werden.

Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle einmal auf die
Gefährlichkeit hinweisen, die sich ergibt, wenn man be-
stimmte Steuereinnahmen für bestimmte Ausgaben vor-
sieht. Was ist, wenn die Leute plötzlich keine Lust mehr ha-
ben, zu rauchen, was zur Folge hat, dass die Tabaksteuer
und somit auch der Zuschuss wegfallen,


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie kaufen in Polen ein!)


oder wenn sie andere Wege suchen?

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das sollte sich die Ministerin einmal anhören!)


Dasselbe Problem gibt es noch einmal, da die Leute für
die Rente rasen sollen. Was tun sie aber? Sie gehen,
wenn es geht, ins Ausland, um dadurch die Zahlung der
Mineralölsteuer in Deutschland zu umgehen.

Daneben nenne ich auch die Öffentlichkeitsarbeit in der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Es gibt
die Besteuerung der Alcopops. Im Verhältnis zu den Be-
trägen, die ständig genannt werden, ist dieser Betrag – es
sind 12 Millionen Euro – klein. Sie werden für die Auf-
klärungsarbeit bei der BZgA eingesetzt. Was ist, wenn
das passiert, was wir alle eigentlich wollen, dass nämlich
gar keine Alcopops mehr verkauft werden?


(Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin: Prima wäre das!)


Lassen Sie mich noch einige Sätze zu einem anderen
Bereich sagen. Zum Bundesgesundheitsministerium ge-
hört eine Reihe von Instituten. Ich habe mich in diesem
Jahr auf den Weg gemacht und viele von ihnen besucht.
Dort gibt es zwei Klagen, die ich ernst nehme. Die eine
Klage lautet: Die Politik überträgt den Instituten mehr und
mehr Aufgaben, weil sie notwendig sind. Allerdings folgt
nicht in gleicher Weise die Finanzausstattung – weder
für die dafür notwendigen materiellen Dinge noch für das
Personal –, weil die finanziellen Mittel nicht zur Verfü-
gung stehen. Daneben wird den Instituten auch nicht in
gleicher Weise gesagt, welche Aufgaben vielleicht nicht
mehr geleistet werden sollen, was sie also weniger ma-
chen müssen. Ich denke, dieser wichtigen Sache müssen
wir uns gemeinsam stellen. Ich nenne das einmal Aufga-
benkritik. Wie können wir uns in Anbetracht der Haus-
haltslage auf das beschränken, was wichtig ist?

Eine zweite Bemerkung von verschiedenen Instituten
war folgende: Es gibt bei dem einen oder anderen Insti-
tut die Möglichkeit, Dienstleistungen anzubieten, die
auch von der Wirtschaft nachgefragt würden und für die
die Nachfrager Geld ausgeben würden, weil diese
Dienstleistung als sehr wertvoll empfunden wird. Die In-
stitute müssen aber in die Lage versetzt werden, diese
Dienstleistungen anbieten zu können. Das heißt, man
braucht eine Investition in Infrastruktur und natürlich
auch in Personal. Dafür gibt es kein Geld.

Deswegen bin ich sehr für Folgendes: Wenn von den
Instituten Geld für eine Dienstleistung eingenommen
wird, dann sollten sie zumindest einen Großteil dieses
Geldes behalten können, um diese Dienstleistung auch
weiterhin leisten zu können. Hiermit stehen wir und die
Institute im Widerspruch zu dem, was das BMF will.
Das BMF möchte das Geld komplett einsammeln und
dann nach Gutdünken wieder ausreichen. Ich denke, so
schafft man keine Anreize, um beispielsweise die Insti-
tute dafür zu begeistern, selbst Initiativen zu ergreifen
und sich dadurch finanzielle Einnahmen zu verschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch kurz auf ein letztes Thema ein-

gehen. Es ist dieser Tage wieder in der Kritik gewesen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Luther

– ich sage das mit voller Ernsthaftigkeit –: Wir müssen
darüber nachdenken, ob wir mit dem Doppelstandort
Bonn/Berlin so weitermachen können wie bisher. Wenn
man den Menschen sagt, dass zwar die Regierung seit
fünf Jahren in Berlin ist, aber gleichzeitig die meisten
Beamten des Bundesgesundheitsministeriums nach wie
vor in Bonn sitzen, dann fragen sie sich, ob das richtig
sein kann.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Jetzt soll auch noch ein Neubau in Bonn für mittlerweile
„nur noch“ 28 Millionen Euro errichtet werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Es gibt ein Berlin/Bonn-Gesetz!)


Es wäre gut, vor dem Hintergrund der fortgeschritte-
nen Entwicklung unseres Landes darüber nachzudenken,
ob all das, was einmal vereinbart worden ist, noch richtig
ist und ob es für das Bundesministerium nicht vielleicht
hilfreicher wäre, wenn es wesentlich mehr Personal hier
vor Ort hätte, sodass die Kommunikation im Ministe-
rium selbst besser klappt. Das ist durchaus lohnenswert
und darüber kann auch im Rahmen der Haushaltsbera-
tungen diskutiert werden.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512110300

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1512110400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Es wurde hier vorhin angemahnt, man solle doch
einmal sagen, was denn in diesem Land Sache ist, Frau
Widmann-Mauz. Wenn wir das besprechen, werden wir
hoffentlich dazu kommen, den Menschen zu sagen, was
Sache ist und was unsere Vorstellungen sind. Vielleicht
schaffen Sie es, in Ihrem letzten Beitrag deutlich zu ma-
chen, was Ihre Vorstellungen dazu sind. Ich hoffe, dass
Sie diese Debatte nicht nur dazu benutzen, Ihre Klage
von vorhin zu verstärken, nämlich die Verunsicherung
der Menschen.

Ich will einfach einmal mit den Ursachen beginnen.
Wir haben seit etwa drei Jahren ein Nullwachstum.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wer ist schuld an dem Nullwachstum?)


Wir alle wissen, dass dies zu einer Minderung der Bei-
tragseinnahmen führt. Wir haben ein niedriges Lohnni-
veau. Wir haben leider weiterhin sehr viele Arbeitslose.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Woher kommt denn das Nullwachstum?)


Ich möchte aber auch daran erinnern, dass diese hohe
Arbeitslosenzahl schon vor 1998 existierte. Daher frage
ich Sie zurück: Woher kam denn diese Hinterlassen-
schaft?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt die Halbierung versprochen! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ein Nullwachstum hatten wir nicht!)


Die Defizite der letzten Jahre haben wir im Wesentli-
chen durch Bundeszuschüsse, durch Beitragssatzerhö-
hungen und jetzt durch die Gesundheitsreform – so
schwer sie auch allen gefallen ist – mit Zuzahlungen und
Leistungsveränderungen aufgefangen. Ich bin der festen
Überzeugung: Wir haben sie zu Recht aufgefangen, weil
es einen Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Ar-
beitsmarktsituation gibt. Dem wollen wir Rechnung tra-
gen. Wir haben beschlossen, dies gemeinsam zu tun.
Aber es bringt nichts, zu sagen, wir wollen diese Sys-
teme zerstören. Das habe ich Ihrem Beitrag entnommen.
Er war so negativ gefärbt, dass es niemandem klar und
deutlich werden kann, warum wir die sozialen Siche-
rungssysteme in diesem Land unbedingt brauchen. Wir
brauchen sie aber gerade in schwierigen Zeiten, um den
sozialen Zusammenhalt dieser Gesellschaft zu garan-
tieren und ihn abzusichern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen sie ganz speziell als Signal an die Men-
schen, die jetzt besonders verunsichert sind, weil sich in
diesem Land auf einmal sehr viel verändert. Daher müs-
sen wir deutlich machen, dass niemand mit den Lebens-
risiken in dieser Gesellschaft alleine gelassen wird, son-
dern dass diese Risiken weiterhin kollektiv abgesichert
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man den Menschen dieses Vertrauen geben will,
dann muss man ihnen auch sagen, dass unsere umlage-
finanzierte Rente ein sicheres System ist, und zwar si-
cherer als eine Aktie. Da gibt es keine Kursverluste.
Aber wir müssen ihnen auch klar machen, dass wir das,
was wir jetzt an Rente haben, in der Zukunft werden er-
weitern müssen.

Wir werden den Menschen erklären müssen, dass wir
eine gute Gesundheitsversorgung in diesem Land nur
dann sicherstellen können, wenn wir nicht das gesund-
heitliche Risiko privatisieren, sondern wenn wir bei der
solidarischen Krankenversicherung in diesem Lande
bleiben.


(Beifall bei der SPD)

Es muss weiterhin gelten, dass Junge für Alte, Gesunde
für Kranke, Singles für Familien und Gutverdienende für
Schlechterverdienende einstehen. Ich hoffe, dass in der
Zukunft nicht nur ein Teil unserer Gesellschaft füreinan-
der einsteht, sondern dass in der Zukunft alle für alle in
dieser Gesellschaft einstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürgerversicherung! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Über das Steuersystem!)







(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Schaich-Walch

Das Gleiche gilt für die Umlagefinanzierung der

Pflegeversicherung. Vor zehn Jahren haben die Men-
schen praktisch aus dem Stand sofort Leistungen erhal-
ten zu den Aufwendungen für die Pflege. Die Pflegever-
sicherung ist keine Vollversicherung. So war sie nie
angelegt. Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen.
Aber wir müssen ihnen natürlich auch ehrlich sagen,
dass es Veränderungen in diesem System geben muss.
Und da haben wir zum Teil eben eine andere Auffassung
als Sie.

Ich bin nicht der Überzeugung, dass kapitalgedeckte
Systeme im gleichen Maße wirkungsvoll sind wie Umla-
gesysteme.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Na, na!)


Wenn das so wäre, hätten wir eine andere Situation in
der PKV. Man muss doch ehrlich sagen: Auch die PKV
ist ein Umlagesystem, sie beinhaltet nur Momente der
Kapitaldeckung. Trotz dieser Momente der Kapitalde-
ckung haben die privaten Krankenversicherungen mit
jährlichen Beitragssatzsteigerungen von nahezu
10 Prozent zu kämpfen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Zuletzt sind die Beiträge zweimal gesenkt worden!)


Niemand kann mir sagen, dass wir das unbedingt anstre-
ben müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie ich vorhin schon sagte, bin ich davon überzeugt,
dass von uns das Signal ausgehen muss: Wir brauchen
die sozialen Sicherungssysteme, aber die sozialen Siche-
rungssysteme müssen verändert werden. Wir müssen sie
den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Wir
müssen hinhören, um zum Beispiel zu erfahren, wo und
wie die Menschen im Alter anders versorgt werden
möchten, als es jetzt der Fall ist. Wir müssen vielleicht
die Arbeit anders als bisher über den Lebenszyklus ver-
teilen.

Wir müssen den Menschen aber auch sehr klar sagen,
dass wir auch wirtschaftliche Notwendigkeiten zu be-
rücksichtigen haben. Wir dürfen bei der Änderung dieser
Systeme nicht nur an diejenigen denken, die jetzt Bei-
träge zahlen und Leistungen bekommen, sondern wir
müssen auch die Entwicklung in 10, 20 oder 30 Jahren
berücksichtigen und entsprechend kalkulieren.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir sehr viel auf
den richtigen Weg gebracht haben. Jetzt wird es unsere
Aufgabe sein, zumindest dort, wo wir Änderungen ge-
meinsam beschlossen haben, auch dafür Sorge zu tragen,
dass wir diese Änderungen gemeinsam letztendlich zu
einem Erfolg bringen.

Herr Bahr, lassen Sie mich kurz etwas zu Ihnen sagen.
Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Zitate,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Bitte schön!)

weil Sie damit noch einmal gegenübergestellt haben, wie
schnell sich doch Ansichten und Einsichten innerhalb
der CDU/CSU ändern. Ich glaube, wir müssen über
diese Änderungen ganz ernsthaft und ehrlich miteinan-
der reden. Dazu gehört auch, dass wir einmal über Ihre
Vorstellungen zur Fortschreibung der Gesundheitsver-
sorgung und zur Privatisierung des Systems reden. Ich
bin davon überzeugt, dass es nicht trägt. Wir lehnen es
ab.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr schade, Frau Schaich-Walch!)


Es kann einfach nicht sein, dass wir solidarische Sys-
teme zerstören, dass wir der Solidarität in dieser Gesell-
schaft keinen Platz mehr geben und dass wir letztendlich
Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens ste-
hen, überfordern und in einem hohen Maße verun-
sichern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben unser Konzept nicht richtig gelesen!)


Deshalb glaube ich, dass der Weg, den Sie dort gehen
wollen, der absolut falsche Weg ist.

Wir haben, wie ich schon sagte, bei der Rentenversi-
cherung den richtigen Weg eingeschlagen. Ich glaube,
unsere ergänzenden Maßnahmen sind gut. Ich erwähne
die für die spätere Zukunft vorgesehene Besteuerung der
Renten und die steuerliche Entlastung bei den Beitrags-
zahlungen. Damit schaffen wir bei den jungen Menschen
Kapazitäten, die es ihnen ermöglichen, Zusatzversiche-
rungen abzuschließen.

Herr Luther, in einem Punkt muss man einfach ehr-
lich sein. Niemand hat dieser Rentenversicherung durch
die Absenkung der Schwankungsreserve 15 Milliarden
Euro geklaut. Dieses Geld haben die Rentnerinnen und
Rentner bekommen, denn wir haben damit verhindert,
dass ihre Renten gekürzt werden mussten.


(Beifall bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Es ist zumindest weg!)


Auf der anderen Seite haben wir das Geld dazu benutzt,
Beitragssteigerungen zu verhindern, weil wir sonst grö-
ßere Probleme am Arbeitsmarkt bekommen hätten. Nie-
mand hat dieses Geld weggenommen. Dieses Geld ist
da, auf Heller und Pfennig.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Wo denn?)

Ich fordere Sie wirklich auf, Ihre Aussage zu korrigie-
ren, weil die Rentnerinnen und Rentner das Geld bekom-
men haben.

Wenn Ihre Vorstellung hinsichtlich des Beitragssatzes
Wirklichkeit werden würde, könnte ich ganz einfach nur
sagen: Gute Nacht! Der Vorschlag von Herrn Stoiber,
der 5 Prozent pauschal kürzen will – die Kollegin Lehn
hat es schon gesagt – bedeutet ganz schlicht und einfach
entweder eine Erhöhung der Beitragssätze um 0,2 Pro-
zent oder aber eine Kürzung der Renten um 1 Prozent.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: In Bezug auf die Renten hat er das nicht gesagt!)







(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Schaich-Walch

Das kann doch in einer Situation, in der Sie Belastungen
beklagen, niemand wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Storm [CDU/CSU]: Das hat keiner vorgeschlagen!)


Mein zweiter Punkt, den ich ansprechen wollte, ist
der Verkauf der GAGFAH. Der Verkauf der GAGFAH
wird dazu dienen, die Rentenversicherung liquide zu
halten und auf eine Bundesüberbrückung verzichten zu
können.

Zur Gesundheitsversorgung möchte ich Ihnen Fol-
gendes sagen: Wir hätten gerne mehr Strukturelemente
in ihr gehabt. Wir haben sie nicht. Das tut uns sehr Leid.
Vielleicht wären dann die Erfolge, die die Ministerin
jetzt vorweisen kann, noch größer.

Wir haben wirklich gut begonnen, indem wir zur Ver-
besserung der Qualität der Versorgung beigetragen ha-
ben. Zwei Punkte will ich herausstreichen. Wir haben
ein Plus von 25 Prozent bei den Ausgaben zur Vorsorge.
Das sollte uns gemeinsam freuen. Wir haben ein Plus bei
den Ausgaben für Schutzimpfungen in Höhe von
10 Prozent und somit eine Zunahme der Zahl der
Schutzimpfungen. Alles das sind Dinge, die richtig und
wichtig sind.

Zur Tabaksteuer sei nur so viel gesagt: Falls die Men-
schen wirklich weniger rauchten, wäre es ein Segen.
Falls die Menschen und besonders die Jugendlichen we-
niger Alcopops trinken würden, wäre es ein Segen. Aber
es ist genauso richtig, Familienleistungen, die in der ge-
setzlichen Krankenversicherung sind, steuerzufinanzie-
ren. Das ist ein richtiger Weg für die Zukunft.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber nicht in der Pflege? Machen wir es auch in der Pflege!)


Wir sind diesen Weg an einer Stelle gegangen und
müssen schauen, wie es bei der Pflegeversicherung in
der Zukunft aussieht. Wir haben das Gesetz gemeinsam
beschlossen. Ich glaube, dass der Weg, den wir in der
Pflegeversicherung gegangen sind – die Kollegin hat es
gesagt –, ein richtiger Weg ist. Es ist aber auch wichtig,
den Menschen deutlich zu machen, dass es das nicht ge-
wesen sein kann. Wir werden darüber diskutieren müs-
sen, dass zehn Jahre Beitragssatzstabilität dazu geführt
haben, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im
Prinzip weniger geworden sind. Wir werden also über
die Dynamisierung reden müssen. Wir werden aber auch
darüber reden müssen, dass Menschen in der Zukunft
anders leben wollen und wie wir das Verhältnis von am-
bulanter und stationärer Pflege anders gestalten. Wir
werden den Menschen in diesem Land auch deutlich ma-
chen, dass sie entscheiden – nicht nur das Parlament –
und Signale geben müssen, wie viel ihnen die Pflege im
Alter letztendlich wert ist. Diesen Diskussionsprozess
werden wir beginnen. Diese Diskussion gemeinsam mit
der Gesellschaft wird am Ende zu einer Verbesserung
führen.

Jetzt noch einige wenige Worte zum Zahnersatz. Sie
können hier rechnen, wie Sie wollen. 8,50 Euro von je-
mandem zu verlangen, der ein Einkommen von
1 000 Euro hat, und 8,50 Euro von jemandem, der ein
Einkommen von 10 000 Euro hat, zu erheben, bedeutet
eine soziale Schieflage, die durch nichts schöngeredet
werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist das erste Beispiel dafür, dass die Kopfpauscha-
lenkiste nicht funktionieren kann. Sie haben es noch
nicht einmal in diesem kleinen Segment geschafft, einen
sozialen Ausgleich herzustellen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie waren doch dabei! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben doch zugestimmt!)


Wir haben darüber lange diskutiert und das im Rahmen
des Kompromisses übernehmen müssen, was Sie gerne
wollten, damit wir die Verbesserungen machen konnten,
die notwendig waren. Jetzt bitte ich Sie darum, sich nicht
einfach hinzusetzen und zu sagen: Nein danke.

Wenn Sie dabei bleiben, dann machen wir es alleine.
Wir haben den Kompromiss aber gemeinsam gefunden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stehen Sie auch dazu!)


Wir bieten Ihnen an, das Problem gemeinsam zu lösen,
an dem Sie ersticken werden. Das garantiere ich Ihnen.
Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie denken schon an die neue Regierung?)


Lassen Sie es uns gemeinsam lösen. Wenn Sie es nicht
mit uns gemeinsam machen wollen, dann machen wir es
alleine.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512110500

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1512110600

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sagen Sie mal etwas zur verkorksten Pauschale!)


Wenn ich höre, was Sie, Frau Schaich-Walch, hier gebo-
ten haben, dann habe ich die Befürchtung, dass Sie Ursa-
che und Wirkung verwechselt haben.

Ich möchte einige Anmerkungen machen, wie die
Diskussionslage über die Gesundheitsreform momentan
ist. Wir waren uns damals alle einig, dass wir gemein-
sam eine Reform beschließen wollten, die das Gesund-
heitssystem modernisieren sollte. Wir wollten die Defi-
zite der Kassen abbauen und die Eigenverantwortung der
Beteiligten stärken. Wir wollten mit Strukturmaßnahmen
eine Effizienzsteigerung im System erreichen. Wir






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Zöller

wollten die Beiträge und damit auch die Lohnzusatzkos-
ten senken.

Aber ein Punkt kommt meines Erachtens in der Dis-
kussion zu kurz: Wir wollten mit dieser Reform auch er-
reichen, dass die am System Beteiligten endlich wieder
über Jahre hinweg Planungssicherheit haben, damit sie
auch im Hinblick auf Investitionen in die Zukunft or-
dentlich planen können. Planungssicherheit und Verläss-
lichkeit sind für mich Voraussetzungen für Vertrauen.
Vertrauen ist die Voraussetzung für die Akzeptanz einer
Reform.

Ich habe mich über all diejenigen geärgert, die schon
kurz nach der Veröffentlichung des Gesetzes im Bundes-
gesetzblatt von der Notwendigkeit neuer Reformen spra-
chen. Jetzt zeigen die ersten Ergebnisse, dass die ge-
meinsam beschlossene Reform greift. Man könnte die
Notwendigkeit der Maßnahmen eigentlich mit guten Ar-
gumenten untermauern. Umso schlimmer ist die jetzige
Diskussion über die Zurücknahme von Einzelmaßnah-
men.


(Waltraud Lehn [SPD]: Eine Einzelmaßnahme!)


Rot-Grün kündigt den in mühsamen Verhandlungen
gemeinsam gefundenen Konsens über den Zahnersatz
auf.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den will doch bei euch auch keiner mehr! Seid doch froh darüber!)


Unter den heute vorgetragenen Argumenten ist kein ein-
ziges, das nicht auch schon damals in den Konsensver-
handlungen vorgebracht wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Die AOK hat bereits im Mai mitgeteilt, dass es, wenn
eine gesetzliche Regelung, die eine unbürokratische Ein-
zugsvariante umfasse, ausbliebe, zu einem erheblichen
Bürokratieaufwand kommen würde. Deshalb hätten die
Spitzenverbände der Krankenkasse einen konkreten For-
mulierungsvorschlag entwickelt, wie das Problem des
Beitragseinzugs im Rahmen einer Gesetzesinitiative ge-
löst werden könnte. Sie aber wollten das nicht. Das ist
der gravierende Unterschied.


(Waltraud Lehn [SPD]: Nein!)

Sie haben das Gesetz mitbeschlossen, wollten es aber
nicht umsetzen. Es ist unredlich, mit einem Konsens so
umzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir stehen zu dem Konsens, weil – das ist so sicher

wie das Amen in der Kirche – demnächst irgendeine
Gruppierung vorschlagen wird, auch noch einmal über
die Regelung des Krankengeldes zu reden. Auch das
stellt eine Belastung dar. Diese Woche hat Finanzminis-
ter Eichel die Finanzierung der versicherungsfremden
Leistungen zumindest infrage gestellt.

Auch ich kann gerne ein paar Einzelmaßnahmen nen-
nen, bei denen ich mir eine andere Regelung vorstellen
könnte. Wir könnten über die nicht verschreibungs-
pflichtigen Arzneimittel und über die Besteuerung der
Betriebsrenten reden. Das wäre aber unredlich. Wenn
man einen Konsens gefunden hat, dann sollte man auch
dazu stehen, statt sich im Nachhinein die Rosinen he-
rauszupicken und nur aus wahltaktischen Gründen das
eine oder andere Thema noch einmal aufzugreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Herr Zöller, das ist unter Ihrem Niveau!)


Wir haben damit eine große Chance vertan, den Bür-
gern anhand von Ergebnissen – statt des 2003 bestehen-
den Milliardendefizits der gesetzlichen Krankenkassen
ist 2004 ein Milliardenüberschuss zu verzeichnen – die
Notwendigkeit der Reformschritte wesentlich näher
bringen zu können und sie nachvollziehbar zu machen.

Sie werden von mir keinen Rat annehmen, aber ich
darf vielleicht eine Feststellung treffen. Rot-Grün hat
zwei Reformen gemeinsam mit der Union durchgeführt.
Ich darf an die Minijobs und die Gesundheitsreform er-
innern. Beide Reformen haben zu positiven Ergebnissen
geführt. Deshalb wäre es unklug, diesen Weg leichtsin-
nig zu verlassen.

Im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutieren wir
heute auch über das so genannte Kinderberücksichti-
gungsgesetz. Wenn man ehrlich ist, dann ist das eigent-
lich eine Bankrotterklärung von Rot-Grün, was Ihre Re-
formbereitschaft und Reformfähigkeit bezüglich der
Pflege angeht.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wohl wahr!)

Mich ärgert es durchaus, dass wir seit 1999 konstruk-

tive Vorschläge – in Verbindung mit Finanzierungsvor-
schlägen – unterbreitet haben, die von Ihnen immer wie-
der mit der Begründung abgelehnt wurden, Sie würden
demnächst selbst ein Gesamtkonzept vorlegen. Seit 1999
nehmen Sie entweder die brisante Lage der Pflegever-
sicherung nicht ernst oder Sie ignorieren einfach die Be-
dürfnisse der Bürger.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist nicht wahr!)

Ich hoffe, dass Letzteres nicht der Fall ist.

Nach meiner Auffassung ist der heute von Ihnen ein-
gebrachte Gesetzentwurf nicht ganz durchdacht, obwohl
Sie genügend Zeit hatten, ihn zu erarbeiten; denn Sie
wurden bereits im Jahr 2001 vom Bundesverfassungsge-
richt aufgefordert, eine verfassungsgemäße Regelung zu
finden. Eltern leisten mit der Erziehung ihrer Kinder ei-
nen tatsächlichen Beitrag zur Pflegeversicherung. Dieser
Erziehungsbeitrag ist nach dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts „innerhalb des Systems“ auszuglei-
chen. Es fordert deshalb explizit eine Entlastung der Fa-
milien während der Zeit der Betreuung und der
Erziehung.

Jetzt schlägt Rot-Grün eine einseitige Belastung der
Kinderlosen vor. Aber es gibt keine spürbare Entlastung
für Familien in der Erziehungsphase. Das, was Sie vor-
schlagen, ist nichts anderes als eine Rundummehrbelas-
tung für Kinderlose, die einen horrenden Verwaltungs-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Zöller

aufwand zur Folge haben wird. Dagegen entspricht das
Kinderbonusmodell der Union voll und ganz den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts und ist familien-
freundlich, und dies alles bei einer Beitragssatzerhö-
hung, die sogar geringer ist als diejenige, die Sie
vorschlagen, und unter Vermeidung unnötiger Bürokra-
tie. Deswegen sind wir der Meinung, dass unsere Lösung
besser ist.

Lassen Sie mich dies an einem Zahlenbeispiel deut-
lich machen. Nehmen wir als Beispiel das für 2004 an-
gesetzte Durchschnittseinkommen eines Versicherten,
das derzeit – monatsbezogen – bei etwa 2 450 Euro liegt.
Bisher zahlt ein solcher Versicherter einen Pflegeversi-
cherungsbeitrag von 20,80 Euro. Nach Ihrem Modell
müsste ein kinderloser Versicherter 27 Euro zahlen. Für
einen Versicherten mit einem oder mehreren Kindern
bliebe es bei 20,80 Euro, das heißt, für diesen Versicher-
ten würde sich nichts ändern. Nach unserem Modell müss-
ten ein kinderloser Versicherter im Ergebnis 23,30 Euro, ein
Versicherter mit einem Kind 18,30 Euro und ein Versi-
cherter mit zwei Kindern 13,30 Euro zahlen. Das bedeu-
tet, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zur heuti-
gen Belastung wesentlich besser gestellt würden. Den
anderen Versicherten ist es zuzumuten, 0,1 Prozent mehr
zu zahlen; denn es gibt eine gravierende Entlastung der
Familien.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei Versicherten mit niedrigen Einkommen kommt es

sogar dazu, dass der Beitrag zur Pflegeversicherung
ganz vom Bonus getragen wird. Das ist familienfreund-
lich und auch sozial gerecht, weil Besserverdienende
weniger entlastet werden als Menschen mit niedrigem
Einkommen. Dieser Vorschlag müsste Ihnen eigentlich
entgegenkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind uns aber auch darüber einig, dass eine solche

Sofortmaßnahme uns nicht davon entbindet, eine längst
überfällige Reform der Pflegeversicherung in Angriff zu
nehmen. Wir diskutieren auch heute wieder – insbeson-
dere die Rednerinnen und Redner der Grünen haben das
angesprochen – über den Grundsatz „ambulant vor sta-
tionär“ und die Notwendigkeit einer rechtssicheren Ab-
grenzung von Kranken- und Pflegeversicherung. In die-
sem Zusammenhang möchte ich Sie Folgendes fragen:
Im Gesetzentwurf steht, dass die medizinische Behand-
lungspflege zum 1. Januar 2005 gesetzlich neu geregelt
werden muss. Wo bleibt hier Ihr Gesetzentwurf? Wird es
wieder so sein, dass am 24. Dezember etwas vorgeschla-
gen wird, das am 1. Januar gültig sein muss? Diese
Hausaufgabe haben Sie ebenfalls noch nicht gemacht.

Wir sind des Weiteren der Meinung, dass die geriatri-
sche Rehabilitation, die Prävention – hier sind wir uns
Gott sei Dank einig – und die Situation der Demenzkran-
ken verbessert werden müssen. Aber wir können reden,
so viel wir wollen, eines ist klar: Wir werden das Ge-
sundheitssystem ohne kapitalgedeckte Elemente nicht
zukunftssicher gestalten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)

Wir müssen den Mut haben, dies rechtzeitig anzugehen.
Wir bitten die Bundesregierung, endlich eine grundle-

gende Struktur- und Finanzreform im Bereich der Pfle-
geversicherung in Angriff zu nehmen. Es gilt, hier keine
Zeit mehr zu verlieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Erika Lotz [SPD]: Uns müssen Sie Mutlosigkeit nicht vorhalten, Herr Zöller!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512110700

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/3671, 15/3672, 15/3450, 15/3673,
15/3654, 15/3681 und 15/3682 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die
Vorlage auf Drucksache 15/3450 zusätzlich an den Ver-
teidigungsausschuss überwiesen werden soll. Die Vor-
lage auf Drucksache 15/3683 – Zusatzpunkt 5 – soll an
dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache
15/3682 – Zusatzpunkt 2 – überwiesen werden. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Das Wort hat der
Bundesminister des Innern, Otto Schily.


(Beifall bei der SPD)



Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1512110800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten jetzt den Einzelplan 06. Ich will vorweg sagen:
Dieser Haushaltsentwurf ist der Ausweis für eine solide
und erfolgreiche Innenpolitik.


(Beifall bei der SPD)

Er ist zugleich die Grundlage dafür, dass wir diese solide
und erfolgreiche Innenpolitik fortsetzen werden und
können. Deshalb bitte ich Sie, diesem Haushalt zuzu-
stimmen.

Ich glaube, es ist ganz sinnvoll, einmal über die Ein-
zelpositionen zu reden. Selbstverständlich hat sich auch
das Bundesinnenministerium an den Konsolidierungsbe-
mühungen des Bundesfinanzministers solidarisch betei-
ligen müssen. Gleichwohl ist es auch unter den sehr
schwierigen Bedingungen restriktiver Ansätze im Bun-
deshaushalt gelungen, die Ansätze im Einzelplan meines
Hauses gerade im wichtigsten Aufgabenfeld, nämlich
dem der inneren Sicherheit, so zu gestalten, dass er-
folgreiche Arbeit geleistet werden kann.

Lassen Sie mich eines einmal mehr feststellen:
Deutschland gehört im internationalen Vergleich zu ei-
nem der sichersten Länder in der Welt. Darauf können
wir einigermaßen stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Otto Schily

Ich finde, es besteht zuallererst Anlass, unseren Polizei-
beamten in Bund und Ländern für diese große Leistung,
für ihre hervorragende Arbeit Dank zu sagen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


In diesen Dank möchte ich auch diejenigen einbezie-
hen, die in anderen Sicherheitsinstitutionen tätig sind:
den Feuerwehren, dem Technischen Hilfswerk. In bei-
den Einrichtungen wird partiell ehrenamtliche Tätigkeit
erbracht. Aber es gibt auch eine Reihe von Hilfsorgani-
sationen, die rein ehrenamtlich tätig sind. Gerade dieses
System, das wir in Deutschland entwickelt haben, hat
sich als sehr effizient erwiesen. Heute sollten wir auch
einmal den Hilfsorganisationen, dem Deutschen Roten
Kreuz, dem Arbeiter-Samariter-Bund, dem Malteser
Hilfsdienst, der Deutschen Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger und vielen anderen, Dank sagen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Es hat sich in diesem Zusammenhang übrigens als
sehr hilfreich erwiesen, dass wir beim Bundesministe-
rium des Innern einen Beirat ins Leben gerufen haben, in
dem diese Organisationen zu Wort kommen und ihr
Fachwissen und ihre Kompetenz in die Konzeptionie-
rung von Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit
einbringen können.

Wenn Sie sich den Haushaltsentwurf anschauen, dann
werden Sie feststellen, dass knapp 70 Prozent der Aus-
gaben dieses Einzelplanes mit 2,8 Milliarden Euro auf
den Sicherheitsbereich entfallen. Gegenüber dem Soll
2004 konnten die Ausgaben für die innere Sicherheit ins-
gesamt um rund 1,7 Prozent gesteigert werden. Wenn ich
mir einmal die Zahlen in meiner Amtszeit von 1999 bis
ins Haushaltsjahr 2005 hinein vor Augen führe, dann
stelle ich fest, dass die Ausgaben im Sicherheitsbereich
um 22 Prozent erhöht worden sind. Das ist solide, erfolg-
reiche Innenpolitik der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)

Wenn man das dann für die einzelnen Bereiche be-

trachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis: Das gilt ins-
besondere für den Bundesgrenzschutz, dessen Haus-
haltsansatz 2005 gegenüber dem Soll 2004 eine
Erhöhung um rund 44 Millionen Euro erfährt. Das be-
zieht sich insbesondere auf die Personalausgaben. Wir
haben auf diese Weise die Planstellenstruktur im Bun-
desgrenzschutz erheblich verbessern können. Ich kann
Ihnen wirklich mit voller Überzeugung berichten: Die
Stimmung im Bundesgrenzschutz ist gerade auf der
Grundlage einer solchen soliden und guten Politik so gut
wie noch nie zuvor.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Na! Na!)


Darauf bilde ich mir einiges ein.
Ich will nicht verhehlen, Kollege Diller – der Staats-

sekretär ist ja anwesend –, dass das manchmal ein hartes
Ringen mit dem Bundesfinanzministerium war.


(Otto Fricke [FDP]: Mit dem Haushaltsausschuss auch!)

Aber wir haben uns immer einigen können. Ich bin dem
Bundesfinanzministerium dankbar dafür, dass das gelun-
gen ist.

Gleiches gilt für den wichtigen Bereich des Bundes-
kriminalamts, für das wir auch eine Erhöhung der
Etatansätze vorsehen.

Selbstverständlich will ich Ihnen aber nicht ver-
schweigen, dass wir in einigen Bereichen – auch bei der
inneren Sicherheit –, was Sachbeschaffungen angeht, be-
stimmte Einschränkungen hinnehmen mussten. Das war
angesichts der Notwendigkeit für alle Haushalte, Bei-
träge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leis-
ten, unausweichlich.

Eine besondere Bedeutung haben in der modernen
Welt die Maßnahmen, die wir für die Sicherheit in der
Informationstechnik ergreifen müssen. Wir haben er-
freulicherweise eine Erhöhung des Ansatzes für das
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.
Wenn man auch in dem Bereich die Zahlen von 1999 bis
2005 betrachtet, dann stellt man fest, dass wir dort eine
Steigerung der Ausgaben um rund 77 Prozent erreicht
haben. Das ist eine gewaltige Steigerung. Auch das ist
Anlass zur Zufriedenheit.

Ich will an der Stelle allerdings darauf hinweisen,
dass die Gefahren in der Informationstechnik, auch was
die Informations- und Kommunikationstechnik in den
jeweiligen exekutiven Bereichen angeht, deutlich zuneh-
men. Wir werden uns mit der Konzeptionierung in die-
sem Bereich noch intensiver beschäftigen müssen. Ich
muss leider ankündigen, dass wir angesichts der Gefah-
ren, die sich dort auftun, die Mittel vermutlich noch auf-
stocken müssen. Ich bitte dafür dann um die Bereitschaft
zu einer offenen und konstruktiven Debatte. Ich glaube,
dass wir diese Gefahren nicht ernst genug nehmen kön-
nen.

Selbstverständlich hat auch die internationale Arbeit
im Sicherheitsbereich eine hohe Bedeutung. Deshalb
freue ich mich darüber, dass im Haushaltsentwurf auch
für den Bereich die notwendigen Mittel bereitgestellt
werden können.

Ich möchte aber doch einen Hinweis geben, gerade
mit Blick auf den Debattenverlauf heute Vormittag, weil
manche im Haus meinen, sie hätten ein Monopol auf
Kompetenz im Bereich der inneren Sicherheit.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Ja, der spricht gerade! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Es gibt noch weitere!)


– Mitunter wird das gerne in Anspruch genommen.

(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Jetzt hat der Bundesinnenminister das Wort!)

– Ich könnte das schon für mich in Anspruch nehmen,
aber – –


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bravo!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Otto Schily

– Richtig, Herr von Klaeden, nur weiter so! Ich bin ja für
eine konstruktive Diskussion. Es ist schön, dass ich Sie
einmal zur Heiterkeit bringe. Ich freue mich darüber,
auch einmal in lachende Gesichter der Opposition zu
schauen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dieser Anflug von Bescheidenheit!)


Ich will nun an das anknüpfen, was der Kollege
Eichel heute Vormittag angesprochen hat, nämlich die
Vorschläge aus Bayern. In Bayern wird der Haushalts-
ansatz für den Sicherheitsbereich um 3 Prozent gekürzt.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Hört! Hört! – Zuruf von der CDU/CSU: Die haben es nicht mehr nötig! Da ist alles in Ordnung!)


Das ist ja schon ganz interessant. Interessant ist aber
auch der Vorschlag des Kollegen Stoiber, den Bundes-
haushalt in allen Bereichen generell um 5 Prozent zu
kürzen. Ich will Ihnen kurz erläutern, was das beim BGS
bedeuten würde. Es würde bedeuten, dass wir den Etat
um 100 Millionen Euro kürzen müssten. Das ginge nur
durch eine Reduzierung des Personalkörpers der Polizei-
vollzugsbeamten um bis zu 1 500 Beamtinnen und Be-
amte; die Luftsicherheitskontrollen durch Private könn-
ten nicht mehr im erforderlichen Umfang geleistet
werden; die Beschaffung und Bewegung von Fahrzeu-
gen des Bundesgrenzschutzes könnte nicht mehr in dem
aus polizeifachlicher Sicht erforderlichen Umfang ge-
leistet werden usw. Ähnliches gilt für den Bereich des
Bundeskriminalamtes. Ich glaube also, es ist schon die
Zeit wert, einmal in den Mittelpunkt der Debatte zu stel-
len, welche Vorschläge da in München im Moment im
Schwange sind.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ausgeglichener Haushalt!)


Vielleicht hat ja jemand Einfluss darauf. Herr Koschyk,
Sie könnten ja einmal um ein Gespräch bitten und nach-
fragen, ob das so ganz ernst gemeint war, was da vorge-
schlagen wurde.


(Zuruf von der SPD: Gute Idee!)

Meine Damen und Herren, selbstverständlich bietet

eine Etatdebatte auch die Gelegenheit, über die Arbeit zu
sprechen. Das würde aber meine Redezeit jetzt bei wei-
tem überschreiten. Ich will nur einige Fragen anspre-
chen, die mir besonders aktuell erscheinen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wenn Sie so viel Geld haben, könnten Sie einmal beim Digitalfunk anfangen!)


– Sehen Sie, in diesem Zwischenruf zeigt sich leider Ihre
Unkenntnis über den eigentlichen Sachverhalt. Es ist
nämlich nicht so, verehrter Herr Kollege, dass die Ein-
führung des Digitalfunks an der Frage des Geldes
scheitert, sondern sie scheitert an der mangelnden Be-
reitschaft der Länder, dem Beschaffungsprozess ein
Tempo zu geben, das frühere Entscheidungen zulässt.


(Beifall bei der SPD)

Diese Frage möchte ich nämlich nicht allein auf Bundes-
ebene entscheiden, sondern solidarisch mit den Ländern
gestalten, damit am Ende bundesweit ein technisches
Konzept zur Umsetzung gelangt und nicht ein Fleckerl-
teppich, wie man in Bayern sagen würde, entsteht. Des-
halb nimmt dieses Projekt so viel Zeit in Anspruch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin daran nicht schuld. Sie können sich gerne bei mir
genauer erkundigen; wir können das auch in einer Aus-
schusssitzung debattieren. Ich will Ihnen dann gerne da-
rüber Bericht erstatten.

Ich möchte außerdem einen Punkt ansprechen, der in
den Sommermonaten für eine lebhafte Debatte gesorgt
hat. Ich habe gehört, dass aus dem Bereich des Innenaus-
schusses der Wunsch geäußert worden ist, darüber Nähe-
res zu erfahren. Dem Wunsch, dass wir noch vor der
informellen Sitzung des Justiz- und Innenrates zusam-
menzukommen, will ich gerne entsprechen. Ich werde
Ihnen dann erläutern, welche Vorstellungen es gibt. Frau
Verdonk, die holländische Ministerin für Migration und
Vertreterin der holländischen EU-Präsidentschaft, hat
mich ausdrücklich eingeladen, in der JI-Konferenz
meine Vorstellungen zusammen mit Herrn Lubbers, dem
Kommissar für das Flüchtlingswesen bei der UNO, der
EU-Kommission darzulegen. Deshalb bitte ich um Ver-
ständnis, dass ich heute dieses Thema nicht in allen Ein-
zelheiten anspreche. Ich will Sie vorweg nur mit zwei
Sachverhalten bekannt machen, damit Sie sich auf diese
Debatte einstellen können.

Ich verweise zum einen auf ein Dokument – ich habe
es jetzt leider nicht dabei, sodass ich darüber aus dem
Kopf referieren muss; das tut mir Leid –, das die EU he-
rausgegeben hat und in dem es um den verbesserten
Schutz vor illegaler Migration im Mittelmeerraum
geht. Wenn Sie dieses Dokument studieren, werden Sie
entdecken, dass dort eine Passage enthalten ist, in der ge-
fordert wird, dass in den Ländern, von denen aus Schleu-
serboote ihren Weg genommen haben, Aufnahmeein-
richtungen geschaffen werden. Das ist also ein
Vorschlag, der bereits von der EU gemacht worden ist.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das müssen Sie mal Herrn Fischer geben!)


Im Übrigen gibt es, von der Europäischen Kommis-
sion in Auftrag gegeben, die Ausarbeitung einer Exper-
tengruppe, die sich mit dem Thema beschäftigt, wie un-
ter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb der
Mitgliedstaaten Asylanträge entgegengenommen und
entschieden werden können. Ich glaube, dass diese bei-
den Hinweise für eine Versachlichung der Debatte ganz
nützlich sind. Aber ich will nicht vorwegnehmen, was
wir dann in der Ausschusssitzung zu debattieren haben
werden.

Jetzt folgt ein etwas harter Sprung; ich mache sozusa-
gen einen Exkurs, der mit diesem Thema nicht unmittel-
bar etwas zu tun hat, der mir aber am Herzen liegt. Ich
bin ja schon einmal dafür getadelt worden, dass ich mich
in der Etatdiskussion nicht zum Thema Sport äußere.
Das will ich heute einmal tun, auch deshalb, weil ich ein
paar Tage in Athen sein durfte und mich sehr darüber






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Otto Schily

freue, dass sich unsere Athletinnen und Athleten – das
möchte ich an den Anfang stellen – dort als gute Bot-
schafterinnen und Botschafter unseres Landes erwiesen
haben


(Beifall im ganzen Hause)

und mit herausragenden sportlichen Leistungen aufge-
treten sind, wobei ich betone, dass auch ein fünfter,
sechster oder siebter Platz eine großartige, grandiose
sportliche Leistung ist.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir sollten nicht immer nur auf die Medaillen schauen.

Deshalb meine ich auch, dass wir das Geld, das wir in
diesem Bereich aufgewendet haben, richtig eingesetzt
haben. Das wird uns nicht daran hindern, nach Ab-
schluss der Olympischen Spiele gemeinsam mit den
Sportorganisationen noch einmal sehr genau zu schauen,
wie wir die Mittel anders und effizienter einsetzen kön-
nen. Wir haben uns eine umfassende und vertiefte De-
batte über die Förderrichtlinien, das Förderprogramm
und die Straffung der entsprechenden Trainings- und
sonstigen Institutionen vorgenommen. Wir werden mit
den Sportorganisationen in einen fairen Dialog eintreten.
Es ist erfreulich, dass eine lebhafte Diskussion darüber
in Gang gekommen ist, wie die Sportorganisationen sich
selber wirkungsvoller und effizienter gestalten können.
Ich unterstütze diesen Prozess mit allen Kräften und mit
Entschiedenheit.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Wo ist der Beifall?)


– Den Beifall können Sie doch spenden; das war doch
eine vernünftige Aussage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir haben nur die Regierungsfraktionen ermuntert!)


Damit Sie noch mehr Beifall hören, sage ich: Die
Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen,
eine sehr erfolgreiche Sportpolitik betrieben zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt sind sie aufgewacht!)


Damit Sie das nicht nur von mir hören müssen, will ich
Herrn Kotter zitieren, den Sie sicher kennen; er ist der
wirklich verehrungswürdige Präsident eines der großen
Wintersportverbände, der sein Amt kürzlich nach vielen
Jahrzehnten abgegeben hat. Er hat mir in Bad Endorf
freundlicherweise gesagt: Einen so guten Sportminister
wie diesen hat die Bundesrepublik lange nicht gesehen. –
Danke schön!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie können jetzt ruhig wieder klatschen, denn der, der
das gesagt hat, kommt eher aus Ihren Reihen.
Lassen Sie mich in den beiden letzten Minuten zu ei-
nem sehr ernsten Thema zurückkehren. Wir haben heute
Morgen der Geschehnisse in Beslan gedacht. Ich
glaube, unter uns wird niemand sein, den diese Bilder je
wieder verlassen werden, mich jedenfalls nicht. Dieser
brutale Kindermassenmord ist ein neuer Höhepunkt des
blutrünstigen islamistischen Terrorismus. Ich denke,
wir alle haben das mit Entsetzen und mit Abscheu wahr-
genommen. Diese Bluttat beweist einmal mehr, welche
abgrundtiefen Gefahren uns mit dem islamistischen Ter-
rorismus gegenüberstehen. Dieser Terrorismus beruft
sich sogar noch in gotteslästerlicher Weise auf Allah. Als
die Attentäter in die Schule stürmten, haben sie ihren
Gott angerufen. Eine schlimmere Gotteslästerung kann
ich mir gar nicht vorstellen.

Da wir diesem schauerlichen islamistischen Terroris-
mus gegenüberstehen, dürfen wir uns nicht in feuilleto-
nistischen Betrachtungen verlieren. Wir müssen wissen:
Menschen, die solche Mordtaten verüben, verdienen un-
sere tiefste Verachtung und die härteste Gegenwehr, die
man sich überhaupt nur vorstellen kann.


(Beifall im ganzen Hause)

Deshalb bin ich dafür, dass wir an dieser Stelle zusam-
menstehen und sagen, dass wir diesem Terrorismus nicht
weichen werden.

Ich empfehle eines – da bin ich mit Günther
Beckstein völlig einig; das will ich an dieser Stelle dank-
bar hervorheben –: Man muss die Gefahren nüchtern und
klar beschreiben; man darf sie nicht bagatellisieren. Es
besteht eine reale und ernste Gefahr auch für unser Land.
Diese Gefahr existiert nicht nur fern unserer Grenzen.
Deshalb müssen auch die Anstrengungen eher größer
werden, um dieser Gefahr entgegenzuwirken.

Wenn es um Neuerungen geht, auch um Neuerungen
im Rahmen der Föderalismusdebatte, bitte ich, nicht mit
Vorurteilen in eine solche Debatte hineinzugehen. Ich
bin dankbar, dass der Kollege Behrens jetzt erkennen
lässt, dass er in diesem Punkt durchaus gesprächsbereit
ist.

Wir dürfen auf der anderen Seite nicht die Gelassen-
heit aufgeben. Wenn wir uns selber sozusagen in einen
Zustand der ewigen Nervosität oder erst recht der Panik
versetzen würden, dann hätte der Terrorismus gewon-
nen. Äußerste Wachsamkeit und Anstrengungen, die wir
noch erhöhen müssen – möglicherweise mit mehr Geld,
als wir bisher aufgewendet haben – auf der einen Seite
und der aufrechte Gang der Gelassenheit auf der anderen
Seite sind die Voraussetzungen dafür, dass wir in der
Auseinandersetzung mit dem Terrorismus bestehen wer-
den.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512110900

Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1512111000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Minister, Sie haben mit einem sehr ernsten
Thema geendet, mit einem Thema, das sich für eine Be-
handlung in diesem Rahmen kaum eignet. Trotzdem will
ich sagen, dass wir Ihnen in der Bewertung völlig zu-
stimmen. Wir teilen auch Ihre Nachdenklichkeit. Sie ha-
ben von Verachtung und Gegenwehr gesprochen. Die
Möglichkeit zur Gegenwehr ist, wie Sie selber zum
Schluss auch gesagt haben – wir stehen hier am Beginn
der Haushaltsberatungen –, ein wesentliches Kriterium
bei der Bewertung Ihres Haushalts.

Es ist menschlich schon verständlich, wenn Sie in Ih-
rer Rede den Eindruck zu erwecken versuchen – bei dem
einen oder anderen werden Sie damit vielleicht Erfolg
gehabt haben –, dass alles in bester Ordnung ist und dass
Sie alles im Griff haben.

Wir teilen uneingeschränkt Ihr Lob und die Anerken-
nung für die Arbeit des Bundesgrenzschutzes, der Poli-
zeien und der Hilfsorganisationen. Selbst bei der Bewer-
tung der Leistung der deutschen Olympioniken können
wir uns sicherlich einigen. Aber das alles ist ja eigentlich
nicht das Thema, weswegen wir hier in diesem Kreis zu-
sammengekommen sind.

Sie haben zu dem bekannten Hilfsmittel gegriffen, die
Steigerungen der Mittel von 1999 bis 2005 zum Maßstab
Ihrer erfolgreichen Arbeit zu machen und von den in den
letzten sechs Jahren vorgenommenen Erhöhungen um
mehr als 22 Prozent zu sprechen. Zur Wahrheit gehört
einfach, dass sich, wie alle wissen, die Sicherheitssitua-
tion in unserem Lande in diesen sechs Jahren dramatisch
verändert hat. So dramatisch sind die Steigerungsraten
vor diesem Hintergrund dann auch wieder nicht. Sie re-
lativieren sich schon erheblich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ehrlich gesagt, Herr Minister, uns interessieren die

Durchschnittszahlen der letzten Jahre und auch die Erhö-
hungen in dieser Zeit wenig. Uns interessiert vielmehr
ganz konkret – darauf hinzuweisen muss natürlich heute
gestattet sein –, wie es im kommenden Jahr aussieht. Al-
les andere, das, was in den letzten fünf Jahren war, kön-
nen wir einmal in einer gemütlicheren Runde bespre-
chen. Heute steht der Haushalt des Jahres 2005 an.

Das muss ich noch quitt werden: Ihren Exkurs in den
heutigen Vormittag und Ihren Ausflug nach Bayern fand
ich zwar bemerkenswert, für die Beratung des Einzel-
plans 06 des Bundeshaushalts aber wenig geeignet.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie wirklich Bayern zum Vorbild nehmen, dann
wäre ein Gespräch mit Herrn Koschyk oder Frau Mantel
hilfreich. Den Begriff „Lernen“ darf man ja nicht ver-
wenden; aber wenn Sie Bayern zum Beispiel nehmen,
dann könnte ich Ihnen andere Aspekte des bayerischen
Haushalts, etwa die Ausgeglichenheit zwischen Einnah-
men und Ausgaben, nennen. Wenn man etwas lernen
will, dann sollte man schon genauer hinschauen. An-
sonsten wollen wir uns ja mit dem Haushalt für das kom-
mende Jahr befassen.

Einen Wunsch habe ich dann doch: Wenn Sie schon
Exkurse machen, Herr Minister, dann hätte ich mir na-
türlich schon gewünscht, dass Sie einen deutlicheren
Hinweis in Richtung Ihres Kollegen Fischer gegeben
hätten, Schluss mit der jetzigen unsäglichen Visapolitik
zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Vielleicht hilft Ihnen ja der Kollege Beckstein bei der
Formulierung eines entsprechenden Briefes. Auch wir
sind gerne dazu bereit. Aber ich meine es jetzt ganz
ernst: Wir bitten Sie dringend darum, dort tätig zu wer-
den und nicht zuzuwarten, bis sich irgendjemand im
Auswärtigen Amt vornehm-diplomatisch bewegt. Es
handelt sich hierbei um eine Frage der Sicherheit und
dies betrifft das Ministerium des Innern. Wir erwarten
von Ihnen ganz konkret eine Maßnahme zusammen mit
Ihrem Kollegen Fischer. Wie gesagt, Sie erhalten von
uns jede Unterstützung.

Ich hatte das Gefühl, mich ein wenig auf das beziehen
zu müssen, was Sie eben ausgeführt haben, darf aber
jetzt auf den Haushalt 2005 zu sprechen kommen. Ich
will das in aller Sachlichkeit tun. Wie gesagt, es ist
menschlich verständlich, zu sagen, es sei alles in Ord-
nung. Aber es gibt eben doch erhebliche Schwachstellen
in diesem Haushalt. Über grundsätzliche Aspekte haben
bereits heute Morgen der Kollege Austermann und wei-
tere Fraktionskollegen gesprochen. Der Haushalt ist
offenkundig verfassungswidrig, verstößt gegen die
Maastricht-Kriterien usw.

Vor diesem Hintergrund ist es natürlich ein „besonde-
res Vergnügen“, wenn man sich nun auch noch mit den
Einzelplänen auseinander setzen muss. Wenn man dann
noch sieht, dass fast alle Ansätze innerhalb eines Einzel-
planes gegenseitig deckungsfähig sind, habe ich so lang-
sam das Gefühl, man sollte die Etatberatungen vereinfa-
chen. Über ein solches Verfahren könnte man vielleicht
einmal sprechen.

Zweifellos sollten wir uns in diesem Hause einig da-
rin sein, dass die Sicherheit der Menschen in unserem
Lande eindeutig ein Schwerpunkt in diesem Haushalt
sein muss. Sie haben das auch angekündigt. Trotzdem
meine ich, dass man bei genauerem Hinsehen feststellen
muss, dass das, was Sie ganz zum Schluss gesagt haben,
nämlich dass man vielleicht mehr Geld in die Hand neh-
men muss, schon im Haushalt 2005 hätte geschehen
müssen.

Herr Minister, meine Damen und Herren, jede Haus-
haltsplanberatung auf kommunaler Ebene, auf Landes-
ebene und auf Bundesebene ist – vielleicht haben Sie,
Herr Kollege, das noch nicht mitgemacht; ich weiß, wie
das geht – in erster Linie keine Frage des Geldes, son-
dern eine Frage der Prioritätensetzung. Deswegen
müssen wir schauen, ob die Prioritäten in dem Haushalt,
der jetzt ansteht, richtig gesetzt worden sind. An einigen
Stellen – ein paar Beispiele werde ich nennen – sind wir






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

der Auffassung, dass sie nicht richtig gesetzt worden
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielleicht vorher noch ein paar Worte dazu, was mich

sehr belastet; wir haben das einmal ansatzweise im In-
nenausschuss besprochen. Wir befinden uns immer in
der Situation des Re-agierens auf Terrorakte. Wenn
man darüber nachdenkt, warum das so ist, dann kommt
man zu dem Ergebnis, dass das sicherlich damit zu tun
hat, dass uns die Vorstellungskraft für das, was sich diese
Menschen ausdenken, fehlt. Es ist, glaube ich, auch neu,
dass wir es mit Menschen zu tun haben, denen das ei-
gene Leben überhaupt nichts wert ist, die bereit sind, ihr
eigenes Leben einzusetzen, und denen auch das Leben
von Hunderten oder Tausenden von Kindern und
Erwachsenen nichts wert ist. Vor diesem Hintergrund
müssen wir alles Menschenmögliche – wirklich alles
Menschenmögliche – im Bereich der Terrorismusbe-
kämpfung tun. Wir müssen uns auch fragen, ob wir alles
dazu Notwendige getan haben.

Sie haben natürlich mit Recht darauf hingewiesen
– das geschieht meiner Ansicht nach viel zu selten –,
dass wir in besonderem Maße eine Fürsorgepflicht für
diejenigen Menschen haben, die jeden Tag ihren Kopf
für unsere Sicherheit hinhalten. Ich wünsche mir, dass
die Berichterstattung in den Medien weniger intensiv
– zwar auch, aber weniger intensiv – über die Behand-
lung von möglicherweise dort angetroffenen Verbre-
chern stattfindet und stattdessen mehr auf die Ausstat-
tungsbedingungen eingeht, unter denen Polizeien,
Hilfsorganisationen usw. arbeiten müssen. Vielleicht
können wir uns in diesem Sinne auch einmal zusammen-
finden.

Ganz konkret – Herr Minister, das kann ich Ihnen
nicht ersparen –: Großereignisse – das wissen wir alle –
bedürfen besonderer Maßnahmen, und das schon im
Vorfeld. Da nenne ich als Beispiel die Fußballwelt-
meisterschaft, das Ereignis mit der größten Zuschauer-
resonanz weltweit. Die Ausrichtung dieses Ereignisses
ist eine große Ehre, aber eben auch eine große Heraus-
forderung. Man müsste eigentlich sagen können, dass
wir ein gutes Gefühl haben; denn noch bis zum Ende des
Jahres 2003, Herr Minister, haben Sie gesagt, dass Sie
die für die Weltmeisterschaft zuständigen Sicherheits-
einrichtungen mit einem digitalen Funksystem ausrüs-
ten würden. Nun hören wir: Erst 2008 ist damit zu rech-
nen. Es ist ein Skandal, dass es nur noch zwei
europäische Staaten ohne jeden Digitalfunk gibt: Alba-
nien und Deutschland.


(Zuruf von der SPD)

– Kennen Sie noch einen? Die Situation wird aber nicht
besser, wenn wir auf drei oder vier Staaten kommen. –
Jedenfalls sind wir in einer Reihe mit Albanien anzutref-
fen, weil wir keinen Digitalfunk haben.

Herr Minister, mir ist es auch – ich sage das einmal
etwas locker – relativ wurscht, wie viele Staaten es sind.
Wir haben rechtzeitig und immer wieder – ich weiß
nicht, ob Sie sich daran nicht erinnern – hier und im
Ausschuss darauf hingewiesen, dass es notwendig ist,
die Vorbereitungen zu treffen. Wie gesagt, Sie haben
selbst noch bis Ende letzten Jahres darauf hingewiesen,
dass der Digitalfunk kommt. Im November letzten Jah-
res, Herr Minister, haben Sie uns beschwichtigt bzw. zu
beschwichtigen versucht.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Albanien hat gegen Griechenland gewonnen!)


– Herr Wiefelspütz, bei Ihnen scheint es ja gelungen zu
sein. – Ich zitiere jetzt aus der Haushaltsrede vom
27. November 2003 den Minister höchstpersönlich.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist immer richtig!)


– Das werden Sie jetzt sehen. Da mache ich Ihnen ja eine
Freude, das freut mich aber. – Der Minister sagte:

Deutschland würde sich entsetzlich blamieren,
wenn es uns nicht gelingen sollte, das zu schaffen,
was Finnland in relativ kurzer Zeit zustande ge-
bracht hat …

Dass man im Zusammenhang mit PISA von Finnland
lernen kann, haben inzwischen alle SPD-regierten Bun-
desländer kapiert. Vielleicht könnte ja die SPD-Bundes-
regierung von Finnland lernen, wenn es um die Einfüh-
rung des Digitalfunks bzw. um die Zeit, die man dafür
braucht, geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es stehen immer noch lediglich 5 Millionen Euro im

Haushalt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist denn mit den Bundesländern?)

– Der Hinweis auf die Bundesländer interessiert mich
nicht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, ja! So einfach ist das! – Weiterer Zuruf von der SPD)


– Dann muss man aber auch einmal darüber nachdenken,
woran das liegt. – Der Minister setzt sich bei Herrn
Eichel nicht durch; denn eigentlich müsste er mehr Geld
haben. Er hat eben davon gesprochen, dass das nicht so
gelungen ist und dass er sich den solidarischen Sparmaß-
nahmen hat fügen müssen. Auch bei den Ländern setzt
er sich nicht durch, sodass wir im Endeffekt bei der Fuß-
ballweltmeisterschaft keinen Digitalfunk haben werden.


(Zuruf des Bundesministers Otto Schily)

– Wenn Sie dem widersprechen, dann rolle ich mich
wieder zusammen. Wenn Sie sagen, dass der Digitalfunk
rechtzeitig kommt, dann brauchen wir dieses Thema hier
nicht weiter zu vertiefen; das werden wir dann im Aus-
schuss machen.

Meine Damen und Herren, den nächsten Coup in Sa-
chen Weltmeisterschaft hat Rot-Grün bei den Bereit-
schaftspolizeien der Länder gelandet. Im Schwerpunk-
tepapier zum Einzelplan 06 wird zwar richtig ausgeführt
– ich zitiere –:






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

Die Bereitschaftspolizei ist nach wie vor mit ihrer
spezialisierten Einsatz- und Organisationsform das
tragende Element bei der Bewältigung von Großla-
gen …
Die Aktivitäten im Rahmen der Vorbereitung und
Durchführung der Fußballweltmeisterschaft in
Deutschland als nationales Großereignis, für das
die Bundesregierung u. a. auch Sicherheitsgarantien
übernommen hat, … unterstreichen die Notwendig-
keit zum Einsatz modern ausgestatteter und profes-
sionell handelnder Bereitschaftspolizeien, um die
innere Sicherheit gewährleisten zu können.

Nun denke ich, dass sich dies im Haushalt nieder-
schlagen müsste. Es nutzt ja nichts, das in ein Schwer-
punktepapier zu schreiben. Aber weit gefehlt, im Haus-
halt ist um 2 Millionen Euro gekürzt worden. Damit
erreichen die Zuwendungen für die Bereitschaftspoli-
zeien der Länder den historischen Tiefststand von gan-
zen 13,542 Millionen Euro. Das passt nicht unbedingt zu
den zweifellos notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und
-paketen.

Es passt vor allem dann nicht – deswegen sprach ich
gerade von Prioritäten –, wenn für die Fußballweltmeis-
terschaft 20,65 Millionen Euro im Bereich der Sportför-
derung für eine Auftaktveranstaltung und für eine offizi-
elle Eröffnungsveranstaltung einen Tag später zur
Verfügung gestellt werden. Nun wird mir niemand sa-
gen, dass ich gegen Feiern wäre. Aber wenn ich auf der
einen Seite quasi zwei Eröffnungsveranstaltungen
durchführe und dafür 20 Millionen Euro ausgebe und
auf der anderen Seite um 2 Millionen Euro kürze, dann
passt das nicht zusammen, dann sind die Prioritäten mei-
ner Ansicht nach falsch gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das dritte Thema, das ich in aller Kürze in der mir zur

Verfügung stehenden Zeit anspreche

(Zuruf des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD])


– ich würde mich ja, wie Sie wissen, Herr Wiefelspütz,
viel länger mit Ihnen auseinander setzen, aber es geht
leider nicht –, ist der Bereich der inneren Sicherheit im
21. Jahrhundert. Ich sage das so pointiert, weil es sich
um Telekommunikation und unsere Kommunikations-
gesellschaft handelt. Es wird viel über E-Government
und onlinefähige Dienstleistungen geredet. Für den
Informationsverbund Berlin-Bonn, der vor allem in
Krisenfällen eine sichere Kommunikation gewährleisten
soll, weil er zum Beispiel unabhängig vom öffentlichen
Telefonnetz funktioniert, wird eine Erhöhung zweifellos
für unstrittig und erforderlich gehalten, wenn man ins
Schwerpunktepapier schaut. Aber im Haushalt werden
die Investitionen um 18,212 Millionen Euro gekürzt,
was einer Mittelkürzung von fast 50 Prozent entspricht.

Die tolle Begründung hierfür – man findet sie übri-
gens häufiger im Haushalt – zitiere ich aus dem Einzel-
plan, Herr Minister: „Weniger wegen Verschieben von
Maßnahmen“. Das ist ganz toll. Wir werden im Aus-
schuss – das wissen Sie von uns – genau nachfragen,
welche Maßnahmen nun verschoben worden sind und
warum. Ganz sicherlich finden Sie auch eine Möglich-
keit, uns eine Begründung dafür zu liefern.

Mit dem Hinweis auf das Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik werden eigentlich immer
wieder kritische Nachfragen von allen, die sich durch
Computerviren, terroristische Hackerangriffe usw. beun-
ruhigt fühlen, beantwortet. Dieses Bundesamt bekommt
eine ständig größere Bedeutung, nicht nur im Schwer-
punktepapier, sondern eigentlich auch in den Köpfen der
Menschen. Ich zitiere aus dem Schwerpunktepapier:

Um sich den wachsenden Herausforderungen durch
zukünftige Bedrohungsszenarien stellen zu können,
wird für die Zukunft im Rahmen des haushalterisch
Möglichen ein Personalaufwuchs im BSI ange-
strebt.

Weiter steht dort:
Der Haushaltsentwurf sieht noch keine zusätzlichen
Stellen vor.

Deswegen, Herr Minister, darf ich noch einmal nachfra-
gen: Wenn bereits ein Personalfehl von 22,5 Stellen ge-
genüber dem durch die Personalbedarfsermittlung aner-
kannten Funktionsbedarf festgestellt wird, wüsste ich
gern, warum beim BSI auch weiter noch eine lineare
Stellenkürzung von 1,5 Prozent vorgesehen ist.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512111100

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!


Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1512111200

Mit anderen Worten: Ich habe nur relativ wenige Bei-

spiele nennen können.

(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie können jetzt anfangen, den Minister zu loben!)


– Herr Wiefelspütz, Sie in einem ganz besonderen Maße
haben das Vergnügen, in den Beratungen weiteren Aus-
führungen von mir und meiner Fraktion folgen zu dür-
fen. Das Vergnügen haben wir ja nicht immer mit dem
Minister.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Loben Sie ihn bitte!)


Ich wollte nur ein paar Beispiele dafür bringen, dass ge-
nau das, was jetzt im Haushalt für den Bereich des Bun-
desministers des Innern steht, unserer Ansicht nach in
vielen, vielen Fällen eine falsche Prioritätensetzung zur
Ausgangslage hatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1512111300

Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/

Die Grünen.






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Philipp, ich habe Ihren Ausführungen zum Thema Polizei
sehr interessiert zugehört. Ich will Ihnen etwas aus Nie-
dersachsen, dem Bundesland, aus dem ich komme, er-
zählen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Erzählen sollen Sie mir nichts! Und wenn, dann aus Nordrhein-Westfalen!)


Ihr Innenminister Schünemann ist gerade dabei, die Ver-
besserungen, die mit Rot-Grün begonnen haben und von
der SPD fortgesetzt wurden,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Er hat mehr Polizeibeamte eingestellt!)


zum Beispiel die Einführung der zweigeteilten Laufbahn
für die Polizei, rückgängig zu machen und die hohen
Ausbildungsstandards wieder abzusenken.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Zu Recht sagt die Polizei in Niedersachsen: Wir wollen
keine bayerischen Verhältnisse.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So sind die CDU-Leute in Niedersachsen!)


Angesichts dessen sollten Sie zuerst in Ihren eigenen Zu-
ständigkeitsbereich schauen, bevor Sie auf diese Art und
Weise die Innenpolitik der Bundesregierung angreifen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beatrix Philipp [CDU/ CSU]: Sie sollen mir etwas aus NordrheinWestfalen erzählen!)


Ich kann und will keine Worte der Beschreibung des
Terroranschlags in Beslan finden. Ich habe einfach nur
gesehen, bis heute aber nicht begriffen und realisiert,
dass Menschen in der Lage sind, Kinder zu erschießen
bzw. ihnen in den Kopf oder Rücken zu schießen. Mir ist
erneut klar geworden, dass dieser Terrorismus Hemm-
schwellen überschreitet und dass wir große Schwierig-
keiten haben, damit umzugehen.

Es reicht mir nicht, erneut auszudrücken, wie betrof-
fen und entsetzt wir sind. Zwar teile ich die Gefähr-
dungsanalyse, die der Bundesinnenminister hier darge-
stellt hat.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist schon sehr viel für Sie! – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Erzählen Sie das Herrn Beck!)


Weil ich allerdings glaube, dass dieser Ansatz falsch ist,
möchte ich davor warnen, dass wir in Deutschland jetzt
darüber diskutieren, wie nah oder fern dieser Terroris-
mus unserem Land ist.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Es ist unsere Pflicht, darüber zu diskutieren!)


– Sie haben mit dieser Diskussion begonnen.
Die Zivilbevölkerung jedes Landes ist von diesem

Terrorismus betroffen und bedroht. Es ist unsere Auf-
gabe, auf nationaler und internationaler Ebene alle An-
strengungen zu unternehmen, um diesem Terror ein
Ende zu setzen. Mich hat – auch das möchte ich zu Be-
ginn meiner Rede sagen – die kulturelle Geschlossenheit
beeindruckt, mit der in Frankreich auf die Entführung
der französischen Journalisten reagiert wurde. Diese ge-
sellschaftliche Geschlossenheit, dieses Zusammenspiel
und diese Unterstützung in der Auseinandersetzung mit
dem Terrorismus wünsche ich mir auch bei uns.

Es ist zu Recht gesagt worden, dass beim Einsatz der
Mittel Prioritäten gesetzt werden müssen. Ich möchte
jetzt nicht nur über die Prioritäten innerhalb des Einzel-
plans 06 reden; denn ich denke, dass sich auch interna-
tional die Erkenntnis durchgesetzt hat – das geht auch
aus dem 9/11-Bericht aus den USA hervor –, dass es für
eine Lösung mit polizeilichen und militärischen Mitteln
Grenzen gibt.

Deswegen ist eine meiner Forderungen an einen rot-
grünen Bundeshaushalt, genau darauf zu achten, mit
welchen Mitteln der Repression und des Militärs, aber
eben auch mit welchen Mitteln der Außenpolitik wir die-
sem Terrorismus begegnen. Für mich ist dabei ein sehr
wichtiger Punkt, dass der Bundeskanzler öffentlich zuge-
sagt hat, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit
und humanitäre Hilfe bis 2006 auf mindestens
0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.
Diese Zusage müssen wir auch konkret im Haushalt wie-
derfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir Grüne – das kann ich

hier nur anreißen – treten für ein umfassendes und nach-
haltiges Sicherheitskonzept ein. Wir gehen davon aus,
dass wir in Europa nur dann in einem Raum der Freiheit
und Sicherheit leben können, wenn wir auch den Men-
schen in den Armutsregionen eine Lebensperspektive
– in einigen Teilen der Welt spricht man sogar von einer
Überlebensperspektive – geben. Ich glaube, dass ein sol-
cher Gesamtansatz im Bereich der Sicherheit noch stär-
ker herausgestellt werden muss.

Der Herr Innenminister hat hier die Sommerdiskus-
sion über die Einrichtung von Flüchtlingslagern in
Nordafrika angesprochen. Ich möchte nur sehr kurz
darauf eingehen, jedoch aus Sicht meiner Fraktion dazu
zwei Dinge sagen: Ja, wir tragen Verantwortung dafür,
dass Tausende Menschen auf der Flucht nach Europa im
Mittelmeer ertrinken. Ich habe keine Lösung für dieses
Problem, aber wir tragen hier eine europäische Verant-
wortung und können nicht wegschauen, wenn diese
Menschen vor unseren Küsten, vor unseren Grenzen er-
trinken. Wir werden hier über Konzepte reden müssen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist aber sehr vage!)


Auch der andere Punkt ist aus Sicht meiner Fraktion
ganz klar und eindeutig: In Europa wird Flüchtlingen ein
Mindestmaß an Schutz gewährt und wir sind an die Stan-
dards des internationalen Völkerrechts gebunden, was
wir auch sein wollen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer stellt das infrage?)







(A) (C)



(B) (D)


Silke Stokar von Neuforn

Unter diesen Rahmenbedingungen sind wir offen für In-
formation.

Ich möchte in der Kürze der Redezeit auf ein paar an-
dere Punkte des Haushaltes oder Punkte, die mit diesem
Haushalt im Zusammenhang stehen, eingehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So genau wollten wir es eigentlich nicht wissen!)


Wir wollen mehr Transparenz in der öffentlichen Verwal-
tung. Deswegen werden wir in Kürze ein Informations-
freiheitsgesetz schaffen.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Lange gedauert!)

– Ja, es hat sechs Jahre gedauert, dafür wird es jetzt rich-
tig gut und darüber freue ich mich einfach. – Wir gehen
davon aus, dass eine moderne öffentliche Verwaltung die
Aktendeckel nicht zuklappt, sondern den Bürgerinnen
und Bürgern den Zugang per Mausklick ermöglicht. Der
Zugang zur Information soll grundsätzlich offen sein;
das ist ein ganz neuer Weg. Dabei sollen schutzwürdige
Belange natürlich gewahrt bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass dieser Weg in eine offene und transpa-
rente Verwaltung auch ein Beitrag für mehr und transpa-
rentere Demokratie in unserem Lande ist.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Das erste Mal, dass Sie den USA etwas nachmachen!)


Wir haben in den vergangenen Jahren auch den
Datenschutz modernisiert und ausgebaut. Ich freue
mich sehr darüber, dass der deutsche Datenschutz wieder
eine Stimme in Europa hat.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber nicht sehr viel Durchschlagskraft und Einfluss!)


Dies ist angesichts des unübersichtlich gewordenen In-
formationsaustauschs auf europäischer und internationa-
ler Ebene auch von großer Bedeutung. Die Bürgerinnen
und Bürger sind durchaus bereit, im Interesse von mehr
Sicherheit Daten bekannt zu geben. Aber die Bürgerin-
nen und Bürger wollen auch wissen, was mit diesen Da-
ten geschieht. Sie wollen sich auf eine vernünftige Da-
tenschutzkontrolle verlassen können und sie wollen
Rechtssicherheit.

Ich will gar nicht verhehlen, dass ich es in diesem Zu-
sammenhang sehr begrüßt habe, dass das CAPPS-II-
System in Amerika gescheitert ist – auch am Widerstand
dortiger Bürgerrechtler und Datenschützer – und dass
der geplante ausufernde Datenaustausch und Datenver-
bund jetzt erst einmal nicht realisiert werden kann. Im
Bereich Datenschutz wollen wir das Datenschutzaudit-
gesetz sowie die überfällige Reform des Bundesdaten-
schutzgesetzes auf den Weg bringen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Von Sicherheit ist in Ihrer Rede wenig!)


Meine Damen und Herren, ich möchte, da wir als Par-
lament diejenigen sind, die in den Ausschussberatungen
noch Einfluss auf den Haushalt nehmen werden, zwei
Punkte ansprechen, die mir sehr wichtig sind: Rot-Grün
steht dafür, die Zivilgesellschaft zu stärken. Ich kann es
daher nicht mittragen, dass in diesem Haushalt die An-
sätze für Projekte gegen rechte Gewalt, die Ansätze im
Bereich „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, die
Ansätze im Bereich der politischen Bildung und auch die
Ansätze zu Integrationsmaßnahmen, die nicht zum Zu-
wanderungsgesetz gehören, in hohem Maße gekürzt
werden sollen. Ich kündige hier meinen Kolleginnen und
Kollegen von der SPD-Fraktion Verhandlungs- und Be-
ratungsgespräche an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh, jetzt aber! Zieht euch warm an! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ich fürchte mich, wer hilft mir?)


Angesichts der Wahlerfolge der NPD, die für mich in
erster Linie immer eine politische Herausforderung ge-
wesen sind, wäre es kurzsichtig, die Mittel in diesem Be-
reich der zivilgesellschaftlichen Prävention zu streichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt sollten Sie aber auch einmal Herrn Schily loben! Das erwartet man von Ihnen!)


Wir stellten uns auch unserer Verantwortung für die
deutsche Geschichte. Dazu gehört auch die Aufarbei-
tung der SED-Diktatur. Für meine Person möchte ich sa-
gen: Die Stiftung zur Aufarbeitung der SPD – –


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun muss aber gut sein! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein bisschen Schuld ist immer!)


– Ich bitte um Entschuldigung. – Die Stiftung zur Aufar-
beitung der SED-Diktatur findet unsere Unterstützung
genauso wie die Arbeit der Birthler-Behörde. Wir treten
auch künftig dafür ein, dass die Behörde, wie im Gesetz
vorgesehen, dezentral arbeiten kann.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt gegen die Kürzungen für die Stiftung?)


Das heißt konkret: Wir wollen das Außenstellenkonzept
sichern. Ich denke, ich habe die Ansätze hier sehr deut-
lich gemacht. In dem einen oder anderen Punkt können
Sie mich ja durchaus unterstützen.

Zur Stiftung für ehemalige politische Häftlinge will
ich ganz deutlich sagen: Ich weiß, dass ich mir hier mit
meinem Koalitionspartner noch nicht einig bin.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na!)

Ich habe hier mehrfach gesagt, dass der Zeitpunkt für
eine Auflösung dieser Stiftung noch nicht gekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! Sehr gut!)


Ich stehe dazu mit meinem Wort. Die Verhandlungen
werden ergeben, ob ich das durchhalte. Wir haben die
Gültigkeit des Gesetzes bezüglich dieser Stiftung bis
2007 verlängert. Ich verfolge den Ansatz, die Entschädi-
gung für die Opfer des SED-Regimes in kleinen






(A) (C)



(B) (D)


Silke Stokar von Neuforn

Schritten zu verbessern. Etwas anderes können wir nicht
und habe ich auch nie zugesagt.


(Beifall des Abg. Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU] – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Ich bin ja gespannt, ob Sie unsere Anträge im Ausschuss unterstützen werden!)


Meine Damen und Herren, ich wünsche mir muntere
Beratungen im Innenausschuss. Ich denke, wir haben
eine Reihe von Dingen zu diskutieren.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir sind sehr gespannt, wie Sie sich im Ausschuss verhalten werden!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Wir,
die Fraktionen, haben die Hoheit über diesen Haushalt.
Ich gehe davon aus, dass der eingebrachte Haushaltsge-
setzentwurf von uns gemäß unserer Prioritätensetzung
weiter gestaltet wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512111400

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von

der FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1512111500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Nach der aus unserer Sicht erfreulichen Zusammen-
arbeit beim Zuwanderungsgesetz hat die FDP-Fraktion
heute erneut Anlass, dem Bundesinnenminister Aner-
kennung zu zollen, und zwar aus folgendem Grund:


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Anbiederung! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber nicht auf der Schleimspur ausrutschen!)


In der nächsten Woche, am 17. September 2004, wird
Otto Schily im Hotel Adlon in Berlin mit einem Preis
ausgezeichnet, der seine besonderen Verdienste bei der
Pflege der transatlantischen Beziehungen würdigt. Wir
finden es wichtig und richtig, dass es in dieser Bundesre-
gierung wenigstens einen Minister gibt, der die guten
Beziehungen zu den USA pflegt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Minister, das müssen Sie zurückweisen!)


Ich erwähne dies aber auch noch aus einem anderen
Grund: Die Laudatio wird der amerikanische Minister
für Heimatschutz, Tom Ridge, halten. Herr Minister, das
gibt mir den Anlass dafür, zu erwähnen, dass wir als
Bundesrepublik Deutschland natürlich unsere eigenen
rechtsstaatlichen Traditionen zu bewahren haben. Das
ist für uns das Kernthema der Innenpolitik im Jahre
2004.


(Beifall bei der FDP)

Wie gelingt es uns, angesichts der von Ihnen beschriebe-
nen Bedrohung unserer Sicherheit alles zu tun, um die
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren,
zugleich aber trotzdem auch den freiheitlichen Gehalt
des Grundgesetzes und die klassische Rechtsstaatlichkeit
zu bewahren? Das ist das Kernthema.


(Beifall bei der FDP)

Über die Differenzen, die wir an manchen Stellen mit

den amerikanischen Freunden haben, will ich nicht zu
lange reden. An dem einen Thema, dem sich mein Kol-
lege Ernst Burgbacher sehr stark angenommen hat, näm-
lich der Übermittlung von Fluggastdaten,


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Immer noch?)

lässt sich dieser Grundkonflikt aber sehr deutlich aufzei-
gen, Frau Kollegin Philipp. Es geht darum, einerseits zu
akzeptieren, dass die Amerikaner bestimmte Sicherheits-
bedürfnisse haben, andererseits aber auch deutlich zu
machen, dass für uns bei der Übermittlung an persönli-
chen Daten vieles zu weit geht.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Was geht denn zu weit? Beispiele!)


Ich erwähne dies auch noch aus einem anderen
Grund. Frau Kollegin Stokar von den Grünen hat uns
schon in Verwirrung gestürzt.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sind wir da!)


Daniel Cohn-Bendit hat dies im Europawahlkampf zu ei-
nem seiner Hauptthemen gemacht.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich habe ihn unterstützt!)


Als wir aber im Bundestag vorgeschlagen haben, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäi-
schen Union gegen die überzogene Übermittlung von
Passagierdaten wenden solle, haben die Grünen gegen
unseren Antrag gestimmt. Das müssen Sie einmal erklä-
ren, Frau Stokar.


(Beifall bei der FDP)

Selbstverständlich haben auch wir unsere Sicherheits-

interessen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Poli-
zei, Konrad Freiberg, hat in letzter Zeit zu Recht auf ei-
nige Punkte hingewiesen. Es ist nicht verständlich, dass
zu einer Zeit, in der alle von einer wachsenden Bedro-
hung sprechen, die Polizeidichte, also das Verhältnis der
Polizeibeamten zur Anzahl der Bürgerinnen und Bürger,
sinkt statt steigt, und zwar auch in Bundesländern wie
Bayern und Nordrhein-Westfalen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber nicht in Niedersachsen!)


Damit sehen wir uns vonseiten eines erfahrenen Prakti-
kers und Gewerkschafters in unserer Grundposition be-
stätigt: Die Hauptsache bei der Gewährleistung der inne-
ren Sicherheit ist ausreichend Personal, modernste
Technik – Stichwort Digitalfunk – und natürlich genü-
gende Finanzen für die Polizei und die sonstigen Sicher-
heitsbehörden.

Dies allein ist aber nicht das Thema. Herr Minister, es
ist keine Frage des Feuilletons, darüber nachzudenken,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Stadler

ob nicht doch manche Vorschläge der letzten Zeit mit er-
schreckender Leichtigkeit von Grundrechtstraditionen
abweichen, die wir in Deutschland 50 Jahre lang ge-
pflegt haben.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo? Welche denn?)


Ich nenne einige Beispiele: Das Bundesverfassungs-
gericht hat eine Entscheidung zum großen Lausch-
angriff getroffen. Demnach steht die Neuregelung die-
ses Instruments an. Übrigens wird es interessant sein,
wie die Grünen im Bundestag abstimmen werden, aber
das sei nur am Rande bemerkt.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Natürlich zustimmen!)


Von Ihrer Kollegin Brigitte Zypries von der Bundes-
regierung kommt als Erstes ein Entwurf, der einen Kern-
punkt dieses Themas, nämlich die Sicherung der Berufs-
geheimnisse von Anwälten, Ärzten und auch von
Journalisten im Verhältnis zu ihren Informanten, in völ-
lig unzureichender Weise regelt. Es gibt zu denken,
wenn das die Reaktion der Bundesregierung auf eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist.

Wir erleben auch in den Ländern, dass im polizeili-
chen Bereich die klassische Vorgehensweise, an eine
konkret begangene Straftat Verfolgungsmaßnahmen an-
zuknüpfen oder bei konkret bestehenden Verdachtsmo-
menten einzugreifen, immer mehr in Vergessenheit gerät
und man stattdessen in die so genannten Vorfeldermitt-
lungen mit der Folge hineinrutscht, dass polizeiliches
Eingreifen gar nicht mehr richtig abgrenzbar ist. Dazu
gehört für mich zum Beispiel die präventive Telefon-
kontrolle, wie wir sie jetzt aus einigen Bundesländern
kennen lernen. Es handelt sich dabei um eine Telefon-
kontrolle, wenn jemand noch gar keine Straftat began-
gen hat, sondern sie möglicherweise begehen wird. Mein
Kollege Jörg van Essen bemüht sich immer, das Aus-
ufern der Telefonüberwachung in Deutschland mit seinen
Anträgen zu beschneiden. Stattdessen erfahren wir aus
den Bundesländern, dass es eine gegenteilige Tendenz
gibt.

Ich nenne ein nächstes Beispiel, das zeigt, dass Politik
– das wissen wir alle – natürlich ein Kampf um die Be-
griffe ist. Der Bundesinnenminister hat im Laufe der Zu-
wanderungsdebatte die so genannte Sicherungshaft vor-
geschlagen, sie aber zu Recht gegen unseren, aber auch
gegen den Widerstand anderer, nicht durchsetzen kön-
nen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber er sagt, es bleibt auf der Tagesordnung!)


– Ich will Sie gerade zitieren, lieber Herr Kollege
Koschyk. Nun hat der Kollege Koschyk dafür eine neue
Begrifflichkeit gefunden. Herr Koschyk spricht jetzt
vom „polizeilichen Abwehrgewahrsam für Topgefähr-
der“.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Guter Begriff!)

Das ist sehr geschickt formuliert, Herr Kollege Koschyk;
denn jeder möchte sich gegen Topgefährder schützen.
Dass die Polizei hier Abwehrmaßnahmen ergreifen soll,
ist vermutlich ebenso unstreitig. Gewahrsam hört sich
auch ein wenig schonender an als Sicherungshaft. Aber
in beiden Fällen wird vorgeschlagen, Personen für län-
gere Zeit, für ein, zwei Jahre, zu inhaftieren.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer sagt das: ein, zwei Jahre?)


– Das ist in Ihren eigenen Vorschlägen enthalten. Es geht
darum, Personen, denen man nichts nachweisen konnte,
was zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hätte,
für längere Zeit zu inhaftieren. Auch in Zeiten der von
uns ernst genommenen Bedrohung muss man doch da-
rüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist. Wir glau-
ben, dass er das nicht ist.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es kommt noch schlim-
mer. Mit den Beispielen, die ich Ihnen nenne, will ich
versuchen, Nachdenklichkeit zu erzeugen. Es ist eigent-
lich egal, ob sie von der einen oder der anderen Seite
kommen.

Das nächste Beispiel stammt aus einem Antrag der
CDU/CSU, der hier im Bundestag gestellt worden ist.
Darin insinuieren Sie, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land sich notfalls aus der Europäischen Menschen-
rechtskonvention verabschieden soll. Es geht um Ihren
Antrag auf der Drucksache 15/1239 mit dem Ziel, Ab-
schiebungen zu erleichtern.

Wir wissen alle, dass es manchmal durchaus schwer
fällt, Abschiebungsschutz zu gewähren, weil Todesstrafe
oder Folter drohen. Aber es gehört zu einem Rechtsstaat,
sich zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu be-
kennen.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512111600

Herr Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Koschyk?

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1512111700

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512111800

Bitte, Herr Koschyk.

(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Die Redezeit ist abgelaufen!)


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1512111900

Nein, ich habe noch Redezeit.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512112000

Auf die Zeit achte ich. Das ist nicht Ihre Aufgabe.

Keine Sorge.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1512112100

Herr Kollege Stadler, sind Sie denn bereit, zur Kennt-

nis zu nehmen, dass unser Antrag, aus dem Sie gerade
zitiert haben, das Ziel verfolgt, dass die Bundesrepublik
Deutschland sich mit anderen Unterzeichnerstaaten der
Europäischen Menschenrechtskonvention zusammen-
setzt und darüber diskutiert, wie man mit dem Phänomen
umgehen muss, dass Topgefährder, die eine Gefähr-
dung der Sicherheit nicht nur für unser Land, sondern
auch für andere Unterzeichnerstaaten der Europäischen
Menschenrechtskonvention bedeuten, zwar rechtskräf-
tig ausgewiesen, aber nicht abgeschoben werden kön-
nen? Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
auch eine Persönlichkeit wie Professor Heilbronner in
mehreren Zeitungsinterviews und Fachaufsätzen dies als
Problem geschildert hat und dass wir es begrüßen, Herr
Kollege Stadler, dass mehrere Kollegen mit Herrn Mi-
nister Schily auf einer informellen Tagung in Bayern, zu
der Herr Minister Schily mehrere Innenministerkollegen
aus der Europäischen Union eingeladen hat, eine Ar-
beitsgruppe eingerichtet haben, in der darüber beraten
wird, wie man mit diesem Problem umgeht? Und sind
Sie denn nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies
eine Herausforderung ist und dass wir nicht die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention in ihrem Kerninhalt in-
frage gestellt wissen wollen, dass aber das Problem, wie
wir mit dieser Frage umgehen, gelöst werden muss?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1512112200

Lieber Herr Kollege Koschyk, würde ich jetzt mit Ja

antworten, wäre es problematisch, denn Sie haben ein-
mal gefragt, ob ich bereit wäre, und einmal, ob ich nicht
bereit wäre,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dann antworten Sie doch!)


sodass ich etwas länger ausholen muss. Dass dieses Pro-
blem, das Sie sehr treffend beschrieben haben, besteht,
steht außer Zweifel. Gerade deswegen haben wir in den
interfraktionellen Verhandlungen zum Zuwanderungsge-
setz nach einer Lösung für das Problem gesucht – Sie
sagten es –, dass jemand rechtskräftig ausgewiesen ist,
wir ihn aber nach unseren rechtsstaatlichen und humani-
tären Maßstäben nicht abschieben können, weil ihm
dann Folter oder Todesstrafe drohen.

Zunächst muss man klar sagen, ob es bei diesem
Grundprinzip bleiben soll.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja!)

Wir als FDP sagen ja und ich begrüße es sehr, wenn Sie
hier klarstellen, dass dies auch Ihre Meinung ist. Ihren
Antrag lese ich allerdings anders.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch aus dem Antrag!)


– Ich zitiere ihn. Ich bin jetzt dabei, Ihnen zu antworten
und Sie müssen die Antwort bitte mir überlassen. Ich
komme Ihrem Wunsch sowieso nach und zitiere aus Ih-
rem Antrag.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Abschiebungsvo-
raussetzungen müssten den aktuellen Herausforderun-
gen angepasst werden. Abschiebungsvoraussetzung ist
bisher, dass im Heimatland weder Todesstrafe noch Fol-
ter drohen. Was soll denn da wie angepasst werden? Da
gibt es jetzt wirklich nur ein Ja oder Nein. Entweder
bleibt es bei dieser Voraussetzung oder nicht.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Abschiebung in Drittländer, Herr Stadler!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512112300

Herr Kollege Koschyk, Sie haben eine sehr ausführli-

che Frage gestellt, die in viele Unterfragen unterteilt war.
Jetzt müssen Sie dem Kollegen Stadler die Möglichkeit
geben, in Ruhe zu antworten, und dürfen ihn nicht unter-
brechen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist in Ordnung, Herr Präsident!)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1512112400

Es ist eine komplizierte Frage. In den Kompromiss-

verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz haben wir ver-
sucht, eine Lösung zu finden, nämlich dass solche Perso-
nen Meldeauflagen bekommen, Residenzpflichten
überwacht werden und – das hat es meines Wissens im
deutschen Polizeirecht noch nie gegeben – dass ihnen
die Benutzung von Kommunikationsmitteln verboten
werden darf. Mit anderen Worten: Es gibt ein ganz dich-
tes Kontrollnetz. Jetzt sollten wir erst einmal das, was in
diesem Kompromiss vereinbart worden ist, in der Praxis
probieren.

Ich habe nur meine Sorge zum Ausdruck gebracht,
die sich aus folgendem Satz Ihres Antrags speist:

Die Bundesregierung muss darum prüfen, wie …
die Schutzpflichten, die sich aus … der Europäi-
schen Menschenrechtskonvention (EMRK) erge-
ben, in Übereinstimmung mit den Sicherheitserfor-
dernissen Deutschlands gebracht werden können.

Diese Prüfung ist richtig, aber ich habe die große Sorge
– das ergibt sich aus dem Gesamtduktus Ihres Antrags –,
dass Sie der Meinung sind, wir könnten uns von Grund-
sätzen verabschieden, die wir bisher gemeinsam getra-
gen haben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!)


Wenn Sie das heute damit korrigiert haben, ist es mir
umso rechter.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Ihre verwirrte Interpretation! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er hat nicht korrigiert! Er hat klargestellt!)


Ich komme zum Schluss. Ich möchte für die FDP-
Fraktion feststellen, dass die FDP die Frage, die ich ein-
gangs gestellt habe, nämlich ob es möglich ist, in Zeiten
einer terroristischen Bedrohung den Freiheitsgehalt des
Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, die Rechtsstaatlich-
keit zu bewahren und trotzdem zugleich die Sicherheit
optimal zu gewährleisten, eindeutig mit Ja beantwortet.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Stadler


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie müssen sagen, wie Sie es machen wollen!)


Es ist nicht nur möglich, sondern es ist sogar unsere
Pflicht, die wir als Gesetzgeber erfüllen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Viel Freude der Koalition mit der FDP bei der inneren Sicherheit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512112500

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hartmann von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1512112600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Innenpoli-
tik! Nach diesem ernsten und bedeutenden Schlagab-
tausch zwischen Union und FDP erlauben Sie mir bitte,
zu Beginn zu sagen, dass ich mich ausdrücklich freue,
Sie alle so frisch und erholt wiederzusehen. Ich freue
mich darauf, dass jetzt die zweite Halbzeit dieser Legis-
laturperiode in der Innenpolitik angepfiffen wird und bin
gespannt, wie das Spiel laufen wird.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Kriegt ihr einen neuen Trainer?)


Da haben Sie es nicht ganz einfach. Das war eben deut-
lich zu spüren und zu hören. Unsere Mannschaft ist gut
aufgestellt. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Ich freue
mich auf die Diskussion in den kommenden zwei Jahren,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Vor allem an der Saar!)


denn in Wirklichkeit gehen wir zumindest im Ausschuss,
wenn weniger Fernsehen und andere Öffentlichkeit an-
wesend sind, sehr manierlich miteinander um.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sonst auch!)

Sie haben es nicht leicht, habe ich gesagt. Ich wieder-

hole das gerne, geschätzte Frau Kollegin Philipp. Ich
habe Ihnen sehr gerne und aufmerksam zugehört. Es war
schon zu spüren, dass Sie vor der Frage stehen, was man
eigentlich macht, wenn man eine Politik, die richtig und
in Ordnung ist, vorgelebt bekommt und diese medial er-
fährt, trotzdem aber noch Opposition sein will. In dieser
Situation befinden wir uns.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Falsch!)

Wir haben einen Innenminister, der eines der schwierigs-
ten Politikfelder in Deutschland und weltweit mit Erfolg
bearbeitet und hohe Anerkennung in der Bevölkerung
genießt. Das macht es für Sie schwer und ist für uns gut.
Dafür sind wir dankbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie müssen schon auf solche Nebenkriegsschauplätze
und Dauerkriegsschauplätze wie den Digitalfunk aus-
weichen, um überhaupt noch einen Anknüpfungspunkt
zu finden. Ein Blick ins Grundgesetz – wir haben auch
eine Föderalismuskommission, die kompetent über alle
diese Fragen diskutiert – genügt jedoch, um klar zu ma-
chen: Der Bund ist bereit, seine Verpflichtung zu erfül-
len. Jetzt sind die Länder dran. Das sind überwiegend
unionsregierte Länder. Gehen Sie also hinaus und über-
zeugen Sie Ihre Leute davon, dass der Digitalfunk finan-
ziert wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das finde ich im Grundgesetz?)


Wir stehen nicht nur unter dem Eindruck der schreck-
lichen Kindermorde, die der Bundesinnenminister am
Schluss seiner Rede erwähnt hat. Wir schreiben heute
den 7. September. Sehr nahe an dem heutigen Datum,
am 11. September vor drei Jahren, mussten wir erleben,
wie durch die Anschläge auf das World Trade Center
albtraumhafte Vorstellungen Realität wurden. Wir wur-
den aus unserer vermeintlichen Sicherheit wachgerüttelt.
Seit dieser Zeit wissen wir sehr genau, dass auch beim
internationalen und islamistischen Terrorismus auf bru-
tale Weise die Globalisierung Einzug gehalten hat.

Wir stehen vor einer epochalen Herausforderung, die
sowohl bei der internationalen Zusammenarbeit als auch
bei der Sicherheitsstruktur in Deutschland eine neue
Ausrichtung verlangt. Sie verlangt Wehrhaftigkeit unter
Demokraten. Wir müssen die wehrhafte Demokratie
engagiert und klar nach außen präsentieren und wir müs-
sen auch nach innen neue Überlegungen anstellen, was
die Behörden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter angeht. Ziel muss es sein, Anschläge zu verhindern.
Ich glaube, an dieser Stelle trennt uns nichts, meine Da-
men und Herren von der Opposition. Ziel muss es auch
sein, frühzeitig aufzuklären.

Deutschland ist – das hat der Innenminister mit Recht
festgestellt – ein sicheres Land, wiewohl nach wie vor
eine abstrakte Gefährdung besteht. Die Anschläge in
Madrid haben gezeigt, dass wir innerhalb Europas
ebenfalls der Gefahr ausgesetzt sind.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Kommen Sie noch auf den Haushalt, Herr Kollege?)


– Geschätzte Frau Kollegin Philipp, ich bin beim Haus-
halt, wenn ich über die Gefährdungen durch den Terro-
rismus rede. Wo denn sonst?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in diesem Haushalt die Ausgaben in die-
sem Jahr um 51 Millionen Euro erhöht. Die innere Si-
cherheit stellt einen Schwerpunkt dar. Der Haushalt um-
fasst rund 4 Milliarden Euro, von denen 70 Prozent für
die innere Sicherheit eingestellt sind. Der überwiegende
Teil davon ist für Personalausgaben vorgesehen; denn
für die innere Sicherheit werden Profis benötigt, ob beim






(A) (C)



(B) (D)


Michael Hartmann (Wackernheim)


BGS, bei den Polizeien der Länder, dem THW, dem
Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BKA oder ande-
ren Dienststellen. Es ist richtig, dass wir, während ein-
zelne Länder deutliche Kürzungen beim Personal der
Polizei vornehmen, die Personalausgaben für den Bun-
desgrenzschutz erhöhen. Dort ist im Haushalt, den wir
derzeit beraten, eine Erhöhung des Personalbestands auf
31 600 vorgesehen. Das bedeutet 44 Millionen Euro
mehr, die zum Teil für Neueinstellungen, aber auch für
Beförderungen vorgesehen sind. Eine solche Sicher-
heitspolitik ist zukunftsweisend, weil sie in die Men-
schen investiert, die für uns den Buckel hinhalten, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch das Bundeskriminalamt wird in seiner Funk-
tion als Zentralstelle eine Verstärkung erfahren und
ebenfalls mehr Geld für Personal erhalten. Indes zeigt
ein Blick in den Haushalt des Innenministers, dass im
Ministerium selbst in den letzten Jahren Einsparungen
beim Personal vorgenommen wurden. Es wird quasi
beim Häuptling gespart, während die Indianer an der
Front mit mehr Geld für mehr Personal und Beförderun-
gen ausgestattet werden.


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir den genialen Vorschlägen von Ministerprä-

sident Stoiber folgen würden – Sie haben nach mir das
Wort, Frau Mantel, und werden vielleicht den Knoten
auflösen –,


(Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Freuen Sie sich darauf! – Gegenruf des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Da freue ich mich aber, Frau Mantel!)


dann würde jetzt eine 5-prozentige Kürzung greifen.
Das würde bedeuten, dass wir auch im Innenhaushalt
Kürzungen vornehmen müssten. An welchen Stellen
wäre das denn möglich? Beim Personal oder bei der
technischen Ausstattung der Polizei? Oder sollen wir es
wie das rühmliche Bundesland Hessen machen und bei
der Polizei insgesamt 1 000 Stellen einsparen? Das ist
nicht unser Weg. Ich bin gespannt, wie Sie das, was Ih-
nen Ihr Ministerpräsident gerade zu dieser Debatte ein-
gebrockt hat, auflösen werden.

Lassen Sie mich noch eine weitere Anmerkung ma-
chen, die nicht unbedingt mit dem Haushalt in Verbin-
dung steht. Ich habe bereits die Föderalismuskommis-
sion erwähnt und möchte noch einmal darauf zu
sprechen kommen. Ich glaube, dass sich die Reformfä-
higkeit Deutschlands im Wesentlichen auch dadurch be-
weisen wird, dass wir hinsichtlich der Aufteilung der
Kompetenzen zwischen Bund und Ländern eine Neu-
regelung hinbekommen.


(Beifall bei der SPD)

Es geht nicht nur um die großen sozialen Sicherungssys-
teme, die wir neu organisieren müssen, sondern auch um
diesen Bereich. Es geht um wichtige Fragestellungen,
auch was die innere Sicherheit anbelangt. Deshalb hoffe
ich, dass wir mit dem Engagement der Bundesjustizmi-
nisterin, des Bundesinnenministers und der Kolleginnen
und Kollegen aus unserer Fraktion erreichen werden,
dass nicht jeder über die Reform des Föderalismus redet,
aber dann, wenn es darum geht, tatsächlich etwas zu än-
dern, sozusagen seinen Wurstzipfel bis aufs Messer ver-
teidigt.

Damit meine ich ganz konkret, dass wir das BKA
auch gesetzlich stärken müssen; denn es braucht unbe-
dingt eine Ermittlungsbefugnis im Vorfeld.


(Beifall bei der SPD)

Da die Gefahrenabwehr derzeit Ländersache ist, kann
beispielsweise das BKA gegen einen ermittelten Gefähr-
der nicht weiter vorgehen und muss die Länder bitten,
die weitere Verfolgung der Spuren zu übernehmen. Dort
sind die Ressourcen ebenfalls begrenzt und ist der Wille
nicht immer so stark ausgeprägt. Der Aufwand der Ab-
stimmung ist außerdem sehr hoch. Deshalb ist da und
dort schon auf eine dringend gebotene Observation ver-
zichtet worden. Das ist ein Beispiel – ich könnte noch
andere nennen –, das deutlich macht, dass es großen Re-
formbedarf gibt. Wir müssen, wie gesagt, das BKA stär-
ken. Unsere Fraktion ist dazu bereit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir in den nächsten Wochen über den Einzel-
plan 06 diskutieren, sollte dies trotz aller notwendigen
Kontroversen so verlaufen, dass wir unserer Gesamtver-
antwortung gerecht werden. Ich bin mir sicher, dass der
Wille dazu auf Ihrer Seite genauso ausgeprägt ist wie auf
unserer Seite; denn letztendlich geht es bei der Siche-
rung der inneren Sicherheit auch um die Stiftung und die
Gewährung des innergesellschaftlichen Friedens. Sosehr
wir uns über einzelne Punkte streiten mögen, so sehr
sollten wir gemeinsam dafür sorgen, innergesellschaftli-
chen Frieden zu stiften und zu bewahren.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512112700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Mantel von

der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1512112800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben wie
Herr Hartmann wieder einmal Bayern angesprochen.
Das freut mich natürlich besonders. Abgesehen von der
Neiddebatte, die ständig von all denjenigen geführt wird,
die nicht in Bayern leben, geben Sie, Herr Minister, mir
sicherlich Recht, wenn ich sage, dass wir beide – ich
schließe Sie einfach mit ein – im sichersten Bundesland
Deutschlands wohnen. Das ist natürlich ein großes Ver-
dienst von Günther Beckstein, den Sie an dieser Stelle
schon gelobt haben.






(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Mantel

Die Haushaltsdebatte dient auch immer der Bestands-

aufnahme, wie es um ein Ressort bestellt ist. In der Ge-
samtwürdigung ergibt sich leider das Fazit, dass die in-
nere Sicherheit für Rot-Grün keine Priorität hat. In allen
denkbaren Bereichen wird verhindert und blockiert. Die
Ideologen in den rot-grünen Reihen


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ach du liebe Zeit! – Zuruf des Abg. Sebastian Edathy [SPD])


– der erste hat schon wieder laut geschrien, Herr Edathy –

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo Frau Mantel Recht hat, hat sie Recht!)


– danke, Herr Wiefelspütz; ich werde meine Aussage an
dieser Stelle noch belegen – nehmen dabei auch die Be-
schädigung des Bundesinnenministers in Kauf. Dieses
Bild zeigt leider auch der Haushalt.

Lob für den Etat ist fehl am Platz; denn nicht nur die
Höhe des Etats ist entscheidend, sondern auch, wie der
Etat eingesetzt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Dabei ist festzuhalten, dass die Etatmittel in Ausgaben
für Umzüge und Standortverlegungen mit allen Folge-
kosten sicherlich nicht gut angelegt sind. Konkrete Zah-
len beispielsweise über die Kosten des Umzugs des
BND wurden zwar trotz mehrmaliger Aufforderung un-
sererseits nie genannt. Aber die geschätzten Kosten für
Neubau und Umzug liegen bei circa 1 Milliarde Euro.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Der Umzug des BND und auch die vom Bundesinnen-
minister noch vor einiger Zeit geplante Verlagerung des
BKA zeigen eines ganz deutlich: Es soll eine Zentrali-
sierung um jeden Preis geben. Das ist durchaus wörtlich
zu nehmen. 1 Milliarde Euro allein für den BND-Um-
zug! Dieser Betrag verteilt sich zwar über mehrere Jahre.
Aber in der absoluten Höhe ist dies ein Viertel des ge-
samten Haushalts des Bundesinnenministeriums. Fairer-
weise muss man zugeben, dass es bei dieser Debatte
nicht nur Verlierer gab, Herr Minister. Zumindest die
Möbelpacker in Deutschland waren für Ihre Vorschläge
sehr dankbar.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das ist niveaulos!)


– Ihre Zwischenrufe sind das Allerniveauloseste. Des-
wegen machen wir jetzt ernsthaft weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein interessantes Kontra! – Zuruf von der CDU/ CSU: Eine Stunde geschlafen und jetzt frech werden!)


– So kennen wir unsere Kollegen von der SPD.
Der Drang der Bundesregierung zur Zentralisierung

wird auch in kleinen Dingen sichtbar und kostet eben-
falls Geld, das dann nicht mehr für wichtigere Aufgaben
zur Verfügung steht. Ein Beispiel ist die eigene Eröff-
nungsfeier für die Fußball-WM 2006 in Berlin, obwohl
das Eröffnungsspiel bekanntlich in München stattfinden
wird. Aber auf diesen Skandal wird mein Kollege
Norbert Barthle später noch näher eingehen.

Im Großen und im Kleinen fließt viel Geld für unnö-
tige Zentralisierung und an anderer Stelle fehlt dann dem
Bund das Geld, auch bei der Vorbereitung der Fußball-
WM 2006.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch wenn es schon mehrmals angesprochen wurde,
möchte ich noch einmal betonen, dass es bei der WM
2006 in Deutschland kein flächendeckendes Digitalfunk-
system geben wird. Diese Erkenntnis hat sich mittler-
weile auch bei der Bundesregierung durchgesetzt. Wir
von der Opposition teilen die Einschätzung des Bundes-
innenministers, dass es sich beim Digitalfunk um eine,
so Herr Minister wörtlich, „sicherheitspolitische Not-
wendigkeit“ handelt. Doch wenn es eine Notwendigkeit
ist, dann muss man dafür auch die notwendigen Mittel
bereitstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß das Ihre Staatsregierung?)


Nicht zu begrüßen ist die Tatsache, dass die Optionen
für die Sicherheit bei der Fußball-WM 2006 schon jetzt
eingeengt werden. Den Einsatz von NATO-Überwa-
chungsflugzeugen hält der Bundesinnenminister für rela-
tiv ausgeschlossen. Da die Bedrohungsszenarien heute
aber nicht bekannt sind, müssen wir uns alle Optionen
offen halten. Das betrifft auch den Einsatz der Bundes-
wehr bei der WM 2006, beispielsweise zum Objekt-
schutz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512112900

Frau Kollegin Mantel, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Abgeordneten Schily?


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1512113000

Ich mag ihn persönlich zwar wahnsinnig gern; aber

ich würde meine Rede gern am Stück halten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Solche Tricks dürfen nicht unterstützt werden! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wen mögen Sie eigentlich noch, Frau Mantel?)


Herr Minister Schily, ich biete Ihnen aber gerne ein
Vieraugengespräch an.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich will jetzt nicht nur über die falsche Prioritätenset-

zung im Haushalt sprechen, weil viele Fehler und Ver-
säumnisse der Bundesregierung mit der Finanzierung
nichts zu tun haben.

Der Wille, die innere Sicherheit zu verbessern, wird
vielfach nicht vom mangelnden Etat gebremst, sondern,
wie bereits erwähnt, Herr Edathy, von den Ideologen in






(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Mantel

der eigenen Koalition. In der SPD-Fraktion ist es nicht
zum Besten bestellt, was die Sicherheitspolitik betrifft.


(Sebastian Edathy [SPD]: Mantel droht mit Vieraugengespräch!)


– Herr Edathy, Ihnen würde ich so etwas nie anbieten.

(Heiterkeit bei der SPD)


Ich muss es ganz einfach einmal sagen: Da spricht der
reine Neid aus Ihnen.

Ein Beispiel ist die Sicherungshaft für Terrorver-
dächtige. Bundesinnenminister Schily schlug sie im
Rahmen der Gesetze zum Zuwanderungsgesetz vor.


(Zurufe von der SPD)

– Wir sind jetzt bei einem ernsten Thema, meine Herren.
Wenn Sie es noch nicht gemerkt haben, dann möchte ich
Sie darauf hinweisen. – Die Sicherungshaft sollte letztes
Mittel sein, wenn eine Abschiebung bei terrorverdächti-
gen Personen nicht möglich ist. Die Union hat diesen
Vorschlag unterstützt, Herr Minister. Doch Schily schei-
terte, wie so oft, an Rot-Grün. Die Aussage von Franz
Müntefering dazu hört sich schon eher nach einer Dro-
hung als nach einer Unterstützung der Fraktion an. Er
hat nämlich wörtlich gesagt:

Ich verlasse mich ganz auf Otto Schily. Er ist ein
Mann, der die nötige Sensibilität hat.

(Heiterkeit bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unter vier Augen vor allen Dingen!)


Ein weiteres Beispiel: die Verschärfung des Versamm-
lungsrechts. Im Juni 2004 wurde bekannt, dass es im
Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf gibt. Ver-
boten werden sollten solche Demonstrationen, die an
Mahngedenkstätten stattfinden und im inhaltlichen Wi-
derspruch zu den Gedenkstätten stehen. Verboten wer-
den sollten auch die Verherrlichung und die Verharmlo-
sung von Terrorakten und terroristischen Organisationen
als Inhalt von Demonstrationen. Die Union hätte diese
Regelungen unterstützt;


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

doch es war wiederum so, dass die rot-grüne Koalition
nicht mitgespielt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512113100

Frau Kollegin Mantel, Herr Kollege Hartmann

möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen. Es könnte
sein, dass auch er einen Vieraugentermin haben möchte.


(Heiterkeit)


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1512113200

Herr Kollege Hartmann, gleiches Recht für alle bei

der Nichtzulassung von Zwischenfragen, aber nicht das
Recht auf ein weiteres Gespräch mit mir. Da es nicht so
ausschaut, als ob Sie irgendwann einmal in den nächsten
Jahren Bundesinnenminister werden, wird Ihnen ein sol-
ches Gespräch auch nicht zuteil werden.

(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Darüber reden wir noch! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Jetzt seien Sie einmal wieder ruhig!
Wenn ich den Kollegen Wiefelspütz zitiere, wird es

offensichtlich:
Ich weiß nicht, woher der Innenminister seine
Mehrheit im Bundestag nehmen will. Von der SPD
bekommt er die nicht.

Das hat der Kollege Wiefelspütz am 23. Juni 2004 ge-
genüber der „taz“ gesagt. Der Kollege Volker Beck hat
das Ganze in derselben Ausgabe als „ziemlich abwegig“
bezeichnet. Da zeigt sich wieder, dass die innere Sicher-
heit für Rot-Grün anscheinend nicht wichtig ist.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Versammlungsrecht ist Freiheit! Bürgerrechte!)


Ein weiteres sehr wichtiges Beispiel: der Schleu-
serskandal und die Ausstellung von Visa. Obwohl das
Bundeskriminalamt Bedenken gegen einzelne Antrag-
steller erhoben hat, wurden die Visa erteilt. Der Zusam-
menhang zwischen Zuwanderung und innerer Sicherheit
wurde von Rot-Grün schon seit jeher mit Hartnäckigkeit
negiert.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist Unsinn!)

Das ist eine gefährliche Fehleinschätzung; denn gerade
bei der Erteilung von Visa besteht die Gefahr, sich Ge-
fahrenpotenziale ins Land zu holen. Diese laxe Handha-
bung der Erteilung von Visa zeigt: Hier besteht noch im-
mer dringender Handlungsbedarf.

Der Bundesinnenminister muss dem Auswärtigen
Amt deutlicher entgegentreten, um den Erfordernissen
der inneren Sicherheit und auch seinem Amt gerecht zu
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, eine scharfe Rüge mag zwar aufrütteln,
aber für die Sicherheit ist damit noch nichts gewonnen.
Vor allem ist der Bundesaußenminister in dieser Angele-
genheit selbst gefragt und nicht bloß eine Antwort auf
Staatssekretärsebene.

Nur ein Beispiel, das im Juli hohe Wellen geschlagen
hat: Ein Algerier, der im Schengener Informationssys-
tem und auch in den öffentlich zugänglichen EU-Listen
mit einem Hinweis auf Terrorverdacht erfasst ist, erhielt
ein Visum. Der Fall dieses mutmaßlichen Islamisten ist
nur die Krönung einer Reihe von Fehlern im Auswärti-
gen Amt. Der Volmer-Erlass gilt trotz aller Fortschrei-
bungen weiterhin. Es gilt noch immer: „im Zweifel für
die Reisefreiheit“, obwohl offenkundig ist, dass
Deutschland damit die Einreise für terroristische Gefah-
renpotenziale erleichtert.

Der Bundesinnenminister darf es nicht dulden, wenn
das Außenministerium vorsätzlich gegen die geltende
Rechtslage und gegen alle Gefährdungshinweise han-
delt. Gerade heute hat die „Welt“ wieder darüber berich-
tet, dass es eine explosionsartige Zunahme der Zahl von






(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Mantel

Strafanzeigen wegen der Erschleichung von Visa gab
und gegen fünf Bedienstete des Auswärtigen Amts Er-
mittlungsverfahren anhängig sind.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Der Bundeskanzler muss in dieser immer noch unge-

lösten Frage eingreifen und diesen Skandal beenden. Tut
er das nicht, zeigt er, dass auch für ihn die innere Sicher-
heit keine Priorität besitzt.


(Zuruf von der SPD: Oje! Oje!)

Um eines möchten wir den Kanzler bitten. Er soll das
nicht zur Chefsache machen, weil das eine Garantie da-
für wäre, dass es nicht funktioniert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist also kein Wunder, dass bei der inneren Sicher-

heit in der Koalition niemand auf den Bundesinnen-
minister hört. Wie wir wissen, gibt es fast keine Diskus-
sion, in der sich nicht ein anderes Kabinettsmitglied oder
ein Mitglied der Koalition für kompetenter hält als der
zuständige Minister. Das mussten wir den ganzen Som-
mer ja auch in der Wirtschafts- und Steuerpolitik mit-
erleben.

Folgendes Fazit lässt sich ziehen: Egal ob der Bun-
desinnenminister bei seinen Forderungen Unterstützung
von der Union erhält oder nicht – die Unterstützung in
den eigenen Reihen fehlt. Genau das ist das Kern-
problem der Innenpolitik in Deutschland.

Eines muss man deutlich sagen: Herr Schily macht in
vielen Bereichen gute Ankündigungen, in manchen Be-
reichen sehr gute Ankündigungen, doch allein davon
verbessert sich die innere Sicherheit noch nicht. Man
muss diese Ankündigungen auch durchsetzen. Aber die
Forderungen von ihm verhallen leider bereits an der
Pforte des eigenen Ministeriums. Sie verhallen in Ihrem
Geschrei, meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition; Ihnen ist sicherheitspolitisches Denken völlig
fremd.

Das Zuwanderungsgesetz ist allein dem Verhand-
lungswillen von CDU und CSU zu verdanken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun wird es aber lächerlich! – Dr. Max Stadler [FDP]: Jetzt haben wir etwas Neues erfahren!)


Seit den Anti-Terror-Paketen im Jahr 2001 hat der
Bundesinnenminister keine nennenswerten sicherheits-
relevanten Vorschläge mehr durchsetzen können. Über
ein drittes Anti-Terror-Paket redet in der Regierungskoa-
lition niemand mehr. Auch wenn es jetzt für Sie traurig
ist, meine Damen und Herren von Rot-Grün: Herr Schily
mag noch so viele gute Ideen haben, bei denen wir ihn
unterstützen würden – Sie tun es leider nicht. Der Volks-
mund sagt: Außer Spesen nix gewesen. Wir sagen hin-
sichtlich vieler Bereiche: Außer Ankündigungen nix ge-
wesen. Das tut uns weh.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512113300

Das Wort hat der Kollege Sebastian Edathy von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt kommt starkes Lob für den Bundesinnenminister! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sebastian, kann ich mal mit dir frühstücken?)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1512113400

Immer, immer!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen die
Rede von Frau Mantel gehört haben. Ein besseres Argu-
ment dafür, dass Fragen der inneren Sicherheit und der
Innenpolitik allgemein bei der Koalition in besseren
Händen sind als bei der größten Oppositionsfraktion,
hätten wir selber gar nicht präsentieren können. Danke
schön dafür!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist das zutage getreten, was man schon erwarten
konnte, als der Bundesinnenminister zu Beginn dieser
Debatte sagte, es sei verwunderlich, dass einerseits der
heimliche Führer der Opposition von CDU und CSU,
Herr Stoiber, pauschale Kürzungen von 5 Prozent einfor-
dert und Sie wohl andererseits bei Ihren Ausführungen
zum Einzelplan 06 – das haben Sie ja gemacht – eher hö-
here Ausgaben fordern würden gegenüber denen, die wir
angesetzt haben.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Die Ausgangslage ist entscheidend!)


Wir hätten in diesem Einzelplan 200 Millionen Euro we-
niger zur Verfügung, wenn wir der Forderung des baye-
rischen Ministerpräsidenten nach einer pauschalen Kür-
zung um 5 Prozent nachkommen würden.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister ist
auch Sportminister: Wenn widersprüchliches Verhalten,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, olympi-
sche Disziplin in Athen gewesen wäre, hätten Sie eine
zusätzliche Goldmedaille für Deutschland errungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Haushaltsentwurf spiegelt die Wahrnehmung po-
litischer Verantwortung wider. Das gilt mit Blick auf die
innere Sicherheit – der Kollege Hartmann hat das ausge-
führt – ebenso wie mit Blick auf gesellschafts- und inte-
grationspolitische Fragen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt loben Sie doch endlich einmal Ihren Minister!)


Mit der deutlichen Aufstockung der Mittel für das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterstrei-
chen wir beispielsweise, dass wir die Aufgaben der






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy

Gestaltung von Zuwanderung und der Heranführung von
Migrantinnen und Migranten an unsere Gesellschafts-
ordnung sehr ernst nehmen. Lange Zeit war eher die ge-
ballte Faust als die ausgestreckte Hand das Sinnbild
deutscher Migrationspolitik. Dieser Haushalt unter-
streicht schwarz auf weiß mit mehr Mitteln für Integra-
tionsmaßnahmen, dass wir diese konservative Tradition
aufgegeben haben und konstruktive rot-grüne Politik im
Interesse dieses Landes machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Meilenstein in Bezug auf die Integration
von Minderheiten in Deutschland wird die Verabschie-
dung des zur Beratung anstehenden Antidiskriminie-
rungsgesetzes sein. Das liegt zwar federführend nicht
im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers.
Ich denke aber, dass wir uns als Innenpolitiker im Deut-
schen Bundestag daran intensiv und konstruktiv beteili-
gen sollten. Wir wollen, dass Schluss damit gemacht
wird, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe der Weg in
die Diskothek verbaut wird. Wir wollen, dass Schluss
damit gemacht wird, dass Menschen wegen eines aus-
ländischen Nachnamens der Abschluss eines Versiche-
rungsvertrages erschwert wird. Auch das wird wie das
Zuwanderungsgesetz ein Baustein für ein weltoffenes
und tolerantes Deutschland sein, das vom Respekt vor
dem einzelnen Bürger und der einzelnen Bürgerin ge-
prägt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass sich diese Koalition der Verantwortung für die
Verteidigung unserer pluralistischen Gesellschaftsord-
nung stellt, in der Vielfalt nicht als Problem oder Risiko,
sondern als Bereicherung und Chance angesehen wird,
ist dem Haushaltsentwurf zu entnehmen. Das geht, um
ein Beispiel zu nennen, aus den Mitteln hervor, die im
Rahmen des vor einem Jahr ratifizierten Staatsvertrages
dem Zentralrat der Juden für die Unterstützung der Ent-
wicklung der jüdischen Gemeinden zur Verfügung ge-
stellt werden. Ich glaube, dass wir hier sicherlich einver-
nehmlich feststellen und uns darüber freuen können


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was ist mit den Liberalen?)


– Herr Koschyk, dazu wollte ich gerade etwas sagen –,
dass eine Einigung zwischen dem Zentralrat der Juden
und den nicht dem Zentralrat angehörenden jüdischen
Gemeinden in Deutschland erzielt wurde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Verantwortliches Handeln in dem Sinne, wie ich es
aufgezeigt habe, wird auch deutlich bei der Fortsetzung
der Finanzierung des Bündnisses für Demokratie und
Toleranz. Aus Mitteln des Bundeshaushaltes, nicht nur
aus denen des Bundesinnenministeriums, wurden in den
Jahren 2001 bis 2004 über 80 Millionen Euro für die
Prävention bzw. Bekämpfung von Rechtsextremismus
zur Verfügung gestellt. Lassen Sie mich deutlich sagen:
Wir dürfen hierbei nicht nachlassen. Im Gegenteil, wir
brauchen eine Verstetigung unseres Engagements; denn
es geht bei dieser Frage um nichts weniger als um die
demokratische Kultur in Deutschland, es geht um nichts
weniger als um den Kern der Demokratie in Deutsch-
land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch deshalb ist es falsch und unverantwortlich,
wenn im Nachgang zu den Wahlen im Saarland die Vor-
sitzende der CDU/CSU-Fraktion die deutsche Sozial-
demokratie mitverantwortlich macht für das erschre-
ckend starke Abschneiden der NPD im Saarland.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Pfui!)

Ich weise das für meine Fraktion nicht zuletzt angesichts
der Geschichte meiner Partei, aber auch, weil diese Be-
hauptung völlig abwegig ist, auf das Schärfste zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, statt
solchen Unsinn in die Welt zu setzen, hoffe ich, dass Sie
in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen auf etwas
verzichten, was Sie in den letzten beiden Jahren leider
gemacht haben, nämlich zu beantragen, die Mittel für die
Rechtsextremismusbekämpfung zu streichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Anlehnung an das, was Frau Kollegin Mantel hier
gesagt hat: Frau Kollegin Mantel, ich bin sehr dafür,
dass wir ohne Emotionen in aller Sachlichkeit darüber
diskutieren, ob das Demonstrationsrecht in Deutschland
ausreichend ausgestaltet ist. Aber mindestens so wichtig,
wie diese Debatte zu führen, ist doch, im Bereich der
Vorbeugung solcher Entwicklungen tätig zu werden und
diese nicht sträflich zu vernachlässigen. Dafür steht
diese Koalition auch mit ihrem Haushaltsentwurf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512113500

Herr Kollege Edathy, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Fricke?


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1512113600

Bitte.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1512113700

Herr Kollege Edathy, ich höre Ihre Worte wohl, was

die Frage angeht, einem wichtigen Problem, das in die-
sem Staate nicht wieder auftreten darf, vorzubeugen und
den Rechtsradikalismus an der Wurzel zu packen. Wie
beurteilen Sie aber vor diesem Hintergrund die Tatsache,
dass die entsprechenden Titel in den verschiedensten
Einzelplänen des Bundeshaushaltes von Ihrer Regierung
und mit Unterstützung der Koalition seit Jahren zurück-
geführt werden?






(A) (C)



(B) (D)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1512113800

Die Mittel für die Bekämpfung des Rechtsextremis-

mus, die wir im Bundeshaushalt haben, sind im Wesent-
lichen im Einzelplan der Ministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend verankert. Wenn Sie sich die
Entwicklung in den letzten Jahren dort anschauen, wer-
den Sie feststellen, dass wir, 2001 auf einem hohen Ni-
veau beginnend, eine stetige Förderung betrieben haben.
Ich gebe Ihnen aber Recht – das betrifft mit Blick auf
den Einzelplan 06 auch den Etatansatz für den Bereich
der politischen Bildung –, dass wir die Zeit, die wir als
Parlament und als diejenigen haben, die über diesen
Haushalt in der Endfassung zu beschließen haben wer-
den, dazu nutzen sollten, uns sehr genau mit der Frage
zu beschäftigen, ob wir es uns in der heutigen Zeit leis-
ten können, weniger politische Bildung zu betreiben. Ich
glaube, wir brauchen eher mehr politische Bildung, Herr
Kollege.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, dass wir da konstruktiv zusammenarbeiten
können.

Ich darf in dem Zusammenhang, weil ich, wie auch
andere Kollegen, aus Niedersachsen komme, darauf hin-
weisen, dass die dortige CDU-geführte Landesregierung,
nämlich die Regierung Wulff, als erste Landesregierung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über-
haupt auf den Gedanken gekommen ist, eine Landes-
zentrale für politische Bildung zu schließen; das soll
zum Jahresende geschehen.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Ein Skandal!)

Ich glaube, bei allen unterschiedlichen Positionen, die es
zwischen den Fraktionen und den Parteien gibt,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sollen wir stattdessen auf Aidsaufklärung verzichten oder Frauenhäuser schließen?)


sollten wir gemeinsam gemäß der Überzeugung handeln,
dass wir in diesem Bereich in unserem Engagement
nicht nachlassen dürfen, Herr Kollege Grindel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1512113900

Herr Kollege Edathy, erlauben Sie auch eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Grindel?

Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1512114000

Bitte.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Jetzt kommt der Populismus!)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1512114100

Herr Kollege Edathy, würden Sie bitte zur Kenntnis

nehmen, dass die jetzige niedersächsische Landesregie-
rung bis ins Jahr 2007 gezwungen sein wird, nicht ver-
fassungsgemäße Haushalte vorzulegen, weil sie bei
Amtsantritt einen Haushalt übernommen hat, der so voll
von Schulden war, dass es kaum noch Spielraum für
Sparmaßnahmen gibt, und würden Sie mir die Frage be-
antworten, ob Sie der Auffassung sind, lieber die Mittel
für Frauenhäuser, Aidsaufklärung oder andere Dinge zu
streichen, als diese zugegebenermaßen schwierige Ent-
scheidung zu treffen, zu der es aber keine Alternative
gibt?


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Millionen Euro für fehlgeleitete Reformen!)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1512114200

Herr Kollege Grindel, ich glaube, dass es immer poli-

tische Alternativen gibt, wenn man sie denn wollte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Welche denn?)


Wir sind ja hier nicht im niedersächsischen Landtag. Ich
wollte nur an einem Beispiel deutlich machen, dass wir
gemeinsam darauf achten sollten, keiner Entwicklung
Vorschub zu leisten, die in die falsche Richtung geht.
Wir sprechen hier auch nicht über den Landeshaushalt
von Niedersachsen; aber ich finde es, um ein Beispiel zu
nennen – wenn Sie schon auf Niedersachsen Bezug
nehmen –, sehr bezeichnend, dass im letzten Jahr der
Regierung Gabriel 700 000 Euro für 180 Projekte und
Initiativen gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen
zur Verfügung standen – –


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wenn ich so viel Schulden mache wie Herr Gabriel, kann ich mir das erlauben, das ist wahr!)


– Darf ich im Zusammenhang ausführen, Herr Kollege,
und können Sie vielleicht stehen bleiben, denn sonst
geht das von meiner Redezeit ab, obwohl ich gerade Ihre
Frage beantworte. – Dann halten Sie bitte noch einen
Moment die Uhr an, Herr Präsident, damit ich die Beant-
wortung der Frage des Kollegen Grindel abschließen
kann.

Wenn für knapp 200 Initiativen, die in Niedersachsen
vor Ort demokratische Kultur stärken und entwickeln
geholfen haben, im letzten Jahr der SPD-geführten Lan-
desregierung 700 000 Euro zur Verfügung standen, jetzt
aber nur noch 40 000 Euro zur Verfügung stehen sollen,
dann ist das eine Prioritätensetzung der neuen Landesre-
gierung, die den Bereich der Demokratiestärkung und
der politischen Bildung auf das Sträflichste vernachläs-
sigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Sparen für die Zukunft ist eine Prioritätensetzung, Herr Edathy!)


Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur
Heimkehrerstiftung und zum Bund der Vertriebenen sa-
gen. Sie werden bei einem Blick in den Haushaltsent-
wurf feststellen, dass trotz aller Sparnotwendigkeiten
eine Fortschreibung der Ansätze aus dem Jahre 2004 er-
folgt. Zusätzlich werden die Heimkehrerstiftung ebenso
wie die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge noch






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy

einen Zuschuss aus dem laufenden Haushalt bekommen.
Das hält die SPD-Fraktion für richtig. Ich sage aber zu-
gleich, dass der deutsche Steuerzahler erwarten können
muss, dass sich sowohl der Bund der Vertriebenen wie
auch der Verband der Heimkehrer von revanchistischen
und geschichtsrevisionistischen Positionen klar distan-
zieren.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: So wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung!)


Ich erlaube mir, aus einem gestern erschienenen Inter-
view mit dem polnischen Außenminister zu zitieren. Er
sagte:

Die Tätigkeiten des Bundes der Vertriebenen und
der Preußischen Treuhand verursachen einen riesi-
gen Schaden in den deutsch-polnischen Beziehun-
gen.

Er sagte weiter mit Blick auf Äußerungen aus der Union
zu der Rede von Bundeskanzler Schröder anlässlich des
Jahrestags des Aufstandes im Warschauer Getto:

Es wäre in politischer und menschlicher Hinsicht
wesentlich besser und klüger, wenn die Erklärung
des Kanzlers auch von der Opposition in Deutsch-
land, der CDU und CSU, unterstützt worden wäre.


(Beifall bei der SPD)

Beim Umgang mit der deutschen Geschichte darf

man nicht relativieren und verzerren. Wenn man sich
verschiedene Initiativen der Union im Innenausschuss
anschaut – die beispielsweise auf ein einheitliches Ge-
denkstättenkonzept für Einrichtungen aus der NS- und
SED-Diktatur sowie die Gleichsetzung der von Deut-
schen und Ausländern geleisteten Zwangsarbeit ab-
zielen –, dann muss man Zweifel haben, ob dieser Kon-
sens nach wie vor besteht.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Ich sage abschließend: Es ist gut, dass in diesem Land

SPD und Grüne für die Regierung und damit für die In-
nenpolitik Verantwortung tragen. Dass wir unter feder-
führender Zuständigkeit des Innenministers dieser Ver-
antwortung gerecht werden, zeigt sich nicht zuletzt im
Entwurf des Einzelplans 06 für das Jahr 2005.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512114300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Barthle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1512114400

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Herr Edathy, Ihre Ausführungen kom-
mentiere ich lieber nicht; das erspare ich Ihnen und auch
mir.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist aber schade!)

Das gilt übrigens für das meiste, was ich von Ihnen zu
lesen und zu hören bekomme.


(Beifall bei der CDU/CSU – Barbara Wittig [SPD]: Seit wann haben Sie ein so unflätiges Benehmen!)


Ich möchte Herrn Minister Schily ansprechen. Herr
Schily, ich würdige es ausdrücklich, dass Sie sich heute
zum Sport geäußert haben. Mein Appell hat gewirkt.
Wenn meine jetzige Rede genauso wirkt, dann bin ich
sehr zufrieden. Sie sind ein Sportminister, der sich bei
vielen großen Sportveranstaltungen sehen lässt. Das ist
in Ordnung. Ich vermute, Sie werden morgen Abend
beim Fussballländerspiel ebenfalls präsent sein. Ob das
nun zu der Wertung „bester Sportminister aller Zeiten“
führen muss, will ich unkommentiert lassen. Ich vermute
einmal, dass der Präsident des betreffenden Sportverban-
des, den auch ich sehr gut kenne und der ein cleverer
Mann ist, diesen Titel schon Ihrem Vorgänger und Ihrem
Vorvorgänger verliehen hat. Er sei Ihnen insofern ge-
gönnt.

Ich möchte an dieser Stelle meiner Fraktion und mei-
ner Kollegin Susi Jaffke dafür Dank sagen, dass wir die
Gelegenheit bekommen haben, zum Sport und zur Sport-
politik dieser Bundesregierung zu sprechen; denn die
vergangenen großen Sportereignisse – die Fußball-EM
in Portugal, die Tour de France und die Olympischen
Spiele in Athen – geben uns allen Anlass dazu. Ich will
Ihre Bewertung zwar nicht in Zweifel ziehen, Herr Mi-
nister Schily. Aber ich muss schon sagen, dass die Men-
schen draußen im Lande sehr wohl den Eindruck haben,
dass es mit der Situation unseres Spitzensports nicht
zum Allerbesten bestellt ist. Es gibt Licht und Schatten.
Ich meine aber, dass der Schatten dominiert. Die Men-
schen nehmen wahr, dass es eine kontinuierliche Ab-
wärtsbewegung gibt und dass wir immer mehr Gefahr
laufen, von der Weltspitze abgehängt zu werden. Das
deckt sich eigenartigerweise mit dem Erscheinungsbild
dieser Regierung.

Nun zum Sporthaushalt. Auf dem Papier sieht die be-
treffende Titelgruppe eigentlich gut aus: Die Mittel für
die Sportförderung steigen von 119 Millionen auf
128 Millionen Euro. Aber die wichtigen Kennzahlen
– nämlich die Mittel für zentrale Maßnahmen auf dem
Gebiet des Sports, die Projektförderung für das FES und
das IAT, die Mittel zur Erhaltung von Sportstätten und
für die Ausstattung des BISp – bewegen sich etwa auf
der gleichen Höhe wie im Vorjahr. Da wir nun alle wis-
sen, dass Stagnation angesichts steigender Kosten für
Personal und Mobilität Rückschritt bedeutet, kann man
diese Entwicklung nicht unbedingt loben.

Ich möchte ein weiteres Kapitel, den „Goldenen Plan
Ost“, ansprechen. Getreu der alljährlich wiederkehren-
den Zeremonie in dem Film „Dinner for one“ erscheint
mir die Aussage „The same procedure as every year,
Herr Minister“ gerechtfertigt. Zuerst wird dieser Haus-
haltstitel auf null gestellt, dann gibt es aus allen Ecken,
und zwar sowohl von der Opposition als auch von der
Regierungskoalition, Protest


(Zuruf von der FDP: Von Teilen der Opposition!)







(A) (C)



(B) (D)


Norbert Barthle

und zuletzt entscheidet der Bundeskanzler aus seiner hö-
heren Weisheit heraus, dass nun doch wieder Mittel ein-
gestellt werden sollen; so jedenfalls war es in der „Berli-
ner Zeitung“ zu lesen. Ich halte dieses Vorgehen für
ziemlich unzumutbar; denn Investitionen in die Sport-
infrastruktur bedürfen der Stetigkeit und der Verlässlich-
keit.


(Barbara Wittig [SPD]: Dafür haben wir jetzt den Solidarpakt! Da gibt es reichlich Mittel!)


Dieses von der Lust und Laune des Regierungschefs ab-
hängende Hin und Her ist unwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kommen wir jetzt zum eigentlichen Schatten, der

über Ihrem Sportetat hängt. Das ist die Tatsache, dass
trotz der Schieflage des Haushaltes zunächst einmal ein
Aufwuchs festzustellen ist, ein Aufwuchs allerdings, der
ausschließlich mit den enormen Ausgaben für die Fuß-
ballweltmeisterschaft zusammenhängt. Der Ansatz für
das kulturelle Begleitprogramm ist in diesem Jahr mit
10 Millionen Euro ausgestattet. Insgesamt sollen
30 Millionen Euro in dieses Programm fließen. Wir
Haushälter haben einstimmig beschlossen, dass im ers-
ten Jahr um 1 Million Euro gekürzt wird. Dennoch be-
trägt diese Summe wieder 30 Millionen Euro. Herr
Schily, das entspricht nicht dem Willen des Parlaments.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Schon deshalb, aber nicht nur deshalb, sondern auch
aus Gerechtigkeitsgründen empfehle ich Ihnen, wenn
Sie Kürzungsvorschläge suchen, an diesem Programm
anzusetzen. Denn zu Recht sagen Vertreter anderer
Sportarten: Warum bekommt eigentlich nur der Fußball
Mittel und nicht wir? Schon im kommenden Jahr findet
in Deutschland die Skiweltmeisterschaft und im Jahr
2007 findet in Deutschland die Handballweltmeister-
schaft statt. Dafür gibt es kein Geld. Deshalb ist diese
Frage gerechtfertigt.

Vollkommen aus dem Ruder läuft aber ein anderer
Titel. Das sind die geplanten 22 Millionen Euro für die
gesonderte Eröffnungsveranstaltung in Berlin am Vor-
abend der eigentlichen WM-Eröffnung in München.


(Barbara Wittig [SPD]: Das ist gut!)

22 Millionen Euro für ein von André Heller konzipiertes
Spektakel sozusagen am Vorabend der Bundestagswahl;
sagen wir es doch einmal deutlich.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Reine Regierungspropaganda!)


22 Millionen Euro für eine Fete der Bundesregierung auf
Kosten der Steuerzahler – und das bei diesen Haushalts-
zahlen. 22 Millionen Euro, das ist mehr, als wir für das
gesamte Leistungssportpersonal in allen Sportarten in
diesem Lande ausgeben. 22 Millionen Euro, das ist fast
so viel, wie wir für alle Olympiastützpunkte und Bun-
desleistungszentren zusammen ausgeben. 22 Millionen
Euro, das ist doppelt so viel, wie wir für zentrale Trai-
ningsmaßnahmen und Lehrgänge in allen Sportarten
ausgeben. 22 Millionen Euro, Herr Schily, das ist fast
zehnmal so viel, wie wir für die Förderung unserer be-
hinderten Sportler ausgeben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Freunden Mayer-Vorfelder und Beckenbauer darüber!)


22 Millionen Euro, das ist einfach zu viel.
Wenn ich mir nicht nur diese Summe, sondern auch

anschaue, wofür diese Mittel ausgegeben werden sollen,
dann entstehen bei mir wirklich Fragen; denn besonders
„erhellernd“ – wenn ich mir diesen Kalauer erlauben
darf – war ein Interview, dass Herr Heller im „Spiegel“
vom 30. August dieses Jahres gegeben hat. Meine Frage
an die Bundesregierung, wie es um die Details dieser Er-
öffnungsveranstaltung steht, blieb unbeantwortet. Meine
Antworten finde ich im „Spiegel“. O-Ton Heller – ich
zitiere mit der Erlaubnis der Präsidentin –:

Er treibt uns alle stets an, das Kühnste zu wagen.
Wenn ich den Korb gelegentlich ein bisserl tiefer
hängen will, kommt der Herr Minister und sagt:
Warum ein Kompromiss?

Herr Heller spricht von Ihnen, Herr Schily. Da klingt ein
Hang zum Gigantismus durch, den man Ihnen so eigent-
lich nicht zutraut. „Das Kühnste wagen“, eine schöne
Formulierung. Warum nicht in der Haushalts- und
Finanzpolitik? Das, denke ich, wäre angemessen. Bei
der Fußball-WM-Eröffnungsfeier ist mir das etwas zu
viel Gigantismus.

Dann soll diese Veranstaltung unter dem Motto „Die
Welt zu Gast bei Freunden“ stattfinden. Herr Heller be-
absichtigt, eine Veranstaltung mit internationalen Künst-
lern und Tausenden ausländischen Akteuren durchzufüh-
ren. Diese sollen aus Afrika, Asien und Südamerika, also
von überallher, kommen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr schön! Weltoffen!)


Stimmt da das Motto noch? Müsste es nicht heißen: „Die
Welt zu Gast bei Fremden“ oder „Deutschland zu Gast
bei Gästen“?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lächerlich! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das, denke ich, wäre angemessener.
Meine Damen und Herren, jede andere Nation auf

dieser Welt nutzt die Gelegenheit, sich selbst, seine
Menschen, seine Kultur, seine Identität und seine Künst-
ler darzustellen. Diese rot-grüne Regierung meint, mit
einem Multikulti-Spektakel könnten wir uns der Welt
besser präsentieren. Das halte ich für nicht angemessen;
da kann ich nur den Kopf schütteln.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Typisch!)


Bei allem Respekt: Ein selbstbewusstes Verhältnis zur
eigenen Nation, zur eigenen Nationalität gestehe ich
dem Minister zu, das hat er. Deshalb wundert mich diese
Konzeption so sehr.






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Barthle

Es soll übrigens noch etwas Weiteres geschehen: Aus-

gerechnet der Künstler Hans Haacke, dessen Werk wir
tagtäglich hier im Reichstag bewundern dürfen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir mit Mehrheit beschlossen!)


wurde damit beauftragt – ich zitiere noch einmal aus dem
Interview –, einen „unmissverständlichen Kommentar“
zur „historischen Hypothek von Hitlers Olympischen
Spielen 1936“ im Berliner Olympiastadion zu erarbeiten.
Wenn ich den Kommentar meiner Besuchergruppen höre
– den sollten auch Sie einmal hören –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Meine finden das gut! Es kommt immer darauf an, wie man das präsentiert!)


dann sehe ich im Nachhinein diejenigen bestätigt, die
damals gegen dieses Kunstwerk gestimmt haben.

Dass sich Herr Heller als Sporthasser outet und be-
kennt, dass er vom Fußball wenig hält, will ich hier nur
am Rande erwähnen, das ist nicht so wichtig. Ich finde
es aber schon interessant, dass er sagt, am Fußball inte-
ressierten ihn eher die Verlierer. Vielleicht erklärt das ja
das besondere Interesse der Bundesregierung an Herrn
Heller – und umgekehrt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Außerdem ist Demokratie anstrengend! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche Fußballer kommen zur WM, das wäre mal was Neues!)


Noch etwas: Im selben Interview antwortet Herr
Heller auf die Frage, ob denn nicht die Gefahr bestehe,
dass die Eröffnungsveranstaltung von der Regierung als
Öffentlichkeitsarbeit missbraucht werde, klar und deut-
lich, dass das aus professionellen Gründen gar nicht an-
ders gehe. In der Mathematik sagt man: Quod erat de-
monstrandum.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat das mit Mathematik zu tun?)


Ich glaube, die rot-grünen Haushaltspolitiker haben es
mit der Mathematik nicht so sehr, deshalb übersetze ich
diesen Ausspruch auch: Was zu beweisen war.

Ich fordere Sie auf, Herr Schily: Greifen Sie ein in
dieses falsche Konzept! Verabschieden Sie sich von die-
ser Politshow mit fragwürdigen Inhalten! Wenn schon
eine gesonderte Eröffnungsveranstaltung stattfinden soll,
dann allenfalls am Ort des Eröffnungsspiels und zu er-
heblich niedrigeren Kosten. Das wäre unser Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Beckenbauer im Trachtenrock! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lederhosenfetischist!)


– Dass von Ihrer Seite Schwachsinn kommt, das wussten
wir schon. Ich will das gar nicht aufgreifen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Benehmen Sie sich wenigstens!)

Abschließend ein Appell an Sie, Herr Minister, der
nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich gehört. Wenn ich
richtig lese, heißt es in einem Beitrag von Bärbel Krauß
in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 1. September, dass im
Bereich der Bundeswehr ein erheblicher Stellenabbau
von 12 Prozent für die Sportlerstellen geplant ist. 95 der
744 Sportlerstellen sollen angeblich gestrichen werden.
Von 25 Sportförderkompanien blieben dann nur noch 15
übrig. Herr Minister, sollte dies stimmen, dann bricht
uns eine der wichtigsten Stützen des Spitzensports weg.
Ich appelliere an Sie: Reden Sie mit Ihrem Kabinettskol-
legen Herrn Struck und verhindern Sie, dass das Wirk-
lichkeit wird! Denn ich befürchte, dass wir ansonsten im
Spitzensport bald ganz weg sind vom Fenster. Vielleicht
ist das aber auch die Parallele zu der rot-grünen Bundes-
regierung, die ich anfangs angesprochen habe.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr peinlich, diese Rede, sehr peinlich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512114500

Die Kollegin Petra Pau hat gebeten, ihre Rede zu Pro-

tokoll geben zu dürfen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann verfahren wir so.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Heute ist doch Dienstag! Da braucht sie nicht zur Montagsdemonstration!)


Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich lie-
gen nicht vor.

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Justiz. Das Wort hat zunächst
Frau Justizministerin Brigitte Zypries.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1512114600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist nicht nur Zeit für den Haushalt, sondern
auch für die Halbzeitbilanz der 15. Legislaturperiode
dieses Bundestages. Ich denke, diese Halbzeit kann sich,
was den Bereich des Justizministeriums angeht, durch-
aus sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben – das wissen Sie – unsere Arbeit im BMJ,
weil sie so vielfältig ist, in drei Bereiche aufgegliedert.
Den ersten Bereich haben wir genannt: Schutz der Bür-
gerinnen und Bürger vor Straftaten und die Verbesserung
der Opferrechte. Der zweite Bereich ist der große Be-
reich des Wirtschaftsrechtes und der Sicherung des
Standortes Deutschland und der Verbraucherrechte. Den
dritten Komplex könnte man mit „Modernisierung des
Rechtsstaats in unserer Gesellschaft insgesamt“ charak-
terisieren.

Im Hinblick auf den ersten Bereich möchte ich Sie
daran erinnern, dass wir hier das Opferrechtsreformge-
setz verabschiedet haben, das am 1. September dieses
Jahres in Kraft getreten ist. Es ist ein echter Fortschritt






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

beim Opferschutz. Wir alle können gemeinsam stolz da-
rauf sein, dass dies diesem Hause gelungen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechts
haben wir ganz konkret den Schutz der Opfer von sexu-
ellem Missbrauch verbessert. Durch die Anhebung der
Strafrahmen und die Einführung neuer Tatbestände in
diesem Bereich ebenso wie beim Handel mit kinderpor-
nographischem Material im Internet ist der Schutz jetzt
noch besser und lückenloser geworden. Sie wissen, dass
seit dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. April
letzten Jahres jede Sexualstraftat ausreichend ist – natür-
lich beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen –, da-
mit eine DNA-Analyse und -Speicherung angeordnet
werden kann. Das ist ein erheblicher Fortschritt bei der
Verfolgung gerade dieser Taten.

Wir haben uns auch – dafür möchte ich allen Beteilig-
ten danken – sehr schnell auf eine Einführung der nach-
träglichen Sicherungsverwahrung geeinigt. Dazu
waren wir durch das Bundesverfassungsgericht aufge-
fordert. Ich meine, wir haben ein Gesetz geschaffen, mit
dem wir angemessen auf Straftäter reagieren können, de-
ren Gefährlichkeit sich erst im Verlauf der Haft zeigt.
Bei diesem Gesetz haben wir aber auch die rechtsstaat-
lichen Standards zugunsten dieser Täter in einer Weise
abgesichert, wie es, so meine ich, nicht besser geht. Es
bedarf zweier Gutachter mit entsprechender Prognose
und das Gericht hat in einer Hauptverhandlung darüber
zu entscheiden.

Im Bereich der Terrorismusbekämpfung sind der EU-
Haftbefehl und der Rahmenbeschluss zur Terrorismus-
bekämpfung umgesetzt worden. Damit haben wir das In-
strumentarium insoweit ergänzt.

Ein Ziel unserer Rechtspolitik ist es auch, den Rah-
men für Innovationen und für die Weiterentwicklung
der Innovationen in Deutschland zu schaffen. Dabei ist
der Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeital-
ter natürlich ganz besonders wichtig. Deswegen haben
wir bereits in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode
das Urheberrecht der digitalen Welt angepasst. Wir ha-
ben, was auch in den Bereich der Entwicklung des Wirt-
schaftsrechts und zur Standortentwicklung in Deutsch-
land gehört, das Zehnpunkteprogramm für mehr
Anlegerschutz und Unternehmensintegrität aufgelegt.

Ich bin zuversichtlich hinsichtlich der Einführung von
mehr Transparenz. Ein wesentlicher Punkt dabei betrifft
das Einkommen von Managern und die Offenlegung ih-
rer individuellen Bezüge, über die wir gerade diskutieren
und die wir fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)


Schließlich ist es uns auch mit dem Ersten Justizmo-
dernisierungsgesetz gelungen, das aus dem Getriebe der
Justiz zu entfernen, was man gemeinhin als Sand be-
zeichnet, und stattdessen etwas Öl hineinzugießen. Viele
kleine und große Hemmnisse sind beseitigt worden. Das
gängigste Beispiel ist die Verlängerung der zehntägigen
Unterbrechungsmöglichkeit im Strafprozess. Nach der
Verabschiedung des Gesetzes haben uns übrigens viele
Anfragen von Strafrichtern erreicht, die das Gesetz so
schnell wie möglich im Bundesgesetzblatt sehen wollten
und darauf warteten. Dieser Wunsch konnte Ende letzten
Monats erfüllt werden. Seitdem ist das Gesetz in Kraft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Gesetz, das die Arbeit der ersten zwei
Jahre kennzeichnet und bei dem mein Dank für die Mit-
arbeit nicht nur an die Regierungsfraktionen geht, son-
dern auch an die Opposition und hier namentlich an die
Herren Röttgen und Funke, befasst sich mit der Einfüh-
rung eines neuen Kostenrechts bei der Anwaltschaft
und bei den Gerichten. Wir haben es in gemeinsamer
Aktivität geschafft, eine angemessene Gebührenerhö-
hung für Rechtsanwälte einzuführen. Wir haben damit
neue Strukturen geschaffen, die es ermöglichen, weg
von den Gerichten und hin zu vorgerichtlicher Einigung
zu kommen. Deshalb hoffen wir sehr, dass das Gesetz zu
einer strukturellen Entlastung der Gerichte beitragen
wird.

Natürlich werden wir uns nicht auf diesen Lorbeeren
– Sie sehen, es war schon ein erhebliches Programm, das
wir durchgesetzt haben – ausruhen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Lorbeeren!)


– Herr Röttgen, jetzt schmälern Sie Ihre eigenen Ver-
dienste, die ich gerade gelobt habe, nicht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: An dem Punkt mache ich eine Ausnahme!)


Wir haben auch in der zweiten Hälfte der Legislatur-
periode noch eine Menge vor. Ich möchte dazu jetzt nur
einige Stichpunkte nennen, die wieder in die anfangs ge-
nannten drei Rubriken einzuteilen sind.

Zunächst geht es um die Änderung der Wohnraum-
überwachung, ein Thema, das uns in dieser Form vom
Bundesverfassungsgericht vorgegeben wurde. Wir brau-
chen bis Mitte nächsten Jahres eine klare und rechts-
staatliche Antwort auf seine Entscheidung. Das lässt uns
nicht allzu viel Zeit für ein nicht einfaches Thema. Aber
die Diskussion hat begonnen. Ich bin zuversichtlich,
dass wir zu einem breiten Konsens kommen können. In
diesem Bereich werden wir das Begonnene also vollen-
den.

Das gilt auch für das Wirtschaftsrecht. Hier werden
wir die Reform des Bilanzrechts vorantreiben,


(Otto Fricke [FDP]: Hoffentlich auch beschließen!)


die Haftung von Vorständen für falsche Kapitalmarktin-
formationen verschärfen und die Durchsetzung von Kla-
gen geschädigter Anleger erleichtern, ein Ziel, das ge-
rade durch die Skandale der Vergangenheit besonders
dringlich geworden ist. Zum Bereich des Wirtschafts-
rechts gehört auch die Reform des Versicherungsver-
tragsrechts, die wir anpacken werden. Hierzu liegen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

Empfehlungen einer Expertenkommission vor. Im Mi-
nisterium wird derzeit der entsprechende Gesetzentwurf
erarbeitet.

Ganz oben auf die Tagesordnung gehört – hier bitte
ich das ganze Haus um Mithilfe – die Umsetzung der
Biopatentrichtlinie;


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Otto Fricke [FDP])


denn Deutschland ist schon in der Verfristung. Hier ap-
pelliere ich an alle Fraktionen; denn das ist, wenn ich das
einmal ganz offen sagen darf, kein Problem der Regie-
rungsfraktionen. Vielmehr ist es so, dass die Konflikte
bei diesen Themen quer durch alle Fraktionen gehen.
Daher muss auch niemand mit dem Finger auf den ande-
ren zeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen wäre ich sehr froh, wenn nach der Anhö-

rung, die für Ende dieses Monats geplant ist, zügig eine
Entscheidung getroffen werden könnte. Denn es macht
gar keinen Sinn, dass wir uns wegen Nichtumsetzung
der Richtlinie auf Schadenersatz verurteilen lassen, um
sie dann doch umzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Otto Fricke [FDP]: Kein Applaus von den Grünen!)


Meine Damen und Herren, alle Fraktionen werden
sich noch um die Reform des Betreuungsrechts zu küm-
mern haben, ein Vorhaben, das uns vor allen Dingen die
Länder angetragen haben und das sie besonders berührt,
weil sie die Kosten zu tragen haben. Auch hier müssen
wir bald und zügig zu einem Ergebnis kommen.

Ich werde Ihnen ferner eine Reform des Unterhalts-
rechts und des Versorgungsausgleichs vorlegen, mit der
wir auch in diesen Bereichen Ungerechtigkeiten, die sich
eingeschlichen haben, bereinigen wollen. Wir werden
den Vorschlag machen, ein „großes Familiengericht“
einzuführen. Außerdem werden wir das Lebenspartner-
schafts-Ergänzungsgesetz noch vorlegen.

Ein weiteres Thema ist die Stärkung der Patienten-
autonomie. Sie wissen, dass eine Debatte darüber begon-
nen wurde, wie weit Patientenverfügungen reichen sollen.
Auch in dieser Diskussion verlaufen die unterschiedli-
chen Meinungen quer durch alle Fraktionen. Diese De-
batte werden wir im zweiten Halbjahr dieses Jahres mit
größerer Intensität zu führen haben. Ich bin froh, dass die
Enquete-Kommission dazu einen Vorschlag gemacht hat.
Auch unser Haus hat hierzu eine hochrangig zusammen-
gesetzte Arbeitsgruppe eingesetzt. Somit haben wir ge-
nug Material, um über dieses Thema belastbar zu disku-
tieren.

Das Rechtsberatungsgesetz habe ich, wie Sie heute in
den Zeitungen lesen können, gestern der Presse vorge-
stellt. Dieser Gesetzentwurf wird ebenso wie der Diskus-
sionsentwurf zur Strafprozessordnung, der im Bera-
tungsverfahren steht, auf dem kommenden Juristentag in
Bonn debattiert werden. Ich bin froh, dass über diese
beiden großen Gesetzgebungsvorhaben, insbesondere
über die Änderung der Strafprozessordnung, mit vielen
Fachleuten sachgerecht diskutiert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer Punkt, an dem wir noch in diesem Jahr
hart werden arbeiten müssen, ist die Reform des föde-
ralen Systems. Sie wissen: Alle verfolgen das Ziel,
Deutschland europatauglicher zu machen; alle verfolgen
das Ziel einer Entflechtung der Zuständigkeiten von
Bundestag und Bundesrat. Wir meinen, dass wir dieses
Ziel auch weiter verfolgen sollten. Wir sollten es auch
mit aller Macht durchsetzen.

Deswegen sollten wir nicht allzu sehr auf die Ideen
der Länder eingehen und andere Verflechtungen schaf-
fen, indem wir das Zustimmungserfordernis in Art. 84
des Grundgesetzes durch ein Zustimmungserfordernis in
Art. 104 ersetzen und die Zuweisung von echten Kom-
petenztiteln durch Zugriffsrechte ergänzen, die teilweise,
wie die Länder fordern, unmittelbar in die Verfassung
geschrieben und teilweise einfachgesetzlich geregelt
werden sollen. Das ist nur eine neue Form von Vermi-
schung im Recht, die es dem Rechtsanwender nachge-
rade unmöglich macht, das Recht, das in seinem Bundes-
land gerade gilt, zu finden. So etwas können wir, glaube
ich, nicht unterstützen. Eines ist ganz sicher: Die Bevöl-
kerung in diesem Lande will das alles nicht.


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Bevölkerung in diesem Lande möchte klare und ein-
heitliche Regeln und es kann nicht sein – diese Gefahr
besteht nach der letzten Entscheidung aus Karlsruhe –,
dass es künftig einfacher ist, als Professor von Berlin
nach Madrid zu wechseln als von Berlin nach Saarlouis.
Das, meine Damen und Herren, müssen wir, meine ich,
zu vermeiden suchen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Soll Saarlouis jetzt eine Universität bekommen? Die Saarländer nehmen das wörtlich!)


– Da gibt es keine Universität? Aber in Saarbrücken gibt
es eine.

Ich wäre dankbar, wenn sich alle Beteiligten dieses
Hauses darauf verständigen könnten, dass die Interessen
des Bundestages insoweit gegenüber den Ländern ge-
wahrt werden müssen. Diese Frontenstellung, wenn ich
das einmal so nennen darf, erscheint mir manchmal nicht
richtig gewährleistet und es wäre schön, wir könnten da
stärker zueinander finden.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Auf beiden Seiten!)

Lassen Sie mich noch ein Wort zur zeitnahen Justiz-

gewährung sagen. Das ist ein wichtiges Thema und
gleichzeitig auch ein wichtiger Standortfaktor. Es macht
keinen Sinn, Gesetze zu machen, die gut und richtig
sind, die dann aber nicht umgesetzt werden können. Des-
halb braucht die Justiz die erforderlichen Ressourcen,
um in der Kürze der Zeit möglichst richtige Urteile zu
fällen. Dazu gehört nicht nur, dass die Themen, die wir
jetzt behandeln, in kürzerer Zeit abgearbeitet werden,
sondern dazu gehört auch, dass für die neuen Aufgaben,
die wir im Rahmen des europäischen Einigungsprozes-
ses übernehmen – ich weise hier nur auf die neuen Auf-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

gaben im Zusammenhang mit der Brüssel-IIa-Verord-
nung im Kindschafts- und Familienrecht hin –, die
erforderlichen finanziellen und personellen Mittel zur
Verfügung gestellt werden.

Der Entwurf für den Haushalt des Bundesministeri-
ums der Justiz im Jahr 2005, der Ihnen jetzt vorliegt, ist
ein Beleg dafür, meine ich wenigstens, dass wir beides
sinnvoll miteinander verbunden haben. Wir haben auf
der einen Seite 7 Millionen Euro eingespart und damit
zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes beigetragen,
andererseits haben wir es geschafft, die erforderliche
Personal- und Sachmittelausstattung zu gewährleisten.
Aufgrund einer sparsamen, umsichtigen und effizienten
Mittelverwendung der Justiz – wofür ich insbesondere
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken habe,
die darauf ja am meisten achten – war es möglich, die
Gesamtausgaben gegenüber dem Vorjahr abzusenken.
Mit Ausgaben von weniger als 339 Millionen Euro be-
trägt der Anteil des Justizhaushaltes an den Gesamtaus-
gaben des Bundeshaushaltes jetzt nicht mehr wie beim
letzten Mal 0,14 Prozent, sondern nur noch 0,13 Prozent.
Das Wort vom kleinen, aber feinen Justizhaushalt be-
wahrheitet sich also einmal mehr.

Es ist sehr erfreulich, dass sich dieser Haushalt na-
hezu selbst finanziert: Den Ausgaben, die ich eben ge-
nannt habe, stehen Einnahmen von über 322 Mil-
lionen Euro gegenüber. Das ist eine Deckungsquote von
95 Prozent. Diese erreichen wir vor allen Dingen durch
das Deutsche Patent- und Markenamt. Ich wäre dankbar,
wenn der Kollege Götzer, der nach mir für die CDU/
CSU reden wird, darstellen könnte, wie der Einsparvor-
schlag des Ministerpräsidenten Stoiber in Höhe von
5 Prozent im Haushalt des BMJ umgesetzt werden soll.
Das macht exakt 17 Millio-nen Euro, die wir bei der
Struktur des Haushaltes wirklich nur beim Deutschen
Patent- und Markenamt einsparen könnten, einem Amt,
das wir jetzt endlich, in unserer Regierungszeit – begon-
nen durch meine Vorgängerin, weitergeführt von mir –,
durch mehr Personal und vor allen Dingen die Einfüh-
rung von sehr guter EDV in die Lage versetzt haben,
zeitnah und schnell zu entscheiden. Dass die Patente
wichtig sind für den Standort Deutschland, ist, glaube
ich, unstreitig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass wir mit diesem Haushalt auch im
Jahre 2005 unsere Aufgaben bewältigen können; ich
denke aber auch, dass wir gemeinsam der Auffassung
sind, dass den Einsparbemühungen im Justizhaushalt,
wenn man den Grundsatz der effizienten Justizgewäh-
rung beachten will, irgendwann Grenzen gesetzt sind.
Über die sollten wir dann auch einmal gemeinsam reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512114700

Jetzt erteile ich dem schon genannten Abgeordneten

Dr. Wolfgang Götzer das Wort.

Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1512114800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Frau Justizministerin hat diese Haushalts-
debatte zu einer kleinen Zwischenbilanz genutzt. Das
liegt in der Mitte der Legislaturperiode ja nahe. Auch ich
will das tun. Es wird Sie nicht überraschen, dass sie ein
bisschen anders ausfallen wird.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Fair bleiben!)

– Keine Sorge. Ich werde die Wahrheit sagen. Sie ist
nicht immer angenehm, aber das ist fair.

Vor einem Jahr hatten wir noch Probleme, überhaupt
Ansatzpunkte für eine Beurteilung zu finden. Es war
mangels Gesetzentwürfen und Initiativen aus den Reihen
der Regierungskoalition wirklich schwierig, selbst nur
Kritikpunkte zu finden. Das hat sich inzwischen quanti-
tativ ein bisschen gebessert, inhaltlich allerdings kaum.

Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zu unserem
Arbeitsbereich: Uns allen ist klar, dass die Rechtspolitik
in der Öffentlichkeit nach wie vor kein großes Interesse
findet. Dass wir im Rahmen der Haushaltsdebatte heute
wieder zeitlich als Letzte an der Reihe sind, spricht wie so
oft Bände. Wir wissen aber gleichwohl, dass die Rechts-
politik sowohl in der Breite als auch in der Tiefe wie
kaum ein anderes Themenfeld bewusstseinsprägend und
auch ordnungsstiftend wirkt, wenn es sie denn gibt. So-
weit sie überhaupt stattfindet, fehlt ihr bei dieser Regie-
rung jedenfalls jegliche Konzeption.

Wir erleben eine Abfolge von Gesetzesinitiativen aus
unterschiedlichen Bereichen, die keine durchgehende
Linie oder eine über den Tag hinausweisende Zielrich-
tung in der Rechtspolitik erkennen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es immer noch nicht verstanden!)


Das, was vorgelegt wird, ist entweder lustlos fabriziert,
mit heißer Nadel genäht oder im Ankündigungsstadium
stecken geblieben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viel Lust brauchen Sie denn noch?)


Auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses muss man
Initiativen der Regierungskoalition immer noch mühsam
suchen. Meist geht es um die Kenntnisnahme irgendwel-
cher Berichte, mitberatende Voten oder, immer häufiger,
um europäische Richtlinien und Rahmenbeschlüsse so-
wie deren Umsetzung oder auch Nichtumsetzung.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr wichtig!)


Als konservativer Oppositionspolitiker ist es mir na-
türlich lieber, dass weniger passiert, bevor Rot-Grün die
Rechtspolitik als ideologische Spielwiese zur Gesell-
schaftsveränderung nutzt. Trotzdem bin ich der Mei-
nung, dass die Rechtspolitik so wenig Vorweisbares
auch nicht verdient hat.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Götzer

Sie sollte aus dem Schattendasein in dieser Bundesregie-
rung heraustreten,


(Beifall bei der CDU/CSU)

was allerdings schwierig ist, weil die ganze Bundes-
regierung ja nicht gerade von der Sonne verwöhnt ist.

Ich will aber auch nicht mit Lob sparen. Gelegentlich
war es möglich, Sie dazu zu bringen, mit uns zusammen
gemeinsame Gesetze zu formulieren und zu verabschie-
den.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziemlich anmaßend, was Sie da erzählen!)


Immerhin gehen die meisten der beschlossenen Gesetze
auf Initiativen der CDU/CSU oder des Bundesrats zu-
rück.


(Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Na, na! – Joachim Stünker [SPD]: Nennen Sie mal eines!)


So viel zum Lob.
Frau Ministerin, Sie haben die nachträgliche Siche-

rungsverwahrung erwähnt. Ich muss nicht noch einmal
auf die Einzelheiten dieses Themas eingehen, das uns
lange genug beschäftigt hat: jahrelange Verweigerungs-
haltung, Untätigkeit; dann waren Sie durch eine Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts gezwungen,
tätig zu werden; anschließend ein Schnellschuss mit gro-
ßen Lücken und Fehlern, dem wir nur aufgrund der
Zwangssituation, die ansonsten entstanden wäre, zuge-
stimmt haben.

Wie sich das im Sommerinterview der Frau Justiz-
ministerin mit der „NJW“-Redaktion liest, möchte ich
hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren:

In nur fünf Monaten haben Bundesregierung, Bun-
destag und Bundesrat die Vorgaben des BVerfG zu
diesem lang umstrittenen Problem umgesetzt.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist die reine Wahrheit!)

So kann man es auch darstellen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Leicht verkürzt!)


– Ja, leicht verkürzt. Es ist nicht unklar, aber leicht ver-
kürzt.

Ein weiteres eher trauriges Kapitel ist das Thema
Graffiti. Auch das möchte ich hier weiß Gott nicht mehr
inhaltlich erwähnen, weil es uns lang genug beschäftigt
hat.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein großer Punkt Ihrer Rechtspolitik! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist der einzige!)


Die Verhinderer sind bekannt. Sie sitzen hier mitten un-
ter uns. Sie haben ihren Platz in der Mitte dieses Hauses,
wo sie ideologisch überhaupt nicht hingehören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-

tion, haben Sie doch wenigstens den Mut, unseren Ge-
setzentwurf abzulehnen!


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nicht einmal den haben sie!)


Sie lassen ihn liegen und behandeln ihn nicht. Das ist ein
ganz schlechter parlamentarischer Stil.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten das zum Anlass nehmen, endlich eine Ände-
rung der Geschäftsordnung zu verlangen, damit so etwas
in Zukunft nicht mehr möglich ist. Nichtbehandlung
durch liegenlassen ist kein guter parlamentarischer Stil.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Blockade durch die Mehrheit!)


Auch bei der Reform des Sanktionensystems zeigt
sich die grundsätzlich problematische Einstellung von
Rot-Grün gerade zum Strafrecht. Künftig sollen kurze
Haftstrafen in gemeinnützige Arbeit umgewandelt wer-
den.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr vernünftig!)


Wir sehen ganz klar: Kurze Haftstrafen werden von den
Gerichten nur dann ohne Bewährung ausgesprochen,
wenn diese aus guten Gründen für den Täter nicht bzw.
nicht mehr infrage kommen. Für diesen Täterkreis ist ge-
meinnützige Arbeit keine angemessene Sanktion, zumal
in diesem Entwurf vorgesehen ist, dass die Umsetzung
der Haftstrafe in Arbeit nicht eins zu eins erfolgt. Eine
solche Verharmlosung der Strafandrohung zerstört jede
präventive Wirkung des Strafrechts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Andererseits schießt die Bundesregierung bei anderer

Gelegenheit weit über das Ziel hinaus, so etwa bei dem
kürzlich durch die Medien geisternden Referentenent-
wurf zur Erweiterung der heimlichen Gesprächsüber-
wachung. Mit diesem Entwurf, der offensichtlich zwi-
schen BMI und BMJ abgestimmt war, sollte das
Abhören von Ärzten, Journalisten, Rechtsanwälten und
sogar Pfarrern im Beichtstuhl in großem Umfang zuge-
lassen werden.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Damit wir uns recht verstehen: Wir sind dafür, das Straf-
maß für bestimmte Straftaten aus dem Bereich der orga-
nisierten Kriminalität so zu erhöhen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was wollen Sie denn nun?)


dass das Abhören auch nach dem entsprechenden Urteil
des Bundesverfassungsgerichts weiter möglich ist. Wir
sind bei jeder Verbesserung der Verbrechensbekämpfung
an Ihrer Seite, nicht aber, wenn rechtsstaatliche Grund-
sätze über Bord geworfen werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Götzer


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das steht in der Bilanz! Das musste gesagt werden!)


Wir sind ja froh, wenn einmal von Ihrer Seite Überle-
gungen zur schärferen Bekämpfung von Terror und
organisierter Kriminalität angestellt werden und es
nicht immer heißt: Die geltenden Gesetze reichen aus.
Aber dann beschäftigen Sie sich bitte einmal mit unseren
sicherheitspolitischen Forderungen. Da finden Sie eine
ganze Menge von sinnvollen und notwendigen Vorschlä-
gen. Führen Sie beispielsweise die Kronzeugenregelung
wieder ein!


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Alter Hut!)

– Das ist kein alter Hut, wie ein Oberlandesgericht vor
wenigen Monaten festgestellt hat.

Weiten Sie vor allem die Möglichkeiten der DNA-
Analyse aus, die sich immer mehr als eine der wirksams-
ten Waffen im Kampf gegen das Verbrechen herausstellt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch schon!)


– Nur sehr halbherzig haben Sie das gemacht, Herr Kol-
lege. Bayern liefert inzwischen rund ein Fünftel aller
DNA-Datensätze bundesweit.


(Otto Fricke [FDP]: Wundert Sie das?)

Ich kann dem bayerischen Innenminister Beckstein nur
zustimmen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unser Freund Beckstein!)


wenn er fordert, dass die DNA-Analyse nicht auf die jet-
zigen Deliktbereiche beschränkt bleiben darf, sondern
Standard bei der erkennungsdienstlichen Behandlung
werden muss.

Entschieden zu weit gehen Sie, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, mit der von Ihnen
geplanten Zulassung der Stiefkindadoption durch
gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Sinn und Zweck
des Adoptionsrechts ist der Schutz der Interessen des
Kindes, nicht der Eltern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Die vorgesehene Neuregelung hingegen – dies wird ganz
klar angesichts des gesellschaftspolitischen Kontextes,
in dem dies gerade die Befürworter des Gesetzes sehen
und sehen wollen – soll ein weiterer Schritt hin zur völli-
gen Gleichstellung homosexueller Paare sein. Um deren
Interessen geht es in diesem Gesetz, nicht um das Kin-
deswohl.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Das Kind wird lediglich instrumentalisiert, verehrte Kol-
leginnen und Kollegen von der SPD.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist glatte Ideologie, was Sie da verbreiten!)

Es wird seines zentralen Rechtes beraubt, nämlich des
Rechts auf Vater und Mutter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon finden Sie nichts im Gesetz!)


Damit wird die Grenze überschritten, die der in unserer
Verfassung verankerte besondere Schutz von Ehe und
Familie setzt.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das wird doch gar nicht infrage gestellt, Herr Götzer! Wir stellen doch die Ehe nicht infrage! Das ist doch Unsinn!)


– Da könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen
nennen, mit denen Sie Art. 6 des Grundgesetzes syste-
matisch aushöhlen. Das gilt vor allem für Ihren Koali-
tionspartner. Diese Vorstöße kommen weniger von der
SPD. Aber Sie sitzen schließlich in einem Boot und Sie
lassen es sich ja gefallen, was Ihr Koalitionspartner seit
Jahren beharrlich vorhat.

Kein Ruhmesblatt erwerben Sie sich, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, mit Ihrem Ge-
setzentwurf zum Thema Menschenhandel. Trotz völ-
kerrechtlicher und europarechtlicher Vorgaben aus den
Jahren 2000 und 2002, die Deutschland bis zum 1. Au-
gust dieses Jahres hätte umsetzen müssen, hat die Bun-
desregierung bis jetzt gebraucht, um schließlich einen
Entwurf vorzulegen. Auf die Idee, dabei auch die so ge-
nannten Freier zu bestrafen, die wissentlich die Lage von
zwangsweise nach Deutschland gebrachten und hier zur
Prostitution gezwungenen Frauen ausnutzen, ist Rot-
Grün überhaupt nicht gekommen. Der Gesetzentwurf
enthält hierzu kein Wort. Erst wir haben dieses Problem
thematisiert und einen entsprechenden Entwurf für einen
neuen Straftatbestand vorgelegt.

Bis heute nicht umgesetzt sind zwei EU-Antidiskri-
minierungsrichtlinien, weswegen die Europäische
Kommission inzwischen ein Vertragsverletzungsverfah-
ren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet
hat.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Noch eines! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Abgründe tun sich hier auf!)


Die Biopatentrichtlinie haben Sie, verehrte Frau Mi-
nisterin, vorher ja schon angesprochen. Das ist auch ein
Thema, das uns offensichtlich Jahr für Jahr begleitet und
nicht vom Tisch kommt.


(Otto Fricke [FDP]: Also, Sie wollen das jetzt umsetzen?)


– Was die Antidiskriminierungsrichtlinie angeht, Herr
Kollege, ist meine Begeisterung durchaus begrenzt,


(Otto Fricke [FDP]: Aber umsetzen wollen Sie sie schon?)


aber wir wollen natürlich ein ordnungsgemäßes Verfah-
ren haben.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein-
mal auf den Europäischen Haftbefehl zu sprechen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Götzer

kommen, den ja auch Sie, Frau Justizministerin, erwähnt
haben. Wir haben uns einer Harmonisierung letztlich
nicht verschlossen und deshalb dem Gesetzentwurf im
Ergebnis zugestimmt. Die Bedenken sind bereits geäu-
ßert worden, ich brauche sie nicht mehr zu erwähnen.
Ich habe dieses Thema nicht deswegen angesprochen
und auch nicht wegen der verspäteten Umsetzung, son-
dern um auf die grundsätzliche Problematik im Zusam-
menhang mit den aus Brüssel kommenden Richtlinien
und Rahmenbeschlüssen hinzuweisen: Ich halte diesen
Bereich für höchst unbefriedigend und dringend lö-
sungsbedürftig. Die Bundesregierung schenkt meines
Erachtens den aus Brüssel kommenden Vorgaben zu we-
nig und zu spät Beachtung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie versäumt es, rechtzeitig – das heißt: im Vorfeld – auf
die geplanten Vorhaben Einfluss zu nehmen und die
deutschen Interessen auch in der Rechtspolitik nachhal-
tig zu vertreten.

Auf der parlamentarischen Ebene ist darüber hinaus
festzustellen: Für uns Abgeordnete – ich glaube, das
empfinden alle, die damit befasst sind – besteht vor al-
lem und zuerst nach wie vor ein Informationsdefizit. Da-
ran hat auch die Einsetzung des Unterausschusses Euro-
parecht vor vielen Jahren nichts Wesentliches geändert.
Nach wie vor erfahren wir häufig zu spät von Brüsseler
Initiativen, um noch ausreichend diskutieren und ange-
messen handeln zu können. Was hier dringend Not tut,
ist eine Art Frühwarnsystem, um rechtzeitig agieren zu
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang auch

eine frühzeitige Unterrichtung der parlamentarischen
Gremien durch die Bundesregierung, Frau Ministerin.


(Brigitte Zypries, Bundesministerin: Erfolgt!)

– Das ist gut, wenn es denn so ist. Vielleicht sind wir
noch unterschiedlicher Auffassung, was „frühzeitig“ und
„umfassend“ angeht. Ich denke, hier lässt sich noch das
eine oder andere verbessern. Wir nehmen jedenfalls zur
Kenntnis, dass das Problem bereits erkannt ist.

Notwendig ist aber auch eine bessere Informationspo-
litik der EU-Organe und es ist höchste Zeit für ein eige-
nes Büro des Deutschen Bundestages in Brüssel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Neben dem Informationsdefizit haben wir weiter ein

Umsetzungsdefizit. Beispiele auch aus dieser Legislatur-
periode habe ich bereits genannt. Auch hierfür müssen
Vorkehrungen getroffen und Instrumentarien eingeführt
werden, um die Zeitpläne einzuhalten. Die Bundesregie-
rung müsste sich beispielsweise verpflichten, dem Deut-
schen Bundestag spätestens zwölf Monate vor Ablauf
der Umsetzungsfrist einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es
kann doch nicht sein, dass Deutschland bei der Umset-
zung von Richtlinien in der EU – vor der Erweiterung –
den zwölften Platz einnimmt. Ich will von diesem Vor-
wurf übrigens frühere Bundesregierungen keineswegs
ausnehmen.

(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Länder?)


Aber nur, weil es in diesem Punkt eine offensichtlich
langjährige Verhaltenskontinuität von Bundesregierun-
gen unterschiedlicher Zusammensetzung gibt, sollten
wir es trotzdem nicht einfach so hinnehmen und dabei
belassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier besteht dringender Bedarf, gemeinsam nach Lö-

sungswegen aus dieser Situation zu suchen. Das Ar-
beitsprogramm der Kommission für 2005, das für die
Mitgliedstaaten wieder umfangreiche Änderungen ge-
rade im Bereich des Zivilrechts und auch des Strafrechts
vorsieht, wäre ein geeignetes Betätigungsfeld dafür. Wir
bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit dabei ausdrücklich
an.

So weit eine kurze Zwischenbilanz der Rechtspolitik
dieser Bundesregierung aus Sicht der Union in dieser
ersten Lesung. Die zweite und dritte Lesung des Haus-
halts wird Gelegenheit bieten, weitere Felder anzuspre-
chen. Bis dahin könnten Sie, sehr verehrte Frau Ministe-
rin, und Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der
Regierungskoalition, die Zeit schon einmal sinnvoll nut-
zen und über Verbesserungen bei Ihrer Arbeit nachden-
ken. Eine gute Gelegenheit – ich möchte fast sagen: eine
Pflichtveranstaltung – ist der 65. Deutsche Juristentag,
der in der übernächsten Woche in Bonn stattfindet und
sich bekanntlich dem Thema widmet: „Was ist gute Ge-
setzgebung?“ Ich denke, dort können Sie eine Menge
lernen.

Ich bedanke mich.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Pflichtteil nahme für die Regierung!)


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512114900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jerzy Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512115000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

ginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Götzer, wir
diskutieren am Abend über den Justizhaushalt. Aber
schauen Sie auf die Ränge! Bürgerinnen und Bürger sind
noch da. So schlecht ist die Zeit für unsere Debatte nicht.
Wir werden draußen gehört.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nur nicht verstanden! – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Die Pressetribüne ist leer!)


Die Besetzung der Fraktionen ist vielleicht nicht gar so
gut. Ich aber freue mich, dass in unserer Fraktion sogar
eine Außenpolitikerin zu uns Rechtspolitikern gefunden
hat und dass Marianne Tritz bei uns ist während dieser
Debatte. Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte meine dritte Rede zum Haushalt und stelle

folgende Zahlen fest: Der Bundesjustizhaushalt – ich






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag

nehme den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts
hinzu – hat ein Volumen von 355 Millionen Euro. Im
Vergleich zum Gesamthaushalt von 255 Milliarden Euro
befinden wir uns hier im Bereich von 0,13 Promille. Wir
haben Ausgaben in Höhe von 338 Millionen Euro und
Einnahmen in Höhe von 322 Millionen Euro. Damit
werden die Ausgaben zu 95 Prozent von innen heraus
gedeckt. Bei einem solchen Haushaltsansatz brauchen
wir in der zweiten und dritten Lesung an einzelnen
Punkten nicht mehr groß herumzukritteln. Bei einem
solchen Haushaltsansatz ist es richtig, dem Bundesjus-
tizministerium Anerkennung und Dank für diese Haus-
haltsführung auszusprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


So klein der Haushalt auch ist, so wichtig ist das für
unser Land, was mit diesem Haushalt finanziert wird.
Vom Bundespatentgericht und dem Deutschen Patent-
und Markenamt bis zum Bundesverfassungsgericht leis-
ten die Institutionen ganz hervorragende Arbeit. Ich will,
ohne die anderen hintanzustellen, ganz besonders die
Bundesgerichte erwähnen. Sie praktizieren den Rechts-
staat, den die Verfassung und wir, das Parlament, mit un-
serer Arbeit vorgeben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ersetzen das Parlament manchmal!)


Von der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts, gerade der aus dem letzten Jahr, will ich ganz
gerne aus aktuellem Anlass das Urteil zur akustischen
Wohnraumüberwachung hervorheben. Dieses Urteil war
mutig, weil es scheinbar und vordergründig den Straf-
verfolgern Steine in den Weg gelegt hat;


(Otto Fricke [FDP]: Aber nur vordergründig!)

es war unbequem, weil für uns Parlamentarier eine ver-
fassungsgemäße Regelung der akustischen Wohnraum-
überwachung sicherlich nicht einfacher geworden ist.
Aber mit diesem Urteil war das Bundesverfassungsge-
richt ganz unbestechlich auf der Seite der Bürgerinnen
und Bürger und ihrer in ihrem Kern unantastbaren
Grund- und Menschenrechte. Ich finde, dass dieses Ur-
teil – wie auch die Urteile des Bundesgerichtshofes zu
den Terroristenverfahren in Hamburg – beweist, dass der
Rechtsstaat bei den Institutionen, die mit den Mitteln
dieses Haushalts bezahlt werden, in den besten Händen
ist. Zu sparen, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, gibt es bei einem Haushalt von 0,13 Promille
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Geld, das wir haben, brauchen wir für eine solide
Finanzierung und, so weit es nur möglich ist – davon bin
ich überzeugt –, für einen Aufwuchs im Justizbereich.
Ich will einen Gedanken aus meiner letzten Haushalts-
rede aufgreifen und sagen: Dank und Anerkennung an
die Institutionen der Bundesgerichte und anderer im Be-
reich des Justizministeriums ist das eine; wir müssen
aber für Geld, für Personal und für eine moderne Aus-
stattung auf diesem Gebiet sorgen, damit der Rechts-
schutz für die Bürgerinnen und Bürger sehr nah und ef-
fektiv vollzogen werden kann. Gerade durch die
Institutionen im Bereich des Justizhaushalts – ich greife
gerne das auf, was Sie, Herr Kollege Götzer, gesagt ha-
ben – wird die Arbeit geleistet, mit der wir uns in den eu-
ropäischen Einigungsprozess einbringen. Deswegen ist
es wichtig, dass wir auch in diesen Bereichen nicht nach-
lassen, dafür zu sorgen, dass das Geld vorhanden ist, da-
mit die Qualität stimmt, mit der Rechtsstaat und Rechts-
staatlichkeit in Deutschland ausgestattet sind.

Ich denke, man kann nicht den Bundesgerichten ein
Lob aussprechen, ohne gleichzeitig über die aktuelle De-
batte zur möglichen Zusammenlegung der Fachge-
richtsbarkeiten zu diskutieren. Es gibt dazu die ver-
schiedensten Modelle und Zielvorgaben. Ich glaube,
eines ist für meine Fraktion bzw. die rot-grüne Koalition
klar: Es darf keine Zusammenlegung von Fachgerichten
geben, bei der die Unabhängigkeit der Richter angetastet
und in Mitleidenschaft gezogen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das fängt bei der Versetzbarkeit an. Die Versetzbar-
keit wird zur Verschiebbarkeit. Das ist der Anfang vom
Ende jeglicher Unabhängigkeit der Richter. Deswegen
meinen wir, dass der Einsatz der Richter in ihren konkre-
ten Arbeitsfeldern nicht in die Hände der Politik gehört,
sondern der Präsidien der Gerichte selber. In diesem
Rahmen bewegt sich auch unser Vorschlag zur so ge-
nannten Zusammenlegung der Sozial- und Verwaltungs-
gerichtsbarkeit: beide Gerichtsbarkeiten unter ein ge-
meinsames Dach mit einem gemeinsamen Präsidium zu
stellen.

Ich will darauf hinweisen, dass die Fünfgliedrigkeit
der Fachgerichtsbarkeit in Deutschland zwar im Grund-
gesetz festgeschrieben ist; sie steht aber nicht unter einer
Ewigkeitsgarantie. Deswegen meine ich, dass wir sehr
wohl eine Diskussion darüber führen müssen, welche
Verbesserungen zu erwarten sind und welche Einbußen
wir dem gegenüberstellen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, dass wir gemeinsam – wir brauchen eine ge-
meinsame Abstimmung des Bundestages dafür – zu ei-
ner Lösung finden können, die in die Zukunft weist,
sachgerecht ist und die Rechtsstaatlichkeit in Deutsch-
land aufrechterhält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Dann bringen Sie es doch wenigstens einmal unter das Dach eines Ministeriums!)


Alles zusammen genommen ist meine Zwischenbi-
lanz: Die rot-grüne Rechtspolitik – Frau Bundesministe-
rin Zypries hat Bilanz und Ausblick vor Ihnen ausgebrei-
tet – ist voll in Fahrt.


(Lachen bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag

Sie beschweren sich, dass wir Ihnen jetzt zu viele Ge-
setzentwürfe vorlegen, meine Damen und Herren von
der Opposition.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Während es Ihnen vor einem Jahr zu wenige waren,
müssen Sie jetzt schwitzen und nacharbeiten, um das,
was wir Ihnen zur Bearbeitung vorlegen, zumindest zu
lesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Außer Ihnen schwitzt hier keiner!)


Ich hatte im Rahmen der Haushaltsdebatte über diese
Frage einen Disput mit dem werten Kollegen Fricke von
der FDP. Wir haben uns über die Frage des Jugendstraf-
vollzuggesetzes unterhalten.


(Otto Fricke [FDP]: Stimmt!)

Seit April liegt Ihnen ein Gesetzentwurf vor.


(Otto Fricke [FDP]: Immerhin!)

Dazu haben wir noch nichts gehört. Dabei handelt es
sich um den ersten Gesetzentwurf zu diesem Thema seit
vielen Jahren. Er stammt von uns, nicht von Ihnen. Sie
werden sich aber damit auseinander setzen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das ist nicht der erste!)


Zum Schluss will ich noch etwas zu der Frage ausfüh-
ren, was wir in unserer Rechtspolitik von der Opposition
übernehmen. Aus der Fülle der Beispiele, die sich dafür
anbieten, will ich das Justizmodernisierungsgesetz he-
rausgreifen. Wir haben in diesem Zusammenhang ver-
nünftige Vorschläge unterbreitet, vernünftig und ruhig
mit Ihnen diskutiert und Ihnen klar gemacht, dass Ihr
Justizbeschleunigungsgesetz nicht praktikabel und sinn-
voll ist. Daraufhin haben Sie Ihren Entwurf zurückgezo-
gen und unser Justizmodernisierungsgesetz unterstützt.
Wir haben es als „Erstes Justizmodernisierungsgesetz“
bezeichnet und sind so zu einem Ergebnis gekommen.
Eine solche Mitarbeit von Ihrer Seite wünsche ich mir
auch für die zweite Hälfte.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Weil Sie an der ersten Hälfte gar nicht beteiligt waren!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512115100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Fricke.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1512115200

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Kollege Montag, es ist richtig und es ist auch
gut, dass das Gesetz zustande gekommen ist. Wir haben
aber noch weitere Projekte im Strafvollzug vor uns, bei
denen es auch zu Ergebnissen kommen muss. Aber dazu
werden Sie – davon haben Sie uns ja überzeugt – sicher-
lich entsprechende Vorschläge vorlegen, um uns zum
Schwitzen zu bringen.

Die FDP-Fraktion ist froh, wenn sie ob möglichst vie-
ler vernünftiger rechtspolitischer Vorlagen der Regie-
rungskoalition oder der Regierung zum Schwitzen
kommt. Denn das wäre im Sinne unseres Rechtsstaats
und es wäre besser als das, was bisher passiert ist.


(Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Schwitzen statt Sitzen!)


Als Haushälter kann man eine einfache Frage stellen:
Wie viel kostet den Bundesbürger das Bundesjustizmi-
nisterium in seinem Einzelplan? Es kostet jeden Bundes-
bürger 20 Cent bezogen auf das ganze Jahr. Das sind
20 Cent für den Rechtsstaat und kein einziger Cent mehr.

Die von Ihnen beschriebene gute Entwicklung, Frau
Ministerin, dass die Höhe der Einnahmen inzwischen
nahezu der Höhe der Ausgaben entspricht, mag zwar
nett sein, aber Sie wissen genau, dass wir die gute Ein-
nahmesituation nur einer Cash Cow zu verdanken haben,
die ihren Sitz in München hat. Dabei handelt es sich um
das Deutsche Patent- und Markenamt, das diese Mittel
auswirft.

Ob wir das auf Dauer halten können, ist im Hinblick
auf die europäische Rechtsprechung fraglich. Wenn die
Einnahmen aus diesem Bereich wegbrechen sollten,
dann sehe ich nicht, dass Herr Diller das aus seinem
Haushalt bezahlen wird. Vielmehr wird dann Druck auf
unseren Einzelplan ausgeübt werden. Ob er diesen
Druck angesichts eines so knapp genähten Haushaltes
aushalten wird, wage ich – mit Verlaub – zu bezweifeln.

Wenn man über den Justizhaushalt diskutiert – Herr
Kollege Montag, hier komme ich auf das zurück, was
Sie gesagt haben –, dann muss man auch über diejenigen
reden, die Justiz betreiben, beispielsweise die Gerichte.
Da ich bei den Fachgerichtsbarkeiten eine ähnliche
Sichtweise habe, bitte ich die Koalition, noch einmal in
sich zu gehen und darüber nachzudenken, warum zwei
Fachgerichtsbarkeiten außerhalb des Justizministeriums
angesiedelt sind. Denn man darf nicht vergessen: Je
mehr Fachgerichtsbarkeiten außerhalb des Justizministe-
riums angesiedelt werden, desto mehr werden sie Über-
legungen anheim fallen, die nicht unbedingt etwas mit
dem Rechtsstaat zu tun haben und allgemeinen Einspar-
möglichkeiten geschuldet sind.

Herr Kollege Götzer, ich glaube, Sie haben selber ein-
gesehen, dass man nicht 5 Prozent des Justizhaushalts
einsparen kann.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Ich bin mir nicht sicher, wie Herr Stoiber seinen Vor-
schlag gemeint hat. Ich sehe hier jedenfalls eine Gefahr
für den Rechtsstaat. Denn wenn man knapp kalkuliert,
wenn man klare Kanten festlegt, wo sollen dann noch
5 Prozent eingespart werden?

Da Rechtsschutz nur aufgrund guter Rechtsberatung
möglich ist, möchte ich kurz das Rechtsberatungs-
gesetz ansprechen, das uns mit Sicherheit noch in den
nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird. Es ist






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke

richtig, dass wir dieses Gesetz modernisieren wollen.
Das ist sicherlich auch notwendig. Wir müssen uns in
diesem Bereich bestimmt von einigen althergebrachten
Dingen trennen. Aber eines möchte ich ganz klar und
deutlich sagen: Wir müssen wissen, wen wir mit diesem
Gesetz schützen wollen. Ich hatte in der Sommerpause
wieder Gelegenheit, ein wenig meinem Beruf als Anwalt
nachzugehen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Dazu hatten Sie Zeit?)


– Das ist eine Frage, wie viel Zeit man aufwendet, liebe
Kollegin. – Als Anwalt sage ich, dass wir es angesichts
der Anwaltsschwemme nie und nimmer schaffen wer-
den, Anwälte durch das Rechtsberatungsgesetz zu schüt-
zen. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig; denn ein
Anwalt kann angesichts der großen Konkurrenz nicht
mehr dadurch geschützt werden, dass er „kleinere
Dinge“ in einer vernünftigen Einnahme-Überschuss-
Rechnung darstellt. Das klappt einfach nicht mehr.

Was wir aber von einer guten Rechtsberatung, einer
guten Rechtsdienstleistung erwarten dürfen, ist ein Ver-
braucherschutz, der zwei Dinge ermöglicht: Der Ver-
braucher muss erstens wissen, an welchen Anwalt er
sich vertrauensvoll wenden kann, und muss zweitens si-
cher sein, dass er nicht ins Leere fällt, wenn der Anwalt
irrt, an den er sich gewendet hat. Ich bitte Sie, genau zu
prüfen, ob die von Ihnen geforderte Haftpflichtversiche-
rung hier wirklich ausreicht; denn wenn im Rechts-
schutzbereich ein Bürger ins Leere fällt und auf seinem
Schaden sitzen bleibt, dann ist das zum Schaden des ge-
samten Rechtsstaates.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte noch einen anderen Punkt im Zusammen-

hang mit dem Rechtsberatungsgesetz ansprechen. Ich
möchte im Rechtsberatungsbereich keine Interessen-
kollision; denn das zeichnet den Beruf des Anwalts aus.
Das mag zwar auch andere Berufsgruppen auszeichnen.
Aber ich sage Ihnen ganz klar: Eine Bank, eine Versiche-
rung oder ein Automobilklub wie der ADAC haben im-
mer eigene Interessen. Wenn wir nicht klarstellen, dass
es keine Kontroversen gibt, dann wird das Rechtsdienst-
leistungsgesetz im Zweifel nicht den Effekt erzielen, den
wir haben wollen.

Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei
dem wir von der FDP in den nächsten zwei Jahren noch
Reformbedarf sehen. Das ist die Telefonüberwachung,
die heute noch gar nicht erwähnt worden ist. Hier erwar-
ten wir einiges mehr. Hier wird sicherlich viel harte Ar-
beit notwendig sein. Aber hier muss sich etwas tun. Ich
bin gespannt, wie die Koalition das lösen wird.


(Beifall bei der FDP)

Die Reform des Jugendstrafvollzugs ist auf dem Weg.

Im Bereich der Untersuchungshaft ist der Weg der Re-
formen noch nicht beschritten worden. Das wird aber er-
forderlich sein. Im Bereich Graffitibekämpfung tut sich
noch immer nichts, wobei ich es wichtig finde, dass wir
regelmäßig alle zehn Sitzungswochen über das Thema
Graffiti reden. Vielleicht höhlt der stete Tropfen selbst
den ströbeleschen Stein irgendwann einmal aus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zum Abschluss noch Folgendes: Das Buch, welches

ich hier in der Hand halte, werden Sie sicherlich kennen,
Frau Ministerin, es ist das „Handbuch der Rechtsförm-
lichkeit“. Ein Justizhaushalt mit wenig Geld bedeutet,
dass man beim Personal auf das beschränkt ist, was noch
möglich ist. Das momentane Zusammenspiel von Bun-
destag und Bundesrat sowie die handwerklichen Män-
gel, die wir bei Gesetzen feststellen, deuten für mich an,
dass die Rechtsförmlichkeitsprüfung im Endeffekt
nicht mehr richtig erfolgt. Beim Verfassungsrecht und
beim Völkerrecht erfolgt sie zumindest nach außen – ob
sie nach innen durchgeführt wird, kann ich nicht beurtei-
len; das findet sich auch in dem Handbuch, das Ihre Vor-
gängerin in zweiter Auflage herausgegeben hat – über-
haupt nicht mehr.

Als Haushälter darf ich Sie nur bitten – auch im Hin-
blick auf den Schadensersatz, der uns bei der Biopatent-
richtlinie droht, und den Verstoß gegen alle möglichen
Stabilitätsrichtlinien, die für uns gelten –: Prüfen Sie ge-
nau und prüfen Sie auch fordernder! Lassen Sie sich im
Zweifel nicht – siehe Caroline-Urteil – durch unjuristi-
schen Rat in die falsche Richtung drängen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512115300

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1512115400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministe-
rin hat eine eindrucksvolle Bilanz der ersten zwei Jahre
dieser Legislaturperiode vorgelegt. Sie hat einen Aus-
blick auf das gegeben, was wir in den kommenden zwei
Jahren noch alles vor uns haben. Herr Kollege Götzer,
was Sie hier vorgetragen haben, hatte mit der Realität
wenig zu tun. Die Gespenster rot-grüner Rechtspolitik,
die Sie heute Abend hier durch den Reichstag haben rei-
ten lassen, waren nichts anderes als schwarze Ideologie.
Das will ich Ihnen dazu einmal sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, mehr ist dem nicht hinzuzufügen.
Der Kollege Fricke hat zu Recht darauf hingewiesen,

dass Ihr ehemaliger Kanzlerkandidat Stoiber den Vor-
schlag gemacht hat, bei diesem Haushalt noch einmal
5 Prozent einzusparen. Das Volumen des Einzelplans des
Bundesministeriums der Justiz beträgt 339 Millionen
Euro. Würden wir dem Vorschlag von Stoiber folgen,
müsste der Justizhaushalt um 17 Millionen Euro gekürzt
werden. Sie sollten uns bis zur zweiten und dritten Le-
sung sagen, wo wir das im Ergebnis machen sollen.






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker

Ihre Diskussionsbeiträge und vor allen Dingen Ihre

Novellierungsvorhaben – wir treffen uns diese Woche
wieder und wollen über Ihr Begehren, Herr Montag, und
unser Begehren reden, etwas beim Opferentschädi-
gungsgesetz zu machen – wären glaubwürdiger, wenn
Sie uns auf der anderen Seite sagten, wo wir weitere
17 Millionen Euro einsparen sollen. Wenn wir nämlich
unser gemeinsames Vorhaben umsetzen, dann werden
diese 17 Millionen Euro, die auf der einen Seite einge-
spart werden, auf der anderen Seite gleich wieder ausge-
geben. Handeln und Reden müssen also irgendwie in
Übereinstimmung gebracht werden. Das ist genau das,
was bei Ihnen auf der Strecke bleibt.

Herr Kollege Fricke, Sie haben ein Jugendstrafvoll-
zugsgesetz angemahnt. Sie haben uns dafür gelobt, dass
es jetzt da ist. Sie haben dieses schöne Beispiel mit den
20 Cent gebracht. Es bezog sich wohl auf den Bundes-
haushalt. Beim Jugendstrafvollzugsgesetz wird man
wieder einmal eines der großen Probleme der Rechts-
politik erleben: 16 Länder werden bei uns auf der Matte
stehen, sie werden uns sagen, wie teuer die Umsetzung
all der guten Vorschläge der Bundesjustizministerin ist,
und man wird erklären, warum man das so nicht wird
machen können. Herr Kollege Götzer, dann sind wir
wieder bei den Realitäten der Rechtspolitik. Denen soll-
ten wir uns dann einmal zuwenden.

Ich kann Ihnen heute Abend hier nur sagen: Wir, Rot-
Grün, sind – um einen größeren Bogen zu spannen – stolz
auf das, was wir in der Rechtspolitik seit 1998 erreicht
und auf den Weg gebracht haben. Wir haben nämlich
den Stillstand von 16 Jahren Kohl-Regierung überwun-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Seit 1998 hat die Rechtspolitik kein
Mauerblümchendasein mehr geführt, sondern sie steht
wiederholt im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Dis-
kurses.


(Otto Fricke [FDP]: Deswegen debattieren wir jetzt auch um 20 Uhr!)


Ich muss mich ein bisschen beeilen, weil mir meine
Vorredner ein bisschen Zeit weggenommen haben, wie
mir gesagt wurde.


(Otto Fricke [FDP]: Unsolidarisch!)

– Nein, nein. – Wir Sozialdemokraten haben heute
Abend noch ein Hoffest. Dahin wollen wir gleich noch.

Ein Punkt ist mir ganz wichtig. Ich bin dankbar dafür
und finde es gut, dass es uns gelungen ist – das haben
wir 1998 angestoßen –, dafür zu sorgen, dass die seit lan-
gem überfällige Reformdebatte in der Justiz jetzt endlich
auch in einem breiteren Feld und mit einem breiten Kon-
sens eröffnet worden ist. Kein anderes Thema beschäf-
tigt die Rechtspolitik in Bund und Ländern seit 50 Jah-
ren nämlich so sehr wie die Modernisierung der Justiz.
Wir alle wissen, wie weit wir in 50 Jahren gekommen
sind. Letzten Endes ist man im Schneckentempo voran-
gekommen.
Auch wir, Rot-Grün, haben seit 1998 lernen müssen,
wie zähflüssig in der Justiz Reformen voranzubringen
sind. Dabei ist die Judikative die dritte Säule der Gewal-
tenteilung in unserem Verfassungsaufbau. Deshalb ist
eine effektive, effiziente und transparente Gerichtsbar-
keit eine der Grundvoraussetzungen für gesellschaftli-
chen Frieden in einem demokratisch verfassten Staats-
wesen. Dies gilt umso mehr in Zeiten wie denen, in
denen wir leben, nämlich in Zeiten des Wandels und des
Umbruchs.

Die Justizgewährungspflicht des Staates im Privat-
rechtsverkehr der einzelnen Rechtssubjekte hat – die
Frau Ministerin hat darauf hingewiesen – ebenso Verfas-
sungsrang wie der Rechtsweg gegen hoheitliche Ent-
scheidungen des Staates. Sorge macht uns, dass wir zu-
nehmend feststellen müssen, dass wir das nicht mehr so
zügig umsetzen können, wie das in unserer Gesellschaft
notwendig wäre. Das ist ein Problem, das uns im Ergeb-
nis alle gemeinsam angeht und bei dem wir als Deut-
scher Bundestag gemeinsam, wie ich meine, an Lösun-
gen zu arbeiten haben. Deshalb ist nach meiner
Überzeugung eine große Justizreform unumgänglich; ich
betone: unumgänglich. Wir sollten gemeinsam über die
Frage der großen Justizreform reden.

Diese große Justizreform muss meines Erachtens
drei wesentliche Ziele erreichen: Wir wollen entschei-
den, was zukünftig wichtig ist. Das ist die Frage der
Konzentration. Wir wollen einfach und klar arbeiten, da-
mit die Bevölkerung die Justiz versteht. Das ist die Frage
der Deregulierung. Wir wollen abgeben, denke ich, was
andere ökonomischer erledigen können.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Ihr solltet die Regierungsgeschäfte abgeben!)


Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir vor der Som-
merpause gemeinsam schon ein so genanntes Erstes
Justizmodernisierungsgesetz haben verabschieden kön-
nen. Aus der Erfahrung der guten Zusammenarbeit da-
bei, Herr Kollege Röttgen, bitte ich Sie, dass wir die Ar-
beit und die Diskussion aufnehmen, um in dieser
Legislaturperiode möglichst noch zu einem Zweiten Jus-
tizmodernisierungsgesetz zu kommen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das haben wir eh schon gesagt!)


Ich möchte den Gedanken aufnehmen, den Herr
Montag schon geäußert hat. Ich bin der Justizminister-
konferenz sehr dankbar dafür, dass sie auf ihrer Tagung
vom 17. bis 18. Juni dieses Jahres in Bremen einen, wie
ich finde, wirklich wichtigen Ansatz für eine grundle-
gende Strukturreform beschlossen hat. Zum Thema der
Errichtung einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen
Fachgerichtsbarkeit hat die Konferenz wie folgt be-
schlossen: Wir sprechen uns für die Schaffung einer bun-
desrechtlichen Länderöffnungsklausel aus, die es den
Ländern ermöglichen soll, Fachgerichtsbarkeiten zusam-
menzuführen. – Es geht nicht darum, zusammenzulegen,
sondern darum, zusammenzuführen, das heißt im Ergeb-
nis, kooperativ zu führen. Das ist der entscheidende Un-
terschied dabei.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Jeder macht, was er will!)







(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker

Die Länder Baden-Württemberg und Sachsen, Herr

Kollege Röttgen, haben in Vollzug dieses Beschlusses
zwischenzeitlich einen entsprechenden Vorschlag im
Bundesrat eingebracht. Dieser Ansatz einer Strukturre-
form ist nach meiner festen Überzeugung zu unterstüt-
zen. Ich betone das mit Nachdruck und sage das im Wis-
sen um die Probleme und auch im Wissen um die
Gegner einer solchen Reform.

Wir haben in Deutschland circa 20 900 Richterinnen
und Richter. Hiervon arbeiten in der ordentlichen Ge-
richtsbarkeit 15 456, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
2 316, in der Sozialgerichtsbarkeit 1 274 und in der
Finanzgerichtsbarkeit 661. Dass die kooperative Zusam-
menfügung dieser drei zuletzt genannten Gerichtsbarkei-
ten unter einem organisatorischen Dach personalwirt-
schaftliche Vorteile für die Länder hat


(Otto Fricke [FDP]: Und für den Bund?)

und auch Synergieeffekte mit sich bringt, ist letztlich un-
abweisbar; das kann niemand bestreiten.

Deshalb bedauere ich sehr, Herr Kollege Röttgen,
dass Sie am 8. Juli dieses Jahres mit einigen Sprecher-
kollegen Ihrer Fraktion diesen Vorschlag der beiden
Länder bereits in Bausch und Bogen abgelehnt haben,
bevor die Diskussion überhaupt begonnen hat.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Mit guten Gründen!)


Ihre Begründung war vordergründig populistisch – wir
stehen vor wichtigen Landtagswahlen – und nichts ande-
res, Herr Kollege Röttgen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ich bin auch nächstes Jahr dagegen!)


Sie war in sich auch nicht stimmig. Die Frau Ministerin
hat schon darauf hingewiesen: Wenn Sie im Rahmen un-
serer Diskussion in der Föderalismuskommission verfas-
sungsunmittelbare Zugriffe der Länder befürworten,
dann können Sie einer solchen Öffnungsklausel inhalt-
lich nicht widersprechen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das hängt doch vom Gegenstand ab!)


Das hat keine Stringenz und macht auch keinen Sinn,
Herr Kollege Röttgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist einfach schädlich und schade, wenn wir die Fragen
der Modernisierung der Justiz dem Populismus ausset-
zen und der Alltagspolitik überlassen; denn dann kom-
men wir in der Modernisierung nicht weiter.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512115500

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Röttgen? An sich ist Ihre Redezeit schon abgelaufen.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1512115600

Natürlich. Herrn Röttgen gestatte ich das immer gern.

Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1512115700

Das ist eine solidarische Aktion, um Ihre Redezeit et-

was zu verlängern.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das verlängert doch das ganze Drama hier!)

Herr Kollege Stünker, wir haben Argumente für diese

Position vorgetragen und in die Diskussion eingebracht.
Ich glaube, es ist legitim, wenn jeder seine Position ver-
tritt. Es kann aber nicht sein, dass die einen Gesetzesent-
würfe einbringen und die anderen dazu keine Meinung
haben dürfen. Wir haben argumentativ Position bezogen.
Die Neigung, eine solche vorschnell als populistisch
oder sonst was zu verurteilen, sollte man vielleicht eher
unterdrücken.

Nun komme ich zu meiner Frage. In der Föderalismus-
debatte, die Sie angesprochen haben, haben Sie ja große
Vorbehalte gegenüber den Zugriffsrechten geäußert. Sie
machen ja auch keinen Vorschlag, wie das Gerichtswesen
in der Bundesrepublik Deutschland bundeseinheitlich or-
ganisiert werden kann, sondern Sie unterstützen und be-
fürworten den Vorschlag der Länder, eine Öffnungsklau-
sel einzuführen, also dass jedes Land für sich selbst
entscheiden soll, wie es das öffentlich-rechtliche Ge-
richtswesen organisiert. Sind Sie nun der Auffassung,
dass wir das Gerichtswesen föderalisieren, also die ent-
sprechende Gesetzgebungskompetenz den Ländern über-
tragen sollen, oder sind Sie nicht dieser Auffassung?


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1512115800

Ich bin natürlich nicht dieser Auffassung, Herr Kol-

lege Röttgen. Ich habe erstens darauf hingewiesen, dass
es nicht stimmig ist, wenn Sie im Zusammenhang mit
der Öffnungsklausel eine gewisse Zersplitterung bekla-
gen,


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: An dieser Stelle!)


obwohl sich eine ganz andere Zersplitterung durch die
Einführung der von Ihnen befürworteten verfassungsun-
mittelbaren Zugriffsrechte im materiellen Recht ergäbe.
Natürlich wünsche ich mir keine Zersplitterung.

Das Zweite ist – das wissen Sie genauso gut wie ich –,
dass eine Öffnungsklausel immer der erste Fuß in der Tür
ist, um auf lange Sicht zu dem Ergebnis zu kommen, das
man sich letztendlich wünscht. So verstehe ich die Funk-
tion von Öffnungsklauseln, von denen wir ja auch schon
in anderen Bereichen Gebrauch gemacht haben.

Lassen Sie mich von daher noch einmal sagen: Mir
liegt es wirklich am Herzen, hier in diesem Parlament
bei der Diskussion über eine Modernisierung der Justiz
voranzukommen. Wir sind in den letzten Jahren ein gu-
tes Stück weit vorangekommen, nachdem wir 50 Jahre
hinterhergehinkt und im Grunde keine großen Ergeb-
nisse erzielt haben. Es wäre eine große Leistung, wenn
wir gemeinsam zumindest die ersten Schritte gehen wür-
den. Diese sind einfach dringend notwendig vor dem
Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung, die wir
heute haben bzw. die wir noch vor uns haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512115900

Jetzt hat noch einmal der Kollege Norbert Barthle das

Wort.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1512116000

Danke, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Es ist gut, dass ich heute zum Ab-
schluss eines langen Tages der Debatten über den Bun-
deshaushalt 2005 als Haushälter zum Justizhaushalt
reden darf. Ich nehme nämlich an, das gibt einen doch
etwas versöhnlicheren Abschluss.

Es war heute ja viel die Rede von einem offenkundig
verfassungswidrigen und unsoliden Haushaltsentwurf
sowie von Makulatur. Von daher ist es ganz gut, am
Abend dieses Tages über ein kleines feines Ministerium
mit unbeugsamen Staatsdienern zu sprechen, das sich
wie Asterix standhaft dem Trend zu immer höherer
Staatsverschuldung widersetzt. Da, Frau Zypries, ist es
wohl am besten, wenn ich die Zahlen sprechen lasse,
denn sie sprechen für sich. Ihre Einnahmen, die rund
95 Prozent des Etats abdecken, sollen 2005 von 312 auf
322 Millionen Euro steigen. Gleichzeitig ist ein Rück-
gang der Gesamtausgaben von 340 auf 338 Millionen
Euro vorgesehen.


(Waltraud Lehn [SPD]: Das wissen wir aber schon!)


Vorausgesetzt, dass Ihre Zahlen stimmen und nicht wie
bei Herrn Eichel die Ausgaben heruntergerechnet und
die Einnahmen hochgerechnet wurden,


(Zurufe von der SPD)

möchte ich Sie auch im Namen der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion ganz herzlich zu Ihrem Musterhaushalt be-
glückwünschen. Ich meine sogar, es wäre ganz gut,
wenn der Herr Diller Ihren Haushalt allen Kabinettskol-
legen als Bettlektüre zur Verfügung stellen würde. Das
wäre vielleicht eine Möglichkeit, davon zu lernen.


(Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Er hat ja gar keine Ahnung, wer den Haushalt aufstellt!)


Wenn man sich den Haushalt anschaut, stellt man fest,
dass sich kaum Veränderungen gegenüber dem Vorjah-
resentwurf ergeben haben. Das ist so in Ordnung. Bei
vielen Ansätzen – sächliche Ausgaben, Personalausga-
ben usw. – sind wir nämlich sozusagen am Rande des-
sen, was machbar ist. Es gibt nurmehr wenige Möglich-
keiten für Einsparvorschläge. Ich denke an IT-Ausgaben
und Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. Wir werden
dementsprechende Vorschläge machen.

Für die Öffentlichkeitsarbeit haben Sie 263 000 Euro
vorgesehen. Das ist im Vergleich zu anderen Ministerien
wohltuend wenig. Viel sparen lässt sich da sicherlich
nicht,


(Brigitte Zypries, Bundesministerin: Nein, gar nichts!)


denn der Etat ist nicht hoch. Aber auch Kleinvieh macht
bekanntlich Mist.

(Karl Diller, Parl. Staatssekretär: 17 Millionen will er streichen!)


Wenn ich mir den Haushalt des Generalbundesan-
walts anschaue, finde ich allerdings schon noch einen
kleinen Schönheitsfleck in Ihrem Etat. Seit ich Haushäl-
ter bin, genau seit zwei Jahren, argumentiere ich immer
gegen einen bestimmten Titel, und zwar gegen den Titel
„Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer
Gewalt“. Ich meine nach wie vor, dass dieser Titel Aus-
druck einer ideologisch bedingten Einäugigkeit der rot-
grünen Bundesregierung ist. Die Ausführungen des Kol-
legen Edathy, der nicht mehr unter uns ist, haben mich in
dieser Auffassung bestätigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich allerdings sehe, dass Sie für diesen Titel nur

noch 500 000 Euro vorgesehen haben, für den ursprüng-
lich einmal 5 Millionen Euro angesetzt waren, dann bin
ich zuversichtlich, dass er im nächsten Haushalt vollends
ausläuft. Und seien wir ehrlich: Eigentlich war er schon
immer als Steinbruch für die Umsetzung der globalen
Minderausgabe vorgesehen. Insofern war es vielleicht
ganz gut, dass es ihn gab; aber der Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit dient das nicht.

Auch dieses Jahr droht dem Justizetat eine globale
Minderausgabe von 3 Millionen Euro. Ich bin gespannt
auf Ihre Vorschläge, Frau Ministerin. Ich sehe, wie ge-
sagt, nur wenige Bereiche, in denen Sie noch sparen
können. Beim Deutschen Patent- und Markenamt
können wir mit Sicherheit nicht sparen; denn damit wür-
den Sie die Kuh schlachten, von deren Milch Sie leben.
Das DPMA hat – das wurde schon gesagt – im kommen-
den Jahr erhöhte Einnahmen zu erwarten. Deshalb muss
es unser Bemühen sein, die Arbeitsmöglichkeiten des
DPMA kontinuierlich und stetig zu verbessern. Ich bin
froh, dass Sie unseren diesbezüglichen Anregungen auch
immer gefolgt sind.

Ein Blick auf die Zahl der Patentanmeldungen zeigt,
dass in den ersten sieben Monaten des Jahres 2004 ge-
genüber dem Vorjahr eine Steigerung von 5 Prozent zu
verzeichnen ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben Sie aber nicht zu vertreten!)


Das heißt, in diesem Land gibt es nach wie vor Kreativi-
tät und ein hohes Potenzial an Erfindungsgeist.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Wegen der rot-grünen Wirtschaftspolitik!)


Nebenbei bemerkt liegt Baden-Württemberg da ganz
vorne und in Baden-Württemberg liegt mein Heimat-
kreis, der Ostalbkreis, ganz vorne. Wir sind das Land der
Tüftler und Denker, eine Region für Patente und Talente,
und so soll es auch bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass das Deutsche Patent- und Markenamt auch ein

Exportschlager ist, wissen wir. Wir konnten uns erst un-
längst in China davon überzeugen, dass viele uns in die-






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Barthle
sem Bereich nacheifern. Deshalb kann ich Sie nur be-
stärken, dort nicht zu sparen.

Insofern glaube ich, dass der Entwurf des Einzel-
plans 07 eine gute Beratungsgrundlage darstellt. Den-
noch darf ich Ihnen zusichern, dass wir von der Union
uns an allen Bemühungen, einen verfassungsgemäßen
Haushalt vorzulegen, konstruktiv beteiligen werden.
Wir von der Union werden auch zu Ihrem Haushalt Ein-
sparvorschläge machen, wenn auch nicht in der Größen-
ordnung von 3 Prozent, wie es dem Beschluss unserer
Arbeitsgruppe entsprechen würde. Es ist klar, dass das
in Ihrem Etat nicht machbar ist. Aber wenn man sparen
will, kann man ein bisschen auch bei Ihnen sparen. Wo
ernsthaft gespart werden soll, finden sich auch Berei-
che, in denen Einsparvorschläge realisiert werden kön-
nen. Das gilt auch für Ihr so mustergültiges Ministe-
rium.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Sinne wünsche ich uns erfolgreiche Bera-
tungen. Ich bedanke mich für die Geduld nach diesem
langen Tag und wünsche noch einen schönen Abend –
vielleicht bei den Bayern, denn die feiern heute den Ein-
stieg ins Oktoberfest.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1512116100

Ich glaube, an diesem schönen Sommerabend gibt es

ein paar Angebote.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind da-

mit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf morgen, Mittwoch, den 8. September,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Schönen Abend!