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    Plenarprotokoll 15/121 Tagesordnungspunkt 11: Haushaltsausschusses zu dem Antrag des
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    Berichtigung 118. Sitzung, Seite 10848 (D), dritter Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Ich nehme zustim- mend zur Kenntnis, dass der Entwurf der Management- antwort auf den Salim-Report bereits eine Reihe von An- regungen konstruktiv aufgreift.“ Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 11073 (A) (C) (B) (D) ten Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeits- markt – Hartz IV –, das als Ergebnis der Beratungen des zugewiesenen Aufgaben besonders in den Problemregio- nen des Arbeitsmarktes nicht erwartet werden kann. Ich kann dem Kommunalen Optionsgesetz zum Vier- beschäftigt, dass eine angemessene Verwaltung der neu Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Christoph Bergner (CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur optionalen Trägerschaft der Kom- munen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz- buch (Kommunales Optionsgesetz) (119. Sit- zung, Zusatztagesordnungspunkt 12) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Barthel (Berlin), Eckhardt SPD 07.09.2004 Bindig, Rudolf SPD 07.09.2004* Dr. Guttmacher, Karlheinz FDP 07.09.2004 Kumpf, Ute SPD 07.09.2004 Lintner, Eduard CDU/CSU 07.09.2004* Meckel, Markus SPD 07.09.2004 Raidel, Hans CDU/CSU 07.09.2004** Schauerte, Hartmut CDU/CSU 07.09.2004 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 07.09.2004 Schöler, Walter SPD 07.09.2004 Schösser, Fritz SPD 07.09.2004 Schreck, Wilfried SPD 07.09.2004 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 07.09.2004 Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 07.09.2004 Schwanitz, Rolf SPD 07.09.2004 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 07.09.2004 Anlagen zum Stenografischen Bericht Vermittlungsausschusses vom 30. Juni 2004 dem Deut- schen Bundestag zugeleitet wurde, nicht zustimmen. Ich verweise auf die unzureichende Umsetzung des Grund- satzes „Fördern und Fordern“, auf die die CDU/CSU- Fraktion an anderer Stelle aufmerksam macht – Druck- sache 15/3541. Mein Haupteinwand besteht jedoch darin, dass der damit erreichte Stand der Gesetzgebung nicht ausreicht, um einen verantwortbaren Reformverlauf zu sichern. Das vorliegende Gesetz hat insbesondere für Regio- nen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit erhebliche Aus- wirkungen, indem es die Modalitäten der Trägerverant- wortung festlegt, den Finanzausgleich praktisch abschließend regelt und damit auch den Zeitpunkt der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 endgültig fixiert. In der kurzen Prüfungszeit, die zwischen Vorlage des Vermittlungsergebnisses und der Entscheidung über mein Abstimmungsverhalten zur Verfügung stand, bin ich angesichts der weiterreichenden Konsequenzen des Gesetzes zu dem Schluss gekommen, dass die in ihm vorgegebenen Regelungen keine ausreichende Vorsorge für zu erwartende Umsetzungsprobleme liefern. Ich halte die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer einheitlichen steuerfinanzierten Leistung für richtig und notwendig und habe diese Auf- fassung im Bundestagswahlkampf 2002 auch gegen Vor- würfe von Sozialdemokraten verteidigt. Dabei war mir stets bewusst, das eine solche Reform einen erheblichen Einschnitt in das soziale Leistungsgefüge unseres Staa- tes bedeutet, der mit Blick auf die Betroffenen nur dann verantwortbar ist, wenn die erforderliche Vollzugssorg- falt gewährleistet werden kann. Dies ist nach Lage der Dinge offenbar nicht gegeben. Die Bundesregierung hat den Entwurf des Optionsgeset- zes sehr viel später vorgelegt als geplant. Sie war jedoch nicht bereit, den Inkraftsetzungstermin um einige Zeit zu verschieben und hat damit die nachfolgende Umsetzung unter einen Zeitdruck gesetzt, der die Beteiligten zwangsläufig überfordern wird. Die bisherigen Beratun- gen haben keine hinreichende Transparenz in die kom- plexen Finanzströme zwischen Bundesanstalt, Länder und Kommunen gebracht. So bleibt bei dem vorliegen- den Gesetz völlig unklar, ob in Regionen mit hoher Ar- beitslosigkeit angemessene Mittel für die erforderlichen Eingliederungsleistungen zur Verfügung stehen. Die Er- wartung einer aktivierenden Hilfe für erwerbsfähige Ar- beitslose wird damit gerade dort unerfüllt bleiben, wo sie am dringlichsten ist. Die Bundesagenturen für Arbeit, denen nach den Hartz-IV-Regelungen eine Schlüsselverantwortung zu- kommt, sind nach meiner Beobachtung vielerorts so stark mit der Umsetzung der anderen „Hartz-Gesetze“ 11074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 (A) (C) (B) (D) Auch dies wäre ein Argument für eine Verschiebung der Inkraftsetzung gewesen. Für zahlreiche Kommunen sind bei den Unterkunfts- kosten zusätzliche Finanzlasten zu erwarten. Der dafür vorgesehene Ausgleich ist unzureichend geregelt. Um nachfolgende Verteilungskonflikte, die möglicherweise sogar auf dem Rücken der Leistungsempfänger ausgetra- gen werden, zu vermeiden, hätte es eines klaren, gründ- lich geprüften Zuwendungsgesetzes bedurft. Die Betroffenen, die Einkommenskürzungen hinneh- men müssen, werden so zusätzlich zu Opfern eines Um- setzungschaos gemacht. Das kann nicht im Interesse ei- nes Reformanliegens sein, das ich ausdrücklich für notwendig halte und unterstütze. Ich halte die jüngste Verständigung im Vermittlungs- ausschuss für noch nicht ausreichend, um eine verant- wortbare Umsetzung zu ermöglichen, und lehne sie des- halb ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005, hier: Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern (Haushaltsge- setz 2005) (Tagesordnungspunkt 1) Petra Pau (fraktionslos): Vor drei Jahren, am 11. September 2001, gab es die verheerenden Attentate in New York und Washington. Der Bundestag reagierte damals parteiübergreifend mit Trauer und mit Solidari- tät. Zugleich wurden die eigenen Gesetze für innere Si- cherheit im Bündel verschärft, zum Teil drastisch. Das Ganze wurde in Anlehnung an den Bundesinnenminister als „Otto-Paket I“ und „Otto-Paket II“ bezeichnet. Die waren, vorsichtig formuliert, nicht unumstritten. Die PDS lehnte sie ab, weil sie tief in verbriefte Bürgerrechte eingreifen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN versprach damals, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen nach zwei bis drei Jah- ren gründlich zu prüfen. Diese Frist ist um. Allerdings höre ich nichts von der versprochenen parlamentarischen Überprüfung. Deshalb erinnere ich daran, ich fordere sie namens der PDS ein. Stattdessen vernehme ich andere Signale. Sie kom- men nicht mehr kompakt, als Paket daher, sie werden aber permanent versendet. Demnach sollen Sicherheits- behörden zentralisiert, Befugnisse erweitert und Kompe- tenzen vermischt werden. Das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird immer häufiger in- frage gestellt. Und die Bundeswehr soll im Innern einge- setzt werden – jedenfalls nach dem Willen der CDU/ CSU. Die PDS lehnt das ab. Aber darum geht es nur in zweiter Linie. Die eigentlichen Fragen sind: Wie viele Bürgerrechte dürfen namens einer realen oder vermeint- lichen Terrorgefahr abgeräumt werden? Und welchen tatsächlichen Nährwert hat das für die versprochene Si- cherheit? Das betrifft auch den Datenschutz. Er ist, er wird massiv gefährdet. Die USA fordern von allen Passagie- ren, die ein- oder überfliegen, mehr als 30 persönliche Daten. Das EU-Parlament klagt dagegen. Bundesinnen- minister Schily, SPD, und Bundesaußenminister Fischer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, indes haben dem Daten- Deal zugestimmt. Das ist ein unglaublicher Vorgang. Es gibt ein zweites, aktuelles Beispiel: Die 16-seiti- gen Fragebögen für das neue Arbeitslosengeld II werden von offiziellen Datenschützern kritisiert. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie ihr Vorgehen für recht- lich korrekt hält. Die Antwort lautet im Kern: Nein, aber wir tun es dennoch. – Wer so agiert, darf sich bei nie- mandem über mangelndes Rechtsbewusstsein und bei keinem wegen Parteienverdrusses beschweren. Der Volksmund weiß: Der faule Fisch stinkt am Kopf zuerst. Ein weiteres Thema haben wir im Bundestag hinrei- chend gewälzt, mit schlechtem Erfolg: das Zuwande- rungsrecht. Vor fünf Jahren hatten SPD und Grüne ein modernes Gesetz versprochen. Am Ende aller Kommis- sionen, Kompromisse und Kuhhandel stand ein Papier, das von der CDU/CSU diktiert und von Rot-Grün geseg- net wurde. Bundesinnenminister Schily sattelt noch drauf. Er will Flüchtlingslager an der Küste Afrikas einrichten. Dank der „Süddeutschen Zeitung“ und einem Interview, das Heribert Prantl führte, wissen wir auch, warum. Dort greife weder EU- noch deutsches Recht, meinte der Bun- desinnenminister. So weit sind wir gekommen, so tief gesunken. Mit Vorsatz soll Menschen in Not der wenige Rechtsschutz versagt werden, der sie noch hoffen lässt. Dass CDU-Politiker dieser absurden Idee folgen, wun- dert mich nicht mehr. Dass auch Oskar Lafontaine dem Vorschlag zustimmt, spricht nicht für Otto Schily, son- dern gegen den SPD-Rebellen. Monat für Monat frage ich die Bundesregierung, wie viele rechtsextreme Straftaten registriert wurden und verfolgt werden. Wer dies, wie ich, tut, bekommt bestä- tigt, was viele im Lande erfahren – allemal Opfer von rechtsextremen Gewalttaten. Die Gefahr ist real und groß. Leider fragt im Bundestag nur die PDS danach, keine andere Partei. Im Schnitt gibt es täglich 20 rechts- extreme Straftaten und jeden Tag mehr als eine Gewalt- tat. Wer die Materie kennt, weiß auch: Die offizielle Sta- tistik stapelt tief. Die tatsächliche Gefahr ist viel größer. Inzwischen feiern rechtsextreme Parteien Wahl- erfolge. Sie verlassen den Hinter- oder Untergrund, sie präsentieren sich öffentlich. Wie aber reagieren die meisten Parteien des Bundestages darauf? Sie werfen die NPD und die PDS in einen Topf. Wer das tut, hat nichts verstanden. Schlimmer noch: Er beleidigt Zigtausende Antifaschisten und er verharmlost Rassisten und Neofa- schisten. Obendrein wird das ohnehin müde „Bündnis der Anständigen“ gefährdet. So kurzsichtig darf man nicht sein. „Mehr Demokratie“ war ein Slogan Willi Brandts und es war eine Forderung der Grünen seit ihrer Gründung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 11075 (A) (C) (B) (D) Es war auch ein Versprechen, mit dem Rot-Grün 1998 den Regierungswechsel schaffte. Geblieben ist davon fast nichts. Seit nunmehr sechs Jahren pokert Rot-Grün erfolgreich gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene. Selbst ein Plebiszit über die künftige EU-Verfassung – ein aktuelles Begehr – scheitert nicht nur an der CDU/ CSU, sondern auch an Rot-Grün. Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Mehr Demokratie ist eine Schlüssel- frage, um die politischen Krise positiv zu wenden. 80 Prozent der Bevölkerung wollen dies. Sie wollen mehr Mitbestimmung und keine Basta-Politik. Sie haben Recht. 121. Sitzung Berlin, Dienstag, den 7. September 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans Eichel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Vor einem Jahr habe ich bei der Einbringung des
    Haushaltsplans für das Jahr 2004 gesagt: Die wichtigste
    und größte Herausforderung, vor der wir stehen, ist, aus
    der Stagnation herauszukommen und wieder mehr
    Wachstum zu schaffen.


    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Denn drei Jahre Stagnation haben in der Tat schlimme
    Zahlen hinterlassen. Im Jahr 2000, dem Jahr des höchs-
    ten Wachstums, hatten wir gleichzeitig die niedrigste
    Neuverschuldung nach der Wiedervereinigung – sie fällt
    in unsere Amtszeit –,


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    nämlich 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder
    24 Milliarden Euro. Drei Jahre später, 2003, nach drei
    Jahren Stagnation, hatten wir ein Staatsdefizit von






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    82 Milliarden Euro oder 3,8 Prozent des Bruttoinlands-
    produkts. Die Erkenntnis aus dieser Entwicklung ist: Es
    gibt – auch das ist damals deutlich gesagt worden –
    keine Konsolidierung ohne Wachstum; es gibt aber auch
    kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen.
    Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer das sieht, muss daraus für seine Politik auch
    Konsequenzen ziehen. Wir haben gesagt, wir brauchen
    einen mutigen Dreiklang von Strukturreformen, Haus-
    haltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Mit die-
    sem Dreiklang wollen wir aus der Stagnation heraus.


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hält die Rede von vor zwei Jahren!)


    Wir sind diesen Weg zum Teil gemeinsam gegangen; ich
    sage das ausdrücklich und auch mit Dankbarkeit hin-
    sichtlich der Bereiche, in denen das funktioniert hat. So
    war es zum Beispiel bei einem Teil der Strukturrefor-
    men. Ich erinnere an die Arbeitsmarktreformen – darauf
    komme ich später zurück –: Da konnte es Ihnen, wenn es
    um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und um
    die Verschärfung der Zumutbarkeit ging, eigentlich nicht
    radikal genug zugehen. Bei der Rente allerdings waren
    Sie ganz still: keine Beiträge von Ihrer Seite. In der Ge-
    sundheitspolitik will ich ausdrücklich anerkennen, dass
    es zu einem Zusammenwirken gekommen ist, das – da-
    rüber wird noch zu reden sein – eine Reihe sehr positiver
    Resultate hatte, das aber weitergeführt werden muss. Wir
    sind noch nicht durch: Was den Wettbewerb auf der
    Leistungserbringerseite betrifft, muss noch eine ganze
    Menge mehr geschehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Als es allerdings um die Haushaltskonsolidierung
    ging und um die Wachstumsimpulse, hat Sie der Mut
    ziemlich verlassen. Da wäre es wünschenswert gewesen,
    wenn Sie unseren mutigeren Schritten sowohl bei der
    Konsolidierung und beim Subventionsabbau als auch
    beim Vorziehen der Steuerreform gefolgt wären, um
    Wachstumsimpulse zu geben. Sie waren dazu nicht in
    der Lage.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Heute, meine Damen und Herren, sind wir im Auf-
    schwung. Ich will gar nicht verhehlen, dass der größte
    Teil davon der weltwirtschaftlichen Entwicklung, die ja
    auch vorher das Problem war,


    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    geschuldet ist; wir kommen auf das Problem gleich zu-
    rück. Aber unsere Politik mit der ganz dezidierten Ziel-
    setzung, die Krise nicht durch zusätzliches Hinterherspa-
    ren zu verlängern und auch noch zu verschärfen, sondern
    mit diesem Dreiklang einen Weg heraus zu finden, hat
    ihren Beitrag dazu geleistet. Die Prognosen der Bundes-
    regierung für dieses und für das nächste Jahr sehen so
    aus: beide Jahre zwischen 1,5 und 2 Prozent Wachstum.
    Bisher gilt für uns: eher am unteren Ende dieses Jahr,
    eher am oberen Rand nächstes Jahr. Ich nehme dabei zur
    Kenntnis, dass inzwischen die meisten Institute und die
    internationalen Institutionen, wie etwa der Internationale
    Währungsfonds, ihre Prognosen nach oben revidiert ha-
    ben, während wir uns mit unseren Erwartungen am unte-
    ren Rand der Prognosen befinden. Ob daraus Konse-
    quenzen zu ziehen sind, werden wir im Zusammenhang
    mit der Steuerschätzung im November und im Zusam-
    menhang mit unserem Jahreswirtschaftsbericht zu ent-
    scheiden haben; aber bisher bleibt es dabei.

    Allerdings steht dieser Aufschwung im Wesentlichen
    nur auf einem Bein: Er kommt vom Export. Das führt
    mich zu einer anderen Feststellung, auf die ich ganz am
    Schluss zurückkommen werde: Deutschland hat im
    Weltmaßstab eine unglaublich wettbewerbsfähige Wirt-
    schaft, sonst könnten wir diese Erfolge beim Export
    überhaupt nicht erzielen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist wichtig für das Bewusstsein, in dem wir die Pro-
    bleme, die wir zu lösen haben, und die Herausforderun-
    gen, vor denen wir stehen, angehen. Von welchem
    Selbstbewusstsein aus gehen wir sie eigentlich an? Da
    kenne ich diejenigen, die sagen: Ja, das ist ja ganz gut
    und schön mit dem Export, es kommt aber daher, dass
    inzwischen ein größerer Teil der Vorfertigung in anderen
    Ländern erfolgt. Dieser Satz ist nicht falsch. Er zeigt
    eines: dass die deutschen Unternehmen – nehmen Sie
    einmal Volkswagen als Beispiel – inzwischen europäi-
    sche geworden sind,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Die sind aus dem Euro Stoxx herausgeflogen!)


    dass sie in fast allen Ländern Europas Produktionsstätten
    haben und mit der dadurch möglichen Mischkalkulation
    natürlich wettbewerbsstärker sind.

    Aber – ich habe das auch untersuchen lassen –: Das
    führt im Ergebnis dazu, dass der Export so stark steigt,
    dass daraus keine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus
    Deutschland heraus, sondern eine Erhöhung der Anzahl
    der Arbeitsplätze hier bei uns resultiert. Das ist die Kon-
    sequenz. Die Unternehmen sind aufgrund ihrer Europäi-
    sierung stärker geworden. Das ist das Ergebnis der ge-
    meinsamen europäischen Entwicklungsstrategie.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber ein wenig Schönreden!)


    Ich will noch auf etwas Weiteres hinweisen, bevor
    manche wieder über die Gewerkschaften herziehen. Seit
    Mitte der 90er-Jahre ist die Lohnentwicklung unglaub-
    lich mäßig, was dazu führt, dass die Lohnstückkosten
    jetzt sogar zurückgehen und dass wir im internationalen
    Wettbewerb im Unterschied zu den frühen 90er-Jahren,
    in denen wir uns einiges geleistet haben, was wir uns
    nicht hätten leisten sollen, mittlerweile unglaublich viel
    wettbewerbsfähiger geworden sind.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Deshalb fallen die Arbeitsplätze weg!)


    Es geht auch um die Qualität der Produkte. Ich will
    bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Wer glaubt,
    den Kampf nur über das Drücken der Löhne und der
    Kosten gewinnen zu können, der irrt. Deutschland wird
    den Kampf nur gewinnen, wenn es mit der Qualität sei-
    ner Produkte und mit seinen Leistungen immer an der
    Spitze steht. Es ist klar, dass wir die Kostenfragen nicht
    vernachlässigen dürfen; aber das ist die zentrale Heraus-
    forderung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Ihre Politik ist eine Herausforderung!)


    – Zu Ihnen komme ich noch.
    Die Binnennachfrage ist nach wie vor schwach. Der

    Dreischritt, in dem ein Aufschwung in Deutschland klas-
    sischerweise abläuft, sieht folgendermaßen aus: erst die
    Steigerung des Exports, dann die Steigerung der Ausrüs-
    tungsinvestitionen und schließlich die Steigerung der
    privaten Nachfrage. Der erste Schritt hat voll geklappt.
    Zum zweiten und zum dritten Schritt ist zu sagen: Es
    gibt Hinweise auf ganz leichte Besserungen.


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das erzählen Sie uns schon seit Jahren!)


    Es ist aber nicht zulässig, darauf bereits eine stabile
    Prognose zu gründen. Damit sollte man sehr vorsichtig
    sein.

    Das hat Konsequenzen zunächst einmal für die Ent-
    wicklung am Arbeitsmarkt und für die Steuern; denn so-
    wohl der Indikator Arbeitsmarkt als auch der Indikator
    Steuern laufen der Konjunktur immer hinterher. Der
    Aufschwung wird im Wesentlichen vom Export getra-
    gen. Ein Problem dabei besteht darin, dass sich dies
    nicht so schnell auf die Mehrwertsteuereinnahmen aus-
    wirkt. Das erkennen wir sowohl anhand der Steuerschät-
    zung als auch anhand der tatsächlichen Einnahmen.
    Beim Arbeitsmarkt gibt es vorderhand noch dieselbe Si-
    tuation.

    Daraus sind Konsequenzen für die Finanzpolitik zu
    ziehen. Die Steuerschätzung im Mai hat gezeigt, dass es
    noch erhebliche Risiken gibt. Ich bin mir auch nicht
    ganz sicher, ob die Steuerschätzung im Mai schon das
    letzte Wort war; wir werden es sehen. Ich bin da vorsich-
    tig. Wegen der Steuereinnahmen, die nicht parallel zu
    dem genannten Aufschwung steigen, und der Entwick-
    lung am Arbeitsmarkt werden wir in diesem Jahr einen
    Nachtragshaushalt benötigen; das habe ich bereits im
    Mai gesagt.


    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Aha!)

    Wir werden ihn so vorlegen, dass er in Kenntnis der Er-
    gebnisse der Steuerschätzung im November verabschie-
    det werden kann.


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wieder ein Umsteuern!)

    Ich will ausdrücklich sagen: Es bleibt dabei, dass wir
    vor dem Hintergrund der nach wie vor schwachen Bin-
    nennachfrage in diesem Jahr keine zusätzlichen Sparpa-
    kete verabschieden werden, weil die Gefahr noch zu
    groß ist, dass das den Aufschwung im Inneren behindern
    würde. Deswegen lassen wir die automatischen Stabili-
    satoren wirken


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    und setzen alles daran, dass die Konjunkturentwicklung
    auch im Innern in Gang kommt.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


    Im Übrigen will ich gar nicht verhehlen, dass es Risi-
    ken in der Weltwirtschaft gibt. Es wäre gefährlich, sich
    darauf ausruhen zu wollen, dass wir eine so hervorra-
    gende Position im Weltmarkt haben. Ich nenne das Bei-
    spiel Ölpreis. Wir werden uns international darüber zu
    unterhalten haben, ob es zulässig ist und ob man etwas
    dagegen tun kann, dass die Verknappungen inzwischen
    auch spekulativer Art und gar nicht in den realen Märk-
    ten begründet sind. Ich glaube, es gibt gute Gründe,
    international – die G 7, die G 8, die G 20 und der Inter-
    nationale Währungsfonds – über diese Fragen nachzu-
    denken und nach Auswegen zu suchen. Diese Entwick-
    lung macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das gilt auch
    für andere Rohstoffpreise.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Um es mit aller Härte zu sagen: Ich kenne das auch
    im Innern. Wenn man lange genug in Aufsichtsgremien
    – bis hin zu Stadtwerken – gesessen hat, weiß man, dass
    das im Windschatten der Weltwirtschaft von einer Reihe
    von Unternehmen zur Preistreiberei ausgenutzt wird.
    Das kann nicht hingenommen werden. Es muss klar sein,
    dass jeder eine Verantwortung für die wirtschaftliche
    Entwicklung hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Europäische Zentralbank, die über die Stabilität
    unserer Währung zu wachen hat, hat erklärt: Wir können
    die Entwicklungen bei den Ölpreisen hinnehmen, wenn
    es keine Zweitrundeneffekte gibt. Das ist richtig. Dazu
    sage ich aber: Wenn es um Zweitrundeneffekte geht,
    dann schaut bitte nicht nur in Richtung Gewerkschaften,
    sondern auch darauf, was die Energiekonzerne im Mo-
    ment an dieser Stelle machen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Attacke!)


    Risiken – das sagte ich schon – gibt es eben in der
    Weltwirtschaft. Ich will hier nur die Stichworte Doppel-
    defizit der USA und Überhitzung der Wirtschaft in
    China nennen. Was uns nun wieder mit einer unglaubli-
    chen Brutalität vorgeführt wurde, ist die Frage: Kann der
    Terrorismus wirklich wesentliche Auswirkungen auf
    die Entwicklung der Weltwirtschaft haben? Diese Frage






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    können wir schwerlich beantworten; ich werde nachher
    darauf zurückkommen.

    Am Nobelpreisträgertreffen am vergangenen Wo-
    chenende am Bodensee haben auch Wirtschaftswissen-
    schaftler teilgenommen. Das Ergebnis ihrer Beratungen
    war – ich kann das nur referieren –, dass sie alles in al-
    lem einen sehr optimistischen Ausblick auf die Entwick-
    lung der Weltwirtschaft und auch auf die Entwicklung
    Europas bzw. Deutschlands gegeben haben. Fazit dieser
    gegenwärtigen Situation: Wir müssen alles daransetzen,
    damit der Aufschwung auch bei der Binnennachfrage,
    dem zweiten Standbein, richtig in Gang kommt. Das be-
    deutet: Der Dreiklang aus Strukturreformen, Haushalts-
    konsolidierung und Wachstumsimpulsen, mit dem wir
    mitgeholfen haben, dass wir aus der Stagnation heraus-
    kommen, muss ebenso für das Jahr 2005 gelten.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das heißt, es wird keine Reformpause geben.

    Aber eines muss man klar machen – darüber diskutie-
    ren wir auch im internationalen Bereich –: Eine Reform
    ist noch nicht durchgesetzt, wenn sie der Gesetzgeber
    beschlossen hat, sondern dazu gehört sehr viel mehr. Das
    sehen wir gerade bei den Hartz-IV-Reformen.


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    – Natürlich. – Vielmehr stellt sich die Frage: Wie gelangt
    diese Einsicht in die Köpfe der Menschen und wie kön-
    nen wir diese Reformen in die Realität umsetzen? Dies
    erfordert manchmal sehr viel mehr Arbeit als nur die Ge-
    setzgebung.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bravo!)


    Im Zuge des ersten Teils meiner Rede, Fortsetzung
    der Strukturreformen, komme ich zu den Reformen am
    Arbeitsmarkt. Es bleibt dabei: Die höchste jahresdurch-
    schnittliche und damit auch die höchste Arbeitslosenzahl
    insgesamt lag in 1997 bei 4,4 Millionen. Im Winter er-
    reichte diese Zahl knapp 5 Millionen. Dass sich diese
    Zahl anschließend positiv entwickelte und sich erst in
    den drei Jahren Stagnation deutlich verschlechterte, wol-
    len wir keinen Moment leugnen. Aber Sie eignen sich in
    dieser Frage ganz schlecht als Chefankläger; darauf
    komme ich an anderer Stelle noch zurück.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Arbeitsmarktreformen sind nicht, wie einige ge-
    sagt haben, eine Kapitulation im Kampf gegen die Ar-
    beitslosigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie alleine können
    zwar nicht unbedingt Arbeit schaffen; aber sie bauen
    eine Brücke von der Arbeitslosigkeit zurück in die Be-
    schäftigung. Dies geschieht unter der Überschrift von
    Fördern und Fordern. Beides – Fördern und Fordern –
    gilt mit Nachdruck. Darauf, dass mit dem Fordern mehr
    Härte verbunden ist, als das in der Vergangenheit da und
    dort vielleicht üblich war, will ich nachher noch ein paar
    Sätze verwenden.
    Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und
    Sozialhilfe für die Arbeitsfähigen zu einer sozialen
    Grundsicherung für alle, die arbeitsfähig sind, ist ein im
    Wesentlichen von allen getragenes Projekt gewesen. Da
    das so ist, müssen bei der Umsetzung auch alle dazu ste-
    hen. Man darf nicht glauben, allein mit der Gesetz-
    gebung sei das Problem schon gelöst. Vielmehr geht die
    Arbeit im Gespräch mit den Menschen weiter.


    (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Macht das doch vorher!)


    Langzeitarbeitslose schneller in Arbeit zu bringen ist die
    erste und wesentliche Zielsetzung.

    Ich kann übrigens aus meiner Zeit als Kommunalpoli-
    tiker sehr gut nachempfinden, was es mit dem Drehtür-
    effekt auf sich hat, bei dem sich der eine Kostenträger,
    die Kommune, und der andere Kostenträger, der Bund,
    die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger jeweils zu-
    geschoben haben. Es ging in dem System gar nicht zual-
    lererst darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, son-
    dern sie in die Kostenträgerschaft des jeweils anderen zu
    verlagern. Das muss beendet werden. Das ist der grund-
    legende Konsens der Hartz-IV-Reformen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    „Schneller in Arbeit“ heißt, dass die Menschen eine
    ganz andere Betreuung erfahren werden. Das Verhältnis
    zwischen Betreuer und Arbeitslosen wird sich von
    1 : 400 auf 1 : 75 verbessern, und zwar zuerst bei den un-
    ter 25-Jährigen.

    Man muss in diesem Zusammenhang den europäi-
    schen Vergleich heranziehen: Wir können mit einigem
    Stolz sagen, dass wir, was die Jugendarbeitslosigkeit
    betrifft, in Europa zu den Besten gehören. Es gibt zwei
    oder drei kleine Länder, die ein bisschen besser sind als
    wir. Alle anderen haben aber eine weitaus höhere Ju-
    gendarbeitslosigkeit als Deutschland. Ab dem 1. Januar
    werden – Wolfgang Clement hat darauf hingewiesen –
    alle, die unter 25 Jahre alt sind, ein Angebot bekommen,
    entweder ein Ausbildungsangebot, ein Qualifizierungs-
    angebot oder eine Trainingsmaßnahme. Das ist die kon-
    krete Umsetzung der Arbeitsmarktreformen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer das Angebot nicht annimmt, kann künftig freilich
    nicht in dem Maße auf die Unterstützung der Allgemein-
    heit setzen, wie er das in der Vergangenheit ohne weite-
    res getan hat. Beides gilt: Fördern und Fordern.

    Beim Ausbildungspakt leistet auch der Haushalt sei-
    nen Beitrag. Es geht darum, Menschen in Arbeit zu brin-
    gen. Fördern heißt im Rahmen des Prinzips „Fördern
    und Fordern“ auch, zu helfen, dass die Menschen Quali-
    fikationen erwerben, die es ihnen erleichtern, wieder in
    den Beruf zu kommen. Das heißt zum Beispiel, dass der
    Führerschein gefördert wird, wenn er notwendig ist, um
    eine Chance zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu
    haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    Fördern und Fordern – bei Fordern geht es allerdings

    auch um die Zumutbarkeit. In diesem Zusammenhang
    möchte ich die angekündigte Bemerkung machen: Sie
    haben im Vermittlungsverfahren – genauso wie bei den
    Hinzuverdienstmöglichkeiten – ordentliche Verschärfun-
    gen durchgesetzt, gegen die Herr Rüttgers, Herr Böhr,
    Herr Müller, Herr Milbradt und andere anschließend zu
    Felde zogen. Wir möchten das zwar nicht ändern, weil
    wir zu getroffenen Verabredungen stehen; aber so geht
    das nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wenn Sie etwas beschließen, müssen Sie auch dazu ste-
    hen. Sich anschließend aber in die Büsche zu schlagen
    oder sich sogar an die Spitze der Protestbewegung zu
    stellen, ist der Gipfel der Heuchelei.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich sage ausdrücklich, dass etwas geschehen musste.
    Es gibt nämlich Missbräuche. Wieso kommen eigent-
    lich Lehrer aus Polen zur Weinlese in den Rheingau,
    wenn wir über 4 Millionen Arbeitslose haben? Wieso
    finden wir angesichts der Höhe der Arbeitslosigkeit
    keine Deutschen, die diese Arbeit machen? Das gilt auch
    für viele andere Bereiche: Arbeit schändet nicht und
    muss angenommen werden!


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Praktiker haben uns auch auf Missstände im deut-
    schen Mittelstand hingewiesen. Es gibt den Fall – ich
    möchte nicht falsch verstanden werden: das gilt nicht ge-
    nerell –, dass jemand seine Ehefrau für die Buchführung
    einstellt, anschließend entlässt, zum Arbeitsamt schickt
    und sagt: „Kassier du das Arbeitslosengeld.“ Die Buch-
    führung macht sie trotzdem weiter. Das geht nicht.
    Steuerhinterziehung und Sozialbetrug können nicht ak-
    zeptiert werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Gesetzgebung muss so ausgestaltet sein, dass das
    klar ist.

    Vielleicht hat der zögerliche Rücklauf der Antragsfor-
    mulare für das neue Arbeitslosengeld II in dem einen
    oder anderen Fall etwas damit zu tun, dass nun sichtbar
    wird, was sichtbar werden muss, oder damit, dass sich
    einige vom Bezug einer Leistung, die sie offenbar zu
    Unrecht bekommen haben, zurückziehen müssen.

    Natürlich ist richtig, dass allein auf diesem Weg keine
    neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Allein
    wenn die Vermittlung in die 300 000 offenen Stellen
    schneller erfolgen könnte, wäre etwas gewonnen und es
    würde ein kleiner wirtschaftlicher Impuls gesetzt. Allein
    wenn die Vermittlung etwas schneller ginge, wäre etwas
    gewonnen, weil nämlich Mittel eingespart würden und
    ebenfalls ein kleiner Impuls gesetzt würde. Wenn ein
    paar Menschen glauben, sie sollten sich doch etwas in-
    tensiver um Arbeit bemühen und sich nicht nur auf die
    Unterstützung der Allgemeinheit verlassen – diese Ent-
    wicklung können wir bei den Zeitarbeitsfirmen erken-
    nen –, ist auch das ein Effekt, der – das sage ich aus-
    drücklich – gewollt ist.

    Die Gesetze sind gemacht. Sie wurden übrigens erst
    in der Sommerpause zu Ende gebracht. Der Appell rich-
    tet sich nun an die Bundesagentur für Arbeit und an alle
    Kommunen. Allen, insbesondere den bei der Umsetzung
    besonders geforderten Sozialdezernenten, egal ob es So-
    zialdemokraten, Christdemokraten, Grüne oder Liberale
    sind, sage ich: Macht euch jetzt alle daran, das umzuset-
    zen! Das ist die größte Sozialreform, die wir je gemacht
    haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Sie ist schwierig und fordernd genug. Darum wollen wir
    gar nicht herumreden, auch nicht um die Ängste der
    Menschen. Es steckt aber im Gegensatz zu den öffentli-
    chen Verlautbarungen mehr Positives als Negatives da-
    rin. Das muss man klar machen. Wir müssen die Kosten
    für den Arbeitsmarkt zurückführen. Das geht gar nicht
    anders angesichts der Zahlen, die ich vorhin genannt
    habe. Insgesamt stecken viel mehr Chancen in der Re-
    form. Diese müssen wahrgenommen werden.

    Ich will bei dieser Gelegenheit eine kurze Bemerkung

    (Manfred Grund [CDU/CSU]: Zum Haushalt!)


    zur Finanzsituation der Kommunen machen.

    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Ich dachte, zum Bundeshaushalt!)

    – Wir sind die ganze Zeit dabei. – Im Jahr 2005 werden
    wir durch unsere Initiativen, sowohl durch die Gemein-
    definanzreform als auch durch Hartz IV und die dadurch
    garantierten Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliar-
    den Euro sowie durch das, was im Haushaltsbegleitge-
    setz des vorigen Jahres fortwirkt, eine Verbesserung der
    kommunalen Finanzsituation um 6,6 Milliarden Euro
    haben. Das ist in der Tat ein großes Wort.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Diese Entwicklung wird fortgeschrieben, sodass wir in
    den Folgejahren eine Entlastung von mehr als 7 Mil-
    liarden Euro haben werden. Das ist eine solide Basis, um
    das zu tun, was dringend getan werden muss und worauf
    ich jetzt kommen will. Wir müssen nämlich für die Be-
    treuung der unter dreijährigen Kinder und für die Ganz-
    tagsschulen mehr machen. Es werden finanzielle Mög-
    lichkeiten geschaffen, die unter anderem dafür eingesetzt
    werden müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    So viel zur Arbeitsmarktreform. Das ist eine riesige
    Aufgabe, deren Umsetzung ansteht.

    Zur Rentenreform: Eines der Probleme unserer Ge-
    sellschaft ist, dass wir – das ist in diesen Debatten deut-
    lich geworden – uns einigen Themen, die wir eigentlich






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    kennen, in der öffentlichen Debatte lange Zeit nicht ge-
    stellt haben. Ich will keine einseitigen Schuldzuweisun-
    gen machen. Schauen Sie sich den demographischen
    Aufbau der Gesellschaft an. 1960 kamen 30 Rentner auf
    100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Jetzt sind es
    44 Rentner, die auf 100 Personen im erwerbsfähigen Al-
    ter kommen. Mitte dieses Jahrhunderts werden es etwa
    80 Rentner sein, die auf 100 Menschen im erwerbsfähi-
    gen Alter kommen, oder anders gesagt: 80 Rentenemp-
    fänger werden 100 Beitragszahlern gegenüberstehen.
    Daran wird die Dramatik deutlich, die in unserer Gesell-
    schaft langfristig angelegt ist und kurzfristig überhaupt
    nicht geändert werden kann.

    Schauen Sie sich den Bundeshaushalt an. Ein Sechstel
    des Bundeshaushaltes ging 1960 als Zuschuss an die
    Rentenversicherung.


    (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das haben Sie doch selbst gemacht!)


    Heute ist es bereits ein Drittel. Wenn man weiterhin be-
    trachtet, was mit Zinsen und Sozialausgaben passiert ist,
    dann sieht man die Notwendigkeit unserer Reformen. Es
    geht nicht darum, ob wir uns die Reformen leisten kön-
    nen; umgekehrt, wir können uns überhaupt nicht leisten,
    darauf zu verzichten, weil wir die Sozialausgaben nicht
    mehr bezahlen können. So einfach ist das.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das muss man den Menschen mit aller Deutlichkeit sa-
    gen. Es liegt ein politisches Versagen darin, das, was
    man früher wissen konnte, nicht früher angegangen zu
    sein. Ich sage bei aller Selbstkritik, die der Bundeskanz-
    ler hier geäußert hat, nämlich dass diese Regierung in
    der ersten Wahlperiode vielleicht nicht genug getan
    habe: Immerhin haben wir die Haushaltskonsolidierung
    eingeleitet sowie Steuerreformen und eine Rentenreform
    gemacht. Aber 16 Jahre lang so gut wie gar nichts zu tun
    ist in der Tat nicht zu akzeptieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Blödsinn!)


    Deswegen ist die Konsequenz: Erstens. Die umlage-
    finanzierte Rente musste grundlegend reformiert wer-
    den. Mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors
    muss ihre Entwicklung nachhaltig gedämpft werden.
    Das heißt, dass wir im Jahr 2030 im Vergleich zum jetzi-
    gen Rechtszustand eine jährliche Entlastung von
    20 Milliarden Euro haben, die die Arbeitgeber und Ar-
    beitnehmer nicht zu zahlen haben und die sie wahr-
    scheinlich gar nicht zahlen könnten, weil die Rentenver-
    sicherungsbeiträge so hoch wären, dass sie niemand
    mehr in dieser Volkswirtschaft verkraften könnte.

    Wenn die umlagefinanzierte Rente wegen der Demo-
    graphie an Kraft verliert, dann müssen wir, wenn wir Al-
    tersarmut nicht wollen, die kapitalgedeckte private Vor-
    sorge – steuerlich gefördert – für die Schwächeren
    daneben stellen. Das war eine richtige Entscheidung in
    der vorigen Wahlperiode.


    (Beifall bei der SPD)

    Als Nächstes ist der Entwurf des Alterseinkünfte-
    gesetzes anzuführen, den wir gerade verabschiedet ha-
    ben. Ich bin dankbar dafür, dass uns dies gemeinsam
    möglich war. Damit werden als dritte Stufe des gesamten
    Vorhabens die Beiträge zur Rentenversicherung und zur
    privaten Vorsorge bis 2025 Schritt für Schritt steuerfrei
    gestellt. Das bedeutet eine ordentliche Erleichterung für
    die nächste Generation, die schließlich genug zu tragen
    haben wird. Es heißt aber umgekehrt, dass dann, wenn
    die Vorsorge vollständig steuerfrei ist – das wird ab 2040
    der Fall sein –, die Rente, wenn sie als Einkommen zu-
    fließt, versteuert werden muss. Das ist ein einfaches
    Prinzip, das so, wie wir es beschlossen haben, nieman-
    den bedroht. Es ist in Wahrheit ein Steuerentlastungspro-
    gramm; denn die Entlastung bei der Vorsorge ist stärker
    als die Belastung bei der Rentenbesteuerung.

    Der dritte Punkt ist die Gesundheitsreform. Dabei
    handelt es sich in der Tat – das will ich loben – um eine
    ausgesprochene Erfolgsgeschichte; denn statt des 2 Mil-
    liarden Euro hohen Defizits im ersten Halbjahr 2003 ist
    nunmehr, nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform,
    im ersten Halbjahr 2004 ein Überschuss in Höhe von
    2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen; das ist ein Swing
    von 4,5 Milliarden Euro. Dafür will ich ausdrücklich
    meinen Dank aussprechen,


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    weil – darauf komme ich gleich noch zurück – der Fi-
    nanzminister natürlich seinen Haushalt im Blick behal-
    ten muss. Da mir aber immer wieder das Maastricht-De-
    fizit angelastet wird, will ich an dieser Stelle deutlich
    machen, dass es dabei nicht nur um den Bundeshaushalt
    geht, sondern auch um die sozialen Sicherungssysteme,
    die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte.


    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Dazu will ich mich zumindest äußern. Ich halte die Re-
    formen in den sozialen Sicherungssystemen für dringend
    erforderlich. Die Gesundheitsreform ist ein gutes Bei-
    spiel dafür, auf welche Weise sie möglich sind.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zum ersten Mal seit zehn Jahren befindet sich die ge-
    setzliche Krankenversicherung in einer positiven Ent-
    wicklung. Die ersten Erfolge sind sichtbar. Es werden
    nicht nur Schulden abgebaut – auch das ist übrigens in
    entscheidendem Maße Maastricht-relevant –, sondern es
    sinken auch die Beiträge. 25 Millionen Versicherte sind
    schon in den Genuss von Beitragssatzsenkungen gekom-
    men, die zwar noch klein sind, aber immerhin möglich
    wurden. Das ist ein großer Fortschritt im Zuge der Re-
    formen, die vor eineinhalb Jahren vom deutschen Bun-
    deskanzler im Rahmen der Agenda 2010 im Deutschen
    Bundestag angekündigt worden sind.

    Ich wiederhole: Auch das hat etwas mit Maastricht zu
    tun. Ich glaube, es war Herr Storm, der einmal gesagt
    hat, die sozialen Sicherungssysteme seien nicht dafür da,
    zur Lösung unseres Maastricht-Problems beizutragen.
    Sie lösen dieses Problem aber aus, wenn sie defizitär






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    sind. Insofern dürfen sie keine Defizite aufweisen. So
    einfach ist das.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas zum

    Zahnersatz anmerken. Die Diskussion darüber finde ich
    ziemlich spannend.


    (Manfred Grund [CDU/CSU]: Vielleicht kommen wir auch noch mal zum Haushalt!)


    – Ich bin die ganze Zeit beim Haushalt. Das werden Sie
    gleich merken. Einiges scheint Ihnen nicht ganz ange-
    nehm zu sein. Dafür habe ich zwar ein gewisses Ver-
    ständnis, meine Damen und Herren, aber ich spare heute
    nichts aus.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es geht offenbar um die gemeinsame Erkenntnis – an-
    ders kann ich Ihre Position nicht verstehen –, dass die
    Vorstellung, man könne das Problem mit einem gleichen
    Beitrag für alle und der Schaffung eines bürokratischen
    Monsters lösen, nicht zu verwirklichen ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Diese Einsicht scheinen inzwischen alle zu teilen, sonst
    würden Sie sicherlich an Ihrer Position festhalten. Ob-
    wohl es aber Ihre Erfindung war, wollen Sie sich damit
    nicht in der Öffentlichkeit präsentieren lassen. Dass Sie
    daraus die Konsequenz ziehen, gar nichts zu machen,
    zeigt, dass Sie, wenn es darauf ankommt, nicht in der
    Lage sind, die notwendigen Reformen für dieses Land
    durchzuführen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Weder für den Haushalt noch für die Einhaltung der
    Maastricht-Kriterien, die Rentenversicherung und die
    Senkung der Lohnnebenkosten kann die Konsequenz
    darin bestehen, die Reformen schleifen zu lassen. Not-
    wendig ist vielmehr, was meine Kollegin Frau Schmidt
    vorgeschlagen hat, nämlich Zahnersatz und Kranken-
    geld zum 1. Juli nächsten Jahres zusammenzuziehen und
    in der gesetzlichen Krankenversicherung zu lassen. Der
    Vorschlag sieht vor, dass die Versicherten auf der einen
    Seite 0,45 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen, aber
    auf der anderen Seite wird ihnen im nächsten Jahr eine
    Beitragssenkung von bis zu 1 Prozentpunkt gewährt.
    Das ist sowohl für die Unternehmen durch die Senkung
    der Lohnnebenkosten als auch für die Versicherten eine
    vernünftige Regelung. Deswegen muss dieser Vorschlag
    umgesetzt werden. Es ist nicht zu verantworten, dieses
    Vorhaben schleifen zu lassen. So kann man angesichts
    der Finanzlage nicht mit den notwendigen Reformen
    umgehen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn Sie an Ihrer neuen Linie festhalten, dann sollten
    Sie mir nicht sagen, dass wir nächstes Jahr beim gesamt-
    staatlichen Defizit wieder unter 3 Prozent kommen müs-
    sen. Der Zahnersatz und das Krankengeld sind Themen,
    die in diesen Zusammenhang gehören. Sie zählen zu den
    Problemen, die wir anpacken müssen, damit wir nächs-
    tes Jahr wieder unter 3 Prozent kommen. Wenn Sie den
    erzielten Konsens verlassen, dann haben Sie Ihren Bei-
    trag dazu geleistet, dass dieses Ziel nicht erreicht werden
    kann. Das werden wir dann öffentlich sagen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Jetzt können Sie zur Tabaksteuer kommen!)


    – Zur Tabaksteuer sage ich gleich gerne etwas.

    (Lachen bei der CDU/CSU)


    Damit wieder ein bisschen Ruhe in die Diskussion
    kommt, rate ich dazu, keine Schnellschüsse zu machen,
    sondern es bei der momentanen Gesetzeslage zu belas-
    sen, insbesondere bei dem, was der Haushaltsausschuss
    fraktionsübergreifend beschlossen hat, nämlich im
    nächsten Jahr in Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung
    des jetzigen Jahres über mögliche Konsequenzen ergeb-
    nisoffen zu beraten. Ich denke, dass das der richtige Weg
    ist, den man an dieser Stelle gehen sollte. – So viel zu
    den anstrengenden Strukturreformen.

    Zweiter Punkt: zusätzliche Wachstumsimpulse.
    Klar ist – das habe ich schon zu Beginn meiner Rede ge-
    sagt –, dass Wachstum und Konsolidierung zwingend
    zusammengehören. Deswegen werden auch mit dem
    Haushalt 2005 Wachstumsimpulse erzeugt werden. Um
    es klar zu sagen: Die dritte Stufe der Steuerreform wird
    so umgesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist.
    Durch sie werden Bürger und Unternehmen 2005 und in
    allen Folgejahren um weitere knapp 7 Milliarden Euro
    entlastet. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar
    Bemerkungen zu unserer Steuerreform machen, die seit
    2001 in Kraft ist. Der Eingangssteuersatz, der 1998, also
    während Ihrer Regierungszeit, bei 25,9 Prozent lag, wird
    auf 15 Prozent im Jahr 2005 sinken.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Spitzensteuersatz, der Ihnen immer besonders am
    Herzen liegt, wird von 53 Prozent 1998 auf 42 Prozent
    im nächsten Jahr sinken. Durch die Erhöhung des
    Grundfreibetrages werden Haushalte und Unternehmen
    nunmehr jedes Jahr um 52 Milliarden Euro entlastet.
    Das ist in der Tat eine große Steuerreform, wie es sie zu-
    vor niemals gegeben hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben auch den Körperschaftsteuersatz gesenkt
    und dafür gesorgt, dass der im Unternehmen verblei-
    bende Gewinn steuerlich besser gestellt wird, um die Ei-
    genkapitalbildung zu stärken. Hinzu kommt bei den Per-
    sonengesellschaften die Verrechnung der Gewerbesteuer
    mit der Einkommensteuerschuld. Auch dort wird also
    die Eigenkapitalbildung gestärkt.

    Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema
    Steuergerechtigkeit machen. Um es ganz konkret zu






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    machen, welche Wirkung unsere Steuerpolitik auf die
    Einkommen der Menschen in diesem Land hat, möchte
    ich folgende Beispiele nennen: Ein lediger Arbeitnehmer
    – ohne Kinder, unter 50 Jahre, Steuerklasse I/0 – ver-
    fügte im Jahre 1998 über ein Bruttoarbeitseinkommen
    von 24 695 Euro. Er wird im Jahr 2005 über ein Brutto-
    einkommen verfügen, das um 2 820 Euro höher liegt.
    Von diesen 2 820 Euro werden ihm 2 566 Euro belassen.
    Anders ausgedrückt: Sein verfügbares Einkommen nach
    Steuern und Sozialabgaben steigt von 60,2 Prozent wäh-
    rend Ihrer Regierungszeit auf 63,3 Prozent im Jahr 2005.
    Dafür haben wir gesorgt. Wenn jemand etwas für die Er-
    höhung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer getan
    hat, dann waren wir das mit unserer Steuerreform.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)


    Am Beispiel eines Arbeitnehmers, der verheiratet ist,
    zwei Kinder hat und Alleinverdiener ist, wird es noch
    sehr viel deutlicher – vielleicht werden Sie anschließend
    noch ein bisschen unruhiger –, für welche Entlastungen
    wir gesorgt haben bzw. sorgen werden. Das Bruttoar-
    beitseinkommen eines solchen Arbeitnehmers steigt von
    1998 bis 2005 zunächst nur um 2 821 Euro. Aber sein
    verfügbares Einkommen nach Steuern und Sozialabga-
    ben erhöht sich um 3 790 Euro, das heißt, dass er trotz
    eines höheren Einkommens quasi mit niedrigeren Steu-
    ern belohnt wird. Das liegt übrigens in erster Linie am
    Kindergeld. Das ist Familienpolitik, die wir wollen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    So sieht die Bilanz für die Durchschnittsverdiener aus.
    Wenn ich die Tabelle einmal dahin gehend betrachte,

    wie es für einen verheirateten Alleinverdiener mit zwei
    Kindern je nach der Größenordnung des Einkommens
    ausschaut – ich will das im Einzelnen gar nicht weiter
    ausführen –, dann stelle ich fest, dass die größten Entlas-
    tungen im unteren Einkommensbereich stattfinden und
    dass die Entlastungen mit steigendem Einkommen ab-
    nehmen. Dafür muss man sich nicht schämen; das ist
    vielmehr schlicht gerechte Steuerpolitik.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich möchte es noch an ein paar anderen Zahlen deut-
    lich machen. Zunächst zur Einkommensteuer – sie ist die
    umverteilende Steuer –: Die oberen 10 Prozent zahlen
    54 Prozent der Einkommensteuer, die unteren 50 Pro-
    zent ganze 9 Prozent. Auch das ist die Wirklichkeit.
    Übrigens, Sie waren strikt dagegen. Wir haben das durch
    den Abbau einer Fülle von Steuervergünstigungen
    gleich im Frühjahr 1999 erreicht. Sie haben das alles be-
    kämpft.

    Dass wir das erreicht haben, war die Voraussetzung
    dafür, dass im oberen Einkommensbereich nicht einfach
    alles abgeschrieben werden kann. So sind auch die Be-
    zieher höherer Einkommen, die – übrigens, ganz legal –
    eine Fülle von Steuervergünstigungen in Anspruch neh-
    men konnten, betroffen. Das wurde eingeschränkt, damit
    wieder ordentlich Steuern gezahlt werden. Das ist unsere
    Steuerpolitik. Sie richtet sich weniger gegen Sie – im
    Wahlkampf richtet sie sich manchmal auch gegen Sie –
    als vielmehr gegen andere, die Falsches verbreiten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wer über die Einnahmeseite redet, der muss auch
    über den Steuerbetrug reden, Stichwort Umsatzsteuer-
    betrug. Wir arbeiten mit den Ländern seit Jahren an der
    Bekämpfung dieses Problems. Es wird auch mit Brüssel
    so schnell keinen Systemwechsel geben. Ein System-
    wechsel bei der Umsatzsteuer würde – selbst wenn er
    mit Brüssel zu vereinbaren wäre – an einem nichts än-
    dern: dass die Umsatzsteuer die betrugsanfälligste und
    mit dem höchsten Verwaltungsaufwand verbundene
    Steuer ist. Auch deswegen plädiere ich nachdrücklich
    dafür – dabei könnten die Länder eine ganze Menge
    mehr tun –, dass ebendieser Verwaltungsaufwand betrie-
    ben wird. Es geht nicht anders. Eine Steuerhinterziehung
    in Höhe von 20 Milliarden Euro – davon spricht das Ifo-
    Institut – ist nicht hinnehmbar.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch mit Blick auf die Diskussion in der Föderalis-
    muskommission sage ich hier ausdrücklich – ich finde
    die Initiative von der FDP, das auch hier wieder zur
    Sprache zu bringen, richtig –: Der Bund ist bereit, beim
    Vollzug dieser Steuer eine ganz andere Verantwortung
    zu übernehmen. Dabei sollte es nicht um Kompetenzfra-
    gen gehen; vielmehr sollte derjenige, der am ehesten in
    der Lage ist, den Vollzug so zu gewährleisten, dass der
    Umsatzsteuerbetrug ordentlich zurückgedrängt wird, die
    Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne sollten wir
    die Debatte führen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])


    Sie wissen, dass wir den Vorschlag, eine Bundessteu-
    erverwaltung einzurichten, in die Kommission einge-
    bracht haben. Ich will ausdrücklich sagen: Ich stehe
    dazu. Allein die Tatsache, dass wir Bundesgesetze beim
    Aufkommen von Zweifelsfragen in Bezug auf die Ausle-
    gung in über 100 Kränzchen, in denen Vertreter aller
    16 Länder und ein Vertreter des Bundes sitzen, klären
    müssen – oft in einem mehrstufigen Verfahren –, ist ein
    schweres Hindernis. Wir müssen doch in der Lage sein,
    einem Unternehmen oder einem Privatmann innerhalb
    von Tagen zu sagen, wie unser Steuerrecht einzuschät-
    zen ist, was also im Einzelfall genau gemeint ist. Wenn
    man 100 Kränzchen braucht, die zur Klärung solcher
    Fragen mehrere Tagungen abhalten, dann geht das nicht.
    Das geht am besten, wenn derjenige, der ein solches Ge-
    setz erlässt, der Bundesgesetzgeber, autorisiert ist, Zwei-
    felsfragen zu beantworten. Anders kann ich mir das auf
    Dauer überhaupt nicht vorstellen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wer über die Einnahmen redet, der muss auch über
    den Kampf gegen die Steuerhinterziehung an anderen






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    Stellen sprechen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin froh,
    dass wir uns – auch wenn es nur ein erster Schritt ist – in
    der Europäischen Union auf die Besteuerung von Zins-
    erträgen verständigt haben, dass wir uns darüber auch
    mit der Schweiz einig sind, dass die entsprechende Re-
    gelung in der Schweiz, in vielen assoziierten Gebieten
    und in anderen Drittländern zum 1. Juli nächsten Jahres
    in Kraft tritt. Ich mache mir aber keine Illusionen: Das
    ist erst ein Anfang. Anders geht es übrigens weder in Eu-
    ropa noch sonst wo in der Welt; man bekommt nie eine
    perfekte Lösung.

    Aber es wird weiter gehen; ich sage das mit allem
    Nachdruck. Wenn in diesem Herbst die G 20, die größ-
    ten Industrie- und Schwellenländer dieser Erde, die zu-
    sammen über mehr als 90 Prozent des Bruttosozialpro-
    dukts der Welt verfügen, für sich selbst den OECD-
    Standard beim Auskunftsaustausch in Steuerfragen für
    verbindlich erklären, dann wird damit ein großer Schritt
    im Kampf gegen die internationale Steuerhinterzie-
    hung nach vorne getan. Es kann nicht hingenommen
    werden, dass es auf dieser Erde Steueroasen gibt, also
    Länder, die ihr Einkommen im Wesentlichen dadurch er-
    zielen, dass sie den Steuerbetrug in anderen Ländern för-
    dern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das darf nicht sein. So kann internationale Gemeinschaft
    nicht funktionieren.

    Wir alle können das nicht wollen. Denn was heißt das
    für die vielen ehrlichen Steuerzahler? Wenn sie ein sol-
    ches Bild vermittelt bekommen, dann müssen sie doch
    am System zweifeln. Deswegen ist der grenzüberschrei-
    tende Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine unserer
    vornehmsten Aufgaben. Wir alle sollten uns daran betei-
    ligen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dasselbe gilt im Kampf gegen die Schwarzarbeit.
    Ich weiß nicht, ob die Zahl von Professor Schneider
    richtig ist – wahrscheinlich weiß das niemand genau –;
    15 oder 16 Prozent Schattenwirtschaft, das wären um die
    350 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgaben-
    quote von 36 oder 36,5 Prozent kämen dann über
    100 Milliarden Euro an Steuern und Sozialbeiträgen
    nicht ein. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Den
    kann man nicht allein dadurch beseitigen, dass man die
    Steuern und Abgaben senkt – das tun wir ja schon –; es
    wird immer eine große Differenz bleiben zwischen einer
    ehrlichen Arbeit, bei der in die Sozialsysteme eingezahlt
    wird und Steuern entrichtet werden, und einer unehrli-
    chen Arbeit, bei der weder Sozialbeiträge noch Steuern
    gezahlt werden. Deswegen müssen wir alle zusammen
    diesen Kampf im Interesse der ehrlichen Unternehmer
    und der ehrlichen Arbeitnehmer sowie im Interesse lega-
    ler Arbeitsplätze führen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bin froh darüber, dass sich nunmehr – da hat man
    bei den Wirtschaftsverbänden gezögert; das habe ich
    nicht verstanden –, ausgehend von Berlin und dem
    Bündnis für Regeln am Bau, eine Entwicklung republik-
    weit vollzieht und dass es zu lokalen Bündnissen
    kommt, bei denen sowohl die Gewerkschaften als auch
    die jeweiligen Handwerksverbände bzw. Industriever-
    bände zusammenarbeiten; denn auch mit 7 000 Finanz-
    kontrolleuren – das ist schon eine ordentliche Aufsto-
    ckung – kann ich den Kampf gegen die Schwarzarbeit
    allein nicht bestehen. Die werde ich, wie ich immer ge-
    sagt habe, konzentriert dort einsetzen, wo der Miss-
    brauch am größten ist, wo es um richtig organisierte Kri-
    minalität geht; da ist zuallererst und mit Härte
    zuzufassen. Wir brauchen aber auch ein anderes Rechts-
    bewusstsein der Gesellschaft, damit dieser Sumpf ausge-
    trocknet wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zum zweiten Teil zum Thema Wachstum: Innova-
    tionsoffensive. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft,
    die immer älter wird und immer weniger Kinder hat –
    das ist doch das Problem; das Problem ist nicht, dass wir
    älter werden; das ist für uns alle ja schön; man muss sich
    nur einmal in der Runde umsehen


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    – das war ganz selbstkritisch gemeint; keine Angst! –;
    dass wir so wenig Kinder haben, ist das Problem – muss
    man sich überlegen, wie wir unsere Probleme bewälti-
    gen. Wir dürfen die öffentlichen Haushalte nicht mit im-
    mer höheren Schulden und damit Zinsen für früher auf-
    genommene Schulden belasten – so haben wir das
    Jahrzehnte gemacht; das versuchen wir ja zu ändern –
    und nicht immer höhere Sozialausgaben fordern. Wir
    brauchen ein Feld für Zukunftsaufgaben. Das fängt bei
    den Kindern, bei den unter Dreijährigen, an. Wir haben
    zwar keine Zuständigkeit in diesem Bereich – das ist Ge-
    meindesache –, aber wir haben gesagt: Wir entlasten die
    Kommunen bei Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro. Da-
    von sollen sie nachhaltig 1,5 Milliarden Euro für den
    Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen einset-
    zen. – Ich hoffe, dass nicht nur das Geld, sondern auch
    die Botschaft ankommt und das entsprechend umgesetzt
    wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen haben wir auch – ohne Zuständigkeit; das
    ist eine Zuständigkeit der Länder und Kommunen – das
    Ganztagsschulprogramm aufgelegt, das zu einem Er-
    folg wird. Die Leute fragen ja nicht: „Wer hat die Zu-
    ständigkeit?“, sondern: Wird das Problem in Deutsch-
    land gelöst?

    Wir können nicht damit zufrieden sein, wie unser Bil-
    dungswesen funktioniert. Die PISA-Studie zeigt das
    deutlich. Sie zeigt übrigens auch – das sage ich nun be-
    wusst als Finanzminister –, dass es einen direkten Zu-
    sammenhang zwischen den eingesetzten Mitteln und
    dem Erfolg nicht gibt. Man wird die Priorität Bildung
    nicht ohne mehr Mittel erreichen können – das ist wohl
    wahr –, aber es besteht ja auch die Möglichkeit, Mittel
    schlecht einzusetzen. Deswegen sage ich allen: Denken
    Sie an so etwas, wie es Frau Kollegin Bulmahn mit den






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    Juniorprofessoren an den Hochschulen erlebt hat! Das
    Neue macht es für den Nachwuchs an deutschen Univer-
    sitäten interessanter. Das darf nicht im Gewirr des Föde-
    ralismus – um das deutlich zu machen: im Kompetenz-
    gewirr – untergehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir sehen unsere Chance als ein rohstoffarmes Land
    gerade darin, mit besserem Denken, mit besserer Quali-
    tät unserer Produkte und unserer Erfindungen an der
    Spitze zu bleiben. Das heißt, dass dieser Bereich zu
    stärken ist. Das heißt dann übrigens auch, dass wir die
    Lissabon-Strategie ernst nehmen. Wir werden es zwar
    unter Umständen nicht bis 2010 erreichen, Europa zur
    wettbewerbsfähigsten Region der Erde zu machen, aber
    das Ziel ist richtig. Alle Länder der Europäischen Union
    sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, wir auch.

    So skeptisch der Finanzminister bei quantifizierten
    Zielen oft ist, was wohl verständlich ist: Wir haben uns
    das Ziel „3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für For-
    schung und Entwicklung“ gesetzt. Wir müssen das dann
    auch erfüllen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das bedeutet: Wir müssen mehr in Forschung und Ent-
    wicklung investieren. Das war die Ankündigung des
    Bundeskanzlers im Rahmen der Agenda 2010 am
    14. März vergangenen Jahres.

    Wir haben einen Finanzierungsvorschlag unterbreitet:
    Da, meine Damen und Herren, wird es interessant. In ei-
    nem gesättigten Wohnungsmarkt – –


    (Zurufe von der FDP)

    – Ja, wir kommen auch noch zu anderen Punkten, keine
    Angst. Aber auch dieser Punkt ist spannend; denn wenn
    ich mich richtig erinnere, stand in Ihrem Wahlprogramm
    2002 noch drin, dass man die Einkommensgrenzen bei
    der Eigenheimzulage aufheben sollte. Sie von der FDP
    sollten sich einmal zu Gemüte führen, was Sie da vorge-
    schlagen haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich sage Ihnen: Wer sein Haus selber bauen kann,
    braucht vom Staat und damit von der Gemeinschaft kein
    Geld dazu. So viel vorweg.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


    Aber wir haben ja ein anderes Problem: Zum einen
    machen wir Jahr für Jahr zu hohe Schulden, zum ande-
    ren muss mehr Geld in Zukunftsfelder investiert werden.
    Darüber besteht doch, wie ich glaube, kein Dissens; da-
    rin sind wir uns doch einig. Nun müssen wir aber auch
    sagen, woher das Geld kommen soll. Mich treibt um,
    dass wir das wenige Geld, das wir noch haben, falsch
    ausgeben, nämlich insbesondere für Subventionen von
    veralteten Strukturen statt für Investitionen in Zukunfts-
    felder.


    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

    Das kann so nicht bleiben. Deswegen sind Sie an dieser
    Stelle gefordert.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ich bin übrigens bereit, dies in jeder Versammlung
    oder Diskussionsrunde zu vertreten. Zwar ist die Eigen-
    heimzulage nicht unpopulär, aber die Menschen sehen
    ein, dass es angesichts des derzeitigen Wohnungsmark-
    tes und der derzeitigen Finanzlage wichtiger ist, in die
    Betreuung und Ausbildung unserer Kinder zu investie-
    ren als in den Bau oder Umbau von Häusern. Das sehen
    sie ein, das begreift jeder Mensch und das müssen wir
    machen, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Im Übrigen wissen ja auch Sie, dass der Sachverstän-
    digenrat, die Bundesbank und alle Wirtschaftsfor-
    schungsinstitute davon reden, dass die Steuersubventio-
    nen weg müssen. Auch Sie tun das implizit. Sie haben ja
    schon gesagt, dass Sie bereit wären, diese Subvention
    aufzugeben, wenn denn Ihre Steuerreform käme. Aber
    mit diesem Verhalten jagen Sie einer Schimäre nach;
    denn Ihre Steuerreform kann aufgrund der damit verbun-
    denen zusätzlichen großen Einnahmeausfälle in den
    nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden. Auch
    das ist angesichts der Lage dieses Landes die Wahrheit.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Folgen Sie doch der Einsicht, zu der Sie mittlerweile
    gekommen sind, und lassen Sie uns – Bund, Länder und
    Gemeinden – eine gemeinsame große Anstrengung für
    die Sicherung der Ausbildung unserer Kinder und für die
    Förderung von Forschung und Entwicklung, also zur Si-
    cherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, unter-
    nehmen. Das würde 2,5 Milliarden mehr für die Länder,
    900 Millionen Euro mehr für die Kommunen und
    2,5 Milliarden mehr für den Bund bedeuten, die wir
    nachhaltig – das baut sich ja im Laufe der Jahre weiter
    auf – in den weiteren Ausbau von Bildung und For-
    schung investieren könnten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zum Aufbau Ost: Wir verstetigen die GA Ost auf ho-
    hem Niveau; der Solidarpakt – auch dieses Geld muss ja
    erarbeitet werden – gilt bis einschließlich 2019. Bei der
    Gelegenheit möchte ich als Finanzminister etwas zu den
    Diskussionen sagen, die derzeit im Lande geführt wer-
    den. Auch ich bemühe mich bei Versammlungen im
    Westen wie im Osten darum, dass nicht neue Vorurteile
    und Gegensätze entstehen. Das müssen wir verhindern.
    Ich glaube aber, dass wir zu lange gezögert haben, die
    schlichten ökonomischen Fakten beim Namen zu nen-
    nen.

    Ein schlichtes ökonomisches Faktum können wir in
    diesem Jahr, in dem die anderen mittel- und osteuropäi-
    schen Reformstaaten der EU beigetreten sind – 15 Jahre,
    nachdem die DDR zur Bundesrepublik gekommen ist –,






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    den Menschen leichter und besser nahe bringen: Die
    Länder, die jetzt beigetreten sind, bekommen von Brüs-
    sel maximal 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als
    Hilfe, um ihren Aufbau voranzubringen. Wir transferie-
    ren jedes Jahr 4 Prozent des deutschen Bruttoinlandspro-
    duktes von West nach Ost. Das bedeutet, dass das ost-
    deutsche Bruttoinlandsprodukt zu einem Drittel aus
    Transferleistungen besteht. Das haben nicht die Men-
    schen zu verantworten, die da leben, sondern das ist die
    Konsequenz der Wiedervereinigung, die so schnell kom-
    men musste, weil wir eine Nation und ein Volk sind und
    sich die DDR gar nicht so lange wie die anderen Länder
    hätte aufrecht halten können, bis sie die Kopenhagener
    Beitrittskriterien – eine funktionierende Marktwirtschaft
    und wettbewerbsfähige Betriebe – erfüllt hätte. Beides
    hatte sie nämlich nicht. Die Folge davon aber war eine
    Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Die Konsequenz
    daraus, meine Damen und Herren – ich sage das ganz
    leise –, sind doch nicht blühende Landschaften innerhalb
    von wenigen Jahren und „aus der Portokasse bezahlt“,
    sondern ist, dass eine ganze Generation in Deutschland
    vor einer harten Herausforderung steht. Diese Tatsache
    kommt jetzt langsam in den Köpfen der Menschen an
    und sie sollte keine Zwietracht säen.

    Wir hatten bei unserer letzten Kabinettsklausur den
    schwedischen Ministerpräsidenten zu Besuch. Es war
    gut, jemanden zu hören, der einen Blick von außen auf
    unsere Situation wirft und sich auskennt.


    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er war der Einzige!)


    – Er war nicht der Einzige. – Er hat gesagt: Was ist ei-
    gentlich mit euch los? Seid doch stolz auf die enorme
    Leistung, die ihr als Deutsche erbringt! – Das ist unsere
    gemeinsame Aufbauleistung in Deutschland!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist klar, dass der Osten nicht immer noch mehr be-
    kommen kann; das geht nicht. Ebenso ist klar, dass der
    Westen dem Osten die Solidarleistungen, die er für ihn
    erbringt, nicht neiden darf. Die Aufgabe besteht darin,
    mehr und mehr dahin zu kommen, dass – darüber muss
    mit Blick auf Gelsenkirchen und manche Gegend in Ost-
    deutschland eine vernünftige Debatte geführt werden –
    nicht mehr nur zwischen Ost und West in Deutschland
    unterschieden wird, sondern dort, wo die Problemlagen
    die gleichen sind, auch gleiche Antworten gefunden
    werden. In dieser Weise muss Deutschland zusammen-
    wachsen und darf nicht auseinander getrieben werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen sage ich in aller Ruhe zur PDS: Wer
    glaubt, man könne etwas gewinnen, indem man sich als
    ostdeutsche Partei gegen den Westen stellt, schadet uns
    allen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben die gemeinsame Freude, dass die Mauer weg
    ist und dass alle in Einheit und Freiheit leben können,
    und wir haben die gemeinsame Aufgabe, die Probleme
    zu lösen.


    (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wer macht denn mit denen Koalitionen?)


    – Wir können uns ja mal die Verhältnisse auf der kom-
    munalen Ebene anschauen; da wird es richtig span-
    nend. – Diese gemeinsame Aufgabe gehört genau wie
    die anderen Wachstumsfaktoren zum Wachstumsprozess
    dieses Landes.

    Damit komme ich zu Punkt drei, der Konsolidierung.
    Herr Austermann wird in seiner Rede nachher sicherlich
    darauf zu sprechen kommen und sich über die Schulden
    beklagen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen, Herr
    Austermann, sogar zu; auch mir sind die Schulden viel
    zu hoch. Ich wehre mich allerdings dagegen, dass Sie
    den Chefankläger spielen. In den Jahren Ihrer Regie-
    rungszeit nach der Wiedervereinigung betrug das jahres-
    durchschnittliche Defizit des Bundes 1,8 Prozent. In den
    fünf Jahren, die wir jetzt regieren, liegt das jahresdurch-
    schnittliche Defizit des Bundes bei 1,5 Prozent.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das Staatsdefizit insgesamt – Bund, Länder, Gemeinden
    und soziale Sicherungssysteme – lag in Ihrer Zeit bei
    jährlich 2,8 Prozent, in unserer Zeit liegt es bei jährlich
    2,6 Prozent.

    Dabei habe ich sogar – was Sie wahrscheinlich nicht
    getan hätten – die UMTS-Erlöse herausgelassen. Wenn
    Sie diese hineinrechnen, vermindert sich das Defizit in
    unserer Zeit jahresdurchschnittlich um ein halbes Pro-
    zent. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Sie
    haben in all den Jahren im Schnitt mehr Schulden ge-
    macht als wir und eignen sich deshalb überhaupt nicht
    zum Chefankläger; das ist blanke Heuchelei.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bleibe dabei: Natürlich ist das Ziel ein ausgegli-
    chener Haushalt. Natürlich sind dem Bundesfinanzmi-
    nister alle Schulden zu hoch. Aber erstens gab es von
    2001 bis 2003 eine wirtschaftliche Stagnation. Zweitens
    musste die Haushaltslücke so groß nicht sein. Das
    Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen, das
    ich Ende 2002 vorgelegt habe, hätte eine Jahreswirkung
    von 17 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemein-
    den gehabt. Im Bundesrat durchgehen lassen haben Sie
    gerade 2,4 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Um
    14,6 Milliarden Euro könnte die Lücke kleiner sein, als
    sie ist. Deshalb machen Sie mir keine Vorwürfe im Zu-
    sammenhang mit den Privatisierungserlösen! Das akzep-
    tiere ich nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wie gewaltig Ihr Mut war, haben wir im vergangenen
    Jahr beim Haushaltsbegleitgesetz gesehen. Wenn wir
    uns das Ganze jetzt einmal in Ruhe ansehen, stellen wir






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    fest, dass die Wahrheit doch folgende ist: Wir haben seit
    1999, seit der Auflegung des Zukunftsprogramms 2000,
    jetzt im sechsten Jahr in Folge einen Konsolidierungs-
    haushalt vor uns. Hätten wir damals nicht damit begon-
    nen, hätte das zur Folge gehabt, dass wir allein im Bund
    jedes Jahr 20 Milliarden Euro mehr Schulden hätten.

    Ich kann mich übrigens sehr gut erinnern, dass, als ich
    dieses Programm einleitete, jeder gesagt hat, das gehe
    gar nicht. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit aus-
    drücklich sagen: Bei allem Streit, den wir auch mit dem
    Kollegen Rexrodt gehabt haben, hat es doch sehr viele
    faire Bemerkungen im Haushaltsausschuss gegeben. Als
    ich damals das 30-Milliarden-DM-Paket vorlegte, gab es
    von Herrn Rexrodt im Haushaltsausschuss die Bemer-
    kung: Das schaffen Sie nie. Mehr als 15 Milliarden DM
    ist nicht drin. – Es war eine harte Arbeit. Es wurden
    – das will ich an die Adresse von Herrn Stoiber sagen;
    ich komme auf ihn gleich zurück – 7,5 Prozent bei allen
    beeinflussbaren Haushaltspositionen eingespart.

    Was ist die Konsequenz? Wir haben die Finanzhilfen
    an den Stellen, an denen wir selber entscheiden konnten
    und an denen der Bundesrat nicht blockieren konnte – an
    anderen Stellen hat er selbst angesichts Mehrheiten, die
    nicht eindeutig waren, manchmal blockiert –, um 50 Pro-
    zent auf 6 Milliarden Euro im nächsten Jahr gekürzt, sie
    also halbiert. Die Personalausgaben in 2005 liegen bei
    einem Gesamtvolumen von 27 Milliarden Euro nur um
    400 Millionen Euro höher als im Jahre 1998, obwohl es
    in der Zwischenzeit Tarifsteigerungen gegeben hat, die
    kumuliert 11,3 Prozent ausgemacht haben. Wir beschäf-
    tigen im öffentlichen Dienst des Bundes heute deutlich
    weniger Menschen als die alte Bundesrepublik Deutsch-
    land vor der Wiedervereinigung. Das sind die Konse-
    quenzen unserer Konsolidierungspolitik.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, Herr Eichel!)


    Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlandspro-
    dukt ist von 12,1 Prozent im Jahr 1998 auf 11,5 Prozent
    in diesem Jahr zurückgegangen. Die Ausgaben sind ins-
    gesamt gleich geblieben. Es gibt nur eine Ausgabe, die
    gestiegen ist – sie macht praktisch die gesamte Steige-
    rung aus –, und zwar die für den Arbeitsmarkt. Im Jahr
    2000 betrugen die betreffenden Ausgaben 15 Milliarden
    Euro und im Jahr 2005 – das ist das Problem – sind es
    29,6 Milliarden Euro. In dieser Zahl ist eine Hartz-Prä-
    mie enthalten, die später eingelöst werden kann.

    Wir haben eine konsequente Konsolidierung betrie-
    ben. Auf der Ausgabenseite haben wir wegen der Kon-
    junktur das Arbeitsmarktproblem – deswegen gehen wir
    das Thema an – und auf der Einnahmenseite das Steuer-
    problem.

    Der Konsolidierungskurs war nicht nur ohne Alterna-
    tive, sondern er war auch erfolgreich.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Setzen!)

    Deswegen bin ich jetzt sehr gespannt, was Sie zu dem
    Haushalt 2005 zu sagen haben. Wir haben im Haushalt
    2005 – das ist nach Strukturreformen und Wachstumsini-
    tiativen der dritte Teil – das konsequent fortgesetzt, was
    wir 1999 – die Wirkungen habe ich bereits geschildert –
    eingeleitet haben. Die globale Minderausgabe von 2003
    bei der Rente wird voll umgesetzt. Die noch schärferen
    Vorschläge von Koch/Steinbrück zum Subventionsabbau
    werden voll umgesetzt. In der Landwirtschaft wird das,
    worüber wir alleine entscheiden können und was Sie im
    vergangenen Herbst im Vermittlungsverfahren behin-
    dert haben, komplett umgesetzt. Ich komme gleich noch
    darauf zurück, weil dies eine pikante Variante hat.

    Allerdings gilt: Solange die Konjunktur nicht auf bei-
    den Beinen – Export und Binnennachfrage – steht, wird
    es ein darüber hinausgehendes, zusätzliches Konsolidie-
    rungspaket nicht geben, weil es wachstumsschädlich ist
    und deshalb nicht zu verantworten ist.


    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Weil wir auf jeden Fall – das wird auch im Zuge der
    Haushaltsberatungen deutlich werden – Art. 115 des
    Grundgesetzes einhalten werden, indem wir nicht mehr
    neue Schulden machen, als wir für Investitionen ausge-
    ben, brauchen wir Privatisierungserlöse in der Größen-
    ordnung von 15 Milliarden Euro. Die Privatisierungs-
    politik ist übrigens dieselbe wie zu Ihrer Zeit. Auch wir
    sind nicht gezwungen, an die Börse zu gehen. Wir wer-
    den es nur dann tun, wenn es im Hinblick auf die Kurs-
    pflege vernünftig ist. Es gibt ja die problemlose Park-
    lösung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

    Da Ihnen die Neuverschuldung zu hoch ist – auch mir
    ist sie zu hoch –, muss ich Sie fragen: Warum haben Sie
    sich dem einzigen Instrument, das uns jetzt noch zur
    Verfügung steht, nämlich dem steuerlichen Subventions-
    abbau, immer in den Weg gestellt? Das ist doch das ei-
    gentliche Problem. Beklagen Sie nicht die Höhe der Pri-
    vatisierungserlöse, wenn Sie andere Türen schließen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Mir können Sie das jedenfalls nicht ans Bein binden. Ich
    will das in aller Klarheit sagen.

    Ein paar Risiken sind noch zu berücksichtigen. Es
    muss noch der Betrag in Höhe von 2,2 Milliarden Euro
    im Rahmen von Hartz IV erbracht werden. Dieser Be-
    trag ergibt sich aus dem erhöhten Zuschuss an die Kom-
    munen und aus der Auszahlung zum 1. Januar. Ich bin
    den Haushältern der Koalition sehr dankbar, dass sie
    deutlich gemacht haben, dass sie den Haushalt passieren
    lassen und dass sie eigene Anstrengungen unternehmen
    – die Bundesregierung wird diese unterstützen –, damit
    wir diesen Betrag erbringen können. Das wird nicht ein-
    fach werden; es wird aber selbstverständlich geschehen.

    Natürlich müssen wir die Novembersteuerschätzung
    abwarten. Dazu will ich mich jetzt nicht weiter äußern.
    Dies hat im Moment keinen Zweck; das wäre Kaffee-
    satzleserei.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    Ich weise nur darauf hin, dass bisher in allen Progno-

    sen davon ausgegangen wird, dass wir unser Wachs-
    tumsziel im nächsten Jahr erreichen. Es gibt sogar eine
    Reihe von Prognosen, zum Beispiel die des Internationa-
    len Währungsfonds, in denen ein Wachstum von mehr
    als 2 Prozent vorausgesagt wird.

    Auf Ihre Reaktion – ich sagte es ja schon – bin ich
    nun gespannt. Herr Austermann, ich habe gehört – ich
    weiß nicht, ob es stimmt –, dass Sie auf der Bereini-
    gungssitzung Einsparvorschläge in Höhe von 7,5 Mil-
    liarden Euro machen wollen. Das werden wir uns anse-
    hen.

    Herr Stoiber hat einen anderen Vorschlag gemacht: In
    allen Bereichen soll um 5 Prozent gekürzt werden. Die-
    ser Vorschlag von Herrn Stoiber kommt daher, dass er,
    nachdem er seine Haushalte bisher mit Privatisierungser-
    lösen gespeist hat, dies zum ersten Mal nicht mehr kann,


    (Zuruf von der SPD: Alles weg!)

    weil er alles veräußert hat und nun wirklich einen Spar-
    haushalt vorlegen muss. In der Begeisterung über seinen
    Sparhaushalt übersieht er schlicht, dass wir mit der Kon-
    solidierung bereits 1999 begonnen haben. Wenn man fair
    ist und in Ruhe darüber diskutiert, muss man zugeben,
    dass im sechsten Jahr des Sparens kaum noch Fleisch an
    den Knochen ist. Man wird hier und dort noch etwas fin-
    den, wenn man alles noch einmal durchwühlt; aber das
    ist nicht mehr viel.

    5 Prozent über alles einzusparen bedeutet zum Bei-
    spiel beim Rentenzuschuss eine Kürzung um 4,2 Milliar-
    den Euro. Das führt – um es gleich zu sagen – zu einer
    Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,4 Pro-
    zentpunkte oder zu einer Rentenkürzung um 2 Prozent.


    (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

    Wollen Sie das? Glaubt irgendjemand nach dem, was wir
    dort gemacht haben, dass das ein vernünftiger Vorschlag
    wäre? Sie können ihn natürlich einbringen. Aber ich
    gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie ihn nicht einbrin-
    gen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Bei der Bundeswehr würde eine Einsparung von
    5 Prozent eine Kürzung um 1,2 Milliarden Euro bedeu-
    ten. Ich kenne doch Ihre Klagen, dass die derzeitigen
    Mittel nicht ausreichen. Bringen Sie den Vorschlag ein,
    die Mittel für die Bundeswehr um 1,2 Milliarden Euro
    zu kürzen?

    Bei den Verkehrsinvestitionen würde dieser Einspar-
    vorschlag eine Kürzung um 1,16 Milliarden Euro bedeu-
    ten. Ich kenne doch die Klagen, die jetzigen Mittel seien
    nicht ausreichend.


    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Bringen Sie einen solchen Vorschlag wirklich ein?

    Schauen wir uns auch noch die landwirtschaftliche
    Sozialpolitik an; dieses Schmankerl kann ich Ihnen nicht
    ganz ersparen. Eine Kürzung um 5 Prozent würde ein
    Minus von 255 Millionen Euro über das hinaus bedeu-
    ten, was ich bereits vorgeschlagen habe. Im Vermitt-
    lungsverfahren des letzten Herbstes hat Herr Stoiber er-
    klärt: Wenn in diesem Bereich auch nur 1 Cent gekürzt
    wird, ist das ganze Vermittlungsverfahren beendet. –
    Jetzt schlägt er über meine Vorschläge, die er damals ab-
    gelehnt hat, hinaus vor, die Mittel für die Landwirtschaft
    zusätzlich um 255 Millionen Euro zu kürzen. Das wird
    aber eine Freude!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es gibt einen Bereich, zu dem ich gleich sagen muss,
    es hat keinen Zweck, 5 Prozent einzusparen: Bei den
    Zinsen kann nicht gekürzt werden. Oder soll ich den
    Banken sagen, dass wir unsere Schulden nicht mehr be-
    dienen?


    (Joachim Poß [SPD]: Herr Austermann, das können Sie jetzt aufklären!)


    Kurzum, ich bin auf Ihre Vorschläge sehr gespannt.
    Einer Sache bin ich ganz sicher: Die Vorstellungen von
    Herrn Stoiber werden bei diesen Vorschlägen – wie auch
    immer sie aussehen – nicht dabei sein.

    Wir werden uns also interessanten Haushaltsberatun-
    gen zuwenden. Wir werden die Lücke von 2,2 Milliar-
    den Euro schließen. Wir werden alles daransetzen – das
    wird nicht einfach werden; ich habe Ihnen schon darge-
    stellt, was Sie mit Ihren Versuchen beim Zahnersatz an-
    richten würden –, im nächsten Jahr wieder unter die
    3 Prozent des Maastricht-Kriteriums zu kommen.

    Ich will bei dieser Gelegenheit etwas zu unserem
    Stand im Hinblick auf die Haushaltsentwicklung in der
    Europäischen Union bzw. in der Eurozone sagen. Sie
    versuchen, alles Deutschland anzuhängen. Wir machen
    es einmal ganz einfach: Wir sind in der Hochkonjunktur
    mit einem Defizit von 1,2 Prozent bzw. einem Defizit
    von 24 Milliarden Euro gestartet. Wir sind letztes Jahr
    bei einem Defizit von 3,8 Prozent gelandet. Das macht
    einen Swing von 2,6 Prozent. Mit anderen Worten: Un-
    ser Problem war nicht, dass wir in dieser Zeit nicht mit
    der Marge von 3 Prozent ausgekommen wären. Unser
    Problem war, dass wir in die Stagnation mit einem Defi-
    zit gestartet sind. Dies lasse ich aber nicht mir anhängen.
    Sie müssen einmal sehen, was wir von Ihnen übernom-
    men haben. Als wir an der Regierung waren, haben wir
    die Konsolidierung sofort eingeleitet. Schieben Sie also
    die Schuld nicht anderen Leuten zu!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Lafontaine!)


    – Lafontaine hat in den Haushalt nur das hineingenom-
    men, was Sie nicht angesetzt hatten, zum Beispiel die
    Postunterstützungskassen. Sie wissen es doch besser,
    Herr Dr. Meister!

    Eines ist interessant: Es gibt in Europa eine Fülle von
    Ländern, die alle im Hinblick auf das Defizitkriterium
    von 2000 bis 2004 eine Abweichung um mehr als
    2,6 Prozent haben – ich lese sie Ihnen einmal vor –: die
    Niederlande, Großbritannien, Griechenland, Finnland,
    Irland, Luxemburg und Schweden. Sie alle weisen eine






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    stärkere Abweichung als wir auf. Sie sind in der Regel
    aus einer besseren Position gestartet, das ist wahr. Hier
    lasse ich mir aber nichts ans Bein binden; denn es zeigt,
    dass die deutsche Finanzpolitik in diesen Jahren sehr
    vorsichtig gewesen ist.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist auch die Grundlage unserer Diskussion. Muss-
    ten wir denn in Brüssel – den Satz von EU-Kommissar
    Almunia, wonach mehr ökonomische Logik in die An-
    wendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu brin-
    gen ist, unterstreiche ich – erst dann zu solchen ökono-
    mischen Debatten kommen, nachdem die Hälfte der
    Länder der Eurozone jenseits der 3 Prozent lagen? Auch
    unsere verehrten Chefankläger in den Niederlanden sind
    inzwischen ganz freundlich geworden – wir haben sogar
    mit ihnen eine gemeinsame Position –, sie liegen näm-
    lich bei über 3 Prozent, obwohl sie mit einem Plus ge-
    startet sind. Ihre Abweichung liegt nicht wie unsere bei
    2,6 Prozent, sondern bei 4,4 Prozent. Daran sehen Sie,
    dass die Sache ernst geworden ist.

    Auf europäischer Ebene wird nicht der Stabilitäts-
    und Wachstumspakt infrage gestellt – das wäre auch
    ein fundamentaler Fehler –, aber es ist die Frage zu stel-
    len: Ist das in erster Linie Juristerei oder Ökonomie?
    Wie schaffen wir es, in Europa wie in Deutschland zu
    Wachstum zu kommen, um mit Wachstum zu konsoli-
    dieren? Im geringen Wachstum liegt unsere Schwäche.
    Ausgabendisziplin und Wachstum sind die beiden ent-
    scheidenden Faktoren, uns und vielen anderen fehlt es
    am Wachstum, nicht an der Ausgabendisziplin. Deswe-
    gen ist diese Debatte sinnvoll und nützlich. Wir brau-
    chen den Stabilitäts- und Wachstumspakt und wir brau-
    chen eine vernünftige, ökonomische Anwendung dieses
    Pakts. Wir brauchen auch die Sanktionen aus diesem
    Pakt. Die zwingende Voraussetzung für Sanktionen ist
    aber, dass jemand bewusst gegen den Pakt verstößt. Das
    werden wir Deutsche aber nicht tun und das haben wir
    auch in der Vergangenheit nicht getan.

    Es findet eine vernünftige Debatte statt, die darüber
    hinaus das Ziel von Lissabon und das Ziel des Stabili-
    täts- und Wachstumspakts miteinander vereinbaren
    muss. Wir brauchen eine konzertierte Strategie und nicht
    eine Strategie, bei der auf der einen Seite der Stabilitäts-
    und Wachstumspakt und auf der anderen Seite die Lissa-
    bon-Strategie stehen.

    Ich sage daher auch an die Adresse der Kommission,
    sehr nachdrücklich: Wir brauchen selbstverständlich
    eine kohärente Politik der Kommission. Derjenige, der
    von uns verlangt, dass im Aufschwung – er verlangt das
    natürlich zu Recht – all das, was zusätzlich eingenom-
    men wird, zum Abbau von Schulden eingesetzt wird
    – dazu bekenne ich mich, das haben wir beim Minister-
    rat verabredet, es ist ein gemeinsamer Beschluss aller –,
    kann nicht erwarten, dass sein eigener Haushalt exorbi-
    tant steigt. Das bedeutet, dass die Konsolidierungsstrate-
    gie im Zusammenhang mit der europäischen Solidarität
    und mit der Haushaltsstrategie der Europäischen Union
    gesehen werden muss. Das heißt, mehr als 1 Prozent des
    Bruttoinlandseinkommens sind nicht drin. Für uns ist
    das schon eine Steigerung für 2013, denn der Beitrag
    wird von jetzt 21 Milliarden Euro auf dann
    32 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Wachstumsrate,
    die der deutsche Haushalt nie haben wird. Die Vorstel-
    lung, dies noch einmal zu verdoppeln – das hieße,
    Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent bei der Zu-
    weisung nach Europa zu akzeptieren –, ist nicht von die-
    ser Welt, egal ob sie die Prodi-Kommission oder die
    Barroso-Kommission vertritt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU] – Waltraud Lehn [SPD]: Das ist absurd!)


    Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt – so war es bis-
    her – einer Meinung sind. Das ist kein Aufkündigen der
    europäischen Solidarität. Das heißt nur – langsam wer-
    den sie in Osteuropa nachdenklich –: Solidarität besteht
    auch darin, dass diejenigen, die aufgrund eigener An-
    strengungen und mit unserer Hilfe bisher wunderschöne
    Aufholprozesse erlebt haben, so beispielsweise die
    Spanier, die Portugiesen und die Iren, nun ihren Beitrag
    leisten und auf einen Teil der bisherigen Subventionen
    verzichten müssen. Subventionen dürfen nicht zur
    Gewohnheit werden; das gilt für Deutschland und für
    Europa.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es wird eine interessante und ökonomisch vernünftige
    Diskussion. Es ist nur schade, dass wir dafür so lange
    gebraucht haben.

    Wir befinden uns in einer Situation, in der wir weiß
    Gott große Herausforderungen zu bestehen haben und in
    der es so viel Unruhe im Land gibt wie schon lange nicht
    mehr. In dieser Situation haben wir es nötig und ergrei-
    fen die Chance, über die Herausforderungen, vor denen
    wir stehen, mit den Menschen zu diskutieren. Das ge-
    schieht zurzeit und immer mehr Menschen verstehen es.
    Wie ich schon am Anfang gesagt habe, können wir das
    aus einer Position großer eigener Gelassenheit und
    Stärke tun; denn wer sonst kann es schaffen, wenn nicht
    wir?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


    – Ja, wer sonst?
    Ich will Ihnen zum Schluss zwei Zitate von der Ta-

    gung der Nobelpreisträger, die am Wochenende am Bo-
    densee stattgefunden hat, vorlesen. Reinhard Selten, der
    deutsche Nobelpreisträger, sagte wörtlich:

    Mich hat beeindruckt, dass bei einer Befragung un-
    ter Spitzenmanagern Deutschland als einer der bes-
    ten Standorte herauskam.

    Sagen wir das doch endlich einmal wieder laut, von
    welcher Position aus wir unsere Herausforderungen
    meistern!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen sage ich: Wer, wenn nicht wir.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundesminister Hans Eichel

    Warum eigentlich führen wir in immer kürzeren Ab-

    ständen Weltuntergangsdiskussionen? Das ist ein Scha-
    den für sich. Meine Kollegen Finanzminister, die auch
    die deutsche Presse lesen, fragen mich – wie auch Jean-
    Claude Juncker – bei Treffen immer: Was ist eigentlich
    bei euch los? Was ist das für ein Land, das auf der einen
    Seite so stark ist, wie uns das Göran Persson gesagt hat,
    auf der anderen Seite aber so selbstquälerisch diskutiert?

    Robert Mundell, der amerikanische Nobelpreisträger,
    sagte auf Europa bezogen wörtlich:

    Die EU hat die Währungsunion verwirklicht, nun
    ist die politische Union ihr Ziel. Auch das wird sie
    erreichen. Europa wird in großartiger Form sein.

    – Das sagt ein Amerikaner. –
    Wir sagen oft, Europa sei nicht so erfolgreich wie
    die USA. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt pro
    Kopf genauso stark oder stärker gewachsen als in
    den USA. Nur hat die Bevölkerung nicht im glei-
    chen Maße zugenommen, deshalb expandiert die
    europäische Wirtschaft absolut gesehen nicht so
    schnell wie die amerikanische.

    Das ist das Urteil des amerikanischen Nobelpreisträgers.
    Meine Damen und Herren, wir können viel kritisie-

    ren, aber bitte lassen Sie uns diese Debatte in dem Be-
    wusstsein führen, dass wir ein starkes Land sind, das vor
    großen Herausforderungen steht, und nicht, dass wir ein
    Land am Rande des Abgrundes sind.


    (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dietrich Austermann, CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Es ist geradezu absurd, dass wir jetzt

    eineinviertel Stunden lang eine Haushaltsrede des Bun-
    desfinanzministers gehört haben, die das Thema „Situa-
    tion des Haushalts, Perspektiven des Finanzplans für die
    Zeit ab 2005“ überhaupt nicht tangiert hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was hat das denn damit zu tun gehabt?)


    Man hatte vielmehr den Eindruck – das wurde auch in
    dem äußeren Auftreten deutlich –, dass er sich mit seiner
    Rede an diese gelangweilten und gescheiterten Froh-
    naturen, die eben noch hier gesessen haben, gerichtet
    hat. Der Finanzminister hat immer nach rechts geschaut.
    Ich vermute, der Kanzler hat ihm vorher gesagt: Hans,
    wenn du über den Haushalt redest, fliegst du gleich raus.


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Lehn [SPD]: Welch unangemessener Ton!)


    Deshalb hat er gesagt: Ich halte mich zurück und warte
    noch ein bisschen.
    Die Situation ist ziemlich klar. Herr Eichel, Sie wer-
    den es nicht erreichen, dass ich alle die Themen, die Sie
    haben, aufgreife. Ihre Rede war ein ausgesprochener
    Themensalat, aber nichts davon hatte mit dem Haushalt
    zu tun. Ich möchte dennoch einige Bemerkungen zu dem
    machen, was Sie gesagt haben:

    Sie werfen uns vor, wir hätten eine Fülle von Maß-
    nahmen verhindert, und deswegen hätten Sie nicht spa-
    ren können. Ich lese Ihnen einmal aus dem Protokoll des
    Vermittlungsausschusses vom letzten November vor.
    Danach haben Sie Kürzungen in einer Größenordnung
    von 24,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Gemeinsam
    getragen wurden Kürzungen in Höhe von 22,7 Milliar-
    den Euro. Lediglich Kürzungen in Höhe der verbliebe-
    nen Differenz wurden von uns aus den unterschiedlichs-
    ten Gründen nicht mitgetragen. Jetzt zu sagen, wir hätten
    Ihre Sparmaßnahmen blockiert, ist geradezu aberwitzig.

    Wir haben bei der Kürzung der Eigenheimzulage mit-
    gemacht. Erzählen Sie doch nicht den Quatsch, hier sei
    nichts verändert worden. Ich nenne nur die Entfernungs-
    pauschale und die im Rahmen des „Korb II“ durchge-
    führten Änderungen bei der Tabaksteuer und einer gan-
    zen Reihe sonstiger Steuern.

    Auch bei der Umsetzung des Koch/Steinbrück-Pa-
    piers haben wir mitgemacht. Die Liste dieser Sparvor-
    schläge kam ja nicht aus Ihrem Haus, sondern von den
    Ministerpräsidenten. Aber wie sehen die Konsequenzen
    des Koch/Steinbrück-Papiers aus? Das, was darin zum
    Thema Kohle beschlossen worden ist, haben Sie igno-
    riert.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! Ja!)

    Sie haben weiterhin Hunderte von Millionen Euro in die-
    sen Bereich gesteckt und mittelfristig ein Programm in
    Höhe von über 16 Milliarden Euro als zusätzliche Hilfe
    für die Kohle aufgelegt. Erzählen Sie uns also nicht, wir
    seien zum notwendigen Subventionsabbau nicht bereit
    und hätten die Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorgesehen
    haben, nicht verantwortet.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Eichel, wenn ich das, was Sie zum Haushalt ge-

    sagt haben, richtig werte, dann komme ich zu folgendem
    Schluss: Sie haben zu wenig Geld und Sie geben es auch
    noch falsch aus. Alles andere, was Sie gesagt haben,
    hatte mit dem Haushalt im Wesentlichen nichts zu tun.

    Herr Eichel, lassen Sie mich, auch wenn die Vergan-
    genheit für Sie sicherlich nicht hilfreich ist, auf das
    Jahr 1998 Bezug nehmen: Im Jahre 1998 betrug das ge-
    samtstaatliche Defizit 2,2 Prozent und es gab steigende
    Beschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlen und spru-
    delnde Steuereinnahmen. Das hat den Bundeskanzler,
    der damals noch Kanzlerkandidat war, veranlasst zu sa-
    gen: Dies ist mein Aufschwung.

    Herr Eichel, was haben Sie daraus gemacht? 1998
    war Deutschland wie ein intaktes Auto mit intaktem Mo-
    tor, gewissermaßen ein Superfahrzeug.


    (Joachim Poß [SPD]: Oh, oh!)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dietrich Austermann

    Sie haben gleichzeitig Gas gegeben und die Bremse ge-
    treten und dadurch den Motor ruiniert. Jetzt wundern Sie
    sich, dass das Fahrzeug nicht mehr so gut fährt und stot-
    tert. Genau das ist die derzeitige Situation.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Um das angesprochene Beispiel mit dem Nobelpreisträ-
    ger aufzunehmen: Wenn hier im Hause jemand einen
    Nobelpreis verdient hätte, wären Sie es: wegen Schul-
    denmachens.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl!)

    In dieser Hinsicht sind Sie in der Tat ungeschlagene
    Spitze.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun komme ich zu den konkreten Zahlen des Haus-

    haltes und zur tatsächlichen Situation in Deutschland.
    Damit reden wir unser Land nicht schlecht. Niemand hat
    daran Interesse. Aber man muss die Situation so be-
    schreiben, wie sie ist: Wir befinden uns in der größten
    Haushalts-, Finanz- und Arbeitsmarktkrise seit 1949.
    Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Eichel, vorgelegt
    haben, verschärft diese Krise. Als Basis für gemeinsame
    Gespräche ist er ungeeignet. Deswegen sagen wir: Neh-
    men Sie diesen Haushaltsentwurf zurück und legen Sie
    einen neuen vor. Besser wäre, wenn ein anderer Finanz-
    minister einen neuen Entwurf einbringen würde, damit
    ein Papier vorgelegt wird, über das man streiten und ent-
    scheiden kann.

    Jetzt möchte ich zusammentragen, wie die Situation
    bis Ende 2005 tatsächlich aussieht, wenn dieser Haushalt
    gegolten haben wird. 2005 befinden wir uns sechs Jahre
    nach der Übernahme der Regierung durch Rot-Grün und
    zwei Jahre vor dem Ende der rot-grünen Regierungszeit.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir befinden uns Ende 2005 in einer Situation, in der Sie
    neue Schulden in Höhe von 150 Milliarden Euro ge-
    macht haben werden. Der Schuldenstand wird auf
    890 Milliarden Euro angestiegen sein. Darüber hinaus
    haben Sie Bundesvermögen in Höhe von 100 Milliarden
    Euro verscherbelt. Wenn ich die neuen Schulden von
    150 Milliarden Euro und das verscherbelte Bundesver-
    mögen von 100 Milliarden addiere, entspricht das Ver-
    mögen, das Sie verbrannt haben – 250 Milliarden Euro –,
    exakt der Dimension des Bundeshaushaltes für ein gan-
    zes Jahr. Dies ist in der Tat kein Beweis für eine nachhal-
    tige Politik, die Sie von Rot-Grün – vor allem die
    Grünen – immer wieder anmahnen.

    Diese Situation spüren auch die Bürger in unserem
    Land an vielen Stellen. Die Reallöhne stagnieren auf
    dem Niveau des Jahres 1991. Die Sozialhilfeausgaben
    sind seit 1998 um 3 Milliarden Euro gestiegen.
    1,2 Millionen Kinder leben von der Sozialhilfe. Unter
    Rot-Grün ist Deutschland ärmer geworden. Herr Bun-
    desfinanzminister, Sie sind mit Abstand der größte
    Schuldenmacher und Vermögensminderer, der in der
    Nachkriegszeit in Deutschland tätig geworden ist.

    Man kann ganz grob sagen: Überall dort, wo Rot-
    Grün regiert, ist die Situation gleich. Wo Rot-Grün re-
    giert, ist die Pleite programmiert. Das könnte ich auch
    auf Schleswig-Holstein beziehen; denn hier gibt es Pa-
    rallelen. Man muss bloß ein Fernglas nehmen, es umdre-
    hen und die entsprechenden Zahlen vergleichen. Dann
    stellt man etwa die gleiche Situation fest. Rot-Grün
    bleibt Rot-Grün, ob in Kiel oder Berlin. Nur ein Unter-
    schied ist: Die Zahlen für Kiel sind ein Dreißigstel der
    Zahlen für den Bund. Bei den geplanten Schulden wurde
    zu Beginn des Jahres ein Betrag x angegeben; am Ende
    des Jahres kam der doppelte Betrag heraus. Die Investi-
    tionen sinken ständig. Der Haushalt ist drei Jahre hinter-
    einander verfassungswidrig. Die Investitionen schrump-
    fen. In 16 Jahren wurden in Schleswig-Holstein unter
    Frau Simonis und ihrem Vorgänger mehr Schulden ge-
    macht als in den 39 Aufbaujahren der von der CDU ge-
    führten Regierungen in Kiel.

    Herr Eichel, die neuen Schulden, die Sie in diesem
    Jahr machen, reichen aus, um jeden Schleswig-Holstei-
    ner mit einem neuen Golf-Fahrzeug zu versehen:
    45 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr! Al-
    leine die Zinsen auf die Schulden, die Sie seit 1998 ge-
    macht haben, decken das gesamte Ausgabenvolumen
    des Kieler Landesetats ab. Dass es auch besser geht,
    zeigt übrigens das Saarland. Sie können daran sehen: Wo
    die Union regiert, läuft es besser. Das Saarland hatte frü-
    her die rote Laterne, unter Lafontaine – die Älteren wer-
    den sich noch an ihn erinnern –, inzwischen ist diese rote
    Laterne abgegeben worden und Schleswig-Holstein hat
    sie. Wir werden das in Schleswig-Holstein ab 2005 än-
    dern.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Haushaltsent-

    wurf 2005 ist der Inbegriff des Scheiterns rot-grüner
    Haushalts- und Finanzpolitik: Er ist offensichtlich ver-
    fassungswidrig, verstößt gegen die Maastricht-Kriterien,
    ist ohne Perspektive, enthält keine Konsolidierung, be-
    deutet eine Überforderung künftiger Generationen, ist
    wachstumspolitisch kontraproduktiv und finanzpolitisch
    unsolide. Er enthält eine Fülle von Risiken, die nicht
    verarbeitet worden sind. Wie kann man hier einen Haus-
    haltsentwurf vorstellen und gleichzeitig sagen: „Ich
    weiß, dass verschiedene Ausgaben nicht eingeplant und
    dass verschiedene Einnahmen zu hoch angesetzt worden
    sind“?

    Ich rechne Ihnen das bei Hartz IV einmal vor: Da
    fehlen 5 Milliarden Euro. Sie haben zunächst entgegen
    dem beschlossenen Gesetz den Arbeitslosenhilfe-Emp-
    fängern die Januarzahlung verweigern wollen – 1,9 Mil-
    liarden Euro –; Sie haben den Gemeinden etwas verspro-
    chen, was Sie im Haushalt nicht vorgesehen haben
    – 1,4 Milliarden Euro –; Sie haben nicht berücksichtigt,
    dass für mehr Leute Eingliederungsgeld erforderlich ist
    – das macht 700 Millionen Euro –, und Sie haben nicht
    bedacht, dass unter Ihrer Regierung die Zahl der Lang-
    zeitarbeitslosen leider nicht statisch ist oder zurückgeht,
    sondern dass sie ständig steigt. Insgesamt fehlen alleine
    bei Hartz IV 5 Milliarden Euro. Es fehlen darüber hi-
    naus etwa 5 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt. Es
    fehlen Mauteinnahmen: Mit Sicherheit kommen die
    3 Milliarden Euro im nächsten Jahr wie in diesem Jahr






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dietrich Austermann

    nicht zusammen. Der mit 3,5 Milliarden Euro angesetzte
    Bundesbankgewinn dürfte utopisch sein. 2 Milliar-
    den Euro aus dem ERP-Sondervermögen – darüber
    müssen wir noch einmal reden. Eine Reihe von Detail-
    entscheidungen sind offensichtlich von vornherein
    kontraproduktiv für die weitere wirtschaftliche Ent-
    wicklung. Schauen wir es uns doch einmal an: Der Ver-
    kehrsetat sinkt ständig. Ursprünglich sollten einmal
    3 Milliarden Euro aus Mauteinnahmen draufgelegt wer-
    den – mehr für Schiene, Straße und Wasserstraße. Was
    ist tatsächlich passiert? Sie haben die Mittel gekürzt,
    weil die Mauteinnahmen ausblieben, sodass heute nur
    noch 75 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen. Der im
    Juni beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist Makula-
    tur.

    Lassen Sie mich auch etwas zur Förderung in den
    neuen Bundesländern sagen, Herr Eichel. Sie haben
    das Thema Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirt-
    schaftsstruktur“ leider nicht angesprochen. Deshalb
    muss ich es tun. Die Förderung der regionalen Wirt-
    schaftsstruktur lag im Jahre 1998 um 1 Milliarde Euro
    höher als heute. Sie ist mehr als halbiert worden. Das be-
    deutet, in den neuen Bundesländern können Anstöße für
    die wirtschaftliche Entwicklung, für Betriebserweiterun-
    gen überhaupt nicht mehr in dem Umfang gegeben wer-
    den. Sie haben, über Koch/Steinbrück hinaus, auch noch
    die Mittel für dieses Jahr bis Mitte des Jahres gänzlich
    gesperrt und damit nur einen Teil zur Verfügung gestellt.
    Milliardeninvestitionen in den neuen Bundesländern lie-
    gen heute auf Eis und können nicht umgesetzt werden,
    weil Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
    besserung der regionalen Wirtschaftstruktur“ brutal zu-
    sammengestrichen haben. Wenn ich dann noch sehe,
    dass die Bundesagentur für Arbeit in gleicher Weise bei
    den Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik vor allen Din-
    gen in den neuen Bundesländern kürzt – und das mit Ih-
    rer Unterstützung –, kann ich nur sagen: Pfui Deiwel,
    was hier in den neuen Bundesländern gemacht wird!


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Während Sie das tun, wird gleichzeitig ein erhebli-

    cher Betrag für die Kohle zusätzlich draufgesattelt. Ich
    habe die Größenordnung genannt: Über 16 Milliar-
    den Euro zusätzlich bis zum Jahre 2003.


    (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2003? Sie sind ja völlig durcheinander!)


    – 2013, vielen Dank. – Und dann reden Sie von einer In-
    novationsoffensive. Wenn man sich das anschaut, stellt
    man fest: Da wird ein kleiner Kleckerbetrag zusätzlich
    bereitgestellt, unter der Voraussetzung, dass wir einer
    weiteren Kürzung der Eigenheimzulage zustimmen –
    wie im Haushalt ja überhaupt viele Dinge voneinander
    abhängig gemacht werden, damit man hinterher gar
    nicht mehr weiß, woran es gelegen hat, wenn etwas kas-
    siert wird.


    (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir schon alles!)


    In der Tat wird im Etat für Forschung im Jahr 2005 we-
    niger Geld für Innovation bereitgestellt. Und das nennen
    Sie Innovationsoffensive! In der Semantik waren die Ro-
    ten immer groß, in der Realität haben Sie immer versagt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat die größte

    Wachstums- und Beschäftigungskrise im Land zu ver-
    antworten. Dass wir jetzt nur ein Miniwachstum zu ver-
    zeichnen haben, ist das Ergebnis von sechs Jahren
    wachstumsfeindlicher Politik. Dass es auch anders geht,
    sehen wir in vielen Industrienationen. Dass der Export
    brummt, beweist im Grunde genommen nur, dass es alle
    Länder um uns herum, die unsere exportierten Waren
    kaufen, wesentlich besser können. Sie sind in bescheide-
    nem Maße gewissermaßen ein Trittbrettfahrer der Welt-
    wirtschaft.

    Wie wir wissen, führt das allerdings nicht dazu, dass
    zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Es gibt gewisserma-
    ßen „jobless growth“, das heißt, eine sinkende und keine
    steigende Beschäftigung. Bei den Steuereinnahmen ist
    es genau das Gleiche. Einen Aufschwung können Sie
    aus der Bilanz, die Sie heute vorgelegt haben, nicht ent-
    nehmen. Die Steuereinnahmen stagnieren bestenfalls
    und die Beschäftigung sinkt. Das macht in der Tat große
    Probleme. Es gibt in letzter Zeit 600 000 Beitrags- und
    Steuerzahler weniger. Jeder kann sich vorstellen, was
    das auch für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet.
    Die Zahl der Firmenpleiten wird in diesem Jahr ein
    neues Rekordniveau erreichen. Der Stillstand dauert seit
    drei Jahren an. In diesem Jahr wird die Neuverschuldung
    des Bundes zum dritten Mal hintereinander die Verfas-
    sungsgrenze übersteigen und die Maastricht-Kriterien
    verletzen.

    Herr Eichel, Sie werden verstehen, dass ich Aussa-
    gen, die Sie einmal gemacht haben, zitiere, auch wenn
    man sagen kann, dass Sie die Rede, die Sie heute gehal-
    ten haben, auch vor einem, zwei oder drei Jahren hätten
    halten können. Das, was Sie mit Blick nach vorne gesagt
    haben, war relativ dürftig und ist im Übrigen auch in der
    Vergangenheit schon nicht eingetreten. Ende 2001 haben
    Sie gesagt: Auf jeden Fall werden wir unter der Grenze
    von 3 Prozent bleiben. Wir werden den Stabilitätspakt
    auf Punkt und Komma einhalten, allenfalls nicht, wenn
    der Himmel einstürzt.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Man hat den Eindruck, der Himmel sieht ziemlich

    verbeult aus. Er ist schon dreimal eingestürzt – the same
    procedure as every year. Der regelmäßige Einsturz des
    Himmels gehört offensichtlich zur Routine von Rot-
    Grün. Sie haben den Marsch in den Schuldenstaat ange-
    treten. Ich habe darauf hingewiesen, wie groß die Schul-
    den sind, die Sie uns hinterlassen werden. Sie wollen die
    Investitionsausgaben mittelfristig um 10 Milliarden Euro
    herunterfahren. Wir haben die niedrigste Investitions-
    quote der Nachkriegszeit. Die Substanz unserer Volks-
    wirtschaft wird in rasantem Tempo aufgezehrt. Gleich-
    zeitig wird die Staatsverschuldung mit zunehmender
    Geschwindigkeit in die Höhe getrieben. Am Jahresende
    werden gewaltige Beträge fehlen.

    Schauen Sie sich allein die Steuereinnahmen des Bun-
    des in den ersten sieben Monaten dieses Jahres an. Tei-






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dietrich Austermann

    len Sie sie durch sieben und multiplizieren Sie sie mit
    13 – also einschließlich des Weihnachtsgeldes, wenn es
    denn noch gezahlt wird –, dann kommen Sie in diesem
    Jahr auf eine Lücke in einer Größenordnung von
    18 Milliarden Euro. Das zeigt die ganze Dramatik der
    Entwicklung. Wir werden in diesem Jahr neue Schulden
    in Höhe von 45 Milliarden Euro – vielleicht sogar we-
    sentlich mehr – statt geplanter 30 Milliarden Euro ma-
    chen.

    Man muss die Fragen stellen, warum diese Entwick-
    lung so eingetreten ist und warum das Geld eigentlich
    fehlt. Zum einen sind die konsumtiven Ausgaben gestie-
    gen. Für die Rente geben wir gegenüber 1998
    50 Prozent mehr aus. Leider kommt das wegen der unbe-
    rechenbaren Rentenpolitik nicht bei den Rentnern an.
    Daneben wird der Umsatzsteuerbetrug nicht entschlos-
    sen bekämpft. Die großen Körperschaften wurden da-
    durch belohnt, dass der Staat jahrelang praktisch auf
    Steuereinnahmen verzichtet hat. 2001 und 2002 wurde
    keine einzige Mark bzw. kein einziger Euro an Körper-
    schaftsteuer eingenommen. Das in den 90er-Jahren übli-
    che Körperschaftsteueraufkommen ist bis heute auf ein
    Drittel geschrumpft. Vor allen Dingen das macht deut-
    lich, weshalb Geld fehlt. Geld fehlt natürlich auch, weil
    es kein Wachstum gibt. Geld fehlt wegen des tölpelhaf-
    ten Vorgehens bei der Maut. Geld fehlt, weil der Staat
    nicht investiert, weder in den Verkehr noch in die For-
    schung. Geld fehlt wegen der immer höheren Steuerbe-
    lastung.

    Es ist schon aberwitzig, dass sich Einzelne in der Re-
    gierung, die 1998 mit dem Vorsatz angetreten sind, den
    Menschen das Autofahren zu verübeln, jetzt darüber ent-
    rüsten, dass Energiekonzerne die Energiepreise nach
    oben treiben. Das muss doch genau die Politik sein, die
    Herr Trittin und Frau Künast immer wollten:


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sind sie denn?)


    hohe Energiepreise, um eine entsprechende Entwicklung
    beim Autofahren zu erreichen. Derjenige, der in diesem
    Jahr 18,7 Milliarden Euro an Ökosteuer einkassiert, regt
    sich über die Energiekonzerne auf. Nach dem Rasen für
    die Rente und dem Rauchen für die Gesundheit können
    Sie den Leuten doch nicht deutlich machen, dass Ihre
    Energiepolitik beim Wachstum etwas zur positiven Ent-
    wicklung beiträgt. Genau das Gegenteil ist der Fall.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


    Meine Damen und Herren, die Steuern fehlen aber
    auch deshalb, weil die Politik den Steuerflüchtigen kein
    echtes, vertrauenswürdiges Angebot gemacht hat und
    weil es nicht gelungen ist, die Schwarzarbeit zu be-
    kämpfen. Das Volumen der Schwarzarbeit hat sich auf
    16 Prozent des BIP erhöht.

    Von 1998 bis in dieses Jahr hinein ist das Volumen der
    Schwarzarbeit um 100 Milliarden Euro gestiegen. Wenn
    das, was heute in Deutschland an Schwarzarbeit geleistet
    wird, in legale Arbeit umgewandelt werden könnte, wür-
    den fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen
    und die Sozialabgaben um 6 Prozent sinken. Noch ein-
    mal: Wenn es uns gelingen würde, die Schwarzarbeit zu
    bekämpfen, gäbe es zusätzliche Arbeitsplätze für 5 Mil-
    lionen Menschen. Dass Sie es nicht geschafft haben, die
    Schwarzarbeit zu bekämpfen, lag auch an dem Zick-
    zackkurs vom Ende letzten Jahres, der dann von uns in
    eine vernünftige Regelung korrigiert wurde. Es musste
    ständig neu überlegt und neu nachgedacht werden.

    Wenn sich meine Rechnung bestätigen sollte, steht im
    November fest, dass Deutschland nicht weniger, sondern
    mehr Reformen braucht. Sie haben die Reformen übri-
    gens nur am Rande angesprochen. Ich gestatte mir, da-
    rauf hinzuweisen, dass der Bundeskanzler selbst gesagt
    hat: Es war ein Fehler, 1999 im Zusammenhang mit der
    Rente so gehandelt zu haben, wie man gehandelt hat. Er
    hat inzwischen auch eingesehen, dass es ein Fehler war,
    die Reformen im Gesundheitssystem zurückzunehmen.
    Er hat ebenso eingesehen, dass Sie an verschiedenen an-
    deren Stellen entscheidende Fehler gemacht haben, bei-
    spielsweise bei den Sozialabgaben und den Steuern.
    Gleiches gilt für viele andere Reformen, die Sie gemacht
    haben und die in die falsche Richtung gingen.

    Die Menschen bei uns in Deutschland gehen auf die
    Straße, weil sie keine Perspektive haben. Sie haben das
    Problem, ihnen nicht vermitteln zu können, dass es in
    absehbarer Zeit wieder aufwärts gehen wird. Zudem
    müssen die Belastungen jetzt wesentlich schärfer ausfal-
    len, weil man sechs Jahre verschlafen hat – Sie haben
    unsere richtigen Korrekturen nicht beibehalten –, die
    Entwicklung voranzutreiben. Ich glaube, das ist der ent-
    scheidende Punkt, der unser Land in diese Schwierigkei-
    ten gebracht hat: Alle vernünftigen Anstrengungen von
    uns haben Sie konterkariert und damit den Pfad in Rich-
    tung weniger Wachstum und Stagnation eingeschlagen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir brauchen eine Entlastung bei den Kosten der so-

    zialen Sicherungssysteme. Wir brauchen Flexibilität auf
    dem Arbeitsmarkt. Friedrich Merz hat dafür konkrete
    Vorschläge vorgelegt. Wir brauchen mehr Transparenz
    im Gesundheitswesen. Wir brauchen Verbesserungen im
    Bildungssystem. Wir brauchen eine wachstumsorien-
    tierte Steuerreform und -vereinfachung. Auch dafür
    haben Friedrich Merz und unsere Präsidien Vorschläge
    vorgelegt. All das könnte man sofort übernehmen und
    anfangen. Man könnte sofort Schritte unternehmen, die
    Steuerlast in Deutschland zu senken. Dass es nicht funk-
    tioniert, immer höhere Steuern zu verordnen, sieht man
    am besten am Beispiel Tabaksteuer: Je mehr der Staat
    die Bürger auspresst, umso weniger Einnahmen kom-
    men herein. Das war der falsche Weg. Deswegen sagen
    wir: Runter mit den Steuern! Wir brauchen einfachere
    und niedrigere Steuern.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir müssen bürokratische Investitionshemmnisse besei-
    tigen. All das müssen wir aber heute machen und nicht
    erst in Jahren, nicht erst nach dem Regierungswechsel
    im Jahr 2005 in Schleswig-Holstein und 2006 in Berlin.

    Ich sehe das Problem, dass durch die massive Schul-
    denaufnahme und die rabiate Privatisierung im Jahre 2006
    voraussichtlich kein Vermögen mehr vorhanden ist – es






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dietrich Austermann

    wird sozusagen verbrannte Erde hinterlassen –, welches
    für Investitionen eingesetzt werden und mit dem der
    Bund noch agieren könnte. Das nährt den Verdacht, dass
    Sie all das, was Sie im Jahr 2005 machen, nur tun, um
    die Landtagswahlen zu überstehen, dass Sie hier und
    dort noch ein bisschen schönfärben werden, weil unter
    anderem die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
    vor der Tür stehen, um dann – nach dem Motto: nach mir
    die Sintflut! – im Jahre 2006 den Offenbarungseid zu
    leisten.

    All das ist nicht neu. Das kennen wir von Ihnen und
    haben es überall dort gesehen, wo Sozialdemokraten
    regieren. Sozis können einfach nicht mit Geld umgehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie können Ihre Plattheit immer noch weiter überbieten! – Weiterer Zuruf von der SPD: So einen dummen Spruch habe ich lange nicht gehört!)


    Mit dem eigenen Geld können Sie schon umgehen, wie
    man an der Abwanderungstendenz Einzelner aus den
    Ministerien sieht, aber nicht mit dem Geld der Bürger.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Im Jahr 2005 verscherbelt die Bundesregierung Bun-

    desvermögen. Das heißt, sie deinvestiert. Damit wird er-
    neut das Maastricht-Kriterium verletzt. Sie haben auf
    den europäischen Vertrag Bezug genommen, Herr
    Eichel. Wir werden 2005 das einzige Land in Europa
    sein, das das Maastricht-Kriterium nicht einhält. Alle an-
    deren Länder haben es geschafft, aus einer schwierigen
    Situation heraus in eine bessere Lage zu kommen; wir
    nicht. Sie haben mit Blick auf die Verschuldung erklärt,
    die schleichende Vergiftung fortzusetzen habe unser
    Land nicht verdient. Ich kann nur sagen: Diese Regie-
    rung und dieses Handeln hat das Land nicht verdient,
    weil es bedeutet, dass die EU-Kommission früher oder
    später aus diesem Handeln die Konsequenzen ziehen
    wird.

    Der IWF hat Sie dazu aufgefordert, endlich mit dem
    Sparen zu beginnen. Wie kann man vom Konsolidieren
    reden, wenn die Ausgaben des Staates ständig weiter in
    die Höhe gehen?

    Maßgeblich ist nicht das, was Sie zu Beginn eines
    Jahres oder Mitte des Vorjahres als Entwurf vorlegen.
    Wenn wir das an dem messen, was davon Ende des Jah-
    res übrig bleibt, müssen wir ständig weitere Ausgaben
    unterstellen, und zwar vor allem im konsumtiven Be-
    reich und nicht bei den Investitionen. Das ist die falsche
    Entwicklung. Herr Eichel, Sie sind nicht der Retter, son-
    dern der Totengräber der Bundesfinanzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Problem ist, dass die Entwicklung der nächsten

    sechs Jahre in die falsche Richtung geht. Das struktu-
    relle Defizit wird in den nächsten Jahren 40 Milliarden
    Euro betragen. Wenn man nicht sofort massive Ein-
    schnitte, Haushaltssicherungsmaßnahmen und Haus-
    haltsbegleitgesetze, vorsieht, werden wir auf absehbare
    Zeit über die von Ihnen geplanten 20 Milliarden Euro
    Schulden hinausgehend bis zum Jahre 2000-X weitere
    20 Milliarden Euro Schulden machen müssen, um über-
    haupt den Konsum der Regierung bezahlen zu können.
    Das ist eine schlimme Entwicklung. Ihre Riege rot-grü-
    ner Maulhelden hat, was Finanz- und Haushaltspolitik
    betrifft, jedes Vertrauen verspielt.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Union akzeptiert diesen Haushalt nicht als Bera-

    tungsgrundlage. Wir fordern Sie auf – wenn der Minister
    nicht die Kraft dazu hat, muss es die Koalition tun –, ei-
    nen neuen Entwurf vorzulegen und den Vorschlag so
    umzustricken, dass daraus ein einigermaßen erträglicher
    und akzeptabler Entwurf wird. Wir sind bereit, daran
    mitzuwirken. Wir haben deutlich gemacht, dass wir be-
    reit sind, auch wenn wir diesen Haushalt in der zurzeit
    vorliegenden Form nicht als Grundlage akzeptieren kön-
    nen, ganz gezielt und pointiert einzelne Kürzungsvor-
    schläge zu machen.

    Uns wurde vorgehalten, dass die von uns vorgeschla-
    gene 3-prozentige Kürzung zu viel sei. Darauf ant-
    worte ich: Hat der Finanzminister eigentlich seinen Job
    verdient, wenn er im Angesicht von 260 Milliarden Euro
    nicht in der Lage ist, ein Kürzungspotenzial von
    3 Prozent zu finden? Man findet jeden Tag, wenn man
    die Zeitung aufschlägt, Negativbeispiele, nämlich Maß-
    nahmen, die offensichtlich ins Leere führen. In der Ver-
    waltung, bei Verfügungsmitteln und Beraterverträgen
    wird das Geld nach wie vor mit den Händen zum offenen
    Fenster hinausgeworfen. Herr Eichel, in Ihrem Umfeld
    streunt seit vielen Jahren ein Berater herum, der Hun-
    derttausende Euro kostet und offensichtlich nur die rich-
    tigen Sprechblasen entwickeln muss. Vorher war er Be-
    rater von Herrn Riester – die Älteren unter uns werden
    sich an ihn noch erinnern –; ihm hat er beigebracht, wie
    man einen Schlipsknoten bindet. Das muss doch nicht
    der Steuerzahler bezahlen. Das muss aufhören. Wir müs-
    sen endlich zu vernünftigen Regelungen kommen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt genügend Sparmöglichkeiten in diesem Haus-

    halt. Das fängt bei der Frage des Umsatzsteuerbetruges
    an, geht über die ideologischen Spielwiesen, von denen
    es gerade in der Haushaltspolitik der Grünen besonders
    viele gibt, über Sonderveröffentlichungen, bis hin zu den
    Gesellschaften, die Sie gründen. Etwa 30 Gesellschaften
    wurden neu gegründet.


    (Zuruf des Abg. Albrecht Feibel [CDU/CSU])

    – Die GEBB zum Beispiel, richtig, Herr Kollege Feibel.
    Die Mitarbeiter dieser 30 Gesellschaften verdienen auf
    höchstem Niveau, deren Geschäftsführer verdienen dop-
    pelt so viel wie der Bundeskanzler. Ihr wirtschaftlicher
    Ertrag ist gleich Null. Das muss der Steuerzahler nicht
    bezahlen. Auch in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit
    und Kohlesubventionen sehen wir gewaltiges Sparpoten-
    zial.

    Wir werden Anträge zu zwei Schwerpunktthemen
    stellen, die unser Konzept abrunden. Erstens brauchen
    wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur und zwei-
    tens mehr Geld für die Infrastruktur im Bereich For-
    schung. Diese zwei wesentlichen Bereiche sind für die






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dietrich Austermann

    Zukunft unseres Landes wichtig und werden von uns mit
    besonderer Priorität behandelt.

    Ich komme zum Schluss. Wer die finanziellen Grund-
    lagen unseres Landes ruiniert hat, darf keinen Tag länger
    Finanzminister sein. Herr Eichel, Sie haben den Motor
    des Fahrzeuges Bundesrepublik zu Schrott gefahren. Ein
    neuer Motor, ein neuer Finanzminister und eine neue Re-
    gierung müssen her. In einem Interview haben Sie ängst-
    lich gesagt, dass ein anderer Minister es kaum anders
    machen könnte. Schlechter sicher nicht; besser kann es
    wohl jeder. Packen Sie Ihr Sparschwein in Ihre Akten-
    tasche und gehen Sie ganz leise, mit Anstand. Unser
    Land hat diese Finanzpolitik nicht verdient!

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)