Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung und wünsche einen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich gebe rasch die amtlichen Mitteilungen bekannt: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Einsetzung einer unabhängigen Experten-Kommission „Demokratische und soziale Antworten auf die Herausforderungen der neuen Informationstechnologien" - Drucksache 13/2741 -
7. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P.: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik für Deutschland" - Drucksache 13/2753 -
8. Vereinbarte Debatte zur Frauenförderung in der Europäischen Union
9. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Frauenförderung in der Europäischen Union - Drucksache 13/2756 -
10. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes - Drucksache 13/2580 -
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung - Drucksache 13/2747 -
11. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für einen Beschluß über die Unterstützung von Aktionen zugunsten älterer Menschen durch die Gemeinschaft - Drucksachen 13/1442 Nr. 1.2, 13/1900 -
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeordneten der PDS: Abschaffung der Wehrpflicht - Drucksache 13/580 -
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und Verzicht auf Umstrukturierung der Bundeswehr für weltweite Kampfeinsätze - Drucksache 13/2499 -
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten der PDS: Kampfeinsätze der Bundeswehr - Drucksachen 13/136, 13/1880 -
15. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zur Altschuldenregelung für ostdeutsche Kommunen angesichts erster Bewertungsergebnisse eines Rechtsgutachtens zur Auferlegung von Rückzahlungsverpflichtungen
16. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 13/2746 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem ist vereinbart worden, die zweite und dritte Beratung des Wohneigentumsförderungsgesetzes von Donnerstag auf Freitag nach der Regierungserklärung und der zweiten und dritten Beratung des Wehrrechtsänderungsgesetzes zu verschieben. Der Tagesordnungspunkt 16 - Finanzierung von parteinahen Stiftungen - soll bereits heute als letzter Punkt der Tagesordnung beraten werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes
- Drucksache 13/2742 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch; entsprechend wird verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Heinz Schemken.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Schlechtwettergeld ist eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung, die uns intensiv und lange Zeit beschäftigt hat. Die Tarifpartner waren hier im höchsten Maße gefordert.
Es begann mit der Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms 1993. Wir haben damals im Arbeitsförderungsgesetz festgelegt, daß das Schlechtwettergeld mit dem Monat Februar 1996 auslaufen sollte. Wir wollten damit erreichen, daß die Tarifparteien ihre Bemühungen um eine ganzjährige Nutzung der Baukapazitäten und insbesondere um ein ganzjähriges Einkommen für die Arbeitnehmer verstärkten.
Mit der Leipziger Erklärung vom 10. März haben der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden sich bereit erklärt, Vereinbarungen über eine ganzjährige Beschäftigung und ein ganzjährig gesichertes Einkommen mittels bauspezifischer Lösungen für die Wochen- und Jahresarbeitszeit zu treffen. Die Bereitschaft dazu wurde an die Voraussetzung gebunden, daß in den Jahren 1994 und 1995 die Schlechtwettergeldzeiten wieder um die Monate März und November erweitert wurden.
Das haben wir dann durch die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes am 20. September 1994 geregelt. Damit wurde dem Anliegen der Tarifparteien des Baugewerbes Rechnung getragen.
In der Zwischenzeit konnten die Tarifverhandlungen im Baugewerbe - es waren schwierige Verhandlungen - einer grundsätzlichen Einigung zugeführt werden. Außer einer Flexibilisierung der Arbeitszeit erfolgte die Einführung eines tariflichen Überbrükkungsgeldes in Höhe von 75 % des ausgefallenen Arbeitsentgelts. Dies gilt für die ersten 150 Stunden bzw. 20 Tage witterungsbedingter Arbeitsausfälle; es ist eine Ersatzregelung für das Schlechtwettergeld.
Diese Regelung entspricht den Erwartungen der Tarifpartner. Die witterungsbedingten Risiken dieses Wirtschaftszweiges sind im wesentlichen aus eigener Kraft abzusichern; sicherlich ein Beispiel, das auch in Zukunft bei der Umgestaltung und beim Umbau des Sozialstaates noch eine Rolle spielen wird.
- Das ist ein gutes Beispiel. Man sollte den Tarifpartnern jetzt schon für das, was sie bisher geleistet haben, Dank sagen.
Die Betriebe des Baugewerbes sind jedoch nicht in der Lage, eine zeitlich unbefristete Absicherung ihrer Arbeitnehmer bei witterungsbedingten Ausfällen insgesamt über alle Tage zu gewährleisten. Daher sollen die eigenen Leistungen des Baugewerbes durch Leistungen der Arbeitsförderung, vor allem bei außerordentlichen Witterungsrisiken, insbesondere als Folge von strengen Wintern bei besonderer Anfälligkeit einzelner Gewerke, aber auch in Lagen, wo einzelne Regionen in besonderer Weise zu gewichten sind, ergänzt werden. Es ist eben in Deutschland nicht überall der gleiche harte Winter. Hier müssen wir auch regional reagieren.
Die Bundesanstalt für Arbeit wird deshalb neue Leistungen an Beschäftigte im Baugewerbe bei Arbeitsausfall in Schlechtwetterzeiten gewähren. Zu diesem Zweck wird im Arbeitsförderungsgesetz ein Winterausfallgeld eingeführt, das unter den genannten Umständen dann gezahlt wird, wenn eine befristete Vorausleistung, insbesondere des Überbrükkungsgeldes, ausgeschöpft ist.
Das bislang für geleistete Arbeitsstunden in der Zeit vom 1. Dezember bis zum 31. März gezahlte Wintergeld von 2 DM je Stunde soll auch für die Aufstockung der Vorausleistung zum Winterausfallgeld eingesetzt werden. Eine Erhöhung der Umlage zur Finanzierung des Wintergeldes ist zu vermeiden, denn es sind schon 2 % der Bruttolohnsumme. Wir alle wissen: Lohn- und Lohnnebenkosten spielen insbesondere im Baugewerbe eine große Rolle. Wir haben uns das gestern wieder bei einer Anhörung zum Entsendegesetz von der Bauwirtschaft, aber auch von den Vertretern der Arbeitnehmerschaft sagen lassen müssen. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern. Gerade im Baubereich ist dies in Europa eine herausragende Forderung für uns, für die Bauwirtschaft und insbesondere auch für die Tarifparteien.
Für Arbeiter auf witterungsabhängigen Arbeitsplätzen im Bauhauptgewerbe, denen aus witterungsbedingten Gründen nicht gekündigt werden kann, bleibt es auch in diesem Gesetz auf Grund der Tarifverträge bei dem Verbot zu kündigen. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1996 in Kraft. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird folgendes geregelt: Das zum Lohn zusätzlich zu zahlende Wintergeld von 2 DM wird für jede geleistete Arbeitsstunde - ohne Mehrarbeitsstunden - gezahlt. Dies gilt in der Zeit vom 15. Dezember über den Jahreswechsel bis hin in das neue Jahr bis Ende Februar. Die Leistung eines tariflichen Überbrückungsgeldes von 75 % des Bruttoentgelts für jede witterungsbedingt ausgefallene Arbeitsstunde - ohne Mehrarbeitsstunden - wird für insgesamt 150 Stunden - ich hatte es schon einmal gesagt - zwischen dem 1. Januar und dem 31. März und zwischen dem 1. November und dem 31. Dezember gewährt. Zum tariflichen Überbrückungsgeld kommt noch ein zusätzliches Wintergeld von 2 DM je Ausfallstunde. Die Zahlung eines Wintergeldes in Höhe des Kurzarbeitergeldes für jede witterungsbedingt ausgefallene Arbeitsstunde kommt dazu. Voraussetzungen hierfür sind allerdings wiederum das Maß der 150 ausgefallenen Arbeitsstunden und darüber hinaus der Zeitraum, den ich nannte: vom 1. Januar bis zum 31. März und vom 1. November bis zum 31. Dezember.
Eine wichtige Sache sind die Mittel zur Finanzierung. Hierbei haben die Tarifparteien sicherlich gerungen. Sie hätten es sich - ich sage das noch einmal ausdrücklich - auch leichter machen können. Die Mittel zur Finanzierung werden wie bisher durch die Umlage von Arbeitgebern des Baugewerbes erhoben. Dies gilt sowohl für das bisher schon gezahlte
Heinz Schemken
Wintergeld für die geleisteten Arbeitsstunden als auch für das zur Aufstockung der WinterausfallgeldVorausleistung vorgesehene Wintergeld.
Was wir erreicht haben, ist ein langersehntes Ziel: ein monatlicher Garantielohn für das ganze Jahr im Baugewerbe. Das ist sehr entscheidend, es ist eine gewisse Sicherheit auch für den Arbeitnehmer. Hierüber wurde lange Jahre gerungen. Ich darf hier noch einmal den Tarifpartnern Dank sagen. Es ist ein wichtiger Beleg, daß die Tarifpartnerschaft in Deutschland funktioniert. Dies ist meiner Meinung nach eine Grundvoraussetzung, wenn wir die Soziale Marktwirtschaft in Zukunft sichern wollen.
Das jährliche Ausgabenvolumen ist auf einen Mittelwert bezogen. Der langjährige Durchschnitt beläuft sich auf 13,7 Ausfalltage. Die Kosten für das bisherige Schlechtwettergeld betrugen rund 800 Millionen DM jährlich. Auch bei den Beratungen im Rahmen der soeben genannten Arbeitsförderungsgesetze haben wir diese 800 Millionen DM zur Begründung und Entlastung herangezogen. Das neue Winterausfallgeld, das flankierend notwendig ist, um den Tarifpartnern den Tarifvertrag zu ermöglichen, wird rund 200 Millionen DM ausmachen. Die Kostenbelastungen sind hier, so meine ich, begründet.
Wir sollten jetzt ans Werk gehen, damit der Tarifvertrag zum 31. Dezember 1995 noch zum Zuge kommt und wir ab 1. Januar 1996 im Baugewerbe ein sicheres Einkommen über zwölf Monate haben, eine Möglichkeit des Ausgleichs auch in den durch den Winter belasteten Zeiten. Ich bin fest davon überzeugt, dieses gute Beispiel der Tarifpartner wird uns auch bei den Beratungen begleiten. Ich darf Sie alle einladen, an diesem Gesetz mitzuwirken.
Schönen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Konrad Gilges.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was heute morgen hier in einer anderthalbstündigen Debatte stattfinden soll, ist der Versuch der Täuschung der Öffentlichkeit, insbesondere der Bauarbeiter.
Man will den Eindruck erwecken, als wäre dieses Nachfolgegesetz nach der Abschaffung des Schlechtwettergeldes eine soziale Wohltat für die Bauarbeiter. Es ist ja erst einmal abgeschafft worden. Das haben Ihnen ja auch, so hoffe ich, bei den letzten Wahlen die Bauarbeiter heimgezahlt. Da ich an vielen Bauarbeiterversammlungen teilnehmen muß - bei den Maurern, den Fliesenlegern, den Stukkateuren usw. - weiß ich, wie nachhaltig die Verärgerung und die
Wut der Bauarbeiter gegenüber dieser Regierung sind.
Es geht kein Weg daran vorbei: Sie haben den Bauarbeitern etwas abgenommen, was für sie ein wichtiger Teil ihrer sozialen Sicherheit in unserem System war, nämlich das Schlechtwettergeld.
Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft BauSteine-Erden hat in einer Aussage, die im „Grundstein", der Gewerkschaftszeitung, nachzulesen ist, gesagt, man hätte unter großem Druck die Tarifverhandlungen vereinbaren müssen. Er hat das sehr vornehm formuliert. Es war eigentlich kein großer Druck, sondern es war schlicht und einfach eine Erpressung.
Sie haben mit der Abschaffung des Schlechtwettergeldes die Tarifvertragsparteien gezwungen, unter dieser Drucksituation einen Tarifvertrag zustande zu bringen, weil sie keine Alternative haben. Das heißt also, Sie haben nicht nach dem Motto gehandelt, den Arbeitnehmern einen Gefallen zu tun. Vielmehr blieb keine Alternative übrig, als nach einem Ersatzweg zu suchen, der nun der Tarifvertrag ist. Der Tarifvertrag ist noch nicht unterschrieben. Die Erklärungsfrist wird bis zum 30. November dauern. Dann wird über die Annahme des Tarifvertrags auf Arbeitgeberseite wie auf Arbeitnehmerseite entschieden. Nach wie vor ist die Verabschiedung - das möchte ich hier sagen - offen, weil die Arbeitgeberseite immer noch Wege sucht, um den vereinbarten Tarifvertrag so zu gestalten, daß für die Arbeitnehmer etwas weniger abfällt. Ich bleibe dabei: Die alte Regelung des AFG war die sozialere Regelung, und daran geht kein Weg vorbei.
Die neue Regelung ist zum Nachteil der Bauarbeiter, die in unserem Lande schon genug gebeutelt werden,
z. B. durch Werkvertragsarbeitnehmer aus Osteuropa und die nicht zustande kommende Entsenderichtlinie. Wir haben ja trotz einer relativ günstigen Konjunktur im Baubereich über 140 000 arbeitslose Bauarbeiter. Für diese tragen Sie, Herr Blüm, die Verantwortung, nur Sie und Ihre Regierung.
Wir haben eine Gesetzesregelung zur Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes vorgelegt. Ich bin
Konrad Gilges
der Meinung, daß diese Regelung die bessere und auch gerechtere Lösung wäre.
Wir unterstützen die Industriegewerkschaft BauSteine-Erden - das haben wir immer getan - bei ihrer Forderung nach einem ganzjährig gesicherten Einkommen für alle Bauarbeiter. Dies aber hätte ohne die Abschaffung des Schlechtwettergeldes durchgesetzt werden können. Es ist schon richtig, was die Industriegewerkschaft immer betont hat: Im Baugewerbe ist es nicht wie in anderen Bereichen. Bauarbeiter verdienen im Sommer relativ gut, im Winter aber relativ schlecht. Es gibt also große Schwankungen im Monats-, Wochen- und Stundeneinkommen. Diese Schwankungen müssen beseitigt werden. Das heißt: Die Bauarbeiter haben wie alle Facharbeiter, wie alle Arbeitnehmer in unserem Land einen Anspruch auf ein ganzjährig gesichertes Einkommen.
Ich sage es noch einmal: Das wäre auch ohne die Abschaffung des Schlechtwettergeldes möglich gewesen.
Ich glaube, es wird Ihre Verantwortung sein, die Attraktivität der Bauberufe wiederherzustellen.
- Das ist Ihnen nicht gelungen, Herr Louven. Das Gegenteil ist eingetreten: Sie wissen, daß die Zahl der Bewerbungen um Ausbildungsplätze im Baugewerbe rückläufig ist, weil viele junge Menschen diesen Beruf nicht mehr erlernen wollen. Sie haben in den letzten drei, vier Jahren nichts anderes getan, als den Bauarbeitern ihr Leben noch schwerer zu machen.
Außerdem müssen Sie dafür sorgen, daß der soziale Frieden auf der Baustelle wiederhergestellt wird; denn dieser hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Ich gehe davon aus, daß die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden dazu bereit ist. Die Bundesregierung muß ihren Beitrag dazu leisten.
Herzlichen Dank.
Als nächste spricht die Kollegin Annelie Buntenbach.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation im Baugewerbe ist durch Spitzenbelastungen im Sommer und witterungsbedingte Beschäftigungseinbrüche im Winter geprägt.
Die Wintererwerbslosigkeit im Baugewerbe hatte vor Einführung des Schlechtwettergeldes einen riesigen Umfang. Im Winter 1956/1957 betraf sie fast jeden zweiten am Bau Beschäftigten. Eine solche erzwungene Saisonarbeit belastet die Betroffenen und ihre Familien in unzumutbarer Weise. Außerdem bringt sie immense gesellschaftliche Folgekosten mit sich: in erster Linie in der Arbeitslosenversicherung, aber auch darüber hinaus.
Das Schlechtwettergeld wurde 1959 von einer CDU-Regierung eingeführt, um die Beschäftigungslage auf dem Bau zu stabilisieren. 1994 wurde, ebenfalls von einer CDU-geführten Regierung, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes zum 1. Januar 1996 beschlossen.
Wir hatten, wie auch die anderen Oppositionsfraktionen, zuletzt im Frühjahr dieses Jahres beantragt, diese Streichung zurückzunehmen; denn schließlich ist es der Bundesregierung bis jetzt nicht gelungen, gesetzlich besseres Wetter zu verordnen. Da die Baubranche in besonderem Maße mit schlechtem Wetter zu kämpfen hat, liegt es auf der Hand, daß flankierende staatliche Maßnahmen unabweisbar notwendig sind.
Alles andere würde einen Rückfall in die früheren Zustände der Saisonarbeit bedeuten.
Unsere Zielsetzung war und ist, ganzjährig gesichertes Einkommen und Beschäftigung auf dem Bau zu erreichen.
Mit der Streichung des Schlechtwettergeldes wurde den Tarifparteien der Boden für eine bessere Regelung zum ganzjährig gesicherten Einkommen, aufbauend auf dem bewährten Fundament der Schlechtwettergeldregelung, entzogen. Dafür trägt die amtierende Bundesregierung die politische Verantwortung.
Wir stehen jetzt vor einer veränderten Situation. Inzwischen haben die Tarifparteien im Baugewerbe einen Tarifvertrag zur ganzjährigen Einkommenssicherung abgeschlossen. Unter dem Druck der Abschaffung des Schlechtwettergeldes ist hier ein Kompromiß gefunden worden, der beide Seiten einiges kostet, ein Kompromiß unter erschwerten Bedingungen mit vielen Haken und Ösen. Die Arbeitnehmerseite hat eine Reihe von Kröten schlucken müssen. Eine Verrechnung der witterungsbedingten Ausfallzeiten mit bis zu fünf Urlaubstagen, die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit im Sommer auf 40 Stunden, die Erweiterung der Ausgleichszeiträume mit Zustimmung des Betriebsrats auf bis zu acht Monaten konnten nicht abgewendet werden.
Für Arbeitnehmer in der Baubranche, die bisher kein Schlechtwettergeld bezogen haben, bringt der Tarifvertrag unter dem Strich eine Verschlechterung
Annelie Buntenbach
der Arbeitsbedingungen. Wie sich die hier festgeschriebene Flexibilisierung von Winter- und Sommerarbeitszeiten auswirkt, wer letztlich die Macht über die Zeit hat und ob Spitzenbelastungen für die Beschäftigten im Sommer nicht eher verschärft werden - all dies wird die Praxis zeigen müssen. Aber schon heute sind die Gefahren dieser Flexibilisierung und mögliche Nachteile für die Beschäftigten auf dem Bau nicht zu übersehen. Eine gesteigerte Arbeitsbelastung in den Sommermonaten steht in krassem Gegensatz zu überfälligen Bestrebungen zur Humanisierung der Arbeit und insbesondere zu einem verbesserten Gesundheitsschutz. Sie geht auf Kosten von Partnerinnen und Partnern und Kindern der Beschäftigten.
Außerdem sieht der Tarifvertrag vor, für den Ersatz des Schlechtwettergeldes Mittel aus der Sozialkasse des Baugewerbes zu verwenden, die ansonsten sicherlich auch sinnvoll z. B. für eine Verbesserung der Berufsausbildung oder des Arbeitsschutzes hätten verwendet werden können.
Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten hätten wir uns darüber hinaus eine weitergehende Verkürzung der Arbeitszeit gewünscht.
Die durch den Tarifvertrag veränderte Lage erfordert jetzt auch andere flankierende staatliche Maßnahmen. Dazu hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt, der jetzt auch für uns die weitere Diskussionsgrundlage sein wird. Ich finde es schön, daß Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sich haben dazu durchringen können, für eine Branche, die unter besonderen Bedingungen arbeitet, auch eine besondere Regelung vorzuschlagen. Dagegen haben Sie sich ja bislang gesperrt. Vielleicht kann ich das auch als positives Signal für die Chancen einer Entsenderichtlinie werten, wo Sie sich in dieselbe Argumentationslinie verwickelt haben.
Vielleicht besteht doch noch die Chance, daß Sie hier Ihren aussichtslosen Weg über die tarifliche Allgemeinverbindlichkeitserklärung und die Zustimmung der BDA verlassen und statt dessen auf einen realitätstauglichen Weg einschwenken.
Bei der Entsenderichtlinie schnell zu einer tragfähigen gesetzlichen Grundlage zu kommen ist längst überfällig.
Das Problem der ganzjährigen Einkommenssicherung auf dem Bau ist immer auch die Frage nach den Einbrüchen im Winter und den Spitzen im Sommer. Diese Spitzen im Sommer werden im Moment von vielen Unternehmen mit illegaler oder legaler, aber sozial nicht abgesicherter Beschäftigung von Arbeitnehmern aus Osteuropa und aus der Europäischen Union abgedeckt. Praktiken von Lohn- und Sozialdumping prägen die Situation. Die Arbeitsbedingungen auf dem Bau sind bekanntlich eine Katastrophe.
Bei der unübersichtlichen Situation und bei Rechtsunsicherheit von Subunternehmen, Scheinselbständigen, Werkvertragarbeitnehmern blüht auch die illegale Leiharbeit. Das Ergebnis für viele sind Stundenlöhne zwischen 5 und 10 DM, menschenunwürdige Unterbringung, keinerlei Absicherung gegen Unfälle und Krankheit, oft nicht einmal schriftliche Arbeitsverträge und glatter Betrug um den Lohn.
Wenn es uns hier nicht gelingt, gleichen Lohn und gleiche Absicherung für die gleiche Arbeit durchzusetzen, dann wird es immer weniger fest angestellte ausländische wie inländische Kollegen geben, die überhaupt unter tarifvertraglichen Bedingungen arbeiten. Denn abgesehen davon, daß die Bauunternehmen, die Arbeitskräfte noch zu vernünftigen Bedingungen beschäftigen, durch das Sozialdumping niederkonkurriert werden, gibt es bei freiem Zugriff auf ein solches Sommersaison-Arbeitspotential immer weniger wirtschaftliche Gründe für Arbeitgeber, auch im Winter ein festes Arbeitskräftepotential weiter zu beschäftigen. Diese Bedingungen müssen wir dringend verändern, denn sonst kann die höhere Belastung der Arbeitgeber, wie sie durch den Wegfall des Schlechtwettergeldes entsteht, diese Spirale noch beschleunigen. Früher blieben pro Schlechtwettergeldstunde ungefähr 6,70 DM als Eigenanteil beim Arbeitgeber. Jetzt ist es fast das Doppelte: 12,30 DM. Auch die 6,70 DM haben oft genug, auch wenn es rechtlich nicht vorgesehen ist, zu präventiven Kündigungen vor der Schlechtwetterphase geführt.
In Tarifverträgen normierte Standards können nur dann ihre Schutzfunktion für die abhängig Beschäftigten erfüllen, wenn sie breit zur Anwendung kommen. Das gilt auch und besonders für den Tarifvertrag im Baugewerbe und die damit verbundene Schlechtwettergeld-Nachfolgeregelung. Wenn es nicht umgehend gelingt, mit einer nationalen Entsenderichtlinie diese Schutzfunktion der Tarifvereinbarungen bzw. die entsprechenden Mindeststandards für alle Beschäftigten durchzusetzen, dann ist jede Regelung Flickwerk, da sie beliebig unterlaufen werden kann.
Ob der hier vorgelegte Ersatz für die bisherige Schlechtwettergeldregelung tragfähig sein wird, hängt von der Entwicklung der Gesamtbedingungen im Baugewerbe ab. Ob die Regelung sich positiv, gemessen am Ziel der ganzjährigen Einkommenssicherung, auswirkt, werden wir in der Praxis überprüfen müssen. Hier könnte übrigens eine Zweijahresfrist, die bei der Entsenderichtlinie offensichtlicher Unsinn ist, durchaus einen Sinn machen.
Die vorgeschlagenen Regelungen werden wir in den Ausschußberatungen im einzelnen überprüfen müssen. Wir müssen schnell zu einer tragfähigen Entscheidung kommen, damit die Kollegen auf dem Bau ab dem 1. Januar 1996 nicht im Regen stehen.
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Gisela Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Neufassung der Schlechtwettergeldregelung könnte man fast unter das Motto „Ende gut, alles gut" stellen.
Daß sich die Tarifpartner und die Koalition auf eine Kompromißlösung verständigen konnten, zeigt, wie richtig es war, daß der Staat feste Rahmenbedingungen gesetzt hat und die Tarifpartner zu Reformen gedrängt hat.
Ich kann nur sagen, daß das Beispiel Schlechtwettergeld Schule machen sollte.
In Kurzform: Die Tarifpartner haben sich geeinigt, daß sie für 20 witterungsbedingte Ausfalltage pro Jahr selbst einstehen. Die Arbeitgeber der Baubranche bezahlen das Winterausfallgeld in einen Topf - in der Größenordnung von 20 % der Bruttolöhne im Westen und 18,9 % im Osten - und bezahlen daraus den Lohn für die Arbeitnehmer, und diese müssen sich bis zu fünf Urlaubstage anrechnen lassen.
- Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihre Unruhe eigentlich nicht. Hier haben sich die Tarifpartner geeinigt, wie ich finde, in einer sehr verantwortlichen Weise. Die Art, wie Sie sich hier verhalten, ist meiner Ansicht nach ein Mißtrauensvotum gegenüber den Tarifpartnern, die sich die Sache nicht leichtgemacht haben.
Die Bundesanstalt für Arbeit springt mit Leistungen ein, wenn ein Winter besonders hart ist und mehr als 20 Ausfalltage anfallen. In manchen Regionen ist das regelmäßig der Fall.
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, wie unendlich mühsam der Weg zu dieser Lösung war. Er zeigt auch, wie schwierig es ist, heute in Deutschland Veränderungen herbeizuführen. Ursprünglich war die Streichung des Schlechtwettergeldes schon zum 1. Juli 1994 vorgesehen. Notwendige Einsparungen im Haushalt waren der Anlaß. Massive Proteste waren die Folge. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens war der Zeitpunkt der letzten Gewährung von Schlechtwettergeld durch die Bundesanstalt für Arbeit auf den 29. Februar 1996 verschoben worden. Warum? Weil der Tarifvertrag ausläuft und man den Tarifpartnern den Zeitraum geben wollte, sich zu einigen. Dieses Paket an gesetzlichen Maßnahmen hat die Tarifpartner bewogen, sich über einen solchen Ersatz für das Schlechtwettergeld Gedanken zu machen und sich zu einigen.
Mit der Einbringung des Gesetzentwurfes zur Einführung eines Winterausfallgeldes am heutigen Tag nähern wir uns nun dem Ziel dieser dornenreichen Wanderung. Der neue Manteltarif Bau und die gesetzliche Neuregelung werden so miteinander verzahnt, daß ab dem 1. Januar 1996 für eine solide Anschlußlösung gesorgt ist. Die F.D.P. begrüßt das.
Meine Damen und Herren, der Bau ist zweifellos eine der Branchen, die stark witterungsabhängig sind. Es entsteht hier also das Problem, auf wessen Schultern der witterungsbedingte Arbeitsausfall abgewälzt wird und wer für die Kosten einzustehen hat. Vor der Änderung der Vorschriften zum Schlechtwettergeld wurde dieser Arbeitsausfall insgesamt lükkenlos der Bundesanstalt für Arbeit aufgebürdet, und das heißt auf deutsch: allen Arbeitgebern und allen Arbeitnehmern.
- Ja, ich weiß, über das Solidarprinzip würden Sie gern jedes Risiko, das irgendwie denkbar ist, abwälzen, aber es geht auch anders, meine Damen und Herren, und ich glaube, diesen Weg sollte man sich als Beispiel nehmen.
Diese Regelung war falsch. Nicht nur die Baubranche leidet im übrigen unter witterungsbedingtem Arbeitsausfall. Es könnten durchaus auch andere Bereiche solche Ansprüche stellen.
Frau Babel hat das Wort, und Sie können Ihre Dialoge anders führen. Sie haben Möglichkeiten zur Kurzintervention.
Frau Babel, bitte schön.
Danke schön. - Klar ist für mich auch, daß wir über die ohnehin knappen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit heute sehr viel sorgsamer und zielgerichteter entscheiden müssen. Die 900 Millionen DM jährlich, die uns das Schlechtwettergeld gekostet hat,
können angesichts der großen Probleme am Arbeitsmarkt wirklich besser eingesetzt werden.
Das Risiko des witterungsbedingten Arbeitsausfalls allein den Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufzubürden hätte allerdings gleich zu einer großen Belastung geführt, und es erscheint gerechtfertigt, die Bundesanstalt für Arbeit wegen der Besonderheiten der Baubranche in einem kleinen Umfang beteiligt zu lassen. Die Bundesanstalt für Arbeit wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf im Jahr mit etwa 200 Millionen DM belastet. Diese 200 Millionen DM sind gerechtfertigt, weil sie ein Zuschuß zu der
Dr. Gisela Babel
Hauptlast sind, die von den Tarifvertragsparteien getragen wird.
Da der Arbeitgeber Bau rund 20 % der Bruttolohnsumme an eine Sozialkasse abführen muß, wird es sehr wahrscheinlich zu einer Verteuerung am Bau kommen, und dies ist einer der Nachteile, die ich in der Neuregelung natürlich auch erblicke. Ich bin aber der Meinung, daß die Vorteile, die ich gleich hier aufzählen werde, insgesamt diese Lösung doch als eine richtige und gute dastehen lassen. - Was sind diese Vorteile?
Zunächst einmal geht von der Übernahme der Hauptlasten durch die Tarifparteien ein wichtiges politisches Signal aus. Die Tarifpartner, meine Damen und Herren, sind in der Lage, der Verantwortung, die ihnen die Tarifautonomie auferlegt, gerecht zu werden.
Der Gesetzgeber hat zwar ein bißchen nachhelfen müssen, aber am Ende ist es doch den Tarifparteien gelungen, ihren Bereich weitgehend ohne Hilfe des Staates in den Griff zu bekommen. Das ist ein gutes Zeichen und stärkt die grundgesetzlich festgelegte Tarifautonomie.
Zum zweiten verstetigt der neue Manteltarifvertrag Bau das Einkommen der Arbeitnehmer über das ganze Jahr hinweg. Auch künftig können Arbeitnehmer am Bau wegen Schlechtwetterperioden nicht gekündigt werden. Fällt die Arbeit aus, so bekommen sie ein Überbrückungsgeld in Höhe von 75 % des regulären Arbeitseinkommens, und eine solche Sicherung des ganzjährigen Einkommens für Bauarbeiter hebt zweifellos auch die Attraktivität von Bauberufen,
was wir alle ja immer gewollt haben.
Zum dritten ist besonders bemerkenswert, daß sich die Tarifpartner zu einer Lösung durchgerungen haben, die nicht automatisch zu einem gewaltigen Kostenschub in den tariflichen Lohnzusatzkosten führt. Dies wird im wesentlichen dadurch erreicht, daß sich die Arbeitnehmer an den Kosten für witterungsbedingten Arbeitsausfall mit bis zu fünf Urlaubstagen beteiligen.
Meine Damen und Herren, das ist eine teilweise Kompensation der auf Arbeitgeberseite entstehenden Mehrbelastungen, und wir sehen darin, daß vernünftige Gewerkschaften inzwischen erkannt haben, daß auch die Arbeitnehmerseite einen substantiellen Beitrag zur Stabilisierung und Reduzierung der Lohnzusatzkosten erbringen sollte.
Der Kompensationsgedanke ist inzwischen bei vielen gesellschaftlichen Gruppen verankert, und insofern hat dieser Bautarifvertrag eine weit über die Baubranche hinausgehende Signalwirkung, meine Damen und Herren.
Zum vierten: Ich bin fest davon überzeugt, daß die Neuregelung zu weniger witterungsbedingten Ausfallstunden führen wird. Da die Arbeitgeber diesen Arbeitsausfall ja weitgehend selbst finanzieren müssen, wird ihr Interesse an einer durchgängigen Arbeit auch im Winter wachsen. Ich gehe davon aus, daß vermehrt Anstrengungen unternommen werden, im Winterbau wesentlich aktiver als bisher zu werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat in Deutschland der Winterbau ja keinen besonders hoch entwickelten Standard. Ich bin sicher, daß diese Neuregelungen Impulse für anspruchsvollere Techniken auch im Winterbau auslösen werden.
Fünftens. Es werden für deutsche Baustellen flexible Arbeitszeiten möglich; die Witterungsverhältnisse werden damit sozusagen ausgeglichen. Durchschnittlich wird ja 39 Stunden in der Woche gearbeitet. Aber im Sommer sind es 40 Stunden und im Winter 37,5.
- Daß Ihnen das alles nicht paßt, zeigt ja ganz deutlich, daß Sie von der Flexibilisierung der Arbeitszeit nichts halten. Aber daß es vernünftig ist, leuchtet jedem außerhalb der SPD und der Grünen unmittelbar ein.
Auch dies haben die Tarifpartner berücksichtigt, und ich begrüße es ausdrücklich.
Ein Wort noch an die Opposition in diesem Hause, an die SPD und die Grünen: Die Notwendigkeit einer modernen Sozialpolitik haben Sie mitnichten erkannt. Die ganze Diskussion um das Schlechtwettergeld hat deutlich gemacht, wie konservativ und rückwärtsgewandt Sie sind.
Ihre Denkweise zeigt, daß Sie blindlings in die falsche Richtung stolpern. Im SPD-Parteiprogramm von 1994 steht, daß Sie das Schlechtwettergeld wieder einführen wollen.
Sie meinten, die Streichung würde zu höherer Arbeitslosigkeit führen, würde die Arbeitnehmer wieder zu Saisonarbeitern machen,
und Sie begründen diese Behauptung mit dem Satz: „Tarifvertragliche Regelungen können die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft nicht sichern."
- Ja, es ist hervorragend, wenn ich mir das anhöre.
Dr. Gisela Babel
Die Tarifpartner sind wirklich schlauer. Sie haben sich Gedanken gemacht; sie haben diese Sachen anders geregelt.
Daß Ihnen das ein Dorn im Auge ist, merkt man ja ganz deutlich. Ihnen ist es unangenehm, daß Tarifpartner zur Vernunft kommen, Sie aber nicht.
Ohne die vorherige Streichung des Schlechtwettergeldes hätten die Tarifpartner nicht zu dem positiven Ergebnis kommen können, zu dem sie in unendlich mühsamen Verhandlungen gelangt sind. Es sind der Druck des Gesetzgebers und seine Standfestigkeit, die zweifellos notwendig waren.
Daß tarifvertragliche Regelungen die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft nicht sichern könnten, ist spätestens seit heute erwiesenermaßen falsch. Es ist offensichtlich, daß Sie von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht in der Lage sind, sich zu mehr Eigenverantwortung in der Tarifautonomie zu bekennen.
Im Gegensatz zu uns Liberalen mißtrauen Sie der Eigenverantwortung und setzen überall auf den Staat. Der Staat ist aber überfordert. Das Gesetz zum Schlechtwettergeld hat gezeigt, daß eigenverantwortliches Handeln durchaus anzuregen ist, wenn auch der Gesetzgeber das notwendige Vertrauen aufbringt.
Wenn SPD und Grüne dies nicht erkennen, werden sie auch niemals den Unterschied zwischen einer modernen und einer veralteten Sozialpolitik erkennen können.
Ich bedanke mich.
Als nächste hat das Wort Dr. Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Frau Babel, nachdem Sie heute das Hohelied auf die Tarifautonomie gesungen haben,
werde ich Sie daran in Zukunft erinnern, wenn aus Ihren Reihen wieder einmal an Tarifabschlüssen herumgenörgelt wird.
Ich habe nur die Befürchtung, daß Sie immer dann, wenn es um Sozialabbau geht, die Schlauheit und Verantwortung der Tarifvertragsparteien loben. Ansonsten ist es damit bei Ihnen ja nicht so weit her, wenn ich mir das richtig in Erinnerung rufe, was von Ihnen zu den letzten Tarifabschlüssen gesagt worden ist.
Jetzt zu dem Gesetzentwurf. Ich weiß im Moment gar nicht so sehr, was mich eigentlich mehr ärgert, der Gesetzentwurf selber oder das Verfahren. Es gibt eine über Jahrzehnte bewährte Regelung in dem Bereich, die die Beschäftigten des Baugewerbes von einer deutlichen Benachteiligung befreit, die verhindert, daß Bauarbeiter gewissermaßen zu Saisonarbeitern werden, und die Bundesregierung schafft einfach diese Regelung ab und überläßt alles übrige den Tarifvertragsparteien, was ja gerade von Frau Babel noch einmal als ein Anstoß zur Reformfreudigkeit so positiv hervorgehoben worden ist. Aber ich würde sagen: Es handelt sich um einen erpresserischen Druck, den es hier gegeben hat.
Aber damit nicht genug: Sie wissen ja seit Monaten, daß die tarifvertragliche Lösung das Problem nicht aus der Welt schafft und daß die Bundesregierung zu gesetzlichem Handeln gezwungen ist. Aber obwohl Sie das alles wissen, warten Sie bis kurz vor Auslaufen der alten Regelung, ehe Sie diesen Gesetzentwurf über die Fraktionen einbringen. Wir bekommen ihn zwei Tage vor der Beratung und sollen dann buchstäblich im letzten Moment agieren.
Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Bundesarbeitsminister, besonders zufrieden sind mit diesem Entwurf. Die Bauarbeiter - da bin ich mir allerdings sicher - können das nicht sein. Denn der Forderung nach einem ganzjährig gesicherten Einkommen kommt der vorliegende Gesetzentwurf nicht nach. Wie man es auch betrachtet, am Ende stehen wir wieder einmal vor einem Deregulierungsschritt, mit dem sich die Bundesregierung weiter vom Sozialstaatsgebot verabschiedet.
Ich hätte mir natürlich vorstellen können, daß es alles noch schlimmer kommt. Daß dem nicht so ist, hat allerdings, so meine Einschätzung, nichts mit der sozialen Einstellung der Bundesregierung zu tun. Es ist dem massiven Engagement der Kolleginnen und Kollegen aus der IG Bau-Steine-Erden zu verdanken, die sich zum Glück nicht ganz erfolglos gewehrt haben. Aber am Ende steht leider trotzdem eine größere Belastung der Beschäftigten und eine - vielfach in Kleingedrucktem verborgene - Schlechterstellung.
Ich will darauf in einigen Punkten eingehen. Die Abschaffung des Schlechtwettergeldes ist, so befürchte ich, weder durch den Tarifvertrag noch durch die gesetzliche Neuregelung ausgeglichen. Um das mit Zahlen, die Sie in der Begründung zum Gesetzentwurf selbst anführen, zu belegen: Sie veranschlagen Kosten für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 200 Millionen DM. Das bedeutet ja, daß von den ursprünglich vorgesehenen 800 Millionen DM 600 Millionen DM gestrichen werden, d. h. umver-
Dr. Heidi Knake-Werner
teilt werden zu Lasten der Tarifvertragsparteien. Das Ergebnis ist auch diesbezüglich vollkommen eindeutig. Die IG Bau-Steine-Erden hat errechnet, daß die betroffenen Arbeitnehmer anders als bei der abgeschafften Schlechtwettergeldregelung die Hälfte der insgesamt anfallenden Kosten künftig selber tragen.
Aber es gibt natürlich auch noch ein paar andere Probleme. Bis heute - auch das ist allen Beteiligten klar und ist ein Aspekt der Verschleierung der Regelung für die Öffentlichkeit - liegt nichts mehr als ein Tarifvertragsentwurf für das Bauhauptgewerbe vor. Und noch nicht einmal der ist unter Dach und Fach; das ist hier schon gesagt worden. Die Erklärungsfrist läuft noch. Das heißt doch aber, daß für Hunderttausende völlig unklar ist, was nach dem 31. Dezember geschehen wird.
Ich weise noch einmal auf das hin, was in Ihrem eigenen Gesetzentwurf steht. In der Begründung heißt es:
Es wird erwartet, daß in den anderen Bereichen des Baugewerbes noch gleichwertige Lösungen für den Ausgleich witterungsbedingter Arbeitsausfälle in der Schlechtwetterzeit gefunden werden.
Sie vertrauen darauf, daß sie gefunden werden. Wenn sie nicht gefunden werden, heißt das eben, daß die Beschäftigten in den Baunebenbetrieben nach dem 31. Dezember in der Schlechtwetterzeit leer ausgehen. Das ist doch die Konsequenz daraus.
Ich möchte noch einmal das in Erinnerung rufen, was wir gestern bei der Anhörung zur EntsendeRichtlinie gehört haben. Die IG Metall prognostiziert, wenn das so weitergeht, weitere hunderttausend Arbeitslose im Bereich des Baunebengewerbes. Sie aber tun hier einfach so - das gilt vor allen Dingen für Frau Babel -, als seien mit der gefundenen Regelung alle Probleme vom Tisch. Nein, sie kommen erst richtig auf uns zu.
Ich will noch ein Beispiel nennen. Der Aufschlag eines Wintergeldes von 2 DM auf den Stundenlohn setzt scheinbar die bisherige Winterausgleichszahlung fort. Aber der Zeitraum der Gewährung ist ja wesentlich verkürzt. Auch das müssen Sie bitte bedenken.
Ferner will ich deutlich machen, daß jetzt in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gearbeitet werden muß, obwohl das bisher traditionell nicht der Fall war. Früher wurde das durch die Sozialkassen ausgeglichen. Auch das ist eine völlig neue, belastende Situation.
Hinzu kommt - auch das muß deutlich gesagt werden -, daß bei den Beschäftigten fünf Tage Urlaub zur Disposition stehen. Da können Sie natürlich auf die Tarifvertragsparteien verweisen, rauf und runter; das ist mir im Moment Wurscht. Eindeutig ist auf jeden Fall, daß das eine Schlechterstellung der Beschäftigten im Baugewerbe darstellt. Darüber können Sie nicht einfach hinwegtäuschen.
Schließlich ist auch die Absicherung im Krankheitsfall ungewiß, weil nach bisherigen Regelungen vorgesehen ist, das Krankengeld nach dem niedrigeren Winterausfallgeld zu berechnen. Auch das ist Ihnen sicherlich nicht neu.
Ich möchte es noch einmal deutlich sagen: Das von Ihnen abgeschaffte Schlechtwettergeld hatte die entscheidenden Vorzüge, die Attraktivität der Bauberufe zu erhöhen und den finanziellen Ausgleich für eine durch Witterungseinflüsse besonders benachteiligte Beschäftigtengruppe solidarisch zu verteilen. Die jetzige Lösung gibt das Problem schlicht an das Baugewerbe ab und macht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu einer Angelegenheit von Tarifauseinandersetzungen. Eine Aufgabe, die eigentlich in den Pflichtenkatalog des sozialen Rechtsstaats gehört, wird weiterhin privatisiert.
Ich verweise noch einmal auf die gestrige Anhörung, und zwar mit Blick auf die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Lage im Baugewerbe: Die Vertreter der Gewerkschaften und auch der Arbeitgeberverbände waren sich gestern völlig einig darin, daß sie auf eine dramatische Situation zusteuern, da weitere Entlassungen anstehen.
Ich will nur an das Beispiel aus Berlin erinnern, was dort gestern von der IG Metall hinsichtlich der Elektroberufe gegeben worden ist: eine Erhöhung der Arbeitslosenzahl von 500 auf 5 000. Das ist eine dramatische Entwicklung. In dieser Zeit legen Sie hier ein Gesetz vor, von dem Sie sagen, es bringe den vollkommenen Ausgleich für die bisherige Schlechtwettergeldregelung. Ich kann nur sagen: Es ist ein weiterer Eingriff in das Sozialstaatsgebot und ein weiterer Schritt in Ihrer Deregulierungspolitik.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie gestatten, möchte ich eine kurze Zwischenbilanz dieser Debatte ziehen. Ich habe den Eindruck, die Opposition ärgert sich, daß die Tarifpartner eine Lösung zustande gebracht haben.
- Doch! Es ist eine kaum zu unterdrückende Enttäuschung, daß die Tarifpartner es geschafft haben, entgegen Ihren Prognosen eine Lösung zustande zu bringen.
Das bringt mich zu dem Verdacht, daß Ihre Prognose
- die Tarifpartner bringen nichts zustande, und der Gesetzgeber läßt die Tarifpartner allein - keine Pro-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
gnose, sondern ein Wunsch war. Sie sind enttäuscht, weil Ihre Wünsche nicht in Erfüllung gegangen sind.
Liebe Frau Kollegin Buntenbach, folgendes verstehe ich überhaupt nicht: Weil die Maurer im Winter weniger Wochenstunden arbeiten als im Sommer, sehen Sie die Humanisierung der Arbeit gefährdet. Waren Sie schon mal auf dem Bau? Im Winter ist es kalt, und im Sommer ist es warm.
Vielleicht steht es in Ihrem Theoriebuch anders - aber im Winter ist es wirklich kalt. Im Winter frieren die Maurer. Im Sommer ist die Temperatur angenehm. Wieso ist es human, im Winter wie im Sommer dieselbe Wochenarbeitszeit zu haben?
Nun komme ich zum handwerklichen Teil. Frau Knake sagt, die Beschäftigten zahlen die Hälfte dieser Schlechtwettergeldregelung. Frau Knake-Werner, können Sie mir sagen, wer die Schlechtwettergeldregelung bisher bezahlt hat? Die Hälfte haben die Arbeitnehmer bezahlt. So ist das: In der Sozialversicherung wird die Hälfte von den Arbeitnehmern bezahlt. Der Unterschied ist nur, daß das demnächst in der Branche geregelt werden soll, während die Hälfte bisher von allen Arbeitnehmern bezahlt wurde. Ich sage Ihnen also: Ein bißchen handwerkliche Kenntnisse gehören sogar zur Sozialpolitik.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Buntenbach?
Ich bin noch nicht fertig. Lassen Sie mich der verehrten Kollegin Knake-Werner noch einige Hinweise geben.
Frau Knake-Werner, Sie beklagen, wir seien im letzten Moment gekommen. Liebe verehrte Frau Kollegin, was wir machen, ist eine Ergänzung des Tarifvertrages. Wenn der Tarifvertrag nicht vorliegt, kann ich ihn auch nicht ergänzen. Den Zeitpunkt haben die Tarifpartner bestimmt!
- Ein Blick in die Gesetzeslage erspart in diesem Fall die Anstrengung der Diskussion.
Ich bleibe bei dem Satz, den hier Frau Babel gesagt hat: Ende gut, alles gut. Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer der Bauwirtschaft haben einen beispielhaften Tarifvertrag geschafft: mit Augenmaß, mit Eigenverantwortung und mit Solidarität.
Das ist eine Stärkung der Tarifautonomie.
- Sie sagen doch, daß der Tarifvertrag ein hervorragendes Instrument ist, Wenn er das ist, dann können Sie ihm doch nicht Regelungen entziehen. Seien Sie doch froh, daß ein Tarifvertrag seine Problemlösungsfähigkeit bewiesen hat. Das stärkt die Tarifautonomie. Sie fordern den Tarifvertrag und wollen zur Regelung den Gesetzgeber. Was ist das für eine Arbeitsverteilung?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?
Erst einmal möchte ich im Zusammenhang vortragen, dann, verehrter Kollege, gerne.
Nun zu den Hauptpunkten. Die Sozialpartner der Bauwirtschaft setzen Eigenlösung an die Stelle von Fremdlösung. Des weiteren teilen sich die Sozialpartner die Lasten und die Vorteile der neuen Schlechtwettergeldregelung. Das ist aus meiner Sicht Sozialpartnerschaft. Das ist das Wesen des Kompromisses - Geben und Nehmen. Sozialpartnerschaft kommt nie zustande, wenn sich nur eine Seite durchsetzt. Lasten und Vorteile zu verteilen, das ist die beste Tradition unseres Sozialstaates.
Jetzt zu den Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer erhalten mit dieser Regelung ein ganzjährig gesichertes Einkommen, eine ganzjährig gesicherte Jahresarbeitszeit. Das ist geradezu das Traumziel der Baugewerkschaft über viele Jahre gewesen. Jetzt haben sie es erreicht. Jetzt sind die Bauarbeiter vom Status eines Saisonarbeiters weggerückt. Darüber sollten Sie sich freuen. Das sollten Sie mit uns begrüßen.
Die Arbeitnehmer beteiligen sich an der Finanzierung der Schlechtwettergeldregelung mit dem Einsatz von fünf Urlaubstagen. Das zeigt, daß Gewerkschaften durchaus verstanden haben, daß Ausbau des Sozialstaates nicht immer nur Draufsatteln bedeuten kann. Offenbar haben Sie nur eine Denk- und Fahrtrichtung: immer mehr! Aber immer mehr führt zu immer weniger, denn wenn die Beiträge steigen, dann werden Sie das, was Sie mit der einen Hand gegeben haben, mit der anderen Hand wieder wegnehmen, weil wir mehr Arbeitslose haben und mehr Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen. Also verlangt gewerkschaftliche Verantwortung im besten Sinne pragmatisches Handeln und nicht immer nur Draufsatteln.
Ich will ausdrücklich meinen Respekt der Baugewerkschaft aussprechen: Fünf Urlaubstage - das ist schon ein Einsatz.
Das zeigt, daß da keine Betonklötze sind und nur Besitzstandswahrer verhandeln. Wenn ich mich an die
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Diskussionen über die Streichung eines Feiertages für die Pflegeversicherung in diesem Saal erinnere - da hat fast die Republik in Flammen gestanden. Die Baugewerkschafter zeigen hier Einsicht in Notwendigkeiten. Das sollten wir gemeinsam anerkennen.
Jetzt kommen wir zur anderen Seite. Die Bauarbeitgeber übernehmen die Finanzierung des witterungsbedingten Arbeitsausfalles zwischen November und März durch ein tarifliches Überbrückungsgeld von 75 %. Das ist die eine Seite, das sind die Lasten. Auf der anderen Seite erhält die Bauwirtschaft eine Flexibilisierung, wie es sie in kaum einer anderen Branche gibt. Das ist geradezu ein Vorreiter, wie man vernünftige Lösungen schafft, mit denen Kapazitäten ausgelastet werden.
Dazu gehören eine andere Wochenarbeitszeit im Winter als im Sommer und ein Ausgleichszeitraum von acht Monaten. Damit kann sich die Bauwirtschaft besser an die Auftragslage anpassen. Denn „entlassen - einstellen" kann nicht die Philosophie sein, auf unterschiedliche Auftragslagen zu antworten. Wer das „Heuern und Feuern" vermeiden will, der muß atmende Arbeitszeiten zulassen, der muß auf Flexibilisierung setzen. Das ist im Sinne einer Kapazitätsauslastung, das ist im Sinne einer Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft.
Jetzt kommen wir zu den öffentlichen Kassen. Wir flankieren den Tarifvertrag, indem wir das Schlechtwettergeldrisiko ab dem 21. Tag übernehmen. Die öffentlichen Kassen sind hier nur Ersatzmann für außergewöhnliche Belastungen, deren Absicherung über die Kraft des einzelnen Betriebes geht.
Das ist geradezu ein Modell dafür, wie ich mir Subsidiarität vorstelle: Vorfahrt für die Tarifpartner, aber dort, wo die Last zu groß wird, tritt die allgemeine Solidargemeinschaft ein. Es ist geradezu ein Modell, wie subsidiäre Solidarität organisiert wird.
Dazu muß man wissen: Durchschnittlich entstehen durch Schlechtwetter 14 Ausfalltage. Wir übernehmen nach dem 20. Tag, also in besonders harten Wintern, in besonders witterungsanfälligen Regionen und in besonders witterungsanfälligem Gewerbe.
Für mich ist das, was wir heute debattieren, nicht nur eine Regelung für die Bauwirtschaft. Es zeigt, daß unser Sozialstaat nicht verkalkt und erstarrt ist, daß es immer noch guten Willen gibt und daß es genug Verantwortungsvolle auf beiden Seiten gibt, die Notwendigkeiten erkennen und wissen, daß der Sozialstaat nicht nach dem Muster des Turmbaus zu Babel weiterentwickelt werden kann, sondern daß wir umbauen müssen, umbauen allerdings in der Form, daß wir Risiken verteilen und niemanden im Stich lassen.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Gilges?
Herr Gilges, bitte.
Herr Bundesminister, ich finde es sehr gut, daß Sie das Hohelied der Tarifautonomie singen.
Es bleibt aber, wie die Katholiken sagen, die Kardinalfrage: Sind Sie bereit, sich im Tarifausschuß Ihres Ministeriums dafür einzusetzen, daß dieser Tarifvertrag eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erhält? Sie wissen, daß das sehr umstritten ist. Beim Entsendungsgesetz gelingt Ihnen das nicht mehr, weil Sie da keine Mehrheit mehr haben.
Dieser Tarifvertrag gibt nur dann einen Sinn, wenn er allgemeinverbindlich ist, das heißt, daß alle Bauarbeiter von diesem Tarifvertrag erfaßt werden und nicht nur diejenigen, die Mitglied der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden oder im Arbeitgeberverband sind. Nur dann macht es Sinn. Dann ist die soziale Parität wiederhergstellt. Kriegen Sie das geregelt? Diese Kardinalfrage müssen Sie beantworten, und zwar einfach mit Ja.
Herr Gilges, es tut mir leid, daß ich einem so erfahrenen Tarifpolitiker erklären muß, daß nicht Norbert Blüm und auch nicht das Bundesarbeitsministerium die Allgemeinverbindlichkeit aussprechen,
sondern daß sie durch die Sozialpartner zustande kommt, nämlich durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Deshalb müssen Sie die dafür Zuständigen fragen und die Frage nicht an mich richten.
- Das ist überhaupt keine Ausrede. Ich habe eine solide handwerkliche Ausbildung, und ich weiß, daß jeder dafür zuständig ist, wofür ihn der Gesetzgeber eingesetzt hat. Das wollen wir nicht verwischen,
wobei ich diesem Tarifvertrag ausdrücklich eine breite Geltung wünsche. Aber das liegt in der Verantwortung der beiden Tarifpartner. Ich spreche sie nicht aus.
- Sie haben doch gerade diese Regelung attackiert,
und jetzt verlangen Sie von mir, daß ich diese Rege-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
lung, die Sie für schlecht halten, als allgemeinverbindlich erklären soll.
- Sie haben mich zehn Minuten lang beschimpft, oder war ich im falschen Saal? Sie haben mich zehn Minuten lang beschimpft.
Sie haben diese Regelung zehn Minuten lang madig gemacht, und jetzt wollen Sie die von Ihnen als schlecht bezeichnete Regelung von mir als allgemeinverbindlich erklärt haben. Das ist eine gewisse Schwäche in der Logik; diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?
Aber bitte, Frau Anke Fuchs.
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß mein Kollege Konrad Gilges Sie nur gebeten hat, darauf einzuwirken, daß dieser Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird? Sie haben doch politischen Einfluß. Sind Sie bereit, die Tarifvertragsparteien aufzufordern, diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären?
Ich wünsche dem Tarifvertrag eine breite Geltung. Für die Allgemeinverbindlichkeit bin ich nicht zuständig.
- Das ist keine Eierei. Wir bleiben dabei: Die SPD verlangt die Allgemeinverbindlichkeit einer Regelung, die sie im ersten Drittel dieser Debatte für schlecht erklärt hat. Das halte ich für einen großen Erfolg dieser Debatte.
Die Bedeutung dieses Tarifvertrags geht über den Baubereich hinaus. Der Baubereich ist wirklich Vorreiter von Flexibilisierung, er ist Vorreiter auch in dem Bemühen, dem Staat und der Allgemeinheit Lasten abzunehmen. Beide Seiten schultern die Lasten, und von einer fairen Lastenverteilung haben beide Seiten auch Vorteile.
Wenn die Kapazitäten ausgelastet sind, wenn im Winter gebaut wird, stärkt das die Wettbewerbsfähigkeit. Die skandinavischen Baubetriebe haben schon immer den Winter hindurch gearbeitet. Von diesem Tarifvertrag geht auch ein Schub in Richtung Winterbau aus. Denn jetzt sind die kurzen Auswege zum Schlechtwettergeld versperrt; jetzt rentiert sich der Winterbau. Das ist rentabel im Sinne der Beschäftigung.
Deshalb begrüße ich den Tarifvertrag und erkenne ausdrücklich die große Anstrengung der beiden Partner an. Ich vergesse allerdings nicht ganz, daß es nicht ohne Nachhilfe gegangen ist. Offenbar braucht die Entwicklung eine gewisse Nachhilfe.
Ich bin sicher, den Tarifpartnern wäre die Regelung schwerer gefallen, wenn das Schlechtwettergeld nicht wegfiele. Es wäre den Tarifpartnern auch schwerer gefallen, eine Regelung zu schaffen, um die sich die Bauarbeiter immer bemüht haben, nämlich die Gewährleistung der ganzjährigen Beschäftigung und eines ganzjährig gesicherten Arbeitsentgelts. Das ist ein großer Fortschritt für die Bauarbeiter und ein großer Fortschritt für unseren Sozialstaat.
Ich füge hinzu: Wer über den Umbau nicht nur redet, sondern ihn auch bearbeitet, den sollte man nicht im Stich lassen. Deshalb nutze ich die Gelegenheit, an die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu appellieren, in Sachen Entsendegesetz den Baubereich nicht hängenzulassen.
Denn ohne Entsendegesetz - das füge ich allerdings hinzu - würde der Fortschritt, den wir heute feiern, morgen wieder rückgängig gemacht. Auf der einen Seite würde heute ein Fortschritt gefeiert, und auf der anderen Seite würde morgen die Baubranche in neue Krisen geraten.
Ich denke, Anerkennung darf es nicht nur mit Worten geben. Anerkennung verdienen auch diejenigen, die über Solidarität nicht nur reden, die den Umbau nicht nur fordern, sondern die selber mitmachen. Diese Kräfte müssen in unserem Staat unterstützt werden. Deshalb: Unterstützt die Bauwirtschaft!
Als nächster spricht der Kollege Peter Dreßen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, eines müssen Sie sich gefallen lassen: Dieser Tarifvertrag ist kein geliebtes Kind, weder von den Bauarbeitern noch von den Arbeitgeberverbänden. Es war schlicht Erpressung von Ihnen, hier einen Tarifvertrag hinzubekommen, den keiner will.
- Ich komme darauf in meiner Rede zurück. Aber Sie sollten erst einmal zur Kenntnis nehmen, daß das keine freiwillige Leistung war.
Max Weber sprach von der Politik als einer Kunst, dicke Bretter zu bohren. Wenn man die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Regierungskoalition seit 1982 Revue passieren läßt, drängt sich jedoch eher der Eindruck auf, daß wir uns in einem Steinbruch befinden, in einem Steinbruch, an dessen Tor-
Peter Dreßen
einfahrt man auf einem Schild das Wort „Sozialstaatsgebot" lesen kann, auf dem aber jemand in Schwarz-Gelb die Worte „in Liquidation" hinzugefügt hat.
Denn viel ist dort nicht mehr zu holen. In puncto Ausbeutung der sozialpolitischen Reserven dieses Landes hat die Bundesregierung bereits gute Arbeit geleistet. Auch heute sind Sie wieder dabei, einen dicken Brocken in kleine Stücke zu zerschlagen. „Schlechtwettergeld" steht auf diesem Brocken. Der Hauer, oder ich möchte sagen: der Steineklopfer - um die Hauer nicht zu diskriminieren - hört auf den Namen Norbert Blüm, seines Zeichens Bundesminister für Arbeitslosigkeit und Sozialabbau.
Die Ärmel hochgekrempelt, erklärt er den Umstehenden, das alles sei nicht so schlimm. Schließlich läuft das Schlechtwettergeld aus Ihrer Sicht nicht aus, sondern wird quasi wieder eingeführt. Dabei wissen Sie ganz genau, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie sich selber nur etwas in die Tasche lügen.
Da lobe ich mir die klare Haltung der F.D.P. Vor etwas mehr als einem Jahr - Frau Babel, heute hat es sich ein bißchen anders angehört - haben Sie an dieser Stelle erklärt, daß es sich beim Schlechtwettergeld um eine spezielle Subvention für eine einzelne Branche handele, die man auf Dauer nicht tolerieren könne - vor einem Jahr!
Ich nehme deshalb an, daß die drei Buchstaben F.D.P. nur aus reiner Gewohnheit mit auf den Gesetzentwurf geraten sind; denn mit Ihrer Position hat die dort vorgesehene Beschneidung auf Leistungen nach dem 21. Tag nichts zu tun.
Seit 1993 ist das Instrument des Schlechtwettergeldes angeknackst. Wenn von November bis März der Baubetrieb wegen schlechten Wetters stillsteht, haben wir - allerdings nur saisonbedingt, würde der Bundeswirtschaftsminister sagen - mehr Arbeitslose zu verzeichnen.
Das Schlechtwettergeld hat - hier zitiere ich - „ohne Zweifel seine Verdienste, indem es über mehrere Jahrzehnte gelungen ist, das Phänomen der winterlichen Massenarbeitslosigkeit unter Bauarbeitern in den Griff zu bekommen" . Dieser Satz stammt nicht von Bruno Köbele, sondern von dem Kollegen Hörsken aus dem letzten Jahre. Ich hoffe - er ist ja schwer erkrankt -, daß es ihm besser geht. Ich wünsche ihm gute Besserung.
Man sieht, daß die Union anders darüber gedacht hat als heute.
Den Damen und Herren von der Regierungskoalition ist jedenfalls die hervorragende Bedeutung des Schlechtwettergeldes, so ist anzunehmen, nicht verborgen geblieben. Bei Gelegenheit ist aus Ihren Reihen immer wieder zu hören, daß technische Verbesserungen einen ganzjährigen Baubetrieb ermöglichen werden.
Wenn das so ist, verstehe ich allerdings nicht, warum Sie das Schlechtwettergeld weiter zusammenstreichen. Wer ganzjährig beschäftigt ist, nimmt es doch in der Regel nicht in Anspruch. Die Regelung würde also nur noch für Ausnahmefälle bestehen. Bei extremen Witterungsbedingungen wären sie als Teil der Leistungen der Solidargemeinschaft vollkommen berechtigt. Aber daß das mit der ganzjährigen Beschäftigung so einfach ist, glauben Sie ja selbst nicht. Deswegen wollen Sie ja künftig ab dem 21. Tag das Ausfallgeld zahlen.
Es geht Ihnen also nur darum, die finanziellen Lasten aus der auch bei Ihnen grundsätzlich anerkannten Regelung auf die Bauarbeiter und auf die Bauwirtschaft abzuwälzen. Die chronischen Steuerlöcher des Kanzlers der deutschen Einheit machen den Sozialhaushalt des Herrn Blüm vordergründig zur Melkkuh des Herrn Waigel.
Ihr Gesetzentwurf nennt die Beweggründe ganz deutlich: Statt wie bisher 800 Millionen DM aufzuwenden, soll Ihre Neuregelung nur noch 200 Millionen DM kosten. Vor diesem Hintergrund halte ich es inzwischen sogar fast schon für falsch, daß die Tarifpartner im Baugewerbe eine Ersatzlösung auf der Basis eines Tarifvertrages angestrebt haben.
: Sie wollen
es nicht!)
Wenn diese Verschlechterung nicht auf dem Rükken der betroffenen Arbeitnehmer ausgetragen worden wäre, hätte man den Tarifparteien empfehlen sollen, die tarifvertragliche Anschlußregelung platzen zu lassen und die betroffenen Kolleginnen und Kollegen zum Arbeitsamt zu schicken, damit sie dort Lohnersatzleistungen in Anspruch nehmen.
Deswegen kann hier nicht von Enttäuschung, sondern es muß von Erpressung gesprochen werden. Daß sich die Tarifpartner nicht auf eine solche Verfahrensweise eingelassen haben, beweist ihr Verantwortungsgefühl für die ihnen anvertrauten Beschäftigten.
Das haben Sie ausgenutzt und die Tarifparteien zum Komplizen Ihres Sozialabbaues gemacht.
Herr Dreßen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schemken?
Wenn die Uhr angehalten wird, immer.
Sind Sie bereit, zu bestätigen, daß die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden mit einer Presseerklärung vom 29. September dieses Jahres feststellt - ich zitiere Herrn Köbele -:
Die IG Bau-Steine-Erden bewertete die Vereinbarung als einen Meilenstein auf dem Weg zu einem regelmäßigen Monatsentgelt für die Beschäftigten am Bau.
Heinz Schemken
Bezüglich des Lohnes und der Beteiligung heißt es weiter:
Alles in allem liegt damit das tariflich geregelte Überbrückungsgeld deutlich höher als das bisherige Schlechtwettergeld.
Können Sie das bestätigen?
Herr Kollege Schemken, ich kann Ihnen bestätigen, daß ich bei der Anhörung zu diesem Gesetz anwesend war und mitbekommen habe, daß beide Parteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in der Anhörung erklärt haben, daß sie eigentlich die alte Regelung von 1993 gerne weiterhin hätten.
Ein Muß war auch das, was der Bundesarbeitsminister und was Sie als Regierungskoalition hier beschlossen haben. Daß man jetzt versucht, von dem, was vorhanden ist, noch etwas zu retten, also aus diesem Steinbruch noch ein paar Steine zu kitten, ist für mich erklärlich. Irgendwie muß die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden ihren Leuten erklären, warum diese Verschlechterungen jetzt bestehen. Deswegen habe ich volles Verständnis für diese Presseerklärung.
Meine Damen und Herren, Arbeitgeber haben heute aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen kein Interesse mehr daran, Arbeitnehmer zu entlassen, auch in der Bauwirtschaft, und diese anschließend im Frühling bei steigenden Temperaturen wieder einzustellen. Termingerechte Fertigstellung ist heute ähnlich wichtig wie Kostenerwägungen; denn die Investoren wollen ihre Anlagen möglichst frühzeitig in Betrieb nehmen. Das zwingt also zu schneller und möglichst kontinuierlicher Arbeit am Bau.
Aber machen wir uns keine Illusionen: Hätten sich die Tarifparteien nicht auf eine Ersatzlösung geeinigt, dann wäre die Konsequenz gewesen, daß Sie die entsprechend gestiegenen Lohnersatzleistungen nur dazu benutzt hätten, anschließend weitere Einschränkungen beim Leistungsbezug für Angehörige der Baubranche zu fordern. Denn wenn man die Bauarbeiter später wieder eingestellt hätte, wäre das aus Ihrer Sicht nichts anderes als ein Betrug an der Solidargemeinschaft gewesen, oder Sie hätten irgend einen anderen Popanz benutzt, mit dem Sie davon hätten ablenken können, daß die gestiegenen Aufwendungen für den Lohnersatz einzig und allein auf Ihre Politik zurückzuführen sind.
Sie werden sich daran erinnern, daß Herr Blüm die geplanten Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe mit der fehlenden Marktorientierung beim Lohnersatz begründet hat, nach dem Motto: Wer 20 Jahre Arbeitslosenhilfe bezieht, muß sich herunterstufen lassen, weil er nur noch eine eingeschränkt verwertbare Arbeitskraft anbietet. Aber auf eine entsprechende Nachfrage, wieviel Arbeitslose über 20 Jahre Arbeitslosenhilfe bezogen haben, Herr Bundesarbeitsminister, erklärten Sie dann - hören Sie genau zu -: Es sind gerade einmal 11 Personen, 10 Männer und eine Frau, die mindestens 20 Jahre lang die sogenannte Anschlußarbeitslosenhilfe erhalten haben. Wenn das kein Popanz war, Herr Minister, dann weiß ich nicht mehr, wo ich stehe.
Kein Wort davon, daß die Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe nur durch die wieder stark angestiegene Langzeitarbeitslosigkeit in Westdeutschland exorbitant angestiegen sind. Kein Wort darüber, daß nun auch in den neuen Ländern aufgrund der dortigen Beschäftigungskatastrophe die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder steigt.
Niemand erwähnt, daß man den 7 bis 15 Milliarden DM, die die Arbeitslosenhilfe den Bund nun pro Jahr an passivem Lohnersatz kostet, gerade mal 3 Milliarden DM in einem Sonderprogramm „Beschäftigungshilfe für Langzeitarbeitslose" gegenübergestellt hat, die sich überdies noch über mehrere Jahre verteilen.
Ein weiteres Beispiel zeigt sich in den Folgen der Entsenderichtlinie. Nicht nur, daß die Richtlinie auf zwei Jahre befristet ist und nur für das Bauhauptgewerbe gelten soll, die Arbeitgeber haben schließlich in wünschenswerter Deutlichkeit erklärt, daß sie dem Versuch einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung keinesfalls zustimmen werden. Daraus ergibt sich zwingend, daß die Richtlinie ein Papiertiger bleibt, Herr Bundesarbeitsminister. Sie produzieren ein Gesetz mit der Überschrift „Muster ohne Wert". Besonders ärgerlich ist, daß Sie in der Öffentlichkeit auch noch den Eindruck erwecken wollen, als ob Sie etwas täten. Dabei vernichten Sie durch Ihre sture Haltung mit diesem „Muster ohne Wert"-Gesetz in der Republik Arbeitsplätze in Hülle und Fülle. Das werfe ich Ihnen ganz konkret vor.
Der heimischen Bauwirtschaft entsteht aber ein zusätzlicher Hemmschuh durch die ausländische Konkurrenz. Sie vernichten diese Arbeitsplätze. Die Folgen sind absehbar. Im September waren in den alten Ländern rund 95 000 Angehörige von Bauberufen arbeitslos, 12 700 mehr als im Vorjahr. Die Zahl dürfte weiter steigen, weil die Entsenderichtlinie nicht greift. Mittelfristig werden die Personen auf Arbeitslosenhilfe angewiesen sein. Das zwingt Sie dann wieder zu Kürzungen im Leistungsbereich. Hier schließt sich also der Kreis wieder. Insgesamt ein Schrecken ohne Ende, Herr Bundesarbeitsminister.
Zurück zum Thema: Wer nun aber glaubt, durch die abgespeckte Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes und die tarifvertragliche Vorlaufregelung würden die Bauberufe wieder attraktiver, der bastelt meines Erachtens an Luftschlössern. Nehmen wir einmal an, Sie wären ein junger Mann, Herr Arbeits-
Peter Dreßen
minister, Schulabsolvent, wollten nun einen Beruf ergreifen und Sie würden bei einer Baufirma anrufen und sich um eine Lehrstelle bewerben.
Dort würde man Ihnen erzählen, daß es sich nicht selten um körperlich schwere Arbeit handelt. Aber das würde Sie ja nicht stören. Außerdem würde man Ihnen sagen, daß Sie kaum je geregelte Arbeitszeiten hätten, weil Sie im Sommer meist mehr und im Winter eher weniger arbeiten müßten. Auch das machen Sie noch mit.
Daraufhin würde Ihnen erklärt, daß damit auch jahreszeitlich unterschiedlich hohe Verdienste verbunden sein könnten. Aber Sie sind ja ein Kind des Zeitgeistes, also sehr flexibel und daher ganz nach dem Geschmack unseres Bundeskanzlers.
Schließlich würde man Ihnen erzählen, daß Sie unter Umständen im Zweifel fünf Tage Urlaub für einen eventuellen Schlechtwetterausfall opfern müßten. Wenn Sie unter diesen Umständen den Job trotzdem annehmen, gibt es eigentlich für mich nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie befinden sich im Jahre 1930 und müssen erst noch auf einige sozialpolitische Fortschritte warten, oder Sie befinden sich im Jahre 1995, sind Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und kuschen fortgesetzt vor Ihren eigenen Finanzpolitikern und deren gelb-blau geschürzten Vertretern der Besserverdienenden.
Niemand außer Ihnen glaubt noch, mit solchen Verschlimmbesserungen würde die Bauwirtschaft wettbewerbsfähiger oder würden die Bauberufe attraktiver.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dieser Tage eine Analyse zu Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen veröffentlicht. Demnach kamen 1993/94 in den Bau- und Baunebenberufen auf rund 69 000 angebotene Ausbildungsplätze -
Herr Dreßen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schnieber-Jastram?
- gleich, wenn ich den Satz zu Ende habe - rund 46 500 Bewerber. Dieser Überschuß ist an sich zu begrüßen, um die berufliche Erstausbildung zu sichern. Es kann aber doch nicht Sinn der Sache sein, daß sich ein solcher Überschuß irgendwann nur deswegen ergibt, weil es an Bewerbern für diese Stellen fehlt.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, daß wir bereits einen Facharbeitermangel am Bau zu beklagen haben. Ihre Politik wird diese Tendenz nun leider noch mehr verstärken.
Bitte schön.
Herr Dreßen, ich habe Ihnen jetzt eine gute Zeit zugehört. Ich möchte von Ihnen, nachdem Sie so vieles an besseren Vorschlägen haben, gern wissen: Wie erklären Sie sich eigentlich, daß Ihnen in Berlin die Arbeiter davonlaufen?
Das kann ich Ihnen schon ein Stück weit erklären. Die Entsenderichtlinien sind in dieser Republik leider noch nicht bekannt. Es ist nicht bekannt, daß sie permanent Arbeitsplatzvernichter sind. Wenn das in der Bevölkerung bekannt wird, dann, da bin ich mir sicher, kommen die Arbeitnehmer auch wieder zu uns zurück.
Ich versichere Ihnen: Wir werden alles tun, damit im Land bekannt wird, was Sie in diesem Parlament treiben.
Es ist schon bezeichnend, daß wir Sozialdemokraten Ihnen schon wieder das Einmaleins wirtschaftspolitischer Angebotsbedingungen auseinandersetzen müssen. Von einer Attraktivitätssteigerung oder einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft kann jedenfalls nicht die Rede sein. An Attraktivität würden Bauberufe nur dann wieder gewinnen, wenn Sie die Rahmenbedingungen in anderen Tätigkeitsfeldern so sehr verschlechtern, daß man dadurch Azubis bzw. Arbeitnehmer dazu zwingt, sich gleichsam auf den Bau zu flüchten. Das würde eine sozialpolitische Abwärtsspirale bedeuten, die Deutschland in keinem Fall gewinnen kann.
Ich hoffe, daß Sie diese Warnungen nicht als Horrorszenario abtun werden. Ob Sie es einsehen oder nicht: Ihre Politik hat in der Summe nun einmal genau diesen Effekt.
Die SPD-Fraktion hat dagegen zusammen mit der Mehrheit des Bundesrates vorgeschlagen, die alte Regelung zum Schlechtwettergeld in der Form wiederherzustellen, die 1993 gegolten hat. Dadurch würden nicht nur zusätzliche Belastungen für die Bauwirtschaft bzw. für die Einkommen der Bauarbeiter, sondern auch mögliche Verschiebungen von der Schlechtwetterfront zu den Lohnersatzleistungen vermieden. Das Schlechtwettergeld würde als das Instrument erhalten, als das es eingeführt worden ist: als Umlagebeitrag der Solidargemeinschaft für Ausnahmesituationen, deren Belastungen die Baubetriebe aus Wettbewerbsgründen bereits aus sich heraus so klein wie möglich halten möchten. Dem wird man aber nicht gerecht, wenn man eine abgespeckte Regelung wieder einführt, wie es in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Insofern fordere ich die Koalition auf, ihren Gesetzentwurf noch einmal zu überdenken. Oder verfallen Sie wenigstens auf jene alte Übung, mit der Sie bereits in der Vergangenheit einige Fehler vermieden haben: Nehmen Sie unseren Entwurf, setzen Sie Ihr
Peter Dreßen
Logo darüber, und bringen Sie ihn dann in die Ausschußberatungen wieder ein! Im Interesse der Sache würde ich dies begrüßen und Ihnen keine Vorwürfe machen.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorstellung, daß Norbert Blüm bei einer Baufirma anruft und sich um eine Bauarbeiterlehrstelle bewirbt, reizt natürlich zu einer Antwort. Erstens würde diese Firma Norbert Blüm natürlich gern nehmen, weil sie weiß, was er leisten kann.
Zweitens würde Norbert Blüm diese Stelle natürlich antreten, weil er weiß, daß durch die Tarifverträge und die jetzige gesetzliche Regelung wieder mehr Attraktivität für die Bauberufe erreicht worden ist.
- Herr Gilges, es reicht nicht aus, wenn wir nur mit Vokabeln wie „Täuschung", „Erpressung" oder, wie Frau Knake-Werner sagte, „erpresserischer Druck" und - ich denke hier an Herrn Dreßen - mit dem altbekannten Schlagwort „Sozialabbau" vorgehen.
Was diese Formulierungen angeht, sitzen alle drei Oppositionsparteien in einem Boot; aber sie sitzen in einem völlig anderen Boot als die Koalitionsfraktionen,
die Bundesregierung und die Tarifparteien. Wir wollen eine andere Lösung, als Sie sie wollen, nämlich eine Eigeniösung statt einer Fremdlösung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal würdigen, was bisher passiert ist: Ein Hoch auf die Tarifautonomie und ein Dank an IG Bau-Steine-Erden, den Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sowie den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie für die Lösung! Statt von allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird zukünftig von den Sozialpartnern der Bauwirtschaft selbständig eine Regelung getroffen, und der Sozialstaat steht an der Stelle ein, an der die Tarifparteien es nicht regeln können. Das ist zukunftsweisende Sozialpolitik. Außerdem erreichen hiermit 1,1 Millionen Bauarbeiter ein ganzjährig gesichertes Einkommen.
Lassen Sie mich noch einen Blick darauf werfen, wie die Lage während des letzten Jahres war. Es gibt die Vorschläge der Oppositionsparteien.
Der PDS-Antrag vom Januar 1995 lautet schlicht: „Verzicht auf die Streichung der Schlechtwettergeldregelung" und hat die Wiederherstellung der alten
Regelung zum Ziel. Bei der PDS wundert mich das nicht, weil sie ja immer nur rückwärtsgewandt ist. Rote Socken laufen eben auch dann rückwärts, wenn sie sich im Sozialsystem der Bundesrepublik bewegen. Dies ist nicht zukunftsweisend.
Bei dem Antrag der Grünen bin ich ein wenig gutmütiger, denn der Titel ist anspruchsvoller.
- Ja, das ist ja so, Frau Buntenbach: „Sozialverträgliche Beschäftigung in Baubetrieben". Er bläht inhaltlich den Umfang über Themen auf, die diskutiert werden und zur Zeit auch in der Entscheidung stehen: Entsenderichtlinie, Werkvertragskontingente, Scheinselbständige, Bedingungen bei der Vergabe von Bauaufträgen der öffentlichen Hand. Ich gebe zu, daß man das dazutun kann. Aber wenn man es auf das Schlechtwettergeld bringt, das hier im Zusammenhang mit der Bauwirtschaft zu diskutieren ist, heißt es da im Grunde genommen auch: „Wiederherstellung des alten Zustandes". Ich finde, das ist für eine Partei, die von sich behauptet, sie würde die Zukunft gestalten, einfach zuwenig.
Ganz enttäuscht bin ich von dem Antrag der SPD, Herr Gilges. Das ist ja einer der ersten Anträge in dieser Legislaturperiode gewesen. Da heißt es auch: „Die bauspezifischen Benachteiligungen bei der Schlechtwetterregelung müssen rückgängig gemacht werden. - Alternativen: Keine." Die Tarifparteien haben Ihnen vorgemacht, daß es Alternativen gibt, daß es nicht nur ein Zurück gibt, sondern daß es einen zukunftsweisenden Weg gibt, der den Sozialstaat zu neuen Zielen bringt.
Die neue Schlechtwettergeldregelung ist ein Paradebeispiel für moderne und zukunftsorientierte Sozialpolitik. Was erleben wir hier? Einerseits ein starkes Miteinander von Tarifparteien und Staat, die hier Hand in Hand agieren. Dabei wird den Tarifparteien Vorrang gelassen.
- Das ist das Subsidiaritätsprinzip und nicht Unsinn, Frau Fuchs. Den Tarifparteien wird Vorrang gelassen, und erst, wenn sich die Situation zuspitzt, wenn also die 20 Arbeitstage oder 150 Ausfallstunden erreicht sind, handelt die öffentliche Hand. Wir reduzieren also staatliches Handeln zugunsten der Einflußnahme der Betroffenen und lassen dabei auch niemanden alleine. Wir konzentrieren uns auf das Notwendige, und damit sind wir hocheffizient.
Dieses Miteinander hat es im Vorfeld gegeben; wir haben ja die Diskussion im letzten Jahr erlebt. Hier gab es wirklich ein Miteinander zwischen Tarifparteien und Politik.
Nach der beschlossenen Kürzung im Bereich Schlechtwettergeld, was die Monate November und März anging, gab es eine Bewegung bei den Tarifparteien. Sie sagten: Wir sind bereit, dies eigenständig zu regeln, wenn ihr bereit seid, den alten Zu-
Wolfgang Meckelburg
stand wiederherzustellen. Das haben wir daraufhin getan. Das war der Stand vom September 1994.
Die Zwischenzeit haben die Tarifparteien genutzt. Sie haben eine Lösung gefunden. Wir sind also im Verfahren sehr flexibel gewesen. Die Verhandlungen der Tarifparteien waren sehr flexibel. Die Arbeitgeber sind in Richtung Überbrückungsgeld gegangen, die Arbeitnehmer in Richtung Urlaubstage und beide in Richtung flexiblere Arbeitszeiten. Wir müssen beim abschließenden Gesetzgebungsverfahren weiter flexibel bleiben. Wir müssen diesen Teil durchsetzen, damit zum 1. Januar 1996 die Regelungen, was die Tarifparteien und den von uns zu regelnden Teil angeht, wirklich eine runde Sache werden.
Ich will die Einzelheiten jetzt nicht noch einmal ausführen. Wir werden in der Ausschußberatung Zeit haben, darüber zu reden. Die Details sind vorhin schon mehrfach genannt worden.
Ich will versuchen, eine vorläufige Wertung vorzunehmen, was diese Regelungen, die gemeinschaftlich zwischen Tarifparteien und Sozialstaat getroffen worden sind, für uns bringen.
Bei den Kosten für die Arbeitslosenversicherung wird es Einsparungen geben: 200 Millionen DM statt 800 Millionen DM. Das ist notwendig; das wissen wir alle. Es wird mehr gebaut; Bautätigkeit wird verstärkt auch in der Schlechtwetterzeit stattfinden. Es wird ein gemeinsames Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an mehr Bautätigkeit geben. Denn da sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirklich in einem Boot: Die einen wollen nicht länger als nötig Überbrückungsgeld zahlen, und die anderen wollen so wenig wie möglich an Urlaubszeit einbringen. Insofern ist das ein positiver Beitrag für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Die tariflichen Vereinbarungen und die gesetzlichen Regelungen zusammen haben ganzjährig gesichertes Einkommen für Bauarbeiter gebracht. Der Beruf des Bauarbeiters wird dadurch wieder attraktiver.
- Ich lebe in der Welt, in der die Tarifparteien leben und diesen Vertrag anpeilen.
- Sie reden heute in der ganzen Diskussion so, als hätte sich in dem ganzen Jahr seit September 1994 nichts getan.
Man muß einfach einmal zur Kenntnis nehmen, daß sich die Tarifparteien bewegt haben und daß jetzt wir in diesem flexiblen Verfahren wieder am Zug sind, den letzten Teil zu regeln und damit ein Gesamtpaket hinzukriegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?
Ja.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vor anderthalb Jahren hier in Bonn mehr als 130 000 Bauarbeiter gegen die Abschaffung des Schlechtwettergelds demonstriert haben? Haben Sie das eigentlich einmal zur Kenntnis genommen? Es kann ja sein, daß an der CDU/CSU einiges vorbeigeht, was im realen Leben stattfindet.
Aber 130 000 Bauarbeiter, die hier gegen die Abschaffung des Schlechtwettergeldes demonstriert haben, können doch nicht an Ihnen vorbeigegangen sein.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Verzicht auf fünf Tage Urlaub für jeden Kollegen einen tiefen sozialen Einschnitt bedeutet?
Sind Sie bereit, das einmal zur Kenntnis zu nehmen? Hören Sie auf, hier den Eindruck zu erwecken, daß die Tarifvertragsregelung, die ich als Mitglied der IG Bau-Steine-Erden natürlich unterstütze, keine bessere Regelung als die gesetzliche Regelung über das AFG und das Schlechtwettergeld ist! Es ist eine schlechtere Regelung, und es bleibt eine schlechtere Regelung. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!
Verehrter Herr Kollege Gilges, ich versuche, darauf zu antworten, obwohl Ihre Frage fast den Charakter einer Intervention hatte; aber dadurch ist sie nicht besser geworden.
Ich sage Ihnen, Herr Gilges, ganz deutlich: Natürlich habe ich zur Kenntnis genommen, daß die Bauarbeiter im September unzufrieden waren. Natürlich habe ich auch vor Ort an Diskussionen teilgenommen. Interessant war dabei: Als ich gesagt habe, daß wir ja die Novemberstreichung und die Märzstreichung wieder zurückgenommen haben, weil die Tarifparteien die Bereitschaft zeigten, eine gemeinsame Regelung zu finden, mußte ich feststellen, daß die Gewerkschaft diesen Passus vor Ort vielen Bauarbeitern gar nicht mitgeteilt hat.
Da ergaben sich plötzlich aus der Diskussion Fragen an die Gewerkschaften.
Ich nehme aber auch zur Kenntnis - das nehmen Sie möglicherweise nicht zur Kenntnis, Herr Gilges -, daß wir ein Jahr lang Tarifverhandlungen hatten und inzwischen einen Vorschlag der Tarifparteien auf dem Tisch liegen haben, so daß es jetzt wirklich darauf ankommt, unsere Pflicht zu erfüllen und das Restrisiko, das von den Tarifparteien nicht abgesichert werden kann, durch die Neuregelung abzusichern.
Wolfgang Meckelburg
Sie sind herzlich eingeladen, von den alten Fragen im September 1994 wegzukommen, auf die Tarifparteien, auf die Gewerkschaften zuzugehen und ein gemeinsames Paket hinzukriegen, damit am 1. Januar 1996 eine Lösung da ist, die in vollem Umfang greift, so daß niemand - wie Sie das behaupten - arbeitslos wird und auf der Straße liegt.
Lassen Sie mich am Ende festhalten: Ich halte dies für ein beispielgebendes Paket, das hier auf dem Tisch liegt, für ein Paket, das für andere Tarifparteien, für andere Regelungen beispielgebend sein kann, wo einerseits Tarifautonomie besteht, andererseits der Staat dort, wo es nicht anders geht, eingreifen kann. Das ist aus meiner Sicht ein modernes Verständnis von Sozialstaat. Man kann nicht immer nur am alten festhalten, am Herkömmlichen, ohne zu Veränderungen bereit zu sein. Das, muß ich ehrlich sagen, ärgert mich bei einer Partei wie der SPD am meisten, wo Herr Scharping dauernd herumläuft und sagt, wir müssen intelligente Lösungen finden. Wenn die Intelligenz nur darin besteht, an dem festzuhalten, was immer war, dann, so muß ich sagen, kommen wir am Wirtschaftsstandort Deutschland nicht weiter.
Ich wünsche dem Gesetzentwurf eine wirklich zügige Beratung, so daß wir am 1. Januar 1996 eine gemeinsame Lösung haben, mit der wir als Politiker, mit dem die Tarifparteien, mit dem aber vor allem die Bauwirtschaft, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, leben können.
Ich lade Sie herzlich ein, als Opposition zur Zügigkeit des Verfahrens beizutragen.
Abschließend spricht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand dieser Debatte ist eine besondere Regelung für die Bauwirtschaft, deren Bedeutung allerdings weit über diese Branche hinausreicht. Dazu möchte ich zum Schluß noch einige Bemerkungen machen, zumal ja auch manches für die Vermutung spricht, daß die Kontroverse über die Regelung, die heute zur Debatte steht, mit der grundsätzlichen Bedeutung zusammenhängt, die dem ganzen Fragenkomplex zukommt, der an diesem Beispiel diskutiert und auch entschieden werden muß.
Zentrale Herausforderung der Wirtschaftspolitik sind die Sicherung vorhandener Beschäftigung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dies ist unstreitig eine gemeinsame Herausforderung sowohl an den Staat wie an die Tarifpartner, aber es ist ganz offensichtlich unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Arbeitsmarktes auch eine Aufgabe, an die wir mit neuen Überlegungen, mit neuen Regelungen herangehen müssen, wenn wir neue Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt schaffen wollen, die sich von denen unterscheiden, die wir gegenwärtig haben.
Niemand von uns darf sich an der Einsicht vorbeidrücken, daß unter den bestehenden Bedingungen des Arbeitsmarktes, auch unter den gegebenen Bedingungen der Organisation unserer gesetzlichen Systeme sozialer Sicherung selbst bei stetigem Wachstum nicht die Beschäftigungswirkungen eintreten, die wir gemeinsam wünschen und die wir dringend brauchen.
Tatsache ist: Der Arbeitsmarkt ist über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg immer mehr durch das Bedürfnis nach gesetzlicher Absicherung allgemeiner und besonderer Lebensrisiken belastet worden, und wir haben dieses sympathische Anliegen über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg in einer Weise befördert und perfektioniert, daß wir nun auf dem Arbeitsmarkt vor einer Situation stehen, die uns mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert, daß genau dieses sympathische Bemühen die Schaffung neuer Arbeitsplätze immer mehr erschwert.
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, uns dieser Einsicht auch dann zu stellen, und zwar nicht nur rhetorisch, Herr Gilges, sondern auch praktisch, wenn sie für uns alle unangenehm ist, vor allen Dingen deswegen, weil sie uns neue Prioritätsentscheidungen abverlangt, die aber gerade im Interesse derjenigen, die Arbeit haben, und erst recht derjenigen, die Arbeit brauchen, nicht länger vertagt werden dürfen.
- Das ist leider eine Befürchtung, für deren Erhärtung in dieser Diskussion zusätzliche Anhaltspunkte gefunden werden können, Herr Kollege.
Wer die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur vorrangigen politischen Aufgabe erklärt - das tun Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Woche für Woche mit guten Argumenten -, muß gleichzeitig sagen und bereit sein, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen. Die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung neuer Beschäftigung müssen auch vor der Sicherung von Rechts- und Leistungsansprüchen Vorrang haben, wenn nicht beides gleichzeitig zu realisieren ist.
Diese Debatte heute hat vor allem durch die Redebeiträge seitens Opposition sehr deutlich gemacht, daß Sie auf genau den umgekehrten Prioritäten bestehen.
Das ist selbstverständlich Ihr gutes Recht. Wenn Sie aber, wie Sie es auch heute wieder vorgetragen haben, den Vorrang gesetzlicher Leistungsansprüche vor der Eröffnung neuer Beschäftigungschancen reklamieren, dann dürfen Sie nicht gleichzeitig die Be-
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
kämpfung der Arbeitslosigkeit zur vorrangigen politischen Aufgabe erklären.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Ja.
Herr Staatssekretär, da Sie aus dem Wirtschaftsministerium kommen, wäre es für mich interessant zu erfahren, warum das Wirtschaftsministerium für die Entsenderichtlinie nur eine so enge Auslegung zuläßt. Es ist doch offenkundig, daß das, was Sie vorlegen, Arbeitsplätze vernichtet. Sie müssen doch Gelegenheit bieten, die Arbeitnehmer in diesem Bereich vor Dumpingpreisen zu schützen. So kann es doch nicht weitergehen. Wenn Sie zusätzliche Arbeitsplätze wollen, dann müssen Sie unseren Entwurf oder den des Bundesrates zur Grundlage der Entsenderichtlinie machen.
Lieber Kollege, die von Ihnen behauptete Wirkung ist weder offensichtlich noch nach unserer Überzeugung wahrscheinlich. Wir werden diese Sachverhalte wie in dieser Debatte auch im weiteren parlamentarischen Verfahren sowohl zu diesem Gesetzentwurf als auch zu den beabsichtigten Regelungen im Zusammenhang mit der Entsenderichtlinie miteinander diskutieren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Initiative der Bundesregierung und der Beschluß des Bundestages zur Aufhebung der alten Schlechtwettergeldregelung im Arbeitsförderungsgesetz waren vor dem Hintergrund der gerade von mir noch einmal verdeutlichten Notwendigkeit der Setzung neuer Prioritäten und des Abwägens der Vorrangigkeit und Nachrangigkeit von Anliegen sachlich geboten und sind im Ergebnis offensichtlich erfolgreich gewesen.
Im übrigen ist das Ergebnis, das uns heute vorliegt, einer der wirklich bemerkenswerten, konkreten Beiträge zum Umbau des Sozialstaates, dessen allgemeine Notwendigkeit im Unverbindlichen hier hinreichend häufig, aber meist unverbindlich beschworen worden ist.
Deswegen darf man heute all denjenigen gratulieren, die zu dem ganz konkreten Nachweis der Möglichkeit des Umbaus beigetragen haben: sowohl dem Arbeits- und Sozialminister als auch insbesondere den Tarifpartnern, deren Einsicht in die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Regelungen auf dem Arbeitsmarkt offensichtlich weiter reicht als bei großen Teilen der Opposition.
Die heute zur Debatte stehende neue Regelung ist keine Verschlechterung. Sie ist eine Verbesserung gegenüber dem Status quo, dessen Änderungsbedürftigkeit wir häufig genug miteinander diskutiert haben.
Erstens schafft diese Regelung mehr Flexibilität in der Branche - dies in einer Weise, wie sie bisher in keinem anderen Wirtschaftszweig ernsthaft in Aussicht genommen worden ist. Das möchte ich mit besonderem Respekt vor den Tarifpartnern ausdrücklich unterstreichen. Die Regelung schafft mehr Flexibilität in der Organisation von Arbeitszeiten und Arbeitsformen, auch bei den Entlohnungen, die damit verbunden sind.
Zweitens schafft diese Regelung eine stärkere Verstetigung von Einkommen und Beschäftigung. Sie stellt im übrigen mit Blick auf diese Branche auch eine sozialpolitische Verbesserung dar. Zum erstenmal besteht die Aussicht auf ein verläßliches, kalkulierbares Jahreseinkommen ohne die typischen Risiken der Saisonarbeit. Das wird man doch auch einmal vortragen dürfen, wenn hier der Eindruck erzeugt wird, Regelungen würden verschlechtert.
Drittens schafft diese Regelung mehr Selbstverantwortung auf seiten aller Beteiligten. Diese brauchen wir dringend; über ihre Notwendigkeit erzielen wir, solange es unverbindlich ist, regelmäßig Einvernehmen.
Viertens ergänzen wir diese Art von Selbstverantwortung und von Selbstbeteiligung mit den in der Sache gebotenen gesetzlichen Regelungen, soweit die Leistungsfähigkeit der Betroffenen erkennbar überboten wird und wir den Zeitraum der Eigenverantwortung bestimmen müssen, der für die unmittelbar Betroffenen über die Grenze des Zumutbaren hinausgeht. Das, meine Damen und Herren, ist nun allerdings ein bemerkenswertes Beispiel für eine neue, faire Lastenverteilung sowohl zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Betrieben und Beschäftigten, für eine faire Lastenverteilung zwischen Betroffenen und der Gesamtgesellschaft. Genau dieses Thema müssen wir neu miteinander diskutieren.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?
Sofort.
- Hier, Herr Gilges, führen Ihnen die Tarifpartner vor, daß sie zu genau dieser neuen Lastenverteilung bereit und in der Lage sind, weit über Ihre Vermutungen hinaus.
Herr Tauss.
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5498 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Oktober 1995
Können Sie mir einmal erklären, worin das Bemerkenswerte eines Vorganges liegt, wenn der Familienvater - auf dem Bau sind überwiegend Männer betroffen - seiner Familie erklären muß, eine Planung des Sommerurlaubs - beispielsweise im Januar oder Februar, wenn man günstige Angebote bekommt - ist nicht möglich, weil ich noch nicht so recht weiß, ob ich eine Woche Urlaub mehr oder weniger habe, denn ich weiß nicht, ob es nächstens viel regnet oder gar nicht? Was ist daran bemerkenswert, Herr Kollege?
Wenn wir in hoffentlich möglichst kurzer Zeit Arbeitsmarktdebatten in diesem Hause nur noch unter der Fragestellung führen müßten, welche Beteiligten zu welchem Zeitpunkt verbindliche Urlaubsplanungen realisieren können, dann hätten wir's geschafft!
Aber bis zu diesem Zeitpunkt werden nicht nur manche Debatten, sondern auch noch manche Einsichten notwendig sein, die Ihnen offenkundig nach wie vor viel schwerer fallen als denjenigen, die von diesen Regelungen unmittelbar betroffen sind.
Deswegen nehme ich gern den Begriff auf, den die IG Bau-Steine-Erden mit gutem Recht für diese neue Vereinbarung selbst gefunden hat: Dies ist in der Tat ein Meilenstein. Es ist ein Meilenstein auf dem schwierigen, auf dem steinigen Weg zu einer notwendigen Modernisierung des Arbeitsmarktes.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/2742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 8a sowie die Zusatzpunkte 6 und 7:
8. a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft"
- Drucksache 13/1782 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Einsetzung einer unabhängigen ExpertenKommission „Demokratische und soziale Antworten auf die Herausforderungen der neuen Informationstechnologien"
- Drucksache 13/2741 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
ZP7 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU und F.D.P.
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik für Deutschland"
- Drucksache 13/2753 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS sieben Minuten erhalten soll. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserer heutigen Debatte geht es um die von uns beantragte EnqueteKommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" . Ich möchte diesen Antrag für unsere Fraktion begründen.
Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeitenwende, in einer Zeit des Übergangs, des Übergangs von der klassischen Industriegesellschaft zu einer Informationsgesellschaft, deren Kern aber die industrielle Fertigung bleiben wird. Vielen ist noch gar nicht bewußt, wie sehr die Informations- und Kommunikationstechniken unser Leben fundamental verändern werden. Wir haben es mit einem ökonomischen, technologischen und kulturellen Quantensprung zu tun, der eigentlich nur mit der Erfindung der Buchdruckerkunst vor 500 Jahren und mit der Erfindung des Telefons vor 125 Jahren vergleichbar ist. Beides hat auch unsere Kommunikationsmöglichkeiten erweitert und die Ausübung von Demokratie erheblich verbessert.
Durch die Revolution der Kommunikationstechnologien wird es nun möglich, Informationen mit Lichtgeschwindigkeit rund um den Globus zu schicken. Bisherige räumliche und zeitliche Beschränkungen verschwinden. Jeder kann mit jedem auf der globalen Datenautobahn kommunizieren durch Wort, Schrift, Bild und Ton. Die Welt wird ein elektroni-
Siegmar Mosdorf
sches Dorf. Das weltweit versammelte Wissen wird universell verfügbar.
Der Amerikaner Nicholas Negroponte, der Direktor des großen Media-Labors am MIT in Boston, geht davon aus, daß es in gar nicht ferner Zukunft möglich ist, elektronische Zeitungen zu erstellen, also Zeitungen, die man sich persönlich zusammenstellt, so daß man seine Informationen selber sammelt. Die Zeit ist nicht mehr weit entfernt, in der Millionen von Menschen gleichzeitig in einer digitalen Bibliothek herumstöbern können. Mit Hilfe der Tele-Medizin können bei kompliziertesten Operationen qualifizierte Spezialisten aus der ganzen Welt hinzugezogen werden.
Video-Konferenzen, Tele-Working gibt es heute schon in Ansätzen. Das wird sich ausweiten. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten auch der Verkehrsvermeidung. Die Pendlerströme werden kleiner. Der tägliche Stau auf dem Weg ins Büro kann möglicherweise vermieden werden, wenn wir unsere Arbeitsformen verändern und gleichzeitig die Siedlungsstrukturen verändern.
Mit der Informationstechnologie kann nach Auffassung von Ernst Ulrich von Weizsäcker, die ich teile, auch die Energieeffizienz erhöht werden. Das heißt, wir können auch im ökologischen Bereich erhebliche Fortschritte machen.
Es gibt also kulturelle, ökologische und gesellschaftliche Chancen. Datenautobahnen, Verkabelung und Satelliten sind aber nur die Voraussetzung für zukunftsorientierte Entwicklungen, eine menschenwürdige Zukunft entsteht jedoch nur aus einer aktiven Gestaltung. Daran wollen wir Sozialdemokraten mitwirken.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien bergen auch ungeheure ökonomische Chancen für unser Land und für den Standort Deutschland, für Wohlstand und Arbeitsplätze. Aber diese Technologien stellen unser Land zugleich auch vor große Herausforderungen. Durch die neuen Informationstechnologien wird der Wettbewerb auf den Weltmärkten zunehmen, die Dynamik wird sich verstärken. Tony Blair hat recht, wenn er sagt: „Das Wettrüsten der Systeme ist vorüber, jetzt hat der Kampf ums Wissen begonnen." Die Karten bezüglich der Standortvorteile, des technologischen Know-hows und der Qualifikation von Arbeitskräften werden völlig neu gemischt. Es gilt: Wer diesen Zug in Richtung Informationsgesellschaft verpaßt, den bestrafen die Märkte. Meine Damen und Herren, deshalb wollen wir als Sozialdemokraten genau darauf aufpassen, daß wir diesen Zug nicht verpassen.
Die neuen Technologien werden das Wirtschaftsleben fundamental verändern. Neue Berufe entstehen, die Beschäftigung wird sich in andere Sektoren verlagern. Der Produktionssektor verliert gemessen an seinem Beschäftigungsanteil an Bedeutung. Auch in den klassischen Dienstleistungsbereichen wird die Beschäftigung eher stagnieren. Dagegen werden in der Informationswirtschaft in den nächsten Jahren viele tausend Arbeitsplätze entstehen. Ich halte die Schätzung der Europäischen Union von 40 Millionen Arbeitsplätzen in diesem Bereich für zu euphorisch. Trotzdem glaube ich, daß in diesem Sektor gerade bei jungen, bei kleinen, bei neuen Unternehmen viele Arbeitsplätze entstehen können, und deshalb müssen wir auf diese Informationsindustrie setzen. Bereits 1994 sind weltweit mehr Computer verkauft worden als Autos. Möglicherweise sind es schon bald doppelt so viele.
Die deutsche Wirtschaft braucht einen technologischen Sprung nach vorne. Wir haben ökonomische und technologische Vorsprünge verloren. Nur wenn wir die aufholen, können wir unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze sichern.
Dazu müssen die Weichen gestellt werden. Vor zwei Tagen hat die Deutsche Telekom mit der Deutschen Postgewerkschaft zum erstenmal einen Tarifvertrag vereinbart, der die Tele-Heimarbeit regelt. Ich finde, wir haben allen Grund, diese partnerschaftliche Vereinbarung, die zum ersten Mal, sozusagen im Pilot-verfahren, flexible Tele-Arbeitsbedingungen regelt, ausdrücklich zu begrüßen, denn wir brauchen beide Partner, um die Informationsgesellschaft zu gestalten.
Obwohl wir in Deutschland beispielsweise bei der Infrastruktur die besten Voraussetzungen haben, um im Wettbewerb bestehen zu können, sind uns andere schon um Längen voraus. In den USA beispielsweise hat das Thema Informationsgesellschaft einen herausragenden politischen Stellenwert. Daran haben Al Gore und auch Bill Clinton einen wichtigen Anteil.
So werden spätestens bis zum Jahr 2000 alle Schulen und Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen in den USA an Datenautobahnen angeschlossen. Es gibt dazu ein Aktionsprogramm; in Deutschland gibt es dieses noch nicht. Wir reden überwiegend über Deregulierung und nicht über die Inhalte, die neuen Dienste und deren Anwendungen, darüber, wie wir uns in den Stand setzen können, hier eine Grundversorgung sicherzustellen.
Es ist übrigens keine angemessene Vorbereitung Deutschlands auf die Informationsgesellschaft, wenn die Bundesregierung z. B. bei der Genehmigung von Tarifstrukturen für die Telekom ermöglicht, daß die lokalen Online-Dienste teilweise um bis zu 150 % verteuert werden.
Wir haben am Montag im Regulierungsrat - das war unsere Initiative; Kollege Bury ist hier - den Antrag gestellt, das zu ändern, weil sonst diese Belastung für diejenigen, die die Online-Dienste dringend brauchen, bestehenbliebe. Der Bundespostmi-
Siegmar Mosdorf
nister hat eine Prüfung zugesagt, aber die Union hat sich bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. Das ist bedauerlich, wenn es um so wichtige Zukunftsfragen geht.
Wir sehen durchaus die Gefahr, daß die Bundesregierung bei der Gestaltung der informationstechnischen Entwicklung einen allzu verkürzten Ansatz verfolgt. Wir befürchten, daß die Regierungskoalition dieses wichtige Zukunftsthema auf Fragen der Deregulierung reduziert, daß die vielfältigen Chancen nicht erkannt oder zumindest nicht ergriffen werden.
Nun hat ja Herr Rüttgers auf dem Parteitag der CDU versucht, der Union einen etwas modernen Anstrich zu geben. Diese Bemühungen soll man auch ernst nehmen. Ich glaube, wenn man die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" liest, die diesen Parteitag kommentiert hat, dann wird einem klar, in welcher Lage wir uns befinden. Die FAZ hat nach dem Parteitag geschrieben:
Es gehört zur Politik, Mißerfolge der Vergangenheit in Aufgaben zur Bewältigung der Zukunft umzumünzen. Die Spitzen der CDU beherrschen diese Kunst. Auf dem Parteitag in Karlsruhe haben sie anklagend über 3,5 Millionen Arbeitslose, über drückende Soziallasten, eine erhöhte Staatsquote, über Zukunftsangst und Technikfeindlichkeit gesprochen. Dabei ist die Union seit 13 Jahren maßgeblich für den Zustand verantwortlich, in dem sich Deutschland und seine Gesellschaft heute befinden.
Ich glaube, man kann dem nichts hinzufügen.
Die Bestandsaufnahme heute zeigt, daß wir Vorsprünge verloren haben, und deshalb meinen wir Sozialdemokraten: Die Informationsgesellschaft ist für uns die politische Gestaltungsaufgabe der Gegenwart. Wir lassen uns dabei von dem Grundsatz leiten: Nicht jede mögliche Entwicklung ist auch wünschenswert. Eine Entwicklung, in der durch Verlagerung der Anzeigenaufkommen z. B. von den Druckerzeugnissen zu den Bildschirmen Zeitungen so teuer werden, daß sie nur noch von einer kleinen, privilegierten Gruppe von Menschen gelesen werden können, ist jedenfalls für uns nicht akzeptabel. Das ist nicht der Weg, den wir uns vorstellen.
Eine Situation, in der durch ein immer größeres Unterhaltungsangebot intellektuelle Fähigkeiten vor allem junger Menschen verkümmern, kann uns jedenfalls nicht gleichgültig sein,
und deshalb gehört auch dieses zu dem Thema, das wir heute behandeln.
Übrigens hat es dazu auch Diskussionen auf dem Parteitag der CDU gegeben, die deutlich machen, daß wir vielleicht sogar in der Frage der Wertorientierung eine wichtige neue Debatte führen müssen; denn wir dürfen dieses Problem nicht nur technisch angehen, sondern wir müssen die strukturkonservativen Barrieren beseitigen, aber auch innere Werte für die Zukunft sichern.
Die mit dem Computerzeitalter entstehenden Gefahren von Desinformation und Manipulation, von übertriebener Individualisierung und kultureller Beliebigkeit bedeuten ganz konkrete Gefährdungen für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Ich behaupte: Der einzelne ist überfordert, alle Gefahren, die dieser neuen Entwicklung zugrunde liegen, zu sehen bzw. ihnen individuell zu begegnen. Die große Lyrikerin Edna Millay hat schon vor einigen Jahren folgendes Gedicht veröffentlicht, das ich Ihnen vortragen möchte und das uns, was die Kulturentwicklung angeht, zu denken geben sollte. Sie hat in diesem Gedicht formuliert:
Auf dieses so reiche Zeitalter..
Ergießt sich eine Flut von Fakten ...
Sie liegen da, nicht hinterfragt und nicht geordnet, Weisheiten genug, um uns zu erlösen,
Werden täglich ersonnen, nur ist kein Webstuhl da, Der alles wohl zusammenfügt.
Ich denke, die Politik hat die Aufgabe des Webstuhls zu leisten, Kreativität und Kompetenz, Handwerk und Effizienz zusammenzubringen, um ein neues Modell für eine Ökonomie der Informationsgesellschaft zu entwickeln. Das wird die Hauptaufgabe in den nächsten Jahren sein.
Wir Sozialdemokraten wollen die großen Chancen, die die neuen Technologien für uns bereithalten, voll und ganz nutzen. Die Faszination des Neuen darf aber nicht dazu führen, daß wir zusehen, wie am Ende die menschlichen Beziehungen immer weiter verkümmern. Wir wollen nicht, daß der technische Fortschritt auch unsere kulturellen Werte vernachlässigt. Durch aktives Wegschauen überlassen wir die Zukunft dem Zufall. Wir wollen das nicht; wir wollen die Zukunft aktiv gestalten. Das sind wir den Menschen schuldig.
Um das zu können, brauchen wir einen Fahrplan für den Weg Deutschlands in die Informationsgesellschaft. Dazu müssen nach meiner Auffassung sechs Weichenstellungen erfolgen, die ich jetzt gern noch benennen möchte.
Erstens. Der Wirtschaftsstandort Deutschland muß für die Herausforderungen durch die Informations-und Kommunikationstechniken präpariert werden. Wir müssen dazu die rechtlichen und finanziellen Hürden für innovative Unternehmen aus dem Weg räumen, damit mehr kreative Menschen den Schritt in die Selbständigkeit wagen als bisher. Es müssen die Defizite vor allem im Softwarebereich abgebaut werden. Die größten Erwartungen richten sich dabei auf die kleinen und mittleren Unternehmen, die hier besonders erfolgreich sind. Deshalb muß Schluß damit sein, daß kleinere und mittlere Unternehmen nur am Katzentisch der Wirtschaftspolitik sitzen. Weil ge-
Siegmar Mosdorf
rade dort neue Arbeitsplätze entstehen, müssen sie ins Zentrum gestellt werden.
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft müssen wir mit speziellen Existenzgründungsprogrammen, mit der Bereitstellung von Risikokapital und mit Technologietransfer die Wirtschaft unterstützen und so eine Ökonomie der Informationsgesellschaft aufbauen, die sich von der heutigen Ökonomie ganz fundamental unterscheiden wird.
Zweitens. Die Defizite in der Nutzung der neuen Informationstechnologien in Schulen, Universitäten, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen müssen schleunigst beseitigt werden. Warum machen wir es nicht so wie andere Länder, z. B. die USA, und nehmen im Gegenzug für die Öffnung der Telekommunikationsmärkte private Unternehmen in die Pflicht, öffentliche Einrichtungen mit Computern auszustatten? Nur dort, wo das nicht geschieht, wo man keinen Vertrag verabredet, ist die öffentliche Hand so gefordert, wie es gegenwärtig der Fall ist.
Drittens. Wir müssen die Informations- und Kommunikationstechnologien so einsetzen, daß sie verstärkt auch den Familien in unserer Gesellschaft zugute kommen. Durch das Mehr an Zeitsouveränität können Familie und Beruf besser vereinbart werden. Wir haben die am besten qualifizierte Frauengeneration in der Geschichte. 52 % der Studenten heute sind Frauen. Aber wir machen daraus zu wenig. Das Signal von Karlsruhe war da nicht hilfreich,
weil die CDU mit ihrer Entscheidung, was das Frauenquorum angeht, gezeigt hat, daß sie zwar über das 21. Jahrhundert redet, aber tatsächlich noch im 19. Jahrhundert gefangen ist.
Viertens. Wir müssen auch wirksame Schritte gegen die sich abzeichnenden Konzentrationsprozesse auf dem Medienmarkt unternehmen. Die neuen Informationstechnologien müssen dazu genutzt werden, die Demokratie bei uns weiter auszubauen. Sie dürfen aber nicht zum Abbau von Demokratie führen.
Aus den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte wissen wir, wie Meinung manipuliert werden kann. Der Appell Friedrich Schillers vor mehr als 200 Jahren, Gedankenfreiheit zu gewähren, ist heute, angesichts der Veränderungen, vor denen wir stehen, aktueller denn je.
Es verändern sich ja auch die Eigentumsstrukturen. Von Gerd Bucerius und Wolf Jobst Siedler zu Leo Kirch ist es ein weiter Weg.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard
Hirsch)
Wenn Herr Kirch vor wenigen Wochen den weiß Gott liberal-konservativen Chefredakteur der „Welt" ablösen wollte, weil er einen Kommentar geschrieben hat, der ihm nicht paßte, dann, so finde ich, ist es an der Zeit, darauf hinzuweisen, daß die Eigentümer von großen Verlagen zwar Anspruch auf eine Kapitalrendite haben, nicht aber Anspruch auf eine Meinungsrendite geltend machen können.
Das würde unsere Demokratie gefährden. Wir wollen keine italienischen Verhältnisse.
Wir wollen keine Telekratie à la Berlusconi. Wir wollen eine moderne Informationsgesellschaft, in der auch die Demokratie mit den Informationen umgehen kann.
Fünftens. Wir Sozialdemokraten wollen, daß alle Bürger gleichberechtigt die Chancen der neuen Informationstechnik nutzen können. Jeder muß Zugang zu diesen neuen Techniken bekommen. Jeder muß sie nutzen können. Deshalb müssen wir eine flächendeckende und preisgünstige Grundversorgung an diesen Technologien sicherstellen. Wir müssen und können durch neue Techniken die immer noch vorhandene Chancenungleichheit in Bildung und Ausbildung überwinden. Wir sollten diese Chancen nutzen.
Wir müssen dafür sorgen, daß die Menschen, vor allem junge Menschen, Medienkompetenz erwerben können. Deshalb ist Medienerziehung so wichtig. Hierin liegen auch die Aufgaben und die Chancen z. B. des Kinderkanals, der jetzt von ARD und ZDF gemeinsam geplant wird. Es muß verhindert werden, daß die ungeheuren Möglichkeiten, die die Informationsgesellschaft bietet, bei vielen lediglich auf passiven Fernsehkonsum reduziert werden. Wir müssen sicherstellen, daß die Menschen angesichts der Flut von Informationen nicht orientierungslos werden. Es darf nicht dazu kommen, daß die Informationsgesellschaft eine Chance für wenige, die Desinformationsgesellschaft aber eine Realität für viele wird.
Sechstens. Wir müssen einen Beitrag dazu leisten, daß die in vielen Teilen der Bevölkerung herrschende Technikdistanz überwunden wird. Um mögliche Ängste vor neuen Informationstechniken abzubauen, werden wir die Öffentlichkeit in den Diskussionsprozeß intensiv einbeziehen. Deshalb sind wir für diese Enquete-Kommission. Wir wollen einen öf-
Siegmar Mosdorf
fentlichen Diskurs darüber haben, wie wir uns die Informationsgesellschaft und den Weg in diese vorstellen. Weil es auf einigen Feldern schon jetzt dringenden Handlungsbedarf gibt, sollten wir nicht, wie sonst üblich bei Enqueten, erst nach einigen Jahren einen Endbericht vorlegen. Vielmehr sollten wir möglichst rasch Zwischenberichte mit klaren Entscheidungsvorlagen fertigen, die uns in die Lage versetzen, nicht nur Diskussionen zu führen, sondern Handlungen vorzunehmen.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Wir warnen die Bundesregierung davor, die Chancen der neuen Kommunikationstechnologien zu verschlafen. Deutschland kann es sich nicht leisten, auf die Informationstechnologien zu verzichten. Es geht um die langfristige intelligente Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Es geht um Zigtausende neuer Arbeitsplätze. Es geht auch um die Gestaltung der Gegenwart als Zukunft.
Aus unserer Sicht muß das Thema Informationsgesellschaft deshalb einen Schwerpunkt darstellen. Wir müssen die Chancen der Informationsgesellschaft intelligent nutzen; denn wenn zu den leeren Kassen jetzt auch noch die leeren Köpfe kämen, dann wäre der Niedergang der Bundesrepublik Deutschland auch im ökonomischen Wettbewerb nicht mehr zu vermeiden.
Es gibt in Deutschland keine politische Kraft, die nachdrücklicher für die Aufklärung, für die Chancengleichheit, für die Emanzipation und für einen Wohlstand für alle eintritt als die Sozialdemokraten.
Ich bin froh, daß sich eine Menge bewegt. Aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie in bezug auf die Informationsgesellschaft bis vor einem Jahr noch nicht auf dem neuesten Stand waren. Ich erinnere Sie an das Interview des Bundeskanzlers in RTL, wo er in einer Sendung von Herrn Meiser gefragt wurde - ich zitiere aus einer Bandabschrift von RTL -:
Der Markt für Informationstechnik wird im 21. Jahrhundert einer der größten Märkte sein . . . Was tun Sie für die deutsche Datenautobahn?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Zustand, den wir jetzt auf den Autobahnen haben,
ist dergestalt, daß wir wissen, wann wir überhaupt nur noch von „go and stop" auf Autobahnen reden können.
Herr Schäuble hat schon damals gewußt, daß es um andere Dinge geht. Es ist gut, daß das bei Ihnen diskutiert wird.
Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, in eine Informationsgesellschaft zu führen mit dem Erfolg, daß wir als Bundesrepublik Deutschland die ökonomische und technologische Spitzenstellung erreichen. Wir Sozialdemokraten wollen die großen Chancen nutzen und die Risiken beherrschen: für mehr Arbeitsplätze, für mehr Wohlstand und für mehr Demokratie.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Deutsche Bundestag heute die Enquete-Kommission Multimedia einsetzt, dann zeigt er, daß er ein zentrales Zukunftsthema sehr ernst nimmt. Ich teile diese Einschätzung. Ich möchte Ihnen als federführender Minister die Zusammenarbeit und Unterstützung der Bundesregierung anbieten.
Die Rede des Kollegen Mosdorf hat deutlich gemacht, daß auch die SPD - zumindest Herr Mosdorf; ich weiß das auch von den Kollegen Glotz und Bury - bereit ist, sich auf solche Zukunftsfragen einzulassen. Das ist gut. Es wird aber zu klären sein, für wen Herr Mosdorf hier gesprochen hat.
Es wäre für mich, lieber Herr Mosdorf, sehr instruktiv, wenn Sie die Frage klären könnten, ob etwa der baden-württembergische Innenminister, Mitglied Ihrer Partei, die von Ihnen angesprochenen Fragen und Aufgaben genauso sieht. Er hat vorgestern darauf hingewiesen, daß die Einführung von „smartcards" - das sind die neuen Zugangstechnologien zu Information und Kommunikation - nach seiner Ansicht eine ganz verheerende Entwicklung darstelle und daß wir alle miteinander dafür eintreten müßten, damit wir auf dem Stand der Magnetkarten bleiben, um den Datenschutz nur ja nicht in irgendeiner Form zu gefährden. Zum Beispiel diese Frage, lieber Herr Mosdorf, wird in der Enquete-Kommission exemplarisch zu beantworten sein.
Es geht in Deutschland nämlich nicht darum - wie Sie den Eindruck vermittelt haben -, neue Verkehrsschilder aufzustellen, neue Regelungen und neue Verordnungen zu erlassen, um Multimedia einen Durchbruch zu verschaffen. Zunächst einmal wird die Frage zu stellen sein: Welche Regelungen müssen wir abbauen? Wo müssen wir neue Felder eröffnen? Wo müssen wir Möglichkeiten schaffen, damit die Informationsgesellschaft in Deutschland überhaupt stattfinden kann?
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Dann, lieber Herr Mosdorf, wird sich ganz konkret die Frage stellen, ob die SPD-Fraktion bereit ist, über eine Novellierung des Datenschutzgesetzes in diesem Hause zu diskutieren und zu befinden. Dann wird sich die Frage stellen, ob die SPD-Fraktion und die SPD-regierten Länder bereit sind, über eine Erneuerung des Medienordnungsrechts zu diskutieren; denn es kann nicht sein, daß 15 Landesrundfunkanstalten diese neuen Entwicklungen behindern.
Dann werden wir auch die Frage stellen müssen - das haben Sie mit Recht benannt; aber Sie sind an der Frage der Verantwortung vorbeigegangen -, wie es sein kann, daß sich unsere Schulen heute noch im informationellen Steinzeitalter befinden, daß z. B. nur eine von hundert allgemeinbildenden Schulen Anschluß an Online-Systeme hat. Das ist keine Sache, die Sie der Bundesregierung vorwerfen dürfen, sondern das ist eine Sache, für die andere zuständig sind. Ich freue mich darüber, daß Sie unsere Bemühungen, die Bemühungen der CDU auf dem Zukunftstag in Karlsruhe gewürdigt haben. Ich weiß, daß das speziell für Sie in bezug auf Ihr Bemühen in der SPD nicht so ganz einfach ist.
Wenn es gelingen sollte, in dieser Enquete-Kommission zu gemeinsamen Positionen zu kommen, dann kann ich Ihnen für die Bundesregierung sagen, daß wir bereit sind, diese zu erarbeiten, allerdings unter einer Bedingung - ich will aufnehmen, was Sie gesagt haben -: Enquete-Kommissionen sind zwar ein wertvolles Instrument parlamentarischer Arbeit; aber wir sind hier in einem Bereich, in dem wir nicht zunächst vier Jahre analysieren und irgendwelche Papiere machen können, sondern es muß die Möglichkeit geben, parallel weiter zu handeln, weil wir sonst den Anschluß verpassen.
In diesem Zusammenhang wird es eine Diskussion darüber geben müssen, wie wir die von Ihnen und auch eben von mir angesprochene Aufholjagd im schulischen Bereich schnellstens beginnen können. Es kann nicht dabei bleiben, daß nur 20 bis 30 % der Lehrer bereit sind, sich überhaupt mit diesem Thema zu befassen und es in den Schulunterricht einzubeziehen. Es kann nicht dabei bleiben, daß nur eine von hundert Schulen einen Online-Anschluß hat. Und es kann nicht sein - das ist das Wichtigste -, daß wir junge Menschen in eine neue Mediengesellschaft entlassen, ohne ihnen im Bereich der Schule die notwendige Medienkompetenz zu vermitteln.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist und war es auch so wichtig, daß die Bundesregierung in diesem Bereich schon die ersten Maßnahmen eingeleitet hat. Der Kollege Bötsch und ich haben dafür gesorgt, daß nun auch in Deutschland in den Datennetzen der Forschung Hochleistungsverbindungen aufgebaut werden können, und zwar anders, Herr Kollege Mosdorf, als Sie das suggeriert haben, nämlich auch auf Leitungen, die nicht der Telekom gehören.
Das heißt, die große Frage, die von der Wissenschaft, von den Hochschulen immer wieder an Bonn gerichtet worden ist, ist inzwischen beantwortet.
Wir haben nicht viele Experimentierfelder für Multimedia und Datenkommunikation in Deutschland. Deshalb war es für uns beide, Wolfgang Bötsch und mich, sehr schwierig, abzuschätzen, was dieses Angebot eigentlich bewirken würde, wie viele von dieser Fördermaßnahme, für die wir immerhin 80 Millionen DM zusätzlich in meinem Haushalt zur Verfügung gestellt haben, Gebrauch machen würden. Meine Fachleute waren von etwa 15 Teilnehmern in der Spitzenleistungsklasse ausgegangen. Heute kann ich Ihnen mitteilen, daß wir nach der ersten Anmeldungsrunde inzwischen bei 60 Hochschulen und anderen Forschungsinstitutionen sind, die sich unmittelbar an diesem Hochleistungsnetz für Hochschulen und Forschungseinrichtungen beteiligen. Das ist ein konkreter Beweis dafür, daß unser Land danach hungert, vernünftige Auffahrten auf die Datenautobahn zu bekommen.
Des weiteren möchte ich ansprechen, daß wir natürlich - auch hierin gibt es eine gewisse Übereinstimmung, Herr Kollege Mosdorf - nicht nur über Technik reden dürfen. Die Voraussetzungen dafür sind - anders als Sie dargestellt haben - gut in Deutschland, und zwar nicht nur in dem Bereich, den auch Sie attestiert haben, also in der technischen Ausstattung, sondern auch im Bereich des von Wolfgang Bötsch zu verantwortenden Telekommunikationsgesetzes. Das Gesetz ist eingebracht; wir wissen, wann die Netze liberalisiert werden. Jetzt wird es darauf ankommen, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Nutzungen in Deutschland möglich sind.
Da wird es ein Problem geben, was viel mit dem inneren Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu tun hat. Wir dürfen nicht akzeptieren und es nicht dazu kommen lassen, daß die Informationsgesellschaft eine Zweiklassengesellschaft wird, eine Gesellschaft, die zwischen Angeschlossenen und Ausgeschlossenen unterscheidet. Das heißt im Klartext, daß wir nicht nur dafür sorgen müssen, daß die jungen Leute die Möglichkeiten bekommen, sich mit diesen neuen Entwicklungen zu beschäftigen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, daß z. B. die Eltern überhaupt noch verfolgen können, was junge Leute im Bereich von CD-ROMs und Online-Diensten machen.
Das ist ein sehr schwieriges Problem, das übrigens auch aus anderen technologischen Entwicklungen bekannt ist. Damals hat sich das in der Regel durch generatives Verhalten gelöst. Das heißt im Klartext: Irgendwann waren dann die Generationen so weit, daß sie mit den neuen technischen Entwicklungen
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
klarkommen konnten. Bei Möglichkeiten aber, mit denen Informationen rund um die Uhr, an jedem Ort der Welt zur Verfügung stehen können, können wir nicht nach diesem Muster weiter verfahren. Es muß schon so sein, daß sowohl Lehrer wie auch Eltern in der Lage sind, zu beurteilen, was junge Leute, was Kinder in diesen neuen technischen Systemen machen. Es kann eben nicht so sein, daß Eltern ihre Kinder zwar noch zum Spielplatz, aber nicht durch die digitalen Spielwiesen der CD-ROMs oder des Internets führen können.
Das ist eine sehr große Aufgabe, genauso wie es eine große Aufgabe ist, dafür zu sorgen, nicht die internationalen Bedingungen aus den Augen zu verlieren. Es darf keine zweite Teilung der Welt entstehen: auf der einen Seite die, die über die technischen Möglichkeiten des Informationszeitalters verfügen - die Industrieländer und die sogenannten Entwicklungsländer, im doppelten Sinne des Wortes, in Südostasien -, auf der anderen Seite große Teile der Welt - Afrika und Lateinamerika -, die von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen bleiben. Das bedeutet, daß wir auch in diesem Bereich versuchen müssen, im internationalen Kontext zu Verabredungen zu kommen, die große Teile dieser Welt nicht ausschließen. Diesbezügliche Bemühungen werden von der Bundesregierung seit vielen Jahren begleitet und intensiviert, auch im Bereich des G-7-Prozesses.
Lieber Herr Kollege Mosdorf, lassen Sie mich abschließend sagen: Ich sehe die Chance, daß die Enquete-Kommission zusammen mit der Bundesregierung ein gutes Stück Arbeit leisten wird. Ich sehe die Chance, daß wir etwas daraus machen. Die Bundesregierung ist dazu bereit - das erkläre ich hier ausdrücklich -; es wird darauf ankommen, sehr schnell sehr konkret zu werden.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Rezzo Schlauch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bescheiden daran erinnern, daß es die Grünen waren, die im Februar dieses Jahres anläßlich der Debatte um die Zukunft der ARD vorgeschlagen haben, daß sich dieser Bundestag auf die Einrichtung einer Enquete-Kommission zu Fragen der zukünftigen Gestaltung der elektronischen Medienlandschaft in Deutschland verständigt. Wir freuen uns, daß es uns nach intensiven Verhandlungen mit der SPD gelungen ist, den Antrag zusammen einzubringen. Er liegt seit Juni vor.
Ich verstehe nicht ganz, Herr Rüttgers, warum die CDU-Fraktion so lange gebraucht hat, bis sie diese Woche einen eigenen Antrag eingebracht hat!
Wir sind selbstverständlich bereit, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zu erarbeiten, wenn alle angesprochenen politischen Essentials berücksichtigt werden.
In diesen Tagen stellt der vom Bundeskanzler berufene Innovationsrat seinen ersten Bericht zur Informationsgesellschaft vor. Darin heißt es:
Die Vorstellung einer vernetzten Multi-MediaWelt, in der Fernseher, Personalcomputer, FaxGeräte, Telefon, Radio etc.... zusammengeführt sind, ist für viele Menschen eine erschreckende Vision ... Es zeichnet sich ein Übergang in künstlich erzeugte Medienwelten ab, in denen Fiktion, Illusion und Realität nicht mehr zu unterscheiden sind.
Schon beim ersten Anreißen des Themas öffnet sich eine Fülle von Fragen. Vom CDU-Parteitag, der ja einen ganzen Tag für Herrn Rüttgers und seinen Zukunftsclub reserviert hatte, war zu lesen, daß die Delegierten keinerlei Fragen gehabt hätten. Haben denn die Rüttgerschen Zukunftsvisionen Ihren staunenden Parteitagsdelegierten die Sprache verschlagen? Sind sie vielleicht so benebelt von der schönen neuen Informationswelt, die nach Ihren Vorstellungen - das haben wir teilweise gehört - allein dem Markt überlassen werden soll?
Zurück zur Enquete-Kommission: Uns stellt sich die Frage, wie sich die elektronischen Massenkommunikationsmittel angesichts der technischen Innovationen entwickeln werden. Für uns Grüne heißt das heute, wo auch hiesige deutsche Unternehmen „Global Player" sein wollen: Über den gesellschaftspolitisch notwendigen Regelungsbedarf der zukünftigen Mediengesellschaft kann nicht zwischen Düsseldorf - oder besser: Gütersloh - und München diskutiert und entschieden werden.
Ich kann Ihnen auch gern die Adressen dazusagen, wenn Sie wollen: Clement und Stoiber.
Mehr noch als Ihre berechtigte Frage, ob hiesige Kommunikationsunternehmen gegen die Konkurrenz aus den USA bestehen können, treibt uns die Frage, wie Vielfalt, Partizipation und Chancengleichheit in der neuen Medienwelt gesichert werden können. Die vorherrschende Sorge kann doch nicht sein, wie die Bürgerinnen und Bürger gegen ihre Ängste und Unsicherheiten angepaßt werden sollen. Im Vordergrund muß vielmehr stehen, welche Bedürfnisse und Anforderungen eine demokratische Gesellschaft an Massen- und Individualkommunikation stellt.
Grundversorgung, Zugang, Vielfalt: Das sind unsere Leitlinien für die vielbeschworenen Technikneuheiten. Die Beschlüsse der medienpolitischen großen Koalition von SPD und Union in Bad Neuenahr ignorieren weitgehend diese vom Bundesverfassungsgericht gewährleisteten Prinzipien. Die angebliche Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Etikettenschwindel. Die „ménage à trois" der Herren Biedenkopf, Clement und Stoiber wird der ARD und
Rezzo Schlauch
dem ZDF kurz nach Erreichen des dritten Jahrtausends den Boden entziehen, und ihren Spezis vom privaten Rundfunk wird der rot-schwarze Teppich ausgerollt, ohne daß von effektiver Konzentrationskontrolle noch die Rede ist.
Herr Kollege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glotz?
Gerne.
Herr Kollege Schlauch, darf ich Ihren Feststellungen entnehmen, daß Sie der Auffassung sind, daß die rundfunkpolitischen Kompetenzen der Bundesländer auf andere Instanzen übertragen werden sollen, und darf ich Sie fragen, an welchem Punkt Sie das möchten, weil ich ansonsten die Polemik gegen die Ministerpräsidenten nicht so recht begreife? Ich bin froh, daß sie überhaupt irgendwann zu Potte gekommen sind und nicht 30 Monate brauchten, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich glaube vielmehr, Herr Kollege Glotz, daß diejenigen die Axt an den Föderalismus legen, die in einem solchen Beschluß damit drohen, daß sie den Finanzausgleich nach dem Jahre 2001 abschaffen werden, so daß die Rundfunkanstalten dann zum Zusammenlegen gezwungen werden. Das ist der Angriff auf den Föderalismus. Es ist kein solcher Angriff, wenn wir dies hier thematisieren.
Man muß sich auch einmal angucken, wie es eigentlich mit der publizistischen Vielfalt steht. Das hat der Herr Kollege Mosdorf doch richtig angesprochen: Leo Kirch führt uns doch seine Auffassung von der publizistischen Vielfalt vor. Den Fall vom Chefredakteur der „Welt" haben wir gehört. Dieses Beispiel kann ergänzt werden: Sein Vorstoß, einer Programmzeitschrift den Abdruck des Programms von Pro 7, mehrheitlich noch immer ein Sender seines Sohnes, gerichtlich verbieten zu lassen, zeigt doch deutlich, wie in diesen Konglomeraten die publizistische Vielfalt verstanden wird.
Wie wird es um die informationelle Grundversorgung stehen? Neben dem privatrechtlichen Zeitungsmarkt waren es vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien, die Post und die öffentlichen Bibliotheken, die diese informationelle Grundversorgung gewährleistet haben. Sie werden entweder dereguliert oder finanziell ausgetrocknet. Die informationelle Grundversorgung ist ein tragender Pfeiler der Demokratie. Dazu gehört bei den neuen Medien auch - da sind wir einer Meinung -, daß Auffahrten auf die Datenautobahnen für die Bibliotheken, Schulen und Universitäten gebaut werden.
Meine Damen und Herren, es gibt in dieser Enquete-Kommission viel zu tun. Wir brauchen eine neue Gestaltung von Schutzrechten und eine Gestaltung der Entwicklungsleitlinien. Diese Enquete eröffnet eine große Chance, die Diskussion um die Informationsgesellschaft auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen, die Entwicklung mitzugestalten, Skepsis gegenüber vermeintlichem Fortschritt zu schärfen und Akzeptanz zu schaffen für sinnvolle Entwicklungen. Nutzen wir diese Chance! Verständigen wir uns schnell auf einen gemeinsamen Untersuchungsauftrag, bündeln wir die schon vorhandenen Untersuchungen, und zeigen wir den Handlungsbedarf für den Gesetzgeber noch in dieser Legislaturperiode auf! Dann werden wir unsere Arbeit getan haben.
Danke schön.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns im Übergang vom Industriezeitalter in das Informationszeitalter. Es dürfte keine Übertreibung sein, wenn man die bevorstehenden tiefgreifenden Veränderungen mit dem Schritt von der Agrar- in die Industriegesellschaft vergleicht.
Daher ist es gerechtfertigt, daß der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzt mit dem Ziel, über die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik für Deutschland umfassend zu diskutieren. Es entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet zu der Zeit, in der wir darüber diskutieren, hier im Hause die Telefone ausgefallen sind.
Die Art und Weise, wie wir die Debatte führen werden, defensiv oder offensiv, wird einen interessanten Aufschluß über den inneren Zustand unserer Gesellschaft geben: Während die jüngere Generation, wie die kürzlich erschienene IBM-Jugendstudie nachweist, überwiegend mit einer positiven Grundeinstellung an die Nutzung neuer Technologien herangeht, ist schon ab der mittleren Generation ein Zug zur Beharrung unverkennbar, eine Tendenz zur Unlust, sich im persönlichen Arbeitsumfeld mit technischen Innovationen vertraut zu machen. Das Trägheitsgesetz, das bekanntlich durch keine Zweidrittelmehrheit abgeschafft werden kann, dürfte dabei eine gewisse Rolle spielen. Zudem erzeugt die Ahnung umwälzender Veränderungen naturgemäß Abwehrreaktionen.
Hier setzt die Führungsaufgabe der Politik ein. Es liegt an uns, ob wir Angste verstärken, Risiken überzeichnen und die Diskussion mit einem konservativen bis kulturkritischen Grundton versehen oder ob wir die Chancen neuer Informationstechniken erkennen, den Menschen die Freiheit eröffnen, sie zu nut-
Dr. Max Stadler
zen, und die Diskussion mit Blick nach vorne, zukunftsorientiert führen.
Es besteht kein Zweifel über den Standort der Liberalen in dieser Debatte: Die F.D.P. schreibt das Wort „Chancen" der Informationsgesellschaft groß und setzt es an die erste Stelle, ohne den Aspekt „Risiken" zu vernachlässigen. Optimismus und Realismus sind angebracht.
Das ist auch die Grundlinie des sogenannten Bangemann-Berichts vom 26. Mai 1994, der zukunftsweisende Empfehlungen für den Europäischen Rat unter dem Titel „Europa und die globale Informationsgesellschaft" enthält. F.D.P.-Generalsekretär Guido Westerwelle hat am 17. Februar dieses Jahres der Öffentlichkeit 14 Thesen zur Informationsgesellschaft vorgestellt. Diese Thesen werden von der F.D.P.-Bundestagsfraktion nachdrücklich unterstützt.
Wir sehen vor allem die Chance für neue Arbeitsplätze, nicht nur in der Telekommunikationsindustrie selbst und bei den entsprechenden Dienstleistern, sondern insbesondere auch für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Telearbeit kann die strikte Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz aufheben. Zu den Gewinnern in der Informationsgesellschaft könnte daher auch der ländliche Raum werden.
Wenn es uns gelingt, die Arbeit zu den Menschen zu bringen, folgt daraus auch eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens und eine Entlastung der Umwelt.
Meine Damen und Herren, neue Berufe und Dienstleistungen werden entstehen, die qualitativ hochwertig und zukunftssicher sind. Deswegen wollen wir öffentliche Informationsmonopole aufbrechen und privaten Anbietern verstärkte Marktchancen einräumen. Traditionelle Nachteile der mittelständischen Wirtschaft könnten in der Informationsgesellschaft aufgehoben werden.
Dazu gehört auch eine entsprechende Tarifstruktur, Herr Kollege Mosdorf. Es wäre nur fair gewesen, wenn Sie aus der Sitzung des Regulierungsrates am Montag dieser Woche berichtet hätten, daß eine Initiative, die Tarife bei den Online-Diensten zu verbessern, auch von unserem rheinland-pfälzischen Parteifreund und Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle, dem Regulierungsrat vorgelegen hat.
Die Kommunikation zwischen Staat und Bürger und damit die Teilhabe am politischen Willensbildungsprozeß kann durch neue Technologien nachhaltig verbessert werden.
Das liberale Grundprinzip des freien Wettbewerbs in liberalisierten und deregulierten Märkten ist die Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg.
Zugleich werden die liberalen Grundprinzipien der Achtung der Privatsphäre sowie der Sicherung von Pluralismus und Meinungsvielfalt vor eine neue Bewährungsprobe gestellt. Datenschutz muß gewahrt und international sogar verstärkt werden. Den „gläsernen Bürger" Orwellscher Prägung darf es nicht geben.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die wirtschaftliche Freiheit für die Handelnden, der Schutz des Instituts Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt und die Bewahrung der Privatsphäre des einzelnen Bürgers klassische liberale Grundpfeiler des Grundgesetzes - werden aufs neue ihre ungebrochene Aktualität und Tauglichkeit bei der Entwicklung der Informationsgesellschaft beweisen. Hinzu kommt noch das Stichwort von der Medienkompetenz, was nichts anderes besagt, als daß das klassische liberale Bürgerrecht auf Bildung in einer neuen Facette wieder auftaucht.
Daher gehen wir von der F.D.P. in dieser EnqueteKommission in der Überzeugung an die Arbeit, daß gerade die genannten liberalen Grundprinzipien hervorragend geeignet sind, die Chancen der Informationsgesellschaft zu nutzen und ihre Risiken zu beherrschen.
Vielen Dank.
Nun spricht der Kollege Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Fischer! Herr Minister Rüttgers, Sie haben - ich glaube, es war am 7. September dieses Jahres - hier im Hause im Rahmen der Haushaltsberatungen erklärt, daß Sie einer Enquete-Kommission eigentlich ablehnend gegenüberstünden. Ich glaube, Sie haben das in der Antwort auf eine Frage von Herrn Glotz gesagt. Heute haben Sie unabhängig von dem Inhalt für die Bundesregierung zumindest signalisiert, daß Sie an der Einsetzung einer Enquete-Kommission interessiert sind und daß Sie sich einbringen werden. Ich finde das zumindest vom Sinneswandel her außerordentlich beachtlich.
Dem Bundestag liegen neben dem Antrag der Koalition zwei weitere inhaltlich ähnliche Anträge vor: zum einen der gemeinsame Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und zum anderen der Antrag der PDS auf Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission „Demokratische und soziale Antworten auf die Herausforderungen der neuen Informationstechnologien".
Wolfgang Bierstedt
Die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN haben in ihrem gemeinsamen Antrag als Ziel dieser Kommission formuliert:
... die künftige Entwicklung der elektronischen Medien und Informationstechnologien in Deutschland abschätzen und die Auswirkungen der neuen Medien auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie auf Gesellschaft und Umwelt, Bildung und Kultur, Politik und Demokratie beurteilen.
Sie soll weiter die sich ergebenden politischen Konsequenzen darstellen und parlamentarische Initiativen vorschlagen.
Dieses Ziel kann die PDS voll mittragen - ob Ihnen das nun gefällt oder nicht, das müssen Sie persönlich entscheiden -, da mit dem Einsatz der neuen Informationstechnologien wohl alle Bereiche dieser Gesellschaft betroffen sein werden. Uns erscheint aber sowohl die Zusammensetzung als auch die vorgesehene Anzahl der Mitglieder der Kommission der gewählten Zielstellung nicht angemessen. Für meine Gruppe ist es schon verwunderlich, daß in dieser Kommission die PDS nur mit einer beratenden Stimme vertreten sein soll. Einen Sachverständigen billigt man der PDS schon gar nicht zu. Im Gegensatz dazu ist im Antrag der Koalition der PDS ein Sachverständiger zugesagt worden. Ich weiß nicht, ob Ihnen da ein Lapsus unterlaufen ist. Aber ich finde es zumindest ganz angenehm.
Über das allgemeine Demokratieverständnis, das in diesen Anträgen zum Ausdruck kommt, kann die PDS eigentlich immer nur wieder ihre Verwunderung zum Ausdruck bringen und natürlich erforderliche rechtliche Schritte einleiten oder bei Wahlen, wie jetzt in Berlin geschehen, ganz einfach an Prozenten zulegen.
Um diese für mich unverständliche Ausgrenzung zu vermeiden, hat die PDS zu dem wichtigen und brisanten Thema Multimedia einen eigenen Antrag eingebracht. Dabei geht es uns nicht so sehr um inhaltliche Alternativen zu dem gemeinsamen Antrag der beiden anderen Oppositionsparteien - die inhaltliche Zielstellung kann auch von der PDS als dritter Oppositionspartei mitgetragen werden -, sondern es geht uns um die Zusammensetzung der Kommission. Wir streben eine Expertenkommission an, die sich aus breiten Schichten der von Multimedia Betroffenen und „Profiteuren" zusammensetzt. In dieser Kommission sollen Vertreter und Vertreterinnen aller interessierten demokratischen Verbände, wie Gewerkschaften, kulturelle Organisationen, Bürgerinitiativen, Verbrauchervereinigungen und natürlich auch Vertreter der Industrie, paritätisch präsent sein. Damit könnte der demokratischen Mitbestimmung in diesem Lande wesentlich mehr Gewicht verliehen werden.
Meine Damen und Herren, multimediale Anwendungen durchdringen immer weitere Bereiche der Gesellschaft, wandeln sie absehbar zu einer Gesellschaft, in der digital übertragene Informationen in ungleich höherem Maße als bisher Faktoren von Produktion und sozialer Kommunikation werden. Die Auswirkungen sind im einzelnen bis heute noch bei weitem nicht überschaubar. Als gesichert kann aber gelten, daß die Informationstechnologien die Zivilisation grundlegend verändern werden. Informationstechnologien eröffnen enorme Chancen zur Demokratisierung der Gesellschaft, z. B. durch die Möglichkeit wesentlich höherer Transparenz gesellschaftlicher Prozesse für das Individuum und wesentlich breiterer demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten. Sie können die Entstehung neuer Lebensweisen fördern, geprägt durch Übereinstimmung von Wohn- und Arbeitsort, erheblicher Flexibilisierung der Arbeitszeit und Arbeitsweise, auch entsprechend individueller Bedürfnisse, starker Ausweitung von persönlicher Kommunikation rund um die Erde ohne den Zwang zur Ortsveränderung.
Doch auch die Risiken der neuen Informationstechnologien dürfen nicht unterschätzt werden. Entgegen den euphorischen Prognosen, z. B. der EU-Kommission, von 10 Millionen neuen Arbeitsplätzen in Europa bis zum Jahr 2000 wird es nach allen bisherigen Erfahrungen und vermutlich nicht nur vorübergehend durch Rationalisierungsmaßnahmen zu massiven Arbeitsplatzverlusten kommen. Davon werden insbesondere Frauen überproportional betroffen sein. Nach Schätzungen des Prognos-Institutes in Basel werden in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten 15 Jahren 50 % aller Angestelltenarbeitsplätze in ihrem bisherigen Profil durch Einsatz neuer Informationstechnologien obsolet. 60 % aller mit „alter" Informationstechnik ausgestatteten Arbeitsplätze, die in den nächsten Jahren einem besonders starken Rationalisierungsschuh unterworfen sein werden, haben letztendlich Frauen inne.
Unübersehbar ist schon heute die Tendenz, mit dem Einsatz neuer Informationstechnologien bisher abhängig Beschäftigte in eine Scheinselbständigkeit zu entlassen, in der sich größere individuelle Freiheit mit stark wachsenden sozialen Risiken und der Tendenz der Aushebelung bestehender Arbeitszeitstandards ergänzt.
Auf die Bewältigung der genannten Herausforderungen muß sich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung schon heute ausrichten. Dazu gehört die Förderung arbeitsplatzschaffender, beschäftigungsintensiver und dabei ressourcenschonender wie emissionsarmer Wirtschaftszweige. Eine Fortentwicklung des Arbeits- und Arbeitsschutzrechtes sowie die Entfaltung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors scheinen dringend geboten zu sein. Dies gilt insbesondere für jene Bereiche, wo bedürfnisbefriedigende, gesellschaftlich nützliche Arbeit geleistet werden kann, die nicht am Profitprinzip orientiert ist.
Die Wahrscheinlichkeit einer neuen Zweiklassengesellschaft, welche zumindest partiell dieselben Personengruppen wie in der alten erfaßt, ist national wie global sehr hoch. Westliche Industriestaaten starten in die neuen Informationstechnologien mit all ih-
Wolfgang Bierstedt
ren ökonomischen und Produktivitätsvorteilen, während zwei Drittel der Weltbevölkerung noch nie einen konventionellen Telefonhörer in der Hand gehalten haben. Innerhalb der westlichen Industriestaaten zerfällt die Gesellschaft in Teilhaber der Datenautobahnen und jene, die mangels finanzieller Möglichkeiten oder, wie wohl größere Teile der älteren Generation, wegen Sozialisations- und Bildungsbarrieren ausgeschlossen bleiben. Solchen Tendenzen entgegenzuwirken muß in der Entwicklungshilfe-, der Sozial- und der Bildungspolitik Priorität eingeräumt werden.
Meine Damen und Herren, Multimedia auf Datenautobahnen eröffnet einerseits qualitativ und quantitativ völlig neuartige kommunikative Kontakte. Andererseits kann die schon heute zu verzeichnende Tendenz zum Rückzug der Individuen in die Privatsphäre, einhergehend mit Verkümmerung sozialer Kontakte, Vereinsamung und anderes, durch Multimedia massiv verstärkt werden. Es muß Aufgabe von Sozial-, Kultur- und Kommunalpolitik in der Bundesrepublik sein, geeignete Abwehrstrategien gegen diese Gefahren zu entwickeln.
Deshalb möchte die PDS ihre parlamentarische Mitwirkung in der Kommission auch auf sozialpolitische, arbeitsrechtliche und tarifpolitische Felder konzentrieren. Dazu gehören arbeits- und sozialrechtlicher Schutz von Telearbeitern, Erhalt von Arbeitsverträgen und Schutz von Arbeitsplätzen, Vorbereitung und Abschluß eines Telearbeitsgesetzes im Rahmen der EU, Sicherung der informellen Grundversorgung der Bürger auf Basis des Auftrages der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Sicherung einer breiten Mitbestimmung aller von Multimedia betroffenen Interessenverbände.
Die PDS möchte mit ihrem Antrag ähnlich wie SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verhindern, daß die Bundesregierung wie in allen Strukturbereichen zu spät beginnt, die sozialen Auswirkungen zu bekämpfen und für die Betroffenen „sozialverträgliche Regelungen" zu schaffen, was auch immer man unter diesem Begriff verstehen mag. Wir wollen schon am Beginn dieser Entwicklung einvernehmlich gesetzliche Regelungen schaffen, mit denen letztendlich dafür Sorge getragen wird, daß nicht schon wieder Hunderttausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern frühzeitig in das soziale Aus geschickt werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Bierstedt, ich möchte es einmal so formulieren: Es war für die Stenographen sehr schwer, Ihnen zu folgen.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Günter Rexrodt.
Wir sind beide zuständig.
- Ich kann Ihre Hochstimmung ja verstehen; denn Ihnen ist es im Unterschied zu mir in Berlin gelungen, die Fünfprozenthürde ganz deutlich zu überspringen. Ich verstehe schon, daß Sie in guter Stimmung sind.
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung begrüße ich die Einsetzung dieser EnqueteKommission. Ich tue das als Bundeswirtschaftsminister, aber ich sage ganz ausdrücklich: Wir können und wollen an diese Dinge nicht eindimensional herangehen. Hier wird Neuland betreten, nicht nur auf wirtschaftlichem und wirtschaftspolitischem Gebiet. Es entsteht ein Quantensprung für unsere Gesellschaft dadurch, daß die klassischen Medienfelder, daß die Telekommunikation und der Computer zusammenkommen und ein System bilden. Hier gibt es Neuland und einen Quantensprung, die vielfältige Wirkungen auf unsere Gesellschaft haben werden.
Aber der guten Ordnung halber möchte ich in Erinnerung rufen, daß sich die Informationsgesellschaft gegen große Widerstände entwickeln mußte. Ich denke noch an die sogenannten Hannoveraner Medientage der Grünen vor zwölf Jahren, Herr Fischer,
als es darum ging, die Verkabelung sofort zu stoppen und Störsender gegen privaten Rundfunk zu installieren. Das war Ihr Beitrag zur Informationsgesellschaft.
- Herr Fischer, ich wäre beim Thema Medien und Medienpolitik an Ihrer Stelle ganz ruhig. Wäre Ihre Technologie- und Innovationsfeindlichkeit Grundlage unserer Politik, dann wären wir hier um Jahre und Jahrzehnte zurück und würden die Zukunft verspielen.
Aber auch die SPD hat sich zusammen mit den Gewerkschaften schwergetan - ich kann das nachvollziehen -, als es beispielsweise darum ging, die Post zu privatisieren und damit die Voraussetzungen zu schaffen, daß wir hier einen Markt haben, der es ermöglicht, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen sowie weltweit in einen Wettbewerb auf diesem Sektor einzutreten. Sie haben sich schwergetan; aber mittlerweile sind wir hier gemeinsam auf einem guten Wege.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Es geht um eine Basistechnologie. In die Innovationstechnologie werden in den nächsten zehn Jahren global 2 000 Milliarden DM investiert, und allein in Deutschland werden Hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstehen. Das, was bei der Telekom und anderswo abgebaut wird, wird in anderen Bereichen überkompensiert werden.
Wir haben in Deutschland dank der Politik, insbesondere der Privatisierungspolitik, in der Telekommunikation allerbeste Voraussetzungen, um weltweit mithalten zu können. Wir haben eine bessere Infrastruktur als die meisten anderen Staaten. Wir haben eine hervorragende Hardware und Hardwareproduktion, und wir haben eine Vielzahl sehr leistungsfähiger Softwareanbieter für die Informationsgesellschaft.
Aber ich warne vor Fehlern, die sich auch auf Grund der Intervention bestimmter Parteien und gesellschaftlicher Gruppen abzeichnen. Wir brauchen eine gesunde Struktur. Wir können nicht die Telekom privatisieren, um ihre monopolartige Stellung am Markt zu konservieren.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich bin für eine starke Telekom. Ich bin auch dafür, daß sich andere starke Unternehmen, meinetwegen aus dem Bereich der Energiewirtschaft, dort tummeln. Aber das alleine kann es nicht sein. Wir brauchen wie anderswo auch ein Angebot von mittleren und kleinen Unternehmen, die in der Lage sein müssen, Dienste und Netze anzubieten und in einen Wettbewerb mit den Großen einzutreten. Nur dann werden wir dort die Vielfalt und die Arbeitsplätze haben, die wir brauchen. Da sind viele Widerstände gerade auf Ihrer Seite zu überwinden.
- Das ist ein Faktum.
Wir werden eine Veränderung in vielen Bereichen unserer Gesellschaft haben: im Bildungswesen, in der Medizin, in der Verkehrstechnologie, aber auch im Bereich der Telearbeit. Das wird eine Veränderung unserer Arbeitswelt mit sich bringen, auf die wir uns vorbereiten; im übrigen nicht erst mit Einsetzung der Enquete-Kommission, sondern in sehr intensiven Diskussionen mit Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft im Technologierat der Bundesregierung und im sogenannten Petersberger Kreis. Die Anregungen, die wir dort aufgenommen haben, werden in einen Bericht und Aktionsplan der Bundesregierung „Info 2000" eingehen, der noch in diesem Jahr, koordiniert von meinem Hause, vorgelegt werden wird.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie wirklich etwas Handfestes dazu beitragen wollen, daß Deutschland im wichtigen Bereich Information und Kommunikation etwas leistet, dann müssen Sie zunächst einmal Ihre Medienstrategen in den Ländern zurückpfeifen, dann müssen Sie mit denen erst einmal Tacheles reden.
Es muß endlich mit der medienpolitischen Kleinstaaterei Schluß sein; denn es ist nicht alles Rundfunk, was durch den Äther oder durch das Kabel in den Haushalt kommt. Gerade jetzt haben Sie den Teleshoppingkanal blockiert. Nun ist Teleshopping nicht alles, was wir in der neuen Mediengesellschaft gestalten wollen. Aber es ist bezeichnend für Sie, daß Sie moderne Entwicklungen in diesem Bereich über die Macht, die Sie in einzelnen Ländern haben, konterkarieren.
Wir wollen eine offene, eine pluralistische Gesellschaft.
Wir werden weder Meinungs- noch Wirtschaftskartelle dulden, weder bei den Netzbetreibern noch bei denjenigen, die als Anbieter von Dienstleistungen die Netze benutzen wollen. Ich kann die Länder nur dabei unterstützen, mehr wettbewerbspolitische Konzepte in ihre Rundfunkgesetze und den Staatsvertrag einzubauen, wenn sie ihrer medienpolitischen Verantwortung mit Blick auf die Informationsgesellschaft gerecht werden wollen.
Wir können nicht hergehen und moderne Technologien, Quantensprünge und eine neue Gesellschaft mit anderen Angeboten wünschen und, wenn es darauf ankommt, sie zu gestalten, diese dann blockieren. Das haben Sie getan. Um so wichtiger ist es, daß wir eine sachverständige und kompetente EnqueteKommission bekommen.
Die Bundesregierung wird die Anregungen zu diesem Thema aufnehmen und diesen Bereich sowohl unter marktwirtschaftlichen Aspekten als auch unter ordnungs- und gesellschaftspolitischen Aspekten gestalten. Hier kommt es darauf an, daß der Markt und die ordnende Funktion der öffentlichen Seite Hand in Hand arbeiten. In diesem Sinne begrüße ich die Einsetzung der Enquete-Kommission.
Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Martin Mayer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Begeisterung und die Euphorie, mit der der Herr Kollege Mosdorf von diesen neuen Techniken gesprochen hat, anhört - ich teile diese Begeisterung in weiten Bereichen -, dann fühlt man sich ein bißchen an die Reden der SPD zur Kernenergie in den 50er und 60er Jahren erinnert.
Dr. Martin Mayer
Ich hoffe nur, daß es bei diesen neuen Techniken nicht genauso passiert, daß dann, wenn es ans Handeln geht, von der SPD nur Verzögern und Bedenken kommen. Das ist, meine ich, eine ganz wichtige Sache.
Wir sind uns ja in vielen Teilen einig. Das Zusammenwachsen von Computertechnik und Fernsehtechnik mit Telekommunikationsnetzen in Verbindung mit dem rasanten Wachstum der Leistungsfähigkeit der Geräte und Netze wird vieles auf der Welt verändern. Die Bundesregierung hat dem Rechnung getragen, indem der Technologierat die neuen Medien als erstes Thema gewählt hat und sich damit befaßt. Bundesminister Rüttgers hat dazu bereits einiges gesagt.
Es ist für mich selbstverständlich, daß sich auch der Deutsche Bundestag eingehend mit den Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik befaßt. Er muß in einer Enquete-Kommission allerdings auf besondere Eigenheiten dieser Fragen Rücksicht nehmen. Ich nenne hier drei Punkte.
Erstens. Zu den neuen Möglichkeiten gibt es schon jetzt eine Fülle von Analysen, Prognosen, Aktionsprogrammen und Modellversuchen von der G 7, von der Europäischen Union - Herr Bangemann -, vom Bund - ich nenne das TAB -, von den Ländern - Bayern Online -, von den Verbänden - ich nenne den ZVEI - und von Unternehmen. Die Bundesregierung wird diese Erkenntnisse, so nehme ich an, berücksichtigen und in den Bericht des Technologierats und in „Info 2000" einarbeiten und darin den Handlungsbedarf des Bundes feststellen. Die Enquete-Kommission muß nun auf diesem Stand der Informationen aufbauen, Denn es wäre ein Unding, immer wieder von vorne anfangen zu wollen.
Zweitens. Die technische Entwicklung in der Informationsverarbeitung und in der Datenübermittlung und deren Anwendung verläuft mit atemberaubender Geschwindigkeit. Im internationalen Wettbewerb werden deshalb die Entfernungen eine immer geringere Rolle spielen. Das heißt, der internationale Wettbewerb wird für Deutschland noch schwieriger. Es werden noch größere Anstrengungen nötig sein, um neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.
Das Tempo des Fortschritts in der Informations- und Kommunikationstechnik, dem Motor für diese Entwicklung, bestimmen allerdings weitgehend die USA und Japan. Wenn wir also in diesem Wettbewerb mithalten wollen, ist es für unsere Wirtschaft lebensnotwendig, hemmende staatliche Regelungen rasch zu beseitigen und fördernde rasch in die Tat umzusetzen. Da wird es dann darauf ankommen, wie sich auch die SPD verhält.
Ich meine, aus dieser Tatsache müssen wir die Folgerung ziehen, daß die Einrichtung einer EnqueteKommission keinesfalls zu Verzögerungen in der Gesetzgebung führen darf, was mit solchen Instrumenten ja manchmal auch betrieben wird.
Drittens. Die Umwälzungen, die mit den neuen Technologien verbunden sind, werden unsere Arbeit und unser Leben tiefgreifend verändern: Unternehmen und Tarifpartner, Lehrende und Lernende, Freiberufler und Arbeitnehmer und natürlich auch der Staat müssen sich dieser Herausforderung stellen und sie bewältigen. Die Anforderungen sind vielfältig und umfangreich. Deshalb halte ich es für notwendig, daß sich jeder mit seinen eigenen Aktionen und Maßnahmen, mit seinem eigenen Handlungsbedarf beschäftigt. Daher sollte sich die Enquete-Kommission auf staatliche Maßnahmen konzentrieren.
Dabei wird es auch eine wichtige Aufgabe sein, die eigene politische Arbeit des Deutschen Bundestages einmal unter diesem Gesichtspunkt zu sehen: welche Möglichkeiten wir haben, die Bürger zu informieren,
Informationen unmittelbar von den Bürgern zu bekommen, sozusagen ein TED für den Abgeordneten und nicht nur für große Fernsehanstalten.
Die Enquete-Kommission wird sich auch mit Fragen der Akzeptanz befassen müssen. Da möchte ich allen denjenigen, die wie ich über 50 sind, sagen: Lernen Sie in diesen Fragen von den Kindern oder Enkelkindern! Gehen Sie mit der Unbefangenheit und mit dem Vertrauen von Kindern und Enkelkindern an dieses Thema heran!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Schubkraft von Mikrochip und Glasfasern, von CDROM, Video-CD, Set-Top-Box und vielen anderen Geräten und Dienstleistungen ist eine große Herausforderung für uns alle. Lassen Sie uns gemeinsam diese Herausforderung annehmen und die Chancen nutzen, damit Deutschland nicht nur im Industriezeitalter, sondern auch im Informationszeitalter eine führende Nation bleibt.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hans-Otto Wilhelm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Anträge, der der Koalition und der der Opposition, haben einen Teilaspekt zum Inhalt, nämlich bei der Opposition die Frage, welche Auswirkungen diese multimediale Entwicklung lin Medienrecht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe, und bei der Koalition die Frage, inwieweit sich der Rundfunkbegriff unter Umständen investitionshemmend auf die zukünftige Entwicklung auswirkt.
Hans-Otto Wilhelm
Ich glaube, daß wir dabei an einem Kernpunkt des zu diskutierenden Problems sind, was den Industriestandort Deutschland anbelangt; denn es ist überhaupt keine Frage, daß die Einführung der Glasfaser, der Digitalisierung und der Kompressionstechnik - am anschaulichsten wurde es vor zwei Tagen, als der Astra I E mit 108 Transpondern in den Orbit geschickt wurde - bedeutet, daß der Rundfunkbegriff einer Überprüfung bedarf, weil er der klassischen Interpretation aus meiner Sicht auf Grund der veränderten Technik nicht mehr standhält.
Die Frage, was Rundfunk ist, ist ja in der Tat in der Verfassung nicht dargestellt. Die Länder haben - ich sage einmal: unzuständigerweise - in ihren Mediengesetzen versucht, diesen Begriff zu interpretieren. Damit ist aber keine abschließende Interpretation vorgenommen worden, weil dies eher der Aufgabenstellung des Deutschen Bundestages obliegt. Ich will durchaus kritisch die Frage stellen, ob dies auf Grund der sich ständig verändernden Technik überhaupt möglich ist. Die Länder aber haben zweifelsohne nicht die Befugnis, diese Frage abschließend zu lösen - hier bin ich bei dem entscheidenden Punkt -, weil die Interpretation des Rundfunkbegriffes von 16 Ländern und ihren eigenen Interessen abhängig ist. Dabei kommt es zu Kompromissen, die in der Tat investitionshemmend wirken können.
Es steht doch außer Frage, daß die in den Staatsverträgen der Länder enthaltene Interpretation des Rundfunks als eine an die Allgemeinheit gerichtete Darstellung von Veranstaltungen nicht ausreichend ist, um neue Online-Dienste, Video on demand oder Pay-TV, ob zutreffend oder nicht, unter diesem Begriff zu subsumieren. Daß es auf Grund der föderalen Hoffnungen und Erwartungen ein natürliches Interesse der Länder ist, das so zu interpretieren, ist zweifelsfrei. Am Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz wird allerdings deutlich, daß es, was auch immer in Bad Neuenahr herausgekommen ist, das Ergebnis von Kompromissen ist, dem zum Schluß alle zustimmen konnten. Das gilt z. B. auch bezüglich der Protokollvermerke des Saarlands und von Bremen, in denen es heißt, Herr Glotz: Wir stimmen zu, gehen aber davon aus, daß unsere Rundfunkanstalten bestehenbleiben. Das ist doch die Quadratur des Kreises, meine Damen und Herren.
Wenn es geht, sollten wir mit den Ländern unter anderen Gesichtspunkten eine gemeinschaftliche Interpretation des Rundfunkbegriffs zustande bringen, da ich glaube, daß viele dieser neuen Dienste nicht mehr unter „Rundfunk" subsumiert werden können. Es ist kein Rundfunk, auch keine neue Art von Rundfunk. Es ist in hohem Maße Individualkommunikation. Wenn dies aber der Fall ist, dann liegt die Rechtsetzungskompetenz nicht bei den Ländern. Sie liegt beim Bund und muß unter kartellrechtlichen, urheberrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Aspekten geklärt werden. Ich hoffe nur, daß die Länder auf Grund unseres föderalen Aufbaus die Kraft haben, zu einvernehmlichen Regelungen zu kommen. Wir können aber politisch nicht zulassen, daß die Gestaltung multimedialer Zukunft von dem guten oder eben nicht guten Willen von 16 Ministerpräsidenten abhängig ist.
Ihre Partei, Herr Glotz, hat sich in der Tat immer wie eine Ziege am Strick gebärdet. Es gab bei Ihnen, wie Herr Schröder zu Recht feststellte, nur eine Einigung, und zwar über die Einführung des Farbfernsehens. Daß in Bad Neuenahr beispielsweise die Vereinbarung bezüglich der Zusammenschlüsse im privaten Bereich, also unser Reichweitenmodell von 30 %, verabschiedet wurde, haben Sie selbst doch noch vor 14 Tagen für völlig unmöglich gehalten. Ich halte diese Entscheidung für richtig.
Herr Schlauch, bei all dem, was Sie mit heißem Herzen in den öffentlichen Rundfunk investieren, müssen Sie doch auch zur Kenntnis nehmen, daß das erste Fernsehurteil, das Adenauer-Urteil, die Veranstaltung von Rundfunk und Fernsehen wegen der Begrenztheit der terrestrischen Frequenzen den Öffentlich-Rechtlichen zugewiesen hat. Das allein war Anlaß, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzurichten.
Natürlich - das haben Sie ebenfalls übersehen - hat das Bundesverfassungsgericht im vierten Fernsehurteil gesagt, daß es eine Bestands- und Entwicklungsgarantie gibt. Sie müssen das Urteil aber weiterlesen. Dort heißt es: Damit beginnt eine ganz gefährliche Entwicklung auch für das öffentlich-rechtliche System. Wenn die Privaten nämlich den Grundversorgungsauftrag erfüllten, würde die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks obsolet.
Der öffentlich-rechtliche Runfunk ist in einer gefährlichen Situation der Umklammerung, weil er vor dem Hintergrund eigener Quotenabsichten sein Programm popularisiert, um sich den Privaten zu nähern, und damit immer weiter vom Grundversorgungsauftrag abrückt; die Vollprogramme der Privaten aber erfüllen diesen Auftrag immer mehr. Das ist eine sehr komplexe Problematik, die Sie, meine Damen und Herren, nicht nur mit heißem Herzen bewältigen können. Sie müssen dies auch vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes tun.
Das sind Aufgaben, von denen ich mir wünsche, daß wir sie gemeinsam lösen, und zwar rasch. Was auch immer Herr Schlauch gegen HOT- und Verkaufskanäle hat: Ich sehe in diesen neuen Medien viele neue Chancen des Lernens, der Kommunikation, der Wissensvermittlung. Alles, was wir auf Grund unserer Struktur im föderalen System nicht oder zu spät machen, werden andere tun. Die Satelliten im Orbit-Bereich werden Sie nicht durch nicht vorhandene Ländergesetzgebung oder noch nicht vorhandene Bundesgesetzgebung behindern. Das ist eine weltweite Aktion; sie kann von jedem durchgeführt werden. Deswegen ist rasches Handeln und guter Wille aller Beteiligten angesagt. Wenn dieser gute Wille ausbliebe, kann der Bund nicht so lange zuwarten, bis sich bei Ihnen der gute Wille zu spät entwikkelt hat. Dann müssen wir die Frage stellen, ob wir ein Medienrechtsrahmengesetz, eine Neuinterpreta-
Hans-Otto Wilhelm
tion des Rundfunkbegriffes und die Zuständigkeit des Bundes für Individualkommunikation reklamieren, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland in diesem Bereich überhaupt eine Zukunft hat.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/1782, 13/2741 und 13/ 2753 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
ZP8 Vereinbarte Debatte
zur Frauenförderung in der Europäischen Union
ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Frauenförderung in der Europäischen Union
- Drucksache 13/2756 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Zur vereinbarten Debatte liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Claudia Nolte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Quotenregelung im Bremer Gleichberechtigungsgesetz hat bei vielen Enttäuschung und Verwirrung hervorgerufen. Ziel dieser Debatte sollte es deshalb sein, Klarheit über die Auswirkung dieses Urteils auf die Frauenförderung insgesamt zu schaffen. Da gilt es vor allem die Feststellung zu machen: Frauenförderung ist auch in Zukunft unabdingbar.
Solange im höheren Dienst der öffentlichen Verwaltung die Frauen deutlich unterrepräsentiert sind und bei Gremien des Bundes sogar nur 7 % der Stellen mit Frauen besetzt sind, können wir auf eine aktive Frauenförderpolitik nicht verzichten.
Das ist auch nicht die Intention des Urteils. Diejenigen, die jetzt frohlockend das Ende der Frauenförderung kommen sehen, täuschen sich. Sie können sich nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs berufen. Dieses lehnt lediglich eine automatische Bevorzugung gleich qualifizierter Frauen bei Einstellung und Beförderung ab. Damit wird ein Weg ausgeschlossen, der übrigens auch im Vorfeld dieses Urteils nicht unumstritten war. Professor Benda hat in seinem Gutachten zu Notwendigkeiten und Möglichkeiten positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst 1986 sogar als Verfechter solcher positiven Aktionen darauf hingewiesen, daß sie nicht so ausgestaltet werden dürften, daß sie stets und ohne Möglichkeit der Abweichung in jedem Einzelfall das Ziel der Frauenförderung in den Vordergrund stellen.
Frauenpolitik läßt sich nicht auf eine starre Quote reduzieren, sondern muß an die vielschichtigen Lebenswirklichkeiten von Frauen in unserer Gesellschaft anknüpfen.
Noch immer sind die Chancen zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt. Noch immer gibt es Rollenklischees, Doppelbelastungen, Vorurteile, Benachteiligungen und Diskriminierungen. Frauen werden auf schlechter bezahlte Berufe abgedrängt, und in Führungspositionen ist ihr Anteil verschwindend gering.
Frauen werden in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eher entlassen und später als Männer wieder eingestellt. In politischen Gremien und Institutionen sind sie stark unterrepräsentiert. Die Arbeit in der Familie ist auch heute noch vornehmlich Frauensache ebenso wie soziale ehrenamtliche Tätigkeit. Das Problem, Beruf und Familie zu vereinbaren, müssen in aller Regel die Frauen und nicht die Männer lösen. Teilzeitarbeit ist ebenso wie der Bereich der nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse eine Domäne der Frauen. Sie erhalten auf Grund des geringeren Lohnes anschließend auch weniger Rente.
Diese Beispiele zeigen deutlich, daß es bis heute nicht gelungen ist, die Lücke zwischen Anspruch und Lebensalltag zu schließen. Deshalb lassen Sie uns das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Anlaß nehmen, gemeinsam mit Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit die Gleichberechtigung weiter voranzubringen.
Die Bundesregierung leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. Seit einem Jahr ist das Zweite Gleichberechtigungsgesetz des Bundes in Kraft. Es setzt auf Instrumente wie Frauenförderpläne mit verbindlichen Zielvorgaben. Diese verbindlichen Zielvorgaben sind für die praktische Frauenförderung wegen ihrer Flexibilität ein geeignetes Instrument. Diese Möglichkeiten werden wir intensiv nutzen, um bestehende Benachteiligungen von Frauen weiter abzubauen.
Aber die Pallette von Maßnahmen dieses Gesetzes reicht natürlich noch sehr viel weiter. Sie betrifft den Bereich der Fortbildung, der familiengerechten Arbeitszeiten, das Benachteiligungsverbot bei Teilzeitbeschäftigung und familienbedingte Beurlaubung sowie die verbesserte Repräsentanz von Frauen in staatlichen Gremien.
Der Richterspruch berührt dieses Frauenförderungsgesetz des Bundes nicht. Im Gegenteil: In all
Bundesministerin Claudia Nolte
diesen Bereichen müssen wir die tatsächliche Umsetzung bestehender Rechtsansprüche noch schärfer in den Blick nehmen. Auch die Bereiche außerhalb des öffentlichen Dienstes müssen wir einbeziehen.
Gerade die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit und der Chance von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist für Frauen von Bedeutung. Deshalb ist z. B. die zeitgerechte Erfüllung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz dringend. Genauso waren die Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik zugunsten von Frauen wichtig. Allerdings halte ich es für nicht hinnehmbar, daß wir uns mit einem geteilten Arbeitsmarkt abfinden: den Männern den ersten, den Frauen den zweiten.
Die für den ersten Arbeitsmarkt Hauptverantwortlichen müssen ihre Verantwortung für mehr Chancengerechtigkeit in ihrem Bereich wahrnehmen. Ich habe deshalb in Thüringen eine Arbeitsmarktkonferenz durchgeführt, an der Wirtschaftspolitiker gleichermaßen wie Tarifpartner beteiligt waren. Ich will das auch in den anderen neuen Bundesländern tun. Denn in diesem Sinne verstehe ich auch Frauenförderung und werde weiterhin in diesem Bereich für den Abbau der Benachteiligung von Frauen kämpfen.
Weder die staatliche Frauenförderung insgesamt noch die Instrumente der Frauenförderung im Zweiten Gleichberechtigungsgesetz werden durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Frage gestellt. Dieses Urteil kann und darf deshalb nicht zum Anlaß genommen werden, Frauenförderung zurückzuschrauben. Auch nach dem Luxemburger Richterspruch bleibt die Frauenförderung dringend notwendig und möglich.
Für die Gesamtbewertung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes sind im übrigen noch die Folgeentscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes zur Bremer Quote und unabhängig davon die ebenfalls noch in diesem Jahr zu erwartende Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Quote in NRW zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, der Gleichberechtigungsgedanke muß auch in der Europäischen Union und da vor allem in der Praxis noch stärker verankert werden. Ich finde es nicht gut - es ist in vielen Berichten kritisch angemerkt worden -, daß unter den obersten europäischen Richtern keine Frau ist. Ich denke, das kann so nicht bleiben. Da sind wir uns einig.
Für den Bereich der Arbeitswelt findet sich eine wichtige Grundlage für die Notwendigkeit und Zulässigkeit von Frauenförderung im Art. 6 Abs. 3 des
Sozialprotokolls. An dieser Regelung hat die Bundesregierung maßgeblich mitgewirkt. Diese Ansätze sind im Rahmen der Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996 in den vertraglichen Grundlagen weiterzuentwickeln.
Ich halte darüber hinaus Maßnahmen der Europäischen Union für notwendig, die die Chancengleichheit von Frauen verbessern. Ich mache mich deshalb für das 4. Aktionsprogramm der Europäischen Union zur Frauenförderung stark und bin zuversichtlich, daß wir die noch offenen Fragen bei gutem Willen aller klären werden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmidt?
Aber bitte.
Frau Ministerin, darf ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß Sie sich im Kabinett dafür stark machen, daß die Bundesregierung - sie blockiert als einzige der 15 Regierungen der Europäischen Union - ihre Blockadehaltung gegenüber dem 4. Aktionsprogramm aufhebt und dafür eintritt, daß es umgesetzt wird?
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, hier einen Sachverhalt richtigzustellen. Es gab eine erste Orientierungsdebatte innerhalb der Europäischen Union. Dort ist es in der Regel üblich, daß man Punkte, die man kritisch findet, anspricht und dafür Sorge leistet, daß solche Fragen geklärt werden. Sie können meine Äußerungen sehr wohl so verstehen. Ich halte dieses Aktionsprogramm und auch die Durchführung für notwendig. Dafür setze ich mich ein.
Meine Damen und Herren, wir sind alle gefordert, uns gemeinsam dafür einzusetzen, daß die Gleichberechtigung der Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen, in der Familie und im Beruf, in Politik und Gesellschaft, verwirklicht wird. Daß wir mit unserer Politik eine zielorientierte Frauenförderung durchsetzen und damit Erfolg haben, ist letztlich im Interesse aller in diesem Land, denn die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
ist eine Voraussetzung für eine gute Zukunft. Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Heide Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich widersprechen. Ausweislich der Unterlagen des Allgemeinen Rates der Vertreter der einzelnen EU-Mitgliedstaaten ist es so - das ist auch gestern im Europaausschuß hier bei uns im Bundestag bestätigt worden -, daß es eine Weisung von seiten der Bundesregierung gibt, dem Frauenaktionsprogramm solle nicht zugestimmt werden. Damit hatten wir zu tun, und deshalb haben sich gestern auch CDU/CSU und F.D.P. geweigert, die Bundesregierung aufzufordern, diese Blockadehaltung aufzugeben.
Die letzte Woche
- so hat eine überregionale Zeitung kommentiert -
war keine gute Woche für die Frauen: erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofes und dann das Votum gegen das CDU-Frauenquorum auf dem CDU-Bundesparteitag. Da wird eine Stimmung gefördert, die manche längst überwunden glaubten.
Frau Wieczorek-Zeul, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Limbach?
Bitte, Frau Kollegin Limbach. Wird es nicht auf die Zeit angerechnet?
Nie bei Zwischenfragen.
Frau Kollegin, könnten Sie mir zustimmen, daß es gestern im Europaausschuß ausschließlich darum ging, ob gestern über diese Frage diskutiert wird oder ob nicht auch bei der nächsten Sitzung des Europaausschusses, bis zu der die Bundesregierung einen Bericht abliefern will, darüber diskutiert werden kann, um die Meinung des Bundestages der Bundesregierung mitzugeben?
Finden Sie nicht, daß Ihre Darstellung dieses Sachverhalts zumindest für diejenigen, die nicht Mitglied des Europaausschusses sind, irreführend sein könnte?
Frau Kollegin Limbach, ich kann Ihnen nur folgendes bestätigen. Der Vertreter der Bundesregierung im Europaausschuß hat gestern gesagt, daß bis zur nächsten Sitzung des Europaausschusses, auf der wir uns dann erst äußern können, die Bundesregierung ihre Position bereits festgelegt haben wird. Die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. haben trotzdem die Abstimmung darüber verweigert. Das halte ich für einen Skandal; insofern danke ich Ihnen ausdrücklich für die Möglichkeit, das klarzustellen.
Eine Sekunde, Frau Wieczorek-Zeul. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Limbach?
Ich bitte um Nachsicht.
Ich war ja nun wirklich noch in der ersten halben Minute. Ich würde gern diesen Punkt notfalls anschließend noch aufgreifen, wenn es möglich ist, aber jetzt erst meine Rede fortsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um zwei Dinge, einmal um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, gefällt von elf Männern, zum anderen um die Tatsache, daß der CDU-Parteitag das Frauenquorum abgelehnt und damit den Start ins nächste Jahrhundert versäumt hat. Das heißt, es bleibt bei der Männerherrschaft in der CDU/CSU.
Wie sieht die Realität von Frauen aus, und warum muß Frauenförderung nach wie vor aktiv in Gang gehalten werden?
51 % der europäischen Bevölkerung sind Frauen. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen liegt bei 41 %. Sie sind aber nach wie vor überproportional zu 13 % von Arbeitslosigkeit betroffen.
Frauen arbeiten insgesamt in den Erwerbszweigen, in denen schlecht bezahlt wird. Ihre Einkommen sind deshalb um 25 % niedriger als die der Männer, und ihre Renten sind um ein Drittel geringer als die des anderen Geschlechts. Nur rund 5 % der Frauen in der Europäischen Union arbeiten in Führungsfunktionen in der Wirtschaft.
Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist angesichts unseres Grundgesetzauftrages und angesichts der guten Veränderung im Bewußtsein von Männern und Frauen in unserem Land eine fortdauernde Provokation. Wenn es eine Führungsaufgabe gibt - das sage ich direkt an die CDU/CSU gerichtet -, dann ist es die, dafür zu sorgen, daß am Ausgang dieses Jahrhunderts endlich der schreckliche Anachronismus der Benachteiligung von Frauen überwunden und beseitigt wird.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich hatte das Gefühl, Frau Nolte steht schon gar nicht mehr zu dem, was sie ursprünglich einmal gesagt hat. Sie hat nämlich auf dieses EuGH-Urteil reagiert wie eine Notarin. Sie hat es als eine „erfreuliche Klarstellung" bezeichnet. Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung jetzt dieses Urteil, das ja Bindungswirkung nur für den einen Bremer Fall hat, auch noch politisch voll-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
strecken will. Jedenfalls läßt die Bundesregierung durch ihr gesamtes Verhalten in bezug auf die Frauengleichstellung in der Europäischen Union deutlich werden, daß für sie Frauengleichstellung eine politisch und finanziell zu vernachlässigende Größe ist.
Ich greife das Frauenaktionsprogramm auf; ich habe das ja vorhin zu Beginn schon angesprochen. Die Bundesregierung blockiert es seit Wochen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Geben Sie diese Blockadehaltung auf, und tragen Sie dazu bei, daß das, was die Kommission dort für die Frauen tun kann, endlich verwirklicht wird.
Ich nenne Ihnen jetzt einmal ein paar Zahlen, damit deutlich wird, was da los ist. Das mittelfristige Aktionsprogramm der EU zugunsten der Frauen würde die Bundesrepublik in einem Jahr 10 Millionen DM kosten. Das ist Ihnen zuviel; deshalb wird es blockiert. Die Bundesregierung stimmt lieber dafür, daß in der Europäischen Union pro Jahr 120 Millionen DM für Lagerhaltung von Butter ausgegeben werden. Das heißt: Sie ist bereit, 40 Millionen DM aus der Bundesrepublik für diesen Agrarunsinn zu verpulvern. Wir fordern Sie auf: Buttern Sie diese Mittel in das Aktionsprogramm der Gleichstellung von Frauen. Damit tun Sie etwas für die Europäische Union und auch für die Gleichstellung von Männern und Frauen.
Was soll man von einer Regierungspartei, die sich auch noch Europapartei nennt, wie der CDU, halten,
die dem Prinzip der Subsidiarität, das sie jetzt von der EU einfordert, selbst nicht Rechnung trägt und unter dem Vorwand der Subsidiarität auch noch eine Renationalisierung der Europapolitik betreibt? „Subsidiarität" heißt doch, daß man da anfängt, wo man es selber am besten kann.
Jetzt muß ich sagen: Ich finde es schon ein Unding, daß auf dem Bundesparteitag der CDU kein Handlungsbedarf gesehen wurde, obwohl in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion nur 14 % Frauen sind.
Es kann Ihnen und uns unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung von Frauen insgesamt nicht gleichgültig sein, daß durch dieses Verhalten der CDU/CSU und auch der F.D.P. der Frauenanteil im Deutschen Bundestag nur bei 26 % liegt. Nehmen wir einmal die Zahlen für die Oppositionsfraktionen. Bei ihnen beträgt der Frauenanteil 40 %. Es ist also
auch eine Frage der Demokratie, wenn Sie sich so verhalten, wie Sie das bisher getan haben.
Ich nehme mit Schrecken zur Kenntnis, daß es anscheinend einen Auftrag des Kabinettes gibt, Frauengleichstellung in der Europäischen Union unter dem Prinzip der Subsidiarität ganz fallenzulassen. Da sagen wir: Wir möchten eben gerade, daß die EU mehr ist als ein Verein von Gentechnikfabrikanten, von Agrarsubventionisten und von Händlern. Die Europäische Union muß auch für Bürger und Bürgerinnen und damit auch deutlich für die Frauen da sein.
Deshalb fordern wir Sie auf:
Erstens. Machen Sie sich bei der Überprüfung des Maastricht-Vertrages dafür stark - da kommt der Test, Frau Nolte, nicht bei den schönen Erklärungen, nämlich dann, wenn es darum geht, ob die harten Fakten, die wir hier einfordern, von der Bundesregierung, die verhandelt, eingelöst werden -, daß dem Vertrag eine Grundrechtscharta vorangestellt wird, in der es grundrechtlich verbriefte und garantierte Normen zugunsten der Gleichstellung von Frauen im EU-Vertrag gibt.
Zweitens. Sorgen Sie dafür, daß im Vertrag klargestellt wird, daß positive Fördermaßnahmen der Mitgliedstaaten für Frauen, d. h. auch Quotenregelungen bei Einstellung und Aufstieg, nach dem EU-Vertrag zulässig sind.
Drittens. Wir fordern Sie auf: Tragen Sie dazu bei, daß die vorliegende EU-Richtlinie zur Gleichstellung, die ja die Grundlage des EuGH-Urteils war, so präzisiert oder verändert wird, daß zukünftig nicht nur Zielquoten, sondern auch leistungsbezogene Quoten möglich bleiben.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Art der Benennung der Richter am Europäischen Gerichtshof - von den nationalen Regierungen, ohne jede parlamentarische Transparenz und damit ohne ausreichende demokratische Legitimation - spottet jeder Beschreibung. Wir fordern eine parlamentarische Beteiligung an dem Benennungsverfahren, und wir fordern auf, dafür Sorge zu tragen, daß sich der Europäische Gerichtshof paritätisch aus Männern und Frauen zusammensetzt,
damit das, was dort geurteilt wird, der Realität von Menschen, gerade auch der Frauen, in unserem Lande entspricht.
Ich bedanke mich sehr herzlich iur Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Jutta Limbach das Wort.
Mein Vorname ist Editha.
Entschuldigung, gnädige Frau.
Der Präsident ist aufs höchste entschuldigt; denn diese Verwechslung tritt sowohl bei der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts wie auch bei mir häufig auf.
Ich habe mich deshalb noch einmal gemeldet, weil es wirklich nicht angeht, daß eine parteiische Darstellung von Vorgängen im Europaausschuß hier im Parlament öffentlich vorgetragen wird. Der Darstellung, daß wir diese Beratung abgelehnt hätten, muß widersprochen werden.
Problem war, daß die Berichterstatterin meiner Fraktion im Europaausschuß verhindert war. Das übliche Verfahren, wenn ein Berichterstatter oder eine Berichterstatterin nicht anwesend sein kann, ist - wir haben das auch der Opposition schon häufig zugestanden -, daß der Tagesordnungspunkt nicht behandelt wird, wenn es der Zeitablauf ermöglicht, auch zu einem späteren Zeitpunkt zu diskutieren. Das ist in jedem Ausschuß so. Auf letzteres hat der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Pfennig, auch ausdrücklich hingewiesen. Der Vertreter der Bundesregierung hat bestätigt, daß die Meinung des Bundestages in diesem Punkt der Bundesregierung natürlich auch in der nächsten Sitzung mit auf den Weg gegeben werden kann. Übrigens steht das auch so im Grundgesetz.
Ich möchte zudem darauf hinweisen, daß es nach Auffassung der Frauengruppe der CDU/CSU schon notwendig ist, daß die Bundesregierung dem Aktionsprogramm zustimmt. Insofern unterstützen wir in vollem Umfang die Bemühungen der Ministerin Nolte, die das eben auch selbst gesagt hat.
Noch eine letzte Bemerkung zum Parteitag der CDU - nur, um Mißverständnisse zu klären -: Auch ich bedauere sehr, wie viele von uns, daß das notwendige Quorum nicht zustande kam. Aber es war schon eine deutliche Mehrheit des Parteitages für die Quotierung. Es haben, glaube ich, nur fünf Delegiertenstimmen gefehlt.
- Nein, nein, die Mehrheit war nicht dagegen, sondern dafür. Das Ergebnis war ungefähr fünfhundert zu gut zweihundert. Daß es trotzdem nicht zur Satzungsänderung kam, weil fünf Stimmen fehlten, ist richtig. Aber daraus zu schließen, die Mehrheit der Delegierten sei dagegen gewesen, ist nicht richtig.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß Niederlagen in einer politischen Auseinandersetzung nur dazu führen können und dürfen, daß man sich des Problems weiter annimmt und eine intelligentere und bessere Form findet, um das erstrebte Ziel zu erreichen. Ich bin sicher: Auch die CDU wird dieses Ziel erreichen.
Frau Wieczorek-Zeul, Sie können darauf antworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weise noch einmal auf den Tatbestand hin: Der Vertreter der Bundesregierung hat in der gestrigen Sitzung des EU-Ausschusses dargestellt, daß die Bundesregierung ihre Meinung bis zu dem Termin, an dem wir beraten können, bereits festgelegt haben wird.
Deshalb konstatiere ich - ich glaube, der Deutsche Bundestag kann nicht alle Details nachvollziehen -: Das Ergebnis ist, daß der EU-Ausschuß keine Stellungnahme abgegeben hat. Er ist nach dem Grundgesetz und nach dem Rechtsstellungsgesetz verpflichtet, der Bundesregierung in dieser Frage eine Orientierung zu geben, die die Bundesregierung im übrigen berücksichtigen muß.
Wofür haben wir das alles bei der Ratifizierung von Maastricht verankert? Das soll die Bundesregierung berücksichtigen. Sie hat dem Rat der allgemeinen Vertreter, d. h. ihrem Vertreter in Brüssel, den Auftrag gegeben, in dieser Frage nicht zuzustimmen. Auf welcher Basis verhält sich die Bundesregierung eigentlich?
Wir als Deutscher Bundestag müssen in dieser Frage doch erst einmal eine Orientierung geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute, als ich einen Artikel dazu gelesen habe, mit Sorge zur Kenntnis genommen - die Bundesregierung kann das heute klarstellen -, die Bundesregierung, das Kabinett, habe den Kolleginnen LeutheusserSchnarrenberger und Nolte den Auftrag gegeben, zu prüfen, ob unter dem Gesichtspunkt Subsidiarität die Frage der Gleichberechtigung von Frauen auf der Ebene der Europäischen Union behandelt werden müsse. Das heißt, es stehen zwei Weichenstellungen an: Die einen wollen für die Regierungskonferenz im nächsten Jahr alles herauslassen, was zur Frage der Gleichberechtigung von Frauen neu sein könnte; und wir sagen, wir müssen aus dem EuGH-Urteil die Schlußfolgerung ziehen, endlich eine Offensive zugunsten der Gleichberechtigung von Frauen zu starten.
Das sind die Unterschiede, die ich hier darstellen wollte.
Das Wort bekommt nun die Abgeordnete Kerstin Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann zu der letzten Debatte vielleicht noch ergänzen, daß die CDU-Fraktion auch im Rechtsausschuß abgelehnt hat, über diese aktuelle Sache zu diskutieren. Es sollte dort um die Konsequenzen für die Bundesregierung aus dem Urteil gehen. Ich finde, das zeigt natürlich schon, welche Aktualität und Wichtigkeit man diesem Urteil zumißt.
Elf Männer des Europäischen Gerichtshofes und ein Gartenbauingenieur haben am 17. Oktober dieses Jahres über die Zukunft vieler Frauen entschieden. Meine Damen, das dürfen wir Frauen aller Fraktionen, meine ich, uns nicht bieten lassen!
Denn ohne Quoten und ohne Gleichstellungsgesetze können Frauen weder auf dem Arbeitsmarkt noch in Politik und Wissenschaft aus dem Getto der Ungleichbehandlung herauskommen.
Ich will Ihnen ein ganz praktisches Beispiel geben, wie es anders gehen kann; Frau Wieczorek-Zeul hat es schon angesprochen. Zu Beginn der Legislaturperiode ist der Frauenanteil im Bundestag auf 26 % angestiegen. Ich will Ihnen auch sagen, warum - Sie haben mit Ihren 40 % ein bißchen gemogelt, Frau Wieczorek-Zeul -: Wir, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind mit 29 Frauen, d. h. mit mehr als der Hälfte unserer Abgeordneten, wieder in den Bundestag eingezogen.
- Nein, die vergesse ich auch nicht. Trotzdem muß man das klarstellen.
Diesen Erfolg haben wir erreicht, weil wir die Quotierung ernst nehmen und weil unsere Listen, und zwar alle, mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt sind.
Bei den anderen Fraktionen sieht das höchst unterschiedlich aus. Sie von der SPD haben immerhin das selbstgesteckte Ziel von einem Drittel erreicht. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, bringen es gerade mal auf ein Siebtel.
Auf Ihrem Parteitag hat die Frauenquote - und zwar trotz des persönlichen Einsatzes des Kanzlers - leider keine Mehrheit gefunden. Frau Limbach, wenn ein solcher Punkt am Ende eines Parteitages behandelt wird, zeigt das natürlich, wie wichtig er Ihnen ist.
Ich kann Ihnen auf Grund der Erfahrungen unserer Partei sagen: Ohne verbindliche Quoten verändert sich für die Frauen gar nichts.
Dann wird einfach, wie seit Jahrhunderten üblich, nach dem alten Motto verfahren: Männer nach vorn. Ich kann Ihnen nur raten: Folgen Sie unserem Beispiel.
Der EuGH hat entschieden, daß Regelungen - wie das Gleichstellungsgesetz -, die bei Bewerbungen und Beförderungen Frauen automatisch bevorzugen oder den Vorrang einräumen, mit der Gleichstellungsrichtlinie nicht vereinbar sind. Ist die Frauenförderung, die auch Quoten umfaßt, damit gestorben? Oder können wir etwa die Hände in den Schoß legen - Sie, Frau Nolte, haben sich direkt nach dem Urteil entsprechend geäußert -, weil kein weiterer Handlungsbedarf besteht? Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, gerade jetzt auf Bundes- und auf Europaebene zu handeln.
Frau Nolte, Sie haben auf der Weltfrauenkonferenz in Peking angekündigt, das Jahr 1996 unter das Motto „Gleichberechtigung und Partizipation" zu stellen. Das 1994 erlassene Gleichberechtigungsgesetz ist hierfür meiner Meinung nach völlig untauglich. Das zeigt z. B. der sehr geringe Anteil von Frauen im öffentlichen Dienst, vor allem in den oberen Etagen. Das zeigt: Das Gesetz ist wirkungslos geblieben.
Wir brauchen in der Bundesrepublik ein Gleichstellungsgesetz, das konkrete Antidiskriminierungsmaßnahmen für alle gesellschaftlichen Bereiche vorschreibt, sonst bleibt Ihre Ankündigung von Peking, Frau Nolte, nur ein Lippenbekenntnis.
Es bleibt festzuhalten: Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil in der letzten Woche einen Einzelfall entschieden. Damit bleibt die Richtlinie auslegbar. Das heißt, andere Gleichstellungsgesetze mit verbindlichen Zielquoten und Stufenplänen, wie sie etwa die Länder Hessen und Brandenburg haben, werden hiervon nicht berührt. Ich meine, die Bundesregierung muß jetzt endlich handeln. Wir brauchen wirksame Quotierungsregelungen auch auf Bundesebene, die den Auftrag des Grundgesetzes umsetzen.
Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden uns außerdem dafür einsetzen, daß bei einer Überprüfung des Vertrages von Maastricht die Frauenfrage gestellt wird. Wenn die Richter selbst diese Richtlinie der Gleichbehandlung so eng auslegen, muß ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot in den Maastrichter Vertrag aufgenommen werden.
Auch der Europäische Gerichtshof selbst könnte ein Instrument der Frauen zur Durchsetzung ihrer Rechte sein. Auch hier gibt es in der obersten Instanz keine einzige Richterin. Auch hier müßte jetzt eine verbindliche Quote eingeführt werden.
Ich hoffe, daß es diesmal möglich ist, über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam auf dieses Männerurteil eine angemessene Antwort zu finden. Ich möchte an die Männer in den Fraktionen und im Land appellieren, sich Quotierungsvorschriften nicht weiter zu widersetzen.
Kerstin Müller
Ich möchte es einmal mit den Worten der Präsidentin des Verfassungsgerichts, Jutta Limbach, formulieren: „Hier wird den Männern etwas zugemutet, was man bisher stets den Frauen zugemutet hat: besser zu sein als die Konkurrenz aus dem anderen Geschlecht. " Und, meine Herren, ich finde, das ist zumutbar.
Das Wort bekommt nun die Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat zum Teil - wie wir auch heute wieder gehört haben - sehr heftige und polemische Reaktionen hervorgerufen. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß ich diese negative Bewertung nicht teile. Das Urteil hat natürlich Rechtsklarheit gebracht. Es hat nämlich klargestellt, daß starre Quotenregelungen kein rechtlich gangbarer Weg sind.
Jeder in diesem Haus weiß, daß all das, was Parteien sich selbst zur Aufgabe machen, davon ganz unbenommen bleibt. Ich denke, dieses Urteil sollte uns vielmehr Anlaß dazu geben, vertieft darüber nachzudenken, wie nun tatsächlich eine aktive Gleichstellungspolitik betrieben werden kann.
Es muß eine Politik sein, die den Frauen in der Lebenswirklichkeit besser hilft, als es die Quote auf dem Papier tut.
Wir sollten dies ohne ideologische Verkrampfung tun.
Ich bin mir klar darüber, daß es immer Themen gibt, bei denen man leicht den Beifall von der falschen Seite bekommt. Darum möchte ich für die Freien Demokraten ganz deutlich feststellen: Das EuGH-Urteil sollte nun wirklich niemanden dazu verleiten, das Thema Frauenförderung und Gleichstellungspolitik ganz still und leise und erleichtert zu den Akten zu legen. Das kann es wohl nicht sein.
Aber die gutgemeinte Quote, diese Ungerechtigkeit auf Zeit, wie sie genannt worden ist, ist eben weder so gut, noch bringt sie mit ihrer Automatik mehr Gerechtigkeit.
Ich zitiere Heide Pfarr, Arbeitsrechtlerin ihres Zeichens, ehemalige Senatorin in Berlin und Ministerin in Hessen, die nun wahrlich nicht verdächtig ist, zuwenig für die Frauen tun zu wollen. Sie hat zu der Quote, die in Luxemburg auf dem Prüfstand stand,
gesagt, sie sei „sowieso ineffektiv und manipulierbar".
Das zeigen doch auch die Erfahrungen aus den Bundesländern, die damit schon länger arbeiten. Wo sind denn z. B. die nachhaltigen Verbesserungen zugunsten der Frauen in Nordrhein-Westfalen? Wo sind sie? Viel wichtiger - meine ich - sind im öffentlichen Dienst Frauenförderpläne mit verbindlichen Zielvorgaben, die auf die konkrete Situation in der jeweiligen Behörde zugeschnitten sind und nicht eine Soße über alle verschütten.
Ich habe viel für Berichtspflichten übrig, in denen auch begründet werden muß, warum für eine bestimmte Stelle oder eine bestimmte Verwendung nicht eine Frau ausgewählt worden ist. Hier müssen wir sehr genau sehen, wie das in den verschiedenen Laufbahngruppen aussieht.
Es ist klar, daß in unserem Ministerium mit dem langen Namen ein hoher Anteil an Frauen beschäftigt ist. Aber wie sieht das in den verschiedenen Laufbahngruppen aus? Verdampfen die Frauen, wenn es nach oben geht, oder haben sie eine Chance? Diese Chance muß jenseits jeder starren Quotierung gegeben sein.
Viele Frauen haben heute eine qualifizierte Ausbildung. Aber die Chance, ihren Beruf mit allen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten auch tatsächlich wahrzunehmen, haben sie nicht. Sie haben im Durchschnitt einen höheren Bildungsgrad, die Frauen haben bessere Abiturnoten. Das wissen wir alle. Aber das nützt ihnen nicht viel.
Es ist Frauen nicht damit gedient, wenn sie auf Kinder verzichten, z. B. weil sie Angst haben, Probleme mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu bekommen, oder wenn sie höhere Karrierestufen aus der gleichen Angst gar nicht erst ins Auge fassen.
Für Chancengleichheit im Alltag gibt es eine ganze Menge zu tun, das sich durch Quoten nicht lösen läßt. Ich finde es nicht sehr überzeugend, wenn Frauenministerinnen, die sich in der Urteilsschelte gegenseitig zu überbieten versuchen, aus Ländern kommen, die den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz möglichst weit hinauszögern wollen.
Wo sind denn die Kindergartenplätze? Wo sind denn die Behördenkindergärten? Vor allem, wo sind denn die Ganztagsschulplätze,
die in Frankreich ganz selbstverständlich sind? Hier könnten wir etwas dazulernen. Aber bei uns gibt es noch nicht einmal verläßliche Unterrichtszeiten in den Grundschulen. Dafür könnten diese Länderministerinnen versuchen zu sorgen.
Auch bei der Teilzeitarbeit gibt es noch eine Menge Spielraum. Sie darf nicht weiter als Restarbeit betrachtet werden. Nein, meine Kolleginnen und
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Kollegen, solange Frauen nicht die Möglichkeit haben, einzusteigen, auszusteigen und umzusteigen, solange Frauen nach der Kindererziehungsphase nicht wirklich Chancen haben, können Sie mit der Quote gar nichts ausrichten.
Häufig wird angeführt, daß das alles finanzielle Probleme mit sich brächte. Ich will hier nur ein Beispiel nennen, das eine ganz andere Sprache spricht. Es ist interessant genug, daß ich es erwähne. Erst kürzlich hat ein führendes Wirtschaftsmagazin die Reum-AG in Baden-Württemberg auf einen Spitzenplatz - auf Platz 3 oder 4 - der Liste der produktivsten mittelständischen Unternehmen gesetzt.
Dieses Unternehmen hat interessanterweise bereits zwei Preise für familienfreundliche Maßnahmen bekommen. Ich nehme an, daß sich die Betriebstreue auf die Produktivität und den Zusammenhalt in dieser Firma auswirkt. Das Interessante ist, daß der Chef eine Chefin ist, die dafür sorgt, daß sich der Betrieb den Familienstrukturen anpaßt und nicht umgekehrt.
Ich möchte eine Bemerkung machen, die ich mir nicht verkneifen kann. Es hat, wie ich finde, auch sehr viele unsachliche Bemerkungen zu diesem Urteil gegeben. Zu der Urteilsschelte gehörte das Wort, dies sei ein Macho-Urteil.
Ich glaube, es gehört zur Fairneß, darauf hinzuweisen, daß der EuGH für frauenspezifische Belange durchaus sensibel ist. Das hat er mit anderen Urteilen gezeigt,
und zwar mit Urteilen, die gerade für die nicht so qualifizierten Frauen gut waren und die übrigens bei Wirtschaft und Behörden erhebliches Aufsehen erregt haben.
In einem Urteil ging es darum, daß Teilzeitbeschäftigte an betrieblichen Sozialleistungen teilhaben müssen. Das war ein ganz wichtiger Schritt. Dann gab es ein anderes Urteil, daß Frauen, die wegen ihres Geschlechts bei Bewerbungen diskriminiert werden, Schadensersatz erhalten, und zwar in Höhe mehrerer Monatsgehälter, das sogenannte Portokostenurteil. Auch das war doch ein Meilenstein, den der EuGH gesetzt hat.
Meine Kolleginnen und Kollegen, die Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates, Hanne Pollmann, hat erklärt, die Frauen - als ob wir alle gleichgeschaltet wären und keine Individuen - stünden wegen des EuGH-Urteils auf den Barrikaden.
Sie müssen zum Schluß kommen, Frau Schmalz-Jacobsen.
Ja, das ist mein letzter Satz.
Ich frage mich, warum Frau Pollmann ihre Frauen nicht längst auf den Barrikaden dauerhaft plaziert hat. - Wegen der vielen praktischen Hindernisse.
Nein, die starre Quote ist kein vernünftiger Weg. Sie ist nämlich sture symbolische Politik.
Sie ist ein Alibi, und dieses Alibi hat ausgedient.
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Ulla Schmidt das Wort.
Ich habe mich auf Ihre Frage hin gemeldet, Frau Kollegin SchmalzJacobsen, was denn in Nordrhein-Westfalen passiert sei; ich habe zufällig die Zahlen hier vorliegen.
Als Sie „sture symbolische Politik" sagten, haben Sie bedauerlicherweise keine neuen Maßnahmen zur wirksamen Frauenförderung vorgetragen.
Wir alle wissen, daß die Quote nur ein Instrument von vielen zur Frauenförderung ist, die wir umsetzen wollen. Aber trotz der haushaltspolitischen Einschränkungen, nämlich Stellenstopp und Beförderungsstopp, hat sie in Nordrhein-Westfalen zu einer Erhöhung des Frauenanteils beigetragen.
Die Auswirkungen unseres Frauenfördergesetzes und auch der Quote möchte ich Ihnen an einigen Zahlen beweisen: Seit 1989 hat sich die Zahl der Frauen, die im Landesdienst beschäftigt werden, um 17 042 erhöht, während die Zahl der männlichen Beschäftigten sank. Das entspricht einem Zuwachs der weiblichen Beschäftigten von 10,28 %. Im höheren Dienst stieg der Anteil der Frauen von 24 % auf fast 29 %. Es sind 8 000 Frauen mehr beschäftigt.
Wir wissen, daß dies alles noch zuwenig ist. Aber das ist ein Instrument, daß Frauen wirklich eingestellt werden, daß Frauen befördert werden.
Ich muß auch sagen: Wir Frauen sehen in der Quote nicht das Allheilmittel. Aber ich habe immer die Auffassung vertreten, daß sich eine Gesellschaft schämen muß, daß Frauen ein Instrument wie die Quote nötig haben, um zu dem zu kommen, was Ihnen zusteht, nämlich die Hälfte an allem, an Machteinfluß und Reichtum.
Sie haben die Möglichkeit zu antworten, Frau Schmalz-Jacobsen.
Frau Kollegin, ich teile Ihre Meinung, daß man sich schämen muß, daß Frauen in dieser Gesellschaft noch immer nicht gleichberechtigt sind.
Im übrigen gibt es Zahlen - die ich jetzt leider nicht dabei habe — aus anderen Bereichen, wo mehr Frauen eingestellt worden sind, weil sich auch mehr beworben haben. Ob das allein auf die Quote zurückzuführen ist, ist eine andere Frage.
Cornelia Schmalz-Jacobsen
In einem Punkt bin ich allerdings ganz anderer Meinung als Sie: Ich glaube nicht, daß neue Vorschläge notwendig sind, solange die alten Vorschläge zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die ja auf dem Tisch liegen, nicht umgesetzt worden sind und offenbar nicht mit dem Aplomb weiterverfolgt werden, wie das bei Ihnen mit der starren Quote der Fall ist. Das finde ich dann unsinnig.
Das Wort bekommt die Abgeordnete Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erst wenige Wochen her, daß sich die EU-Staaten in Peking angesichts der weltweiten Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen ziemlich geschlossen für ganz konkrete Fortschritte in Sachen Gleichstellung der Geschlechter eingesetzt haben. Jetzt, meine ich, muß man konstatieren, daß wir mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit der leistungsbezogenen Quote jetzt den ersten, allerdings hausgemachten Skandal in puncto Gleichstellung zu verzeichnen haben.
Worum ging es? Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß bei gleicher Qualifikation die bevorzugte Einstellung eines Mannes als dessen individuelles Recht, die bevorzugte Einstellung einer Frau aber als eine Ungleichbehandlung ihres männlichen Mitbewerbers angesehen wird. Im Klartext heißt das nichts anderes, als daß Frauen zwar Zugang zu Erwerbsarbeit haben sollen, aber bitte schön nicht auf Kosten auch nur eines einzigen Mannes. Es geht mir hier nicht darum, das Urteil zu schelten. Das ginge völlig am Kern des Problems vorbei. Der Kern des Problems liegt nämlich in der EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Berufsleben von 1976, auf deren Grundlage das Urteil so und nicht anders gefällt worden ist.
Die in der Konkretisierung von Art. 119 der EWG-Verträge seit den 70er Jahren entwickelten Gleichbehandlungsrichtlinien beinhalteten, wie es der Name schon sagt, von Anfang an keinen Gleichstellungsansatz, sondern verfolgten ausdrücklich das Ziel, Wettbewerbsnachteile für die Länder zu beseitigen, die Frauen weniger diskriminierten als andere.
Die den Frauen in diesen Richtlinien zugesprochenen Rechte sind, Däubler zufolge, ihrer Struktur nach lediglich individuelle Marktzugangs- und Marktbetätigungsrechte. Dieser Ansatz führt dazu, daß in Zeiten einer marktbedingten großen Nachfrage nach weiblicher Erwerbsarbeit der gleichstellungspolitische Wind in Europa günstig, in Zeiten von Massenerwerbslosigkeit jedoch ungünstig weht. Die Bindung von Gleichstellungsfortschritten an Kapitalverwertungsinteressen führt auch dazu, daß bis heute in den EU-Mitgliedstaaten in der Regel bei gleicher Qualifikation nach wie vor Männer bevorzugt werden.
Man muß sich einmal anschauen, was eigentlich die Grundlage für die Diskriminierung und die Benachteiligung von Frauen ist. Aus meiner Sicht gibt es zwei ganz wesentliche: Das eine ist die Perpetuierung der herkömmlichen Arbeitsverteilung im Reproduktionsbereich, oder im Klartext: die Weigerung von Männern, sich der Hausarbeit und auch der Kinderbetreuung zu widmen. Zum anderen sind es die nach wie vor ungebrochen existierenden patriarchalischen Vorurteile.
Ich sage hier ganz klar: Die grundlegende Voraussetzung eines gleichen Zugangs zur Erwerbsarbeit ist die gerechte Verteilung der bisher fast ausschließlich durch Frauen geleisteten unbezahlten Reproduktionsarbeit auf beide Geschlechter. Aber darum haben sich bisher weder die EU noch deren einzelne Mitgliedstaaten ernsthaft gesetzgeberisch oder wenigstens bewußtseinsbildend bemüht. In den bisherigen EU-Richtlinien geht es im Grunde genommen nicht um die Emanzipation, sondern um die Angleichung von Frauen an männliche Werte, Normen und Erwerbsbiographien.
Die Bundestagsgruppe der PDS fordert daher weiterreichende und klarere Festlegungen auf der europäischen Ebene. Wir fordern, daß der Maastrichter Vertrag durch einen Grundrechtekatalog ergänzt wird, in dem der Grundsatz der Gleichstellung expressis verbis festgehalten wird und in dem es einen aktiven Auftrag zur Frauenförderung gibt, der die Zielquoten zugunsten des benachteiligten Geschlechts ausdrücklich einschließt. Wenn das geleistet worden ist, muß man auf dieser Grundlage über eine Präzisierung und eine Änderung der EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern nachdenken.
Der Gedanke der Gleichstellung von Frauen und Männern muß aus unserer Sicht im Prinzip in der gesamten Politik der Europäischen Union umgesetzt werden. Das bedeutet auch, daß konkrete Schritte zur Frauenförderung sowohl in den Aufgabenkatalog nach Art. 2 des EG-Vertrages als auch in den Kompetenzkatalog nach Art. 3 des EG-Vertrages aufgenommen werden müssen. Aber dazu bedarf es ganz eindeutig des politischen Willens der beteiligten Staaten, die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen. Von einer Bereitschaft, dies zu tun, kann man zumindest in bezug auf die Bundesregierung doch sehr zweifeln, insbesondere wenn man das Verhalten der Bundesregierung in bezug auf das vierte Aktionsprogramm für die Chancengleichheit von Frauen und Männern betrachtet.
Meine Damen und Herren, wer es mit der Gleichstellung wirklich ernst meint, muß sich innerhalb der Europäischen Union für aktive Frauenförderung einschließlich einer konsequenten Quotierung einsetzen und jeden Schritt in diese Richtung fördern, statt ihn zu bremsen. Das ist das Kriterium, an dem wir auch die wohlfeilen Worte der Bundesregierung, die wir heute hier vernommen haben, zu messen haben.
Ich erteile nun der Abgeordneten Bärbel Sothmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Frauen in der Bundesrepublik - wir merken es auch hier - macht sich wirklich Katerstimmung breit. Erst vor wenigen Wochen haben wir auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking die Aktionsplattform verabschiedet, in der wir festgelegt haben, die weltweite Gleichberechtigung von Mann und Frau mit allen, aber auch wirklich allen Mitteln zu fördern.
Jetzt kommt dieses Urteil - ich möchte hier besonders auf das Urteil abstellen -, mit dem der Europäische Gerichtshof eine Quotenregelung zugunsten von Frauen verwirft, wie sie im Bremer Gleichstellungsgesetz verankert ist, wohlbemerkt: im Bremer. Viele Frauen fragen sich daher natürlich besorgt: Erhält die Benachteiligung von Frauen neuen Auftrieb? Kann es ohne das Druckmittel Quote überhaupt Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung geben, und welche praktischen Konsequenzen entstehen nun wirklich aus diesem Urteil?
Meine Damen und Herren, diese starken emotionalen Reaktionen auf das EuGH-Urteil zeigen, meine ich, ganz eindeutig: Das Urteil setzt einfach ein falsches politisches Signal.
Denn Tatsache ist doch: Von der tatsächlichen Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft sind wir noch meilenweit entfernt,. sonst hätten wir heute diese Debatte hier nicht.
Die negativen Daten aus der Wirtschaft und nicht nur diese sprechen eine eindeutige Sprache. So ist der Anteil arbeitsloser weiblicher Ingenieure doppelt so hoch wie bei männlichen Ingenieuren, und in den obersten Chefetagen sind Männer auch bei den Unternehmen, die sich in der Frauenfrage für fortschrittlich halten, im wesentlichen unter sich. An der Qualifikation der Frauen, meine Damen und Herren, kann dies sicherlich nicht liegen. Wir haben es heute auch schon gehört.
Die einseitige Bevorzugung und Überbewertung der Männer in unserer Gesellschaft muß aufgehoben werden. Unser Ziel ist ganz einfach die Gleichberechtigung. An einer gezielten Frauenförderung führt deshalb kein Weg vorbei. Das EuGH-Urteil steht dem aber bei genauem Lesen, meine ich, nicht entgegen.
In den EuGH - das möchte ich hier auch sagen - gehören natürlich Frauen hinein. Aber ich glaube trotzdem: Zur Aufregung und zur Verunsicherung besteht kein Anlaß. Denn die Fakten sind doch folgende:
Erstens. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil verneint, daß bei gleich qualifizierten Bewerbern unterschiedlichen Geschlechts den weiblichen Bewerbern bei einer Beförderung automatisch, das heißt unbedingt und absolut, der Vorrang eingeräumt werden darf, auch wenn die Frauen in dem betreffenden Bereich unterrepräsentiert sind.
Zweitens. Das Urteil beruht auf der EG-Gleichbehandlungsrichtlinie von 1976, nach der jegliche Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in Ausbildung und Beruf ausgeschlossen werden soll. Das muß man nur mal nachlesen.
Drittens. Das Urteil gilt nur für den öffentlichen Dienst und hier nur für Bremen.
Viertens. Es bestätigt ausdrücklich, daß die Chancen von Frauen verbessert werden sollen.
Meine Damen und Herren, das EuGH-Urteil bedeutet damit also tatsächlich das Aus für starre Frauenquoten. Sie von der SPD ziehen daraus den Schluß, die EG-Gleichbehandlungsrichtlinie müsse so geändert werden, daß die gesetzliche Festlegung starrer Frauenquoten zumindest für eine gewisse Zeit ermöglicht wird. Zumindest lese ich das so aus Ihrem Antrag. Ich halte das - das muß ich Ihnen sagen - allerdings für keine gute Idee, denn dadurch würde der Diskriminierung von Männern Vorschub geleistet.
- Nein, Frau Niehuis. - Dies kann und darf nicht unser Ziel sein. Wir wollen Frauen fördern, ohne Männer zu benachteiligen. Das muß unser Ziel sein.
Alles andere wäre in Sachen Gleichberechtigung kontraproduktiv.
Die genauen rechtlichen Konsequenzen, die wir in Deutschland und in Europa aus diesem Urteil zu ziehen haben, müßte man natürlich noch weitgehend diskutieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Schmidt?
Ich habe nur sehr wenig Zeit. Aber bitte.
Frau Kollegin Sothmann, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß die Qualifikation der Frauen unbestritten ist und daß Frauen trotz dieser guten Qualifikation in diesem Lande leider weiterhin benachteiligt sind. Worin begründen Sie eine Ungleichbehandlung von Männern, wenn bei gleicher Qualifikation - es ist eine qualifikationsbezogene Quote - die Frau bevorzugt eingestellt und befördert werden soll, weil es auch zur Demokratie gehört, daß Frauen gleichberechtigt auf allen Ebenen vertreten sind? Worin bestand die Ungleichbehandlung denn bisher, als die Frau immer
Ulla Schmidt
besser qualifiziert sein mußte? Worin liegt die Diskriminierung z. B. bei drei gleich qualifizierten Männern, wenn dem einen, weil einem die blonden Haare besser gefallen, der Vorzug gegeben wird?
Ich spreche von dem Inhalt des Urteils, nämlich der starren Frauenquote. Wenn ich meinen Beitrag fortsetzen kann, kommt die Antwort.
Sicherlich werden z. B. einige Bundesländer Anpassungen in ihren Gleichberechtigungsgesetzen vornehmen müssen, sofern sie bisher keine Öffnungsklauseln bzw. Einzelfallprüfungen vorsehen. Man muß so etwas nämlich noch überprüfen können. Es kann vielleicht auch Ausnahmen geben. Deswegen kann man, meine ich, mit dieser starren Quote einfach nicht arbeiten.
Meine Damen und Herren, eines ist jedoch schon sicher - das sehe ich eben so -: Das Urteil ist kein Rückschlag für die Sache der Frauen. Es bedeutet nicht das Aus für die Frauenförderung. Im Gegenteil, die EG-Gleichbehandlungsrichtlinie läßt genügend Spielraum für umfassende Regelungen zur Verbesserung der Chancen von Frauen in den EU-Mitgliedstaaten.
Wir brauchen auf jeden Fall weiterhin - darüber sind wir uns einig - flexible Quoten und verbindliche Frauenförderpläne mit verbindlicher Zielrichtung und vor allem deren Umsetzung. Diese sind z. B. im Gleichberechtigungsgesetz des Bundes verankert, das von dem EuGH-Urteil in keiner Weise berührt ist. Genauso wichtig, vielleicht noch wichtiger, ist es jedoch, Regelungen zu finden, die Familie und Beruf vereinbar machen, und zwar auch für Männer. Dazu gehören nicht nur flexible Teilzeitangebote und ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Im übrigen rufe ich Sie auf, meine Damen und Herren der SPD: Lösen Sie die Kindergartenplatzgarantie per 1. Januar 1996 ein!
Es muß auch sichergestellt sein, daß die Karrierechancen trotz einer Familienpause gegeben sind. In anderen Ländern - siehe Skandinavien - wurde das bereits erreicht, und zwar ohne starre Quoten und ideologischem Eifer.
Ich denke, auch wir sind kreativ genug, um intelligentere Lösungen für die Frauenförderung durchzusetzen als eben die starre Quote.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der 4. Weltfrauenkonferenz sagten Sie, Frau Nolte, den Worten müßten jetzt Taten folgen. Die Tinte unter der Aktionsplattform, die auf der Weltfrauenkonferenz unterschrieben wurde, war noch nicht trocken, da hatten wir Gelegenheit, Ihre frauenpolitischen Taten zu erfahren. Anders, als Sie hier glauben machen wollen, war die Bundesrepublik Deutschland das einzige Land, das ein Veto gegen das schon zitierte EG-Aktionsprogramm für Chancengleichheit einlegte. Auf Grund der Einstimmigkeitsregelung in Europa ist dieses Frauenförderprogramm durch das Nein der Bundesregierung damit zunächst geplatzt.
Welche Ausflüchte Sie sich hier auch immer ausdenken, Tatsache bleibt: Sie haben mit Ihrem Veto Europas Frauen im Stich gelassen und sind zugleich mehrfach wortbrüchig geworden.
Es ist nämlich noch kein Jahr vergangen, als Sie, Frau Ministerin Nolte, anläßlich der Preisverleihung „Frauen für Europa" in Ihrer Festrede wie folgt formulierten:
Die Bundesrepublik Deutschland hat immer dafür gekämpft, daß die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der EU nicht an den Rand gedrängt wird.
Dann fahren Sie fort: Was für andere Politikbereiche gelte, „stimmt auch für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Es reicht nicht, sie allein nationalstaatlich voranzutreiben, wir müssen auch im größeren Rahmen gemeinsam handeln." Wie recht Sie haben könnten, wenn Sie es nur einfach täten!
Es ist skandalös, wenn man solche Worte verkündet und fast im gleichen Atemzug das Programm, das die Gleichberechtigung von Frau und Mann in Europa fördern soll, als einziges Mitgliedsland ablehnt. Wo bleibt da die Wahrhaftigkeit gegenüber dem Volk?
Damit wir auch alle wissen, wozu die Bundesregierung nein gesagt hat, nur einige Beispiele: Die Bundesregierung will keine integrierten Gleichstellungsprojekte fördern, die die geschlechtsspezifische Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Ausbildung überwinden helfen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern und insbesondere Frauen in ländlichen Gebieten eine faire Chance auf Erwerbstätigkeit geben. Die Bundesregierung will keine Forschungen fördern, die die Auswirkungen der sich wandelnden Wirtschaft und zunehmender flexibler Arbeitszeitregelungen auf Frauen erkunden und positive Maßnahmen entwikkeln sollen usw.
Wenn Sie sich nun auf das Subsidiaritätsprinzip berufen und meinen, nicht die Gemeinschaft müsse tätig werden, sondern die einzelnen Staaten, dann sage ich Ihnen: Das sind Ausflüchte, weil der deut-
Dr. Edith Niehuis
sehe Finanzminister aus finanziellen Gründen Einspruch einlegte.
Aber wenn es so wäre, daß es keine Gemeinschaftsaufgabe ist, dann müßten Sie uns im gleichen Zuge hier die nationalen Programme vorstellen, die Sie statt der europäischen bei uns neu auflegen wollen.
In Wahrheit versuchen Sie jedoch, die Frauenpolitik nicht nur national, sondern auch noch europapolitisch gen Null zu fahren, und das ist nicht Subsidiarität.
Die Kohl-Regierung hat sich an dieser Stelle kräftig entlarvt, und das ärgert Sie. Aber eines sage ich Ihnen: Sie haben selbst das Bundesfrauenministerium in Bonn endgültig zum Etikettenschwindel gemacht.
Da Sie mit Ihrem Vorgehen auch mehrere Artikel der gerade beschlossenen Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz verletzt haben, haben Sie sich europäisch und international blamiert und als unzuverlässige Partnerin entpuppt, und dies kann nicht im deutschen Interesse sein.
Darum erwarten wir von Ihnen, daß Sie im Dezember in Europa die letzte noch mögliche Chance ergreifen, diese frauenfeindliche Politik wieder rückgängig zu machen.
Angesichts dieses Verhaltens der Bundesregierung auf europäischer Ebene blicke ich mit großer Sorge auf die Revisionsverhandlungen zum EU-Vertrag im nächsten Jahr. Dies tue ich um so mehr, als Sie, Frau Ministerin Nolte, wie jetzt auch Frau Schmalz-Jacobsen, den Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs in der letzten Woche mit den Worten kommentierten, dieses Urteil habe für Rechtssicherheit gesorgt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Europäische Gerichtshof hat eine wichtige Richtlinie in einem Einzelfall erstmals so ausgelegt, wie sie bisher nicht interpretiert wurde. Insofern geht es jetzt darum, die entstandene Rechtsunsicherheit in der europäischen Gleichstellungspolitik zu beenden, die betroffene Richtlinie auf europäischer Ebene zu präzisieren und die Frauenrechte im EU-Vertrag für Frauen einklagbar zu verankern, was leider im Vertrag von Maastricht noch nicht geschehen ist.
Hier hätten wir von Ihnen eigentlich konkrete Vorschläge erwartet und nicht wieder hohle Worte. Sie brauchen auch nicht bis 1996 zu warten. Sie können jetzt schon etwas tun. Sie können als Bundesregierung die Frauenquote für den Europäischen Gerichtshof einfordern. Es ist doch für uns Frauen unerträglich, daß im Europäischen Gerichtshof nur Männer Recht sprechen. Diese hunderprozentige Männerquote muß ein Ende haben.
Ich fürchte allerdings auch, hier werden wir auf ein Signal ,seitens der Bundesregierung lange warten müssen. Der CDU-Parteitag hat gezeigt, daß die Gleichstellung von Frau und Mann für die CDU keine wichtige Zukunftsfrage ist. Sie bleiben bei ihrer Ablehnung der Quote und zeigen zugleich keinen erfolgreichen Weg auf, wie man den Frauen das ihnen zustehende Recht auf angemessene Beteiligung anders ermöglichen könnte. Ich sage schlichtweg: Sie ziehen es vor, schlichte Neinsager zu bleiben. Sie ziehen es vor, Parteien zu bleiben, die weiterhin mit einer starren Männerquote Politik machen wollen.
Zu gerne würde ich an dieser Stelle sagen: Das ist ausschließlich Ihr Problem. Aber leider kann ich das nicht. Seit Jahren kann man in der Politik der Bundesregierung beobachten, daß Sie Ihre Männermehrheit zu Lasten der Frauen in der Republik einsetzen, und zwar nicht nur national, sondern nun auch europapolitisch. Um der Frauen willen hätte ich mir sehr gewünscht, die CDU-Frauen hätten das Quorum auf Ihrem Parteitag, das ohnehin nur einen Minimalkonsens dargestellt hätte, durchsetzen können. Der Kanzler hätte vielleicht doch ein bißchen mehr Herz und Verstand in diese Aufgabe legen sollen.
Ich möchte mit einem Zitat aus Ihrer Rede, Frau Ministerin, auf dem CDU-Parteitag enden.
Frau Kollegin, bitte zitieren Sie nicht mehr zu lange. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Das ist doch der letzte Satz, Herr Präsident.
Gut, dann ist es in Ordnung.
Ihren wunderschönen Satz auf dem CDU-Parteitag möchte ich noch zitieren:
Wenn wir heute nicht ein Zeichen setzen, dann brauchen wir in der nächsten Zukunft darüber nicht mehr zu diskutieren, weil man uns unsere Beschlüsse ohne Wirkung nicht mehr abnimmt.
Das ist die exakte Beschreibung Ihrer Politik.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Claudia Nolte.
Herr Präsident! Liebe Kollegin Niehuis! Damit sich nichts Falsches festsetzt, möchte ich zu einem Punkt eine Richtigstellung vornehmen. Auf das 4. Aktionsprogramm bezogen ist zu sagen, daß noch keine Ratssitzung mit einer Entscheidung stattgefunden hat. Es gab eine erste Orientierungsdebatte, bei der wir in der Tat darauf verwiesen haben: Bei dieser Rechtsgrundlage ergeben sich für uns Fragen. Wir möchten hier bitte näher erläutert haben, warum man auf diese Rechtsgrundlage zurückgreift. Ebenso haben andere Staaten einige Kritikpunkte vorgetragen. Eine abschließende Debatte, bei der es um die Entscheidung über das Programm geht, wird erst im November stattfinden. Dies jetzt nur, um das noch einmal richtigzustellen.
Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Frau Kollegin Nolte, ich habe das Protokoll des Allgemeinen Rates der Ständigen Vertreter vor mir. Dort ist ausdrücklich eine Weisung enthalten, die die Bundesregierung dem Rat der Ständigen Vertreter erteilt hat. Dort heißt es:
Der Vorbehalt der Bundesregierung gegen das 4. Aktionsprogramm Chancengleichheit, wie er in der Sitzung der Gruppe Sozialfragen am 19./ 20. 09. 1995 vorgebracht wurde, bleibt weiterhin bestehen, da mit dem Entwurf fundamentale Subsidiaritätsprobleme verbunden sind.
Ich fordere Sie, Frau Kollegin Nolte, jetzt auf, zu sagen, was die Position der Bundesregierung ist. Ich fordere auch die Vertreter der Bundesregierung oder des Kanzleramtes auf, diese Frage einmal klarzustellen; denn nach meiner Kenntnis ist diese Weisung qua Kanzleramt ausdrücklich veranlaßt worden. Ich frage hier: Was ist die Position der Bundesregierung? Das mindeste, was ich von Ihnen erwarten würde - ich traue es Ihnen zu - ist dies: Stellen Sie sich hier hin, und sagen Sie, Sie halten dies für eine falsche Weisung, und Sie wollen sich dafür engagieren, daß die Regierung eine andere Position bezieht.
Das wäre eine Position einer Frauenministerin, die ich gut fände.
Ich will zweitens folgendes anfügen - die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger folgt ja der Debatte -: Ich entnehme der Zeitung von heute - ich sage es noch einmal und warte, ob es jetzt endlich eine Klarstellung oder eine entsprechende Korrektur gibt -, daß das Bundeskabinett an Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Frauenministerin Nolte den Auftrag gegeben hat, zu prüfen - ich zitiere -,
ob die Frauenförderung und die Gleichstellung der Geschlechter durch die Europäische Union .. . geregelt werden dürften.
Das heißt auf gut deutsch, hier wird der Versuch gemacht, unter dem Stichwort Subsidiarität alles abzuräumen, was in der Europäischen Union an Instrumenten zur Herbeiführung der Gleichberechtigung vorhanden ist.
Ich fordere Sie jetzt auf, in dieser Debatte nicht nur wolkige Erklärungen zugunsten der Frauen abzugeben. Was zählt, ist das Verhandeln in Brüssel und bei der Europäischen Union. Wir wollen hier in der Debatte im Deutschen Bundestag Klarheit und Wahrheit auf den Tisch.
Ich erteile das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die starre Quote ist tot, es lebe die flexible Quote, die Schlupflöcher für Männer läßt, damit sie trotz gleicher Qualifikation Frauen vorgezogen werden können.
So könnte, salopp gesprochen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes interpretiert werden. Dennoch kein Ende der Quote, wie es uns vor allem daran interessierte Männer - u. a. auch unser Kollege, der Rechtsprofessor Rupert Scholz - weismachen wollen, und erst recht kein Ende der Frauenförderung.
Aber in einem muß ich Frau Sothmann zustimmen: Die gesellschaftliche Signalwirkung dieses Urteils ist fatal. Elf Personen, die allesamt einem Geschlecht angehören, das seit Jahrzehnten zu den bevorzugten in der Arbeitswelt gehört, haben entschieden, daß trotz der bekannten strukturellen Benachteiligung von Frauen diese bei gleicher Qualifikation nicht per se bevorzugt werden dürfen. Wieder einmal wurde das Recht eines einzelnen Mannes höher bewertet als die Durchsetzung der Gleichberechtigung - und das, obwohl eine EG-Richtlinie Maßnahmen zur Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten zuläßt.
In der späteren Empfehlung zur Anwendung dieser Richtlinie unterstützt sogar der Ministerrat Aktionen zur Förderung der Einstellung und des Aufstiegs von Frauen. Das Urteil verkennt, daß bisher in der Regel selbst bei gleicher Qualifikation Männer bevorzugt wurden.
Wir halten dagegen daran fest, positive Maßnahmen wie die leistungsbezogene Quote bei gleicher Qualifikation stellen keine Diskriminierung der Männer dar, sondern diese Quote ist ein Mittel gegen
Irmingard Schewe-Gerigk
Männerbünde und Männerquoten ohne Leistungsnachweis.
Ich stelle bei dieser Gelegenheit einmal die Frage, wieso die existierenden Soldatenquoten eigentlich keine Diskriminierung gegenüber Frauen darstellen. Aber Gerichtsschelte ist hier nicht angesagt. Die peinlichen Richteranschuldigungen der Kruzifixbefürworter haben uns ja sehr eindrucksvoll vorgeführt, zu welchen Äußerungen sich insbesondere konservative Politiker hinreißen lassen. Das Gericht hat entschieden. Es gibt keine juristische Möglichkeit, dieses richterliche Votum zu korrigieren, aber es gibt eine politische. Das heißt, es ist höchste Zeit, das europäische Recht zu verändern.
Meine Damen und Herren der Bundesregierung, Frau Nolte, wir sehen hier Handlungsbedarf. Setzen Sie sich gegenüber der Europäischen Kommission für eine Novellierung der Gleichbehandlungsrichtlinie ein. Sie muß vorsehen, daß es eben keine Diskriminierung von Männern ist, wenn Frauen bei gleicher Qualifikation so lange bevorzugt werden, wie sie benachteiligt sind. Gleiches muß gleich, Ungleiches kann aber ungleich behandelt werden. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Dringend muß bei der Überprüfung des Vertrages von Maastricht ein Gleichstellungsgebot aufgenommen werden. Gleichstellung muß als Querschnittaufgabe in alle Politikfelder der EU aufgenommen werden.
Es ist doch ein großes Hemmnis, daß die Gleichstellungspolitik bisher keine originäre Gemeinschaftspolitik ist. Darum muß der EG-Vertrag diese ausdrückliche Zuständigkeit enthalten.
Ferner ist sicherzustellen, daß von Mitgliedstaaten durchgeführte Fördermaßnahmen für Frauen nicht als unzulässige Bevorzugung gewertet werden. Das hat zur Folge, daß sich die Gemeinschaft in der Präambel, in den Zielen und im Aufgabenkatalog auf die Gleichstellung verpflichtet. Dazu gehört auch ein Diskriminierungsverbot als ein Grundrecht, das das Geschlecht, aber auch Rasse, Herkunft, Alter, Behinderung und nicht zuletzt auch die sexuelle Orientierung umfaßt.
Wir sollten schließlich noch eines tun: Wir sollten das Urteil beim Wort nehmen und gleiche Ausgangsbedingungen für Männer und Frauen schaffen. Treten wir Frauen doch per Gesetz die Hälfte des Erziehungsurlaubs und die Hälfte der unbezahlten Hausarbeit ab! Dann haben wir gleiche Startchancen, wie es das Gericht vorsieht.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kollegen Professor Dr. Rupert Scholz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und die europäische Frauenpolitik. Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, über Fragen zu diskutieren, die in unserem Land eigentlich entschieden sind. Deshalb lassen Sie mich zunächst eine Bemerkung dazu machen.
Hier wird für die starre Quote eingetreten. Meine Damen und Herren, wir haben Art. 3 des Grundgesetzes durch die Verfassungsreform ergänzt, und zwar, wie ich denke, in einem sehr guten und vor allem den Frauen helfenden Sinne. Wir haben klargestellt, daß der Staat für die reale Durchsetzung der Gleichberechtigung zuständig ist und aktiv auf den Abbau von Nachteilen hinzuwirken hat.
Einigkeit in der Verfassungskommission, auch bei den Sozialdemokraten, bestand aber ebenfalls darüber, daß die starre Quote mit dieser Bestimmung nicht vereinbar ist. Nichts anderes hat der Europäische Gerichtshof auf der Grundlage der genannten Richtlinie entschieden. Er hat gesagt, daß die starre Quote mit ihrer Automatik nicht verfassungsmäßig und damit auch nicht europarechtskonform ist.
Auf der anderen Seite hat sich der Europäische Gerichtshof klar zur Förderung der Chancengleichheit für die Frauen bekannt. Deswegen kann ich mich denjenigen Vorrednerinnen anschließen, die da sagen: Nutzen wir doch dieses Urteil.
Sie haben die Bundesregierung wegen des Aktionsprogramms kritisiert. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung - ich kann nur nachdrücklich unterstreichen, wie sich die Ministerin hier eingesetzt hat - hat in bezug auf die Diskussion um das Aktionsprogramm nur ein Problem, das mit den Inhalten überhaupt nichts zu tun hat. Das ist die Frage der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft. Die Europäische Gemeinschaft stützt dieses Aktionsprogramm auf Art. 235, der auf der Grundlage des Maastricht-Urteils des Bundesverfassungsgerichts - das sage ich einmal sehr vorsichtig - als Kompetenzgrundlage äußerst fragwürdig geworden ist.
Wir rufen ständig nach dem Subsidiaritätsprinzip. Ich denke, wir tun das mit Recht. Wir sollten uns aber überlegen, ob wir wirklich damit richtig liegen, gerade auch in Fragen der Frauenförderung den Subsidiaritätsgedanken zu pflegen.
Herr Kollege Scholz - -
Nein, lassen Sie mich den Satz zu Ende führen, Herr Präsident. Anschließend bin ich zu allem bereit.
Dr. Rupert Scholz
Ich weiß nicht, ob wir uns in den Fragen der Frauenförderung wirklich in jeder Beziehung an Standards aus anderen europäischen Mitgliedstaaten orientieren sollten. Ich habe nämlich den Eindruck - das sage ich sehr vorsichtig -, daß wir allen Mängeln und allem, was noch zu leisten ist, zum Trotz in unendlich vielem sehr viel weiter sind. Darüber können wir froh und zufrieden sein, ohne uns gegenüber dem zufriedenzugeben, was noch zu tun ist.
Europäisches Gemeinschaftsrecht bedeutet aber Nivellierung. Es stellt sich die Frage: nach welchem Standard? Auch das muß man sehr sorgfältig prüfen.
In diesem Sinne - bitte noch eine Sekunde, Frau Wieczorek-Zeul - ist das sehr klare Bekenntnis des Europäischen Gerichtshofs zum Prinzip der Frauenförderung auf der Grundlage der Förderung von Chancengleichheit, allerdings unter Verwerfung der starren Quote, ein durchaus zu nutzender und nach vorne weisender Ansatz.
Bitte, Frau Wieczorek-Zeul.
Herr Professor Scholz, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie, höflich ausgedrückt, einen gewissen Widerspruch darin sehen, daß die Bundesregierung den drei Vorläufern des Frauenaktionsprogramms - es gibt ja bereits drei - zugestimmt hat und erst jetzt, beim vierten, das Problem entdeckt? Hängt das nicht mehr mit der finanziellen als mit der rechtlichen Seite zusammen?
Frau WieczorekZeul, Sie übersehen etwas, worauf ich eben ausdrücklich hingewiesen habe: In der Zwischenzeit ist das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergangen. Das ist der entscheidende Punkt. Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat klargestellt - Sie wissen das ganz genau -, daß es keine originäre Kompetenzkompetenz in Brüssel gibt. Art. 235 beinhaltet eine Kompetenzkompetenz, zumindest eine verkappte. Aus diesem Grunde muß die Bundesregierung in diesen Fragen in der Tat sehr sorgfältig prüfen. Dies ist früher anders gesehen worden.
Ich will durchaus einräumen, daß das Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf der Grundlage der Diskriminierungsrichtlinie implizit sehr deutlich die Kompetenz der EG für Frauenförderung bestätigt hat, jedenfalls soweit es um Antidiskriminierung geht. Das ist wahrscheinlich sogar ein Fortschritt, und auch das ermuntert mich, dazu einzuladen und aufzufordern, daß wir dieses Urteil positiv nutzen und es nicht beschimpfen und verunglimpfen oder es gar als Rückschlag ansehen.
Die Kollegin WieczorekZeul würde gern eine Zusatzfrage stellen.
Gern.
Herr Kollege Professor Scholz, würden Sie nicht auch ein Problem in der Tatsache sehen, daß Sie Art. 235 als Grundlage ablehnen? Es hat ja schon viele Fälle gegeben, bei denen nachher ein anderer Artikel des EU-Vertrages, z. B. Art. 119, zugrunde gelegt worden ist. Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie bereit wären, das Frauenaktionsprogramm, wenn es auf einem anderen Artikel des EU-Vertrages basiert, zu akzeptieren?
Ich habe nichts anderes gesagt. Insofern treffen wir uns durchaus, wenn wir die Kompetenzfrage vernünftig - ich sage es einmal salopp - auf die Reihe bringen. - Bleiben Sie bitte sitzen. Ich lade Sie dazu herzlich ein!
Wenn die Kompetenzfrage vernünftig geregelt wird - ich bin sehr dafür -, dann werden auch die Bundesregierung und die Fraktion der CDU/CSU voll dahinterstehen. Genau das ist der entscheidende Punkt.
Nur, ich warne wiederum vor etwas. Ich darf das wiederholen. Ich warne davor, im Lichte des Maastricht-Urteils Dinge zu vergessen, die jetzt nicht mehr vergessen werden dürfen. Das müßte eigentlich auch in Ihrem Sinne sein. Ich denke, wenn wir wirklich vernünftig den Gesamtrahmen hier sehen, dann sind wir uns doch darüber einig, daß das Subsidiaritätsprinzip gerade von uns Deutschen mit Recht mit Nachdruck gegenüber der Europäischen Gemeinschaft und auch den vielen Überregulierungsbestrebungen in vielen Feldern viel stärker betont und verfolgt werden muß. Darin war sich dieses Haus, wenn ich das richtig sehe, eigentlich immer einig.
Deshalb denke ich: Machen wir eine vernünftige subsidiaritätsgerechte Politik! Nutzen wir das, was aus Brüssel und über das Gemeinschaftsrecht realisiert werden kann, aber schlagen wir keine Schlachten mit verkehrten Fronten. Ich habe den Eindruck, daß dies in der Interpretation, die Sie von der Opposition hier im wesentlichen vertreten haben, mit diesem Urteil de's Europäischen Gerichtshofs geschehen ist. Dieses Urteil bedeutet - damit darf ich schließen - eine echte, nach vorne weisende Chance, und diese sollte man nutzen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack.
Herr Professor Scholz, ich möchte mich auf Ihren Redebeitrag beziehen, möchte aber jetzt nicht so sehr auf die immanent juristische Argumentation eingehen, sondern möchte Sie fragen, ob es nicht auch nach Ihrer Meinung zutrifft, daß, wenn eine starre Quote gegen eine aktive Politik zum Abbau von Benachteiligungen ausgespielt wird, es den politischen Willen aller in diesem Haus versammelten Parteien voraussetzt, das auch umzusetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die symbolische Wirkung des EuGH-Urteils nicht nur für die
Dr. Angelika Köster-Loßack
Bundesebene, sondern auch für die Länder und für die Kommunen eingehen, aber auch über den nationalen Tellerrand hinausblicken und die verheerende psychologische Wirkung dieses Urteils in anderen Ländern der Gemeinschaft ansprechen. Es ist nämlich nicht so, daß Urteile, die gefällt werden - sei es von einem prinzipiell von Männern besetzten Gremium oder einem paritätisch besetzten Gremium -, einfach in dem luftleeren Raum der Paragraphen stehen, sondern es ist doch so, daß Rechtsetzungen immer in einem bestimmten Zusammenhang erfolgen. Dieser Zusammenhang ist meiner Ansicht nach dadurch gekennzeichnet, daß sich die strukturellen Veränderungen in Europa und in Deutschland in den letzten fünf, sechs Jahren so gestalten, daß eine wirkliche Chance zur Umsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen kaum noch besteht, d. h., daß die Möglichkeiten, die wir in Bildung und Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt schaffen wollen, einfach nicht mehr umsetzbar sind.
Europaweit sieht es noch dramatischer aus. Da denke ich nicht nur an die Länder Südeuropas und Südosteuropas, sondern auch an die mittelosteuropäischen Staaten, die noch nicht im Rahmen der Europäischen Union einbezogen sind.
Die politische Großwetterlage läuft strukturell auf jeden Fall darauf hinaus, daß politischer Wille, den ich noch nicht einmal in diesem Hause bei allen Parteien dezidiert erkennen kann, nicht ohne weiteres umgesetzt werden könnte. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir im Anschluß an dieses Urteil, das Sie als Chance bezeichnen, zu ganz anderen Maßnahmen, zu ganz anderen Vorschlägen kommen, um die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, die nicht nur bei uns besteht, sondern auch in vielen anderen Ländern der Gemeinschaft, abzubauen. Es handelt sich hier auch um eine kulturelle und eine soziale Frage von großer Bedeutung, die nicht allein in juristischen Kategorien verhandelt werden kann.
Professor Scholz zur Replik.
Frau Kollegin, Sie haben den Bogen sehr weit geschlagen, aber dieser weite Bogen belegt, wie richtig mein Satz ist, daß wir die Chance nutzen sollten. Lassen Sie mich noch einmal auf die Richtlinie zurückblenden. Die Richtlinie beinhaltet ein Diskriminierungsverbot. Das bedeutet im Grunde Abwehr, die Entscheidung der Vermeidung bestimmter Diskriminierungen und Benachteiligungen. Das Urteil geht aber genau genommen über dieses - ich nenne es einmal so - repressive Diskriminierungsverbot hinaus, indem es ausdrücklich bestätigt, daß Maßnahmen der positiven, der aktiven Frauenförderung gemeinschaftsrechtskonform, auf der Grundlage dieser Richtlinie legitim sind. Das gilt jetzt europaweit. Auf dieser Grundlage können Sie wirklich etwas bewegen, auch in dem weit gespannten Bogen, den Sie eben genannt haben. In diesem Sinne ist das Urteil ein wirklich nach vorne weisendes und nicht etwa ein rückständiges oder rückweisendes Urteil, wie es von Ihnen im übrigen behauptet wird.
Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich Professor Dr. Jürgen Meyer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechtlichen Ausführungen des Kollegen Scholz veranlassen mich zu folgenden Hinweisen. Erstens. Es ist nicht richtig, daß Art. 3 des Grundgesetzes in der neuen Fassung einer vom Kollegen Scholz so bezeichneten starren Quote wie in Bremen entgegenstünde. Herr Kollege Scholz, Sie haben übersehen, daß das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt hat, daß eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes durch das Bremer Gesetz nicht vorliege, weshalb auch kein Beschluß auf Vorlage beim Karlsruher Verfassungsgericht erfolgt ist.
Zweitens. Reden wir also über Europarecht, denn darum geht es. Wie Sie wissen, ist in Art. F Abs. 2 des EU-Vertrages ausdrücklich die Anerkennung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen geregelt. Es ist keine deutsche Spezialität, daß in der Verfassung ein Gleichstellungsgebot steht. Man könnte also, indem man Art. F des EU-Vertrages ausbaut, in der von uns geforderten Grundrechtscharta das Europarecht weiterentwickeln. Die Konkretisierung gerade des Gleichstellungsgebotes ist bisher europarechtlich höchst unvollkommen. Sie findet sich vor allem in Art. 119 des EG-Vertrages: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das reicht bei weitem nicht.
Drittens. Streiten Sie mit uns gemeinsam dafür, daß europarechtlich etwas geschieht, statt - das ist meine letzte Bemerkung zu Ihren Ausführungen - aus dem Subsidiaritätsprinzip neuartige Bedenken gegen Aktionsprogramme zu erfinden, die bisher, wie wir alle wissen, nicht geltend gemacht worden sind.
Der Art. 235 des EG-Vertrages ist, wenn man ihn richtig liest, geradezu eine Ausformung des Subsidiaritätsprinzips. Denn dort werden Programme für den Fall vorgesehen, daß sie „erforderlich" erscheinen. Erforderlichkeit ist in europarechtlicher Terminologie ein anderer Ausdruck für Subsidiarität. Lassen wir also das Heranziehen völlig neuartiger Auslegungen, um vernünftige Fortschritte durch vernünftige Programme nicht zu behindern!
Kollege Scholz zur Replik.
Es tut mir leid, Herr Präsident, daß ich noch einmal antworten muß, aber jetzt ging sehr viel durcheinander, Herr Meyer.
Dr. Rupert Scholz
Erstens. Das Bundesarbeitsgericht hat im Vorabentscheidungsverfahren entschieden. Das Vorabentscheidungsverfahren geht in solchen Fällen vor. Sie haben zwar die Möglichkeit, nach Art. 100 Grundgesetz auch nach Karlsruhe zu gehen, aber das müssen Sie nicht. Hier ging es um eine arbeitsrechtliche Frage.
Zweitens. Lieber Herr Meyer, wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie nicht Mitglied der Verfassungskommission. Ist das richtig, oder waren Sie Mitglied? - Dann müßten Sie sich sehr wohl daran erinnern, daß auch Ihre Fraktion ganz eindeutig bei der Neufassung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes die Meinung mitgetragen hat - das können Sie im Bericht nachlesen, das war einstimmige Auffassung -, daß die starre Quote vom neuen Art. 3 nicht gedeckt wird.
Also, ich würde das jetzt an Ihrer Stelle nicht mehr umkehren wollen.
- Das ist genau so gewesen.
Jetzt zum Art. 235. Ich nehme an, Sie haben mir nicht zugehört, lieber Herr Meyer. Der Art. 235 ist problematisch geworden als verkappte oder auch direkte Kompetenzkompetenz seit dem MaastrichtUrteil. Ich habe vorhin deutlich darauf hingewiesen, daß dies erst jetzt nach dem Maastricht-Urteil natürlich von der Bundesregierung bedacht werden muß. Früher hat man das anders gesehen; da ist über Art. 235 ja unendlich viel gelaufen, übrigens mit vielfältiger Kritik aus der Bundesrepublik.
Man sollte also auch hier nicht selektiv argumentieren, sondern sollte schon den richtigen Rahmen der Argumentation wahren, denn nur dann ist das Ganze schlüssig.
Wir haben das Instrument der Kurzintervention und auch die Möglichkeit, auf eine Kurzintervention mit einer Kurzintervention zu antworten, eingeführt. Aber wir kommen natürlich völlig aus dem Tritt, wenn nach zwei Kurzinterventionen und zwei Repliken
eine weitere Kurzintervention kommt.
- Entschuldigung, lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich bitte Sie ja nur herzlich, daran zu denken, daß wir auch einigermaßen im Sinne unserer Sitzungsplanung vorankommen, wobei ich nicht dafür bin, von der Verlebendigung durch die Kurzinterventionen etwas abzuschneiden. Aber es muß irgendwo im Gleichgewicht bleiben.
Jetzt hat sich nach mehrmaliger Aufforderung, zu einer bestimmten Frage Stellung zu nehmen, die Bundesministerin Nolte gemeldet, der ich hiermit das Wort gebe.
- Bitte?
- Das ist registriert, natürlich. Sie sind immer registriert, Frau Kollegin.
Bitte!
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Ich wollte Bezug nehmen auf die Fragestellung von Frau Kollegin Wieczorek-Zeul. Natürlich haben wir hier auf die Rechtsgrundlagen zu achten, wenn es um gemeinsame Programme der Europäischen Gemeinschaft geht, nicht zuletzt auf Grund des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Ich denke, Rupert Scholz hat hier das Wesentliche ausgeführt, nicht zuletzt zu der Tatsache, daß die anderen Programme vor diesem Urteil bestanden haben.
Das von Ihnen zitierte Protokoll ist insofern in Ordnung, als es den Sachverhalt wiedergibt, daß wir von der Kommission eine juristisch untersetzte Begründung haben wollten, warum sie auf Art. 235 abstellt. Weil das rechtlich nicht geklärt ist, wurde von deutscher Seite gesagt, daß wir unsere Kritik, unsere Anfrage aufrechterhalten werden.
Diese rechtliche Klarstellung steht aus; wir werden sie abwarten, und dann müssen wir neu über das, was die Kommmission uns sagen wird, beraten.
- Das ist genau der Sachstand, daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln.
Auch in diesem Zusammenhang ist - um auf Ihre andere Frage einzugehen - die Diskussion innerhalb des Kabinetts zu verstehen, daß insgesamt die Frage nach Subsidiarität und nach Frauenförderung aufgeworfen worden ist, was nicht im näheren Zusammenhang zueinander steht oder konzentriert auf diese Richtlinie zu reduzieren ist.
Frau Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Verehrter Herr Präsident, Sie müssen schon Verständnis dafür haben, daß auch dann, wenn es um die juristische Auseinandersetzung um die Quote geht, Frauen sich selber zu Wort melden und diese Auseinandersetzung nicht alleine Männern überlassen wollen.
Deswegen habe ich mich gemeldet, als der sehr verehrte Kollege Scholz das Wort ergriff.
Erstens sollte man, glaube ich, festhalten, daß das Bundesarbeitsgericht eben ausdrücklich keine verfassungsrechtlichen Bedenken in dem vorgelegten Fall hatte; dabei hat es die Bremer Regelung sorgfältig geprüft.
Zweitens, um jetzt auf die Verfassungskommission zu sprechen zu kommen: Es ist völlig richtig, daß diese Frage Sie, Herr Scholz, und uns außerordentlich stark entzweit hat. Zuzustimmen ist Ihnen in bezug auf die Verfassungskommission dahin gehend, daß keine Verpflichtung zu einer weitergehenden Quote aus der jetzigen Formulierung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes gefolgert würde. Aber hinsichtlich Ihrer Konsequenz, daß diese nicht einmal zulässig sei, kann ich Ihnen ausdrücklich nicht zustimmen. Ich meine, dieser Eindruck darf hier auch nicht erweckt werden.
Der dritte Punkt, Herr Präsident, ist: Frauenförderung und Quote - dies alles ist nicht nur eine juristische Frage; dies ist eine evident politische und auch eine demokratietheoretische Frage. Wer heute meint, Frauen müßten ausdrücklich begründen, warum sie auch angemessen an führenden Positionen beteiligt sein sollen, hat einfach nicht verstanden, worum es geht.
Das ist doch etwas Selbstverständliches!
Aus diesem Grund sagen wir: Die Konsequenz aus dem EuGH-Urteil kann eigentlich nur sein - ich wende mich hier auch an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -, daß Sie selbst und die Bundesregierung die Initiative ergreifen, daß die Richtlinie insoweit schnell präzisiert wird.
Danke schön.
Herr Kollege Scholz, Sie wollen nicht replizieren?
- Dann Herr Kollege Eylmann, bitte.
Ich erkläre hiermit: Das ist jetzt die letzte Kurzintervention.
Ich will nur, Frau Kollegin, in aller Kürze darauf hinweisen, daß das Bundesarbeitsgericht - Sie können das in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nachlesen - stillschweigend eine Härteklausel in die starre Quote hineininterpretiert hat.
Daraus ergibt sich zwingend, daß das Bundesarbeitsgericht eine starre Quote für einen Verstoß sowohl gegen unsere Verfassung als auch gegen die Richtlinie hält.
Es ging im vorliegenden Falle nur um die Frage, ob es zulässig sei, eine Härteklausel hineinzuinterpretieren. Wir wissen: Unsere deutschen oberen Richter sind manchmal im Auslegen, wie Goethe sagte, frisch und munter; sie legen es häufig nicht aus, sondern sie legen es auch unter.
Um diese Frage ging es. Diesen Versuch des Bundesarbeitsgerichts, stillschweigend die starre Quote aufzulösen, hat der Europäische Gerichtshof nicht mitgemacht.
Frau Kollegin Hanna Wolf, jetzt haben Sie das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Frau Ministerin: Mit Ihrem letzten Beitrag haben Sie das, was Sie vorher abgestritten haben, jetzt eigentlich bestätigt, nämlich das Nein der Bundesregierung.
Die CDU wollte sich in der letzten Woche anschikken, die Zukunft zu gestalten. Die 30-%-Zukunft der Frauen in der CDU war schon am dritten Tag vorbei. Frau Süssmuth, von dieser Stelle möchte ich Ihnen gern meinen Respekt für Ihre unendliche Geduld in dieser Frage bekunden.
Was die Zukunft der Frauen allgemein angeht, arbeitet sich die Opposition - wir erleben es heute hier wieder - schon seit vielen Jahren an der Dickfelligkeit dieser Bundesregierung ab.
Dazu paßt, daß Vertreter der Regierungskoalition das jüngste Urteil zur Quote offen begrüßten. Wir er-
Hanna Wolf
leben das hier ja wieder. In ihrer sogenannten Frauenförderpolitik stimmt die Bundesregierung nämlich in einem Punkt mit dem Urteil der Luxemburger Herrenrunde völlig überein: Auch sie spricht nur von gleichen Startchancen, statt eine Ergebnisgleichheit anzustreben. Das entsprechende Gesetz der Bundesregierung heißt denn auch „Gleichberechtigungsgesetz" und nicht, wie unser Entwurf, „Gleichstellungsgesetz".
Deshalb läßt die Bundesregierung auch Herrn Lanfermann, bekannt als frauenpolitischer Sprecher - er glänzt ja heute durch Abwesenheit; ich vermisse ihn nicht -,
bundesweit dieses Urteil loben, obwohl wir uns vor langer Zeit - Herr Scholz ist ja darauf eingegangen - auf eine Verstärkung des Gleichberechtigungsartikels im Grundgesetz geeinigt haben. Das Grundgesetz schreibt jetzt vor:
Der Staat fördert die tatsächliche ... Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Herr Scholz, was Sie heute probiert haben, ist, auch diesen Satz zur Makulatur zu machen.
Er bedeutet nämlich mehr als nur Frauenförderung durch Fortbildung; er meint die tatsächliche Gleichstellung von Frauen.
Die Regierungsmehrheit hat letztes Jahr ihr sogenanntes Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet, das nur für 1 % der weiblichen Bevölkerung zutrifft, nämlich nur für die Beschäftigten der Bundesbehörden. Von der Privatwirtschaft ist natürlich nicht die Rede. Noch dazu verpflichtet dieses Gesetz zu fast nichts; es wimmelt nämlich nur so von Kann-Bestimmungen.
Die Bundesregierung - Frau Nolte, jetzt bitte ich Sie sehr um Aufmerksamkeit - hat gerade Zahlen zur Umsetzung dieses Gesetzes im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgelegt. Ich habe mir erlaubt, auszurechnen, wann danach in diesem Ministerium Geschlechterparität einkehren wird: auf der Ebene der Abteilungsleitung nie, auf der Ebene der Unterabteilungsleitung nie, auf der Ebene der Referatsleitung in 481 Jahren, auf der Ebene der Referenten in 464 Jahren und im Ministerium insgesamt in 212 Jahren - tolles Gesetz!
Und dazu weist die Bundesregierung in ihrem Bericht eigens darauf hin, daß in diesem Ministerium gegenüber anderen Ressorts keine Besonderheiten vorliegen. Das nenne ich eine geschickte Absicherung der heilen Welt der Männerquote.
Frauenförderung versteht die Bundesregierung als Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - für Mütter. Wo bleibt aber ein Erziehungsgeld in einer Höhe, die auch für Väter attraktiv genug ist, um sich ihren Kindern zu widmen? Wo bleibt ein Arbeitszeitgesetz, das aus Vätern, Müttern und Kindern eine echte Familie macht? Wo bleibt ein Arbeitsförderungsgesetz, das die Frauenarbeit fördert? Wo bleibt das Verbot der sogenannten geringfügigen Beschäftigung?
Und wo bleibt ein Steuerrecht, das nicht mehr einseitig die Alleinverdiener-Ehe - und ganz besonders die ohne Kinder - privilegiert? Wo bleiben überhaupt all die Rahmenbedingungen, die sogar der Luxemburger Generalanwalt Tesauro fordert und die in vielen europäischen Ländern schon heute besser verwirklicht sind als bei uns?
Der Grund dafür, daß Frauen immer wieder an eine unsichtbare Wand stoßen, liegt in dem Frauenbild, das sich die Kohl-Regierung immer noch leistet. Auf dem Gebiet der gesetzlichen Ahndung - oder eben Nichtahndung - von sexueller Gewalt gegen Frauen können wir das am besten ablesen.
Eine Herrenrunde, angeführt von den Juristen Lanfermann und Geis, hat sich z. B. zur Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ein neues und abstruses Rechtsinstrument ausgedacht: die Widerspruchsregelung für das Opfer. Was bedeutet das? Das Opfer selbst darf vom Gewalttäter dann auch noch erpreßt werden. Der Gewalttäter bleibt so „Herr des Verfahrens".
Ausländische Frauen müssen Gewalt ihres Ehemannes ertragen, solange die Bundesregierung ihnen nur ein vom Ehemann abhängiges Aufenthaltsrecht zugesteht. Frauenhandel kann nicht verfolgt werden, solange die Frauen sofort und vor allem vor einem Verfahren gegen die Täter abgeschoben werden.
All das macht Frauen in den Augen der Männer zu einer zu vernachlässigenden Größe. Das führt auch dazu - da bin ich wieder bei unserem Thema „Frauenförderung" -, daß auch Frauen ohne Kinder in der Arbeitswelt nicht entsprechend vorwärtskommen und daß Frauen immer öfter einen Posten oft deshalb nicht bekommen, weil sie plötzlich überqualifiziert - Sie haben richtig gehört: überqualifiziert! - sind.
Das einzige Mittel, wie der heimlichen Männerquote begegnet werden kann, ist eben die explizite Frauenquote.
Ohne die Diskussion um die Frauenquote hätten wir
u. a. noch keine Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Und obwohl meine Kollegin dies schon zi-
Hanna Wolf
tiert hat, möchte ich doch noch einmal darauf hinweisen: Frau Sothmann, wir muten Männern nicht mehr zu als das, was Frauen so lange zugemutet wurde, nämlich besser zu sein als die Konkurrenz aus dem anderen Geschlecht.
Frauenförderung ist mit dieser Bundesregierung nicht zu machen. Denn die tatsächliche Gleichstellung ist dieser Bundesregierung gleich. Sie veranstaltet lieber Männerrituale wie den Großen Zapfenstreich, aber sie gestaltet keine Zukunft für Frauen.
- Sie können ja heute abend alle teilnehmen. Ich hoffe, keine Frau geht da hin.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat das Europäische Parlament das EuGH-Urteil diskutiert. Ich möchte einige Ergebnisse dieser Diskussion an Sie weitergeben.
Erstens erachtet es der Kommissar für Arbeit und Soziales, Padraig Flynn, für unbedingt notwendig, die Rechtsgrundlagen zu schaffen, um jene Mißverständnisse, die mit der Richtlinie von 1976 gegeben sind und Grundlage dieses Urteils waren, auszuräumen und die Rechtslücke auszufüllen.
Zweitens stellt das Parlament fest - nun geht es um die Subsidiarität -, daß die Rechtsgrundlagen so verändert werden müssen, daß die Mitgliedsländer, die heute entsprechende Frauenfördermaßnahmen haben, nicht daran gehindert werden, diese anzuwenden.
Drittens. Denjenigen im Lande, denen die Frauen ohnehin schon viel zu qualifiziert sind und die gesagt haben - dazu gab es große Schlagzeilen - „Endlich Schluß mit der Frauenquote", muß ich ins Gedächtnis rufen: Auf das EuGH-Urteil können sie sich dabei nicht stützen.
Das EuGH-Urteil ist für uns Frauen zwar ärgerlich, aber wir sollten es auch nicht in der Weise zerreden und zur Europaschelte nutzen. Es sieht in der Tat ein Nein zum unbedingten Vorrang von Frauen und zur automatisierten Frauenförderung vor. Wir sollten uns im Lande selbst bewußt sein, daß dieses Urteil in den meisten Bundesländern überhaupt nicht greift,
weil es die Härtefallregelung in der Frauenförderung gibt.
Deswegen sage ich noch einmal: Diejenigen, die die Frauenförderung ganz schnell eingestellt haben - ich verweise nur auf Rheinland-Pfalz - und zunächst in Prüfungen gehen, frage ich, ob sie diese Förderung vorher ernst gemeint haben. Hätten sie sie ernst gemeint, wären sie nicht so schnell in das Prüfverfahren gegangen.
Ich möchte uns in diesem kurzen Beitrag ausdrücklich daran erinnern, wieviel wir Frauen Europa verdanken. Herr Kollege Scholz hat eben schon mit Recht gesagt: An die Stelle der verfassungsmäßigen Grundlagen trat bisher gerade auch die Richtlinie von 1976, die Frauendiskriminierung ausdrücklich vereiteln will und sich für Frauenförderung einsetzt. Deswegen glaube ich - ob es sich um die Lohngleichheitsrichtlinie 1975 handelt oder um das, was Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, erwähnt haben -, daß das alles Maßnahmen für uns Frauen sind.
Gerade hinsichtlich der Frage der Einstellungsdiskriminierung - als es um § 624 a ging - hätte ich mir oft, Frau Schmalz-Jacobsen, eine stärkere Unterstützung durch die F.D.P. gewünscht. Dann hätten wir diese Diskriminierung schon beseitigt.
Bis zum Gleichberechtigungsgesetz haben wir lange gebraucht.
Ich denke deswegen, daß schon etwas Rechtes daran ist zu sagen: Jede Niederlage ist auch eine Chance. Das sage ich auch nach der Erfahrung in der vergangenen Woche. Man kann sich gut freuen, wenn man nicht der Verlierer ist. Ich erinnere die SPD aber daran, daß auch sie lange gebraucht hat
Dr. Rita Süssmuth
und daß auch sie Frauen gehabt hat, die gegen die Quote gesprochen haben.
Wir hatten die Mehrheit auf dem Parteitag - aber nicht die satzungsmäßige Mehrheit. Wir treten weiter an. Was heute nicht gewonnen ist, wird im nächsten Jahr gewonnen.
Ich möchte noch auf die Frauenaktionspläne eingehen und unterstreichen, was in unserer Frauengruppe gesagt worden ist: Es gibt Vorbehalte; es gibt Subsidiaritätsprüfungen. Wir Frauen wollen den vierten Aktionsplan, weil wir von drei Frauenförderplänen in der Bundesrepublik große Vorteile gehabt haben.
Wir unterstützen unsere Ministerin bei diesem Vorhaben, weil wir das für erforderlich halten.
Man kann sich die Pläne noch einmal anschauen. Wir sagen zu Recht: Was dann nicht europäisch gemacht wird, wird national gemacht.
Ich finde, ein Europa ohne Zuständigkeiten und Gleichberechtigung für Frauen ist für uns Frauen kein Europa.
Im letzten Teil lassen Sie mich sagen, wie sehr wir Frauenförderung brauchen. Das brauche ich nicht nur an den obersten Bundesbehörden nachzuweisen; denn von 1 094 beamteten Referatsleitern sind 44 Frauen, von 289 Unterabteilungsleitern zehn, von 136 beamteten Abteilungsleitern sechs und von 33 beamteten Staatssekretären zwei. Ich denke, da ist noch eine Menge zu tun.
Das Wichtigste ist mir, daß wir nicht nur für uns in Führungspositionen sprechen. Der Anteil der Frauenarbeitslosigkeit ist gerade in Ostdeutschland doppelt so hoch wie der der Männer. Die Langzeitarbeitslosen sind zu 77,2 % Frauen. Die geringfügig Beschäftigten sind zu über 60 % Frauen. Wenn wir an die Lohndiskriminierung denken, liegen wir noch immer um ein Viertel, bis zu 40 % unter den Löhnen und Gehältern der Männer.
Wer hier sagt, wir hätten das übertrieben und es wäre alles zum besten bestellt, dem möchte ich abschließend antworten: Es ist eine Menge erreicht worden, aber wir leben nach wie vor in einer sehr kritischen Situation. Diese ist durch den Umbruch erschwert. Ich denke, daß wir Frauen weit mehr Solidarität brauchen, als in der Vergangenheit aufgebracht worden ist,
gerade wenn es darum geht, Chancen zu befördern; denn die ungenügende Situation von Kindergartenplätzen, die nicht vorhandene Kinderbetreuung nach der Schulzeit und der Mangel an Wiedereinstieg von Frauen sind in unserem Land besonders ausgeprägt. Da haben wir eine Menge von anderen europäischen Ländern zu lernen.
Deswegen schließe ich mit dem Satz: Die Quote ist eine Krücke, aber obwohl die Quote nicht aktive Frauenförderungspolitik ersetzt, brauchen wir sie für eine Übergangszeit dringend.
Wenn in der „Süddeutschen Zeitung" in diesen Tagen zu lesen war „die Quote spaltet" und wenn dabei auf die USA Bezug genommen wurde, dann kann ich nur sagen: Nicht die Quote spaltet, sondern die Diskriminierung und Benachteiligung spaltet.
Ich schließe die Aussprache.
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, nach welchem Paragraphen der Geschäftsordnung wollten Sie sich noch melden?
Wenn Sie mir dabei helfen, würde mich das sehr freuen.
Sie müßten bitte angeben, zu welchem Thema.
Zu dem Thema der letzten Rednerin.
Bitte machen Sie unsere Geschäftsordnung nicht zur Farce.
Darf ich Sie belehren? Der § 30 lautet:
Zu einer Erklärung zur Aussprache wird das Wort
nach Schluß, Unterbrechung oder Vertagung der
Aussprache erteilt. Vorrangig kann der Präsident
Vizepräsident Hans Klein
das Wort zur direkten Erwiderung erteilen. Der Anlaß ist ihm bei der Wortmeldung mitzuteilen.
: Das hat
sie ja getan!)
Mit einer Erklärung zur Aussprache dürfen nur Äußerungen, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, zurückgewiesen oder eigene Ausführungen richtiggestellt werden; sie darf nicht länger als fünf Minuten dauern.
Ich kann mich nicht erinnern, daß sich Äußerungen auf Ihre Person bezogen haben. Wenn Sie sich nach diesem Paragraphen melden, dann muß das auch stimmen. Wenn Sie damit nur Redezeit gewinnen wollen, bitte ich Sie doch alle, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir unsere Ordnung auf diesem Wege zur Farce machen.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/2769 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß sowie an den Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/2756 - Antrag der Fraktion der SPD - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes
- Drucksache 13/2745 -
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der Gesundheitsstrukturreform
- Drucksache 13/2680 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Darf ich die Kollegen, die an der jetzt beginnenden Debatte nicht teilzunehmen wünschen, bitten, den Raum etwas schneller zu verlassen, damit wir wieder die volle Aufmerksamkeit auf die Redner richten können.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Lohmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung über das vorige Thema löst sich langsam auf, und wir können zu einem weiteren wichtigen Thema kommen.
Wenn Sie an die gesundheitspolitische Diskussion vor drei oder vier Jahren, vor der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes im Jahre 1992 zurückdenken, werden Sie sich alle daran erinnern, daß damals u. a. das Wort „Pflegenotstand" landauf, landab auf allen Veranstaltungen und allen Podien eine große Rolle gespielt hat. Heute, im Jahre 1995 - wir stehen vor der dritten Reformstufe -, spielt das Wort „Pflegenotstand" in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion keine Rolle mehr.
Ich darf Ihnen auf der Grundlage der Berechnungen der Krankenkassen einige Zahlen nennen, aus denen Sie die Entwicklung der Pflegestellen einschließlich der sich daraus ergebenden Kosten im Akutkrankenhaus entnehmen können: 1993 gab es ein Plus von 5 380 Pflegestellen; das entspricht immerhin 0,37 Milliarden DM. 1994 gab es insgesamt 14 600 Pflegestellen, in D-Mark ausgedrückt sind das 1,02 Milliarden DM. 1995 gab es insgesamt 20 400 Pflegestellen mit einem Wert von 1,4 Milliarden DM. Es wurden also insgesamt 2,79 Milliarden DM aufgewendet. Das heißt im Klartext: Es wurden 20 409 neue Stellen in den Krankenhäusern mit laufenden Mehrkosten in Höhe von knapp 2,8 Milliarden DM eingerichtet, und das alles in einer Zeit, in der tagaus, tagein in den Medien Nachrichten über Stellenkürzungen und Stellenstreichungen zu hören und zu lesen sind.
Das sind Nachrichten, die die Frage immer drängender werden lassen, ob und wie lange die Rationalisierungsprozesse unserer Wirtschaft noch weitergehen müssen bzw. können. Wohlgemerkt: Wir reden nicht vom Krankenhausbudget. Das heißt, das sind 2,8 Milliarden DM zusätzlich zu den festen Krankenhausbudgets in den vergangenen drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Nicht umsonst ist daher in der gesundheitspolitischen Diskussion und auch später gelegentlich behauptet worden, daß es den Krankenhäusern nach Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes so gut ging wie noch nie. Weil das so ist, wird gelegentlich gefordert, die Budgetierung in diesem Bereich so fortzusetzen, wie sie in der Vergangenheit betrieben wurde.
Der Grund für diese Entwicklung ist, um das Wort noch einmal zu gebrauchen, der berühmte „Konsens von Lahnstein". Bei diesem Wort müßte Herr Dr. Thomae jetzt eigentlich zusammenschrecken. Denn wir alle, CDU/CSU-, SPD- und F.D.P.-Fraktion,
Wolfgang Lohmann
haben im Herbst 1992 zusammen mit dem Gesundheitsstrukturgesetz die sogenannte Pflegepersonalregelung verabschiedet, die für diese eben geschilderte Entwicklung steht.
Über diese Pflegepersonalregelung - kurz PPR genannt - als Lösungsansatz kann man sicherlich lange und trefflich streiten. Auch ich zähle zu denen, die sich seinerzeit, 1992, gefragt haben, ob im Zusammenhang mit den vorgesehenen neuen Entgeltsystemen und der Hinführung der Krankenhäuser zu mehr unternehmerischem Denken und weg von reinem Kostendeckungsdenken die Einführung einer Pflegepersonalregelung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine richtige Maßnahme gewesen ist. Wir haben das damals aber gemeinsam gemacht. Es steht fest, daß die 20 400 zusätzlichen Stellen darauf zurückzuführen sind.
Richtig ist aber auch, daß mit dieser Entwicklung - das ist jetzt wichtig - die Prognosen, die dem Gesundheitsstrukturgesetz zugrunde lagen, bei weitem übertroffen worden sind. Der Stellenzuwachs nach den Annahmen des Gesetzgebers sollte bis zum Ende des Jahres 1996 rund 13 000 Stellen betragen. Die tatsächliche Entwicklung lag bereits bis zum Ende des Jahres 1995 - ich nannte das gerade - bei 20 400 zusätzlichen Stellen. Dies belegt, daß beim Krankenhauspersonal bereits weit mehr als das Soll erreicht worden ist. Unser aller Annahmen von Lahnstein wurden von der Realität längst eingeholt bzw. überholt, und zwar schon im Jahre 1995.
Wir schlagen Ihnen deshalb vor, die Pflegepersonalregelung im Jahr 1996 auszusetzen und im Lichte der Erfahrungen über eventuelle weitere Stellenmehrungen allerdings dann im Rahmen des Budgets für das Jahr 1997 neu zu entscheiden.
Die dazu notwendigen Verordnungsverfahren haben wir eingeleitet. Es würde mich freuen und ich würde es auch für sachdienlich halten, wenn auch Sie von der SPD, vor allem die SPD-geführten Länder, diese Maßnahmen mittragen würden. Denn ich glaube, vom Grundsatz her haben Sie, was diese Frage anbelangt, die gleichen Überzeugungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie an den Januar 1993 zurückdenken, so werden Sie sich daran erinnern, daß das Bundesverwaltungsgericht aus formalen Gründen - aus wirklich formalen Gründen! - die seit Jahren übliche Finanzierung der sogenannten Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus durch die Länder gekippt hat. Die Abgrenzungsverordnung, so das Gericht, sei von der Ermächtigungsgrundlage im Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht gedeckt und daher insoweit nichtig.
Das ist eine juristisch eigentlich weniger interessante Feststellung; sie hat allerdings gesundheitspolitisch fatale Folgen. Denn diese Gerichtsentscheidung hat dazu geführt, daß sich die Länder - mit Ausnahme von Bayern - weitgehend aus der Finanzierung des sogenannten Erhaltungsaufwandes von Krankenhäusern zurückgezogen haben, und zwar in der Erwartung, daß die Kosten durch Zeitablauf quasi von selbst letztendlich in den Pflegesätzen der Krankenkassen landen würden.
Ein Investitionsvolumen von etwa 500 Millionen DM pro Jahr - d. h., wenn wir die drei Jahre betrachten, bereits von 1,5 Milliarden DM - mit weiter steigender Tendenz wird dadurch blockiert.
Wir wissen, alle notwendigen Reparaturen in den Kliniken finden nicht mehr statt. Ein Finanzvolumen von rund 1,5 Milliarden DM wird dadurch aus der Finanzverantwortung der Länder ohne irgendeinen sachlichen gesundheitspolitischen Grund herausgenommen, und es wird der Versuch gemacht, das den Krankenkassen und damit den Beitragszahlern ohne jegliche Kompensation aufs Auge zu drücken.
Alle, auch die SPD-geführten Länder und die SPD-Fraktion, sind damals davon ausgegangen, daß der Erhaltungsaufwand genauso wie vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes finanziert werden würde. Denn die Perspektive im Hinblick auf eine monistische Finanzierung war eine langfristige. Dieser Teil sollte weiterhin so behandelt werden wie bisher.
Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sieht daher vor, daß für einen befristeten Zeitraum von drei Jahren - das ist schon ein Schritt des Entgegenkommens den Ländern gegenüber - die Finanzierung des Erhaltungsaufwandes so bleibt wie bisher, nämlich in der Finanzverantwortung der Länder.
Diese Übergangsphase ist nach unserer Auffassung schon deshalb notwendig, weil die Krankenkassen derzeit noch nicht einmal das erforderliche Instrumentarium haben, um die geforderte Investitionssteuerung oder Investitionslenkung - bei diesem Wort bin ich immer sehr vorsichtig - sinnvoll und effektiv bewerkstelligen zu können. Diese Übergangsregelung von drei Jahren ist auch deswegen notwendig, weil ausgehend von der bisherigen jahrelangen Praxis der Finanzierung von Investitionen und Erhaltungsaufwand aus einer Hand, nämlich durch die Länder, zur Zeit niemand eine praktikable Abgrenzung der Neuinvestitionen vom sogenannten Erhaltungsaufwand zustande bringt.
Die derzeitige Rechtslage - das bestätigt leider die Praxis - führt also nur zu dem bekannten Kreisverkehr zwischen Ländern und Krankenkassen mit dem Ergebnis, daß im Krankenhaus vor Ort beispielsweise bei den Reparaturen von Maschinen und Anlagen, bei den Reparaturen von Dächern sowie bei der Renovierung bzw. Sanierung der Außenfront nichts passiert und damit schlimmstenfalls die Substanz vergammelt.
Aber das ist doch, meine Damen und Herren, für uns alle im Grunde völlig inakzeptabel. Wir alle, auch Sie von der Opposition, Herr Dreßler, müssen deshalb noch in diesem Jahr vor allem für die Patienten und die Krankenhäuser zumindest eine tragfähige Übergangsregelung finden.
Wolfgang Lohmann
Deshalb legen wir diesen Gesetzentwurf vor, der den Erhaltungsaufwand befristet auf drei Jahre in der Verantwortung der Länder beläßt, allerdings mit der konkreten Perspektive, nach dieser Übergangsphase einen weiteren Schritt in Richtung monistische Krankenhausfinanzierung zu gehen, die wir ja alle, siehe GSG, so gewollt haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie schließlich an das Jahr 1993 und insbesondere an das Jahr 1994 zurückdenken, so werden Sie sich daran erinnern, daß einer der schwierigsten Themenbereiche bei den Beratungen in Lahnstein, aber insbesondere auch in der Umsetzungsphase nach dem Inkrafttreten des Strukturgesetzes, die Arbeiten am neuen Entgeltsystem für das Krankenhaus waren, d. h. die Arbeiten an der Bundespflegesatzverordnung 1995. Wir alle sollten uns zumindest der Tatsache bewußt sein, daß in den Beratungen mit dem Bundesrat zur Bundespflegesatzverordnung vieles, was konzeptionell an-gedacht und eigentlich notwendig gewesen wäre, um zu einem effektiv steuernden Preissystem im Krankenhaus zu gelangen, nicht realisiert werden konnte.
Wir schlagen deshalb auch hier Änderungen vor mit dem Ziel, das Entgelt- und Pflegesatzsystem rechtzeitig zu Beginn des Jahres 1996, d. h. rechtzeitig zu der flächendeckenden Einführung dieser Entgelte für das Krankenhaus, noch effizienter zu gestalten. Das ist nun allerdings nicht - da haben Sie, Herr Kollege Dreßler, recht - die seit langem diskutierte Reform im Krankenhausbereich, weder eine erste noch eine zweite und schon gar nicht eine dritte Stufe.
Es bringt - da bin ich mir ganz sicher - erheblich Besseres und langfristig Wirksameres, wenn wir, wie fest vorgesehen ist, am 31. dieses Monats die Klausurtagung mit unserem Koalitionspartner fortsetzen und uns in allererster Linie auf diesen Teil, nämlich das Krankenhaus, die stationäre Frage, konzentrieren werden, um dies vorab zu einem Ergebnis zu bringen.
Dieses Maßnahmenpaket ist auch nicht ein sogenanntes Vorschaltgesetz, Herr Kollege Dr. Thomae, das die eigentliche Krankenhausreform entbehrlich machen könnte, sondern es ist wirklich nur eine Sofortmaßnahme, um vor dem Jahre 1996 keine Zeit zu verlieren. Das andere geschieht Ende dieses Monats.
Wir werden mit dem Vorschlag, den wir hier machen, schlicht und ergreifend nichts anderes tun, als die Beschlüsse der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen vom September dieses Jahres umzusetzen, die ja schließlich einstimmig gefaßt worden sind und damit interessanterweise auch von den Ländern, einschließlich der SPD-geführten Länder, unterstützt wurden. Das heißt aber auch - das sage ich hier mit aller Deutlichkeit -, daß die eigentliche Krankenhausreform nach wie vor aussteht. Diese Krankenhausreform ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt jeder weiteren Reformstufe im Gesundheitsversorgungssystem. Ohne eine zukunftsfähige Gestaltung des Krankenhaussektors und damit des größten Leistungsblocks der Krankenkassen ist eine dauerhaft tragfähige Reform unseres Gesundheitswesens nicht möglich und auch den Partnern im Grunde nicht zumutbar.
Ohne eine überzeugende Krankenhauspolitik kann man das eben nicht machen; da sind wir alle gefragt. Deswegen werden wir uns in den nächsten Wochen, wie eben gesagt, mit diesem Problem beschäftigen, um dem Vorwurf zu begegnen, daß wieder einmal - das kann man auch nicht bestreiten - möglicherweise im übrigen Bereich reformiert wird, ohne diesen Schwerpunkt nun endlich zukunftsträchtig zu lösen, damit es nicht dazu kommt, daß viele andere im Bereich des Gesundheitswesens ihre Schularbeiten, was die Kostenersparnis und die Ausschöpfung oder die Auflösung von Rationalisierungsreserven anbelangt, erfüllen und diese ersparten Mittel gleichzeitig kaltlächelnd im Krankenhausbereich wieder ausgegeben werden müssen oder nur vermeintlich ausgegeben werden müssen.
Dazu, meine Damen und Herren, sind überzeugende Konzepte, vor allen Dingen für die Zukunft des Krankenhauses, gefragt. Da muß ich allerdings sagen, Herr Kollege Dreßler: Das von Ihnen in die parlamentarischen Beratungen eingebrachte Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitsversorgungssystems überzeugt eigentlich nicht. Sie schreiben z. B.:
Die Einführung eines Systems leistungsgerechter Entgelte ist nur halbherzig vorgenommen worden.
Da haben Sie im Grunde recht. Aber wer trägt denn die Verantwortung für diese Entwicklung? Das war doch primär der Bundesrat, der die Arbeit am Gesundheitsstrukturgesetz in dieser Form beeinflußt hat. Sie schreiben auch:
Die Absicht, zur Ablösung der dualen Finanzierung zu kommen, hat bislang keine Konsequenzen gehabt.
Auch das ist im Grunde richtig. Aber wer trägt denn die Verantwortung dafür? Die Länder waren eben bisher so zähleibig, daß sie sich in diesem von uns gemeinsam verfolgten Anliegen entweder überhaupt nicht oder nur sehr langsam bewegt haben.
Wenn das alles wirklich so ist und wir auch in diesem Bereich nach wie vor eine gemeinschaftliche Auffassung haben - da bin ich nicht ganz sicher, aber Sie werden das sicher gleich sagen -, dann dürfen wir eigentlich auch erwarten, daß Sie unserem Vorschlag zustimmen werden.
Herr Kollege Rudolf Dreßler, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sich derzeit in der regierungsamtlichen Gesundheitspolitik abspielt, ist nicht nur ein Trauerspiel, sondern auch ein Zeugnis politischer Verantwortungslosigkeit. Wer heute die Zeitungen aufschlägt und die dramatischen Prognosen des Gesundheitsministers zur Kostenentwicklung in der Krankenversicherung 1996 zur Kenntnis nimmt und sie zu dem in Bezug setzt, was uns hier von seiten der Regierung als Bruchteil eines Lösungsvorschlages präsentiert wird, der kommt nicht umhin, die Regierungsmitglieder an ihren Amtseid zu erinnern, meine Damen und Herren.
Da ist nämlich, Herr Lohmann, von der Verpflichtung die Rede, Schaden abzuwenden. Ich frage die Regierung, ich frage die Mitglieder der Koalitionsfraktionen, ob sie sich dieser Verpflichtung bewußt sind. Denn Konsequenzen daraus haben Sie für jeden erkennbar bis heute nicht gezogen.
CDU/CSU und F.D.P. haben einen Regierungsauftrag. Statt ihm gerecht zu werden, langweilen sie die Menschen mit wechselseitigen Schuldzuweisungen über gescheiterte Versuche, sich in der Koalition zu einigen. Kommen Sie Ihrem Verfassungsauftrag nach und handeln Sie endlich! Das ist das Entscheidende, Herr Lohmann.
Der gesetzlichen Krankenversicherung droht 1996 ein Defizit in beinahe zweistelliger Milliardenhöhe. Den Beitragszahlern, also den Versicherten, und den Unternehmen, drohen Beitragserhöhungen, die sich nach den Prognosen des Bundesgesundheitsministers bis auf einen vollen Prozentpunkt belaufen können.
Was tut die Koalition angesichts dieser bedrohlichen Lage? Nichts. Soll das etwa die Offensive der Bundesregierung zur Senkung von Lohnnebenkosten sein, Herr Seehofer?
Was uns die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. heute präsentiert und was sie uns in den vergangenen Wochen bereits präsentiert hat, ist nicht nur inhaltlich widersprüchlich. Es ist gesundheitspolitisch konturlos, schlicht und einfach strukturpolitisches Pipifax.
Heute beraten wir über einen Gesetzentwurf, in dem den Krankenkassen für die nächste Zeit 400 Millionen DM Krankenhausausgaben pro Jahr erspart werden sollen. Letzte Woche haben wir über einen Gesetzentwurf beraten, der den gleichen Krankenkassen 840 Millionen DM zusätzliche Ausgaben für Ärzte aufladen soll. Beide Gesetzentwürfe kommen von der gleichen Regierung. Sie kommen sogar aus dem gleichen Ministerium. Dieses Ministerium nennt ein solches Treiben nicht nur Gesundheitspolitik, sondern es hält es auch dafür, und zwar ernsthaft.
Bremsen und Gasgeben zur gleichen Zeit, wer das macht, der kommt ins Schleudern. Ich stelle fest, Herr Seehofer: Seit geraumer Zeit schleudern Sie ganz erheblich.
Was den heute zur ersten Lesung anstehenden Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angeht, so will ich die Koalition nicht im Zweifel darüber lassen, wie sich die SPD-Bundestagsfraktion dazu verhalten wird.
Den werden wir ablehnen, Herr Lohmann. Für die SPD-geführten Länder und ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat kann ich hier nicht sprechen.
Diese werden selbst zu entscheiden haben, ob sie ihre Haushalte mit weiteren 400 Millionen DM belasten können. Diese Entscheidung, Herr Lohmann, werden Sie in Ruhe abwarten.
Die drohende Beitragslawine in der GKV hat Ursachen, Ursachen, die mit dem Namen Seehofer und mit verfehlten oder unterlassenen gesundheitspolitischen Entscheidungen dieser Koalition unmittelbar zu tun haben.
1992 haben Regierung und SPD-Opposition im Gesundheitsstrukturgesetz gemeinsam vereinbart, die als Budgetierung bezeichnete Phase der reinen Kostendämpfung dazu zu nutzen, die Strukturreform unseres Gesundheitswesens voranzutreiben und vor allen Dingen umzusetzen. Diese Strukturreform sollte greifen, wenn die Budgetierungsphase am Ende des Jahres 1995 ausläuft. Auf diese Weise sollte ein beitragsträchtiger Ausgabenschub der Krankenkassen verhindert werden, wenn die Leistungsträger im Gesundheitswesen ihren vermeintlichen Einkommensnachholbedarf zu verwirklichen trachten.
In Wirklichkeit aber ist wenig geschehen, die Strukturreformelemente, die das Gesetz enthält, umzusetzen. Im Gegenteil, CDU/CSU und F.D.P. haben diese Elemente nicht nur weitgehend mißachtet, sie haben sie zum Teil in ihr Gegenteil verkehrt, Das Gesetzesvorhaben, mit dem die Liste verordnungsfähiger Arzneimittel wieder aus dem Gesetz entfernt werden sollte, stellt dies schlagkräftig unter Beweis.
Die absehbare neue Kostenwelle im Gesundheitswesen hat also ihre Ursache weniger in unbotmäßigen oder geldgierigen Leistungserbringern. Sie geht vielmehr direkt auf das Konto dieser Bundesregierung, ihrer Unentschlossenheit, ja, ihrer Handlungsunfähigkeit. Wer in einer Zeit, in der diese Regierung Fünfmarkscheine von den Ärmsten der Armen einsammelt, die gesetzlich bestehende Möglichkeit eines gesundheitspolitischen, arzneimittelmarktpolitischen Qualitätssprungs von 6 bis 7 Milliarden DM
Rudolf Dreßler
aus dem Gesetz tilgt, um gewissen Anbietern gefällig zu sein, Herr Thomae,
der ist unverantwortlich, was die gesundheitspolitische Situation dieses Landes betrifft.
Die Koalitionsparteien CDU, CSU und F.D.P. können der deutschen Öffentlichkeit keine Antwort geben, wie sie zu erwartende Kostenprobleme im Gesundheitswesen, die sie selbst heraufbeschworen haben, bewältigen wollen. Seit Wochen bieten Sie das Bild tiefer innerer Zerstrittenheit.
Ich darf Ihnen empfehlen - Sie sind wohl gestern aus Uganda zurückgekommen -, die deutschen Zeitungen der letzten 14 Tage, bezogen auf diesen Sachverhalt, zu studieren.
Kaum macht die CDU/CSU einen Vorschlag, lehnt ihn die F.D.P.-Fraktion ab, und das gleiche gilt auch umgekehrt. Man ist mittlerweile noch nicht einmal in der Lage, über einen Versuch zu einem gemeinsamen Konzept zu kommen, miteinander zu reden. Vor wenigen Tagen war eine auf vier Tage terminierte Koalitionsrunde dazu in Bad Neuenahr nach fünf Stunden zu Ende, schlicht geplatzt. Das zeigt: Diese Koalition ist nicht nur handlungsunfähig, sie ist sogar gesprächsunfähig.
Dabei ist doch eines klar: Um einen neuen Kostenschub in allerletzter Minute zu verhindern, gibt es nur eine Möglichkeit: Die Ende des Jahres auslaufende gesetzliche Ausgabenbegrenzung, das Budget, muß um ein weiteres Jahr verlängert werden. Die SPD will das, der CDU-Teil der Koalition will das auch. Die F.D.P. hingegen spuckt Gift und Galle, hat aber keine wirkliche Alternative.
Nun frage ich die Koalition: Woher nehmen Sie eigentlich das Recht, die Folgen ihrer politischen Unfähigkeit, sich zu einigen, den beitragzahlenden Versicherten und den Unternehmen in Deutschland aufzuladen?
Zweitens frage ich die F.D.P.: Woher nehmen Sie eigentlich die politische Legitimation, der erdrückenden Mehrheit dieses Parlaments ihren partikularen Willen aufzuzwingen? Herr Thomae, auch die F.D.P. ist dem Wohle aller verpflichtet und nicht einem klientelistischen Selbstverständnis.
Nun hat der Bundesgesundheitsminister vor einiger Zeit eine geradezu glorreiche Idee geboren, um die gegenseitige Blockade der Koalition in Sachen Ausgabenbudgetierung zu überwinden. Er will den Beitragssatz der Krankenversicherung ganz oder teilweise gesetzlich festschreiben. Das ist schon genial. Den Krankenkassen laufen die Ausgaben davon, und der Gesundheitsminister hält zu deren Rettung Einnahmen fest. Wirklich, das ist von beeindruckender Logik. Wenn es dafür einen Nobelpreis gäbe: Herr Seehofer hätte ihn sicherlich verdient.
Um nun die Qualität der Regierungsarbeit angemessen zu würdigen, kann man diesen Vorschlag auch anders beleuchten. Wenn Herr Seehofer dem Koalitionspartner versichert, es werde keine Verlängerung der Budgetierung geben, ihm als Alternative vorschlägt, die Beitragssätze festzuschreiben, und ihm anschließend einredet, damit sei die Budgetierung dann endgültig vom Tisch, und wenn der Koalitionspartner das auch wirklich glaubt, dann bringt mich das zu dem Schluß: In dieser Koalition sitzen Partner, die sich gegenseitig auch wirklich verdient haben.
Muß man denn wirklich daran erinnern, daß auch eine Festschreibung der Beitragssätze eine Budgetierung ist? Sie ist nur keine Budgetierung der Ausgaben, sondern eine der Einnahmen. Damit dies klar ist, Herr Seehofer: Dies ist mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht zu machen. Denn es ist doch mit den Händen zu greifen, was geschieht, wenn bei festgeschriebenen oder eingefrorenen Einnahmen die Ausgaben davonlaufen. Es gäbe dann für die Krankenkassen oder den Gesetzgeber nur eine Möglichkeit, die Bilanz wieder ins Lot zu bringen: indem die Kosten durch Leistungskürzungen bei den Versicherten gesenkt werden.
Hinter der Parole des Gesundheitsministers vom Einfrieren der Beitragssätze steht in Wahrheit etwas anderes. Er will den Patienten die notwendigen Leistungen zuammenstreichen. Herr Seehofer will sich als Leistungsklau üben. Damit auch das wirklich klar ist, Herr Seehofer: Auch das läuft nicht mit der SPD-Bundestagsfraktion.
Da hilft auch die neueste Variante nichts, nach der nur der Arbeitgeberanteil eingefroren werden soll. Denn das bedeutet ja wohl, daß die aktuelle wie zukünftige Kostendynamik des Gesundheitswesens allein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgeladen werden soll. Auch für den, der den Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Finanzierung unserer Sozialversicherung proben will, gibt es nur eine Antwort: Nicht mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Ich kann den Mitgliedern der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. nur eindringlich die Lektüre eines Briefes empfehlen, den die Bundesjustizministerin zu diesem Thema an den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Herrn Kollegen Thomae, geschrieben hat. Darin erläutert sie ihm nämlich die
Rudolf Dreßler
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kriterien der Sozialversicherung. Eine Sozialversicherung, so stellt Frau Leutheusser-Schnarrenberger fest, bedinge nach Karlsruher Auffassung immer einen bedeutenden Finanzierungsanteil der Arbeitgeber. Bei festgeschriebenen Arbeitgeberbeiträgen und floatendem Arbeitnehmerbeitrag sei diese Bedingung aber nicht mehr erfüllt.
Da hat sie wohl recht, die Bundesjustizministerin. Ich frage die Koalition: Wollen Sie wirklich die Krankenversicherung als Sozialversicherung abschaffen?
Nun gibt es unter den Gesundheitsexperten der Koalition einen besonderen, gleichsam berufsmäßig pfiffigen Fall: den Kollegen Möllemann, den Liebling von Herrn Seehofer.
Er hat die ganze Diskussion um Beiträge mit dem Vorschlag bereichert, die Arbeitgeberbeiträge sollten den Arbeitnehmern ausgezahlt werden, damit die Arbeitnehmer zukünftig alles alleine bezahlen.
Daß das mit der SPD nicht zu machen sein wird, erwähne ich hier fast nur am Rande; denn ich will zuallererst auf die Konsequenzen hinweisen. Um das zu realisieren, wäre nämlich folgendes erforderlich: Der Deutsche Bundestag müßte in einem Gesetz beschließen, daß die Beiträge zur Krankenversicherung von den Arbeitnehmern alleine getragen werden, und der Deutsche Bundestag müßte beschließen, daß die Arbeitgeber die Löhne und Gehälter der Beschäftigten um einen bestimmten Prozentsatz zu erhöhen hätten.
Um den Unsinn, der dahintersteckt, noch deutlicher zu machen, brauche ich noch nicht einmal das schwere Geschütz der Tarifautonomie zu bemühen. Ich habe nur die schlichte Frage an Herrn Möllemann in seiner Abwesenheit - wenn sein Lieblingsthema hier diskutiert wird, braucht er ja nicht dazu- sein -, ob - und wenn ja: wann? - mir entgangen sein könnte, Herr Thomae - die F.D.P. trägt ja diesen Quatsch -, daß die rechtliche Kompetenz zur Festlegung von Löhnen und Gehältern vom Arbeitgeber oder den Tarifvertragsparteien auf den Deutschen Bundestag übergegangen ist.
Hat das Parlament eine Gesetzgebungskompetenz,
Löhne und Gehälter zu erhöhen, Herr Thomae? Ich
bitte um Aufklärung noch in dieser Debatte. Sie kennen die Antwort wie ich: Natürlich hat der Bundestag diese Kompetenz nicht.
Wissen Sie, wenn diesen Vorschlag ein Repräsentant der Gruppe PDS gemacht hätte, dann hätte diese Koalition gesagt: Typisch, sie stehen nicht mehr auf dem Boden der Verfassung und der freiheitlichdemokratischen Grundordnung.
Aber das, was sie untereinander treiben, nennen sie noch Regierungskunst. Ich sage Ihnen, das ist ein erbärmliches Schauspiel, wie Sie mit dem Standort Deutschland auf diese Art und Weise umgehen.
Ich habe zur Gesamtproblematik der Beitragsgestaltung oder Beitragsaufteilung angesichts der aktuellen Situation eigentlich nur eine Frage an CDU/ CSU und F.D.P.: Was hat das mit den Strukturproblemen im Gesundheitswesen oder in der Krankenversicherung zu tun? Hören Sie endlich auf, an Beitragssystematik und -gestaltung herumzumanipulieren! Beschäftigen Sie sich endlich mit den Problemen der Gesundheitsversorgung der Menschen! Diese Probleme müssen gelöst werden. Keine Pille wird um einen Pfennig billiger, kein überflüssiges Krankenhausbett abgebaut und kein Hausarzt vernünftiger bezahlt, nur weil diese Koalition die Beitragslastverteilung verändern will. Kein Problem wird gelöst. Die Wahrheit ist: Hier geht es um die schleichende Aushöhlung des sozialen Charakters unserer Krankenversicherung.
Nun hat Herr Seehofer mehrfach gesagt, er wolle über die Gesamtproblematik mit allen Beteiligten, auch mit der SPD-Opposition, reden. Das hat sein Kollege Blüm in Sachen Pflegeversicherung auch immer gesagt und wohl auch gewollt. Nur durfte er dann selten bis nie. Herr Seehofer, seit Januar dieses Jahres wissen Sie, weiß der Deutsche Bundestag, daß die SPD um der Sache willen gesprächsbereit ist. Aber ich frage Sie: Dürfen Sie mit uns sprechen? Hat Ihnen die F.D.P. das bis heute schon erlaubt? Ich weiß, daß die F.D.P. unter einem Lahnstein-Trauma leidet; denn bei den Lahnsteiner Vereinbarungen zum Gesundheitsstrukturgesetz hat sich die F.D.P. als das herausgestellt, was sie tatsächlich ist: zur Lösung der Probleme unfähig und deshalb in der Tat überflüssig.
Ich könnte das auch, Herr Thomae, mit den Worten des Gesundheitsministers ausdrücken. Dieser hat nämlich ausweislich der Deutschen Presseagentur vorgestern abend gesagt:
Nur weil man keine Wähler hat, hat man nicht das Recht, den Sozialstaat abzuschaffen.
Rudolf Dreßler
In diesem Falle, Herr Seehofer, haben Sie ausdrücklich recht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?
Bitte.
Herr Kollege Dreßler, nachdem Sie eben von einem Gesprächsangebot gesprochen haben, will ich nur fragen: Ist es richtig, daß Sie nicht nur am Anfang dieses Jahres ständig gesagt haben, ein Handlungsbedarf bestehe nicht, und daß Sie in meinem Beisein auf verschiedenen Podiumsdiskussionen erklärt haben, mit Leuten, die den Antrag einbringen, die Positivliste zu streichen, könne man sich nicht an einen Tisch setzen; solange wir diesen Antrag auf Streichung der Positivliste also nicht aus dem Verkehr zögen, fänden Gespräche mit Ihnen grundsätzlich nicht statt? Ich frage, ob das richtig ist.
Herr Kollege Lohmann, ich habe folgendes geäußert und bleibe dabei: Eine Fraktion wie die CDU/CSU, die mit der sozialdemokratischen Fraktion vereinbart, ein Gesetz zu verabschieden, dieses Gesetz dann verabschiedet und mit einem substantiellen Teil von einem Qualitätssprung in der Arzneimittelversorgung von zwischen 6 und 7 Milliarden DM in Kraft setzt und dann einseitig dieses Gesetz wieder abschafft, ist in meinen Augen nicht mehr tariffähig; damit das völlig klar ist.
Nun, Herr Lohmann, kommt etwas hinzu. Als die deutschen Sozialdemokraten ab Januar dieses Jahres diese Regierung darauf aufmerksam machten, was dann in der deutschen Krankenversicherung an Beitragssatzexplosion passiere, wenn sie so weitermache, und ob es nicht geratener erscheine, mit uns frühzeitig dieses Thema zu behandeln, damit diese Explosion nicht eintrete, hatten Sie noch nicht einmal einen Gesetzentwurf zur Positivliste eingebracht. Als Sie sich dann entschieden haben, diesen Gesetzentwurf nach der Sommerpause einzubringen und zu verabschieden, haben Sie für sich in erster Linie klipp und klar erklärt, Sie wollten die Zusammenarbeit mit der SPD nicht, die Explosion in der Krankenversicherung sei Ihnen gleichgültig, die Machterhaltung in der Koalition sei Ihnen wichtiger als der Standortvorteil Deutschlands in der Chemieindustrie und in den hier zur Diskussion stehenden Branchen. Dies, Herr Lohmann, ist unverantwortlich und rechtfertigt eine solche Haltung, die Sie eingenommen haben, überhaupt nicht.
Erlauben Sie eine Zusatzfrage?
Ja, bitte.
Ich hatte Sie nicht gefragt, ob Sie bereit wären, wieder in einem Rundumschlag einen Kübel von Beleidigungen oder Polemik über uns auszuschütten, sondern ich hatte Sie gefragt, ob es richtig ist, daß Sie, solange wir den Antrag auf Streichung der Positivliste nicht aus dem Verkehr ziehen, nicht bereit sind, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Das ist eine sehr einfache Frage, die man sicherlich mit einem Satz beantworten kann.
Herr Lohmann, zum ersten Teil Ihrer Frage darf ich Sie an den bekannten Journalisten Egon Erwin Kisch erinnern. Ihm wird der Satz zugeschrieben: Nichts ist erregender als die Wahrheit. - Das ist wohl wahr.
Und was den zweiten Teil betrifft, Herr Lohmann, haben Sie jetzt die verdammte Pflicht, sich mit Ihrem Koalitionspartner zu verständigen, endlich ein Konzept auf den Tisch zu legen
und dann auf uns zuzukommen, weil Sie es allein nicht packen können, und sich mit unserem Konzept auseinanderzusetzen. Darin, Herr Lohmann, steht die Positivliste, damit das ganz klar ist. Haben Sie mich verstanden? In diesem Konzept steht die Positivliste; dies bestätige ich Ihnen ausdrücklich.
- Herr Lohmann hat nicht verstanden, daß in unserem Konzept die Positivliste steht. Daß sie Ihnen suspekt ist, Herr Lohmann, ändert nichts an der Tatsache, daß sie in unserem Konzept steht. Das haben Sie gewußt, als Sie die Frage stellten. Ich sage noch einmal: Was soll dieser Unsinn eigentlich? Sie haben die Pflicht, sich in der Koalition zu verständigen,
dann auf uns zuzukommen und das Drama, das ab 1. Januar 1996 in der Krankenversicherung abläuft, wenn es eben geht, zu stoppen. Nichts anderes ist Ihre Pflicht, nichts anderes.
Ich möchte Herrn Seehofer, bezogen auf die F.D.P., noch an folgendes erinnern.
Rudolf Dreßler
Herr Seehofer, Sie haben sich Ihre Koalitionsbraut F.D.P. selbst ausgesucht, und Sie haben diese Koalitionsbraut freiwillig geheiratet. Nun sollten Sie sich auch dazu bekennen, Herr Seehofer, oder sich scheiden lassen.
Ich sage Ihnen, damit hier kein Mißverständnis besteht: Alle naselang bei der SPD mit der Klage aufzutauchen, der Möllemann ist so fies, und uns dann zu einem außerehelichen Seitensprung einzuladen, diese Philosophie, Herr Seehofer, wird nicht aufgehen; damit das auch ganz klar ist. Es geht nämlich um mehr als um den Bestand dieser Koalition. Es geht um die verfassungsmäßige Pflicht des Parlaments insgesamt, für die Menschen, ihre Sorgen und Probleme da zu sein.
Deshalb fordere ich Sie auf: Tun Sie dieser Pflicht Genüge! Regieren Sie endlich dieses Land, anstatt sich fortwährend selbst zu beharken! Die SPD läßt sich nicht für die gesundheitspolitischen Streitereien in der Koalition instrumentalisieren. Wir verfolgen unsere gesundheitspolitischen Ziele aus eigener Legitimation. Wenn die gemeinsame Verpflichtung, für unser Land das Beste zu erreichen, es notwendig macht, einen politischen Wegabschnitt gemeinsam zu gehen, und wenn inhaltliche Übereinstimmungen das möglich machen, dann weiß die SPD jedenfalls, im Gegensatz zu Ihnen, wie man Verantwortung buchstabiert.
Der Sozialstaat und unser Gesundheitswesen vertragen keine Experimentierklauseln. Die Pläne der F.D.P. zu einer sogenannten Reform sind mit diesem Sozialstaat unvereinbar.
Wenn für 80 % der Mitglieder dieses Hauses eine gemeinsame Problemlösung denkbar wäre, woher nimmt eigentlich eine Zehnprozentfraktion dann die demokratische Legitimation, sich zum größten Verhinderer aufzuschwingen? Es gibt kein Diktat der Mehrheit über die Minderheit, aber es gibt ein Diktat der Minderheit über die Mehrheit.
Dieses Ergebnis wäre schlicht pervers.
Die Pläne der SPD-Fraktion zur Fortsetzung der Strukturreform liegen dem Hause seit heute offiziell vor. CDU/CSU und F.D.P. wissen: Es sind zugleich auch die Pläne der SPD-geführten Länder.
Erstens. Wir wollen zur Sicherung einer stabilen Beitragssatzentwicklung nicht nur die derzeitige Ausgabenbegrenzung um ein Jahr verlängern, wir wollen sie in eine dauerhafte globale Budgetierung überführen. Was setzt die Koalition inhaltlich dagegen, frage ich, außer Manipulation an der Beitragssystematik?
Zweitens. Wir wollen eine konsequente Verstärkung der hausärztlichen Versorgung. Wir wollen eine vernünftige Honorierung der Hausärzte,
eine eigene Gebührenordnung für sie, mehr organisationspolitisches Gewicht für Hausärzte im Gesamtkontext der Ärzteschaft. Ich frage: Will die Koalition das auch? Oder was setzt sie dagegen?
Drittens. Wir wollen eine leistungsfähigere ärztliche Selbstverwaltung, wie gemeinsam bei den Krankenkassen bereits durchgesetzt. Wollen CDU/ CSU und F.D.P. das auch? Was setzen Sie dagegen?
Wir wollen eine vernünftige und flexible Arbeitsteilung von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten. Was setzt die Koaliton dagegen?
Wir wollen über zehn Jahre Schritt für Schritt, d. h. ohne Auswirkungen auf die Beitragssätze, die monistische Krankenhausfinanzierung einführen
mit gemeinsamer Letztverantwortung von Krankenkassen und Ländern für die Bedarfsplanung bei Krankenhausbetten. Was setzen Sie dem entgegen?
Wir wollen Preisverhandlungen für Arzneimittel zwischen Koalition und Pharmaindustrie. Wollen CDU/CSU und F.D.P. das jetzt endlich auch? Oder was setzen Sie dagegen? Wollen CDU/CSU und F.D.P. wirklich, wie Gesundheitsminister Seehofer in den letzten Tagen in Zeitungen verlautbaren ließ, eine staatliche Preisfestsetzung? Wollen Sie das tatsächlich? - Das sind mir wirklich feine Marktwirtschaftler!
Wir werden auf die Einführung der Positivliste nicht verzichten. Sind CDU/CSU und F.D.P. zur Vertragstreue bereit? Sind Sie bereit, zu gemeinsamen Vereinbarungen zurückzukehren? Das müssen Sie hier endlich einmal erklären.
Auf alle diese Fragen der SPD gibt es bisher von CDU/CSU und F.D.P. keine Antwort. Unser vorliegender Antrag zu einer vernünftigen Entwicklung der Strukturreform wird Ihnen, meine Damen und Herren, diese Antworten abverlangen, ob Sie es wollen oder nicht.
Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Marina Steindor, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Gesundheitsminister, ein Schlußsatz Ihrer Rede in der Haushaltsdebatte lautete: Es wird eine spannende und sicher auch kontroverse Diskussion geben. - Das ist eingehalten worden. Sie sagten ferner: Die Regierungskoalition wird auch hier beweisen, daß sie handlungsfähig ist. - Diesen Eindruck, meine Damen und Herren, können wir nach den letzten
Marina Steindor
Pressemeldungen nicht mehr teilen, wahrscheinlich niemand mehr in dieser Republik.
Liest man die Zeitungsmeldungen, hat man eher den Eindruck, sich in einem gesundheitspolitischen Tollhaus zu befinden. Eine Partei ohne Wähler - Zitat Seehofer - versucht, den Sozialstaat abzuschaffen. Das sagen wir von der Opposition schon lange. Ein Gesundheitsminister kämpft heroisch für die Kranken, die aber allein durch die Schlagzeile „F.D.P. führt Feldzug gegen Kranke" in Angst und Schrekken versetzt werden dürften.
Meine Damen und Herren, was die Koalition hier liefert, geht weit über das hinaus, was wir uns aus bündnisgrüner Sicht vor Jahren unter einem Konfliktbündnis vorgestellt haben.
Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie noch vertrauenswürdig sind.
Viele Probleme, mit denen wir uns hier herumschlagen, sind Schlichtweg Gesetzesfolgen. Dazu ist schon einiges gesagt worden.
Die Krankenkassen haben ein Defizit, das zur Hälfte durch den Verschiebebahnhof in der Rentenreform entstanden ist. Hinzu kommt noch die Pflegepersonalregelung im Krankenhaus.
Die Krankenkassen verheddern sich derzeit im unsinnigen Kassenwettbewerb. Es kommt zu werbungsbedingten Ausgabensteigerungen. Die Höhepunkte sind die von allen gescholtenen Kurse für Indoor Climbing und Bauchtanz. Das wiederum ruft die Ärzte auf den Plan, die vom Präventionskuchen etwas abhaben wollen. Der Berufsstand beschwert sich neuerdings über die Belastungen des neuen EBM, der noch gar nicht in Kraft ist, über die Bürokratisierung durch die neue Diagnoseverschlüsse - lung und über drohende Honorareinbußen. - Natürlich wird hier aus Eigennutz und im Vorgriff auf neue Regelungen einiges unnötig dramatisiert.
Die Buchhalter der Krankenhäuser lernen derzeit prophylaktisch vorhersehbare Abrechnungsänderungen gleich mit. Ich konnte mich bei einem Kurs der Hessischen Krankenhausgesellschaft davon überzeugen. Ihr Motto lautet: Ruhe bewahren! Wir werden bei allen Vorgaben die Vorteile und Tricks herausfinden.
Die Krankenkassen kündigen natürlich termingerecht zur Bundestagsdebatte weitere Beitragssatzerhöhungen an.
Die Budgetierung war das einzige Instrument des Gesundheitsstrukturgesetzes, das funktioniert hat. Ausgerechnet das aber wollen Sie nicht beibehalten.
Nachdem Sie früher immer den großen Wurf angekündigt und sich über die 6800 Einzelbestimmungen lustig gemacht haben, fügen Sie von seiten der Koalition pro Sitzungswoche eine neue Einzelbestimmung hinzu. Dabei verstoßen Sie zunehmend gegen Ihre eigenen Prinzipien.
Sie wollen heute die frühere, freiwillige Praxis der Länder im Bereich der Instandhaltungsfinanzierung, also eine Maßnahme der dualen Krankenhausfinanzierung, festschreiben. In Lahnstein aber haben Sie gemeinsam mit der SPD die Monistik verabredet. Deshalb tritt die SPD heute mit einem Zehnjahresplan zur Monistik an. Sie braucht so lange, weil es schwierig ist. Außerdem ist angekündigt worden, daß dies keine Auswirkung auf die Beitragssätze haben werde.
Wir haben größte Zweifel, ob das der richtige Weg ist.
Vom betriebswirtschaftlichen Blickwinkel aus, der in der Politik häufig zu Verkürzungen führt, will man mit der Monistik die Mischkalkulation der Krankenhäuser angehen.
Es ist von Steuerungsmöglichkeiten der Kassen die Rede. Aber beim Wettbewerb sehe ich nichts, was Gutes ahnen läßt. Ich sehe auch nicht, wie gesetzliche Krankenkassen, die im Wettbewerb zueinander stehen, einen übergreifenden Blick aufs Ganze haben sollen; bei den Krankenhausgesellschaften auch nicht. Monistik aber heißt, daß derjenige, der bezahlt, auch das Sagen hat.
Die Länder haben bereits geltend gemacht, daß sie aus ordnungspolitischen Gründen die Planungshoheit nicht aufgeben wollen; recht haben sie. Es muß eine demokratisch legitimierte Kraft geben, die planerisch und als Moderator eingreift, denn sonst käme es zu einer völlig ungeordneten Krankenhauslandschaft. Die öffentlichen Kassen sind leer. Die Länderfinanzminister drängen die Länder zur Akzeptanz der Monistik. Aber aus fachpolitischen Gründen halten wir das für den völlig falschen Weg. Wenn Sie an dem Konzept der Beitragssatzstabilität festhalten - das geht jetzt auch an die SPD -, dann wird der Preis dafür an einer anderen Stelle zu zahlen sein.
Im Krankenhausgutachten der AOK, das Professor Pfaff mitverfaßt hat, steht, daß die monistische Krankenhausfinanzierung „ohne begleitende Ausgleichsverfahren mit einem merklichen Anstieg der Beitragssätze erkauft" werden müßte. Und an anderer Stelle heißt es, es müßten Ausgleichsleistungen stattfinden; denkbar wäre der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern und der GKV. Damit sind Sie wieder bei einer Art dualer Krankenhausfinanzierung; nur mit dem einen Unterschied, daß Sie die Länder politisch entmachtet haben.
Weiter steht in dem Gutachten, es werden neue Abgrenzungsprobleme zwischen den einzelnen, verschiedene Investitionskosten tragenden Krankenkassen entstehen. Brauchen wir dann eine neue Krankenkassen- Investitionsabgrenzungsverordnung?
Marina Steindor
Hier wird wieder ein neuer Verschiebebahnhof aufgemacht, bei dem politisch für die Länder herauskommt, daß sie zwar zahlen dürfen, aber insgesamt weniger Einfluß haben.
Wir begrüßen Ihre Rückkehr zur dualen Krankenhausfinanzierung, werden dem aber nicht zustimmen können,
weil sie zeitlich befristet ist und weil dies ein Vorschaltgesetz ist, das aus Ihren Koalitionsquerelen herrührt und von Ihren weitreichenden Plänen, die die gesetzliche Krankenversicherung betreffen, ablenken soll.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Dieter Thomae.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Steindor hat hier viele Kritikpunkte in bezug auf die Pläne der Koalition, teilweise auch die der SPD, geäußert. Wir würden gern einmal das Konzept der Bündnisgrünen kennenlernen. Dann könnten wir uns auch einmal mit Ihnen auseinandersetzen. Bisher haben Sie nichts vorgelegt. Ihre Aussage ist, es wird in Ihrer eigenen Partei und in ihren Fraktionen noch diskutiert. Von daher spreche ich Ihnen einfach das Recht ab, wenn Sie selber nicht in der Lage sind, ein Konzept vorzulegen, über die Konzepte der anderen zu diskutieren und sie in den Schmutz zu ziehen. Machen Sie zunächst einmal Ihre Hausaufgaben, und dann melden Sie sich zurück!
Herr Dreßler, ich wundere mich schon ein bißchen über Ihre Aussagen. Das Temperament stimmt heute ja wieder. Aber bisher, Herr Dreßler, haben Sie und Ihre Fraktion uns immer vorgeworfen: Wieso eine nächste dritte Reform, die ist überhaupt nicht notwendig. Wir sollten besser abwarten, wie die zweite Reform wirkt,
und dann haben wir für eine Entscheidung Zeit.
Wir von seiten der Koalition haben immer wieder gesagt: Wir sehen diese Notwendigkeit, weil in der Vereinbarung steht, der Teilbereich Budgetierung läuft aus, der Krankenhausbereich muß weiterentwickelt werden.
Ich sage sehr klar: Die Koalition wird am nächsten Dienstag auf der Grundlage der beiden Konzepte diskutieren und dabei zunächst mit dem Schwerpunkt Krankenhaus anfangen, damit wir genau dort, wo die Kostensteigerung eintritt - nicht ganz ohne die Unterstützung des Gesetzgebers; auch Sie waren mit dabei -, die Kostensteigerung einfangen. Um es hier deutlich zu sagen: Die Beitragssätze müssen nicht steigen, wenn wir den Krankenhausbereich einfangen. Das ist unser Ziel, und ich werde alle meine Kraft einsetzen, daß wir ein solches Konzept über die Runden bringen. Dies ist für die Koalition notwendig.
Meine Damen und Herren, wir werden dieses Konzept am Dienstag besprechen, und wir werden in die richtige Richtung gehen. Es kann nicht die Richtung sein, die Sie wollen, nämlich Gesamtbudgetierung, gesamtglobale Ausgaben festlegen.
Ich denke, die Politik muß intelligenter sein. Die Budgetierung ist eine alte Kamelle, wenig kreativ. Wir müssen andere Instrumente entwickeln, um diesen Weg zu gehen, damit wir auf Dauer keine Rationierung im Krankenhaus bekommen, sondern kreative Möglichkeiten entwickeln, den Anforderungen der Bevölkerung zu genügen.
Dies, meine Damen und Herren, muß der Weg sein, nicht das, was Sie immer wieder seit vielen Jahrzehnten predigen, die Globalausgaben festzulegen, und damit soll alles erledigt sein. Welche Ergebnisse das zeitigt, sehen Sie in Schweden und England ganz eindeutig. Ich empfehle Ihnen: Untersuchen Sie in diesen Ländern, wo die Ausgaben global festgelegt werden, wie dort medizinische Leistungen rationiert werden. Das kann bei uns keine Politik sein.
Herr Kollege Dr. Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus Kirschner?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Thomae, ist Ihnen bewußt, daß wir uns nicht in Schweden und nicht in England befinden, sondern in der Bundesrepublik Deutschland? Wenn Sie intelligentere Konzepte fordern, möchte ich Sie fragen: Ist es ein intelligentes Konzept, den Arbeitgeberbeitrag dem Lohn hinzuzurechnen, obwohl Ihnen die Frau Justizministerin in einem Brief an Sie bescheinigt hat, daß dies verfassungswidrig wäre? Ist das, was Sie vorschlagen, das intelligentere Konzept?
Nein, Herr Kollege Kirschner, das ist nur ein Punkt. Wir haben in unserem Konzept auch andere, für mich entscheidendere Punkte. Einer der für mich entscheidenderen Punkte ist, die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten erheblich zu verbessern.
Über die Möglichkeiten der Gestaltung der Verträge der einzelnen Kassenarten mit den sogenannten Leistungserbringern sehe ich viel mehr Steuerungselemente, die sozialen marktwirtschaftlichen Überlegungen entsprechen, als dies bei einer globalen Budgetierung der Fall ist. Globale Budgetierung führt zur Rationierung.
Dr. Dieter Thomae
Ich sage gar nicht, daß wir in Schweden oder England sind. Ich möchte dies nicht haben. Aber wer für globale Budgetierungen eintritt, muß wissen, wohin das führt. Das können Sie in diesen Ländern sehr gut erkennen. Daher wäre es sinnvoll, wenn der Ausschuß dort einmal hinfahren würde, um dieses festzustellen.
Meine Damen und Herren, der erste Schritt, um zu zeigen, wo die Schwerpunkte liegen, ist unser Gesetzentwurf. Erster Punkt: Im Pflegebereich hat die Koalition ihre Aufgabe erledigt. Wir haben entsprechende Pflegekräfte eingestellt. Hier ist die Versorgung erheblich besser geworden.
Zweiter Punkt: Bei den Ersatzinvestitionen laufen die Länder davon. Ich weiß, das hören Sie nicht gerne. Die SPD-geführten Länder praktizieren seit Monaten, man kann sogar sagen: seit Jahren, ein Davonschleichen. Drei Jahre gab es keine Ersatzinvestitionen.
Meine Damen und Herren, der dritte Punkt, der für uns wichtig ist, ist die Bundespflegesatzverordnung. Wir haben sie jetzt ein Jahr mehr oder weniger freiwillig praktiziert, aber wir wissen, daß es hier und dort Punkte gibt, die verbessert werden müssen, wo wir ebenfalls Millionen einsparen könnten. Ich sage aber auch sehr deutlich: Ich bin fest davon überzeugt, daß die Bundespflegesatzverordnung eine Zukunft hat und daß wir mit diesem Instrument das Krankenhaus weiterhin besser steuern können als mit jedem anderen Instrument. Daher, meine Damen und Herren, lassen Sie uns in dieser Richtung weiterdenken.
- Ich sage der Opposition: Nach unseren Beratungen in Bad Neuenahr werden Sie im Krankenhausbereich ein ausgewogenes Konzept vorfinden. Ob Sie mitmachen oder nicht, müssen Sie dann selbst entscheiden. Das müssen wir dann im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuß diskutieren.
Einen vierten, wichtigen Punkt möchte ich betonen. Das Krankenhaus ist der erste Schritt, dann folgen die anderen Bereiche. Ich möchte sehr deutlich sagen, daß es für uns ein wichtiges Prinzip ist: soviel ambulant wie möglich und so wenig stationär wie nötig.
Nur so können wir im Gesundheitssektor sparen.
- Herr Kirschner, ich weiß, daß die SPD-Fraktion hier eine Umkehr vollzogen hat. Sie waren bis vor Jahren einer der großen Verfechter, so viel Behandlung wie möglich im Krankenhaus durchzuführen.
- Ja. Nun erkennen Sie, daß die Kosten davonlaufen,
und jetzt folgen Sie mehr oder weniger den Überlegungen der Koalition. Das müssen Sie bekennen; das fällt Ihnen schwer.
Es ist aber so, schauen Sie es sich doch an.
Herr Kollege Thomae, der Herr Kollege Kirschner würde gern noch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als ob Sie ein Konzept hätten,
sprechen Sie dann für die Koalition, sprechen Sie auch für Herrn Möllemann mit, oder wie sieht es eigentlich aus? Wieso sind dann die Verhandlungen in Bad Neuenahr so schnell gescheitert? Können Sie das dem Plenum einmal erläutern?
Herr Kirschner, auch in Ihrer Partei gibt es manchmal interfraktionell große Schwierigkeiten,
bei denen unterschiedliche Positionen sehr deutlich gemacht werden. Aber das passiert ja nicht nur in Ihrer Partei, sondern auch in anderen Parteien, auch in unserer Partei. Aber diese Schwierigkeiten werden bei Ihnen wie bei uns überwunden. Wir sind bereit, nach Überwindung dieser Schwierigkeiten hier in der Koalition saubere Arbeit zu leisten. - Klaus, du kannst mich überhaupt nicht fangen.
Erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Ja.
Herr Kollege Thomae, ist das der Grund dafür, daß der Kollege Möllemann heute an der Debatte nicht teilnimmt?
Herr Schily, ich weiß, daß Herr Möllemann einen dringenden Termin hat und mich gebeten hat, hier zu reden.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten hier über die Sache diskutieren
Dr. Dieter Thomae
- das ist entscheidend - und nicht über Differenzen - -
- Ich denke, es lohnt sich nicht, im Parlament über so etwas zu diskutieren, sondern es lohnt sich, über Sachthemen zu sprechen.
Herr Kollege Thomae, die Kollegin Wolf würde auch gern eine Frage stellen.
Nein, ich werde jetzt noch einige Punkte nennen, die für uns sehr wichtig sind, die wir in die Debatte einbringen möchten. Ich denke, das ist wichtiger als dieses andere Thema.
Ich hatte gesagt, Vertragsfreiheit und Vertragsgestaltungsmöglichkeiten sind für die F.D.P. ein zentrales Thema.
Das zweite zentrale Thema ist, den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu ermöglichen. Hier müssen wir Stabilisierungsfaktoren einbauen.
Der dritte wichtige Bereich ist die Finanzierung. Ich spreche sie ganz bewußt an. Hier kann sich, meine Damen und Herren, auch die SPD nicht davonschleichen. Wir wissen, was die demographische Entwicklung, was die sinkenden Lohnquoten für das Sozialsystem in Zukunft insgesamt bedeuten. Für dieses Problem haben die Sozialdemokraten auch keine Lösung. Sie bringen nicht die Ehrlichkeit auf, der deutschen Bevölkerung zu sagen: Das heutige Leistungsniveau ist mit diesen Finanzierungsmethoden auf Dauer nicht zu bezahlen. Dafür muß es andere Finanzierungsquellen geben, oder wir müssen neue Leistungspakete schnüren, oder wir müssen sogar überlegen, ob wir Teilbereiche aus der Sozialversicherung, aus der Krankenversicherung herausnehmen.
Alles andere, was Sie der deutschen Bevölkerung sagen, ist nicht wahr. Ich will nicht sagen, es ist Lüge; es ist auf Dauer nicht zu finanzieren.
Ich sage Ihnen: Wir als Politiker haben die Aufgabe, der deutschen Bevölkerung dies klar und deutlich zu sagen. Ich bin bereit, jedem zu sagen: Wenn Sie das alte Leistungspaket haben wollen, dann kommen wir mit diesem Beitragssatz nicht aus. Ich bin auch bereit, zu sagen, daß dann der einzelne mehr Verantwortung übernehmen muß.
Ich sage das so deutlich; Sie schleichen sich davon. Sie sagen, alles bleibt beim alten, aber kein Mensch spricht davon, wie es finanziert wird.
Sie haben kein Konzept, Sie sprechen von einer allumfassenden Versorgung,
und wenn Sie einmal ein Wort über die Finanzierung sagen sollten, würden Sie überhaupt nichts herausbringen,
weil Sie überhaupt keine Ideen haben.
Bevor Sie uns kritisieren, sollten gerade Sie vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihr Konzept auf den Tisch legen, damit man sich mit Ihnen ordentlich auseinandersetzen könnte. Aber das ist ihre Schwäche: Sie machen nur Sprüche: nur Verzäll, wie der Kölner sagt, aber Sie haben kein Konzept.
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Rudolf Dreßler.
- Die erste Meldung bei mir war Dreßler, die zweite Pfaff. - Also gut, dann übernimmt das der Kollege Professor Dr. Martin Pfaff.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Frau Steindor - das hat mich ja eigentlich erfreut - aus meinem jüngsten Buch über die Lage des Krankenhauses nach dem Gesundheitsstrukturgesetz zitiert und dabei einen Punkt mißverständlich dargestellt hat, möchte ich direkt antworten.
Es ist ja richtig, daß in einer Welt, in der Fallpauschalen nur 20 % und Sonderentgelte 5 % des Leistungsgeschehens abdecken, eine Umstellung auf die Monistik absolut notwendig ist. Das bedeutet eine Ausweitung des Leistungsgeschehens, das über Fallpauschalen und Sonderentgelte abzudecken ist, und das bedeutet zum zweiten natürlich auch, daß die Investitionskosten über die Beitragssätze der Kassen gedeckt werden müssen, wenn die Beitragssätze die steuernde Wirkung haben sollen, die ja von vielen erwartet wird.
In der Übergangsphase, Frau Steindor - da ist das Mißverständnis -, würde die schlagartige Umstellung, d. h. der Verzicht auf die Investitionsförderung durch die Länder, eine Steigerung von einem halben bis einen Beitragssatzpunkt mit sich bringen, und das kann ja wohl der Weisheit letzter Schluß gerade in der jetzigen Landschaft nicht sein.
Deshalb folgern wir in diesem Buch, daß übergangsweise die Investitionsausfälle, die entstehen würden und die dann von den Beitragszahlern finanziert werden müßten, von den Ländern ausgeglichen werden sollen. Das kann natürlich langfristig nicht so bleiben, weil dann ja die Steuerungswirkung der vollkostenberechneten Fallpauschalen entfallen würde.
Dr. Martin Pfaff
Ich kann nur sagen: Lesen Sie weiter; weiter so. Vielleicht gibt das Anlaß zu weiteren guten Dialogen in diesem Hause.
Frau Kollegin Steindor, wollen Sie replizieren?
Ich wollte mich nur kurz für Ihre Ausführungen
bedanken.
Ich möchte sagen: Das geht aus dem Text so nicht hervor. Was ich aber den Äußerungen von Ihnen jetzt entnehmen konnte, war, daß Sie auf Einsparungen setzen. Ich möchte an dieser Stelle Zweifel anmelden, ob das so funktionieren wird.
In Ihren Ausführungen haben Sie ebenfalls nicht angesprochen, wie man das Problem in den Griff bekommen soll, wenn man eine regionale Gesundheitsversammlung macht, wie die Länder dort noch ein gewichtiges Wort mitreden sollen, wenn sie keinen Pfennig mehr beisteuern und die Zahlmeister andere sind.
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Ruth Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitspolitik der Koalition ist nun auch öffentlich sichtbar in eine Sackgasse geraten. Die ersten Koalitionsgespräche zur sogenannten dritten Stufe der Gesundheitsreform sind bekanntlich wegen unüberbrückbarer Meinungsunterschiede bereits nach wenigen Stunden geplatzt. Die positive Wirkung des Gesundheitsstrukturgesetzes ist noch rascher erloschen, als es selbst die Skeptiker erwartet hatten. Bereits für das laufende Jahr steht der gesetzlichen Krankenversicherung wieder ein Defizit in mehrfacher Milliardenhöhe ins Haus, und für das kommende Jahr droht nun gar ein noch größeres Debakel. Rote Zahlen bis zu einem Volumen von 15 bis 20 Milliarden DM mit entsprechenden Konsequenzen, sprich: enormen Beitragserhöhungen, werden für die gesetzliche Krankenversicherung befürchtet.
Eine solche Entwicklung wäre nicht nur eine Katastrophe für Versicherte, Wirtschaft und Gesellschaft; sie würde wohl auch das Scheitern der Zielstellung des Gesundheitsministers Seehofer bedeuten.
Während es also fünf Minuten vor zwölf ist und eigentlich aus objektiven wie auch gewissermaßen aus subjektiven Gründen dringend durchgreifendes Handeln angesagt wäre, hat sich die Koalition in einen Zustand völliger Selbstblockade manövriert. Wie es scheint, ist sie nicht einmal, um wenigstens das Schlimmste zu verhüten, zur zeitlich begrenzten Fortführung einer Budgetierung in der Lage. Dabei bleibt es ja richtig, daß die sektorale Budgetierung ein höchst unglückliches Instrumentarium darstellt. Wahr ist aber auch, daß es im Zweifelsfall immer noch besser ist zu budgetieren, als die Entwicklung einem unheilvollen Selbstlauf zu überlassen.
Doch statt tatkräftiger Aktionen, so wie es dem Umfang der Aufgaben und der Kompliziertheit der anstehenden Probleme entspräche, erleben wir nun die Präsentation einer Kette von Minigesetzen. Anders ausgedrückt: Statt verantwortlicher Gesundheitspolitik bekommt das staunende Publikum gegenwärtig immer neue Variationen von Politikersatz angeboten. Diese Minigesetze sind entweder so beschaffen, daß sie längst anerkannte, ja sogar schon gesetzlich fixierte Reformen wieder zunichte machen, wie es bei der Streichung der Positivliste der Fall ist, oder sie zielen auf kleinkarierte und nahezu wirkungslose bzw. auf ausgesprochen falsche Maßnahmen.
Exakt von solchem Kaliber ist auch der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf im Zusammenhang mit der Krankenhausfinanzierung. Durch Sofortmaßnahmen soll die gesetzliche Krankenversicherung ca. 1 bis 2 Milliarden DM im Krankenhausbereich einsparen können. Gesichert werden soll, daß die Bundesländer auch in den Jahren bis 1998 für bestimmte Instandhaltungskosten der Krankenhäuser verantwortlich bleiben, so wie es bis 1992 der Fall war. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes hat hier zweifellos Regelungsbedarf geschaffen. Aber selbst wenn die Länder für diese Aufwendungen nun wieder eindeutig verpflichtet werden - was ja durchaus vernünftig ist -, würden die Kassen keine einzige Mark hinzugewinnen. Sie waren bekanntlich mit diesen Kosten noch nie belastet.
Besonders schlimm aber ist, daß die Bundesregierung gleichzeitig die weitere Anwendung der Pflegepersonalregelung für 1996 aufgehoben hat. Damit wird der Rotstift ausgerechnet beim Pflegepersonal angesetzt. Jeder weiß aber, daß Krankenhausbehandlungen heute tendenziell zeitlich kürzer und zugleich medizinisch aufwendiger werden. Die damit einhergehende Intensivierung der Arbeit verlangt somit mehr und besser qualifiziertes Personal. Daß diesem Sachverhalt über Jahrzehnte hinweg nie rich-
Dr. Ruth Fuchs
tig Rechnung getragen wurde, hat bekanntlich zu jenen gravierenden Mißständen geführt, die unter dem Begriff „Pflegenotstand" traurige Berühmtheit erlangt haben.
Plötzlich sind aber, nach Meinung der Koalition, die Krankenhäuser ausreichend besetzt. Ein Plus von etwa 20 000 Stellen, von denen allerdings nach Meinung der größten Berufsorganisation der Pflegeberufe nicht einmal sicher ist, ob sie überhaupt alle dem Pflegesektor zugute gekommen sind, soll nun mit einem Schlag zu einer dauerhaften Entspannung dieses Notstands geführt haben, und das in einem Krankenhaussektor mit mehr als 600 000 Akutbetten.
Wie kann man denn die Mittel für die pflegende Hand streichen - also gewissermaßen für die Seele dieses Bereiches -, wenn es in den Krankenhäusern bisher noch nicht einmal möglich war, das neue Arbeitszeitgesetz, welches die Ruhezeiten zwischen zwei Schichten regelt, voll zur Anwendung zu bringen? Dabei kann für die Krankenhäuser mit dieser sogenannten Einsparung die befürchtete Kostenlawine nicht einmal gemildert, geschweige denn aufgefangen werden.
Im übrigen hat sie auch ganz andere Ursachen. Diese liegen viel eher bei den erneut zu erwartenden, ungebremsten Mengenausweitungen, wenn zu Beginn des nächsten Jahres die bisherige Deckelung wegfällt. Hinzu kommt: Trotz technischer Spitzenausrüstung der Ambulanz ist die Zahl der Krankenhausfälle je Einwohner im internationalen Vergleich noch immer zu hoch und in den letzten Jahren sogar weiter angestiegen. Man weiß, daß auch dies letztlich Ausdruck nicht adäquater, ja eigentlich kontraproduktiver Strukturen und Leistungsanreize im medizinischen Versorgungssystem ist. Was in diesem Land gebraucht wird, ist nicht die Verabschiedung eines Detailgesetzes nach dem anderen, sondern eine wirklich an die Wurzeln gehende Reform des Gesundheitswesens.
Meine Damen und Herren, wir teilen durchaus die im heute ebenfalls vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion zur Weiterentwicklung der Gesundheitsstrukturreform geäußerte Befürchtung, daß ohne entschlossenes Handeln die Kosten des Gesundheitswesens unkontrollierbar aus dem Ruder laufen werden. Wir glauben allerdings nicht, daß die mit dem Gesundheitsstrukturgesetz geschaffenen Rahmenbedingungen für die notwendigen Veränderungen bereits ausreichen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
Gut, die Redezeit hier ist abgelaufen. Aber angesichts der Wahlergebnisse in
Berlin werden Sie wohl im nächsten Bundestag wieder mit unseren Redezeiten rechnen müssen.
Ich rufe den Abgeordneten Rudolf Dreßler mit einer Erklärung zur Aussprache auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß § 30 unserer Geschäftsordnung möchte ich folgende Erklärung zur Aussprache abgeben: Ausweislich der „Frankfurter Rundschau" vom 24. Oktober 1995 hat der Bundesgesundheitsminister erklärt, „daß durch politische Entscheidungen bisher nicht gedeckte Kosten von bis zu 6 Milliarden DM in die Krankenversicherung hineingeschoben wurden".
Ausweislich der Zeitungen von heute hat der Bundesgesundheitsminister gegenüber Journalisten erklärt, daß die deutsche Krankenversicherung im nächsten Jahr mit einer Beitragssatzsteigerung von mindestens 0,5 % rechnen könne. Das ist ein Hammer!
- Im ersten Halbjahr, Herr Lohmann. Das macht in zwei Halbjahren nach „Adam und dem Riesen" einen Prozentpunkt.
Ich stelle hiermit fest, daß der Bundesgesundheitsminister es ob dieser Lage nicht für nötig befunden hat, diese dramatische Entwicklung von seiten der Regierung vor dem Deutschen Bundestag darzustellen und zu erklären. Wenn die Streitsituation in der Koalition so weit gediehen ist, daß die deutsche Bundesregierung wegen des Koalitionsstreits eine solche dramatische Entwicklung in der Abgabensteigerung durch den federführenden Minister vor dem Deutschen Bundestag nicht mehr darlegen kann, dann muß ich Ihnen sagen, daß das eine der traurigsten Ergebnislagen ist, die sich hier jemals nach einer Debatte ergeben hat.
Herr Abgeordneter, nach § 30 unserer Geschäftsordnung dürfen Sie nur Erklärungen zur Aussprache, die Ihre Person betreffen, abgeben.
- Diese Erklärung ist mir sehr kurzfristig gemeldet worden. Deswegen mußte ich so verfahren. Ich habe das so festgestellt und schließe damit die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/2745 und 13/2680 an die in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Oktober 1995 5547
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um folgenden Zusatzpunkt zu erweitern:Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Deichmann, Jella Teuchner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur verbesserten Durchlässigkeit zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Alterssicherung der Landwirte- Drucksache 13/1349 -Der Antrag soll jetzt gleich ohne Debatte im vereinfachten Verfahren überwiesen werden: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Sind Sie auch mit der Ausschußüberweisung einverstanden? - Auch das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 m sowie 17 o und 17 p und die Zusatzpunkte 10 a bis 10 c auf:17. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dagmar Enkelmann, Rolf Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes- Drucksache 13/1784 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Oktober 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Grenzberichtigungen
- Drucksache 13/1936 —Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten- Drucksache 13/2477 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Estland über die Seeschifffahrt- Drucksache 13/2478 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheite) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Georgien über die Binnenschifffahrt- Drucksache 13/2479 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehrf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1993- Drucksache 13/2481 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Wirtschaftg) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen Nr. 1 und Nr. 2 vom 4. November 1993 zu dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe- Drucksache 13/2482 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschußh) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/2725 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungi) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes- Drucksache 13/2592 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß InnenausschußVizepräsidentin Dr. Antje Vollmerj) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über Erleichterungen der Grenzabfertigung im Eisenbahn-, Straßen- und Schiffsverkehr- Drucksache 13/2710 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschußk) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des BundesSeuchengesetzes- Drucksache 13/2711 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlegung des Sitzes des Bundesarbeitsgerichts von Kassel nach Erfurt- Drucksache 13/2712 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOm) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1996
- Drucksache 13/2480 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Aussschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußo) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSNichterhebung der Kfz-Steuer für überzählige Kraftfahrzeuganhänger abschaffen- Drucksache 13/827 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß Ausschuß für Verkehrp) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDSÄnderung der Rahmenvereinbarung von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages- Drucksache 13/2571 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußZP10 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes- Drucksache 13/2580 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Rechtsausschuß FinanzausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 13/2591 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheitc) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung
- Drucksache 13/2747 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung FinanzausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für GesundheitHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 p und 11 sowie Zusatzpunkt 11 auf:18. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau- Drucksache 13/1887 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Wirtschaftsausschusses
- Drucksache 13/2761 -Berichterstattung: Abgeordneter Paul K. FriedhoffVizepräsidentin Dr. Antje Vollmerb) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes - RpflAnpG- Drucksache 13/1288 -
Beschlußempfehlung und Bericht desRechtsausschusses
- Drucksache 13/2633 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael Luther Hans-Joachim Hackerc) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. Juni 1989 zum Madrider Abkommen über die Internationale Registrierung von Marken- Drucksache 13/2415 -
Beschlußempfehlung und Bericht desRechtsausschusses
- Drucksache 13/2670 -Berichterstattung:Abgeordnete Peter Altmaier Ludwig Stieglerd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Reform der gemeinsamen Marktorganisation für Wein- Drucksachen 13/725 Nr. 124, 13/2141 -Berichterstattung:Abgeordnete Heidemarie Wrighte) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tierernährung- Drucksachen 13/725 Nr. 108, 13/2579 -Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Gerald Thalheimf) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 40 Titel 896 21 - Leistungen zur Schaffung von Lebensgrundlagen für die deutschen Minderheiten -- Drucksachen 13/2233, 13/2402 Nr. 3, 13/2485 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina AlbowitzUta Titze-StecherOswald Metzgerg) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1993- Drucksachen 13/169, 13/2487 -Berichterstattung:Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng Manfred HampelAntje Hermenauh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des bundeseigenen Flugplatzes an die „Holding Unternehmen Hahn GmbH & Co.KG"- Drucksachen 13/1897, 13/2491 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelini) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin- Drucksachen 13/2186, 13/2492 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelinj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerungeiner bundeseigenen Liegenschaft inVizepräsidentin Dr. Antje VollmerMagdeburg an das Land Sachsen-Anhalt- Drucksachen 13/2224, 13/2493 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelink) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 24 zu Petitionen- Drucksache 13/1003 -1) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 69 zu Petitionen - Drucksache 13/2596 -m) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 70 zu Petitionen- Drucksache 13/2597 -n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 71 zu Petitionen- Drucksache 13/2598 -o) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 72 zu Petitionen- Drucksache 13/2599 -p) Beratung der Beschlußempfehlung desRechtsausschusses
zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 5/95- Drucksache 13/2646 -Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann11. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung der Steinkohleverstromung ab 1996- Drucksachen 13/2419, 13/2471 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/2759 -Berichterstattung:Abgeordnete Michaele Hustedt b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/2760 -Berichterstattung:Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng Manfred HampelAntje HermenauZP11 weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß über die Unterstützung von Aktionen zugunsten älterer Menschen durch die Gemeinschaft- Drucksachen 13/1442 Nr. 1.2, 13/1900 -Berichterstattung:Abgeordnete Barbara Imhof Erika ReinhardtHeidemarie LüthIrmingard Schewe-GerigkEs handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 18a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlebergbau, Drucksache 13/1887. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/2761, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Gruppe der PDS ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in der dritten Lesung angenommen.Tagesordnungspunkt 18b: Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes, Drucksachen 13/1288 und 13/2633. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen möchten, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerWir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit bei je einer Enthaltung der Gruppe der PDS und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken, Drucksache 13/2415. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 2670, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18 d: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Verordnungsvorschlag der Europäischen Union zur Reform der gemeinsamen Marktorganisation für Wein, Drucksache 13/2141. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18 e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über Zusatzstoffe in der Tierernährung, Drucksache 13/2579. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18 f: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe bei den Leistungen zur Schaffung von Lebensgrundlagen für die deutschen Minderheiten, Drucksachen 13/2233 und 13/2485. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 18 g: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleeinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1993, Drucksachen 13/169 und 13/ 2487. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkte 18h bis 18j: Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke, Drucksachen 13/ 2491 bis 13/2493. Es handelt sich um den ehemaligen NATO-Flugplatz in Hahn sowie um Liegenschaften in Berlin und Magdeburg. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18 k: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/1003. Das ist die Sammelübersicht 24. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 181: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2596. Das ist die Sammelübersicht 69. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 18m: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2597. Das ist die Sammelübersicht 70. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.Tagesordnungspunkt 18n: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2598. Das ist die Sammelübersicht 71. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.Tagesordnungspunkt 18 o: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2599. Das ist die Sammelübersicht 72. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen aus der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 18p: Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 13/2646. Es handelt sich um die Klage der PDS wegen Nichtzuweisung von Haushaltsmitteln zugunsten des Vereins „Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V.". Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe der PDS und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angenommen.Tagesordnungspunkt 11: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umstellung der Steinkohleverstromung ab 1996, Drucksachen 13/2419, 13/2471 und 13/2759. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS angenommen.Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerWir kommen zur dritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Zusatzpunkt 11: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu einem Beschlußvorschlag der Europäischen Union zur Unterstützung von Aktionen zugunsten älterer Menschen, Drucksache 13/1900. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a und 16 b auf:a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft und der Gruppe der PDSFinanzierung von Parteien und parteinahen Stiftungen- Drucksachen 13/835, 13/1895 -b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Dr. Barbara Höll, Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDSGesetzliche Regelung der Grundsätze der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen- Drucksache 13/621 -Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung HaushaltsausschußNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Dr. Ludwig Elm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Beratung zu Fragen der staatlichen Zuwendungen für parteinahe Stiftungen geht von unserer Großen Anfrage und von der Antwort der Bundesregierung vom 29. Juni 1995 aus. Es widerspricht dem in Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz verankerten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Finanzierung parteinaher Stiftungen vom 19. Juli 1966 und vom 14. Juli 1986, wenn die Mittel unter den parteinahen Stiftungen der CDU, CSU, F.D.P., SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN aufgeteilt, der PDS-nahen Stiftung aber Mittel entsprechend den erzielten Wahlergebnissen seit Jahren verweigert werden.
Der nunmehr bereits mehrere Jahre andauernde vehemente Widerstand insbesondere der CDU/CSU gegen die Korrektur, die diese bisherigen Entscheidungen verlangen, läßt keine Zweifel über die politische Absicht offen: Es geht darum, die PDS zu diskriminieren, sie in ihren Arbeitsmöglichkeiten zu beeinträchtigen und als eine Partei zu behandeln, die im politischen Spektrum der Bundesrepublik eigentlich kein Existenzrecht haben darf und der keine Chance eingeräumt werden soll, unter vergleichbaren Bedingungen politische Bildungsarbeit zu leisten. Die Spitzfindigkeiten der ins Feld geführten Argumente sind offensichtlich. Es zeigt sich aber, daß sie mit dem Art. 21 des Grundgesetzes, der Chancengleichheit verlangt, unvereinbar sind.
Damit gibt es in dieser Situation zu diesem Thema zwei Lösungswege: Entweder bekommt die PDS entsprechend dem Anteil ihrer Stimmen bei der Bundestagswahl die einer parteinahen Stiftung zustehenden staatlichen Zuwendungen wie die anderen Parteien auch, oder diese Zuwendungen werden insgesamt abgeschafft. Es geht jedoch nicht, daß die anderen Parteien den Bundeshaushalt als Selbstbedienungsladen benutzen und ihnen nicht genehme Parteien davon ausschließen. Es geht immerhin um nicht weniger als rund 600 Millionen DM im Jahr, von denen sich die anderen Parteien nunmehr seit Jahren auch des Anteils bedienen, der nach den gesetzlichen Vorgaben der PDS zustehen würde.
Es ist im Rahmen der Mittelzuweisung nicht nur unglaubwürdig, sondern nunmehr geradezu lächerlich, weiterhin von einer fehlenden Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit der PDS als politischer Strömung auszugehen. Diese Behauptung ist nicht aufrechtzuerhalten angesichts der Tatsache, daß die PDS mittlerweile in der dritten Legislaturperiode im Bundestag vertreten ist und jüngst bei den Wahlen in Berlin mit 14,6 % drittstärkste Kraft wurde - in OstBerlin, wie Sie zur Kenntnis nehmen konnten, sogar mit Abstand die stärkste Kraft. Die PDS ist daneben in den fünf Landtagen der neuen Bundesländer, also in insgesamt sechs Landesparlamenten, vertreten. Im Vergleich dazu existiert die Regierungspartei CSU - die Nachfolgepartei der Bayerischen Volkspartei - nur in einem einzigen Bundesland und dessen Landtag.
Der Koalitionspartner F.D.P. ist aufgebrochen, aus den Landtagen überhaupt auszuscheiden, und ist auf diesem Wege bereits weit vorangekommen. Er ist im Augenblick noch in vier Landesparlamenten vertreten. Die Frage nach der Dauerhaftigkeit dieser Parteirichtung wurde noch nicht gestellt. Das dürfte sich aber bald als aktuell erweisen.
Gegen die willkürliche Auslegung von „Dauerhaftigkeit" verweisen wir auch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, darunter auf ein
Dr. Ludwig Elm
Urteil vom 14. Juli 1986, in dem es heißt - ich zitiere -:
Die Verteilung der Globalzuschüsse unter den vier begünstigten Stiftungen läßt erkennen, daß sich der Gesetzgeber an den Stärkeverhältnissen der politischen Grundströmungen, wie sie sich in den Wahlergebnissen der ihnen „nahestehenden" Parteien bei den Bundestagswahlen spiegeln, orientiert hat.
Zu diesem Kriterium sollten wir zurückkehren.
Nicht stichhaltig ist das Argument, daß seit 1992 eine Klage der PDS beim Bundesverfassungsgericht anhängig sei und in diesen Prozeß nicht eingegriffen werden sollte. Die oben genannte Klage bezieht sich auf die Bewilligung der Mittel der Jahre 1992 und 1993. Wir sprechen jetzt aber von den gegenwärtigen und künftigen Entwicklungen.
Schließlich resultiert der Anlaß zur Klage aus der Verweigerung unseres Anspruchs. Die Entwicklung in der 13. Legislaturperiode hat gezeigt, daß die Voraussetzungen für die Verweigerung, die niemals vorlagen, nun erst recht nicht mehr vorliegen.
Wir verweisen darauf, daß die Grünen mit dem Eintritt in ihre zweite Legislaturperiode den Anspruch auf Mittel für die politische Bildung durch ihre Stiftung geltend machen konnten.
Ich verweise auch darauf, daß die positive Bewertung der PDS-nahen Stiftung in Berlin durch die Bundeszentrale für politische Bildung Beleg dafür ist, daß diese Stiftung eine verfassungskonforme Bildungsarbeit leistet und andere Urteile auf Unkenntnis oder Voreingenommenheit beruhen. Es bleibt nur ein Motiv für die Nichtbewilligung der Mittel für die PDS-nahe Stiftung erkennbar, nämlich massiv eingreifen zu wollen in die politischen Mitwirkungsrechte der Wählerinnen und Wähler, der Sympathisantinnen und Sympathisanten und der Interessenten an einer politischen Bildungsarbeit der PDS.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen. Wir sprechen uns dagegen aus, daß - wiederum ein rein politisch motivierter Versuch des Bundesinnenministers Kanther - die Mitwirkung der PDS im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung verhindert werden soll. Wir fragen, ob der Innenminister künftig darüber entscheidet, ob und in welcher Weise der Bundestag, seine Fraktionen und Gruppen sowie seine Abgeordneten die ihnen zustehenden Rechte wahrzunehmen haben.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brigitte Baumeister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS legt uns einen Antrag vor, wonach die staatliche Finanzierung der parteinahen Stiftungen durch ein Gesetz geregelt werden soll, und hat in ihrem Beitrag, von Herrn Elm gerade ausgeführt, zum Ausdruck gebracht, daß sie benachteiligt wird.
Herr Elm, ich darf darauf verweisen - das haben auch Sie getan -, daß dasselbe der damaligen Regenbogen-Stiftung widerfahren ist. So hat es eine längere Zeit bis zur Förderung dieser Stiftung gedauert, da insbesondere die Nachhaltigkeit - Sie haben das erwähnt - dieser politischen Strömung streitig gewesen ist. - Genau das ist der Grund gewesen.
Doch bevor wir darüber entscheiden, ob eine gesetzliche Regelung erforderlich ist, möchte ich zunächst einmal fragen - das ist für mich eine sehr wichtige Frage -, ob der Bundesgesetzgeber die dafür notwendige Kompetenz überhaupt besitzt. Ich glaube, daß es wichtig ist, dies zu fragen, weil es verfassungsrechtlich geboten ist.
Die Hauptaufgabe der politischen Stiftungen ist ihre politische Bildungsarbeit. Wie das Wort „Bildungsarbeit" zeigt, ist dies nach der Kompetenzverteilung unseres Grundgesetzes eine Aufgabe, die in den Hoheitsbereich der Länder fällt. Deshalb meine ich für die CDU/CSU-Fraktion, daß, ehe wir überhaupt über den vorliegenden Antrag befinden, eine solche eingehende Prüfung eingeleitet werden sollte.
Es bestehen aus unserer Sicht nämlich erhebliche Zweifel daran, daß der Bund ein Stiftungsgesetz überhaupt erlassen kann. Der Verweis auf eine mögliche Regelungskompetenz des Bundes nach Art. 21 des Grundgesetzes greift nicht, weil die politischen Stiftungen nicht Bestandteil der politischen Parteien sind. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1986 eindeutig festgestellt. Wenn wir anders entscheiden würden, wären, so meine ich, unvertretbare Verfassungsrisiken damit verbunden. Eine Beschädigung der Arbeit der politischen Stiftungen kann nicht ausgeschlossen werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heuer?
Ja. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Frau Abgeordnete, ich würde von Ihnen gerne wissen, aus welchem Haushalt die Stiftungen finanziert werden, ob es sich dabei um den Bundeshaushalt handelt und ob sich daraus nicht auch unsere Kompetenz für eine rechtliche Regelung ergibt.
Eine direkte originäre Kompetenz gibt es, wie ich bereits erläutert habe, nicht.
Brigitte Baumeister
Auch nach Auffassung der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung besteht derzeit eine solche Kompetenz nicht. Die Kommission hat deshalb in ihrem Bericht eine Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes vorgeschlagen, um erst die Voraussetzung für eine Rahmenkompetenz des Bundes zu schaffen. Eine Vollkompetenz des Bundes lehnt sie ab.
Dies alles berücksichtigt der Antrag der PDS nicht. Wer ihn aufmerksam gelesen und mit den entsprechenden Passagen des Kommissionsberichtes verglichen hat, stellt fest, daß lediglich einige Aussagen der Kommission aufgelistet sind und mit wörtlichen und zum Teil unvollständigen und damit sinnentstellenden Auszügen begründet werden.
Für mich ist es schon beachtlich, daß die PDS - dies sage ich als Schatzmeisterin - einen solchen Antrag stellt. Denn wer für Transparenz im Bereich der Finanzen plädiert, werte Damen und Herren, sollte selbst zunächst einmal mit gutem Beispiel vorangehen. Hier frage ich die PDS, ob sie letztendlich nicht gewillt ist, ihr Parteivermögen gänzlich offenzulegen.
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes ist für mich genau zu prüfen. Gerade heute, wo wir uns in allen Bereichen bemühen, bürokratische Regelungen abzubauen, und neuen Wildwuchs kritisieren, müssen wir uns fragen, ob eine solche gesetzliche Regelung zwingend notwendig ist. Neue gesetzliche Regelungen sind nur dann notwendig, wenn andere Möglichkeiten nicht ausreichen oder wenn dies ein verfassungsrechtliches Gebot ist. Dies muß selbstverständlich auch für Stiftungen gelten. Ich möchte dies an dieser Stelle verneinen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juli 1986 hat die Grundlagen für die Arbeit der politischen Stiftungen beschrieben. Die politischen Stiftungen verfolgen als ihre wesentliche Aufgabe die politische Bildung in verschiedenen Ausprägungsformen. Die Stiftungen leisten mit dieser politischen Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität unserer demokratischen Verfassung. Sie treten damit für den Erhalt und die Verteidigung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein, und sie betreiben somit auch vorbeugenden Verfassungsschutz. Er ist wirksamer als alle staatliche Kontrolle über Entwicklungen extremistischer politischer Richtungen.
Die politischen Stiftungen erreichen durch ihre unterschiedlichen Ausrichtungen alle Bevölkerungskreise, vor allem auch junge Menschen, wenn Sie an die vielfältigen Vergaben von Stipendien der Stiftungen denken.
Die Tätigkeit der Stiftungen ist u. a. Ausfluß aus Art. 20 des Grundgesetzes. Der Staat hat sich bewußt entschieden, daß die politische Bildungsarbeit im wesentlichen nicht von ihm, sondern von anderen Organisationen durchgeführt werden soll. Die politisch verschieden ausgerichteten Stiftungen garantieren, so meine ich, gleichzeitig eine plurale Grundlage und entsprechen damit unserer Auffassung von Meinungsbildung in unserem Lande. Von daher ist eine besondere Sensibilitiät im Umgang mit den Stiftungen geboten.
Was nun die Offenlegung betrifft, so muß man feststellen, daß die Selbstverpflichtung der Stiftungen, die von allen - ich möchte sie jetzt nicht einzeln nennen - gemeinsam erarbeitet worden ist und zu der eine positive Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vorliegt, jetzt den Vorständen der Stiftungen zur Beschlußfassung vorliegt. Die darin getroffenen Regelungen greifen die Vorschläge und Empfehlungen der Kommission auf.
Aber auch ohne bindende Beschlüsse der jeweiligen Vorstände veröffentlichen die politischen Stiftungen ihrerseits schon ihre Wirtschaftsberichte und berücksichtigen bereits heute, so meine ich zumindest, die Vorschläge der Kommission umfassend. Am Beispiel der Konrad-Adenauer-Stiftung möchte ich Ihnen sagen, daß diese seit geraumer Zeit jährlich ihren Jahresabschluß sowie die Einnahmen und Ausgaben der Stiftung im „Bundesanzeiger" veröffentlicht. Hier werden alle wesentlichen Daten übersichtlich und nachvollziehbar für alle dargestellt.
Eine Kontrolle findet bereits bei der Mittelvergabe des Bundes an politische Stiftungen sowohl auf Grund der Bundeshaushaltsordnung als auch durch den Bundesrechnungshof statt. Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß das Bundesinnenministerium ständig eine begleitende Kontrolle des Erfolges der Arbeit vornimmt.
Die Forderung nach einer zusammenfassenden Kontrolle durch eine Stelle der Bundesregierung würde die projektbezogene Fachaufsicht aushebeln und eine qualitative Verschlechterung der Aufsicht bedeuten. Eine gesetzliche Regelung der Tätigkeiten der politischen Stiftungen einschließlich deren Personalplanung würde ihre Flexibilität entscheidend einschränken.
Im übrigen hat auch die Kommission selbst die Gefahr erkannt. Sie schreibt: „Die Flexibilität der Stiftungen sollte erhalten bleiben."
Es ist behauptet worden, daß das Bewilligungsverfahren nicht hinreichend transparent sei und der Öffentlichkeit mehr zugänglich gemacht werden müsse, weil die Abgeordneten ähnlich wie bei der Parteienfinanzierung und der Diätenregelung auch bei den politischen Stiftungen letztlich in eigener Sache entschieden. Dem kann ich so nicht zustimmen. Denn die politischen Stiftungen sind nach ihrer Satzung rechtlich selbständig und organisatorisch von den Parteien unabhängig, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1986 ausdrücklich festgestellt hat.
Der Kritik der mangelnden Transparenz bei der Bewilligung der staatlichen Zuschüsse könnte auch, so meine ich, durch andere als gesetzliche Maßnahmen begegnet werden. Möglich wäre eine entsprechende Presseveröffentlichung des Haushaltsaus-
Brigitte Baumeister
schusses zu der beabsichtigten Höhe der vom Parlament zu genehmigenden Mittel. Zudem könnte die Möglichkeit eröffnet werden, bei der parlamentarischen Beratung des jeweils zu verabschiedenden Bundeshaushaltsgesetzes die Mittel der Stiftungen regelmäßig besonders zu erwähnen und so der Öffentlichkeit bereits im Vorfeld der Haushaltsberatungen Aufschluß über die Höhe zu geben.
Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß ohne genaue und umfassende Prüfung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes eine gesetzliche Regelung der Arbeit der politischen Stiftungen nicht in Betracht kommen kann. Für uns ist eine übermäßige Eile auch deshalb nicht geboten, weil die politischen Stiftungen die Vorschläge bereits vorweg bei ihrer Arbeit berücksichtigt haben. Wir sollten - das meine ich sehr ernst - die Arbeit der Stiftungen und deren eingeschlagenen Weg aufmerksam verfolgen.
Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der PDS ab.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Luft? Sie haben noch ein bißchen Zeit. - Nein.
Das Wort hat der Abgeordnete Willfried Penner.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Beratung des vorliegenden Antrags der PDS und die Beantwortung der Großen Anfrage derselben Gruppe ist nicht nur eine gute, sondern auch eine willkommene Gelegenheit, die Arbeit der parteinahen Stiftungen, die im wesentlichen durch öffentliche Mittel ermöglicht wird, in der Öffentlichkeit zu beleuchten.
„Die Stiftungen sollen die Beschäftigung der Bürger und anderer mit politischen Sachverhalten anregen und für eine offene Diskussion und Weiterentwicklung politischer Fragen, die allen Zugang gibt, den Rahmen bieten." So hat es das Bundesverfassungsgericht 1986 entschieden, und daran gibt es nichts zu deuteln.
Soweit das unsereiner beurteilen kann, wird nach diesen Vorgaben auch bei allen Stiftungen gearbeitet, ob bei der Konrad-Adenauer-Stiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung, der Friedrich-Naumann-Stiftung oder der Regenbogen-Stiftung. Sie alle werden aus ihrer jeweiligen Sicht der Dinge in diesem Sinne politisch tätig. Sie haben mit dem Tagesgeschehen der politischen Parteien, mit dem auf Erringung und Ausübung politischer Macht gerichteten politischen Wettbewerb nichts zu tun, ohne die politische Substanz der ihr nahestehenden Parteien verhehlen zu können oder verhehlen zu wollen.
Von gelegentlichen Fehlentwicklungen, besonders in früheren Tagen, einmal abgesehen, haben die Stiftungen nicht nur in Deutschland, sondern auch im
Ausland eine vorzügliche Arbeit geleistet, die nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse liegt.
Für die Friedrich-Ebert-Stiftung nenne ich einige Beispiele. Sie nimmt sich über Studienveranstaltungen und Veröffentlichungen so wichtiger politischer Themen wie der Reform der öffentlichen Verwaltung, der inneren Sicherheit, der Ausländerpolitik wie auch der stärkeren Berücksichtigung der Ökologie in der Steuerpolitik an. Sie ist Denkwerkstatt zur Zukunft der Industriegesellschaft. Die Stiftung ist dabei, eine politische Perspektive für das Überleben, ja die Überlebensfähigkeit unserer Krankenversicherung zu entwickeln. Im außenpolitischen Sektor hatte und hat die Demokratieförderung für die Friedrich-EbertStiftung eine herausragende Bedeutung. In Südafrika wird dies besonders sinnfällig.
Ganz wichtig ist die Förderung von Stipendiaten. Seit Kriegsende sind es bei der Friedrich-Ebert-Stiftung über 10 000. Besonders die Unterstützungsleistung für ausländische Stipendiaten ist von uns von nationalem Interesse. Sie wurden und werden nach ihrer Förderung zu wichtigen Ansprechpartnern für deutsche Politik.
Diese Beispiele belegen: Alle diese Initiativen sind von Belang. Es ist deshalb kein Wunder, daß sich diese Wertarbeit auch im Urteil ebenso hochkarätiger wie unabhängiger Zeitzeugen widerspiegelt. Bundespräsident Herzog hat dazu anläßlich der 70-JahrFeier der Friedrich-Ebert-Stiftung folgendes gesagt:
Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist ein weit über Deutschland hinaus bekanntes und geachtetes Gütezeichen, auf das wir stolz sein können.
Er fährt fort:
Wie wäre die politische Entwicklung in Spanien oder Portugal nach dem Zusammenbruch der Diktaturen verlaufen ohne die solidarische Hilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung? Auch bei der Wiederherstellung der Demokratie in Chile kam deutsche Stiftungshilfe zur Wirkung. Das Instrument der gesellschaftspolitischen Entwicklungshilfe - dies ist primär Förderung demokratischen Denkens und des Aufbaus demokratischer Strukturen - ist ein genuines Betätigungsfeld der Friedrich-Ebert-Stiftung in vielen Staaten der südlichen Hemisphäre und neuerdings in den Ländern Zentral- und Osteuropas. Hierbei leisten die international aktiven Stiftungen oftmals wahre Kärrnerarbeit, stoßen bei den Regierungen in nichtdemokratischen Gastländern gelegentlich auf Argwohn und Mißtrauen und müssen in Einzelfällen sogar mit Repressionen rechnen.
Es kann keinen vernünftigen Zweifel daran geben, daß diese Beurteilung des Bundespräsidenten die Tätigkeit aller Stiftungen umschließt.
Die Arbeit der Stiftungen kostet Geld, und zwar nicht nur Taschengeld. Im Bundeshaushalt werden
Dr. Willfried Penner
diese Mittel über Globalzuweisungen und Projektfinanzierungen bereitgestellt. Die Stiftungen legen öffentlich Rechenschaft über die Verwendung ihrer Mittel ab. Sie stellen sich auf vielfältige und lückenlose Weise der Kontrolle. Das ist in Ordnung, ja selbstverständlich; denn schließlich geht es um Steuergelder. Letztendlich stellt auch der weisungsfreie Bundesrechnungshof zusammen mit anderen Institutionen und Kontrollmechanismen eine lückenlose, ja penible Kontrolle sicher.
Die von der Antragstellerin erhobene Forderung nach einem Gesetz über die Grundsätze der staatlichen Finanzierung der Stiftungen entspricht einem Trend nach immer mehr mehr Transparenz, ohne daß das damit verbundene Versprechen auch notwendigerweise eingelöst werden müßte. Soviel ist doch klar: daß ein Gesetz nur die Grundmarkierungen festlegen könnte, sich aber nicht in Details verlieren dürfte. Oder sollten mit der Schaffung eines Gesetzes die schon bestehenden fein differenzierten Mechanismen der Konkretisierung der Kontrolle sowohl der Exekutive als auch des Parlaments reduziert oder geschleift werden? Doch wohl nicht.
Dann ist im wesentlichen die Gesetzesform das einzig Neue, weil ja die Substanz dessen, um das es geht, bereits anderweitig in unterschiedlicher Form fixiert ist und auch praktiziert wird. Lohnt das aber den gesetzgeberischen Aufwand, wenn doch im wesentlichen nur die Globalzuweisungen, nicht aber die Projektfinanzierungen einer gesetzlichen Festlegung zugänglich sein dürften?
Im Zusammenhang mit den Projektfinanzierungen muß auch der Hinweis erlaubt sein, daß die Stiftungen zumindest Anspruch darauf haben, genauso wie andere Mittelnehmer behandelt zu werden und nicht durch besondere Regeln staatlicherseits mit einem besonderen Maß an Mißtrauen bedacht zu werden.
Aber wir sind heute sozusagen in einer ersten Lesung, und wir werden das Für und Wider einer gesetzlichen Regelung in der Form eines Stiftungsgesetzes bei den Ausschußberatungen vertiefen und dann zu einer Empfehlung für das Plenum kommen. Es gibt sehr viele triftige Gründe für die Absicherung der Arbeit der Stiftungen auch im Hinblick auf Planungssicherheit für künftige Arbeit. Leitlinie der Sozialdemokraten wird bleiben: Das Wirken der Stiftungen ist zu einem wichtigen Bestandteil des politischen Gemeinwohls geworden. Dies ist und bleibt die Richtschnur unserer diesbezüglichen Entscheidungen.
Schönen Dank für die Geduld.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, wenn wir in Fragen, die nicht so sehr inhaltlicher Art sind, sondern die sich vielmehr auf die Verfahren der politischen Willensbildung beziehen und darauf, wie der vorpolitische Raum, in dem es um politische und gesellschaftliche Teilhabe geht, strukturiert werden kann, nicht in künstlichen Streit verfallen, sondern zu einer Gemeinsamkeit der Demokraten finden, die doch allein die Voraussetzung dafür ist, daß Demokratie in diesem Land funktioniert. Deshalb ist es für uns bei aller inhaltlichen Gegnerschaft zu vielen Positionen auch der PDS immer wichtig, deutlich zu machen, daß die PDS Teil dieses Hauses, Teil dieser Gesellschaft ist und daß es die PDS verdient hat - das ist alles andere als ein Liebesbeweis, es ist auch kein karitativer Akt, sondern es ist für mich eine demokratische Selbstverständlichkeit -, alle Rechte zu genießen, die andere Parteien und Fraktionen dieses Hauses auch genießen.
Wir meinen deshalb, daß es geboten ist, nunmehr auch der PDS die Gründung einer ihr nahestehenden politischen Stiftung nicht weiter zu verweigern. Dies wäre eine Selbstverständlichkeit. So wie wir in dieser Frage vor vielen Jahren für uns gekämpft haben, so, denke ich, tun wir dies, wo es geboten ist, auch für andere.
Was allerdings heute Ihren Antrag betrifft, muß ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, deutlich sagen, haben Sie es sich ein bißchen sehr leichtgemacht. Während andere Fraktionen, z. B. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, in mühsamer Arbeit und monatelangen Anstrengungen an einem Stiftungsgesetz arbeiten - wie wir alle wissen, steckt der Teufel im Detail und nicht in der allgemeinen Forderung -, beschränkt sich die PDS darauf, eineinhalb Seiten aus dem Bericht der seinerzeit beim Bundespräsidenten eingerichteten Kissel-Kommission abzuschreiben und am Schluß nur noch zu fordern: Wir hätten gerne ein Stiftungsgesetz. Auch wir hätten gerne ein Stiftungsgesetz. Aber wir würden uns freuen, wenn Sie sich ebenfalls der Mühe unterziehen würden, hier konkrete Vorschläge zu machen; denn genau um die geht es. Sie tun ja gerade so, als wären Sie noch außerhalb des Parlaments und nicht Teil dieses Deutschen Bundestages und daher meines Erachtens nicht nur legitimiert, sondern im Grunde sogar in der Pflicht, selbst Vorschläge zu machen.
Die politischen Stiftungen sind - das hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt - in der Demokratie wichtig, gerade wenn es um den vorpolitischen Raum geht, wenn es darum geht, jenseits und unabhängig von machtpolitischen Fragen und Tagesaktualitäten politische Konzepte und Perspektiven zu entwickeln und zu diskutieren. Ich meine allerdings, daß genau dies nicht nur für die parteinahen Stiftungen, sondern genauso für Bürgerinitiativen, Verbände und andere Nichtregierungsorganisationen gilt. Auch über die Stärkung von deren Rolle im demokratischen Staat müssen wir nachdenken.
Gerald Häfner
Wir wollen im Stiftungsgesetz, von dem wir meinen, daß wir es brauchen, übrigens auch eine Obergrenze für die Globalmittel festschreiben, denn diese Globalmittel sind in den letzten Jahren exorbitant - regelmäßig deutlich stärker als der Bundeshaushalt insgesamt - gestiegen. Heute werden weit über 200 Millionen DM im Jahr an Globalmitteln ausgeschüttet. Und Sie alle wissen, daß das erst etwa ein Drittel der gesamten Stiftungsfinanzierung ausmacht. Zwei Drittel kommen im Regelfall aus Projektmitteln noch hinzu. Wir glauben weiterhin, daß es auch Zeit ist, bei einem Stiftungsgesetz über eine notwendige Selbstbegrenzung zu reden.
Also: Ein Stiftungsgesetz ist notwendig, ja unerläßlich, um den Stiftungen ihre wichtige und notwendige Arbeit zu ermöglichen, ihnen eine ausreichende demokratische Legitimation und damit auch Akzeptanz zu verschaffen und auch um so für die nötige Transparenz und Kontrolle bei der Mittelvergabe und bei der Entscheidung über deren Verwendung zu sorgen.
Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir neben einer Beschränkung der Globalmittel auch Vorkehrungen zur Festlegung der Staatsferne und auch der Unabhängigkeit von den politischen Parteien treffen und einen einheitlichen Verteilungsschlüssel durchsetzen wollen und das im übrigen - lassen Sie mich das noch als letztes sagen - als Grundlage für den Maßstab zur Aufteilung der Globalmittel unter die verschiedenen Stiftungen das jeweils letzte Bundestagswahlergebnis festlegen wird, weil wir meinen, daß es wohl keinen gerechteren und demokratischer zustandegekommenen Maßstab geben kann als diesen. Wir bedauern sehr, daß hier im Hause dieser Maßstab noch immer nicht gelten gelassen wird, sondern vielmehr die parteinahen Stiftungen bei der Mittelvergabe zum Schaden der grünnahen Stiftung weiterhin äußerst unterschiedlich behandelt werden.
Ich danke Ihnen.
Jetzt hat der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich etwas kürzer fassen, als ich beabsichtigt habe, und sage deswegen angesichts des vorbereiteten Textes: Es gilt auch das geschriebene Wort.
Zu den Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, was die Wahl eines angemessenen Schlüssels angeht, kann ich zusammenfassend nur sagen: Jeder sucht sich und propagiert den Schlüssel, der für ihn selber am vorteilhaftesten ist.
Meine Vorredner machen von diesem Grundsatz keine Ausnahme.
Was Ihre Vorstellungen angeht, die Stiftungen in einem besonderen Gesetz zu regeln, so möchte ich darauf hinweisen, daß meine Fraktion schon Anfang des Jahres einen ausformulierten Gesetzentwurf vorgelegt und den Fraktionen zugeleitet hat. Das Echo war, wie wir heute gehört haben, gedämpft.
Aber wenn wir darüber im Ausschuß reden können, sind wir daran sehr interessiert.
Die allgemeine Kritik, die es in der Öffentlichkeit an der Arbeit der Stiftungen und ihrer Finanzierung gibt, muß man - wie das hier auch schon geschehen ist - in der Tat mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
Die Stiftungen leisten eine Arbeit, die der Staat nicht leisten kann und, füge ich hinzu, auch nicht leisten sollte.
Ich kann für die Naumann-Stiftung auch Beispiele anführen. Die Naumann-Stiftung hat ganz wesentliche Anstrengungen unternommen, um der Antiapartheidbewegung in Südafrika zu öffentlicher Anerkennung zu verhelfen und die ersten Gespräche zwischen dem ANC und den demokratischen Parteien zu ermöglichen. Wir haben Genossenschaftsbestrebungen in Mittelamerika zur wirtschaftlichen Befreiung der Campesinos wesentlich gefördert. Wir haben Journalistenschulungen in vielen Ländern der Dritten Welt betrieben, um dort die Ideen der Pressefreiheit und der Presseöffentlichkeit durchzusetzen. Wir haben Menschenrechtsbüros finanziert. Es sind zahlreiche Stipendiaten aus Ländern der Dritten Welt aufgenommen worden. Wir haben natürlich auch im Inland eine Fülle von Veranstaltungen durchgeführt, um den Bürger politisch zu motivieren und ihm das Rüstzeug für politische Arbeit zu geben. Das ist das eine.
Das zweite ist, daß natürlich die Verwendung der finanziellen Mittel kontrolliert wird. Die Stiftungen unterwerfen sich denselben Prüfungen wie Aktiengesellschaften. Sie werden von unabhängigen Wirtschaftsprüfern kontrolliert, die Abschlüsse werden veröffentlicht, die Abschlüsse sollen in Zukunft im „Bundesanzeiger" veröffentlicht werden. Es gibt die Kontrolle über die Finanzämter. Das alles geschieht.
Die Stiftungen könnten sich auch dadurch, daß sie sich wirklich als Stiftungen etablieren, den Stiftungsgesetzen der Länder unterwerfen. Die FriedrichNaumann-Stiftung ist eine Stiftung im Rechtssinn und unterliegt darum der sehr strengen und eindeutigen Kontrolle des Innenministers von NordrheinWestfalen und des Regierungspräsidenten.
Sie haben eine Stiftung, die ein eingetragener Verein ist. Wenn Sie und die anderen Parteien die Stiftungen im Rahmen des Stiftungsrechts etablieren, haben Sie die Kontrollen, die Ihrer Meinung nach nicht bestehen und die Sie in der Öffentlichkeit anmahnen.
Frau Baumeister hat recht, wenn sie darauf hinweist, daß die Gesetzgebungszuständigkeit des Bun-
Dr. Burkhard Hirsch
des zweifelhaft ist. Es war nicht die Kissel-Kommission, Herr Häfner, sondern es war eine unabhängige Kommission zur Parteienfinanzierung unter dem Vorsitz von Herrn Sendler, die deswegen eine Änderung des Art. 75 GG vorgeschlagen hat, um wenigstens zu einer Rahmenkompetenz des Bundes zu kommen. Ich denke, wenn wir im Ausschuß über die Möglichkeiten einer bundesgesetzlichen Regelung der Stiftungen beraten, dann sollten wir uns vorher darüber vergewissern, ob die Bundesländer überhaupt bereit sind, diesen Teil ihrer bisherigen verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten abzugeben. Wenn das der Fall ist, sind wir durchaus offen. Deswegen haben wir ja einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Ich möchte nicht schließen, ohne den Stiftungen und ihren Mitarbeitern für ihre wichtige und im Interesse unseres Landes liegende Arbeit zu danken. In diesen Dank beziehe ich nicht nur die FriedrichNaumann-Stiftung und ihre Mitarbeiter ein, sondern in gleicher Weise die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung bzw. die Regenbogen-Stiftung.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Abgeordnete Elm.
Werte Kollegen! Ich möchte am Ende der kurzen Aussprache feststellen, daß es einen Meinungsaustausch zu Erfahrungen mit Stiftungen und zu ihrem Status gegeben hat. Es wurden auch Überlegungen geäußert, die gesetzliche Grundlage für das Wirken dieser Stiftungen in dieser oder jener Weise fortzuentwickeln, in Abstimmung der Kompetenzen, die beim Bund bzw. bei den Ländern liegen.
Ich muß aber feststellen, daß das, was aus meinem einleitenden Beitrag hätte entnommen werden können und im Raum steht, kaum Beachtung gefunden hat - am ehesten durch die konstruktiven Bemerkungen seitens des Kollegen Häfner -, nämlich die Tatsache, daß seit Jahren eine Partei im Bundestag diskriminiert wird, und zwar bei der Behandlung dieser Frage und der Zuweisung der Mittel.
Wir beantragen keine Erhöhung des Gesamtvolumens der Mittel, die dafür bereitgestellt werden. Wir sind durchaus einverstanden, wenn die Umverteilung nach den jeweiligen parlamentarischen, den Wählerwillen widerspiegelnden Anteilen im Rahmen der bisherigen Fondsgrößen erfolgt. Es überrascht mich aber schon, daß Sie, Frau Baumeister, Herr Dr. Penner und, wenn ich nichts überhört habe, auch Sie, Herr Dr. Hirsch, nicht die Grundgesetzwidrigkeit eines solchen Umgangs mit einer Partei, diese Ungleichbehandlung festgestellt haben. Man hätte in diesem Zusammenhang auf die geschichtliche Episode eingehen können, wie die Grünen schrittweise einbezogen wurden.
Damit wurde völlig offengelassen, ob man die Absicht hat, das durch Verdrängen und Ignorieren einfach fortbestehen zu lassen. Diese Verletzung des Grundgesetzes, die Ungleichbehandlung und Diskriminierung, wird offenbar mehrheitlich für selbstverständlich gehalten.
Diese Anmerkung mußte gemacht werden. Die Diskussion und Auseinandersetzung darüber muß weitergehen. Ich hoffe allerdings, daß dies mit einer gewissen Öffentlichkeit geschehen wird, damit einige selbstverständliche Erwartungen in bezug auf die Rechtsgleichheit und die Einhaltung unserer eigenen Vorgaben von einem größeren Publikum kritisch zur Kenntnis genommen und kommentiert werden.
Danke.
Ich erteile das Wort zu einer weiteren Kurzintervention dem Kollegen Hirsch.
Nein, Frau Präsidentin, ich möchte nur die Gelegenheit wahrnehmen, auf diese Kurzintervention zu antworten.
Dann müssen Sie das anmelden.
Herr Kollege Elm, ich muß Ihnen sagen, daß ich Ihre Rede als enttäuschend empfunden habe. Ich war sowohl nach der Großen Anfrage als auch nach dem Antrag, den Sie gestellt haben, davon ausgegangen, daß Sie über die Aufgaben der Stiftungen, auch über ihre Struktur und ihre Finanzierung, debattieren wollen. Sie aber haben sich ausschließlich darüber beklagt, daß Sie selbst kein Geld bekommen. Das ist an sich nicht der Punkt, über den wir verhandeln sollten und müßten. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Kritik an den Stiftungen berechtigt ist und was man ihr entgegnen kann.
Was die Interessen der PDS und Ihres Vereins, den Sie Stiftung nennen, angeht, muß man sagen, daß die Entscheidung, so wie es das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, davon abhängt, ob dieses Haus davon ausgeht, daß es sich um eine konstante politische Richtung handelt, der der Stiftung genannte Verein nahesteht. Diese Entscheidung trifft das Haus - nicht heute, sondern im Rahmen der Haushaltsberatungen.
Wenn Sie der Auffassung sind, daß das nicht gerecht und angemessen entschieden wird, müssen Sie die dafür vorgesehenen, in unserer Verfassung verankerten Wege beschreiten. Das steht Ihnen selbstverständlich frei. Ich kann nicht voraussagen, wie das Haus in dieser Frage entscheidet.
Danke.
Liebe Kollegen, Sie können sich nicht einfach zu Wort melden. Es gibt das Instrument der Kurzintervention. Das müs-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
sen Sie aber vorher anmelden. Das weiß auch der Kollege Hirsch. Ansonsten führen wir eine Debatte nach freien Regeln.
Ich erteile dem Abgeordneten Penner das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte.
Ich bin von Herrn Elm angesprochen worden und glaube, daß dies eine Erwiderung erforderlich macht.
Ein Tatbestand ist meines Erachtens verwunderlich. Da gibt es eine Gruppierung, eine Partei im Deutschen Bundestag, die aus ihrer Skepsis, aus ihren Zweifeln, ja, wenn man an die „Kommunistische Plattform" denkt, aus ihrem Abscheu und Ekel vor Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nie einen Hehl macht. Warum - so frage ich mich - ist sie dann so brennend daran interessiert, in den Genuß der doch vergiftet erscheinenden Früchte, nämlich der Steuergelder dieser Gesellschaft zu kommen?
Zur Kurzintervention erhält die Abgeordnete Professor Luft das Wort.
Herr Kollege Hirsch, das kann einfach nicht so unwidersprochen bleiben, damit es im Protokoll nicht falsch erscheint: Der Haushaltsausschuß dieses Hauses entschließt sich nicht, über dieses Thema zu entscheiden, sondern er beruft sich darauf, daß es seit 1992 eine beim Bundesverfassungsgericht anhängige Klage gebe. Niemand kann sagen, wann diese Klage zur Verhandlung kommt. Diese Klage ist eingereicht worden, weil der Haushaltsausschuß die Mittelzuweisung bisher verweigert hat. Ich muß es korrekter sagen: Nicht der Haushaltsausschuß, sondern die Abgeordneten der Koalitionsparteien verweigern der PDS-nahen Stiftung die Mittelzuweisung, und daher diese Klage. Wir können es also nicht auf den Haushaltsausschuß abwälzen, sondern es bedarf schon einer prinzipiellen Verständigung darüber.
Das zweite Argument der Verweigerung ist, die Dauerhaftigkeit der politischen Strömung sei nicht klar. Welches sollen denn die Kriterien für die Dauerhaftigkeit der politischen Strömung sein außer stabilen und gar ansteigenden Wahlergebnissen und Vertretung in den Landesparlamenten beispielsweise? Da, so meine ich, hat die Partei des Demokratischen Sozialismus in den letzten Jahren eine gute Figur abgegeben.
Das nächste möchte ich Herrn Penner sagen: Herr Kollege Penner, könnten Sie denn damit einverstanden sein, daß es nicht zum politischen Tagesgeschäft der Stiftungen gehört - ich glaube, von Ihnen stammt dieser Begriff, den ich unterstreiche -, daß z. B. die
Konrad-Adenauer-Stiftung öffentliche Gelder, die ihr aus dem Bundeshaushalt zugewiesen werden, benutzt und gerade in den letzten Monaten benutzt hat, um Studien anzufertigen, die sich mit der PDS und mit der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auseinandersetzen? Oder meinen Sie mit mir nicht auch, daß es eine Verschwendung von Steuergeldern ist, wenn es zutreffend ist, was eine südafrikanische Zeitung kurz nach der Rückkehr des Bundeskanzlers von seinem Südafrikabesuch veröffentlicht hat, wonach Mittel der Konrad-Adenauer-Stiftung eingesetzt werden, um den Geheimdienst der Inkatha-Partei aufzubauen? Wenn letzteres zuträfe, dann muß sich dieses Haus damit auch politisch beschäftigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind inzwischen in einer Situation, daß sich aus dem Instrument der Kurzintervention eine Debatte ergibt - bei nicht unbedingt zahlreich gefülltem Hause -, die länger ist als die ursprünglich ausgemachte Debatte. Das ist wieder einmal ein Hinweis, daß sich so etwas in einer öffentlichen Ausschußsitzung vielleicht besser behandeln ließe. Ich bitte alle, die jetzt noch Kurzinterventionen machen wollen, das zu berücksichtigen.
Angemeldet war zunächst die Kurzintervention des Abgeordneten Häfner. Frau Baumeister hatte auch eine angekündigt. Wenn der Herr Kollege Hirsch noch eine zweite Kurzintervention - das ist sehr ungewöhnlich - machen will, dann werde ich ihn auch noch drannehmen.
- Nein, es geht jetzt in dieser Reihenfolge.
Ich hatte nicht vor, mich an dieser Runde von Kurzinterventionen zu beteiligen, weil ich als einziger zu der in Rede stehenden Frage von vorneherein deutlich Stellung genommen hatte. Nur, Herr Abgeordneter Penner, ich wundere mich ernstlich, über das, was Sie eben ausgeführt haben, und das fordert mich nun doch heraus, kurz etwas zu sagen. Ich meine allen Ernstes: So geht es nicht. Entweder ist eine Partei demokratisch legitimiert - das entscheiden nebenbei zum Glück nicht wir, sondern die Wähler - und verfassungsgemäß. Dann müssen ihr alle Rechte zustehen. Dann können wir bei einer solchen Frage also nicht anfangen, mit „Kommunistischer Plattform", mit „Haltung zu diesem Staat" und anderen inhaltlich programmatischen Aussagen zu argumentieren. Es geht uns bei dieser Entscheidung überhaupt nichts an, was dort vertreten wird.
- Nun lassen Sie mich doch zu Ende sprechen!
Wenn Sie die Rechte der PDS aus inhaltlichen Gründen leugnen wollen, dann müssen Sie die Verfassungswidrigkeit dieser Partei feststellen lassen. Und
Gerald Häfner
wenn das Ihres Erachtens nicht so ist, dann gilt, was das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat. Das hat nämlich gesagt:
Mit Rücksicht auf die dargelegten Berührungspunkte zwischen der Tätigkeit der Stiftung einerseits und den langfristigen politischen Zielvorstellungen einzelner politischer Parteien andererseits gebietet es allerdings der Gleichheitsgrundsatz, daß eine solche Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt. Nur wenn die staatliche Förderung der pluralen Struktur der gesellschaftlichen und politischen Kräfte Rechnung trägt, wird sie dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln.
Ich möchte Sie ganz eindringlich bitten, wirklich jeden Anschein zu vermeiden, der uns oder auch nur Teile dieses Hauses in den Verdacht setzt, hier nach politischen und nicht nach diesen klaren verfassungsrechtlichen Kriterien zu entscheiden.
Danke schön.
Jetzt erhält die Kollegin Baumeister das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Ich will mich kurzfassen. Ich möchte das, was Kollege Häfner gesagt hat, zurückweisen, denn ich habe den Kollegen Penner gänzlich anders verstanden. Er hat nur auf den Nachdruck hingewiesen, mit dem die PDS dieses betreibt. Das war das einzige, was Sie ausgeführt haben. So habe ich Sie verstanden.
Ich darf zurückweisen, Frau Kollegin Luft, was Sie gesagt haben. Ich muß sagen, die Adenauer-Stiftung vergibt selbstverständlich Studien, aber nicht nur über die PDS, sondern zu allen möglichen Problemstellungen. Ich glaube, daß dies auch zu ihrem politischen Auftrag gehört. Deshalb bitte ich, bei der Wahrheit zu bleiben, und weise dies zurück.
Der Herr Kollege Hirsch, bitte.
Frau Kollegin Luft, ich möchte auf Ihre Intervention nach § 27 Abs. 2 letzter Satz antworten. Es ist so, daß der Haushaltsausschuß - nicht die Mehrheit oder Minderheit, sondern die Mehrheit ist der Ausschuß - und dieses Haus entscheiden, welche Mittel in den Bundeshaushalt für die Stiftungen eingestellt werden. Dabei gehe ich davon aus, daß die Mehrheit dieses Hauses unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entscheidet. Wenn Sie anderer Meinung sind, und das sind Sie offenbar, müssen Sie das Gericht anrufen. Nichts anderes geschieht hier. Ich gehe davon aus, daß die Entscheidungen so getroffen werden, wie es das Gericht voraussetzt, nämlich daß die Zuwendungen eine Stetigkeit einer bestimmten politischen Richtung voraussetzen. Wenn sie belegt wird, wird sich dieses Haus der Entscheidung nicht weiter entziehen können und wollen. Es muß aber eine solche stetige politische Entwicklung belegt sein.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/621 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, 27. Oktober 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist damit geschlossen.