Rede von
Heidemarie
Wieczorek-Zeul
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bitte um Nachsicht.
Ich war ja nun wirklich noch in der ersten halben Minute. Ich würde gern diesen Punkt notfalls anschließend noch aufgreifen, wenn es möglich ist, aber jetzt erst meine Rede fortsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um zwei Dinge, einmal um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, gefällt von elf Männern, zum anderen um die Tatsache, daß der CDU-Parteitag das Frauenquorum abgelehnt und damit den Start ins nächste Jahrhundert versäumt hat. Das heißt, es bleibt bei der Männerherrschaft in der CDU/CSU.
Wie sieht die Realität von Frauen aus, und warum muß Frauenförderung nach wie vor aktiv in Gang gehalten werden?
51 % der europäischen Bevölkerung sind Frauen. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen liegt bei 41 %. Sie sind aber nach wie vor überproportional zu 13 % von Arbeitslosigkeit betroffen.
Frauen arbeiten insgesamt in den Erwerbszweigen, in denen schlecht bezahlt wird. Ihre Einkommen sind deshalb um 25 % niedriger als die der Männer, und ihre Renten sind um ein Drittel geringer als die des anderen Geschlechts. Nur rund 5 % der Frauen in der Europäischen Union arbeiten in Führungsfunktionen in der Wirtschaft.
Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist angesichts unseres Grundgesetzauftrages und angesichts der guten Veränderung im Bewußtsein von Männern und Frauen in unserem Land eine fortdauernde Provokation. Wenn es eine Führungsaufgabe gibt - das sage ich direkt an die CDU/CSU gerichtet -, dann ist es die, dafür zu sorgen, daß am Ausgang dieses Jahrhunderts endlich der schreckliche Anachronismus der Benachteiligung von Frauen überwunden und beseitigt wird.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich hatte das Gefühl, Frau Nolte steht schon gar nicht mehr zu dem, was sie ursprünglich einmal gesagt hat. Sie hat nämlich auf dieses EuGH-Urteil reagiert wie eine Notarin. Sie hat es als eine „erfreuliche Klarstellung" bezeichnet. Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung jetzt dieses Urteil, das ja Bindungswirkung nur für den einen Bremer Fall hat, auch noch politisch voll-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
strecken will. Jedenfalls läßt die Bundesregierung durch ihr gesamtes Verhalten in bezug auf die Frauengleichstellung in der Europäischen Union deutlich werden, daß für sie Frauengleichstellung eine politisch und finanziell zu vernachlässigende Größe ist.
Ich greife das Frauenaktionsprogramm auf; ich habe das ja vorhin zu Beginn schon angesprochen. Die Bundesregierung blockiert es seit Wochen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Geben Sie diese Blockadehaltung auf, und tragen Sie dazu bei, daß das, was die Kommission dort für die Frauen tun kann, endlich verwirklicht wird.
Ich nenne Ihnen jetzt einmal ein paar Zahlen, damit deutlich wird, was da los ist. Das mittelfristige Aktionsprogramm der EU zugunsten der Frauen würde die Bundesrepublik in einem Jahr 10 Millionen DM kosten. Das ist Ihnen zuviel; deshalb wird es blockiert. Die Bundesregierung stimmt lieber dafür, daß in der Europäischen Union pro Jahr 120 Millionen DM für Lagerhaltung von Butter ausgegeben werden. Das heißt: Sie ist bereit, 40 Millionen DM aus der Bundesrepublik für diesen Agrarunsinn zu verpulvern. Wir fordern Sie auf: Buttern Sie diese Mittel in das Aktionsprogramm der Gleichstellung von Frauen. Damit tun Sie etwas für die Europäische Union und auch für die Gleichstellung von Männern und Frauen.
Was soll man von einer Regierungspartei, die sich auch noch Europapartei nennt, wie der CDU, halten,
die dem Prinzip der Subsidiarität, das sie jetzt von der EU einfordert, selbst nicht Rechnung trägt und unter dem Vorwand der Subsidiarität auch noch eine Renationalisierung der Europapolitik betreibt? „Subsidiarität" heißt doch, daß man da anfängt, wo man es selber am besten kann.
Jetzt muß ich sagen: Ich finde es schon ein Unding, daß auf dem Bundesparteitag der CDU kein Handlungsbedarf gesehen wurde, obwohl in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion nur 14 % Frauen sind.
Es kann Ihnen und uns unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung von Frauen insgesamt nicht gleichgültig sein, daß durch dieses Verhalten der CDU/CSU und auch der F.D.P. der Frauenanteil im Deutschen Bundestag nur bei 26 % liegt. Nehmen wir einmal die Zahlen für die Oppositionsfraktionen. Bei ihnen beträgt der Frauenanteil 40 %. Es ist also
auch eine Frage der Demokratie, wenn Sie sich so verhalten, wie Sie das bisher getan haben.
Ich nehme mit Schrecken zur Kenntnis, daß es anscheinend einen Auftrag des Kabinettes gibt, Frauengleichstellung in der Europäischen Union unter dem Prinzip der Subsidiarität ganz fallenzulassen. Da sagen wir: Wir möchten eben gerade, daß die EU mehr ist als ein Verein von Gentechnikfabrikanten, von Agrarsubventionisten und von Händlern. Die Europäische Union muß auch für Bürger und Bürgerinnen und damit auch deutlich für die Frauen da sein.
Deshalb fordern wir Sie auf:
Erstens. Machen Sie sich bei der Überprüfung des Maastricht-Vertrages dafür stark - da kommt der Test, Frau Nolte, nicht bei den schönen Erklärungen, nämlich dann, wenn es darum geht, ob die harten Fakten, die wir hier einfordern, von der Bundesregierung, die verhandelt, eingelöst werden -, daß dem Vertrag eine Grundrechtscharta vorangestellt wird, in der es grundrechtlich verbriefte und garantierte Normen zugunsten der Gleichstellung von Frauen im EU-Vertrag gibt.
Zweitens. Sorgen Sie dafür, daß im Vertrag klargestellt wird, daß positive Fördermaßnahmen der Mitgliedstaaten für Frauen, d. h. auch Quotenregelungen bei Einstellung und Aufstieg, nach dem EU-Vertrag zulässig sind.
Drittens. Wir fordern Sie auf: Tragen Sie dazu bei, daß die vorliegende EU-Richtlinie zur Gleichstellung, die ja die Grundlage des EuGH-Urteils war, so präzisiert oder verändert wird, daß zukünftig nicht nur Zielquoten, sondern auch leistungsbezogene Quoten möglich bleiben.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Art der Benennung der Richter am Europäischen Gerichtshof - von den nationalen Regierungen, ohne jede parlamentarische Transparenz und damit ohne ausreichende demokratische Legitimation - spottet jeder Beschreibung. Wir fordern eine parlamentarische Beteiligung an dem Benennungsverfahren, und wir fordern auf, dafür Sorge zu tragen, daß sich der Europäische Gerichtshof paritätisch aus Männern und Frauen zusammensetzt,
damit das, was dort geurteilt wird, der Realität von Menschen, gerade auch der Frauen, in unserem Lande entspricht.
Ich bedanke mich sehr herzlich iur Ihre Aufmerksamkeit.