Herr Kollege Schemken, ich kann Ihnen bestätigen, daß ich bei der Anhörung zu diesem Gesetz anwesend war und mitbekommen habe, daß beide Parteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in der Anhörung erklärt haben, daß sie eigentlich die alte Regelung von 1993 gerne weiterhin hätten.
Ein Muß war auch das, was der Bundesarbeitsminister und was Sie als Regierungskoalition hier beschlossen haben. Daß man jetzt versucht, von dem, was vorhanden ist, noch etwas zu retten, also aus diesem Steinbruch noch ein paar Steine zu kitten, ist für mich erklärlich. Irgendwie muß die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden ihren Leuten erklären, warum diese Verschlechterungen jetzt bestehen. Deswegen habe ich volles Verständnis für diese Presseerklärung.
Meine Damen und Herren, Arbeitgeber haben heute aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen kein Interesse mehr daran, Arbeitnehmer zu entlassen, auch in der Bauwirtschaft, und diese anschließend im Frühling bei steigenden Temperaturen wieder einzustellen. Termingerechte Fertigstellung ist heute ähnlich wichtig wie Kostenerwägungen; denn die Investoren wollen ihre Anlagen möglichst frühzeitig in Betrieb nehmen. Das zwingt also zu schneller und möglichst kontinuierlicher Arbeit am Bau.
Aber machen wir uns keine Illusionen: Hätten sich die Tarifparteien nicht auf eine Ersatzlösung geeinigt, dann wäre die Konsequenz gewesen, daß Sie die entsprechend gestiegenen Lohnersatzleistungen nur dazu benutzt hätten, anschließend weitere Einschränkungen beim Leistungsbezug für Angehörige der Baubranche zu fordern. Denn wenn man die Bauarbeiter später wieder eingestellt hätte, wäre das aus Ihrer Sicht nichts anderes als ein Betrug an der Solidargemeinschaft gewesen, oder Sie hätten irgend einen anderen Popanz benutzt, mit dem Sie davon hätten ablenken können, daß die gestiegenen Aufwendungen für den Lohnersatz einzig und allein auf Ihre Politik zurückzuführen sind.
Sie werden sich daran erinnern, daß Herr Blüm die geplanten Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe mit der fehlenden Marktorientierung beim Lohnersatz begründet hat, nach dem Motto: Wer 20 Jahre Arbeitslosenhilfe bezieht, muß sich herunterstufen lassen, weil er nur noch eine eingeschränkt verwertbare Arbeitskraft anbietet. Aber auf eine entsprechende Nachfrage, wieviel Arbeitslose über 20 Jahre Arbeitslosenhilfe bezogen haben, Herr Bundesarbeitsminister, erklärten Sie dann - hören Sie genau zu -: Es sind gerade einmal 11 Personen, 10 Männer und eine Frau, die mindestens 20 Jahre lang die sogenannte Anschlußarbeitslosenhilfe erhalten haben. Wenn das kein Popanz war, Herr Minister, dann weiß ich nicht mehr, wo ich stehe.
Kein Wort davon, daß die Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe nur durch die wieder stark angestiegene Langzeitarbeitslosigkeit in Westdeutschland exorbitant angestiegen sind. Kein Wort darüber, daß nun auch in den neuen Ländern aufgrund der dortigen Beschäftigungskatastrophe die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder steigt.
Niemand erwähnt, daß man den 7 bis 15 Milliarden DM, die die Arbeitslosenhilfe den Bund nun pro Jahr an passivem Lohnersatz kostet, gerade mal 3 Milliarden DM in einem Sonderprogramm „Beschäftigungshilfe für Langzeitarbeitslose" gegenübergestellt hat, die sich überdies noch über mehrere Jahre verteilen.
Ein weiteres Beispiel zeigt sich in den Folgen der Entsenderichtlinie. Nicht nur, daß die Richtlinie auf zwei Jahre befristet ist und nur für das Bauhauptgewerbe gelten soll, die Arbeitgeber haben schließlich in wünschenswerter Deutlichkeit erklärt, daß sie dem Versuch einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung keinesfalls zustimmen werden. Daraus ergibt sich zwingend, daß die Richtlinie ein Papiertiger bleibt, Herr Bundesarbeitsminister. Sie produzieren ein Gesetz mit der Überschrift „Muster ohne Wert". Besonders ärgerlich ist, daß Sie in der Öffentlichkeit auch noch den Eindruck erwecken wollen, als ob Sie etwas täten. Dabei vernichten Sie durch Ihre sture Haltung mit diesem „Muster ohne Wert"-Gesetz in der Republik Arbeitsplätze in Hülle und Fülle. Das werfe ich Ihnen ganz konkret vor.
Der heimischen Bauwirtschaft entsteht aber ein zusätzlicher Hemmschuh durch die ausländische Konkurrenz. Sie vernichten diese Arbeitsplätze. Die Folgen sind absehbar. Im September waren in den alten Ländern rund 95 000 Angehörige von Bauberufen arbeitslos, 12 700 mehr als im Vorjahr. Die Zahl dürfte weiter steigen, weil die Entsenderichtlinie nicht greift. Mittelfristig werden die Personen auf Arbeitslosenhilfe angewiesen sein. Das zwingt Sie dann wieder zu Kürzungen im Leistungsbereich. Hier schließt sich also der Kreis wieder. Insgesamt ein Schrecken ohne Ende, Herr Bundesarbeitsminister.
Zurück zum Thema: Wer nun aber glaubt, durch die abgespeckte Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes und die tarifvertragliche Vorlaufregelung würden die Bauberufe wieder attraktiver, der bastelt meines Erachtens an Luftschlössern. Nehmen wir einmal an, Sie wären ein junger Mann, Herr Arbeits-
Peter Dreßen
minister, Schulabsolvent, wollten nun einen Beruf ergreifen und Sie würden bei einer Baufirma anrufen und sich um eine Lehrstelle bewerben.
Dort würde man Ihnen erzählen, daß es sich nicht selten um körperlich schwere Arbeit handelt. Aber das würde Sie ja nicht stören. Außerdem würde man Ihnen sagen, daß Sie kaum je geregelte Arbeitszeiten hätten, weil Sie im Sommer meist mehr und im Winter eher weniger arbeiten müßten. Auch das machen Sie noch mit.
Daraufhin würde Ihnen erklärt, daß damit auch jahreszeitlich unterschiedlich hohe Verdienste verbunden sein könnten. Aber Sie sind ja ein Kind des Zeitgeistes, also sehr flexibel und daher ganz nach dem Geschmack unseres Bundeskanzlers.
Schließlich würde man Ihnen erzählen, daß Sie unter Umständen im Zweifel fünf Tage Urlaub für einen eventuellen Schlechtwetterausfall opfern müßten. Wenn Sie unter diesen Umständen den Job trotzdem annehmen, gibt es eigentlich für mich nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie befinden sich im Jahre 1930 und müssen erst noch auf einige sozialpolitische Fortschritte warten, oder Sie befinden sich im Jahre 1995, sind Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und kuschen fortgesetzt vor Ihren eigenen Finanzpolitikern und deren gelb-blau geschürzten Vertretern der Besserverdienenden.
Niemand außer Ihnen glaubt noch, mit solchen Verschlimmbesserungen würde die Bauwirtschaft wettbewerbsfähiger oder würden die Bauberufe attraktiver.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dieser Tage eine Analyse zu Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen veröffentlicht. Demnach kamen 1993/94 in den Bau- und Baunebenberufen auf rund 69 000 angebotene Ausbildungsplätze -