Rede von
Dr.
Norbert
Lammert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand dieser Debatte ist eine besondere Regelung für die Bauwirtschaft, deren Bedeutung allerdings weit über diese Branche hinausreicht. Dazu möchte ich zum Schluß noch einige Bemerkungen machen, zumal ja auch manches für die Vermutung spricht, daß die Kontroverse über die Regelung, die heute zur Debatte steht, mit der grundsätzlichen Bedeutung zusammenhängt, die dem ganzen Fragenkomplex zukommt, der an diesem Beispiel diskutiert und auch entschieden werden muß.
Zentrale Herausforderung der Wirtschaftspolitik sind die Sicherung vorhandener Beschäftigung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dies ist unstreitig eine gemeinsame Herausforderung sowohl an den Staat wie an die Tarifpartner, aber es ist ganz offensichtlich unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Arbeitsmarktes auch eine Aufgabe, an die wir mit neuen Überlegungen, mit neuen Regelungen herangehen müssen, wenn wir neue Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt schaffen wollen, die sich von denen unterscheiden, die wir gegenwärtig haben.
Niemand von uns darf sich an der Einsicht vorbeidrücken, daß unter den bestehenden Bedingungen des Arbeitsmarktes, auch unter den gegebenen Bedingungen der Organisation unserer gesetzlichen Systeme sozialer Sicherung selbst bei stetigem Wachstum nicht die Beschäftigungswirkungen eintreten, die wir gemeinsam wünschen und die wir dringend brauchen.
Tatsache ist: Der Arbeitsmarkt ist über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg immer mehr durch das Bedürfnis nach gesetzlicher Absicherung allgemeiner und besonderer Lebensrisiken belastet worden, und wir haben dieses sympathische Anliegen über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg in einer Weise befördert und perfektioniert, daß wir nun auf dem Arbeitsmarkt vor einer Situation stehen, die uns mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert, daß genau dieses sympathische Bemühen die Schaffung neuer Arbeitsplätze immer mehr erschwert.
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, uns dieser Einsicht auch dann zu stellen, und zwar nicht nur rhetorisch, Herr Gilges, sondern auch praktisch, wenn sie für uns alle unangenehm ist, vor allen Dingen deswegen, weil sie uns neue Prioritätsentscheidungen abverlangt, die aber gerade im Interesse derjenigen, die Arbeit haben, und erst recht derjenigen, die Arbeit brauchen, nicht länger vertagt werden dürfen.
- Das ist leider eine Befürchtung, für deren Erhärtung in dieser Diskussion zusätzliche Anhaltspunkte gefunden werden können, Herr Kollege.
Wer die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur vorrangigen politischen Aufgabe erklärt - das tun Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Woche für Woche mit guten Argumenten -, muß gleichzeitig sagen und bereit sein, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen. Die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung neuer Beschäftigung müssen auch vor der Sicherung von Rechts- und Leistungsansprüchen Vorrang haben, wenn nicht beides gleichzeitig zu realisieren ist.
Diese Debatte heute hat vor allem durch die Redebeiträge seitens Opposition sehr deutlich gemacht, daß Sie auf genau den umgekehrten Prioritäten bestehen.
Das ist selbstverständlich Ihr gutes Recht. Wenn Sie aber, wie Sie es auch heute wieder vorgetragen haben, den Vorrang gesetzlicher Leistungsansprüche vor der Eröffnung neuer Beschäftigungschancen reklamieren, dann dürfen Sie nicht gleichzeitig die Be-
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
kämpfung der Arbeitslosigkeit zur vorrangigen politischen Aufgabe erklären.