Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Anträge, der der Koalition und der der Opposition, haben einen Teilaspekt zum Inhalt, nämlich bei der Opposition die Frage, welche Auswirkungen diese multimediale Entwicklung lin Medienrecht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe, und bei der Koalition die Frage, inwieweit sich der Rundfunkbegriff unter Umständen investitionshemmend auf die zukünftige Entwicklung auswirkt.
Hans-Otto Wilhelm
Ich glaube, daß wir dabei an einem Kernpunkt des zu diskutierenden Problems sind, was den Industriestandort Deutschland anbelangt; denn es ist überhaupt keine Frage, daß die Einführung der Glasfaser, der Digitalisierung und der Kompressionstechnik - am anschaulichsten wurde es vor zwei Tagen, als der Astra I E mit 108 Transpondern in den Orbit geschickt wurde - bedeutet, daß der Rundfunkbegriff einer Überprüfung bedarf, weil er der klassischen Interpretation aus meiner Sicht auf Grund der veränderten Technik nicht mehr standhält.
Die Frage, was Rundfunk ist, ist ja in der Tat in der Verfassung nicht dargestellt. Die Länder haben - ich sage einmal: unzuständigerweise - in ihren Mediengesetzen versucht, diesen Begriff zu interpretieren. Damit ist aber keine abschließende Interpretation vorgenommen worden, weil dies eher der Aufgabenstellung des Deutschen Bundestages obliegt. Ich will durchaus kritisch die Frage stellen, ob dies auf Grund der sich ständig verändernden Technik überhaupt möglich ist. Die Länder aber haben zweifelsohne nicht die Befugnis, diese Frage abschließend zu lösen - hier bin ich bei dem entscheidenden Punkt -, weil die Interpretation des Rundfunkbegriffes von 16 Ländern und ihren eigenen Interessen abhängig ist. Dabei kommt es zu Kompromissen, die in der Tat investitionshemmend wirken können.
Es steht doch außer Frage, daß die in den Staatsverträgen der Länder enthaltene Interpretation des Rundfunks als eine an die Allgemeinheit gerichtete Darstellung von Veranstaltungen nicht ausreichend ist, um neue Online-Dienste, Video on demand oder Pay-TV, ob zutreffend oder nicht, unter diesem Begriff zu subsumieren. Daß es auf Grund der föderalen Hoffnungen und Erwartungen ein natürliches Interesse der Länder ist, das so zu interpretieren, ist zweifelsfrei. Am Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz wird allerdings deutlich, daß es, was auch immer in Bad Neuenahr herausgekommen ist, das Ergebnis von Kompromissen ist, dem zum Schluß alle zustimmen konnten. Das gilt z. B. auch bezüglich der Protokollvermerke des Saarlands und von Bremen, in denen es heißt, Herr Glotz: Wir stimmen zu, gehen aber davon aus, daß unsere Rundfunkanstalten bestehenbleiben. Das ist doch die Quadratur des Kreises, meine Damen und Herren.
Wenn es geht, sollten wir mit den Ländern unter anderen Gesichtspunkten eine gemeinschaftliche Interpretation des Rundfunkbegriffs zustande bringen, da ich glaube, daß viele dieser neuen Dienste nicht mehr unter „Rundfunk" subsumiert werden können. Es ist kein Rundfunk, auch keine neue Art von Rundfunk. Es ist in hohem Maße Individualkommunikation. Wenn dies aber der Fall ist, dann liegt die Rechtsetzungskompetenz nicht bei den Ländern. Sie liegt beim Bund und muß unter kartellrechtlichen, urheberrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Aspekten geklärt werden. Ich hoffe nur, daß die Länder auf Grund unseres föderalen Aufbaus die Kraft haben, zu einvernehmlichen Regelungen zu kommen. Wir können aber politisch nicht zulassen, daß die Gestaltung multimedialer Zukunft von dem guten oder eben nicht guten Willen von 16 Ministerpräsidenten abhängig ist.
Ihre Partei, Herr Glotz, hat sich in der Tat immer wie eine Ziege am Strick gebärdet. Es gab bei Ihnen, wie Herr Schröder zu Recht feststellte, nur eine Einigung, und zwar über die Einführung des Farbfernsehens. Daß in Bad Neuenahr beispielsweise die Vereinbarung bezüglich der Zusammenschlüsse im privaten Bereich, also unser Reichweitenmodell von 30 %, verabschiedet wurde, haben Sie selbst doch noch vor 14 Tagen für völlig unmöglich gehalten. Ich halte diese Entscheidung für richtig.
Herr Schlauch, bei all dem, was Sie mit heißem Herzen in den öffentlichen Rundfunk investieren, müssen Sie doch auch zur Kenntnis nehmen, daß das erste Fernsehurteil, das Adenauer-Urteil, die Veranstaltung von Rundfunk und Fernsehen wegen der Begrenztheit der terrestrischen Frequenzen den Öffentlich-Rechtlichen zugewiesen hat. Das allein war Anlaß, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzurichten.
Natürlich - das haben Sie ebenfalls übersehen - hat das Bundesverfassungsgericht im vierten Fernsehurteil gesagt, daß es eine Bestands- und Entwicklungsgarantie gibt. Sie müssen das Urteil aber weiterlesen. Dort heißt es: Damit beginnt eine ganz gefährliche Entwicklung auch für das öffentlich-rechtliche System. Wenn die Privaten nämlich den Grundversorgungsauftrag erfüllten, würde die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks obsolet.
Der öffentlich-rechtliche Runfunk ist in einer gefährlichen Situation der Umklammerung, weil er vor dem Hintergrund eigener Quotenabsichten sein Programm popularisiert, um sich den Privaten zu nähern, und damit immer weiter vom Grundversorgungsauftrag abrückt; die Vollprogramme der Privaten aber erfüllen diesen Auftrag immer mehr. Das ist eine sehr komplexe Problematik, die Sie, meine Damen und Herren, nicht nur mit heißem Herzen bewältigen können. Sie müssen dies auch vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes tun.
Das sind Aufgaben, von denen ich mir wünsche, daß wir sie gemeinsam lösen, und zwar rasch. Was auch immer Herr Schlauch gegen HOT- und Verkaufskanäle hat: Ich sehe in diesen neuen Medien viele neue Chancen des Lernens, der Kommunikation, der Wissensvermittlung. Alles, was wir auf Grund unserer Struktur im föderalen System nicht oder zu spät machen, werden andere tun. Die Satelliten im Orbit-Bereich werden Sie nicht durch nicht vorhandene Ländergesetzgebung oder noch nicht vorhandene Bundesgesetzgebung behindern. Das ist eine weltweite Aktion; sie kann von jedem durchgeführt werden. Deswegen ist rasches Handeln und guter Wille aller Beteiligten angesagt. Wenn dieser gute Wille ausbliebe, kann der Bund nicht so lange zuwarten, bis sich bei Ihnen der gute Wille zu spät entwikkelt hat. Dann müssen wir die Frage stellen, ob wir ein Medienrechtsrahmengesetz, eine Neuinterpreta-
Hans-Otto Wilhelm
tion des Rundfunkbegriffes und die Zuständigkeit des Bundes für Individualkommunikation reklamieren, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland in diesem Bereich überhaupt eine Zukunft hat.
Vielen Dank.