Rede von
Dr.
Ruth
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitspolitik der Koalition ist nun auch öffentlich sichtbar in eine Sackgasse geraten. Die ersten Koalitionsgespräche zur sogenannten dritten Stufe der Gesundheitsreform sind bekanntlich wegen unüberbrückbarer Meinungsunterschiede bereits nach wenigen Stunden geplatzt. Die positive Wirkung des Gesundheitsstrukturgesetzes ist noch rascher erloschen, als es selbst die Skeptiker erwartet hatten. Bereits für das laufende Jahr steht der gesetzlichen Krankenversicherung wieder ein Defizit in mehrfacher Milliardenhöhe ins Haus, und für das kommende Jahr droht nun gar ein noch größeres Debakel. Rote Zahlen bis zu einem Volumen von 15 bis 20 Milliarden DM mit entsprechenden Konsequenzen, sprich: enormen Beitragserhöhungen, werden für die gesetzliche Krankenversicherung befürchtet.
Eine solche Entwicklung wäre nicht nur eine Katastrophe für Versicherte, Wirtschaft und Gesellschaft; sie würde wohl auch das Scheitern der Zielstellung des Gesundheitsministers Seehofer bedeuten.
Während es also fünf Minuten vor zwölf ist und eigentlich aus objektiven wie auch gewissermaßen aus subjektiven Gründen dringend durchgreifendes Handeln angesagt wäre, hat sich die Koalition in einen Zustand völliger Selbstblockade manövriert. Wie es scheint, ist sie nicht einmal, um wenigstens das Schlimmste zu verhüten, zur zeitlich begrenzten Fortführung einer Budgetierung in der Lage. Dabei bleibt es ja richtig, daß die sektorale Budgetierung ein höchst unglückliches Instrumentarium darstellt. Wahr ist aber auch, daß es im Zweifelsfall immer noch besser ist zu budgetieren, als die Entwicklung einem unheilvollen Selbstlauf zu überlassen.
Doch statt tatkräftiger Aktionen, so wie es dem Umfang der Aufgaben und der Kompliziertheit der anstehenden Probleme entspräche, erleben wir nun die Präsentation einer Kette von Minigesetzen. Anders ausgedrückt: Statt verantwortlicher Gesundheitspolitik bekommt das staunende Publikum gegenwärtig immer neue Variationen von Politikersatz angeboten. Diese Minigesetze sind entweder so beschaffen, daß sie längst anerkannte, ja sogar schon gesetzlich fixierte Reformen wieder zunichte machen, wie es bei der Streichung der Positivliste der Fall ist, oder sie zielen auf kleinkarierte und nahezu wirkungslose bzw. auf ausgesprochen falsche Maßnahmen.
Exakt von solchem Kaliber ist auch der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf im Zusammenhang mit der Krankenhausfinanzierung. Durch Sofortmaßnahmen soll die gesetzliche Krankenversicherung ca. 1 bis 2 Milliarden DM im Krankenhausbereich einsparen können. Gesichert werden soll, daß die Bundesländer auch in den Jahren bis 1998 für bestimmte Instandhaltungskosten der Krankenhäuser verantwortlich bleiben, so wie es bis 1992 der Fall war. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes hat hier zweifellos Regelungsbedarf geschaffen. Aber selbst wenn die Länder für diese Aufwendungen nun wieder eindeutig verpflichtet werden - was ja durchaus vernünftig ist -, würden die Kassen keine einzige Mark hinzugewinnen. Sie waren bekanntlich mit diesen Kosten noch nie belastet.
Besonders schlimm aber ist, daß die Bundesregierung gleichzeitig die weitere Anwendung der Pflegepersonalregelung für 1996 aufgehoben hat. Damit wird der Rotstift ausgerechnet beim Pflegepersonal angesetzt. Jeder weiß aber, daß Krankenhausbehandlungen heute tendenziell zeitlich kürzer und zugleich medizinisch aufwendiger werden. Die damit einhergehende Intensivierung der Arbeit verlangt somit mehr und besser qualifiziertes Personal. Daß diesem Sachverhalt über Jahrzehnte hinweg nie rich-
Dr. Ruth Fuchs
tig Rechnung getragen wurde, hat bekanntlich zu jenen gravierenden Mißständen geführt, die unter dem Begriff „Pflegenotstand" traurige Berühmtheit erlangt haben.
Plötzlich sind aber, nach Meinung der Koalition, die Krankenhäuser ausreichend besetzt. Ein Plus von etwa 20 000 Stellen, von denen allerdings nach Meinung der größten Berufsorganisation der Pflegeberufe nicht einmal sicher ist, ob sie überhaupt alle dem Pflegesektor zugute gekommen sind, soll nun mit einem Schlag zu einer dauerhaften Entspannung dieses Notstands geführt haben, und das in einem Krankenhaussektor mit mehr als 600 000 Akutbetten.
Wie kann man denn die Mittel für die pflegende Hand streichen - also gewissermaßen für die Seele dieses Bereiches -, wenn es in den Krankenhäusern bisher noch nicht einmal möglich war, das neue Arbeitszeitgesetz, welches die Ruhezeiten zwischen zwei Schichten regelt, voll zur Anwendung zu bringen? Dabei kann für die Krankenhäuser mit dieser sogenannten Einsparung die befürchtete Kostenlawine nicht einmal gemildert, geschweige denn aufgefangen werden.
Im übrigen hat sie auch ganz andere Ursachen. Diese liegen viel eher bei den erneut zu erwartenden, ungebremsten Mengenausweitungen, wenn zu Beginn des nächsten Jahres die bisherige Deckelung wegfällt. Hinzu kommt: Trotz technischer Spitzenausrüstung der Ambulanz ist die Zahl der Krankenhausfälle je Einwohner im internationalen Vergleich noch immer zu hoch und in den letzten Jahren sogar weiter angestiegen. Man weiß, daß auch dies letztlich Ausdruck nicht adäquater, ja eigentlich kontraproduktiver Strukturen und Leistungsanreize im medizinischen Versorgungssystem ist. Was in diesem Land gebraucht wird, ist nicht die Verabschiedung eines Detailgesetzes nach dem anderen, sondern eine wirklich an die Wurzeln gehende Reform des Gesundheitswesens.
Meine Damen und Herren, wir teilen durchaus die im heute ebenfalls vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion zur Weiterentwicklung der Gesundheitsstrukturreform geäußerte Befürchtung, daß ohne entschlossenes Handeln die Kosten des Gesundheitswesens unkontrollierbar aus dem Ruder laufen werden. Wir glauben allerdings nicht, daß die mit dem Gesundheitsstrukturgesetz geschaffenen Rahmenbedingungen für die notwendigen Veränderungen bereits ausreichen.